OÖ. HEIMATBLÄTTER 2014 HEFT 3/4

Beiträge zur Oö. Landeskunde | 68. Jahrgang | www.land-oberoesterreich.gv.at OÖ. HEIMATBLÄTTER | 2014 HEFT 3/4 HEFT 2014 | HEIMATBLÄTTER OÖ.

68. Jahrgang 2014 Heft 3/4 Herausgegeben vom Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur

Josef Simbrunner: Das Linzer Theaterwesen von den Anfängen bis zur Gegenwart – Ein kulturgeschichtlicher Streifzug 103

Wolfgang Sachsenhofer: Zwischen Historismus & Moderne – Josef Raukamp und die „Oberösterreichische Glasmalerei“ 127

Leopold Heinrich Ammerer: Vom Kaufmannssohn zum Benediktiner-Abt – Werdegang und Wirken des Innviertlers DDr. Albert Bruckmayr (1913–1982) 157

Karl Wirobal: Alpine Insel der Andacht – hundert Jahre Dachsteinkapelle 169

Petra Strobl: Eine Jugend im Barackenlager Haid 183

Franz Zamazal: Bruckner auf dem Weg zu sich selbst in 193

BUCHBESPRECHUNGEN 195

101 Medieninhaber: Land Oberösterreich Mitarbeiter: Herausgeber: Amt der OÖ. Landesregierung, Dr. Josef Simbrunner Direktion Kultur Doppelbauerweg 4, 4040 Linz-Urfahr Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexemplare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter Mag. Wolfgang Sachsenhofer der OÖ. Heimatblätter: Kaisergasse 18, 4020 Linz Camillo Gamnitzer, Amt der OÖ. Landesregierung, Dr. Leopold Heinrich Ammerer Direktion Kultur, Promenade 37, 4021 Linz, Tel. Hauptplatz 30, 4910 Ried i. I. 0 73 2 / 77 20-1 54 77 Prof. i. R. Ing. DI Dr. mont. Karl Wirobal Lahn 109, 4830 Hallstatt Jahresabonnement (2 Doppelnummern) e 12,– (inkl. 10 % MwSt.) Dr. Petra Strobl Fliederweg 12, 4061 Pasching Hersteller: TRAUNER DRUCK GmbH & Co KG, Köglstraße 14, 4020 Linz Dr. Franz Zamazal Knabenseminarstraße 33, 4040 Linz Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Steingasse 23 a, 4020 Linz

Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich

Alle Rechte vorbehalten

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ISBN 3-85383-019-0

Titelbild: Raukamp-Gemäldefenster, Pfarrkirche Vöcklabruck, 1922 (Beitrag Sachsenhofer)

102 Das Linzer Theaterwesen von den Anfängen bis zur Gegenwart – Ein kulturgeschichtlicher Streifzug* Von Josef Simbrunner

Als am 12. April 2013 im neuen Vorfeld auch bei der Standortfrage.1 „Bühnenhaus Linzer Volksgarten“ erst- (Weiteres zum neuen Linzer Musikthe- mals der Vorhang hochging, hatten ater am Schluss dieses Beitrags.) planerischer Innovationsgeist und kul- Als Ort von Begegnung im weites- turpolitischer Weitblick Oberösterreichs ten Sinn ist Theater Teil und Spiegel Musik- und Opernfreunden einen menschlichen Seins und Miteinanders, jahrzehntelangen Traum und Herzens- Schnittpunkt von Gesellschaftspolitik wunsch erfüllt. Ungenügende Akus- und Gesellschaftskritik, es vermittelt tik- und Sichtverhältnisse, der zu kleine Werte der Philosophie und der Ethik, Orchestergraben und teils indiskutabel reflektiert Zeitumstände und histo- gewordene Arbeitsbedingungen im rische Entwicklungen, Träume und Stammbetrieb an der Promenade waren Sehnsüchte. Die Kunstform „Theater“ für die Kulturverantwortlichen des Lan- als Symbiose aus Unterhaltung und Bil- des zwingende Gründe zur Schaffung dung hat auf Linzer Boden reiche Tra- eines eigenen, zeitgemäßen Musikthe- dition, in die sich der Opernneubau als aterneubaus gewesen. Das architekto- jüngstes Schlussglied imposant einfügt. nisch, technisch wie funktionell Maß- Der Anlässe genug, im Buch der lokalen stäbe setzende Resultat bildet als eines Theatergeschichte ein wenig zu blättern. der modernsten Opernhäuser Europas schon heute einen Markstein in der Lin- Grundlagen des Linzer städtischen zer bzw. heimischen Theatergeschichte. Bühnenwesens: Zur Aufrechterhaltung des Mehr- 1) Theater für den kaiserlichen Hof (ab spartensystems mussten am Landesthe- 1500) ater in den gut zwei Jahrhunderten seit 2) Schultheater der Stände (16./17. Jh.) der Eröffnung im Herbst 1803 laufend und der Jesuiten (17./18. Jh.) kostenintensive Veränderungen vorge- 3) Das Spiel der Wanderkomödianten nommen werden, und auch die zuletzt (ab 1600 bis zum 19. Jh.). immer dringlichere Notwendigkeit eines neuen, selbstständigen Quartiers für den * Redaktionell adaptiert. 1 Unzweifelhaft hätte eine bauliche Integration in Sektor „Musiktheater“ hatte vor massive die Schlossbergflanke, wie ursprünglich vorge- Herausforderungen gestellt. Es galt, sehen, der aufstrebenden Landeshauptstadt ganz die politischen Lager auf Konsenskurs besonderen Glanz verliehen – in Form einer ge- zu bringen, einen Finanzierungsschlüs- schlossenen Kulturmeile mit Theater, Bruckner- haus, Kunstmuseum Lentos und Ars Electronica sel zu finden und dem Großprojekt die Center am Donaustrom. Die Variante “Theater im nötige gesellschaftliche Akzeptanz zu Berg” scheiterte jedoch bekanntlich aus mehreren sichern. Hürden zu meistern waren im Gründen.

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Hbl 3_4 14.indd 103 28.11.14 09:21 Arrangeur der ersten beurkundeten Theatervorstellung im Linzer Schloss: Maximilian I. (1459–1519). Radierung v. Peter Klitsch.

1) Theater für den kaiserlichen Hof und ser Maximilian I. (1459–1519) daselbst als gesellschaftliches Ereignis am 1. März 1501 die erste nachweisbare Theatervorstellung arrangiert, und zwar ein Dianaspiel, verfasst vom bedeuten- Seit dem 15. Jahrhundert war die Burg den Humanisten und Dichter Konrad zu Linz (urkundlich erstmals erwähnt Celtis.2 Das vor geladenen Gästen, unter 799) immer wieder auch habsburgische Kurzzeit- oder Nebenresidenz und als 2 K. Celtis (1459–1508), Beiname Protucius, war solche Hort höfischer Kultur. Wie seine 1487 durch Friedrich III. zum Dichter gekrönt und dann von Maximilian als Lektor für Rhetorik und Vorgänger und Nachfolger kunstsinnige Poetik an die Universität Wien berufen worden. Menschen, Gelehrte und Poeten um sich Sein „Dianaspiel“ gilt als Vorläufer des humanisti- scharend, hatte der hoch gebildete Kai- schen Festspiels.

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Hbl 3_4 14.indd 104 28.11.14 09:21 ihnen Maximilians zweite Gattin Bianca kamen in Linz unter Leopold I. (1658– Maria Sforza, die Fürsten Mailands und 1705) prächtige Draghi-Opern nach Tex- der gesamte kaiserliche Hofstaat, zur Ur- ten von Nicolo Minato auf die Bühne, aufführung gebrachte Stück diente ge- wozu der musikbegabte Regent persön- zielt der Huldigung des Herrschers, der lich Arien und Balletteinlagen kompo- persönlich in die Hauptszene eingriff. In- niert hatte; 1684 gelangten im Schloss halt: Die römische Jagdgöttin Diana legt „Gli elogii“ und „Tullio Hostilio“ zur Ur- dem als Weidmann kostümierten Maxi- aufführung. milian zum Zeichen der Unterwerfung die Attribute ihrer Macht, Spieß und Das höfische Barocktheater Bogen, zu Füßen.3 Auch Maximilian II. (1527–1576) Gleichzusetzen mit monumentalem hatte, schon vor seiner Krönung zum Kulissentheater, fußte das höfische Ba- Kaiser (1564), in der Linzer Burg samt rocktheater auf der Idee des Gesamt- Familie Quartier genommen. Während kunstwerks und vereinte in prunkvollem seines späteren Linz-Aufenthalts im Rahmen Dichtung, Musik und Bühne. Jahre 1565 spielte hier die renommierte Gemeinsam mit Oper und Ballett oft in italienische Truppe „Comici gelosi“ mit tagelange Feste eingebunden, blieb es den Hauptdarstellern Francesco und Isa- als exklusives Vergnügen ausnahmslos bella Andreini, 1568 begrüßte man am dem Adel vorbehalten. Hof zu Linz die Formation des Venezia- Zur Erbhuldigung für Karl VI. ners Giovanni Tabarino. Damit verbrei- (1685–1740) war der Linzer Schlosspark teten sich nördlich der Alpen die Dar- am 28. August 1732 Schauplatz einer bietungen in italienischer Sprache, die epochalen Freiluftaufführung von An- in den kommenden 250 Jahren das Mu- tonio Caldaras Oper “L’ asilo d’amore“. sikleben Europas dominieren sollten. Der hochgeachtete Hofarchitekt und Hoftheateringenieur Giuseppe Galli da Weitergepflegt wurde diese Auffüh- Bibiena (1696–1757), Meister der Pers- rungstradition auch am Linzer Schloss, hervorgegangen aus der Burg Anfang des 17. Jahrhunderts unter Rudolf II. 3 Im Verlauf des Spiels hatte der Kaiser den Dichter (1552–1612). So trat anlässlich des von Vinzenz Lang, genannt Longinus, einen Schüler von Konrad Celtis, zum Poeta laureatus gekränzt. Kaiser Matthias (1557–1619) im Jahr 1614 Zwei Gobelins von der Hand des Oberösterrei- nach Linz einberufenen Generallandta- chers Prof. Rudolf Steinbüchler (1901–1985), zur ges eine italienische „del’arte Gruppe“ Eröffnung der Kammerspiele 1957 geschaffen und auf, 1677 wurde zum Besuch des jung- dort bis vor wenigen Jahrzehnten künstlerischer Raumschmuck, zeigen Maximilian unter Bezug- vermählten Kaiserpaares Leopold I. nahme auf diese Aufführung als Jäger und Mo- (1640–1705) und Eleonore Magdalena narch; in ersterer Rolle empfängt er aus Dianas Theresia die Oper „Hercole acquisitore Hand Spieß und Bogen, in der zweiten überreicht dell’immortalitá“ gegeben, deren Kom- er Longinus den Lorbeerkranz. ponist Antonio Draghi (1634–1700) 4 Das kaiserliche Hofopernorchester galt damals als das beste der Welt. 1680 bot man im Linzer kaiserlicher Opernintendant und Hof- Schloss Draghis „L´ ìngegno à sorte“ und „Intro- 4 opernkapellmeister war. Zur Zeit der inzione ad un ballo si Teutoni“, 1681 dessen Oper zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683 „La forza dell’amicizia“.

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Hbl 3_4 14.indd 105 28.11.14 09:21 pektive, hatte dabei mit beträchtlichem Aufwand, und erstmals überhaupt, be- malte transparente Szenerien als Deko- ration eingesetzt. (Unter den Gästen der illustren Aufführung weilte auch Prinz Eugen von Savoyen.)

2) Das Schultheater der Stände und der Jesuiten

Die Wiederentdeckung der Antike in Kunst und Wissenschaft, der Sie- geszug des Humanismus und die ra- sante Evangelisierung hatten auch dem renaissancezeitlichen Linz bzw. Ober- österreich vielfach ihren Stempel auf- gedrückt. Der Initiative des Adels und ständischer Kreise, die durch den Über- tritt zum „neuen Glauben“ nicht zuletzt ihre Position dem Landesfürsten ge- genüber stärkten und humanistischem Zur Unterrichtsqualität der protestantischen Land- Gedankengut als Grundlage von Per- schaftsschule Linz trug seine mehr als zehnjährige sönlichkeitsentfaltung und Jugenderzie- Lehrtätigkeit in den Fächern Mathematik, Philoso- hung huldigten, verdankte sich ab 1542 phie, Geschichte erheblich bei: Johannes Kepler, Bron- die Tradition protestantischer oö. Land- zestatue im Pavillon auf dem Linzer Schlossberg. schaftsschulen samt internem Theater. Foto: S. Liedl Auf Linzer Boden war es die vom Herren- und Ritterstand gegründete vor- universitäre „Adels- oder Landschafts- schule“,5 die seit der Übersiedlung in das Landhaus 1574 regelmäßig Komödien und evangelische Schuldramen zur Auf- 5 Zum Lehrkörper der Anstalt zählten berühmte Dichter, Theologen und Wissenschafter, u. a. Jo- führung brachte. 1629, nach Beginn der hannes Kepler, der als Landschaftsmathematiker Gegenreformation, musste man die Ver- der Stände 14 Jahre in Linz zubrachte und die Do- einigung mit dem ins Landhaus einge- naustadt – unter den Zwängen der Gegenrefor- zogenen Gymnasium der Jesuiten hin- mation – 1626 fluchtartig verließ. (Die evangelische nehmen,6 unter deren Ägide das Linzer Landschaftsschule war auch ein tragendes Ele- ment des zeitgenössischen Linzer Musiklebens). Schultheater eine nachhaltige Belebung 6 Für den, 1627 vom Kaiser vor die Alternative des auf hohem Niveau – und mit konfessio- Bekenntniswechsels oder der Emigration ge- nell geändertem Vorzeichen erfuhr. stellten, evangelischen Adel war dies der einzig gangbare Weg zur Aufrechterhaltung des eigenen Spirituelle Basis des sogenannten Schulbetriebs gewesen. (Das Jesuitengymnasium „Jesuitendramas“ waren die geistlichen ist ein indirekter Vorläufer des heutigen Akade- Übungen und Anweisungen des Or- mischen Gymnasiums Linz, Spittelwiese.)

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Hbl 3_4 14.indd 106 28.11.14 09:21 densgründers Ignatius von Loyola, das anderem den Einfluss der Kirche zu- Spielwesen selbst wuchs aus der jesui- rückdrängten – bereitete der jesuitischen tischen Mittelschule heraus, wobei die Theaterkunst 1769 das unwiderrufliche materielle Abgesichertheit durch reichli- „Aus“. Ihr kultureller, gesellschaftlicher che Einnahmen und Unterstützungsgel- und bildungspolitischer Stellenwert der früh eine praktische Realisierung von lässt sich im Rückblick auch daran ab- Theater als Gesamtkunstwerk aus Spra- schätzen, dass für das deutschsprachige che, Musik, Tanz und Bühnentechnik Gebiet mehr als 7.600 „Jesuitendramen“ mit komplizierter Maschinerie ermög- nachweisbar sind.8 lichte. Schauspielunterricht war Pflicht- gegenstand, mindestens einmal pro Jahr Bürger- und Handwerkerspiele hatten die Zöglinge der höchsten oder zweithöchsten Klasse vor auserlesenem Dokumentarisches Material zu den und zahlungskräftigem Publikum ihre Linzer Aufführungsstätten der geistli- Lateinkenntnisse „mimisch“ unter Be- chen und/oder weltlichen Bürger- und weis zu stellen. Die textliche und inhalt- Handwerkerspiele des Mittelalters bzw. liche Nachvollziehbarkeit erleichterten der aufklingenden Neuzeit ist leider Periochen, gedruckte Programmhefte mit kaum überliefert. Man spielte in Sälen, durchwegs übersetzter Zusammenfas- Höfen oder auf freien Plätzen entweder sung aller Akte und Szenen. Die Stoffe ohne jede Bühnenvorrichtung oder auf waren vorerst überwiegend religiöser einem behelfsmäßig aufgeschlagenen Natur; man bearbeitete Heiligenlegen- Gerüst. Von wegweisender Bedeutung den und biblische Ereignisse, bis Ende war das aus der christlichen Liturgie des 17. Jahrhunderts die vorchristliche entwickelte, seit Anfang des 14. Jahr- 7 Antike in den Mittelpunkt trat. hunderts als Mysterienspiel bekannte Eine Hochblüte erreichte das Linzer mittelalterliche geistliche Drama, in dem Jesuitentheater – meistgepflegte Gattun- biblische Texte mit „verteilten Rollen“ gen: Tragödie und Tragikomödie – zur vorgetragen wurden. So entstanden bei- Regierungszeit Leopold I., der seinen spielsweise aus der Osterliturgie die Pas- Hof 1680/81 auf der Flucht vor der Pest sionsspiele. In den Mysterienspielen ist, und 1683/84 wegen der Türkengefahr vorübergehend in die Donaustadt ver- 7 Die Bildungs-, Verkündigungs- und Missionstä- legt hatte. Konstanter Spielerfolg und tigkeit des Ordens erstreckte sich im 17./18. Jahr- namhafte Finanzhilfe u. a. durch die hundert auf praktisch alle Kontinente. Eine we- sentliche Rolle spielte auch dabei das Theater, Stände erlaubten dem Kolleg 1732 die besser, ein „Welttheater als lebende Kanzel“, in Errichtung einer stabilen, steingebauten dem sich der ganze Globus wiederfinden sollte. Bühne beim alten „Theaterviertel“ nächst Zwischendurch griff man auch japanische The- der heutigen Zollamtstraße, von dem in men auf, vor allem in der Absicht, die missionari- schen Fernost-Erfolge des Ordens und der Kirche der Folge noch mehrmals die Rede sein ins Licht zu stellen. wird. 8 Der Jesuitenpater Franziscus Lang hat den Schatz seiner reichen, einschlägigen Erfahrungen in „Dis- Das monarchieweite Verbot von sertatio de actione scenica“ 1727 zusammenge- Schulaufführungen – Teil der Maria fasst. Die Schrift gibt guten Einblick in die Erfolgs- Theresianischen Reformen, die unter geheimnisse des Jesuitentheaters.

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Hbl 3_4 14.indd 107 28.11.14 09:21 nach Auslaufen der antiken Theatertra- Anbeginn im alten „Theaterviertel“ an dition, die Wurzel des mittelalterlichen der Donaulände, vor der Stadtmauer Theaters überhaupt zu verorten; als unweit der nunmehrigen Zollamtstraße. gottesdienstliche Feiern inszeniert, soll- Als Theaterplatz für die breite Bevölke- ten sie den Blick auf das Heilsgeschehen rung erstmals urkundlich erwähnt wird wenden und so dem irdischen Dasein dieses „Viertel“ 1670 in einem Schrei- Sinn und Hoffnung geben. ben des Linzer Stadtrats, der für die Dauer des Herbstmarkts auf Betreiben 3) Das Spiel der Wanderkomödianten der Stände denen comoedianten … eine auf- in den Bretterbuden führung ihrer comoedien bey dem Wasser be- willigte. Die Bühnen der Theaterbuden, Um 1600 waren in der Donaustadt bestehend aus einfachem Podium ohne die ersten, meist fremdländischen, Be- Vorhang, waren mit Teppichen verhängt rufskomödianten erschienen. Mit ge- und besaßen keine Dekoration. Lebhaf- mischter, schwerpunktmäßig auf Mas- testen Zuspruch fanden die populären senunterhaltung abgestellter Kost sollten Hanswurst-Possen und später, in Kom- fortan britische, italienische, später auch bination mit lustiger Akrobatik sowie deutsche Sänger, Musiker, Mimen, Jon- Zirkusnummern, die extemporierten gleure, Artisten und Gaukler die Linzer Wiener Volkskomödien. Abgerundet Theaterszene bis ins 19. Jahrhundert wurde das Repertoire der mobilen En- hinein markant bereichern.9 Die Auf- sembles von religiösen Stücken in volks- trittsgenehmigung erteilte der Magist- tümlicher Darstellung. rat, unter Zuweisung eines Platzes vor den Stadttoren, wo die Komödianten ihre Buden, einfache Holzhütten, selbst Das Ständische „Theaterviertel“/ aufzuschlagen und hinterher wieder ab- Reitschule und Ballhaus zubrechen hatten – oder einem der nach- folgenden Ensembles verkaufen konn- Eine zusätzliche Auftrittsmöglichkeit ten. Hauptgründe für die „Verbannung“ erwuchs fahrenden Gruppen ab 1670 an der fahrenden Gruppen an die Periphe- der oberen Promenade, wo die kulturell rie waren neben der allgegenwärtigen äußerst aufgeschlossenen Stände auf Furcht vor Feuer die Raumnot innerhalb der Stadtmauer und der sozial mindere 9 Durch seine Lage an einem frequentierten Ver- Status des Schauspielerstandes. Insbe- kehrsweg hatte Linz attraktive Märkte und übte sondere, wenn die Kommune von einer daher auf die reisenden Prinzipale besondere An- ziehungskraft aus. Während der Handelsmessen moralischen Gefährdung durch die An- wurde stets Theater geboten, und das mit z. T. wesenheit der Wandertruppen ausging, bereits regelmäßigen Spielzeiten. (Ein Hauch vom drohten abschlägige Bescheide und Zauber und vom Kolorit der Wanderbühnen fin- Platzverweigerung.10 det sich heutzutage im „Linzer Pflasterspektakel“ wieder, das als Festival internationaler Straßen- kunst die Innenstadt allsommerlich zugkräftig Das „Theaterviertel“ für die breite bunt belebt.) Bevölkerung 10 Zur Auffettung der Einnahmen hatten die Ko- mödianten oft leichtfertige, „unsittliche“ Bilder im Ihren wichtigsten Spielplatz hatten Gepäck – für den Magistrat mitunter ein Grund die fahrenden Mimen vermutlich seit mehr, Auftrittsverbote auszusprechen.

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Hbl 3_4 14.indd 108 28.11.14 09:21 Die Ständische Reitschule auf der Promenade kurz vor dem Abbruch im Jahr 1907.

dem Areal der heutigen Landeskulturdi- 1682 traten in der Reitschule die ange- rektion im selben Jahr ein zweites, vor- sehenen Eggenbergischen Komödianten nehmeres, „Theaterviertel“ eröffneten.11 auf; 1687 vermeldete die Truppe, dass sie Kaiser Ferdinand III. hatte den bereits an fünf Jahr allhier die hohe Gnad ge- Ständen bereits 1644 den dortigen, nossen, mit letzten Comoedien eine hochlöbliche zum Schloss gehörigen „Mauthgarten“ Landschaft in dem Reitplatz unterthänigst zu zwecks Aufrichtung einer Reitschuell samt bedienen. Turnierplatz zum Geschenk gemacht. Ensembles, denen die Reitschule Noch im Jahr der Fertigstellung verwillig- nicht „verwilligt“ wurde, mussten wei- ten die Eigentümer den zum Ostermarkt terhin hoffen, vom Magistrat einen Platz in Linz eingetroffenen Wanderschau- an der Donaulände zugewiesen zu er- spielern (d. h., einer „genehmen“ Schar) halten. die neue Reitschule12 als Spielort. Flugs entfaltete sich ein reger Aufführungs- Das Ständische Ballhaus betrieb, wobei die Stände – im Gegen- Zuwächse an Programmqualität satz zum Pendant am Donaustrom – als und Nutzungsvielfalt bescherte dem Hausherren die Auswahl der Schauspie- ler jeweils selbst trafen, Einfluss auf die 11 Nach Westen zu geschützt durch die Stadtmauer Programmgestaltung nahmen und die mit Wall und Graben. Corona der, ausschließlich geladenen, 12 Sie diente der Ertüchtigung der Ständischen Ju- Gäste nach Gutdünken festlegten. Ab gend und wurde erst 1907 abgetragen.

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Hbl 3_4 14.indd 109 28.11.14 09:21 Das Ständische Ballhaus, 1742. Aus: F. Mayrhofer/W. Katzinger: „Geschichte der Stadt Linz“, 1990.

zweiten „Theaterviertel“ das nach Plä- vergleichsweise bescheidenen Propor- nen des berühmten Barockbaumeisters tionen Schauplatz bedeutender Ereig- Carlo Antonio Carlone 1695/96 am Ort nisse der hiesigen Theatergeschichte: des heutigen Restaurants „Promena- 1718 wird mit Johann Heinrich Brunius denhof“ errichtete Ständische Ballhaus. erstmals ein Prinzipal genannt, 1733 gas- Neben dem sportlichen Ballspiel13 für tierte die Truppe des Antonio Denzio, Festlichkeiten, Tanzveranstaltungen so- 13 Als Jeu des Paume hatte man dieses bis dahin im Jahr wie Theater- und Opernaufführungen 1614 vor dem Schmidtor erbaute ältere Ballhaus bestimmt, war es ungeachtet seiner betrieben.

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Hbl 3_4 14.indd 110 28.11.14 09:21 1743 trat anlässlich eines Besuches von heim (1763–1786 Landeshauptmann und Kaiserin Maria Theresia das Ensemble Regierungspräsident), in dieser Rich- des weitum bekannten Pietro Mingotti tung exponiert. auf. (An Opernaufführungen sind für Der von dem Linzer Barockbau- das Linzer Ballhaus belegt: „Nel theatre meister Johann Matthias Krinner 1751 al ball hauss“, „Hypermestra“, „Siroe, Re vorgelegte Plan, das Ballhauß auf der Pro- di Persia“ und „Venceslao“. Die Texte menade zum Comedi Hauss und steinernen dieser Opern werden in der Hamburger Theater mit Prachtsaal für Paal-Redouten oder Stadtbibliothek als seltene oberösterrei- andere assembleen umzugestalten, stieß bei chische Drucke gehütet.) 1747 hatten die den Ständen jedoch auf Ablehnung; sie „Pragerischen Comoedianten“, deren zeigten sich nicht geneigt, das mit grossen Repertoire ganz im Zeichen revolutionä- uncosten und zu dero Belustigung erbaute Ball- rer Veränderungen stand, nachweislich hauss zu anderwärtigem Gebrauch applicieren das gesamte Jahr in Linz Station einge- zu lassen. Unter anderem fürchtete man legt. Mit dem allmählichen Aufkommen um die Mitsprache bei der Programm- des „regelmäßigen Schauspiels“ gelang- auswahl und wollte im Theater wohl ten die ersten klassischen Dramen – auch weiterhin „unter sich“ sein.14 im Ballhaus – auf die Bühne. Die Blüte der Spielstatt sollte freilich Das Stadt- oder „Wassertheater“ als nicht allzu lange währen; 1751 untersagte erstes öffentliches Bühnenhaus Maria Theresia die adeligen Exercitien, zu- sammengesetzt aus Reiten, Fechten und Es war die Stadt, die nun – auf äuße- Tanz, wodurch das Ballhaus seine multi- ren Anstoß hin – das Heft übernehmen funktionale Zweckwidmung verlor. und unter Kostenbeteiligung der auch auf die Wahrung ihres Einflusses be- dachten Stände erstmals ein kommuna- Das Ringen um einen repräsentativen les Theater mit geregeltem Spielbetrieb Theaterbau sowie fester Heimstatt ins Leben rufen sollte: Nach einem rigiden Zensurerlass Pläne – und Rückschläge Maria Theresias für die Stegreifkomödie und das Hanswurstspiel ging man 1752 Mittlerweile verstärkten sich in Linz auf mündlich hoche [sic] Verordnung an die Bemühungen um ein repräsentatives Herstellung eines Comedihauses bei der Donau Theatergebäude als Voraussetzung für bzw. an die Umgestaltung des bey der Donau längerfristige Engagements, geord- nete Spielzeiten übers ganze Jahr und 14 damit künstlerisch wie wirtschaftlich Zu seinem Vorstoß ermuntert wurde Krinner durch das Vorbild des zu einem Opernhaus um- dauerhafte Prosperität. Bereits um die funktionierten Wiener Ballhauses. Konkret hatte Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Krinner den Ständen vorgeschlagen, ihm die Füh- „Adelige Theatersocietät“, voran deren rung des Linzer Ballhauses auf zehn Jahre einzu- Gründer Freiherr Johann Franz Achaz räumen, wobei er die Umbaukosten übernehmen würde. Nach Ablauf dieser Frist würde er das v. Stiebar (ab 1759 Landesanwalt und Haus ohne allen Entgelt zur löblichen Landschaft Nutzen stellvertretender oö. Landeshauptmann) einhändigen oder aber solches wiederum in das Paalhaus sowie Graf Christoph Wilhelm v. Thür- auf seine Unkosten verändern.

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Hbl 3_4 14.indd 111 28.11.14 09:21 gelegenen ersten [Salz]-Stadls im alten „The- große Unkosten nicht herzustellen sind. Ganz aterviertel“. 1761/62 vergrößert, weckte davon zu schweigen, dass der Raum desselben die erste öffentliche Linzer Bühne, das ein so beschränkter, dass zur notwendigen Auf- sogenannte Stadt- oder „Wassertheater“ bewahrung der Garderobe und der übrigen The- im Bereich Zollamtstraße, unter ökono- atralrequisiten [sic] kein hinlänglicher Raum mischer und organisatorischer Führung vorhanden ist. So erfordert die Notwendigkeit, der „Adeligen Theatersocietät“ respek- dass auf einen anderen anständigen Platz für- tive ihres Hauptexponenten J. Franz gedacht werde. Achaz v. Stiebar mit teils anspruchsvol- Schon ab 1773, dem Jahr der Or- leren Programmen frische Publikums- densaufhebung unter Josef II., hätte das begeisterung; Reformer im Geist der Stadttheater in den Steinbau des Jesu- Aufklärung und seit 1766 Pächter bzw. itentheaters (s. o.) übersiedeln können. Entrepreneur des „Wassertheaters“, er- Man behielt aber den, 1776 untermau- reichte Stiebar, als absolute Novität, erten, Holzbau bei, wo inzwischen wie- ständische Zuschussleistungen, dekla- der fahrende Ensembles für mehrere riert als Subventionsgabe zur Erfüllung Jahre die Szene beherrschten. Ursache: eines kulturpolitischen Auftrags.15 So die unterdessen befristet erfolgte Auflö- bot das „stehende Theater“ den Wander- sung der – wegen angeblicher sittlicher gruppen nach und nach Paroli; aus dem Ausschweifungen bei Aufführungen Dunkel der Unstetigkeit heraustretend, des „Wassertheaters“ – 1774 in harschen schickten sich Bühne und regelmäßiges Konflikt mit Maria Theresia geratenen Schauspiel an, zur fixen Komponente „Theatersocietät“.17 des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens zu werden. Hievon zeugen u. a. Schikaneder und Mozart im Erstaufführungen der Dramen Lessings, Stadttheater Goethes und Schillers als gefeierten He- Während der Sommersaison 1780 rolden klassischer Dichtung.16 Mit In- bespielte Emanuel Schikaneder, künst- betriebnahme der Spielstätte am Strom lerisches Allroundtalent und Librettist war es in Linz auch sozialgeschichtlich zu einem Novum gekommen: Erstmals 15 Mit diesem Eingreifen des Adels ins lokale The- saßen Adel (wenngleich separiert in atergeschehen auch zur „Verbesserung des Pub- Logen) und Bürger (auf den hinteren likumsgeschmacks“ war für einige Zeit der erste „Linzer Theaterverein“ ins Dasein getreten. (Ihr Plätzen im Parterre sowie auf der obe- schlichtes Quartier in einem Magazingebäude ren Galerie) gemeinsam unter ein- und machte die städtische Bühne gelegentlich zur Ziel- demselben Theaterdach. scheibe medialen Spotts; die „Realzeitung“ von Dass das „Wassertheater“ mit sei- 1777 etwa bescheinigte dem „zweckentfremdeten ner primitiven, hölzernen Unterkunft Holzschuppen“ frappante Ähnlichkeit mit einer Fruchtscheuer.) den Normen eines regulären Bühnen- 16 Für die Masse spielte man allerdings nach wie vor hauses nur sehr entfernt genügte, lag Stegreifstücke, Hanswurstiaden und aufwändig indes auf der Hand. 1774 beklagte die inszenierte Maschinenkomödien mit Flugwerk „Theatersocietät“ Missstände, zumalen … und Verkleidungen. Diese Konzession befriedigte die Schaulust und füllte die Kassen. das … Theaterhaus bei übler Witterung sehr 17 Belegt ist dieser Konflikt durch eine erhalten ge- unbequem und bei selbem sich Baufälligkeiten bliebene, scharfe Verfügung der Kaiserin gegen an den Tag legen, welche anders als durch sehr die Linzer Theaterunternehmung.

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Hbl 3_4 14.indd 112 28.11.14 09:21 Das schlichte Quartier des städtischen „Wassertheaters“ (1752–1786): der 1761/62 erweiterte, „erste“ Salz- stadel an der Unteren Donaulände, hier in einer Ansicht aus 1741/42. Aus: F. Mayrhofer/W. Katzinger: „Geschichte der Stadt Linz“, 1990.

von Mozarts „Zauberflöte“, mit eigener einer „Academie“ zur Uraufführung. Wandertruppe das „Wassertheater“,18 (Zustande gekommen war dieser Linz- in dem sich drei Jahre später ein Stück Aufenthalt des Genius auf Einladung Musikgeschichte vollzog: am 4. No- Graf Thuns, der auch das Konzert aus- vember 1783 brachte hier W. A. Mozart gerichtet hatte). seine kurz zuvor anlässlich eines mehr- 18 Der Gastspielaufenthalt Schikaneders und u. a. wöchigen Aufenthalts in der oö. Metro- dessen späteres, fruchtloses Bemühen um die Ver- pole Hals über Kopf komponierte Linzer längerung des Linzer Vertrags wurden in Heft 1/2- Symphonie C-Dur, KV 425, im Rahmen 2014 der Oö. Heimatblätter im Detail beleuchtet.

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Hbl 3_4 14.indd 113 28.11.14 09:21 Brachte 1783 im „Wassertheater“ seine „Linzer Symphonie“ zur Uraufführung: W. A. Mozart (1756– 1791). Gemälde v. Barbara Krafft, 1819. Das Marionettentheater/„Sommer- tete man 1777 für die aus dem Stadtthe- theater“ ater verbannte Hanswurstfigur in der unmittelbaren Nachbarschaft, vor dem Dem ungebrochenen „Zug der Pfarrtor, desgleichen an der Donau, ein Masse“ zu volkstümlichem Amüsement, hölzernes Marionettentheater. Auf die- Burleskem, Groteskem und Derbkomö- ser von Johann Böckl aus Steyr geschaf- diantischem Rechnung tragend, errich- fenen, 400 Menschen Platz bietenden

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Hbl 3_4 14.indd 114 28.11.14 09:21 Bühnenstatt – genannt „Sommerthea- das Polizeiministerium in Hinsicht auf die Mo- ter“ – trieb der Linzer Kasperl sein frech- ralität und Verfeinerung des Geschmacks für fröhliches Spiel mit ergötzlich witzigen bildende [sic] Künste die Aufhebung des Linzer Einfällen und kritisch zotigen Kommen- Sommertheaters, das bis zur Trivialität ausge- taren zum Tun und Lassen stadtbekann- artet … , für zweckmäßig befunden habe. Die ter Personen. behördliche Sperre ließ den Hanswurst19 1795 wechselte das „Sommerthea- für immer aus der Linzer Bühnenwelt ter“ auf die Promenade, in den Garten verschwinden. der Gastwirtschaft „Zum Römischen Kaiser“ am Fuß des Schlossbergs, um Das Ballhaus wird aufgestockt – dort als freisinniges Politkabarett das Redoutensaal und Casino entstehen zunehmende Missfallen der staatlichen Obrigkeit zu erregen. Anfang 1803 er- Mit der Erweiterung des Ballhauses eilte den Betreiber, das „Ständische durch den aufgesetzten Redoutensaal- Verordnetenkollegium“, schließlich die trakt und der Umgestaltung des Erd- Nachricht [der Landesregierung], dass geschosses zum Casinorestaurant (Ge- samtplanung: Baumeister Johann Baptist Gangl) warf 1772/73 eine neue Ära ihre Schatten voraus: initiiert von der „Adeli- gen Theatersocietät“, finanziell getragen durch den Herren- und Ritterstand unter Landesanwalt J. Franz Achaz von Stiebar, erwies sich dieses Projekt, rückblickend gesehen, als Vorstufe zum nicht mehr fernen „Schulterschluss“ mit dem spä- teren neuen Theaterhaus. Unter Pächter Graf v. Rosenberg, der im – hauptsäch- lich Veranstaltungszwecken dienenden – Redoutensaal 1884/85 in kleinerem Stil auch gehobenes Theater für die Stände gab, fanden außerdem Bühnen- und Re- staurantbetrieb, ebenfalls richtungwei- send, zu früher wirtschaftlicher Einheit.

Das Ende des Städtischen „Wassertheaters“ Das Hochwasser von 1786 versetzte dem Stadttheater an der Donaulände nach nur rund 30-jähriger Existenz den

19 Die von Adalbert Stifter (erster Landeskonser- Theaterhistorisches Schaustück im Schlossmuseum: vator Oberösterreichs) gerettete Spielpuppe ist die von Adalbert Stifter gerettete Marionettenfigur im Linzer Schlossmuseum als theaterhistorische des „Linzer Hanswurst“. Foto: S. Liedl Kostbarkeit zu bewundern.

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Hbl 3_4 14.indd 115 28.11.14 09:21 Todesstoß. Zu einer echten Sanierung hatte. Wenn es dennoch kein Leichtes sah sich der Magistrat außerstande, wo- war, das Haus zu füllen und wirtschaft- mit das Thema „Theaterneubau“ für die lich zu führen, so primär wegen der hart- Stadt und die Linzer Kulturfreunde ak- näckigen Konkurrenz durch die noch tueller denn je wurde. immer ungemein beliebten Hanswurst- Noch im Oktober 1786 hatten die und Stegreifkomödien. Stände der Regierung Vorschläge über- mittelt und das Gelände an der Pro- Das Projekt „Landestheater“ nimmt menade als günstigsten Standort emp- Gestalt an fohlen; in einer Bittschrift an Josef II. apostrophierten sie das „Unternehmen Die Planungsarbeiten für das neue Theater“ erstmals als auch touristisch re- Theater als Herzstück des Kulturzen- levanten Faktor, worauf sich der Kaiser, trums und Gesellschaftstreffpunkts bei seinem achten und letzten Linz-Auf- Promenade – mit Bühnenhaus, Casino, enthalt, persönlich mit dem Vorhaben Redoutensaal – liefen unterdessen syste- befasste.20 Die Umsetzung des fertigen matisch weiter; der erste Koalitionskrieg Entwurfs von Architekt Heinrich Ferdi- bedingte eine kurzfristige Verzögerung, nand Voultrin aus dem Jahre 1774 schei- ehe 1798 wieder Schwung in die Sache terte aber an Kostenüberlastung auf- kam, namentlich durch die Entwürfe des grund vordringlicher Spitalsbauten. Gespanns Mayer (ständischer Ingeni- eur) und Löffler (Bauamtsadjunkt). Ein Elementarereignis, der Groß- Übergangslösung Redoutensaal brand von 1800, der Teile der Altstadt, des Landhauses und des Schlosses Auf spontane Veranlassung des Re- schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte, gierungspräsidenten Reichsgraf Hein- rich Franz v. Rottenhan mit Galerien und behelfsmäßig ausgerüsteter Bühne ver- 20 Auf Josef II. geht die aufgegriffene Anregung zu- sehen, sicherte der ständische Redouten- rück, das Bühnenhaus senkrecht in den Casino- saal dem heimatlos gewordenen Linzer garten hineinzubauen. Theater von 1788 bis 1803 eine interimis- 21 Um getrennt von der übrigen Besucherschaft zu tische Bleibe. Die Verhältnisse erlaubten bleiben, organisierten die Stände als Hausherren einen geregelten Vorstellungsbetrieb21 und Urheber der Interimslösung den Einbau von 24 Logen auf drei Ebenen. allerdings nur in einfachster Form, hinzu 22 Freiherr von Stiebar ließ den zugehörigen Platz kam ständige Feuergefahr – wegen der auf eigene Kosten mit Zierbäumen bepflanzen Illuminierung mit offenem Licht. und den Casinogarten anlegen. 23 Unbeschadet der Schwierigkeiten 1798 zum Linzer Domkapellmeister berufen, stellte er ein professionelles Orchester zusam- war das „Intermezzo Redoutensaal- men, das bald dreißig Mann zählte, sich hohen bühne“22 (Direktoren/Unternehmer: Aufgaben gewachsen zeigte und auch zu größeren Franz Xaver Glöggl,23 hernach Johann Aufführungen im damaligen Dom (Ignatiuskir- Georg Dengler, in der Folge erster Lan- che) sowie in der Stadtpfarrkirche herangezogen wurde. F. X. Glöggl, zweiter Landestheaterdirek- destheaterdirektor) künstlerisch durch- tor in der Nachfolge J. G. Denglers, war auch Initi- aus ergiebig, woran ein legendärer Mo- ator der ersten Linzer Musikschule und der ersten zart-Opernzyklus wesentlichen Anteil Linzer Chorvereinigung.

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Hbl 3_4 14.indd 116 28.11.14 09:21 Kaiser Josef II. (1741–1790). Seine Anregungen fanden z. T. Eingang in die bauliche Ausführung der Lan- desbühne.

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Hbl 3_4 14.indd 117 28.11.14 09:21 tat nochmals beschleunigende Wirkung. schauer, konnte die neue Spielstätte be- Schon im September gleichen Jahres be- reits im Herbst 1803 ihrer Bestimmung fahl eine kaiserliche Kommission, Kon- übergeben werden. Am 30. September zepte zur Gestaltung des Planungsge- verkündete „Die Amtliche Linzer Zei- bietes und der umliegenden ständischen tung“: Allen hohen und verehrungswürdigen Gebäude vorzulegen. (Der Wall, in Theatergönnern dient hiermit die Nachricht, den Jahrzehnten zuvor baumbepflanzt, dass Dienstag den 4. Oktober das ganz neu und wurde abgetragen, mit seiner Erdmasse geschmackvoll erbaute landständische National- und dem Schutt der Brandstätten der theater mit dem von Herrn v. Kotzebue verfass- Stadtgraben eingeebnet. Flankierend ten Trauerspiel „Oktavia“ wie auch mit einem schuf man eine neue Verkehrsverbin- der Feyer dieses Tages angemessenen Prolog er- dung von der Innenstadt zur Promenade öffnet werden wird.24 – die heutige Theatergasse). Wechselhafte Bilanzen Errichtung im Eiltempo Als erster in der langen Reihe von Direktoren sah sich J. Georg Dengler – Co-Planer Ferdinand Mayer (s. o.) ihm war der Betrieb für drei Jahre mit reiste nach Wien, um Architektur, In- der Auflage überlassen worden, „gut terieurs und technische Maschinerien ausgewählte Stücke und Opern“ zu brin- der dortigen Theater zu studieren; auf gen – vom Start weg einer sehr heiklen seine Empfehlung hin wurde das damals Aufgabe gegenüber.25 Verpflichtet zum schönste und modernste Bühnenhaus Engagement von 15 Musikern, fünf der Reichshauptstadt, das 1801 eröffnete Schauspielern und fünf Künstlern für die Schikaneder-Theater an der Wien, in Oper, resignierte er nach nur eineinhalb verkleinertem Maßstab zum Vorbild für Jahren wegen anhaltend rückläufiger das nun im Eiltempo binnen zweier Jahre Frequenzen. Mit denselben Problemen verwirklichte Linzer Projekt. hatten viele Nachfolger zu kämpfen; Haus und Fundus stellten die Stände zur Verfügung, für den Betrieb mit allen fi- Erste Vorstellung am 4. Oktober 1803 nanziellen Risken mussten die Theater- Mit seiner ruhigen, fein geglieder- ten Linienführung – nach der Idee des 24 August Friedrich Ferdinand v. Kotzebue, Mode- Duos Mayer/Löffler hatte man das The- dichter des „bürgerlich-sentimentalen Zeitalters“, ater und den, wie das Casino restaurier- beherrschte den Spielplan der Linzer Bühne nach ten, Redoutensaal auf der gemeinsamen deren Eröffnung für Jahre wie kein zweiter. Seine Opposition zum deutschen Nationalismus und zu Schauseite stilistisch perfekt verschmol- den Burschenschaften bezahlte der Dramatiker zen – erwies sich der spätklassizistische (*1761, Weimar) mit dem Leben; 1819 wurde er in Baukörper als architektonisch würdiges Mannheim ermordet. Gegenstück zum prächtigen Visavis des 25 Die Klein- und Garnisonstadt Linz zählte zu je- ner Zeit nicht mehr 16.000 Seelen. (Die Garnison Landhauses. Ausgelegt als Logen- und war 2.000 Mann stark; Adel und Offiziersschicht Säulentheater mit drei Galerien und behaupteten eine gesellschaftlich führende Stel- Sitz- sowie Stehplätzen für 1.072 Zu- lung.)

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Hbl 3_4 14.indd 118 28.11.14 09:21 Das Landestheater um 1835. Lithografie von Joseph Hafner. Stadtmuseum Linz. Foto: Michalek

manager, simultan Casino-Verpächter Verpasste Chancen/ und Ballveranstalter, aber solo sorgen. Die „Theaterkrise“ von 1932 Das zarte Aufblühen des Kunst- und Trotz punktueller Mängelbeseiti- Geisteslebens im vormärzlichen Linz26 gung und Nachrüstung – ab 1840 Zen- besserte ab ca. 1820 die Bilanzsituation, tralheizung und Dekorationsmagazin, bis polizeistaatliche Direktiven und Zen- Gasbeleuchtung (1858), elektrische surverschärfung den Trend auf Jahre Beleuchtung (1864 teilweise, 1888 im hinaus wieder umkehrten. Nach Nieder- ganzen Haus), Eiserner Vorhang (1882) schlagung der Revolution von 1848 bot – blieb die betriebswirtschaftliche Lage man im Sog des Neoabsolutismus ne- eher instabil. Nach einem zweiten, aus- ben Oper, Operette und Schauspiel auch gedehnteren Zwischenhoch 1884 bis artistische Bühneneinlagen, wodurch die 1918 wurde sie ausgangs der 1920-er Klassik etwas in den Hintergrund geriet. Jahre bedrohlich, auch als Folge unge- Für Musik- und Konzertveranstal- nützter Chancen, denn zuvor ventilierte tungen wurde der Redoutensaal heran- gezogen; so gelangte dort am 9. Mai 26 Geprägt von Literaten wie C. A. Kaltenbrunner, 1868 eines der ersten Meisterwerke An- Stelzhamer, Pillwein, später auch Stifter, dem Li- ton Bruckners, die stürmische Sympho- thografen Hafner, den Landeskundlern Kurz und Pritz sowie nicht zuletzt dem universellen Anton nie Nr. 1, C-Moll, unter der Leitung des v. Spaun. Erfolge feierten am Theater des bieder- Komponisten mit nennenswertem Echo meierlichen Linz auch die Alt-Wiener Volksstücke zur Uraufführung. und Zauberkomödien J. N. Nestroys.

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Hbl 3_4 14.indd 119 28.11.14 09:21 Pläne für einen der Zeit entsprechenden Nibelungen“ oder „Rosenkavalier“. Für Theaterneubau waren samt und son- die Sprechstück-Sparte wurde der Re- ders nicht zur Umsetzung gekommen.27 doutensaal, einmal mehr, zum Theater Den Gipfel erreichte die „Linzer Thea- umfunktioniert; am 29. September 1942 terkrise“ 1932. Nur durch die Gründung läuteten die hier vorübergehend einge- der „Oberösterreichischen Theaterge- richteten, 1957 als Neubau eröffneten, meinde“ – ihr hatte die Landesregierung Kammerspiele mit Goethes „Torquato den Betrieb als subventionsgestützter Tasso“ die Herbstsaison ein. (Zur NS- Rechtsträgerin überlassen – konnte man Zeit stand das Landestheater erstmals das Schlimmste verhüten. An der Tatsa- unter Leitung eines Intendanten. Ins Jahr che, dass die technische Infrastruktur der 1941 fällt auch die Gründung des Linzer Landesbühne mittlerweile eklatant ver- Theaterbeirats, seitdem mitkonsultiert altet war, ändert sich freilich nichts. bei allen organisatorischen, administra- tiven, ökonomischen, personellen und künstlerischen Entscheidungen.) Unter brauner Flagge Am 1. September 1944 gesperrt und bis Kriegsende als Kino genützt, wurde Adolf Hitler hatte mit seiner „Pa- die Landesbühne Mitte 1945 von den tenstadt“ Überdimensionales vor. Nach amerikanischen Besatzern für „Zwecke Intention des Diktators sollte das zu- der Truppenbetreuung“ beschlagnahmt. künftige Linz den Rang einer industri- ellen und kulturellen Supermetropole u. a. mit Opern-, Operetten-, Schauspiel- 27 und Konzerthaus einnehmen. Kunst- 1911 hatte der Linzer Theaterverein bei den be- rühmten Theaterarchitekten Fellner & Helmer werke aus allen besetzten Gebieten Eu- ein Detailprojekt nach dem Vorbild des Wiener ropas sollte die riesige „Führergalerie“ Bürgertheaters in Auftrag gegeben. 1912 wurde auf der Blumau versammeln; um Platz ein Wettbewerb für einen Theaterneubau ausge- hiefür zu gewinnen, war die Verlegung schrieben, an dem sich neben Lambert Graf wie- der das Duo Fellner & Helmer beteiligte. Wegen des Hauptbahnhofes Richtung Union- der ungelösten Finanzierungsfrage landeten alle straße auf Höhe des heutigen Bulgari- Entwürfe in der Schublade. (Nach Plänen des Bü- platzes beabsichtigt.28 ros Fellner & Helmer entstanden u. a. das Wiener 1939/40 wurde das seit 1938 in der Ronacher, die Komische Oper Berlin, die Staats- oper Prag, das Volkstheater Wien, das Opernhaus Rechtsträgerschaft des „Gaues Oberdo- Graz und das Schauspielhaus Hamburg.) nau“ stehende Haus an der Promenade, 28 Die Pläne für alle diese von Gigantomanie strot- zuletzt mehr theatergeschichtliche Kuri- zenden Projekte sind erhalten und liegen im Ar- osität denn betriebstaugliche Spielstatt, chiv der Stadt Linz auf. 29 durch Paul Wenz aus München tech- Georg Ludwig Jochum, Bruder des später speziell als Bruckner-Interpret zu Weltgeltung aufgestie- nisch überholt, mit einer Drehbühne genen Dirigenten Eugen Jochum, war von 1940 ausgestattet und am 5. September 1940 bis 1945 Generalmusikdirektor sowie Operndiri- mit Schillers „Wilhelm Tell“ wiederer- gent am Linzer Theater und leitete das Städtische öffnet. Relativ reichlicher Mittelzufluss Symphonieorchester mit etwa hundert Musikern. Auf Hitlers Anordnung baute er ein „Reichsgau- gestattete aufwändig inszenierte Opern- orchester“ auf und gestaltete mit diesem Klang- 29 produktionen wie „Meistersinger“, körper u. a. die vom NS-Regime im Stift St. Flo- „Salome“, „Tannhäuser“, „Der Ring des rian abgehaltenen Brucknerfeste.

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Hbl 3_4 14.indd 120 28.11.14 09:21

Der Redoutensaal vor seiner Erneuerung Anfang der 1940er-Jahre.

Wieder schien die Lage hoffnungslos; im Pruscha abgeschlossenen Vertrag ver- Tagesbefehl Major Mansons vom 12. Juli pflichtete man sich, das Theatergebäude hieß es einleitend lapidar: Das Landesthe- samt Fundus unentgeltlich zur Verfü- ater hat als Institution zu bestehen aufgehört … gung zu stellen und eine feste Subven- tion beizusteuern.

Der Betrieb zur Nachkriegszeit Im Gegensatz zur weiterhin ange- spannten Finanzsituation nahm sich Kluger Verhandlungstaktik der OÖ. die personelle ermutigend aus, denn Landesregierung war es zu zuzuschrei- dem 51-köpfigen Ensemble gehörten ben, dass der Spielbetrieb schon im prominente und bekannte Künstler September 1945, eingeschränkt, frisch an; in den Kriegswirren hatte es viele anlaufen konnte. Der Kostendruck aus Film- und Bühnenleute, Schauspieler, dem allgemeinen Wiederaufbau hatte Sänger, Dirigenten und Komponisten das Land, genau wie vor der Machter- nach Oberösterreich verschlagen, wo greifung durch die Nationalsozialisten, man einen geeigneten Zeitpunkt für die zu einem Pachtabkommen genötigt; in Rückkehr nach Deutschland oder in die dem am 15. November 1945 mit Viktor russisch besetzte Zone abzuwarten ge-

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Hbl 3_4 14.indd 121 28.11.14 09:21 dachte.30 Mit einsetzendem Wirtschafts- wodurch sich das Logen- und Säulen- aufschwung ging es denn auch für die theater in ein Rangtheater mit erneuerter Landesbühne schrittweise wieder nach Bühnen- und Beleuchtungstechnik, ver- oben. Der Publikumsandrang stieg, bessertem Zuschauerraum sowie ver- die Schlangen vor den Kassen wurden größerten Pausenflächen verwandelte.32 länger. Unübersehbar war jedoch der schlechte Zustand des Hauses; als Säu- Die konjunkturelle Aufwärtsent- lentheater konzipiert, bot es nur wenige wicklung und verfeinerte Standards Plätze mit guter Sicht, die Akustik ließ rückten verbliebene Defizite schon nach zu wünschen übrig, die Bühne war un- wenigen Jahren in den Fokus aberma- beheizt, die Pausenraumfläche um ein liger, kritischer Diskussion. Angespro- Vielfaches zu knapp, dazu gesellten sich chen waren in erster Linie der inzwi- 33 bau- und feuerpolizeilich bedenkliche schen viel zu kleine Orchestergraben, Verhältnisse an allen Ecken und Enden. die räumliche Enge insgesamt, die Ka- pazität von lediglich 760 Sitzplätzen im Mit der Übernahme der Träger- Parterre bzw. auf den zwei Galerien, die schaft durch das Land Oberösterreich und die Stadt Linz wurde dann 1953 die entscheidende Weiche für den Weg des Landestheaters ins nächste Jahrtausend 30 Außer dem Landestheater existierten während gestellt.31 jener Jahre auf Linzer Boden die „Linzer Volks- bühne“ im Theresiensaal, Jungwirthstraße 4/ Bezirk Bulgariplatz, sowie das „Volkstheater“ im damaligen Kolpinghaus Urfahr, Rosenauerstraße, Weg zum „modernen Landestheater“ wo ebenfalls Niveauvolles geboten wurde. So war z. B. ein O. W. Fischer Mitglied des Urfahraner Grundbedingung für eine Lösung Ensembles. auf der Höhe der Zeit war die politische 31 An die Stadtgemeinde ging die Zuständigkeit für Umsetzbarkeit. Für die große Variante, den Linzer Konzertbetrieb und damit ebenso für den Bau eines Konzerthauses. Heute teilen sich einen vollständigen Theaterneubau, Stadt und Land die Deckung des finanziellen Ab- ergab sich im Landtag keine Mehrheit, gangs aus dem Theaterbetrieb im Verhältnis von wohl aber für den Kompromiss, das rund 50:50. Objekt an der Promenade zu renovieren 32 Die “Einweihung” erfolgte am 20. Dezember 1958 und – direkt daneben – um ein kleineres, mit der Oper „Arabella“ von R. Strauss. (Als wei- tere Spielstätte unterhält die Landesbühne das die Kammerspiele, zu erweitern; errich- u\hof:-Theater für junges Publikum im nunmeh- tet nach Plänen des bekannten Archi- rigen OÖ. Kulturquartier/Ursulinenhof, seit 1998 tekten Prof. Clemens Holzmeister, fand selbstständige Einrichtung mit überregional be- das am 28. September 1957 mit Franz achteten Produktionen.) Das Theaterorchester Werfels dramatischer Legende „Paulus firmiert seit 1967 als Bruckner Orchester; unter künstlerisch und administrativ eigener Leitung unter den Juden“ eröffnete Haus brei- betreut es Oper, Operette, Musical etc. und be- teste Zustimmung. In den Jahren 1955 streitet qualitätsvolle Konzerte nicht allein im Lin- bis 1958 wurde das ehrwürdige, den zer Brucknerhaus, sondern – als Botschafter des Anforderungen in keiner Weise mehr „Musiklandes Oberösterreich“ – häufig auch auf internationalem Parkett. entsprechende Große Haus (jetzt Schau- 33 Durch die Erweiterung des Theaterorchesters auf spielhaus Promenade) anschließend um mehr als hundert Musiker war dies zu einem veri- vier Achsen nach Norden verlängert, tablen Problem geworden.

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Hbl 3_4 14.indd 122 28.11.14 09:21 Der bis zum Umbau durch C. Holzmeister (1955–1958) im Wesentlichen unverändert gebliebene Zuschauer- raum des Landestheaters. Foto aus dem Jahr 1938.

begrenzte Sicht auf allen Ebenen sowie, Standortbestimmung (Juni 2004) und last not least, die theoretische Gefahr langer Planungsperiode innerhalb fünf- einer Betriebssperre wegen kaum noch jähriger Bauzeit realisiert, fegte das am erfüllbarer Vorschriften der Baubehörde 11. April 2013 eröffnete „Opernhaus und des Arbeitsinspektorats. Volksgarten“34 vereinzelte Vorhersagen Da unter den gegebenen Umständen eines drohenden Finanzdebakels bereits das Repertoire auf den Sektoren Oper, in der Anlaufphase mit respektablen Be- Operette, Ballett, Musical nicht auszu- sucherquoten überzeugend vom Tisch. schöpfen war, hatte sich an der Schwelle Der Steckbrief des fünfgeschossigen,35 zum dritten Jahrtausend die Unerläss- lichkeit eines eigenen Musiktheaterneu- 34 Als unermüdlicher Förderer und Propagandist hat baus immer deutlicher abgezeichnet. sich auch der 1984 auf Privatbasis gegründete Ver- ein der „Freunde des Linzer Musiktheaters“ um die Verwirklichung des, von der Stadtgemeinde Das Musiktheater im Volksgarten anteilig mitgetragenen, Projekts (Planung: Archi- tekt Terry Pawson/London) bleibende Verdienste Nach positivem Grundsatzbekennt- erworben. nis der Politik (Juli 2003), endgültiger 35 Nicht mitgerechnet die beiden Untergeschosse.

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Hbl 3_4 14.indd 123 28.11.14 09:21

Zuschauerraum, Orchestergraben und Bühne, aufgenommen beim Festakt zur Musiktheater-Eröffnung am 11. April 2013. Foto: Reinhard Winkler

auch städtebaulich Akzente setzenden • Multifunktionale Transportdreh- Musiktheaters am Blumauerplatz – pro- bühne mit 32 Metern Durchmesser grammatische Richtschnur: „Anspruchs- als Zentrum der Bühnenlandschaft. volle Vielfalt“ – spiegelt selbst in Kurz- Das System wurde in Linz weltweit version ein Gesamtkonzept wider, das erstmals zum Einsatz gebracht. technisch, funktionell wie ökologisch zu • Studiobühne/Blackbox als Raum für Recht internationalen Spitzenstand re- Experimentelles mit 300 Besucher- klamiert. Mit nachfolgenden Kerndaten plätzen. aus diesem Steckbrief, ein in Statistik ge- • Orchesterprobensaal mit 200 Plätzen fasster Beleg des Auf- und Durchbruchs und Equipment für CD-Aufnahmen. zu einem neuen, lichtvollen Kapitel Lin- • Eleganter Grünparkbereich mit naht- zer bzw. oberösterreichischer Theaterge- los in die Foyerhalle übergehender schichte, sei dieser kleine kulturhistori- Verweil- und Flanierzone. sche Streifzug beschlossen. • Ganztägiger Restaurant- und Cafebe- • Großer Saal/Auditorium mit bis zu trieb. 1.200 Plätzen im Parterre, Hochpar- • Hauseigene Tiefgarage für 300 Fahr- terre und ersten sowie zweiten Rang. zeuge.

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Hbl 3_4 14.indd 124 28.11.14 09:21 Der mondäne Treppenaufgang zum Musiktheater-Foyer. Foto: Sigrid Rauchdobler

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Hbl 3_4 14.indd 125 28.11.14 09:21 Hbl 3_4 14.indd 126 28.11.14 09:21 Zwischen Historismus & Moderne: Josef Raukamp und die „Oberösterreichische Glasmalerei“1 Von Wolfgang Sachsenhofer

In Kürze sind es 125 Jahre, dass die „Ober- chergeschlecht, dessen Kunsttradition österreichische Glasmalerei Penner & Schürer“ bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Aus an der Linzer Promenade den Betrieb aufnahm Sachsen eingewandert, hatten sich die und damit den Grundstein für einen nachhalti- Schürer damals in den Sudetenländern gen Aufschwung dieses Kunstzweigs im Lande verbreitet, wo sie im 16. und 17. Jahrhun- ob der Enns legte. Herz und Motor der Erfolgs- dert mit anderen Glasmacherdynastien geschichte war ein aus dem Rheinländischen konkurrierten.5 1592 erhob Rudolf II. die eingewanderter, hoch qualifizierter Mitarbeiter, Vettern Valentin, Kaspar, Dominik und der ab 1905 den Kurs des Linzer Unternehmens Paul Schürer als Hofglasmacher in den mehr und mehr bestimmen und nach dessen Er- erblichen Adelsstand. werb die „OÖ. Glasmalerei“ zu strahlender Im Wiener Branchenverzeichnis Blüte führen sollte: Josef Raukamp. „Lehmann“6 hatten Penner & Schürer

„Ouvertüre“ in der Kaiserstadt 1 Der vorliegende Beitrag gibt einen – redaktionell adaptierten – Überblick über die im Entstehen Rudolf Penner und Emilian Schürer begriffene Dissertation des Autors an der Katho- von Waldheim hatten sich zunächst in ih- lisch-Theologischen Privat-Universität in Linz. rer Heimatstadt Wien unternehmerisch 2 Lt. Mitteilung des Magistrates der Stadt Wien, betätigt und dort 1884 gemeinsam ei- MA 8, Wiener Stadt- und Landesarchiv, vom 7. 7. 2014. nen eigenen Fachbetrieb gegründet, die 3 1908 wurde Penner mit der Ehrenmedaille für „Wiener Glasmalerei Penner & Schürer“ 40-jährige treue Dienste ausgezeichnet. Er war mit Geschäftssitz im Wohnhaus Penners, auch Träger des „Kaiserlich Österreichischen XII. Bezirk, Obermeidling, Bischofgasse Goldenen Verdienstkreuzes mit Krone“. (Diese 15. Als hoher k. k.-Beamter (8. 9. 1848)2 Details sind dem Wiener „Lehmann“-Verzeichnis entnommen). war dieser – im Gegensatz zu Schürer 4 Sh. www.academia.or.at, Onlinebeitrag „Flagge – kein gelernter Glaskünstler. Seit 1890 und Wappen der Republik Österreich – eine Archiv-Adjunkt des Herrenhauses und wechselvolle Geschichte“ v. Dr. Peter Dien, 29. im selben Jahr zum Ehrenbürger von 9. 2010, aus: „Academia“, Zeitschrift für Politik, Traun/OÖ ernannt (mehr dazu anschlie- Wirtschaft, Religion, Kultur des Österreichischen Cartellverbandes. Es findet sich hier u. a. die In- ßend), wurde er 1910 Korrespondent formation, dass Penner auch an der Ausarbeitung der Zentralkommission für Denkmä- von Varianten für das Wappen der am 12. No- ler. 1914 als Hofrat pensioniert, dürfte vember 1918 in Wien ausgerufenen 1. Republik beteiligt gewesen war. Penner sein Leben vorwiegend in der 5 3 Vgl. Fischer, Karl R., Die Schürer von Waldheim. Kaiserstadt zugebracht haben. Er starb Beiträge zur Geschichte eines Glasmacherge- 4 hier 1932. Emilian Schürer v. Waldheim schlechtes, Prag 1924, 13 f. (1861–1905) entstammte einem Glasma- 6 Die Firma schien dort 1885 erstmals auf.

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Hbl 3_4 14.indd 127 28.11.14 09:21 von 1887 bis 1889 wiederholt per Inserat ner der Liegenschaft Promenade 41. ihre Dienste angeboten, unter Verweis Das Objekt (es musste in den 1950er- auf Auszeichnungen und Referenzen. Jahren dem Neubau der Kammerspiele Das genaue Datum des unternehmeri- weichen) stand zum Zeitpunkt der Fir- schen Neustarts in der oberösterreichi- meneröffnung im Besitz der Linzerin Jo- schen Landeshauptstadt ist unbekannt; sefine Großmann, die Haus und Grund- den Fakten nach muss er jedenfalls zwi- stück als Sacheinlage in den Betrieb schen Anfang und Mitte 1890 erfolgt eingebracht hatte. Es spricht daher alles sein – und jährt sich somit 2015 zum 125. dafür, sie als „Compagnon“ anzusehen. Mal. Von Anfang an musste man sich mit mächtiger Konkurrenz messen, na- mentlich der Glasmalerei Innsbruck und Neubeginn auf Linzer Boden der Firma Carl Geylings Erben/Wien, die beide in ihrer Glanzzeit jeweils um In Linz erstmals genannt wird die die 100 Mitarbeiter beschäftigten. Den- neue Firma im zweiten Quartalsheft 1890 noch konnte sich das Linzer Unterneh- der „Christlichen Kunstblätter“, dem men vom Start weg gut behaupten, was vierteljährlich herausgebrachten Organ auch in den „Christlichen Kunstblättern“ des Linzer Diözesan-Kunstvereins: … nachzulesen war; die Zeitschrift infor- Penner, Schürer und Comp. haben hier, Prome- mierte ständig über die im jeweils abge- nade 41 im eigenen Hause, ein Atelier errichtet. laufenen Quartal bzw. Halbjahr ausge- Früher waren sie in Wien, wo sie für folgende führten Arbeiten und erstattete zudem Kirchen Arbeiten lieferten: … Die beige- minuziös Bericht über die Tätigkeit des fügte, lange Liste heimischer Gotteshäu- Diözesan-Kunstvereins, der alle kirch- ser enthielt auch die soeben fertigge- lichen Bau- und Investitionsvorhaben stellte neugotische Trauner Pfarrkirche zu begutachten und abzusegnen hatte. St. Dionysius, und damit kommen wir Glasfensterentwürfe von Penner & auf Rudolf Penners Ernennung zum Eh- Schürer waren hier ebenfalls immer wie- renbürger dieser Gemeinde zurück; der der vertreten. Begünstigt wurde die Auf- bereits um 1880 in Angriff genommene tragslage durch den damaligen „Boom“ Trauner Kirchenbau war wegen nur un- an Kirchenneubauten im Land. Auch vollständig eingeholter Bewilligungen wurden viele ältere, im Kern noch go- ins Stocken geraten. Daraufhin hatte tische Gotteshäuser, die im 18. Jahrhun- sich der Ministerialbeamte persönlich dert ihrer mittelalterlichen Kunstschätze für das Projekt verwendet und ihm unter beraubt und barockisiert worden waren, engagierter Ausschöpfung seiner dienst- nun – in der Periode der Neugotik – lichen Befugnisse zur wunschgerechten abermals umgestaltet. Dies machte na- 7 Realisierung verholfen. türlich die vermehrte Anschaffung von Wer aber war der Kompagnon des in Glasgemäldefenstern, ganz im Stil des den „Christlichen Kunstblättern“ vorge- Historismus, erforderlich. stellten neuen Unternehmens? Die Ant- wort fand sich im Linzer Grundbuch: 7 Dank für diese Information an Dietmar Lindert weder Penner noch Schürer, später auch von der Kulturabteilung der Stadtgemeinde nicht Josef Raukamp, waren jemals Eig- Traun.

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Hbl 3_4 14.indd 128 28.11.14 09:21 Abb. 1: St. Ulrich b. Steyr, 1895

Ein repräsentatives Beispiel aus je- chen Tätigkeit der Linzer Glasmalerei“ nen Jahren sind die beiden Gemälde- sprachen. Zu den künstlerisch beson- fenster, die Penner & Schürer 1895 für ders wertvollen Arbeiten aus dieser Zeit die Pfarrkirche St. Ulrich bei Steyr lie- zählen jene für die Kapelle der Borromä- ferten; zu sehen sind darauf die Heilige erinnen in Linz, die Linzer Herz-Jesu- Familie und eine Szene aus dem Leben Kirche (72 Fenster!) sowie die Pfarrkir- des Heiligen Isidor von Madrid (Abb. 1, chen Schwanenstadt, Haslach – hierfür Ausschnitt). In bäuerlicher Tracht kniet wurde der Firma eine Große Silberne der Heilige vor einer Kapelle inmitten Medaille des k. k. Handelsministeriums einer Waldlichtung, während ein Engel zuerkannt – und Freinberg bei Passau. – der Legende getreu – die Arbeit des Erwähnenswert auch die ikonographisch Pflügens verrichtet. Die Szenen sind mit interessanten Chorfenster für die Kir- viel Liebe zum Detail gestaltet; man be- che von Heiligenkreuz bei Micheldorf achte den blumengeschmückten Hut zu (1901), zeigend den Sündenfall (Abb. 2) Füßen Isidors. und die Verkündigung an Maria; die Im Sog des Kirchenneubau-Booms „alte Eva“ wird darin Maria, der „neuen zog das Unternehmen auch nach der Eva“, gegenübergestellt. Jahrhundertwende Auftrag um Auftrag an Land, sodass die „Christlichen Kunst- Der frühe Tod des künstlerisch wohl blätter“ 1905 von einer „fast unglaubli- dominierenden Firmenmiteigentümers

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Hbl 3_4 14.indd 129 28.11.14 09:21 Josef Raukamp – Herkunft und Ausbildung Das Talent war Raukamp (*4. Sep- tember 1881 in Linnich, Kreis Jüllich, heute Nordrhein-Westfalen) offensicht- lich in die Wiege gelegt, denn auch der Vater, Eberhard Raukamp,9 übte den Glasmalerberuf aus. Nach Eberhards baldigem Tod zunächst Zögling in der Erziehungsanstalt „St. Josef“ zu Valken- burg, durchlief der Bub eine vierjährige Lehre in der renommierten, 1857 ge- gründeten Glasmalerei des Dr. Heinrich Oidtmann in Linnich. Dieser hatte meh- rere einschlägige Fachbücher verfasst und war auf seinen Dienstreisen häufig mit Meisterwerken der mittelalterlichen Glaskunst in Berührung gekommen. Dabei gelangte er zur Erkenntnis, dass die wahre Zukunft des Metiers weni- ger im „Bemalen“ von Glasflächen als vielmehr in der Wiedererweckung der „alten“ Glasmalereitechnik liegt. Von Oidtmann in alle Arbeitsgänge vom Abb. 2: Heiligenkreuz b. Micheldorf, 1901 Zeichnen und Zuschneiden bis hin zum Malen, Brennen und Verbleien einge- wiesen, lernte Josef diese Technik so seinerseits kennen. Nach einem Jahr in Münster bei der Glasmalerei „Von der Emilian Schürer v. Waldheim8 im Jahr Forst“, wo er sich in akademischen Mal- 1905 brachte einen markanten Ein- und Zeichenkursen weiter fortbildete, schnitt; jetzt übernahm Josef Großmann, ging er im Juni 1900 nach Linz und trat Sohn Josefine Großmanns (s. o.), die am 1. Juli ins Unternehmen an der Pro- Betriebsleitung. Rudolf Penner dürfte menade ein. Der Präsenzdienst, den er sich inzwischen bereits weitestgehend als deutscher Staatsbürger in unserem aus der Firma zurückgezogen haben, Nachbarland abzuleisten hatte, erzwang und der neue Chef, der kein gelernter 1902 eine zweijährige Unterbrechung. Glasmaler war, zeigte lediglich kaufmän- nisches Interesse. Unter den geänderten 8 Die letzte Ruhestätte fand Schürer am Friedhof Umständen begann der 24-jährige Josef von Urfahr. Die Grabsteininschrift bezeichnet ihn als „Teilhaber der Oberösterreichischen Glasma- Raukamp die künstlerische Linie der lerei“. „OÖ. Glasmalerei“ fortan zusehends zu 9 Er und seine Ehefrau Berta hatten gemeinsam bestimmen. mehrere Kinder.

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Hbl 3_4 14.indd 130 28.11.14 09:21 Als in die Reserve versetzter Unterof- naturgemäß ausblieben. Auf Linzer Bo- fizier 1904 nach Linz zurückgekehrt, den haben profane Jugendstil-Gemälde- verfeinerte Josef Raukamp seine künst- fenster von Raukamps Hand vornehm- lerische Ausbildung in Abendkursen lich in den Objekten Scharitzerstraße 12, der k. k. Staatsgewerbeschule. (Sechs Herrenstraße 43 und Promenade 37 die Jahre später, am 29. Jänner 1910, schloss Zeiten überdauert.10 er mit Josefa Oberkogler den Bund fürs Was den Sakralbereich betrifft, stößt Leben). man beim Durchlesen der Protokolle des Dieselbe Laufbahn schlug Josefs um Diözesan-Kunstvereins immer wieder ein Jahr jüngerer Bruder Wilhelm ein, der auf Vorhaben, die als „zu modern“ zu- ebenfalls bei Oidtmann die Glasmalerei rückgewiesen wurden oder überarbeitet erlernte, sodann in Münster, Bremen, werden mussten. Der Blick auf die zwi- Kaiserslautern und Frankfurt tätig war, schen 1905 und 1915 geschaffenen sak- um anschließend nach Berlin zu übersie- ralen Werke der Glaskunst veranschau- deln. Dort legte er 1912 die Meisterprü- licht den nur sehr moderaten Übergang fung ab und wurde selbst Inhaber einer vom Historismus zur Moderne. Die großen Glasmalerei, die hauptsächlich Bemalung im Sinne von „Malen auf Fensterschmuck für profane Zwecke her- Glas“ wird langsam spärlicher, stattdes- stellte. Die Wege der Brüder sollten sich sen wird vermehrt mit Lasuren gearbei- erstmals 1919 wieder kreuzen. tet bzw. Opalglas verwendet. Deutlich rückläufig sind Darstellungen mit go- tisierendem Beiwerk wie Baldachinen Als künstlerisch Verantwortlicher bei oder tabernakelartigen Gehäusen, die an Josef Großmann Altarretabel erinnern. Am ehesten aber verraten die Zierränder der Fenster und Josef Großmann, seit Emilian Schü- die Maßwerk-Bemalungen mit ihren rers Ableben bzw. Rudolf Penners Aus- floralen Mustern den kommenden Stil. scheiden alleiniger Firmeninhaber, hatte Die Arbeiten in Neumarkt im Mühlkreis Raukamp wie gesagt offenbar sehr rasch und in Hirschbach sind gute Beispiele das künstlerische Heft überlassen, so- dafür. dass dieser den Produkten der „Ober- Einen „Sprung in die Moderne“ voll- österreichischen Glasmalerei“ mehr zog die OÖ. Glasmalerei 1908 mit dem und mehr seinen Stempel aufdrücken Fenster für die Orgelempore der Pfarr- konnte. Den Siegeszug des sezessio- kirche Sierning. Darstellend die Heilige nistischen Stils hat Raukamp zweifellos Cäcilia als Patronin der Kirchenmusik, mitverfolgt. Mit dem eigenen Schaffen umsäumt von singenden und musizie- vermochte er diesem in unserem Land renden Engeln (Abb. 3), nimmt es be- jedoch nicht wirklich zum Durchbruch reits kräftige Anleihen beim Jugendstil. zu verhelfen. Einerseits stand die Kirche dem neuen Stil reserviert gegenüber, zum anderen fehlte es in der damali- 10 Das unter Denkmalschutz stehende Objekt Pro- gen Kleinstadt Linz an einem breiten, menade 37 war bis zum Jahr 1974 Quartier der wohlhabenden Bürgertum, weshalb mit Landwirtschaftskammer und beherbergt jetzt u. a. Wien vergleichbare „profane Aufträge“ Kulturinstitutionen des Landes OÖ.

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Hbl 3_4 14.indd 131 28.11.14 09:21 Abb. 3: Sierning, 1908

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Hbl 3_4 14.indd 132 28.11.14 09:21 Von den vorkriegszeitlichen Fenstern aus der Linzer Werkstatt speziell zu er- wähnen ist noch das in der „Lourdeska- pelle“/Pfarrkirche Kirchberg ob der Do- nau (1913). In dieser Arbeit – zeigend die Erscheinung Mariens, darunter die kniende, ehrfurchtsvoll aufblickende Bernadette – ist die Entwicklung in Rich- tung Jugendstil schon weit fortgeschrit- ten; die Konturen der Personen und der Landschaft werden überwiegend von den Bleiruten bestimmt, Zeichnung und Verbleiung sind bereits zum Großteil identisch (Abb. 5).

Erwerb der OÖ. Glasmalerei und der Erste Weltkrieg

Nach Josef Großmanns Tod erwarb Raukamp von dessen Mutter Josefine 1915 die Räumlichkeiten an der Prome- nade und wurde Geschäftsführer der „Oberösterreichischen Glasmalerei“. Der Zeitpunkt hätte ungünstiger nicht sein können, da Raukamp, noch immer deutscher Staatsbürger, im Zug der Mo- bilmachung zu seinem Regiment nach Regensburg einrücken musste. (Wie er es in den Kriegsjahren schaffte, Militär- Abb. 4: Weyer, 1908 dienst und Beruf halbwegs zu verein- baren, d. h., sich nebenher um die Lin- zer Firma zu kümmern, bleibt unserer Kenntnis entzogen). Ein separates Geschäftsfeld öffnete In dieser Zeit dramatisch sinkender sich ebenfalls 1908, dem „Jubiläumsjahr“, kirchlicher Auftragseingänge hielt sich in welchem Papst Pius X. das 50-jährige der Betrieb v. a. mit kleineren Arbei- Priesterjubiläum und Kaiser Franz Josef ten für den privaten Sektor (etwa But- das 60-jährige Regierungsjubiläum be- zenscheiben für die damals beliebten gingen. In etlichen Kirchengemeinden „Bauernstuben-Kredenzen“) über Was- Oberösterreichs, z. B. in Vorderstoder, ser. Binnen Kürze war ein zusätzliches Ostermiething und Weyer, wurde das Geschäftsfeld aufgetaucht: das Krieger- Doppelereignis mit der Anschaffung von Gedächtnisfenster. Ein besonders schö- „Jubiläumsfenstern“ gefeiert (Abb. 4). nes aus Raukamps Werkstatt, geschaffen

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Hbl 3_4 14.indd 133 28.11.14 09:21 mit Glas“ näherzubringen, gewann Josef Raukamp nach Kriegsende einen kom- petenten und tatkräftigen Mitstreiter: Bruder Wilhelm, der – verwitwet – von Berlin nach Linz gekommen war und sich der „Oberösterreichischen Glasma- lerei“ anschloss. Die Zusammenarbeit von Josef und Wilhelm Raukamp In entschiedener Abkehr von der historisierenden Art der Glasmalerei ging das Bruderpaar nun gezielt an die Wiederbelebung der an die Glaskunst des Mittelalters angelehnten Technik. Das wichtigste Werkzeug ist hier statt des Pinsels der Diamant, mit dem die leuchtenden Gläser beschnitten werden, zugleich übernimmt das Blei die Lini- enführung der Figuren. Mit Schwarzlot und Pinsel werden lediglich die letzten notwendigen Konturen und Einzelheiten angebracht. Im Haus an der Promenade fanden in der Folge laufend Führungen und Vorträge statt, wodurch man auch eine gesteigerte Medienpräsenz zu errei- chen suchte. Exemplarisch zur Geltung kommt die neue Technik an einem Glasfenster in der Eferdinger Spitalskirche (Abb. 7). Geprägt sowohl von Jugendstil-Anlei- hen als auch expressionistischen Ele- menten, zeigt es die Fußwaschung durch Maria Magdalena. Das Werk wurde 1919 öffentlich ausgestellt und in der hei- Abb. 5: Kirchberg o. d. Donau, 1913 mischen Presse eingehend gewürdigt. Neben Aufträgen für die unverän- dert gefragten Krieger-Gedächtnisfens- 1916 für einen in Wolhynien gefallenen ter und die nach dem Krieg hinzuge- Soldaten, hat sich in der Pfarrkirche Ho- kommenen „Friedensfenster“11 langten henzell bei Ried i. I. erhalten (Abb. 6). In dem Bestreben, der Allgemein- 11 Geliefert wurden Fenster beider Typen nach Ge- heit die eigenen Vorstellungen von einer boltskirchen, St. Leonhard bei Freistadt, Vorder- neuen Glaskunst im Sinne von „Malen stoder und Bad Goisern.

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Hbl 3_4 14.indd 134 28.11.14 09:21 Abb. 6: Hohenzell, 1916

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Hbl 3_4 14.indd 135 28.11.14 09:21 Abb. 7: Eferding, 1919

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Hbl 3_4 14.indd 136 28.11.14 09:21

Abb. 8: Voerendaal (NL), 1923. Quelle: Internet Abb. 9: Gilgenberg i. Ikr., 1923

auch Bestellungen aus Holland ein. Für daal (1923) fünf Apsisfenster. Vor allem den Klosterkomplex „Huize de Berg“ in letztere stellten einen stilistischen Quan- Heerlen fertigte die Firma Raukamp ab tensprung dar, durften diese Arbeiten 1919 nicht weniger als 13 große Fenster, doch wesentlich freier und „moderner“ für die Sint-Laurentius-Kerk in Voeren- ausfallen als damals noch in unserem

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Hbl 3_4 14.indd 137 28.11.14 09:21 Land (Bsp. Abb. 8). Die Scheiben mit 1923 exakt im Stil der holländischen ge- ihren strengen, „eckigen“, stark abstra- schaffen (Bsp. Abb. 9). hierten Figuren wurden vor Lieferung in Unbeschadet des geteilten Echos in der Linzer Werkstatt öffentlich präsen- der Heimat verbesserte der Erfolg, den tiert und stießen auf enormes, zwischen die Firma mit ihrer „neuen“ Glaskunst Begeisterung und schroffer Ablehnung in Holland gefeiert hatte, die Auftrags- schwankendes Echo. Umso bemerkens- lage wiederum. 1922 fertigten Josef und werter, dass sich auch in Oberösterreich Wilhelm für die Pfarrkirche Vöcklabruck ein kleines Gotteshaus mit Raukamp- insgesamt zehn Fenster. Vier schmücken Fenstern findet, die denen in Voerendaal den Chor und zeigen in einem sehr aus- verblüffend ähneln. Es handelt sich um drucksstarken, beinahe expressionisti- die einst zum Stift Ranshofen gehörige schen Stil Szenen aus dem Leben Christi „Schutzengelkapelle“ am Ortsrand von und Mariens (Abb. 10), des weiteren Gilgenberg im Innkreis; die vier hoch- Christus und die Gottesmutter in Ganz- rechteckigen Gemäldefenster wurden körperansicht, in hellen Farben und mit

Abb. 10: Vöcklabruck, 1922

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Hbl 3_4 14.indd 138 28.11.14 09:21 noch deutlichen Anklängen an den Ju- gendstil. Die übrigen, ebenso in nahezu glühenden Farben gehaltenen Fenster zieren Langhaus und Empore. In dem jungen, allzu früh abberufe- nen Alois Moser (1905–1931) stand den Raukamps seit 1920 für mehrere Jahre ein hochbegabter Mitarbeiter zur Seite. Bereits als 18-Jähriger Ausstellungen beschickend, hatte er an einer ganzen Reihe von Firmenprojekten mitgewirkt, so auch bei den Fenstern für Voeren- daal und Gilgenberg. Vom innovativen ‚Zug‘ in Mosers Kunst künden nicht zu- letzt die drei 1926 gemeinsam mit Josef Raukamp für Waldneukirchen entwor- fenen Gemäldefenster: die Figuren sind fast gitterartig aufgebaut, zwischen den Bleistegen, die das „Gitter“ bilden, sind die Farbgläser mosaikartig eingesetzt. Nichts Körperliches haftet den extrem flächig gehaltenen Figuren an; die Ge- sichter sind stark stilisiert, fast schon abstrahiert (Bsp. Abb. 11). Wenig über- raschend, was in der Waldneukirchner Pfarrchronik zur Reaktion der Bevölke- rung eingetragen steht: Einzelne sind für diese neue Richtung der Glasmalerei eifrig be- geistert, die Allgemeinheit aber nicht.

Der „Fall“ Vöcklabruck Die Unbeirrtheit, mit der er den eingeschlagenen Weg weiterverfolgte, musste Raukamp gleichsam zwangsläu- fig in Konflikt mit der Kirchenobrigkeit bringen. Aktueller Auslöser waren der Quellenlage nach acht für die Kapelle des Pädagogiums der Schulschwestern Abb. 11: Waldneukirchen, 1926 in Vöcklabruck 1926/27 angefertigte Ge- mäldefenster mit Heiligendarstellungen. (Zu dieser Zeit hatte Bruder Wilhelm die ten, empfing er hier als Pater Petrus 1933 Firma schon wieder verlassen; 1926 ins die Priesterweihe). Die Vöcklabrucker Zisterzienserstift Schlierbach eingetre- Fenster (Bsp. Abb. 12), ganz im Stil jener

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Hbl 3_4 14.indd 139 28.11.14 09:21 Abb. 12: Vöcklabruck, Schulschwestern, 1927

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Hbl 3_4 14.indd 140 28.11.14 09:21 von Waldneukirchen gestaltet, wurden Bei diesem Zitat aus „Stimmen aus vor allem wegen ihres krassen Gegen- Maria Laach“, einem einflussreichen Or- satzes zur neobarocken Kircheneinrich- gan des Jesuitenordens, handelt es sich tung als – wie der Linzer Künstler Alfred nicht um eine Kritik der erst zu Beginn Stifter schrieb – „unerträgliche Heraus- des 20. Jahrhunderts en vogue gewor- forderung“ empfunden.12 Laut Stifter denen neuen Kunstrichtungen.13 Was soll der Linzer Diözesanbischof Gföllner in dem 1892 verfassten Artikel ange- daraufhin Bestellungen bei Raukamp prangert wird, sind vielmehr die – „der mündlich untersagt haben. Ein derarti- katholischen Kirche entfremdeten“ – ges Verbot ist jedoch eher auszuschlie- Richtungen des Realismus und des Na- ßen, da es unweigerlich die Existenz der turalismus, die in der zweiten Hälfte des „Oberösterreichischen Glasmalerei“ ge- 19. Jahrhunderts die Szene beherrsch- fährdet hätte. In Gesprächen gelang es ten.14 Dieser „neuen“ Strömung wurde Josef Raukamp dann auch, den Bischof als leuchtendes Vorbild die kirchlich in- von der ‚Redlichkeit seiner künstleri- tegrierte, romantische Schule der Naza- schen Absichten‘ zu überzeugen. Zum rener mit Overbeck, Cornelius und Co. Zeichen der „Rehabilitierung“ erhielt er gegenübergestellt. den Auftrag zur Ausstattung der ge- Das Aufkommen des Jugendstils rade fertiggestellten Turmkapellen des verschärfte die Tonart, wie u. a. ein Maria-Empfängnis-Domes mit insge- Artikel der „Christlichen Kunstblätter“ samt 12 Fenstern. Diese Werke, gewid- (1915) zum neuen Altarbereich in der met den verschiedenen Spendern, unter Pfarrkirche Ebelsberg bei Linz belegt.15 ihnen der christlich-soziale Klub des Die Apsis dieses Gotteshauses war 1913 Oberösterreichischen Landtags, durften mit einem Johannes den Täufer dar- auf Gföllners Geheiß jedoch keine figür- stellenden Mosaik verkleidet worden, lichen Darstellungen enthalten, sondern darunter zeigen vier Flachreliefs Aron, mussten mit sogenanntem „Teppich- Petrus, Paulus und Melchisedech. Der muster“ ausgeführt werden (Abb. 13). Verfasser brandmarkte die Gestalten im Mosaik als „geistlos und gleichgültig“, Kirche und Moderne – eine (fast) die Figuren in den Flachreliefs als „absto- unendliche Geschichte ßend“, um dann noch Grundsätzliches hinzuzufügen: Ist es Aufgabe des Künstlers, Während man früher den Heiland als Ide- die Heiligen so darzustellen, wie sie einst in der algestalt behandelte, als Gottmenschen, wird er Wirklichkeit des Erdenlebens zu schauen waren? in der modernen Kunst zum geistreichen Rabbi, Nein! Er muß sie idealisieren und ihnen neben- auf dessen Antlitz schwere Seelenkämpfe ihre Spuren hinterließen. Während die Madonna 12 Vgl. Stifter, Alfred, Von der kirchlichen Kunst- bis dahin das Ideal des reinsten, heiligsten Wei- anstalt zur offenen Glasmalerei-Werkstätte, in: bes war, welches die unversehrte Schönheit der Ausst.-Kat. „100 Jahre Oberösterreichische Glas- Jungfrau mit der Hoheit der Mutter verbin- malerei“, Linz 1984, 15. det und in übernatürliche Sphären hineinragt, 13 Vgl. „Stimmen aus Maria Laach“, 42/1892, 165. 14 Vgl. Stock, Alex, Zwischen Tempel und Museum. wird sie jetzt zur Frau des Zimmermannes, zur Theologische Kunstkritik; Positionen der Mo- Mutter des Rabbi von Nazareth, der sich Gottes derne, Paderborn 1991, 23 f. Sohn nannte. 15 Vgl. „Christliche Kunstblätter“ 1915, 55 ff.

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Hbl 3_4 14.indd 141 28.11.14 09:21 Abb. 13: Linz, Neuer Dom, 1930

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Hbl 3_4 14.indd 142 28.11.14 09:21 bei, wenn auch ihre irdische Tätigkeit dargestellt chen, zu bewilligen oder abzulehnen. Im wird, etwas Himmlisches dazugeben. Wenn der Linzer Diözesanblatt 1926, Nr. 8, findet Künstler einer Heiligenfigur die Gestalt oder die sich „folgerichtig“ eine Weisung Bischof Züge des nächstbesten Arbeiters im Walde oder Gföllners, wonach Skizzen „rechtzeitig in der Fabrik verleiht und dann um das Haupt vorzulegen“ seien und die Arbeit erst einen ‚Heiligenschein‘ malt oder bildet, so mag nach erteilter Bewilligung begonnen das ein interessantes Kunstwerk sein, aber ein werden dürfe, auch dann, wenn vielleicht katholisches Erbauungsbild oder gar ein Kir- Wohltäter ein Fenster spenden. Ausdrück- chenbild ist es nicht zu nennen. lich ist hier von Fenstern die Rede. Eine Mit dem Einzug des Expressionis- Anspielung auf die Glasmalereien Rau- mus verschärfte sich die Diktion noch- kamps, die vielerorts Unwillen erregt mals: Es war nun die Rede von der „Pro- hatten? letarisierung der Kunstformen“: Man wagt Christus und das von jeher verherrlichte Die Werke der Dreißigerjahre Bild der Madonna in proletarischen Formen zu bringen. Christus als richtiger Proletarier, Auf die Misshelligkeiten im Zusam- Maria als armes, zusammengearbeitetes Pro- menhang mit dem „Fall Vöcklabruck“ letarierweib: das sind ja gar keine Seltenheiten reagierte Josef Raukamp zum einen mehr. Köpfe von einem brutalen Gesichtsaus- durch die deutliche Abmilderung seines druck, Körper und Kleider von heruntergekom- Stils. Es fehlen seitdem jedwede Bezüge menen Landstreichern, Füße und Hände so zum Sezessionismus – dieser war ohne- gemalt, daß man glauben könnte, sie stammen hin passé – und auch zu den Arbeiten von Gestalten, die seit Jahren kein Bad mehr der Zwanzigerjahre. Kennzeichnend ist 16 genommen hätten. hinfort eine Positionierung zwischen ge- Mit dem zu Pfingsten 1918 in Kraft mäßigtem Expressionismus und „Neuer getretenen neuen „Codex Juris Cano- Sachlichkeit“. Die Figuren sind wieder nici“ versuchte die Weltkirche u. a. allge- körperlicher, auch Landschaftsdarstel- meingültige Regeln für den Bau und die lungen sind vereinzelt zu sehen. Vor al- Erhaltung ihrer Sakralstätten sowie für lem aber zeigen die Fenster nun eine bis- die Auswahl sakraler Kunstobjekte auf- her nicht gekannte farbliche Raffinesse, zustellen. In Can. 1279, der Bestimmun- die an mittelalterliche Glasscheiben den- gen zum Bereich Malerei und Skulp- ken lässt. Man betrachte etwa die Werke tur festschrieb, heißt es etwa, niemand in den Pfarrkirchen Eberschwang/1930, dürfe in Gotteshäusern oder an anderen wohin Raukamp acht Gemäldefenster heiligen Orten irgendein ungewöhnliches lieferte (Bsp. Abb. 14), St. Roman bei Bild anbringen oder anbringen lassen, Schärding/1932 (Abb. 15) oder Unge- ohne zuvor das Placet der Kirchenobe- nach/1933. Überall erscheinen die Heili- ren eingeholt zu haben; diese sollten genfiguren vor einem vielfarbigen, tep- die Genehmigung verweigern, sobald pichartigen Mosaik-Hintergrund, der die Darstellungen nicht mit dem … kirchlichen Brauche übereinstimmten.17 16 Passage aus einem von den „Christlichen Kunst- Daraus erwuchs jedem Ortsbischof das blättern“ 1927, 97, nachgedruckten Artikel des Recht und die Pflicht, sich der kirchli- „Klerusblattes Eichstätt“, Nr. 17, 1927. chen Kunst anzunehmen, sie zu überwa- 17 Vgl. „Christliche Kunstblätter“ 1920, 3 f.

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Hbl 3_4 14.indd 143 28.11.14 09:21 Abb. 14: Eberschwang, 1930

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Hbl 3_4 14.indd 144 28.11.14 09:21 Abb. 15: St. Roman b. Schärding, 1932

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Hbl 3_4 14.indd 145 28.11.14 09:21 in seiner für die Zeit einzigartigen Po- in der Formensprache der „Neuen Sach- lychromie an die Farbwunder gotischer lichkeit“ entworfene Glasfenster wurde Glaskunst gemahnt. Vereinzelt tauchen 1935 für das Stiegenhaus der Linzer Ta- außerdem wieder Orts- und Land- bakfabrik/Untere Donaulände realisiert. schaftsdarstellungen auf, wie in Gmun- Vor dem Hintergrund des Pöstlingbergs den (1929), Grein (1931/32) oder im nie- zeigt es Frauen bei der Zigarrenproduk- derösterreichischen Rabenstein (1933). tion an ihren Arbeitstischen, seitlich In einer zweiten Konsequenz aus vorn die leitenden Fabrikangestellten dem „Fall Vöcklabruck“ suchte Raukamp sowie die planenden Architekten Peter jetzt auch die Zusammenarbeit mit an- Behrens und Alexander Popp. Das Fens- deren bildenden Künstlern. In den Jah- ter befindet sich jetzt im Treppenauf- ren nach dem Ersten Weltkrieg hatte er gang Ludlgasse. sich als Glasmaler einen so guten Ruf er- Einen höchst ungewöhnlichen „pro- worben, dass ihm Kollegen gern eigene fanen Auftrag“ erhielt Raukamp 1935 Entwürfe zur Ausgestaltung anvertrau- von der Österreichischen Brau-AG: Für ten. Dadurch nahmen auch Aufträge für das „Richard-Mayr-Stüberl“ im Salz- profane Sujets schwunghaft zu. burger Restaurant „Gablerbräu“, Linzer Einer der Ersten, der auf diese Art mit Gasse, hatte der aus dem Umfeld Ko- der „Oberösterreichischen Glasmalerei“ koschkas stammende Wiener Maler Wil- kooperierte, war Karl Hauk (1898–1974), helm Kaufmann (1895–1975) ein großes nach dem Zweiten Weltkrieg vorüberge- Bildfenster entworfen, welches den in hend Leiter der Linzer Kunstschule. Für diesem Hause geborenen Kammersän- die 1928/29 errichtete Feuerhalle des Kre- ger Richard Mayr in sechs seiner größ- matoriums in Urfahr hatte der Wiener ten Opernrollen zeigt. Auch die Städte, ein dreiteiliges Gemälde entworfen, das in denen der Bassist (1877–1935) seine Raukamp eindrucksvoll umsetzte. Die wichtigsten Triumphe feierte, sind ange- ewige Flamme im Mittelpunkt wird um- deutet. Das von Raukamp in prächtigen geben von den in sprechender Symbolik Farben umgesetzte, von innen beleuch- ausgeführten „vier Lebensabschnitten“ tete Fenster ist noch an der ursprüngli- (Abb. 16). Gemeinsam mit Hauk hat Jo- chen Stelle zu bewundern (Abb. 17). sef Raukamp noch zwei andere Projekte Die engste und längste Zusammen- verwirklicht: für die Linzer Arbeiterkam- arbeit, aber auch eine tiefe persönliche mer 1928/29 ein Glasfenster mit Motiven Freundschaft, verband Josef Raukamp aus der Arbeitswelt, welches im Zwei- mit dem bereits genannten Linzer ten Weltkrieg leider den Bombenangrif- Künstler Alfred Stifter (1904–2003). fen zum Opfer fallen sollte, sowie vier Angefangen von Laakirchen (1932) bis große Glasfenster (mit Prophetenfiguren Oberneukirchen (eingangs der 50er- und Engelschören) für die von Clemens Jahre) entsprang dieser Kooperation Holzmeister Anfang der Dreißigerjahre eine große Anzahl von Glaskunstwer- erbaute Pfarrkirche in Wien-Dornbach. ken. Fenster von Stifter und Raukamp Ein weiterer Künstler, dessen Vorlage wirken oft wie aus einem Guss, sodass Raukamp umsetzte, war der Wiener Ro- sich die Frage nach dem Urheber von bin Christian Andersen (1890–1969); das Entwurf und künstlerischer Umsetzung

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Hbl 3_4 14.indd 146 28.11.14 09:21 Abb. 16: Linz, Krematorium, 1929

erst gar nicht stellt. Das monumentalste auch der Grund, warum die bei einem Gemeinschaftsprojekt umfasste drei Bombenangriff im April 1945 schwer in Fenster für die 1935/36 erbaute Pfarrkir- Mitleidenschaft gezogenen Fenster nicht che in Attnang; jeweils 10 Meter hoch mehr repariert, sondern – in den Fünf- und 1,2 Meter breit, stellten sie in dunkel zigerjahren – durch neue von der Hand glühenden, satten Farben das Pfingst- der Wiener Künstlerin Lucia Jirgal er- wunder dar. Laut Kirchenchronik blieb setzt worden sind. den Riesenwerken der Beifall des Volkes Auch die Fenster in der Taufka- allerdings versagt; 95 % der Bevölkerung pelle (1934) sowie in der Krieger-Ge- konnte sich mit den allzu harten, steifen Fi- dächtniskapelle (1937) der Pfarrkirche guren nicht anfreunden. Das war wohl Linz-Christkönig waren bzw. sind ein

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Hbl 3_4 14.indd 147 28.11.14 09:21 Abb. 17: , Restaurant „Gablerbräu“, 1935

Gemeinschaftsprodukt von Stifter und dem Areal des Allgemeinen Kranken- Raukamp. Während die insgesamt 11 hauses hatte, wurden nach Verlegung Gemäldefenster in der Taufkapelle eben- der Pflegeanstalt an den Südhang des falls kriegsbedingter Zerstörung an- Freinbergs (1952, seitdem „Sonnenhof“) heimfielen, konnten jene in der Krieger- dorthin transferiert. kapelle, heute „Friedenskapelle“, saniert Wie aus Raukamps Auftragsbuch und damit gerettet werden. (Nach dem hervorgeht, verzeichnete die Linzer Krieg wurde die Taufkapelle mit Fens- Firma allein von 1931 bis 1941 mehr als tern von Lydia Roppolt ausgestattet). 70 Bestellungen für nahezu 200 Fenster, Weitere zum Glück erhalten geblie- die „einfachen“ Butzenscheiben-Fenster bene Zeugnisse der Zusammenarbeit ohne Bemalung nicht mitgerechnet. zwischen Stifter und Raukamp: die Fensterzyklen von Laakirchen, im Linzer „Haus der Barmherzigkeit“ (1932) sowie Zwischen Ständestaat und NS-Zeit im Krankenhaus Steyr (1935–37); ein besonders hübsches, die Gottesmutter Mit seinem gemäßigten, an die darstellendes Fenster (1932) findet sich Kunst der „Neuen Sachlichkeit“ ange- in der kleinen Kirche von Lacken i. M. lehnten Stil konnte Josef Raukamp nicht (Abb. 18). Die vier Glasfenster für das nur in den Jahren des Ständestaats, son- „Haus der Barmherzigkeit“, das ab den dern ebenso in der NS-Ära reüssieren, Dreißigerjahren seinen Standort auf ohne Gefahr zu laufen, als „entartet“

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Hbl 3_4 14.indd 148 28.11.14 09:21 Kanzler entstand nach Plänen von Al- fred Stifter für die Pfarrkirche in Ober- kappel. Weitere folgten für Amstetten, Hargelsberg und die Kapelle des Kai- serschützenbundes für Oberösterreich. Mit dem „“ unserer Heimat an das Deutsche Reich wurden fast alle Werke umgearbeitet, d.h., man entfernte das Medaillon mit der Darstellung des Kanzlers. Auch viele dieser Fenster sind den Bombardierungen zum Opfer ge- fallen. Zumindest in Oberkappel und Hargelsberg ist diese „Version“ noch zu besichtigen. Auch in der NS-Zeit konnte Rau- kamp zunächst mit Aufträgen seitens der neuen Machthaber rechnen. Die Bürger- meistereien in Eferding und Rohrbach bestellten für die lokalen Standesämter und Bibliotheken Gemäldefenster; teils mit NS-Emblemen (Gauwappen, Ho- heitswappen, „Führerbild“) versehen, wurden sie nach dem Krieg sämtlich aus- gemustert. Mehrere Aufträge zur Her- stellung von Glasfenstern für den Linzer Anschlussturm waren 1938 aus Berlin eingegangen. Über den Verbleib dieser Werke ist dem Autor nichts bekannt. Abb. 18: Lacken i. Mkr., 1932 Bestellungen seitens der Kirche wurden, wie 1914–1918, mit Fortdauer des Krieges immer spärlicher. Manches eingestuft zu werden. 1934 hatte sich ein Geplante musste aufgegeben oder auf- neues Sujet angeboten: das „Dollfuß- geschoben werden. Eine Ausnahme bil- Gedächtnis-Fenster“. Da der im selben dete die Pfarrkirche in Weyer, die 1940 Jahr ermordete Bundeskanzler ein be- mit einer Serie von Raukamp-Fenstern sonderer Verehrer der Gnadenmutter geschmückt wurde. Zu frischen Aufträ- von Mariazell gewesen war und (zur gen führte der erneute Bedarf an Krie- 250. Jahresfeier der Türkenbefreiung) ger-Gedächtnisfenstern. Solche haben Österreich der „Magna Mater Austriae“ sich etwa in St. Corona im Leibental geweiht hatte, lag es nahe, ihn mit dem sowie in Pöbring, jeweils Bezirk Melk/ Wallfahrtsort in Verbindung zu brin- Niederösterreich, erhalten. gen. Das erste derartige Fenster mit dem Eine kluge Entscheidung traf Rau- Österreichischen Doppeladler, der Ma- kamp Anfang der 40er-Jahre. Unter dem gna Mater und dem darunter knienden Eindruck des Luftkriegs und der Gefahr

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Hbl 3_4 14.indd 149 28.11.14 09:21 von Angriffen auf Linz verlagerte er kurz wieder aufgenommener – Zusam- die wertvollen Vorräte an Farbgläsern menarbeit mit Bruder Wilhelm zeigen ins Stift Schlierbach, wo ja Bruder Wil- sie die Heiligen Elisabeth, Nikolaus von helm als Pater wirkte. Die Vorsichtsmaß- der Flüe und Norbert von Xanten. nahme sollte sich als goldrichtig erwei- Unter die nachkriegszeitlichen Groß- sen; die Werkstatt an der Promenade aufträge reiht sich jener aus Brunnbach, wurde durch Bombentreffer beschädigt. einer relativ abgeschiedenen, zur Pfarre Großraming gehörenden Ortschaft; um den Bewohnern den weiten Weg zur Nachkriegszeit und Alterswerk östlich der Enns und damit in der so- wjetischen Besatzungszone gelegenen Nach Beseitigung der ärgsten Schä- Pfarrkirche zu ersparen, hatte man im den ging Josef Raukamp daran, ver- Ort eine Filialkirche gebaut. Für dieses schiedene vor Kriegsausbruch in Auge am 10. 9. 1950 vom damaligen Bischof- gefasste oder begonnene Projekte aufzu- Koadjutor Dr. Zauner geweihte Gottes- greifen bzw. abzuschließen. Dazu zähl- haus schufen Raukamp und A. Stifter ten vor allem die vier Presbyteriums- sieben prächtige Fenster mit je zwei Hei- fenster für die Pfarrkirche in Hörsching, ligenfiguren. die vom Ortspfarrer schon anlässlich der Kirchenrenovierung 1939 bestellt wor- Sechs große, farbenprächtige Ar- den waren. Noch während der Kriegs- beiten entstanden, möglicherweise in jahre damit beschäftigt, vollendete Rau- Kooperation mit Stifter, ab 1952 für die kamp das Werk 1947/48. Die vorderen Kapelle der Linzer Landes-Heil- und zwei Fenster im Chor, bestechend durch Pflegeanstalt, jetzt Landes-Nervenklinik intensiv leuchtende Farben, gehören Wagner-Jauregg. Die neuen Fenster, be- zweifellos zu seinen schönsten (Bsp. stellt als Ersatz für die im Krieg allesamt Abb. 19). Sie zeigen Verkündigung, zerstörten, zeigen Personen und Sze- Heimsuchung, Anbetung der Heiligen nen mit engem oder indirektem Bezug Drei Könige, Darbringung im Tempel, zum Aufgaben- und Wirkungsfeld des den zwölfjährigen Jesus im Tempel und Hauses: die Heiligen Elisabeth und Ca- die Hochzeit zu Kana. Die beiden äuße- millus, den Barmherzigen Samariter, die ren Chorfenster sind eher konturenbe- Fußwaschung Christi, die Heilung eines tont und in helleren Farben ausgeführt; Gelähmten sowie den verlorenen Sohn. an Motiven bergen sie die Vertreibung Stetes Augenmerk hatte Raukamp aus dem Paradies, Mariae Geburt, deren der nur einen Steinwurf von seiner Villa Darstellung im Tempel, eine Pieta, die am Linzer Römerberg entfernten Mar- Aufnahme Mariens in den Himmel und tinskirche gewidmet. Unter Beteiligung eine Schutzmantelmadonna mit den Stifters stattete er das altehrwürdige Stiftern. Darunter hat sich Raukamp in Kirchlein 1948 mit neuen Fenstern aus, einem Selbstporträt verewigt. von denen er eines selbst stiftete. Nachträglich ausgeführt wurden Zu allen diesen Projekten gesellten auch die drei bereits vor dem Krieg für die sich zahlreiche Reparaturarbeiten. So Pfarrkirche Arnreit geplanten Gemälde- manches in den Kriegswirren rampo- fenster. Geschaffen in – zwischendurch nierte Werk musste einer gründlichen

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Hbl 3_4 14.indd 150 28.11.14 09:21 Abb. 19: Hörsching, 1948

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Hbl 3_4 14.indd 151 28.11.14 09:21 nach Schlierbach dauerhaft zu erhal- ten. Am 4. Oktober 1953 war die Sache im Verhandlungsweg zu einem guten Ende gebracht. Für die Übertragung der „Oberösterreichischen Glasmalerei“ ins Stiftseigentum erhielt Raukamp eine le- benslange Monatsrente zugesprochen,18 ferner stellte ihm das Kloster für die Ar- beit als freier Künstler eine Hilfskraft zum Verbleien, Brennen und Einsetzen der Fenster zur Verfügung. Ans Aufhören dachte der Meister, dem mittlerweile – Anfang 1952 – der Titel „Professor“ verliehen worden war, nämlich noch lange nicht. So kam es zwischen ihm und der unterdessen vom Bruder geleiteten Schlierbacher Glas- malereiwerkstätte19 nun für einige Zeit zu einer produktiven Arbeits- und Kos- tenteilung. In seinem zum Atelier um- funktionierten Domizil am Römerberg Prof. Josef Raukamp um 1953. Fotografie aus dem entwarf Raukamp, betreut von Adop- „Linzer Volksblatt“ tivtochter Maria Stöger-Raukamp, wei- terhin Glaskunstwerke und kümmerte Sanierung unterzogen werden. Auch sich sogar um neue Aufträge. Wilhelm hier arbeiteten Raukamp und Kräfte aus und dessen Team setzten die Entwürfe der – seit 1884 bestehenden – Glasma- um und besorgten Lieferung und Mon- lerei Schlierbach mit Pater Petrus an der tage. Auf diese Weise entstanden noch Spitze zusammen, wobei sich letztere zwei umfangreiche Fensterzyklen; die vor allem um die Montage kümmerten. Kirche in Oberneukirchen erhielt zwei Mit voranschreitendem Alter stellte große Chorfenster mit männlichen und sich für Raukamp allmählich die Frage weiblichen Heiligen, ersteres von Stifter nach der Sicherung seines künstleri- entworfen, das Pendant von Raukamp. schen Vermächtnisses und der späte- ren Zukunft des Linzer Betriebs. Seit den Dreißigerjahren verwitwet, war er ohne leibliche Nachkommen geblie- 18 Diese Detail sind dem Schlierbacher Stiftsarchiv entnommen. ben. Eine akute Angina Pectoris machte 19 Unter der Führung von Wilhelm Raukamp (und schwere körperliche Arbeit überdies P. Tecelin Kummer) erlangte sie den Ruf eines zunehmend unmöglich. So reifte der Zentrums sakraler Kunst mit internationaler Plan, den Werkstattfundus und damit Strahlkraft. Namhafte österreichische Künstler ein Stück von Raukamp maßgeblich ge- standen und stehen mit ihr in engstem Kontakt. So schuf z. B. Margret Bilger († 1971) ihr glasma- prägter heimischer Glasmalereitradition lerisches Oeuvre zur Gänze in der Schlierbacher dem Land OÖ durch die Überführung Stiftswerkstatt.

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Hbl 3_4 14.indd 152 28.11.14 09:21 Stöber/Moorbad Neydharting und eine ortsansässige Bauerstochter, die vor dem Eintritt ins Kloster die Hälfte ihrer Mit- gift spendete) neu verglast werden. Die Fenster zeigen Szenen aus dem Marien- leben und eine Schutzmantelmadonna (Abb. 20). Seinen Dank und seine über- schwängliche Begeisterung kleidete der Pfarrer vor Einsetzen der beiden letzten Fenster in bewegende Worte: Der liebe Gott hat Sie, hochverehrter Herr Professor, mit ganz außergewöhnlichem Kunsttalent bedacht. Der liebe Gott, der Urheber alles Schönen, hat Sie sehr gern gehabt.20 Vom Konvent des Stiftes Schlier- bach noch zum „Familiaris“ (= ver- trauten Freund) ernannt, verstarb Josef Raukamp, achtundsiebzigjährig, am 13. Februar 1960. Zur letzten Ruhe gebettet wurde er am Linzer St.-Barbara-Fried- hof.

Josef Raukamp – ein Pionier der Glasmalerei? Hinsichtlich des Stils ist dies klar zu Josef Raukamps Bruder und mehrjähriger Kompag- verneinen. Oberösterreich hatte nie eine non Wilhelm, der als Pater Petrus später die Schlier- Vorreiterrolle in der Kunst der Moderne bacher Glasmalerei leitend übernahm. inne, und auch Raukamp war kein Re- Foto: Glasmalereiwerkstätte Stift Schlierbach volutionär. Er hat die Stilentwicklungen innerhalb der ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts mit einiger Verzögerung Sein qualitativ wie quantitativ her- übernommen und in unserem Bun- ausragendes Lebenswerk beschloss Rau- desland propagiert. Dies brachte ihn in kamp 1954–1957 mit einer Arbeit für die Konflikt nicht zuletzt mit der Kirche. Als Pfarrkirche in Neuhofen b. Ried/I.: Bei Konsequenz fand er in der Folge zu ei- einem Bombardement im November ner deutlich gemäßigten, wenngleich 1944 waren Kirchendach, Sakristei und noch immer expressiv anmutenden der Friedhof schwer beschädigt worden; Formensprache. Den Weg in die Gegen- durch die Druckwelle waren auch die sechs Langhausfenster zu Bruch gegan- gen. Zehn Jahre später konnte jetzt das Gotteshaus (mit großzügiger finanziel- 20 Zitiert aus einem Brief, der sich im Archiv Paul ler Unterstützung u. a. durch Prof. Otto Stöger/Linz befindet.

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Abb. 20: Neuhofen b. Ried, 1954–57

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Hbl 3_4 14.indd 154 28.11.14 09:21 standslosigkeit hat er bewusst nicht be- kamp benutzte nicht mehr den Pinsel als schritten. So ist der „moderne“ Künstler wichtigstes Werkzeug, sondern den Di- der Zwanzigerjahre schlussendlich wie- amant, mit dem die Gläser beschnitten der zum „Konservativen“ geworden. werden, sowie das Blei, welches die Lini- War Raukamp ein Pionier hinsicht- enführung der Figuren übernimmt. Mit lich seiner Technik? Diese Frage ist ein- dieser Technik hat Josef Raukamp eine deutig mit „Ja“ zu beantworten, da er als ganze Künstlergeneration beeinflusst. einer der Ersten seiner Zunft von der his- Einer der vielen Gründe, die Erinnerung toristischen Glasmalerei abrückte. Rau- an ihn wach zu halten.

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Hbl 3_4 14.indd 155 28.11.14 09:21 Hbl 3_4 14.indd 156 28.11.14 09:21 Vom Kaufmannssohn zum Benediktiner-Abt: Werdegang und Wirken des Innviertlers DDr. Albert Bruckmayr (1913–1982) Von Leopold Heinrich Ammerer

Freudig bekannte er sich zeitlebens zu den eigenen Wurzeln, und auch das Wappen des späteren Abtes bezeugt dies markant – vom Tragwerk im Zen- trum, dessen typisch geformte Pfeiler klar an die Schärdinger Innbrücke ge- mahnen, bis hin zur Umschrift mit dem persönlichen Wahlspruch „Christus Ho- die“ (= Christus heute). Werdegang und Wirken DDr. Albert Bruckmayrs, der in knapp zwanzigjähriger Amtszeit die Geschicke des bedeutenden oö. Bene- diktinerstiftes Kremsmünster verdienst- voll mitbestimmte, seien hier anhand der wichtigsten Stationen würdigend ins Gedächtnis gerufen.

Regisseur „Zufall“

Paul Bruckmayr, als ältester Sohn Bruckmayrs Abt-Wappen mit der symbolisch darge- stellten, auf den Geburtsort verweisenden Schärdin- der angesehenen Schärdinger Textil- ger Innbrücke. kaufleute Max und Paula Bruckmayr am 3. Dezember 1913 zur Welt gekommen, fiel bereits in der Volksschule durch her- den Geschäftsmann Josef Estermann aus vorstechende Leistungen auf, nur das Münzkirchen, dessen Sprösslinge Josef Singen wollte ihm nicht so richtig gelin- und Alfons, nachmals P. Ignaz, bereits gen,1 ein Umstand, der ihn bis zuletzt Studenten am Kremsmünsterer Stifts- begleitete. Da Paul den seit 1878 im Fa- gymnasium waren. Estermann lobte milienbesitz stehenden Betrieb dereinst bei dieser Gelegenheit das klösterliche angemessen qualifiziert übernehmen Unterrichtsniveau so überzeugend, dass sollte, planten die Eltern zunächst seine Anmeldung in der Linzer Realschule, die schon der Vater besucht hatte; just auf 1 „Berühmt“ bei den Studenten war Abt Alberts dem Weg dorthin trafen Vater und Sohn Gesang am Ende der Gunthervesper vor dem Stif- am Bahnhof Schärding jedoch zufällig tertag, der sich eher wie ein Gekrächze anhörte.

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Das Kaufhaus der Familie Bruckmayr in Schärding – zugleich Pauls Elternhaus.

Max Bruckmayr kurzerhand umdis- und Latein. Mit P. Emmeram, dem er ponierte und den Filius ebenfalls nach 1954 im Jahresbericht des Gymnasiums Kremsmünster schickte.2 einen wunderbaren Nachruf schreiben sollte,3 kam Bruckmayr auch sonst be- sonders gut zusammen. Jener war Sohn Student am Stiftsgymnasium eines Schneidermeisters, Pauls Vater Die acht Gymnasialjahre ab 1925 Tuchkaufmann, hinzu gesellte sich noch durchlief Paul als Klassenprimus, das Maturazeugnis des Hochbegabten, der 2 Der Neffe Dkfm. Paul Bruckmayr, Erbe des Ge- bald seine Begeisterung für die Mari- schäftshauses in Schärding, erinnert sich gern an anische Kongregation entdeckt hatte, diese in der Familie wach gehaltene Episode aus enthält ausnahmslos Bestnoten. Früh er- dem Jahr 1924. 3 DDr. P. Albert Bruckmayr, Nachruf für P. Em- kannte der Altphilologe Dr. P. Emmeram meram Brader, 97. Jahresbericht Obergymnasium Brader, ein Landsmann aus Ried i. Ikr., der Benediktiner zu Kremsmünster, Schuljahr Pauls spezielles Talent für Griechisch 1954.

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Hbl 3_4 14.indd 158 28.11.14 09:22 Rom stiftete Kontakte und Freundschaf- ten fürs Leben. Nach ewiger Profess 19364 sowie Priesterweihe am 11. Juli 1937 durch den lat. Titularpatriarchen von Alexandria und vormaligen Erzbi- schof von Prag, Paul Graf Huyn,5 der zu diesem Zweck aus Gries bei Bozen nach Kremsmünster angereist war, stu- dierte P. Albert bis 1940 Latein und Grie- chisch in Wien – unter Einschluss eines Studienjahres an der Berliner Friedrich-

4 Die Professurkunde wird seit unvordenklicher Zeit vom Professen mit der Hand auf Pergament geschrieben. Das Kreuz am Ende des Dokuments bleibt unvollendet, und der Abt setzt als Zeichen der Annahme den letzten Strich. Die Blätter lie- gen über Jahrhunderte gesammelt im Stiftsar- chiv. Nachstehend die deutsche Übersetzung des lateinischen Textes der Professurkunde Alberts: Paul als Student im Gymnasium Kremsmünster. „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Amen. Ich, Frater Albert Bruckmayr, Österreicher aus Schärding in der Diözese Linz, verspreche zur das verbindende Element des gemein- Ehre des allmächtigen Gottes, der seligsten Jung- sam gepflegten Innviertler Dialekts. frau Maria und unseres seligsten Vaters Benedikt und aller Heiligen, durch feierliche Versprechen vor den Anwesenden das Verbleiben am Ort, die Entscheidung für das Mönchtum Änderung meiner Sitten und die gehorsame Be- folgung der Regel des heiligen Benedikt und der Der Bitte um Aufnahme ins Kloster, Statuten unserer Kongregation, vor Gott und sei- nen Heiligen, deren Reliquien in dieser Kirche lie- nach altem Brauch nicht nur dem am- gen, zugleich in Gegenwart des hochwürdigsten tierenden Abt (Ignatius Schachermair), Vaters in Christus und im Namen des Herrn Igna- sondern auch jedem einzelnen Konven- tius Schachermair, dieses Klosters würdiger Abt tualen gegenüber persönlich vorgetra- und in Anwesenheit der hochwürdigen Patres gen, entsprach man einmütig, und mit und ehrenswerten Fratres im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“. der Einkleidung am 17. August 1932 er- Ich habe dieses Zeugnis des abgelegten Gelüb- hielt Paul den Klosternamen Albert, von des aufgeschrieben an dem verehrenswerten Ort ihm gewählt in Anlehnung an den wort- Kremsmünster, im Jahr seit der Menschwerdung mächtigen mittelalterlichen Philosophen des Herrn eintausendneunhundertsechsunddrei- ßig am 18. August, dem Festtag des heiligen Aga- Albertus Magnus. pitus. Ignatius Schachermair OSB Abbas (Kreuz) Fr. Al- bertus Bruckmayr. Akademische Bildung in Rom 5 Erzbischof Huyn wurde in der CSR wegen seiner politischen Einstellung zur Resignation gedrängt Die akademische Ausbildung im und war dann im Kolleg Sant‘ Anselmo in Rom Benediktinerkolleg Sant’ Anselmo in tätig.

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Hbl 3_4 14.indd 159 28.11.14 09:22 verwehrte man ihm jedoch [da er bei seiner bekannten Gesinnung kein Lehr- amt außer in Religion ausüben durfte]. Unter den Konventualen von Krems- münster war Bruckmayr einer der ganz wenigen, die sowohl zum Doktor der Philosophie als auch zum Doktor der Theologie promoviert wurden und in- sofern als „hoch gebildet“ galten. Unter den Professoren des Stiftsgymnasiums erreichte diesen Bildungsgrad bislang nur noch der spätere Bischof von Barrei- ras, DDr. P. Richard Josef Weberberger (1939–2010). Mehr über den aus Bad Le- onfelden gebürtigen, in Gaspoltshofen aufgewachsenen „Beinahe-Innviertler“ im letzten Teil dieses Beitrags.

Präfekt, Gymnasialprofessor und Wirken im Konvikt Mit dem Ende des Zweiten Welt- kriegs und der Restitution des Stiftes begann die Zeit des Wiederaufbaus von Erkannte früh Bruckmayrs ausgeprägtes Talent für Gymnasium und Konvikt. Schon 1945 klassische Sprachen: der Altphilologe Dr. P. Em- meram Brader, OSB. konnten das Untergymnasium und die 5. Klasse eröffnet werden, sodass 1949, im 400. Bestandsjahr, erstmals wieder Wilhelm-Universität. Nach der Promo- eine Matura möglich wurde. Als Präfekt tion zum Dr. phil.6 wurde er ohne Ein- ziehung zum Militärdienst in die neu geschaffene Kaplanei Scharnstein7 der 6 Dissertation: Untersuchungen über die Rand- scholien der 28 Reden des heiligen Gregorios von Pfarre Viechtwang als Seelsorger beru- Nazianz im cod. Vindob. theol. gr.74. fen. Parallel dazu setzte er in Wien das 7 Das Pfarramt Viechtwang galt als „Akademi- Theologiestudium fort und beschloss sches“, da dort Dr. phil. P. Benedikt Eizinger als dieses 1944 mit der Dissertation „Das Pfarrer und Dr. P. Albert Bruckmayr sowie Dipl.- Ärgernis des Judentums an Paulus“.8 Dem Ing. P. Johannes Brik in der Zeit nach Aufhebung des Klosters Kremsmünster als Kapläne tätig wa- Titel ist ablesbar, dass der behandelte ren. Diese und viele weitere Details entstammen Stoff den Intentionen der damaligen dem Aufsatz „Constantes estote, Zum Gedenken staatlichen Universitätsbehörde zumin- an Abt DDr. Albert Bruckmayr“ des em. Prior dest nicht diametral entgegenstand. Den OStR. Dr. Benno Wintersteller im 126. Jahresbe- richt des Stiftsgymnasiums Kremsmünster 1983. Antritt zu den Lehramtsprüfungen in 8 Dissertation: Das Ärgernis des Judentums an Deutsch, Latein und Griechisch, nachge- Paulus (1943), XVI, 161., 10 Bl. Theologische Fa- holt 1945 an der Universität Innsbruck, kultät der Universität Wien, Diss. 1307.

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Hbl 3_4 14.indd 160 28.11.14 09:22 allgemein anerkannt, die Seminaristen konnten also schon in den beiden letz- ten Gymnasialjahren Lehrveranstaltun- gen eines – für alle Studenten offenen – geistlichen Studiums belegen.11

Hochgeistige Schriften12 Nachdem er sich schon 1953 mit ei- nem Beitrag über griechische Philoso- phie zu Wort gemeldet hatte,13 erreichte P. Alberts wissenschaftliche Publikati- onstätigkeit mit einer Studie zum Ge- schichtsbild des hl. Paulus, insbesondere P. Albert im Kreis seiner Schüler. zu den beiden „Aeonen im Judentum“, 1954 ihren Höhepunkt und Abschluss; die Wiedergabe des hochgeistigen Dis- und einer der ersten Lehrer (Schwer- kurses zum Thema „Eschatologie der punktfächer: Latein, Griechisch, Philo- Messiaserwartung“ ist im Rahmen die- sophie, Religion) intensiv am weiteren ser knappen Würdigung unmöglich. Aufbau der Schule beteiligt,9 zog sich Sinngemäß legt Bruckmayrs Arbeit je- P. Albert gegen Schluss seines fast zwan- zigjährigen Wirkens als Gymnasialpro- 9 1945 konnten nur fünf Klassen eröffnet werden, da die Studenten der oberen drei Klassen der fessor vom Griechischunterricht zurück, „Deutschen Heimschule“ in den letzten Jahren rekapitulierte diese Sprache jedoch zum zuvor so gut wie keinen Unterricht erhalten hat- Ausgleich mit den Zöglingen seiner ten und die Lehrtätigkeit damit praktisch zum Er- Konviktsabteilung, wobei er sich einen liegen gekommen war. Vlg. Prior Dr. P. Richard legendären Ruf10 erwarb. Rankl, Stift und Gymnasium in den Jahren 1938– 1946, 89. Jahresbericht des Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster, Schuljahr 1946. 10 Initiator und Moderator des Dieser „Ruf“ veranlasste so manchen Studenten, lieber gleich regelmäßig den Stoff zu lernen, um philosophischen Hausstudiums der „Griechisch-Kompanie“ zu entgehen. 11 Das Studium organisierte P. Albert als Modera- Da sich ab 1951 zunehmend viele tor. Gelehrt wurde in den letzten Jahren Philo- Gymnasialstudenten zum dauerhaften sophiegeschichte aus der christlichen Sicht der Eintritt ins Kloster entschieden, richtete philosophia perennis. Lector und Examinator Bruckmayr nach Rücksprache mit Abt war zuletzt P. Richard Weberberger. Philosophie- Privatunterricht erteilte P. Albert darüber hinaus Ignatius und mit päpstlicher Zustim- bereits in der 5. und 6. Klasse. mung ein philosophisches Hausstudium 12 DDr. P. Albert Bruckmayr: Dieser und jener ein, dem er selbst als Moderator vor- Aeon, 97. Jahresbericht Obergymnasium der Be- stand und das bis ins Sommersemester nediktiner zu Kremsmünster, Schuljahr 1954. 13 DDr. P. Albert Bruckmayr: Die Lehre von den Sin- 1967 angeboten wurde. Die Lehrgangs- neswahrnehmungen in der antiken Philosophie, zeugnisse wurden von den theologi- 96. Jahresbericht Obergymnasium der Benedikti- schen Fakultäten und Priesterseminaren ner zu Kremsmünster, Schuljahr 1953.

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Hbl 3_4 14.indd 161 28.11.14 09:22 denfalls u. a. dar, dass die permanente Schlag vereinigten sich in seiner Hand Anwesenheit des Bösen auf dieser Welt sämtliche Regierungsfunktionen, galt immer auch auf göttlicher Zulassung be- es nun außer der spirituellen Vorbild- ruht.14 rolle auch die Führung der internen Wirtschaftsagenden wahrzunehmen. Jetzt aber kam der unverwüstliche Kauf- Berufung zum Abt – ein Wendepunkt mannsohn aus Schärding hervor, der Die Wahl zum Koadjutor des noch erstaunliches Organisationstalent und amtierenden Abtes Ignatius Schacher- Kalkulationsvermögen bewies. Nicht mair mit allen äbtlichen Befugnissen mehr aristotelische Philosophie und Pau- und cum jure successionis [= dem Recht linische Briefe, sondern nüchterne Praxis zur Nachfolge] am 5. Oktober 1964 und das Management notwendiger Pro- sowie sein mit fester Stimme gespro- jekte standen fortan im Vordergrund. chenes „accepto“15 änderten P. Alberts [Alberts Wahl zum Koadjutor mit allen Lebensumstände abrupt. Mit einem Leitungskompetenzen war auf I. Scha- chermairs ausdrücklichen Wunsch hin erfolgt; ab dessen Tod im Jahr 1970 be- kleidete Bruckmayr das Amt des Abtes dann regulär bis zum eigenen Ableben 1982].

Erfolgreiche Bautätigkeit im Kloster und in den Pfarreien Das 1977 anstehende 1200-Jahr-Jubi- läum stellte das Kloster vor eine Reihe baulicher und umbautechnischer Her- ausforderungen: im Stift waren Dächer frisch einzudecken, das Deckengewölbe

14 Unter ὁ αἰών (= Äon) versteht man entsprechend der griechischen Wortbedeutung „Zeitalter“, in hebräischer Sprache bedeutet das dort verwen- kol לכ לכ םלועהםלועה) “olam aber „Welt םלוע םלועdete Wort haolam = „die ganze Welt“). Die zit. Arbeit ist zu- mindest aus jüdisch-theologischer Sicht kritisch hinterfragbar. Auffällig ist, dass keine der wissen- schaftlichen Arbeiten von P. Albert Nachhall in der wissenschaftlichen Literatur gefunden hat. 15 P. Albert Bruckmayr erhielt bereits im ersten Wahlgang die große Mehrheit der 83 Wahlstim- men, wobei entsprechend der Tradition die wert- vollste Wahlurne der Welt, der Tassilokelch, ver- wendet wurde. Alberts „accepto“ (= ich nehme an) erfolgte spontan, und noch am selben Tag kam die In „Amt und Würden“. Foto: Stift Kremsmünster Bestätigung aus Rom.

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Hbl 3_4 14.indd 162 28.11.14 09:22 Der „Hausherr“ beim Besichtigen von Renovierungsarbeiten in der Stiftskirche Kremsmünster.

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Hbl 3_4 14.indd 163 28.11.14 09:22

Stiftskirche Kremsmünster. Im Vordergrund die freigelegten romanischen Apsiden.

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Hbl 3_4 14.indd 164 28.11.14 09:22 des Kaisersaales zu sichern, Mauern of- Engagement in und für Mariazell fen zu legen und zu sanieren; erneuert wurde sogar die „Schwimmschule“,16 1966 hatte sich das Schottenstift Wien und dabei kamen an den Seitenapsiden von der geistlichen Leitung des zum Stift der Stiftskirche baugeschichtlich inter- St. Lambrecht gehörigen Superiorates essante romanische17 Details zum Vor- Mariazell zurückgezogen. Da ein selbst- schein. Zugleich mit der Sanierung des ständiges Priorat nicht erreicht werden Hofes im ehemaligen Kreuzgang wurde konnte, trat die österreichische Bene- auch der dortige verlassene Kloster- diktinerkongregation an Abt Albert mit friedhof erneut seiner Bestimmung zu- der Bitte heran, das Superiorat solange geführt. (Albert selbst ist hier als erster zu übernehmen, bis das Schwesterstift Klostervorsteher seit der Wiedererrich- St. Lambrecht in der Lage wäre, dieses tung beigesetzt). Im Konventsbereich aus eigener Kraft zu verwalten. Mit den erfolgte die gründliche Neuausstattung Worten „die Muttergottes wird die, die ihr der Mönchszellen mit Bad und WC, zuliebe Opfer erbringen, nicht im Stich lassen“ installiert wurde ein Hauslift über drei willigte Bruckmayr ohne Zögern ein Etagen, Zimelien (= kostbare Exponate) und visitierte das steiermärkische Mari- wie der berühmte Tassilokelch und der enheiligtum in der Folge häufig. Unter Codex Millenarius übersiedelten in ei- seiner Ägide wurden Basilika, Pfarrhof nen eigenen, elektronisch gesicherten sowie mehrere Kapellen restauriert und Schauraum. Gleichfalls unter Alberts der neue Rosenkranzweg gebaut,18 den Patronat wurde sodann in den zuvor Besuch von Papst Johannes Paul II. am als Garage genutzten, durch Brandle- 13. September 1983 konnte er allerdings gung im Mai 1945 schwer beschädigten Gewölben des Schmiedhoftraktes eine neue Stiftsschank etabliert. Zur finanziellen Absicherung des 16 Schon im 18. Jahrhundert wurde neben dem Teich vor dem Guntherdenkmal eine „Schwimmschule“ umfangreichen Gesamtpakets bedurfte für die Studenten errichtet. Das ursprünglich in es stichhaltiger Verhandlungsargumente Holz gefasste Bassin wurde später durch eine Be- gegenüber Behörden und Baufirmen. tonwanne ersetzt. Unter Abt Albert erfolgte eine Auch da entwickelte Bruckmayr außer- gründliche Renovierung mit Aluminiumeinsatz gewöhnliche Findigkeit und pragmati- und Einbau einer Wärmeaustauschpumpe. 17 Die Verkleidung der aus dem 13. Jahrhundert sches Geschick. Es gelang ihm, Preise stammenden Seitenapsiden der Stiftskirche niedrig zu halten und Subventionstöpfe wurde unter Abt Albert im Konventgarten freige- auszuschöpfen, sodass die Investitionen legt, ebenso eine romanische Eingangspforte im letztendlich keine Mehrbelastung für Konviktshof . 18 das Stift bedeuteten. Schnell erkannten Das Marienheiligtum Mariazell hat eine bewegte Geschichte. Ursprünglich eine Schenkung an das die Verhandlungspartner, dass sie es hier Stift St. Lambrecht, wurde es 1782 von Kaiser Josef nicht mit einem weltentrückten Altphilo- II. aufgehoben. Mit der Wiedererrichtung erhielt logen zu tun hatten, sondern mit einem St. Lambrecht das Superiorat zurück, konnte es versierten Ökonomen, dem im elterli- aber nach Kriegsende (1945) nicht selbst beset- zen. Daher sprangen das Schottenstift Wien und chen Schärdinger Kaufhaus das Wirt- schließlich Kremsmünster ein – bis zum neuerli- schaften von der Pike auf beigebracht chen Übergang an das Mutterkloster St. Lamb- worden war. recht im Jahr 1992.

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Hbl 3_4 14.indd 165 28.11.14 09:22 Die Basilika Mariazell – betreut vom Stift Kremsmünster.

leider nicht mehr erleben. (1992 war St. ten Brasiliens eine Missionspfarre unter Lambrecht schließlich zur Übernahme Stiftsschirmherrschaft zu gründen. Zu des Superiorates gerüstet; bis dahin diesem Zweck übertrug die brasiliani- hatte Kremsmünster neben dem Supe- sche Bischofskongregation dem Kloster rior vier weitere Mitbrüder zum laufen- 1970 ein Gebiet von ca. 72.000(!) Qua- den Dienst nach Mariazell abgestellt.) dratkilometern mit dem Hauptort Bar- reiras im Bundesstaat Bahia. Zur Vor- Barreiras – eine Großpfarre in Brasilien bereitung des gewaltigen Projekts – es wird „Kremsmünsterer Diözese“ waren diverse kirchliche Einrichtungen aufzubauen – ließ Bruckmayr für den Nach alter Tradition setzte der Kon- Dienst in Übersee ausersehene junge vent des Stiftes Kremsmünster alle 100 Mitbrüder zunächst die portugiesisch- Jahre ein spirituelles Zeichen, indem zum brasilianische Sprache erlernen; da am Jubiläum ein Sakralbau errichtet wurde. südamerikanischen Einsatzort dann etli- 1877 war so die neugotische Pfarrkir- che Konventualen absprangen und das che von Bad Hall entstanden, doch im Vorhaben zu scheitern drohte, sandte Jubeljahr 1977 sollte es zu einer beson- Albert seinen „besten Mann“, den ihm deren Anstrengung kommen: Albert seelenverwandten DDr. P. Richard hatte die Idee aufgegriffen, im Nordos- J. Weberberger, nach Barreiras. Weber-

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Hbl 3_4 14.indd 166 28.11.14 09:22 Abt Albert mit dem Tassilokelch, einem der größten Schätze des Klosters. Jeweils am Stiftertag wird in Krems- münster unter seiner Verwendung zelebriert.

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Hbl 3_4 14.indd 167 28.11.14 09:22 berger – nachmals Ehrenbürger mehre- sorger, Philologen und Ökonom auch rer Städte und u. a. Träger des Großen die Kenntnis der Ereignisse, die Kon- Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern vikt und Gymnasium in jüngster Ver- für Verdienste um die Republik Öster- gangenheit z. T. schwer erschütterten. reich – erfüllte seine Mission prompt Albert Bruckmayr – sein posthum ange- so glänzend, dass er 1981 zum Bischof fertigtes Porträt wurde in die Galerie der der neu geschaffenen Diözese geweiht Äbte (vor dem Kaisersaal) aufgenom- wurde.19 (Für längere Zeit hatte Krems- men – geht als 72. Abt in die Stiftsge- münster damit in Barreiras einen Ober- schichte Kremsmünsters ein. Schärding hirten, der bei Heimataufenthalten auch ist als Herkunftsort auf der Gedächtnis- Firmungen durchführte und Neupries- tafel ausdrücklich vermerkt. ter aus dem Konvent in der Stiftskirche weihte.)

Früher Heimgang Eine Oö. Landesausstellung rückte die jubilierende Benediktinerabtei 1977 nachhaltig ins Rampenlicht der Öffent- lichkeit, und auch für die riesige Diö- zese Barreiras hatte man noch große Pläne, die vor allem den Bau vieler weiterer Gotteshäuser betrafen. Dass das „Projekt Brasilien“ nach der Jahr- tausendwende [mit Bischof Weber- bergers Tod] zum Erliegen kommen würde, konnte damals niemand ahnen. Das Miterleben dieses Rückschlags war Abt Albert erspart geblieben; ein tücki- sches Leiden raffte ihn am 26. Juni 1982 im Krankenhaus Wels, noch nicht sieb- zigjährig, dahin. Erspart bleiben sollte Alberts Porträt in der Äbte-Galerie von Kremsmüns- dem hervorragenden Theologen, Seel- ter.

19 Zum Engagement des Stiftes Kremsmünster in Brasilien: Weberberger, Krinzinger, Obermayr: 25 Jahre in Barreiras, Kremsmünster 1996.

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Hbl 3_4 14.indd 168 28.11.14 09:22 Alpine Insel der Andacht – hundert Jahre Dachsteinkapelle Von Karl Wirobal

Erschließung des Dachsteingebirges die umliegenden Almen. Erzherzog Karl versuchte 1812 eine Dachsteinerobe- Vor rund 200 Jahren begann die Er- rung von der Gjaidalm aus und stieß schließung der Westalpen, und ab Mitte mit Gefolge bis in die Gletscherregion des 19. Jahrhunderts rückten auch die vor („Karls Eisfeld“). Mit der „franzis- Ostalpen ins Blickfeld der Bergfreunde. zeischen Reichsaufnahme“ (1813–1823) Die Kenntnisse über die heimischen wurde die Grundlage für 30 Kartenblät- Gebirge waren lange Zeit jedoch sehr ter von Oberösterreich und Niederös- dürftig. Durch Forschungen im 20. Jahr- terreich geschaffen. hundert (z. B. Mandl und andere) wissen wir, dass es bereits in prähistorischer Zeit 1819 bestieg Jakob Buchsteiner Saumpfade über die Hochflächen und aus Schladming den Torsteingipfel offensichtlich auch eine Almwirtschaft (2.948 m), im Jahr 1832 gelang dem Filz- gab. Im Zusammenhang mit dem Han- mooser Peter Gappmayr die Erstbestei- del landwirtschaftlicher Produkte und gung des Hohen Dachsteins (2.995 m), dem Salztransport verband ein Netz von womit die Geschichte der touristischen Steigen die Almen seit dem Mittelalter. Dachstein erschließung einsetzte. Ab- geschlossen wurde die Eroberung der Mit der ersten Landvermessung Dachsteinwände 1909 mit der Durch- 1763–1785 kam auch Licht ins Dunkel steigung der Dachsteinsüdwand („Stein- unseres Dachstein-Hochgebirges. Viele erweg“). Gipfel wurden bestiegen, unzählige Bergnamen in den Karten verewigt. Wei- tere Beiträge lieferte die Salzkammergut- Pionier Friedrich Simony Waldkarte der Salinen, aufgenommen 1794–1804, worin die Dachsteinhöhe Eine korrekte wissenschaftliche und mit 9.448 Fuß (2.986,5 m) und der Um- bildliche Dokumentation des Massivs fang der Dachsteingletscher mit 10.000 begann 1840 der große Geograf Fried- Klafter (18.966 m) angegeben sind. Ab rich Simony (1813–1896), der dieser fas- der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zinierenden Hochregion als begnadeter kamen auch bedeutende Persönlichkei- Zeichner, Fotograf und Wissenschaftler ten ins Salzkammergut (Joseph August lebenslang treu blieb und seine For- Schultes ab 1794, Alexander v. Hum- schungen mit dem Gesamtwerk „Das boldt 1797, u. a). 1810 besuchte Erzher- Dachsteingebiet“ krönte. Vom Zweit- zog Johann die Dachsteinhochfläche und wohnsitz in Hallstatt aus startete er seine

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Hbl 3_4 14.indd 169 28.11.14 09:22 umfassenden Arbeiten über Geografie, nach allgemein begehbar. 1874 erklärte Gesteine, Gletscher, Botanik und Seen die maßgebliche Sektion „“ die des Gebirges und seiner Vorberge. Si- Dachsteingruppe zu ihrem „Exkursions- monys penibler Aufnahme aller rele- gebiet“, später zum eigenen Hauptar- vanten Erhebungen und Bergnamen beitsgebiet. Schon 1875 wurde mit der verdanken wir die Ausbildung einer ein- Sektion „Salzkammergut“ ein Überein- heitlichen Nomenklatur. Er war es auch, kommen für den gemeinsamen Hütten- der für seine Gebirgsaufenthalte 1843 und Wegebau bis zum „Karls-Eisfeld“ den ersten hochalpinen Unterstand im getroffen. Die 1876/77 errichtete Simo- „Wildkar“ unterhalb der heutigen Simo- nyhütte (2.205 m) erlebte am 18. August nyhütte bauen ließ, nachmals scherzhaft 1877 ihre feierliche Eröffnung, der gut „Hotel Simony“ genannt. Im selben Jahr ausgebaute „Reitsteig“ („Kaiser Franz veranlasste er zusätzlich die Sicherung Josef Reitweg“) von Hallstatt zur Schutz- des Dachsteinaufstiegs vom Hallstätter hütte und bis zum Hallstätter Gletscher Gletscher (durch Stufen und Seile) und wurde 1890 seiner Bestimmung überge- schuf damit den ersten Klettersteig in ben. den Ostalpen. Nach der Simonyhütte erschloss Mit der Gründung des Alpenvereins man das Dachsteingebirge bis zum (1862) wurde die Gebirgswelt nach und Ersten Weltkrieg durch sieben weitere

Simonyhütte. Fotografische Ansicht aus dem Eröffnungsjahr 1877.

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Hbl 3_4 14.indd 170 28.11.14 09:22 Schutzhütten. Es sind das in der Reihen- Gleich nach dem Talabstieg wurde folge ihrer Entstehung: der Hallstätter Pfarrer Valentin Dünne- 1879 Grobgesteinhütte (1.639 m) nahe wald (1841–1926) von der Projektidee dem Gosaugletscher informiert, und unverzüglich setzte 1880 Austriahütte (1.638 m) am Brand- Rudolph die ersten Schritte. Mit der riedl (Ramsau) Planung betraute man Dombaumeis- ter Matthäus Schlager (1870–1959), der 1887 Brünnerhütte (1.736 m) am Stoder- Ischler Pfarrer erklärte sich zur Über- zinken nahme der Bauüberwachung sowie zur 1903 Hofpürglhütte (1.705 m) nahe der Erledigung der rechtlichen Angelegen- Bischofsmütze heiten vor Ort bereit, sein Hallstätter 1907 Tiergartenhütte (1.468 m) auf hal- Kollege zur Requirierung der Arbeits- bem Weg zur Simonyhütte kräfte unter Anleitung eines erfahrenen 1908 Adamekhütte (2.196 m) am Rand Handwerkers. Nun ging es Schlag auf des Gosaugletschers Schlag. Am 4. Dezember 1912 reichte 1914 Guttenberghaus (2.147 m) bei der der Bischof das Ansuchen fürs Kapel- Feisterscharte (Ramsau). lengrundstück bei der k. k. Finanzdirek- tion ein, nur zwei Wochen darauf kam die Zusage einer Vermessung schon im So kam es zur Kapelle am Dachstein nächsten Sommer. Das Vorhaben stieß im Salzkam- Den indirekt entscheidenden Impuls mergut auf freudige Zustimmung, ver- gab das dienstliche Zusammentreffen öffentlicht wurde es am 27. Juli 1913 im zweier geistlicher Herren unterschied- Diözesanblatt mit der Aufforderung an lichen Ranges: Der im März 1909 zum die Allgemeinheit, das Werk mitzufinan- Bischof von Linz ernannte Innviertler zieren. Dr. Rudolph Hittmair (1859–1915) hatte Bis zum Sommer 1913 hatte der – am 3. Juni 1912 anlässlich einer Fir- Hallstätter Johann Georg Zauner1 (1881– mung in Hallstatt weilend – bei dieser 1940) als Bauführer alles vorbereitet. Der Gelegenheit mit dem Bad Ischler Pfarrer „eiserne“ Dachstuhl (Fachwerk aus Stahl- Franz Stadler (1868–1936) eine gemein- profilen) wurde in der Salinenschmiede same Dachsteinbesteigung vereinbart. gefertigt, das Steinmaterial aus „Dach- Aufgebrochen wurde am 19. August steinkalk“ lieferte die Umgebung der unter Führung des bekannten Hallstätter Simonyhütte, die Holzteile und Dach- Bergführers Sepp Seethaler (1871–1946), bretter wurden von freiwilligen Helfern und während dieser Tour schwärmte vom Tal nach oben geschafft. Unmittel- Stadler von der Realisierung eines Ka- bar nach der Grundsteinlegung am 21. pellenbaus neben der Simonyhütte: „Ein September 1913 in Anwesenheit des Ort stiller Einkehr für unsere Alpinisten und des Gedenkens an die Toten der Berge wäre hier doch eigentlich mehr als 1 J. G. Zauner („Semrad-Zauner“), von 1920–1940 angebracht“. Den Worten des Pfarrers „Hausmaurer“ im örtlichen Hotel „Grüner Baum“. folgte der Bischof begeistert: Die Kapelle Als Kaufmann betrieb er das „Semrad-Geschäft“ müssen wir bauen! in der „Alten Post“.

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Hbl 3_4 14.indd 171 28.11.14 09:22

Die „Väter“ der Dachsteinkapelle: der Linzer Bischof Dr. Rudolph Hittmair und Pfarrer Kons.-Rat Franz Stadler, Bad Ischl.

Bischofs sowie Pfarrer Stadlers begann datentod erleiden sollte, dann in zwei- man mit dem Aufbau, wobei prächtiges tägigem Einsatz den Berg hochgetragen. Herbstwetter den Fortschritt der Arbei- ten begünstigte. Drei Wochen später, am „Amtliche“ Kapellendaten 16. Oktober, konnte Zauner die Vollen- Grundbuch: KG 42007 Hallstatt, dung des Rohbaus ans Ischler Pfarramt Bezirksgericht Bad Ischl, Mappenblatt melden. 4827-58/4, EZ 315. Am 3. März 1914 wurde der Kaufver- Eigentümer: Bischöflicher Diöze- trag unterzeichnet, im Mai erging an den san Hilfsfond in Linz; Kaufvertrag vom Hallstätter Tischlermeister Josef Polreich 3.3.1914. Parzelle 42007.610; Fläche: 60 (1877–1947) der Auftrag zur Herstellung Quadratmeter (34 m2 Gebäude, 26 m2 des Interieurs aus schlichtem Fichtenholz Nebenfläche), Denkmalschutz. (Altar, Bänke, Fächer für Messkleider usw.). Die Messgewänder, den Kelch 2 An der Einweihungsfeier hatte Dünnewald nicht und Übriges besorgte Stadler, und am teilgenommen. Geboren in Sendenhorst (Westfa- 14. Juli erhielt Pfarrer Dünnewald2 auf len), besuchte er das Gymnasium in Münster und eigenes Ersuchen hin die Vollmacht, die absolvierte in Linz das Theologiestudium. Trotz seines langen Aufenthalts in Hallstatt (1876–1926) Kapellenglocke im Tal zu weihen. Ende zog es ihn nie in die Berge oder zum Alpinismus. Juli wurde diese von dem 19-jährigen Die Dachsteinkapelle bekam er wohl kein einziges Hallstätter Josef Cijan, der 1916 den Sol- Mal zu Gesicht.

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Hbl 3_4 14.indd 172 28.11.14 09:22 Festliche Kapellenweihe am 1. September 1914.

Koordinaten: 47°30,040’ N / genannt, auf den 1. September3 verscho- 13°37,450’ O, Seehöhe 2.210 Meter (Ein- ben. gang). Von Bad Ischl kommend, reisten R. Hittmair, Domkapitular Karl Schöf- ecker und Pfarrer Stadler am 31. August Einweihung beim Weltkriegs-Ausbruch (Montag) nach Hallstatt und stiegen bei Am 28. Juli 1914 entbrannte mit dem Schlechtwetter zur Simonyhütte auf. Ersten Weltkrieg eine Völkerschlacht Weitere Gäste aus der Umgebung folg- ungeahnten Ausmaßes, die ganz Europa ten bis zum Abend. Ein Böllerschuss und andere Länder in Not und Elend stürzte. Wegen der Kriegsereignisse 3 Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Hall- stätter den Einrückungsbefehl erhalten. (In der wurde die zunächst für 12. August an- Kapelle erinnert seit 11. September 1927 eine Ge- beraumte Weihe der Dachsteinkapelle, denktafel an die Gefallenen des DÖAV (= Deut- ursprünglich auch „Habsburgerkapelle“ scher und Österreichischer Alpenverein).

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Hbl 3_4 14.indd 173 28.11.14 09:22 signalisierte im nebelverhangenen Mor- lich ein Primiziant5 seine zweite Messe gengrauen des 1. September den Beginn hier oben feiern, was anfangs relativ lü- der Feierlichkeit. Nach der bischöflichen ckenlos, danach eher sporadisch einge- Segnung der Bergkirche und dem ge- halten wurde. Für laufende Notizen etc. meinsam intonierten „Großer Gott, wir legte man in der Simonyhüttte ein „Zele- loben Dich“ las Hittmair in der frisch branten-“ oder „Priesterbuch“ sowie ein geweihten Kapelle die erste Messe, die zweites für „Gebühren und Spenden“ ein Quartett des Ischler Kirchenchors auf, auch eine Kirchenordnung wurde mit Schuberts „Deutscher Messe“ stim- gedruckt und allen umliegenden Deka- mungsvoll umrahmte. Zum Ausklang naten zugesandt. wurde das „Kaiserlied“ gesungen, wor- Für den Schutz und die Erhaltung auf die hohen Herren sofort wieder nach der Kapelle hatte ein Komitee zu sorgen, Hallstatt abstiegen, da sie mittags bei dem nachstehende Personen als Mitglie- den Schwestern der dortigen „Kinder- der angehörten: bewahranstalt“ (Kindergarten) geladen Paul Sorgo (1859–1922), Hallstätter Sali- waren. nenvorstand von 1912–1915, Vorsitzen- In der Lokalpresse wurde die Einwei- der hung der, wie man schrieb, „Habsbur- Johann Wieser (1869–1931), ÖAV-Hall- gerkapelle“ lediglich mit einem kleineren statt, Gastwirt („Grüner Anger“), Stell- Artikel erwähnt. („Ischler Wochenblatt“, vertreter Sonntag, 6. September 1914). Dies ge- Johann Eder (1893–1964), Hüttenwirt auf wiss auch deshalb, weil das Kriegsge- der „Tiergartenbrunnhütte“, Kassier schehen Priorität hatte. Sepp Reitter (1883–1966), Salinensteiger, Schriftführer. Bischof Hittmair überlebte den Fest- Beistände: akt nur um ein halbes Jahr. Als ausge- Valentin Dünnewald (1841–1926), Pfar- bildeter Krankenpfleger hatte er es sich rer in Hallstatt von 1880 bis 1920 nicht nehmen lassen, im Kriegsgefan- Konsistorialrat Franz Stadler (1868– genenlager Mauthausen u. a. an Fleck- 1936), Pfarrer in Ischl von 1911 bis 1936. typhus erkrankte serbische Insassen zu Im weiteren Verlauf haben sich die besuchen. Er infizierte sich dabei und jeweiligen Pfarrer von Hallstatt – mit starb am 5. März 1915 in Linz. (Nähe- Ausnahme Johann Lehners6 – der Dach- res dazu: Ernst Gusenbauer, „Die dunkle steinkapelle angenommen. Es sind Seite des Krieges – Oberösterreich und das Seuchenjahr 1915“, in Ausgabe 1/2- 2012 der OÖ. Heimatblätter. Anm. der 4 Bis heute wird sie öfter auch, fälschlich, „Simony- Redaktion). kapelle“ bezeichnet. F. Simony hatte mit dem Ka- pellenbau nichts zu tun. Die steingemauerte, zirka vierzig Per- 5 Neu geweihter katholischer Priester. sonen Platz bietende Kapelle4, mit mehr 6 J. Lehner (1884–1960), er wirkte in Hallstatt von als 2.200 Metern Seehöhe das „himmels- 1941 bis 1960, hatte keinen Bezug zum Alpinis- nächste“ Gotteshaus der Nördlichen mus und dürfte die Dachsteinkapelle, wie V. Dün- newald, vermutlich nie gesehen haben. In Lehners Kalkalpen, ist wie der Altar auf den Titel Amtszeit kümmerten sich Pfarrer i. R. Konrad Pilz des „Allerheiligsten Altarsakramentes“ und Vinzenz Preimesberger (1903–1992) zusam- geweiht. Laut Messstiftung sollte alljähr- men mit Helfern um die Kapelle.

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Hbl 3_4 14.indd 174 28.11.14 09:22 Sang und Klang auch zur Hundertjahrfeier.

das die passionierten Bergsteiger und dertjahrfeier nicht mit; zeitweiser Regen „Dachsteinpfarrer“: zwang zur Verlegung des Gottesdiens- Konrad Pilz (1884–1956), Amtszeit 1920 tes in die Räumlichkeiten der Simo- bis 1941 nyhütte. Dennoch konnte Reinhard Johann Weidinger (1915–2013), Amtszeit Kerschbaumer, Obmann des Hallstät- von 1960 bis 1981 ter Pfarrgemeinderats und Vorstand August Stögner (*1939), Amtszeit von der OEAV-Sektion Hallstatt, zahlreiche 1981 bis Ende August 2014; Stögner lag Besucherschaft begrüßen, so Hallstatts die Sakralstätte überaus am Herzen; er Bürgermeister Alexander Scheutz, Mit- hielt immer wieder Messen und küm- glieder der Salinenmusikkapelle, den merte sich um vielerlei technische, mate- Vorstand der Sektion „Austria“ des rielle und sonstige Belange. OEAV Fritz Macher, Abordnungen des örtlichen Bergrettungsdienstes und des Hundertjahrfeier – Jubiläumsgottes- Alpenvereines, Hüttenwirt Christoph dienst am 30. August 2014 Mitterer sowie nicht zuletzt Gäste aus der Hallstätter Partnerstadt Hallstadt/ Wie bei der Kapellenweihe 1914 Bamberg, die eine Statuette ihres „St. spielte das Wetter auch bei der Hun- Kilian-Vereines“ als Präsent mitgebracht

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Hbl 3_4 14.indd 175 28.11.14 09:22 hatten. Die von der Salinenmusik wür- 1959 Vinzenz Preimesberger bessert Blitzschäden dig untermalte Festmesse zelebrierte der aus. 1964 50 Jahre Dachsteinkapelle mit Pfarrer Wei- Hallstattfreund Piotr Debski, ein polni- dinger und dem Linzer Weihbischof DDr. Alois scher Priester, der kurzfristig für den ver- Wagner (Festgottesdienst am 13. 9.). Gleichzeitig hinderten Bischofsvikar Franz Haidinger Gipfelmesse beim neuen Dachstein-Kreuz mit eingesprungen war. Zur Feier des An- VÖEST-Kaplan Hans Innerlohinger. lasses und zu Ehren des Bergkirchleins 1967 Kapelle im Dezember durch Südstürme schwer beschädigt; prov. Reparatur durch Rudolf Hemets- erklangen abschließend im Freien „stan- berger („Wab“, 1931–1994) und Hüttenwirt Mitten- desgemäß“ noch zünftige Märsche und dorfer (*1939). Jodler. 1968 Kapellensanierung mit Bundesheerhilfe be- gonnen (Hubschraubertransport). 1969 Große Kapellensanierung unter Mithilfe vieler Splitter aus der Kapellenchronik Hallstätter Helfer (Josef Gamsjäger, Karl Stammler, Vinzenz Preimesberger sen. u. jun., Walter u. Klaus Zur Führung der Chronik hatte Pfar- Aschauer). Lärchenschindeldeckung, Blitzschutz, rer J. Weidinger bis 1985 hauptsächlich Kapellenkreuz usw.; hohe Kosten. das vorerwähnte „Spendenbuch“7 her- 1970 Einbruchsversuch (?) im Winter, Fenster be- angezogen, in dem man zugleich finan- schädigt, Türschlüssel gestohlen, Glockenseil abge- zielle Zuwendungen und die Entnahmen schnitten; Reparaturen und Erneuerungen. 1975 60 Jahre Dachsteinkapelle (14. 9.) mit Weihbi- aus dem Opferstock festhielt. Nach der schof A. Wagner/Pf. Weidinger. Ära Weidinger verwendeten Pfarrer 1977 Pfarrer Weidinger feiert bei einer Messe seine August Stögner und andere Schreiber 48. Dachsteinbesteigung. das „Priesterbuch“ bis 2013 für Chronik- 1988 Pfarrer Stögner fliegt mit Paragleiter ins Tal. 1989 Hüttenwirt Toni Rosifka montiert eine neue Einträge mit. Die nachstehende Auswahl Kapellentür und legt in der Kapelle ein Steinpflaster. beschränkt sich auf einige der wichtigs- 1990: T. Rosifka mauert neue Kapellentür ein. ten Daten und besondere Vorkomm- 1992: Neue Butzenscheiben (25. 7.). nisse. 1994: 80 Jahre Dachsteinkapelle (30. u. 31. 7.) mit Sa- 1920 Im Oktober meldet Pfarrer K. Pilz den Dieb- linenmusik und Fronleichnamsschützen, Zelebrant: stahl der Kapellenglocke; verdächtigt wird Berg- Weihbischof A. Wagner (mit Pf. Stögner), Segnung führer Georg Steiner („Irg“), der erste Besteiger Altarrelief. Restaurierungsarbeiten durch Bildhauer der Dachsteinsüdwand, der im Krieg als Deserteur Knapp mit Schülern d. Fachschule am 6./7. 7., Al- („ U-Boot“) im Dachsteingebiet lebte. tarbild (Brot, Kelch u. Trauben), Bänke, Altartisch, 1922 Eine neue Glocke wird von Ing. Johann Mayer/ Außenmauer repariert. Wien gestiftet und von Bergführer Sepp Seethaler 1999: prov. Reparatur Kupferdach u. Gletscherma- aufgetragen [= nach oben gebracht]. donna. 1925 Pfarrer Pilz weiht die [marmorne] Gedenktafel 2011: Eingangstür im Winter aufgebrochen (Repa- für Bischof Hittmair (26. 7. ) ratur). 1934 Kapelle im Juli mit Lärchenbrettern neu ge- 2014: Hundertjahrfeier (P. Debski, 30. 8). Innen- deckt. raumrenovierung im August. 1945 Erste Trauung nach dem Zweiten Weltkrieg (22. 8.). 1954 Ausbesserungsarbeiten durch Vinzenz Prei- 7 Die ersten Spenden, durch Bischof Hittmair, u. a., mesberger (August/September). sind unter „1. September 1914“ vermerkt. Da nen- 1955 Der Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, ze- nenswerte Zuwendungen aber selten waren und lebriert eine Messe am 20. Juli. sich die Evidenzhaltung des Buches für den jewei- 1956 Dr. Karl Fruhstorfer, Begründer der Primizian- ligen Hüttenwirt als schwierig erwies, wurden die tenstiftung, stirbt in Linz (19. 3.) gesammelten Beträge auf Weidingers Anregung 1958 Ausbesserungsarbeiten (Vinzenz Preimesber- dann jährlich entnommen und im Pfarramt Hall- ger). statt verbucht.

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„Priesterbuch“, Auszug.

Nur wenige dürften wissen, dass gestern immer wieder Menschenleben. die auch gern für Trauungen in luftiger Hiervon kündet auch eine Reihe von Höhe genützte Dachsteinkapelle Anfang Klein- und Kleinstdenkmälern im en- des 21. Jahrhunderts in Tirol nachgebaut geren und weiteren Umkreis der Dach- wurde, und zwar am Plattkopf im Ziller- steinkapelle. gründl. Eingeweiht wurde diese, auf In- itiative von Hermann Kaser, Timelkam, Die „Gletschermadonna“ in getreulicher Kopie errichtete Bergkir- che als „Kapelle zum Hl. Valentin“ am 22. Südwestlich der Simonyhütte, zwi- August 2010. schen „Schöberl“ und Gletscherrand, erinnert die sogenannte „Gletscher- Christliche Gedenkstätten im madonna“ an den Tod Ing. Ernst Gla- Kapellenumfeld sers, Leiter des Österreichischen Ar- Eis, Fels und Naturgewalt fordern in beitsdienstes, Lager Obertraun. Glaser dieser rauen Hochregion nicht erst seit (*1905 in Mauer bei Hietzing), starb am

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Hbl 3_4 14.indd 177 28.11.14 09:22 „Ebenseer Kreuz“

Rund 750 Meter westlich der Si- monyhütte hütet ein schlichtes 1,2 Me- ter hohes Kreuz das Andenken an die Tragödie vom Februar 1921; von der Adamekhütte kommend, waren sieben routinierte Alpinisten aus Ebensee nach Überschreiten der Steinerscharte auf Skiern in Richtung Hallstatt abgefahren. Zwischen „Schöberl“ und „Niederem Kreuz“ erfroren alle aus nie ganz geklär- ter Ursache in dichtem Schneetreiben. Geborgen werden konnten die Toten erst in der Woche darauf durch eine Ret- tungsmannschaft des Gmundner Alpen- vereins. GPS-Koordinaten (Kreuz): 47°29,957’ N / 13°36,852’ O; Seehöhe 2.230 m. Auch in der Dachsteinkapelle hält eine Tafel die Erinnerung an diese Tra- gödie wach. „Gletschermadonna“. „Walchshofer“-Kreuz 31. Oktober 1937 durch Sturz in eine Am Weg Nr. 650, nur etwa 300 Me- Gletscherspalte. Die von dem bekannten ter westlich der rettenden Simonyhütte, Akademischen Bildhauer Alois Dorn starb am 27. August 1981 der Linzer Stu- (1908–1985), zu jener Zeit Schüler der dent Bruno Walchshofer (*1950) an Er- Hallstätter Holzfachschule, angefertigte schöpfung. Von Hüttenwirt Toni Rosifka Schnitzarbeit ist seit 1938 nahe der Un- (*1945) noch lebend aufgefunden, über- glücksstätte am Fels verankert. stand der Mann die Bergung nicht mehr. GPS-Koordinaten: 47°29,700’ N / Kreuz in Sichtweite der Hütte. 13°36,790’ O. Seehöhe 2.357 m. An derselben Felswand erinnern wei- GPS-Koordinaten: 47°30,087’ N / tere Marterl an die Unfallopfer Josef Rai- 13°37,200’ O; Seehöhe 2.180 m. ner, Obermonteur der VÖEST-Alpine, verunglückt am 8. Januar 1969 während „Heibronner-Kreuz“ und Krippenstein- des Baus der Dachsteinsüdwandbahn, kapelle Gerd-Rainer Wiethüchter (1943–1985), sowie Alois A. Diepold (1926–1959), Zum Gedenken an das tragische Un- Sturz in eine Gletscherspalte, vom Eis glück in den Ostertagen 1954, bei dem freigegeben 1976. 13 Lehrer und Schüler aus Heilbronn/

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Hbl 3_4 14.indd 178 28.11.14 09:22 Kleindenkmal unweit der Simonyhütte: Das „Walchshofer“-Kreuz.

Baden Württemberg in der Schneewüste tümer der kleinen Bergkirche sowie der östlich des Krippensteins / Gemeinde Grundstücksfläche (361 und 471/7; KG Obertraun umgekommen waren, wurde 42016) ist die Dachstein Tourismus AG. 1955 nächst der Opferfundstelle das GPS-Koordinaten-Kapelle: „Heilbronner-Kreuz“ aufgerichtet. 47°31,430’ N / 13°41,460’ O, Seehöhe GPS-Koordinaten: 47°30,598’ N / 2.100 m. 13°43,327’ O, Seehöhe 1.959 m. Die nach Fertigstellung der Krippen- Gedenkstätte am „Steiglweg“/ stein-Seilbahn in Gipfelnähe erbaute, Gosaukamm gleichnamige Kapelle konnte am 14. Juli 1959 vom Linzer Bischof Franz Sa- Erinnernd an die 17-jährige Lotte lesius Zauner (1904–1994) zusammen Wasmayer, die 1942 beim Abseilen vom mit Pfarrer J. Lehner eingeweiht wer- „Däumling“ tödlich abstürzte. Die Ge- den. Die Kapellenglocke wurde von der denkstätte bei der Hinteren Scharwand- Stadt Heilbronn zur Erinnerung an die alm wurde 1964 auf Veranlassung der Bergtragödie von 1954 gestiftet. Eigen- Mutter des Mädchens errichtet. Der

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Der allererste Sakralbau am Dachsteinstock: Das „Friedenskircherl“ am Stoderzinken.

Gosaukamm war ein Kletterer-Eldo- Stoderzinken (2.047 m). Durch Baron rado der Vor- und Nachkriegszeit. Die Emil Ritter v. Horstig d’Aubigny8 1902 Namen von fast sechzig weiteren hier am Weg zum „Stoder“-Gipfel errichtet, tödlich Verunglückten finden sich am befindet sich das Kircherl seit 1993 im „Steiglweg“ ebenfalls verewigt. GPS-Koordinaten: 47°30,9’ N / 13°30,8’ O, Seehöhe 1.574 m. 8 Der Montanist E. Ritter von Horstig (1845–1931) gilt als Erschließer des „Stoders“ und betrieb von 1892 bis 1906 den Kohlebergbau auf der Stoder- Friedenskircherl am Stoderzinken alm. Erschließungsdaten: 1892–1896 Schaffung eines Karrenweges, 1902 Bau des „Horstig-Alpen- heims“ auf 1.934 m (1922 abgebrannt) sowie des Der wohl älteste Sakralbau am genannten Kircherls, 1958–1962 Errichtung der Dachsteinstock, das „Friedenskircherl“, Stoderstraße, ab 1962 Bau von Liftanlagen, 2002 steht an dessen südöstlichem Rand, am Sanierung der Hochalpenstraße (Mautfreiheit).

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Hbl 3_4 14.indd 180 28.11.14 09:22 Besitz der Bergrettung Gröbming und scherrand mit überragendem Ausblick wird von dieser auch betreut und erhal- zum Gipfel zunächst vor allem Wiener ten. Zu besonderen Anlässen feiert man Bergsteiger, und die Gletscherwelt, das dort Bergmessen. „ewige Eis“, wurde sodann zum bleiben- GPS-Koordinaten: 47°27,414’ N / den Anziehungspunkt für Hochtouris- 13°49,432’ O, Seehöhe 1.898 m. ten aus nah und fern. F. Simony konnte bei seinen ersten Rückzug des Hallstätter Gletschers von Besuchen ab 1840 am Hallstätter Glet- der Dachsteinkapelle scher noch das Wachsen des „Karls Eisfeldes“ beobachten und 1855 einen Der Alpintourismus nahm, wie ein- historischen Hochstand dokumentie- gangs dargelegt, mit der Gründung des ren. Damals „floss“ das Eis noch über Alpenvereins ungeahnten Aufschwung. die Schwelle beim „Taubenriedl“ zum Durch die Arbeiten Friedrich Simonys Becken des heutigen „Unteren Eis-Sees“ war das Dachsteingebirge bekannt ge- und füllte dieses völlig aus. 1877, im Er- worden, vorerst speziell die Nordseite. öffnungsjahr der Simonyhütte, war der Der „Fast-Dreitausender“ lockte nach Rückzug des Gletschers schon deutlich Eröffnung der Simonyhütte am Glet- festzustellen, 1914, im Jahr der Dach-

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Hbl 3_4 14.indd 181 28.11.14 09:22 steinkapellenweihe, war der Rand in be- was zur vorübergehend vollständigen reits noch größere Entfernung gerückt. Abschmelzung geführt haben dürfte. Simonys Steinmarken von 1883 sind stumme Zeugen dieses Prozesses. Quellen Archiv katholisches Pfarramt Hallstatt Inzwischen hat der Gletscher (ver- Ischler Heimatverein: Bad Ischl – Heimatbuch 2004, glichen mit dem Stand von 1855) mehr Verlag Rudolf Wimmer, Bad Ischl Lehr Rudolf: Landeschronik Oberösterreich, Brand- als 40 Prozent an Fläche und die mittlere stätter Verlag, Wien, 2012 Gletscherzunge rund zwei Kilometer an NN: Dachsteinkapelle (Priesterbuch), 1914–2013 Länge eingebüßt. 2013 war das Ende der NN: Spendenbuch Dachsteinkapelle (Chronik, mittleren Gletscherzunge 1.470 m vom handschriftlich) mit Kommentaren von J. Weidinger südöstlichen Hüttenkogel der Simony- Savel Alexander: Gedenkstätte für verunglückte Bergsteiger, Traunspiegel, September 2014 hütte entfernt (GPS-Messung Wiro- Schrenk Christhard (Hg.): Das Heilbronner Dach- bal). Im September 2003 hatte der Wert steinunglück 1954, Stadtarchiv Heilbronn, 2004 noch 1.220 m betragen. Innerhalb von Urstöger Hans Jörgen: Hallstattchronik, Musealver- zehn Jahren zog sich die mittlere Glet- ein Hallstatt, 2000 scherzunge also um 250 Meter zurück, Weidinger Johann: Die Pfarrer der katholischen Ge- meinde Hallstatt im 20. Jahrhundert, Linz/Hallstatt, das sind im Schnitt 25 m pro Jahr. Der 1998, Dokumentation, unveröffentlicht Schwund setzt sich, wie auch die lau- Wirobal Karl: Hallstätter Gletscher – Gletscherstand fende, vorzügliche Dokumentationstä- 2003, Gemeinde Journal Hallstatt, Dezember 2003 tigkeit des Alpenvereins belegt, unauf- Wirobal Karl: Dachsteinerschließung – Hallstatt war dabei, erschienen in: 125 Jahre Sektion Hallstatt, haltsam fort. Musealverein Hallstatt, 2011.

Diese Entwicklung ist allerdings kei- Dank neswegs außergewöhnlich. Seit Ende Für wertvolle Hinweise und Bilder dankt der Ver- der letzten Eiszeit (vor rund 12.000 Jah- fasser: ren) gab es zumindest einmal (mög- Walter Bastl/Haus i. E., Johanna Kepplinger/Hall- licherweise zweimal) gar keine Dach- statt, Reinhard Kerschbaumer/Hallstatt, Andreas steingletscher. Untersuchungen zur Neugebauer/Bad Goisern, kath. Pfarramt/Hallstatt, Kurt Pilz/Hallstatt, August Stögner/Hallstatt, Jo- Klimaentwicklung lassen auf eine mehr- hann Unterberger/Hallstatt. Ein besonderer Dank malige Erhöhung der Durchschnittstem- gilt Hans Jörgen Urstöger/Hallstatt für die Hilfe bei peratur um bis zu zwei Grad schließen, der Bildbearbeitung.

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Hbl 3_4 14.indd 182 28.11.14 09:22 Eine Jugend im Barackenlager Haid* Von Petra Strobl

… Wir … haben gelacht und manchen Unsinn und dennoch schöne“ Zeit für ihr wei- gemacht! teres Leben gewinnen sollte: Als Buch- So haben wir die Jahre gelebt – manchmal recht autorin,3 Mitorganisatorin der „Haider und schlecht – und Freundschaften geschlossen, die man nicht missen möcht’; so manch verliebtes Pärchen spazierte am Damm der Autobahn, * Redaktionell adaptiert. andere sind mit dem Fahrrad durchs Land 1 65 Kilometer südwestlich von Belgrad am Rand gefahr’n. der pannonischen Tiefebene gelegen. (Flucht- Wir haben uns in der Jugendgruppe oder beim gefährt der Familie war ein Traktor). Siehe: Carl Sport gefunden, Bischof d. J., ‚Die Geschichte der Marktgemeinde Ruma‘. In: Donauschwäbische Beiträge, 25. 1958, im Nachhinein betrachtet – es waren schöne Pannonia Verlag, Freilassing. 1983 wurde der Hei- Stunden. mat- und Trachtenverein Ruma in Traun gegrün- Nur ein paar Jahre unseres Lebens dauerte diese det, der aus der ‚Trachtengruppe RUMA 1746‘ Zeit, hervorging. 2 doch daran denken, das tun wir noch heut’, Entstanden aus dem 1941 im heutigen Ansfel- dener Stadtteil Haid geschaffenen Kriegsgefan- und viele, die ausgewandert sind, vermissen genenlager, wo in 160 Unterkünften bis zu 6.000 diese Zeit in Haid. Internierte lebten. 1945/46 wurde das Lager, in da- Die Jugendzeit war es, das ist ganz klar, mals desolatem Zustand und offiziell nunmehr als wir waren zwar arm, trotzdem war’s wunder- ‚Wohnsiedlung 121 Haid‘ geführt, zur Bleibestätte für Displaced Persons (= D. P.), zivile Flüchtlinge, bar … die aufgrund der Kriegswirren ohne festen Wohn- sitz waren. Die letzte der insgesamt rund hundert Wohnbaracken (sie waren jeweils 270 Quadrat- Als Kind einer volksdeutschen meter groß und bestanden meist nur aus einem Flüchtlingsfamilie aus der serbischen Raum) riss man erst 1964 ab. Siehe u. a.: Alexan- 1 dra Kreissberger: Provisorische Heimat. Die D. P. Kleinstadt Ruma Ende Oktober 1944 Siedlung 121 Haid zwischen 1946 und 1964, unv. unter abenteuerlichen Umständen über Diplomarbeit, Salzburg 1995. Ungarn nach Oberösterreich gelangt und 3 Maria Weiss, D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis dann zehn Jahre auf einem Bauernhof 1961. Historisch biographische Fotodokumen- bei Ansfelden einquartiert, übersiedelte tation, Stadtamt Ansfelden 2007. Mit der Ernen- nung zur Konsulentin für allgemeine Kulturpflege sie Mitte 1954 ins Barackenlager Haid (2009) und der Verleihung der Ansfeldener Kul- 121,2 wo sie in engster Gemeinschaft mit turehrennadel in Gold (2010) erfuhr das einschlä- Alters- und Schicksalsgenossen aus halb gige Engagement von Maria Weiss mittlerweile Europa die Jugend verbrachte. Aus obi- auch verdiente öffentliche Anerkennung. Auf eine 25jährige Tätigkeit als Religions- und Deutschleh- gen, 2009 gereimten Zeilen spricht ne- rerin („mein Traumberuf“!) an der Hauptschule 1/ ben anrührender Reminiszenz der nach- Haid zurückblickend, lebt sie nach wie vor in Ans- haltige Stellenwert, den diese „schwere felden.

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Hbl 3_4 14.indd 183 28.11.14 09:22 Woran denken Sie zuerst, wenn Sie sich an Ihre Jahre als Mädchen und junge Frau im Lager erinnern? Im Geist sehe ich die vielen Blumen vor den Baracken … Für sich genom- men wirkten die Holzhäuser dunkel und nüchtern, doch dieser Eindruck wurde aufgefangen durch freundliches Grün, schattige Bäume, Bohnenranken und Blütenpracht, eingerahmt von weiß ge- tünchten Steinen. Der bunte Anblick, den Fleiß und die lebensbejahende Hal- tung der Bewohner bekundend, stand für mich auch als Symbol für die wun- derbare Gemeinschaft, die ich hier erfah- ren durfte.

Im Lager 121 wohnten Sie auf engstem Raum mit vielen deutschsprachigen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft. Was war für diese Das Bewahren „gemeinsamer Geschichte“ war Menschen bezeichnend? und ist ihr Anliegen und Auftrag: Maria Weiss (* 1939). Foto: Merle, 2014 Die Siedlung beherbergte Heimat- vertriebene5 aus Polen, Osteuropa und

4 Treffen“ sowie Vorstandsmitglied der 4 Jeweils mehrtägige Zusammenkünfte der eins- Rumaer Heimatortsgemeinschaft Stutt- tigen Lagerjugend. Siehe z. B.: Festschrift Haid gart ist der inzwischen 75jährigen Maria 1999, Wir seh’n uns wieder. 13.–15. August, S. 1: Weiss die Dokumentation jener Schick- „Einige sind zum ersten Mal nach vielen Jahrzehn- salsjahre und die Erinnerungsarbeit zum ten nach Haid gekommen, andere waren schon öf- ter dabei. Manche freundschaftliche Beziehungen Thema „Flucht und Vertreibung“ bis bestehen über die Jahre und Grenzen hinweg, und heute vorrangiger persönlicher Auftrag. wenn wir uns dann in Haid wiedersehen, kann man öfter Tränen der Freude sehen, Gerührtheit Das folgende Interview vergegen- und ein Gefühl des Zusammengehörens erleben.“ 5 wärtigt anschaulich Alltag und Lebens- Offizielle Bezeichnung für deutsche Staatsan- gehörige bzw. Menschen deutscher Volkszuge- verhältnisse im Haider Lager, das Ma- hörigkeit, die am Ende des Zweiten Weltkriegs ria, ihrer Schwester und ihren Eltern bis ihre Heimat in den deutschen Ostgebieten oder 1960 eine zweite, neue Heimat gewesen im ehemaligen Österreich-Ungarn verlassen war, zugleich vermittelt es als individuel- mussten. Die meisten von ihnen fanden im neuen Deutschland und in Österreich Zuflucht. Vgl.: les Zeitzeugnis Streiflichter einer spezi- Mathias Beer: Flucht und Vertreibung der Deut- fischen Jugendkultur im Oberösterreich schen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. C. H. der Nachkriegsjahre. Beck, München 2011.

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Hbl 3_4 14.indd 184 28.11.14 09:22 Wie war das Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung? Das Verhältnis der Lagerjugend zur einheimischen war ebenfalls ausgespro- chen gut, manche der damals geknüpf- ten Freundschaften sind ungebrochen aufrecht. Einer meiner Haider Jugend- freunde, Gottfried Bergsmann (*1937), illustrierte das wie folgt:9 Die Sandmayrwiese zwischen dem Lager und der Traunuferstraße war unser allererster Fußballplatz. Gespielt wurde mit Fetzenbällen … Nicht jeder hatte damals Schuhe, da zogen die Kinder, die Schuhe hatten, diese aus, um den anderen nicht wehzutun, und so spielten alle ein- fach barfuß … Gefördert wurde die Integration zwischen den Kindern auch von den Erwach- senen; die Väter machten z. B. die Fetzenbälle, schnitzten Tischtennisschläger und halfen da oder dort mit kleinen Handgriffen aus.

Nachdem die Lagerbewohner ihre Baracken Freundliches Grün vor Tür und Fenster … und die Umgebung möglichst wohnlich gestaltet hatten, fingen sie an, Feste zu feiern und

aus dem europäischen Südosten. Bar- rieren welcher Art auch immer gab es 6 „Die Jugend durchbrach die Schranken der Tren- zwischen den durchwegs in Gruppen nung zuerst. Bereits im Herbst 1947 konnte eine organisierten jugendlichen Flüchtlingen Jugendgruppe gegründet werden. Vier schulent- nicht. Konfessionell relativ stark ge- lassene Mädchen schauten wehmütig den Schü- lern zu, als diese im September in die Schule ge- prägt, pflegten sie untereinander einen hen durften. ‚Die wissen, was sie tun sollen. Aber regen und sehr toleranten Umgang … wir?‘, war ihre traurige Feststellung. Als Pfarrer Wagner sie so … stehen sah, sprach er sie an … Pfarrer Paul Wagner6 und Kaplan Dies war der Anfang einer umfangreichen Ju- Johann Krewenka,7 beide selbst Lager- gendarbeit, die vielen jungen Leuten eine Stütze in den Jahren der Gefährdung war. Als diese vier bewohner, betreuten die katholische Ju- jungen Mädchen an einem Jugendkurs in Klaus gend, Dr. Margarete Hoffer8 kümmerte teilnahmen, war die Brücke zur österreichischen sich um die evangelische. Den Konfes- Jugend geschlagen. So wurde der Grundstein zur sionen standen zwar getrennte Räum- Katholischen Arbeiterjugend gelegt“. Siehe: Hei- matbuch Haid, S. 16. lichkeiten zur Verfügung, der zwischen- 7 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 60. menschliche Kontakt funktionierte aber 8 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 69. wie gesagt überall reibungslos. 9 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 49.

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Hbl 3_4 14.indd 185 28.11.14 09:22 Das Barackenlager Haid in Wintertagen 1950.

Die Lagerkirche mit getrennten Gottesdiensträumen für Katholiken (linker) und Evangelische (rechter Ba- rackenteil).

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Hbl 3_4 14.indd 186 28.11.14 09:22 intensivierten das soziale Leben.10 Wo hatte die (Den Tischtennisverein ‚DSG Union Jugend Raum für Zusammenkünfte? Haid’ unter langjähriger Leitung von Walter Becker gibt es noch immer).13 Als allgemeiner Treff hoch frequen- tiert war das Kaufhaus von Max Holly – mit Kino, Kantine und Tanzsaal samt In Ihrer historisch-biographischen Musikbox in einer z. T. gemauerten, stei- Fotodokumentation finden sich zahlreiche nernen Großbaracke untergebracht. Je- Motive von diversen Festivitäten, die über den Samstag und Sonntag liefen Filme, das Jahr verteilt im Lager stattfanden. Welche getanzt wurde freitags und samstags. waren vor allem für Jugendliche attraktiv? Für große Ballveranstaltungen räumte Da waren unter anderem vier bes- man den Kinosaal aus und dekorierte tens besuchte Faschingsbälle: der KAJ- die Wände ideenreich mit Bildern, Gir- Ball mit Fächerpolonaise, der freitags landen etc. stattfinden musste, um die Leute nicht Ein weiteres, wichtiges Begegnungs- vom sonntäglichen Kirchgang abzuhal- zentrum war das Heim der katholischen ten, sodann der Sportlerball, der Mu- Jugend, eine 1953 in Eigenregie errich- sikerball und der Weißkirchner Ball, tete Holzbaracke mit angeschlossenem wobei man für letzteren – als Hommage Veranstaltungssaal aus Ziegeln. Man an Weißkirchen,14 die serbische Blumen- hatte da u. a. ausgiebig Gelegenheit zum stadt an der Nera – den Saal stets beson- Tischtennis oder zu Brettspielen wie ders herrichtete. ‚Halma’ und ‚Mensch ärgere dich nicht’, Die vielleicht beliebteste Veranstal- im Saal gab’s Theatervorstellungen und tung war das Kirchweihfest; jeweils am Tanzabende.

Welche Vereine und Gruppen waren besonders 10 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 38–47. anziehend für junge Leute? 11 Josef Mayr, Hans Riedler und Helmut Wagner (Hg.), … mehr wert als alles Gold der Erde. An- Neben den christlichen Organisati- fänge und Entwicklung der Katholischen Arbei- onen hatten Sportvereine und Musik- ter- und Arbeiterinnenjugend in der Diözese Linz, gruppen, darunter ein Jugendorchester, Linz 2012, S. 12 ff. ein Chor und ein Mandolinen-Ensem- 12 „Zu Tausenden kommen die Burschen und Mäd- chen heute mit den Sonderzügen und Autobus- ble, lebhaften Zulauf. Als Angehörige sen heran aus den entlegensten Winkeln, zwei 11 der Katholischen Arbeiterjugend (KAJ) Stunden wird der Aufmarsch dauern durch die besuchte ich regelmäßig und mit viel Landstraße zum Hauptplatz, der dann zum gro- Freude unsere Heimstunden. Im Juni ßen Dom gelangt beim festlichen Gottesdienst. 1955 nahm ich mit meiner Gruppe stolz Jugend, mit euch kommt der Frühling, die Freude, das Leben“. Siehe: Linzer Kirchenblatt, Wochen- am Landesjugendtag „Wir in dieser schrift für die Katholiken des Bistums Linz, 11. Zeit“12 in Linz teil; bei diesem Großer- Jahrgang, Folge 23, 5. Juni 1955. eignis war das Lager Haid mit insgesamt 13 D. P. Siedlung 121 Haid, 1941 bis 1961, S. 151–152. mehr als zweihundert Vertretern prä- 14 Nahe der Grenze zu Rumänien (serbisch: Bela Crkva). Siehe: Toni Maschek, Weißkirchen, die sent. Blumenstadt am Nerastrand – Erinnerungen an Sportbegeisterte trafen sich im Turn- Weißkirchen. Salzburg: Verein Weißkirchner saal hinter der evangelischen Kirche. Ortsgemeinschaft, 1983.

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Hbl 3_4 14.indd 187 28.11.14 09:22 Ballgesellschaft.

15. August wurden auf dem Sportplatz streben einer Gruppe von jungen Burschen und Kirchweihbaum und Bühne aufgestellt, Mädchen, altes [eigenes] Kulturgut zu ret- zur Eröffnung führten dort zwölf bis ten, führt unter der Leitung des Heimatdichters fünfzehn Banater Trachtenpaare nach Hans Wolfram Hockl aus Lenauheim, [rumä- gemeinsamem Zug durchs Lager extra nischer] Banat, zur Tat. Mit einem Festgottes- einstudierte Tänze vor. Die Mädchen dienst eingeleitet, gerahmt von Kirchweihpaaren und Frauen trugen Samtrock, Seiden- (‚Kerweihbuwe‘ und ‚Kerweihmädel‘) mit dem schürze, eine weiße Bluse sowie weiße, Kirchweihstrauß aus Rosmarin als Symbol der selbstgestrickte Stutzen, die Burschen Erde und des Lebens, einem Kirchweihbaum auf und Männer schwarze Hosen, weiße selbst gebasteltem Podium, mit Volkstanz und Hemden, ein schwarzes Leibchen mit Volksliedern wird die erste ‚Haider Kerweih‘ Silberknöpfen und einen, am Vorabend zu einem volkstümlichen Höhepunkt im Lager von der Tanzpartnerin u. a. mit Bändern Haid. geschmückten, Hut. Dazu eine Passage aus meinem Buch:15 Am 4. September 1948 wird das ‚Haider Kirchweihfest‘ zum ersten Mal gefeiert. Das Be- 15 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 93.

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Hbl 3_4 14.indd 188 28.11.14 09:22 In Ihrem Buch berichten Sie ausführlich Aktivitäten aber sehr aufgeschlossen ge- über die Lagerschule, wobei Sie auf den bunt genüberstanden. zusammen gewürfelten Lehrkörper und dessen Vielfach orientierte sich unser Frei- Improvisationstalent hinweisen. Wie war die zeitverhalten auch an Terminen und An- Ausbildungsqualität Ihrer Meinung nach? lässen im kirchlichen Jahreskreis; nicht wenige Jugendliche kamen etwa zu den Dank Lagerschuldirektor Dr. Trau- Maiandachten oder zum abendlichen gott Schwab aus Siebenbürgen und Gebet im Rosenkranzmonat Oktober. einiger engagierter Kollegen ausge- zeichnet!16 Da an der Hauptschule eine Wie stand es um die Mobilität? Zeitlang auch Gymnasiallehrer unter- richteten, konnte sich das erreichte Ni- Für die Mehrheit war der Draht- veau mit dem allgemeinen im Schnitt esel lange das einzige individuelle Ver- durchaus messen. Ich würde sogar sa- kehrsmittel, der Besitz eines Fahrrads gen, dass die Flüchtlingskinder in ein- der Inbegriff von Mobilität. Die „Mai- zelnen Gegenständen die Nase vorn käfer“, eine Gruppe junger männlicher hatten. Wie viel mir beispielsweise im Lagerbewohner, bewältigten oft weite Fach Deutsch beigebracht worden war, Strecken und radelten an Wochenenden das merkte ich später u. a. im Rahmen bis ins Salzkammergut hinein, z. B. an meiner Ausbildung zur Religionspäda- den Offensee. Nur vereinzelt sah man gogin. Jugendliche auf Motorrädern oder Rol- Ernüchternd war für mich freilich, lern; Autos wurden, nach und nach, erst dass die weiblichen Lagerschulabsolven- Ende der 1950er Jahre angeschafft. ten meist als ungelernte Kräfte in den Fa- briken der Umgebung arbeiteten, wäh- rend die Burschen für gewöhnlich eine Welchen Einfluss hatten die Idole der Kultur- Lehre beginnen konnten. Nach Auffas- und Filmszene der Fünfzigerjahre auf die sung der Eltern war bei den „ohnehin Barackenjugend? für Haushalt und Familie bestimmten“ Schlagersänger wie Conny Fro boess Mädchen eine weiterführende Berufs- oder Peter Kraus und Schauspieler wie ausbildung unnötig. Horst Buchholz oder James Dean zo- gen auch uns in ihren Bann! Man trug Wie viel Freizeit hatten die Jugendlichen, und Bubikopf oder Hochsteckfrisuren, die wie verbrachten sie diese bevorzugt? Burschen verwendeten Pomade für den sogenannten „Schlurf“. Die zeit- Die Wochentage waren beruflich aus- gemäßen Glockenröcke aus Taft und gefüllt, sodass wir uns selten vor 19 Uhr die mit Strass besetzten Kleider nähten trafen. Abend für Abend ging’s dann, sich viele Mädchen selbst; sie erlernten bis ca. 22 Uhr, ins Jugendheim. Dieser dies in Näh- und Zuschneidkursen mit intensive Austausch und die Schicksals- anschließenden Modeschauen, bei de- gemeinschaft im Lager schweißten uns zusammen, wir fühlten uns frei und un- abhängig von den Eltern, die unseren 16 D. P. Siedlung 121 Haid. 1941 bis 1961, S. 77 ff.

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Hbl 3_4 14.indd 189 28.11.14 09:22 Für die allermeisten unentbehrlich: der Drahtesel.

nen sie ihre Modelle live vor Publikum Welche technischen Neuerungen waren präsentieren konnten. Insbesondere an besonders gefragt? Sonntagnachmittagen gehörten heraus- geputzt flanierende Teenager zum Bild Abgesehen vom Radio, über das der Lagerstraßen. schon viele verfügten, waren Elektroge- räte als Nonplusultra häuslicher Moder- Auf Wunsch der Eltern vorüberge- nität rar und begehrt. Seit ca. 1955 stand hend (1954 bis 1958) in der Trauner Bril- im Pfarrhof ein Fernsehapparat, zu dem lenfirma Anger als Hilfskraft tätig, kaufte speziell am Wochenende alles drängte. ich mir als modebewusstes Mädel von Programmhighlights wie ‚Jede Sekunde meinem ersten Verdienst eine schwarze ein Schilling’ von Lou van Burg wollte Hose mit Seitenschlitz und marschierte keiner verpassen.17 darin am Allerheiligentag mutig vom Frisch verheiratet, bekam ich Ende Kirchenplatz Haid zum Friedhof Ansfel- der 50er Jahre meine erste, noch recht den. Dabei fühlte ich mich fast als „Re- bellin“, denn das Tragen von Hosen war für Mädchen und Frauen noch unüblich. 17 Siehe: Michael Reufsteck und Stefan Niggemeier, Das Fernsehlexikon. Alles über 7000 Sendungen Auch Nylonblusen waren noch verpönt; von Ally McBeal bis zur ZDF Hitparade, Berlin ein weibliches Mitglied der KAJ wurde 2005; Jede Sekunde ein Schilling (1959–1961, deshalb sogar ausgeschlossen. ARD).

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Hbl 3_4 14.indd 190 28.11.14 09:22 langsam und schwerfällig arbeitende, alten Heimat wurde fast nie gespro- Waschmaschine. Für mich und die Fa- chen, erst Jahre später erzählten Jugend- milie war das eine kleine Sensation, die freunde bei „Haider Treffen“ von ihren Skepsis meiner Mutter bei der ersten Fluchterlebnissen, die teilweise äußerst Inbetriebnahme steht mir allerdings un- traumatisch waren. auslöschlich vor Augen … Als ich 1973 zusammen mit meinem Mann und Pfarrer Wagner das erste derartige Treffen organisierte, waren Wie und worüber kommunizierte man wir überwältigt von den positiven und hauptsächlich? Waren Flucht und Vertreibung oft sehr emotionalen Reaktionen. Die ein Gesprächsthema? Kommunikation unter den einstigen Bewohnern ist niemals abgerissen, die Kommunikation und Verständigung gemeinsame Geschichte das Band, das (ein privates Telefon hatte im Lager so unser Leben verbindet. gut wie niemand) erfolgten vorwiegend direkt auf mündlicher Ebene. Über die Abbildungen: Fotomaterial von Ma- Vergangenheit und die Flucht aus der ria Weiss.

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Hbl 3_4 14.indd 191 28.11.14 09:22 Hbl 3_4 14.indd 192 28.11.14 09:22 Bruckner auf dem Weg zu sich selbst in Linz Neuer Farbfaksimile-Band erschienen

Die Reproduktion von „Kitzler-Stu- 1862), „Drei Orchesterstücke“ (beendet: dienbuch. Anton Bruckners Studien in Mitte November 1862), „Studiensym- Harmonie- und Instrumentationslehre phonie“ f-moll (beendet: 26. Mai 1863). bei Otto Kitzler (1861–63)“ dokumen- Verhältnismäßig schnell folgte vom tiert erstmals und umfassend die wei- „freien“ Bruckner die bereits eigenstän- terführenden Studien, welche Bruckner dige Symphonie Nr. 1, c-moll (entstan- als Linzer Domorganist bei Otto Kitzler, den: Jänner 1865–14. April 1866). Und dem „Ersten Kapellmeister“ des Linzer damit begann Bruckners Aufstieg zu Theaters, sehr erfolgreich zurückgelegt einem der bedeutendsten Symphoniker hat. Diese Unterweisung lieferte Bruck- der Musikgeschichte. ner die entscheidende Basis für seinen späteren „Beruf als Symphoniker“. Maßgeblich für die kurze Dauer der Unterweisungen bei Kitzler könnte man Bruckner hatte damals bereits mit neben dem Fleiß des Studierenden auch bestem Erfolg in Wien die umfassenden das Ende von Kitzlers Engagement am Kontrapunkt-Studien beim berühmten Linzer Theater um Ostern 1863 herum Simon Sechter in den Jahren 1858 bis ansehen. Kitzler blieb noch einige Zeit 1861 absolviert und bald danach Kitzler in Linz und fand sein nächstes Engage- auf dem Orgelchor der Linzer Domkir- ment am Theater in Temeswar (heute che (jetzt Alter Dom) als mitwirkenden Timisvara). Der recht freundschaftliche Cellisten kennengelernt. Der Unterricht Kontakt zwischen den beiden blieb bis bei dem erfahrenen, um 10 Jahre jünge- zu Bruckners Tod im Jahr 1896 aufrecht. ren Dirigenten lieferte das grundlegende „Handwerk“ in Form von Komposi- Der Farbfaksimile-Band der voll- tionsunterricht sowie in Instrumenta- ständigen Studien-Handschrift – jetzt tions- und Formenlehre; er dauerte von in einem Band zusammengefasst – steht Dezember 1861 bis Sommer 1863 und damit voll und ganz im Zusammenhang vermittelte ein umfangreiches Wissen, mit Linz. Er umfasst 326 Notenseiten in zu dessen Erwerb man üblicherweise der originalen Handschrift und 20 Seiten zwei Jahre ansetzte. Der erfolgreiche Ab- Text, ist der Wissenschaft seit Längerem schluss („Freisprechung“) wurde am 10. bekannt, wurde zum Teil bereits für die Juli 1863 in dem Leondinger Ausflugs- Bruckner-Gesamtausgabe ausgewertet gasthaus „Jäger im Kürnberg“ gemein- und vor Kurzem von der Österreichi- sam entsprechend gefeiert. Unter der schen Nationalbibliothek aus Privatbe- Aufsicht des „Lehrers“ Kitzler hat der sitz erworben. Erschienen bei: Musik- „Schüler“ Bruckner eine Reihe von Kom- wissenschaftlicher Verlag Wien. positionen geschrieben. Beispielsweise: „Streichquartett“ (beendet: 7. August Franz Zamazal

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Hbl 3_4 14.indd 193 28.11.14 09:22 Hbl 3_4 14.indd 194 28.11.14 09:22 Buchbesprechungen

Friedrich Buchmayr, Ein Ort von Welt. 13 euro- nell, exklusiv, bisweilen überraschend – mit einem päische Reisende erleben das Stift St. Florian. Verlag Wort: absolut empfehlenswert! Schnell & Steiner GmbH. Regensburg, 2014, 197 Seiten, C.G. EUR 24,95. ISBN 978-3-7954-2906-5. Spiritualität, Glaube und Kultur haben in St. Florian seit Epochen einen gemeinsamen Schnitt- Elisabeth Schiffkorn: Geheimnisvolles Pesenbach- und Kristallisationspunkt, vom römerzeitlichen tal – Sagen, Kraftplätze, Heilquellen. Verlag Regional- Ursprung bis zur Symphonik Anton Bruckners, die Edition Linz, 60 Seiten, EUR 3,00. manchen wie das tönende Abbild der mächtigen ISBN 978-3-902226-25-9. Klosteranlage selbst erscheint. Als ragende Feste Die Äskulapnatter, noch heute Symbol der christlicher Frömmigkeit, Zeugnis barocker Bau- Mediziner, Apotheker und Pharmazeuten, gilt ge- pracht und Zentrum der Musen sowie der Wissen- wiss nicht zufällig als „Seelentier“ des Pesenbachtals, schaften war und ist das Augustiner-Chorherrenstift das mit seiner besonderen Flora und Fauna, seinen vor den südlichen Toren der oö. Landeshauptstadt Quellen, Wasserfällen oder Blockburgen einen weit unverändert Besuchermagnet und Reiseziel für zurückreichenden Ruf als Heilsbezirk und Kraftplatz Abertausende, speziell auch für Prominenz aus Kle- besitzt. Dem vorchristlich-kultischen Wurzelgrund rus, Politik, Kunst- und Geistesleben. jener Tradition nachspürend, legt Dr. Elisabeth In einer Kombination aus historischer Erzäh- Schiffkorn dar, dass Menschen bereits seit der Be- lung und Originaltexten folgt Klosterbibliothekar siedelung des Donautales, mit Einsetzen der Han- Dr. Friedrich Buchmayr den Spuren der Stiftsauf- delstätigkeit zwischen Donau und Moldau, hier im- enthalte von 13 durchwegs profilierten Persönlich- mer wieder Genesung gesucht und gefunden haben. keiten, unter ihnen Kaiser Maximilian I., Papst Pius Kommentierte Beispiele aus der lokalen Sagenwelt VI., die mondäne Wiener Romanautorin Caroline („Die Bruno-Quelle“, „Die Julius-Quelle“, „Dr. Faus- Pichler, die rebellische Publizistin Helmina von tus“/Landshaag, „Die Hexe von Ruprechting“, „Die Chezy und der im 19. Jh. überaus populäre Unter- Teufelsbottiche im Pesenbachtal“, „Ritter Mangold“, haltungsschriftsteller Ignaz Franz Castelli, dessen „Die Tanzstatt“ u. a.) bilden den Hauptinhalt dieser Memoiren noch immer eine wichtige Quelle zur ös- kleinen, gut illustrierten Broschüre zur Faszination terreichischen Kulturgeschichte der ersten Hälfte des des Naturraums zwischen den Kneippkurorten 19. Jh. abgeben. Den Bogen beschließen – im 20. Jh. – Feldkirchen und Bad Mühllacken, der damit neu der eigenwillige, als Pionier der Langsamkeit legen- und ansprechend ins Blickfeld rückt. där gewordene englische Reiseschriftsteller Patrick Leigh Fermor und dessen italienischer Zunftkollege Claudio Magris, dem der Anblick des expressiven Christiane Maria Hornbacher: Joseph Kronsteiner. Altdorfer Altars in den 1980-er Jahren das Resümee Kirchenmusiker zwischen Tradition und Reform „Altdorfer lässt Mauthausen begreiflich werden“ (Musikwissenschaftliche Beiträge der Schlägler Musikse- entlockte. Sorgsam ausgewertet und mit gewand- minare Bd. 9). Hg. von Rupert Gottfried Frieberger. Fabian ter Feder verarbeitet, enthüllt der Mix aus Zeitzeu- Edition, Steinbach an der Steyr 2014, 160 Seiten, zahlreiche genberichten und Archivmaterial auch Bizarres und Abbildungen. ISBN 978-3-90-2773-36-4 Kurioses. So erfährt man u. a. vom „unmoralischen Der 1910 in Losenstein geborene Uhrmacher- Angebot“ eines durchreisenden Zisterziensers an sohn Joseph Kronsteiner hat als Linzer Domorganist die um 1230 in St. Florian geborene Mystikerin und und somit indirekter Nachfolger Anton Bruckners Klausnerin Wilbirg/Wilburgis oder macht Bekannt- nicht nur das Linzer Musikleben entscheidend mit- schaft mit der magischen Erscheinung des Starorga- geprägt, sondern auch in Oberösterreich selbst und nisten Georg Joseph Vogler, der 1805 den damali- darüber hinaus Großartiges geleistet und bewirkt. gen Stiftsorganisten zu einem frühmorgendlichen Er war angesehener Organist, Komponist und Mu- „Nacktkonzert“ in der Klosterbasilika inspiriert ha- sikpädagoge, beschäftigte sich aber auch als Musik- ben soll. schriftsteller – u. a. veröffentlichte er Abhandlungen Insgesamt das eindrucksvolle Mosaik einer über Bruckner. Als Dozent am Linzer Priestersemi- spannenden, nicht selten amüsanten Reise durch die nar und als Professor für Kirchenmusik am dama- Stiftsgeschichte St. Florians. Aufschlussreich, origi- ligen Bruckner-Konservatorium beeinflusste er den

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Hbl 3_4 14.indd 195 28.11.14 09:22 Werdegang vieler Studenten. Sein umfangreiches werk, Anton Bruckner Institut Linz 2011. 212 Seiten mit Werkverzeichnis beinhaltet einfache Lieder genauso Faksimile und Fotos. ISBN: 978-3-901479-76-2 wie großangelegte Messen und Oratorien. Streifzüge III. Beiträge zur oberösterreichischen Mit Kronsteiners Leben und Wirken beschäf- Musikgeschichte. Oberösterreichische Schriften tigt sich auch die hier besprochene Studie Christiane zur Volksmusik. Band 14. Herausgegeben vom Oberös- Maria Hornbachers, die ursprünglich als Diplomar- terreichischen Volksliedwerk und dem Anton Bruckner Insti- beit an der Universität für Musik und darstellende tut Linz durch Klaus Petermayr und Andreas Lindner unter Kunst in Wien konzipiert war. In überarbeiteter und Mitarbeit von Sandra Föger und Barbara Schmidt. Linz: ergänzter Form liegt sie nun als Band neun der Reihe OÖ. Volksliedwerk, Anton Bruckner Institut Linz 2013. 312 Musikwissenschaftliche Beiträge der Schlägler Musiksemi- Seiten mit Faksimile und Fotos. ISBN: 978-3-901479-90-8 nare vor. Die gut strukturierte Arbeit bietet einleitend Die beiden vorliegenden Bände und auch der einen Überblick über die vielen Geschwister Joseph 2007 erschienene 1. Band sollen Stationen auf dem Kronsteiners, die nahezu alle musikalisch tätig wa- Weg zu einer Musikgeschichte Oberösterreichs sein, ren und von denen viele den geistlichen Stand wähl- so wie es bereits eine Salzburger Musikgeschichte, ten. Nach weiteren Kapiteln zu seiner Kindheit, Ju- eine Musikgeschichte Tirols und eine Wiens gibt. gend und Ausbildung beschäftigt sich die Autorin In Oberösterreich ist es allerdings noch ein weiter hauptsächlich mit Kronsteiner als Chorallehrer und Weg, bis dieses Ziel erreicht sein wird. Die insge- Domkapellmeister, wobei auch der Domchor unter samt 33 Beiträge, deren (durch ein Personen- und seiner Leitung berücksichtigt wird. Der musikalische ein Ortsregister aufgeschlüsselter) Inhalt geschicht- Choralltag – Repertoire, Konzerte und Reisen – wird lich als mehr oder minder bedeutsam angesehen dabei exemplarisch am Jahresprogramm 1973/74 werden kann, berühren die verschiedenen Bereiche dargestellt. des regionalen Musiklebens. Der zweite Teil der Arbeit ist dem Komponis- Die chronologische Folge beginnt mit der Pflege ten Kronsteiner gewidmet. Analytische Betrach- des Gregorianischen Chorals im Mittelalter. Martin tungen ausgewählter Messen geben Einblick in den Czernins Ausführungen hierzu lassen manch his- Schaffensprozess des 1988 verstorbenen Meisters. torisch oder kulturgeschichtlich wichtigen Zusam- Kronsteiners Oeuvre steht im Spannungsfeld zwi- menhang sowie die Einbeziehung neuerer Fachlite- schen Tradition und Reform. Während seiner na- ratur vermissen. Auch die Auswahl der angeführten hezu 60-jährigen musikalischen Tätigkeit entstan- musikalischen Quellen ist diskussionswürdig. Ale- den so Werke von bleibender Qualität, die es auch xander Rausch untersucht ein kürzlich in der Öster- heute nach wie vor verdienen, aufgeführt zu werden. reichischen Nationalbibliothek aufgefundenes Frag- Es ist ein besonderes Verdienst der Autorin, ment des 15. Jahrhunderts aus dem Stift Mondsee Kronsteiners Leben und Schaffen wissenschaftlich mit zweistimmigen Gesängen. Dazu bringt er in exakt aufgearbeitet zu haben. Sie liefert damit einen allgemein lesbarer Notation die Übertragung eines dankenswerten und wichtigen Beitrag zur Musik- Regina Coeli und zweier Credo-Vertonungen. geschichte Oberösterreichs im 20. Jahrhundert. Zu Eine in der musikhistorischen Forschung bisher danken ist aber auch Rupert Gottfried Frieberger, kaum herangezogene Textsorte sind die Weistümer. der es durch die Aufnahme dieser Studie in seine Andreas Lindner stellt solche, meist von Grundher- Publikationsreihe ermöglicht hat, nicht nur Fachin- ren erlassene, Rechtssatzungen aus 27 Orten Ober- teressierte, sondern auch einen größeren Leserkreis österreichs aus dem 16. und 17. Jh. vor. In diesen mit der beispielhaften Arbeit der Autorin zu kon- kommen die Situation der Musiker, die Pflege der frontieren. volkstümlichen Unterhaltungsmusik, die Tätigkei- Klaus Petermayr ten der Thurner und der fahrenden Musikanten und Spielleute zur Sprache. Zum barocken Musikleben, genauer zur bedeutenden Theaterpflege durch das Linzer Je- suitenkolleg, liefert Elisabeth Fritz-Hilscher eine Streifzüge II. Beiträge zur oberösterreichischen wertvolle Ergänzung nach einem – textlich wieder- Musikgeschichte. Oberösterreichische Schriften gegebenen – Reisebericht aus 1636. Zur Biographik zur Volksmusik. Band 11. Herausgegeben vom Oberös- des P. Romanus Weichlein (Lambach, 1652–1706) terreichischen Volksliedwerk und dem Anton Bruckner Insti- bringt Peter Deinhammer nach einem ersten Teil tut Linz durch Klaus Petermayr und Erich Wolfgang Partsch (in Streifzüge I) hier einen zweiten mit Briefen und unter Mitarbeit von Barbara Schmidt. Linz: OÖ. Volkslied- Dokumenten; neben einer detaillierten Erörterung

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Hbl 3_4 14.indd 196 28.11.14 09:22 bietet er deren vollen Wortlaut. Andreas Lindner Stifter, der malende Dichter und dichtende Maler, zeichnet die Spuren Giovanni Paisiellos, eines der verfügte ebenfalls über eine ausgeprägte musikali- bedeutendsten Opernkomponisten des ausgehen- sche Sensibilität. In seiner Studie zu Stifters Schrif- den 18. Jahrhunderts, in Oberösterreich nach. Dass ten spürt Theophil Antonicek u. a. auf, wie dort der in Wien von Josef II. zur Vertonung einer Oper Personen oder Situationen durch die Beschreibung Beauftragte auch bei uns geschätzt wurde, ist durch typischer Musikinstrumente bzw. Klangerscheinun- Aufführungen u. a. am landständischen Theater in gen charakterisiert werden. Linz sowie Abschriften in St. Florian, Reichersberg An einem brieflichen Austausch des Bruckner- und Kremsmünster beurkundet. Als Regens der Zeitgenossen Robert Führer (1807–1861) mit dem Ritterakademie des Stiftes Kremsmünster, erster Di- Innsbrucker Verleger Josef Anton Möst verdeutlicht rektor der Sternwarte und international anerkannter Franz Gratl die Persönlichkeit Führers zwischen Er- Astrologe, Autor sowie Komponist vertonte P. Placi- folg – seine Kirchenkompositionen erlangten sehr dus Fixlmillner (1721–1791) das Dialektspiel „Astro- weite Verbreitung –, Unbeständigkeit, Alkoholis- logus“, das zur Schulschlussfeier 1746 als komisches mus und Kriminalität. Friedrich Buchmayr, St. Flo- Zwischenspiel eines dreiaktigen Hauptstückes mit rianer Stiftsbibliothekar, präsentiert den Schriftver- Tanz- und Musikeinlagen aufgeführt wurde. Neben kehr (2 Briefe) zwischen dem Florianer Chorherren der Biografie des vielseitig Tätigen gibt Christian Johann Langthaler, der in seiner Rolle als Stiftshof- Neuhuber Einblicke in die Theaterpflege im Stift und meister Bruckner 1892 (Weihnachten) und 1894 (Os- einen ausführlichen Kommentar samt dem Volltext tern) zum Besuch ins Stift einlud. Zu Franz Seraph des Stücks. Sücka, den Bruckner in Windhaag für den Präparan- Die Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts ist mit denkurs vorzubereiten hatte, erhob Klaus Petermayr einer Fugensammlung des Vornbacher Organisten exakte biografische Daten. Mit der sozialen Situa- Georg Hamel vertreten; darin stieß Heinz-Walter tion des Lehrerstandes um die Mitte des 19. Jahrhun- Schmitz unter anderem auf Kompositionen von derts, v. a. den dürftigen Einkommensverhältnissen, Sebastian Engelbrecht aus Schärding. Welchem befasst sich Franz Zamazal. Zur engsten musikali- der beiden Kirchenmusiker, Vater (1762–1835) oder schen Umgebung Bruckners in Linz gehörte die Sohn (1802–1860), diese Werke zuzuschreiben sind, – von diesem 1860 bis 1868 mit Unterbrechungen lässt sich allerdings nicht entscheiden. als Chormeister geleitete – Liedertafel „Frohsinn“; Rita Steblin „entdeckt“ den vergessenen, aus deren Zusammenschluss mit 11 weiteren Gesangs- Michaelnbach gebürtigen Schubert-Freund Joseph vereinen (1862) zum Oberösterreichischen Sänger- Lanz (1797–1873), der in Salzburg tätig war und spä- bund führte wenige Jahre später zur Bildung des ter in Wien, wo er als „Klaviermeister“ bezeugt ist, Oberösterreichisch-Salzburgischen Sängerbundes. gemeinsam mit Franz Schubert bei Simon Sechter Sandra Föger hat diese Ereignisse genau dokumen- vorsprach. Aus den in der Wienbibliothek gefunde- tiert. Das erste gemeinsame Sängerbundtreffen nen autobiografischen Aufzeichnungen mit Werk- wurde 1865 mit insgesamt 35 teilnehmenden Verei- listen von Lanz’ Hand werden hier in einer Auswahl nen und mehrtägigem Programm zu einem großen Oberösterreichbezüge wiedergegeben und im De- Linzer Volksfest. tail kommentiert. Erich W. Partsch thematisiert das Engagement Zwei wissenschaftlich noch nicht erfasste, von Gustav Mahlers am Sommertheater des aufstreben- mehreren Schreibern des späten 18. bzw. frühen den Kurorts Bad Hall; die damals auch musikalisch 19. Jahrhunderts stammende Liederhefte mit Wer- noch sehr bescheidenen Verhältnisse vor Ort wollte ken von P. Maurus Lindemayr und dessen Bruder Mahler nur eine Saison lang ertragen. Hingegen er- Peter Gottlieb sowie deren Umfeld werden von fuhr Richard Wagner ab seinem Opern-Debüt am Christian Neuhuber präsentiert. Zur Volksmusik- landständischen Theater Linz 1863 sofort besondere pflege passen auch Johannes Leopold Mayers Ge- Verehrung. Andrea Harrandt verfolgt die Auffüh- danken zu Werken von Stifter, Eichendorff und Rai- rungen seiner Werke im genannten Theater sowie mund mit Anspielungen auf das Musikgeschehen in durch die Liedertafel „Frohsinn“ (sie verlieh ihm OÖ. [Ferdinand Raimund spricht von der Angst des 1869 die Ehrenmitgliedschaft) bis zu Wagners Le- Wiener Volkssängers Nachtigall vor der Konkur- bensende 1883. Franz Lehár fand in der Operetten- renz des „verkleideten Harfenisten von Linz“, denn stadt Bad Ischl sein Zuhause. Sandra Föger berichtet die „Linzer Tanz“, „Steyrische Tänze“ und dgl. waren anhand zahlreicher Belege aus der Lokalpresse über in Wien trotz des Reims „provinzlerisch-linzerisch“ dessen dortiges Wirken & Schaffen und bezieht längst auf gehörigen Widerhall gestoßen.] Adalbert auch die Personen aus Lehárs gesellschaftlichem

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Hbl 3_4 14.indd 197 28.11.14 09:22 Umkreis ein. Michael Jahn widmet sich dem aus tivierende“ Art ihrer Präsentation; die Instrumente Mattighofen stammenden Sänger Moritz Frauscher sind spielbar und können von Musikern bzw. Stu- (1859–1916), der mit großem Repertoire an Europas dierenden erprobt, von Instrumentenbauern ver- bedeutenden Opernhäusern, einige Zeit auch an der messen und von Musikwissenschaftlern für Studi- Wiener Hofoper, engagiert war bzw. auch als Gast enzwecke verwendet werden. Auftrittserfolge feierte. Karl Mitterschiffthaler (Redaktionell gekürzt) Die Musikkapelle des Bürgerkorps Freistadt hatte eine nur kurze Geschichte (1923–1938); Karl Affenzeller, Nachkomme eines seinerzeitigen Mit- Anton Bruckners Messen. Bericht über die Tagung gliedes, erläutert diese anhand umfangreichen Do- Wien, 29. und 30. April 2010. Herausgegeben von Eli- kumentationsmaterials. Als weitere volksmusika- sabeth Maier, Erich Wolfgang Partsch. Wiener Bruckner- lische Komponente stellt Bernhard Gamsjäger die Studien 5. Herausgegeben von Renate Grasberger, Gernot Innviertler Sänger-, Musik- und Humoristengesell- Gruber, Uwe Harten, Paul Hawkshaw, Elisabeth Mayer, schaften vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Erich Wolfgang Partsch. Österreichische Akademie der Braunau kommend, brachten sie neben humoris- Wissenschaften, Institut für kunst- und musikhistorische tischen Einlagen Volksmusik sowie aktuelle volks- Forschungen, Arbeitsstelle „Anton Bruckner“. Wien: Musik- tümliche Musik. Der Schuhplattler, ursprünglich wissenschaftlicher Verlag, 2013. 176 Seiten mit zahlreichen ein in Tirol, Oberbayern, Salzburg und Kärnten Notenbeispielen und Faksimile. ISBN 978-3-900270-97-1 verbreiteter Werbetanz, wurde zum Landler getanzt. Erstmals widmete sich eine Tagung ausschließ- Das dürfte die Ausbreitung in weitere Regionen ge- lich Bruckners Messtextvertonungen, die im Œuvre fördert haben. Alexander Jalkotzy geht mithilfe von des großen Symphonikers keineswegs an unterge- Reiseberichten aus dem ausgehenden 18. und frü- ordneter Stelle rangieren. Erich Wolfgang Partsch hen 19. Jahrhundert der Pflege und Entwicklung des spricht in seinem einleitenden Überblick von einem Landlers zum reinen Männertanz in Oberösterreich „nach wie vor aufrechten Desiderat an wissenschaft- nach. lichen Untersuchungen“. In zwölf fundierten Refe- Sandra Föger ist auch für die Biografie des jung raten war man angetreten, dieses zu beheben oder verstorbenen Komponisten und Musikers Wolf- zumindest neue Forschungsansätze darzulegen. In gang Rudolf Kubizek (1959–2008), Sohn Karl Maria erfreulicher und stimmiger Weise hat sich die Wie- Kubizeks, zu danken; neben seiner musikalischen ner Katholische Akademie gemeinsam mit der Kom- Ausbildung, späteren Tätigkeiten und wichtigen mission für Musikforschung der Österreichischen Werken kommt sein politisch-gesellschaftliches En- Akademie der Wissenschaften des Themas ange- gagement, als Teil eines bewegten und bewegenden nommen, stellt doch auch dieser Block in Bruckners Lebens, zur Sprache. Als weiteren zeitgenössischen Gesamtwerk ein bedeutendes Kulturgut nicht zu- Komponisten und Musiker stellt Michaela Schwarz- letzt der katholischen Kirche dar. bauer P. Balduin Sulzer (*1932) vor. Die Autorin Karl Rehberger und Rupert Klieber erörtern das kennt den Künstler seit ihrer Kindheit und hat sich kirchenhistorische Umfeld in Linz und Wien. Dazu mit dessen Schaffen mehrmals wissenschaftlich gehört auch die von Ernst Bruckmüller und Walter beschäftigt. In Ergänzung zu allgemein Bekanntem Sauer vermittelte Wirkungsgeschichte der Wiener beleuchtet sie Sulzers mittlerweile rund 50-jähriges Kirchenmusikvereine; in Oberösterreich, wo der Wirken am Stift Wilhering und – im Schatten ande- „Messdreizack“ (d, e, f-Moll) größtenteils entstand, rer Werke von seiner Hand stehende – kirchenmusi- boten die Kirchenmusikvereinigungen spezielle Be- kalische Kompositionen. dingungen und Möglichkeiten, die ebenfalls der Be- Hauptsächlich privates Engagement brachte sprechung bedurft hätten. unterdessen oberösterreichweit ein dichtes Netz an Das allernächste musikalische Umfeld Bruck- Musik- und Konzertfestivals hervor. Klaus Landa ners während dessen Wiener Zeit (1869–1896) un- konzentriert sich auf das Mühlviertel, das in diesem tersucht Theophil Antonicek anhand des Reper- Bereich eine noch recht junge Tradition vorzuweisen toires der Wiener Hofmusikkapelle. Schöpferische hat. Anregung fand der Meister daselbst nicht. Die Das Musikinstrumentenmuseum auf Schloss Hofmusikkapelle bewegte sich längst im „Fahrwas- Kremsegg bei Kremsmünster ist nicht erst seit heute ser“ der Routine mit äußerst wenigen Aufführungen als Museum besonderer Art bekannt. Siegfried Kri- von zeitgenössischen Werken, und auch diejenigen stöfl erläutert Entstehung, Ausbau und Stellenwert Bruckners waren ungeachtet oft positiver Presse- der Sammlungen sowie die lebendige, „besucherak- kritik dort nur selten zu hören. Das geistige Wiener

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Hbl 3_4 14.indd 198 28.11.14 09:22 Umfeld außerhalb des kirchlichen behandelt Hel- geschichtlichen Spuren der e-Moll-Messe folgt E. mut Loos. Er verweist auf das Musikverständnis der W. Partsch. Er zeigt, dass Bruckner damit nicht eine, Zeit und die Abwertung der Kirchenmusik durch wie zuweilen behauptet, archaisierende Stilkopie den aufgeklärten Liberalismus, dem Bruckner trotz von Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ anstrebte; seiner Aufgeschlossenheit den Wissenschaften ge- vielmehr wollte er der Monumentalität des erst genüber innerlich fernstand. So war es für manche 1924, genau genommen 1935, vollendeten Doms ein gewiss schwer verdaubar, dass Bruckner – als Ver- würdiges Klanggebäude gegenüberstellen, zugleich treter der neuen, absoluten Musik – auch und sogar aber seiner Distanz zur restriktiv rückwärtsgewand- seinen Symphonien den bekenntnishaften Zusatz ten Stilrichtung des „Cäcilianismus“ künstlerischen „O.A.M.D.G.“ (= Omnia Ad Maiorem Dei Glo- Ausdruck verleihen. Mit dem Spannungsverhältnis riam“) oder, im Fall der Neunten, „Dem lieben Gott zwischen dieser kirchenmusikalischen Reformbe- gewidmet“ beifügte. wegung des 19. Jh. und den Intentionen Bruckners Die drei großen Messen, äußerlich klar an die befasst sich Elisabeth Maier. Ihr Fazit: Auf einer Tradition der Wiener Klassik anknüpfend, ordnet tieferliegenden Ebene sind Bruckners Messen un- Thomas Dolezal einer dritten kirchenmusikalischen zweifelhaft nicht nur „kirchlich“, sondern entspre- Schaffensperiode (nach den Studien bei Simon chen durch ihre Dramatik und Eindringlichkeit dem Sechter und Otto Kitzler) zu. Von Konventionen liturgischen Text in exzeptionell gesteigerter Weise. und ‚Vorbildern‘ inzwischen weitgehend gelöst, Der häufig zitierte oder postulierte „symphoni- hatte Bruckner bereits mit der 1864 komponierten sche Charakter“ der drei großen Messen wird von d-Moll-Messe, also noch vor Eintritt in das freie Dieter Michael Backes im abschließenden Referat symphonische Schaffen, stilistisch zu völliger Au- beispielreich bestätigt. Bis hin zur Nr. 3 in f-Moll tonomie und seiner „ureigensten Auffassung von (1868) deckt der Forscher eine Reihe von Gestal- festlicher geistlicher Musik“ (S. 84) gefunden. Zur tungselementen auf, die in Bruckners Symphonien asketisch streng gehaltenen e-Moll-Messe für acht- vielfach wiederkehren und im Spätwerk zu stärkster stimmigen gemischten Chor und 15 Bläser (anläss- Ausprägung finden. Backes’ Resümee: Mit seiner lich der Einweihung der Votivkapelle des Linzer Ma- dahin kaum gekannten Ausdruckstiefe hat Anton riendoms 1869 unter freiem Himmel uraufgeführt) Bruckner den Höhepunkt innerhalb der Messkom- referiert Mario Aschauer, der u. a. auf Bruckners position des 19. Jahrhunderts erreicht. spätere Überarbeitungen eingeht. Den entstehungs- Karl Mitterschiffthaler (Redaktionell gekürzt)

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Hbl 3_4 14.indd 199 28.11.14 09:22 Hbl 3_4 14.indd 200 28.11.14 09:22 OÖ. HEIMATBLÄTTER 2014 HEFT 3/4

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