Unterwegs IM BERGELL

Südlich des Malojapasses warten die Bergeller Berge rund um die Capanna Albigna mit

einem der vielgestaltigsten Tourengebiete der Zentralalpen auf. Ob klassische alpine

Bergtouren oder anspruchsvolle Skihochtouren, Genussklettereien oder Sportkletter-

touren, Firnflanken oder Steileiscouloirs – für beinahe jede Jahreszeit und jeden

Geschmack ist hier die gesamte Palette des Bergsports geboten. Von E WA L D W E I S S Foto: RenataFoto: Rossi

Der bizarre Granit- zacken der Fiamma auf dem Massiv des Spazzacaldeira ist die größte Attraktion für Kletterfreunde im Bergell, falls sie nur auf kurze Touren aus sind.

Die Godet-Rütter-Route an der Nordwand der Cima Cantone zählt zu den beliebtesten klassi- schen Eistouren des Gebiets (rechts).

AlbignaAlbigna

Foto: Rudi Lindner Foto: Bergell für Einsteiger und Genießer

Nr. 4/2002 22 DAV Panorama Nr. 4/2002 DAV Panorama 23 Unterwegs IM BERGELL

Die Albignahütte, kaum sichtbar auf Konditionsstarken und erfahrenen Berg- Eis, Firn und Frühjahrsschnee dem begrünten Sporn im Mittelgrund, gängern vermittelt der unschwierige Piz Der bedeutendste Klassiker unter den wird von eisgepanzerten Dreitausendern Casnile (3189 m) eine lohnende Dreitausen- Hochtouren führt auf den höchsten Gipfel dominiert: Links oben die Cima Cantone dertour mit grandioser Aussicht über die im- des Bergeller Grenzkamms,die Cima di Cas- mit dem Vadrec dal Cantun, darunter die possante Runde des Fornobeckens und die tello (3388 m), über den Vadrec del Castel dunkle Pyramide der Punta da l’Álbigna formvollendeten Giganten des Bergells vom Nord, unmittelbar hinter der Punta da ‘l Al- und rechts darüber die Cima di Castello, im Osten bis zum Piz Badile bigna. Über anstrengende Blockhalden und höchster Gipfel im schweizerisch-italieni- im Westen.Gute Geher können die Tour (mit Gletscherfirn ist hier eine Höhendifferenz schen Grenzkamm mit dem Vadrec dal Seilbahnhilfe) also vom Tal aus in einem Tag von etwa 1300 Metern zu überwinden.Von Castel Nord. Deutlich sichtbar ist die unternehmen.Vermutlich wurde der Casni- der obersten Terrasse des Castellogletschers Bocchetta dal Castel und der darüber le schon früh von Jägern erstiegen,die erste bietet sich als Alternative auch noch der ansetzende Westgrat, über den der Normal- touristische Ersteigung wird für 1880 ver- Aufstieg zur Cima Cantone (3354 m). Als an- anstieg verläuft. zeichnet. Der Gipfel des Spazzacaldeira bie- spruchsvolle und rassige Skitour empfiehlt tet von der Seilbahn aus das nächstgelegene sich diese Route für das Frühjahr, wenn die Ziel, mit prächtigem Tiefblick ins Tal der mühseligen Blockhalden und Gletscherspal- Maira und interessanten Nahstudien der ten vom Winterschnee bedeckt höchsten Kletterer an der bizarren Nadel der Fiamma Abfahrtsgenuss versprechen.Für die letzten gleich nebenan, dem meistbesuchten Klet- Gratstrecken auf die Gipfel dürfen Pickel tergipfel des Gebiets. und Steigeisen nicht fehlen. Die weitere Umgebung der Capanna Am illustren Firnschild der 300 Meter Aussicht vom Gipfel des Piz Bacun auf die Albigna ist prädestiniert für Ausbildungs- hohen Cantone-Nordwand, 1912 von Ch. Umrahmung des Albignagletschers. Von kurse aller Art und bei Bergschulen und Godet und Hans Rütter erstbegangen, links: Pizzo di Zocca, Pizzo del Ferro Führern entsprechend beliebt.So war es na- kommt der passionierte Nordwandmann Orientale, Torrione del Ferro und die Pizzi heliegend, dass eine große Zahl der Routen alter Schule auf seine Kosten, aber auch del Ferro; in Bildmitte die Sciorakette mit des Gebiets im Laufe der letzten 120 Jahre alpine Einsteiger, die schon Bergerfahrung Sciora di Dentro, Ago di Sciora, Punta von Bergführern erschlossen wurden, allen besitzen, können sich an die 50 Grad steile Pioda und Sciora di Fuori. Rechts dahinter voran vom großen Christian Klucker (1853 Firnwand wagen.Der Zustieg über den klei- die Bondascaberge mit den Gemelli, Piz – 1928), der die meisten Übergänge, Grate nen, aber spaltenreichen Vadrec dal Cantun Cengalo und Piz Badile mit der markanten und Gipfel hier vor über hundert Jahren er- ist genau so ernst zu nehmen wie die Wand Nordkante im Profil. kundet hat. selbst! 1976 musste sich die Firnflanke dem

ie pittoreske Szenerie des Bon- massive und glänzender Firnkuppen rund Dammes – wenn das Wetter mitspielt. dascatals mit dem berühmten Piz um den Stausee, dessen träge Ruhe gele- Wanderer, die ausgetretene Pisten und Badile genießt Weltruf unter Klet- gentlich durch das Kalben des Albignaglet- viele Farbklekse zur Orientierung brauchen, Dterern, doch unmittelbar östlich schers jäh unterbrochen wird. Die abgelös- haben im Bergell schlechtes Spiel,die Über- liegt hinter den Zacken der Scioragruppe ten Minieisberge gleiten wie kleine Schiffe gänge zu anderen Hütten führen über müh- das weniger spektakuläre Albignatal als mitt- der Staumauer entgegen und geben dem See same Blockhalden oder Gletscher und set- leres der drei Bergeller Seitentäler auf ein arktisches Gepräge. Hinter der Albigna- zen etwas alpine Erfahrung und entspre- Schweizer Gebiet.Wenn auch die Berge un- hütte baut sich die Punta da ‘l Albigna als chende Ausrüstung voraus und auch Klet- scheinbarer wirken und die Wände nur halb düstere Felspyramide auf, hoch darüber die tersteigfans gehen hier leer aus. so hoch sind wie in der südwestlichen weißen Dome der Cima Cantone und der Apropos Wetter – auch in dieser Bezie- Nachbarschaft,ist das Albignatal doch eines Cima di Castello, dem Kulminationspunkt hung hat das Bergell seine Eigenheiten, wie der beliebtesten Tourengebiete Graubün- des Bergeller Grenzkamms. Weiter südlich den „Malojawurm“, eine seltsame Wolken- dens wegen seiner schnellen Zugänglich- überragen die einsamen Spitzen des Pizzo di formation, die in Kürze miserables Wetter keit durch die Werksseilbahn der Elektrizi- Zocca und der Pizzi del Ferro als stille mit oft sintflutartigen Niederschlägen mit- tätswerke Zürich (EWS). In einer Viertel- Wächter den Kessel des Albignagletschers, bringt und schon viele Urlaubs- und Wo- stunde gelangen die Besucher zur Bergstati- eine menschenleere Arena der Schweigsam- chenendpläne zunichte gemacht hat. Die on an der Staumauer und somit schon in keit,die ihre westliche Begrenzung im Firn- feuchtwarmen Luftmassen des nahen Co- Einstiegsnähe des Spazzacaldeira mit seinen dom der Cima della Bondasca und den gra- mer Sees kondensieren über den Gletschern Sportkletterrouten und der berühmten nitenen Ostwänden der Scioragruppe fin- der Region und sorgen so für energiegela- Fiamma oder den mächtigen Westabstürzen det. Eher selten sind dort Alpinisten zugan- dene Gewitterstürme, die für die Gegend des Piz Balzet.Die Capanna Albigna ist in ei- ge. Die Mehrheit der Bergfahrer bevorzugt charakteristisch sind und schon etliche ner Dreiviertelstunde erreichbar und wäh- den vorderen Bereich rund um die Stau- Bergsteiger in Bedrängnis gebracht haben. rend der Sommersaison sorgt der Zustrom mauer,die Sportkletterer eilen zu den nahen Seinen ganzen Charme entwickelt das der Bergfreunde für ständige Überlastung Routen am Spazzacaldeira, die alpin Ambiti- Albignagebiet oft gegen Ende der Saison, der gut bewirtschafteten SAC-Hütte. onierten steigen hinauf zur Fiamma oder wenn bei prächtigem Herbstwetter die süd- noch weiter zu Vergine und Gallo,um ihren liche Sonne den Granit erwärmt und tro- Ein alpiner Mikrokosmos Leidenschaften zu frönen.Wer es noch alpi- ckene Felsen ideale Voraussetzung sind für Der Panoramablick von der Staumauerkrone, ner wünscht, hält sich an die schwierigen die Sportklettereien beim Staudamm, oder die beim Aufstieg zur Hütte überschritten Routen des Fracchiccio-Nordpfeilers oder die entfernteren Touren an der Punta da

wird, entfaltet die Galerie dunkler Granit- die langen Grate des Piz Balzet jenseits des ‘l Albigna ,am Piz Balzet oder am Biopfeiler. Rudi Lindner Fotos:

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Links oben: Die Skitouristen rasten in der Nähe des Passo dal Cantun, dahinter der Gipfel der Cima di Castello mit dem Westgrat. In der Nähe des Pass da Casnil Sud laden weiche Rasenpolster und kleine Seen zur Ruhepause, dahinter die Nordwand der Cima Cantone. Links unten: Bergsteiger überklettern das „Nashorn“ am Gipfelgrat des Piz Balzet, hinten die Westflanke des Piz Casnile, des leichtesten Aussichtsberges der Gegend.

ersten Steilwandfahrer, dem Südtiroler Ein Bergführer Kaminkehrer Heini Holzer, geschlagen ge- und seine Lebensaufgabe ben;er verunglückte im folgenden Jahr töd- Am dominierenden Berg des Albignakessels, lich beim Versuch, die Nordwand des Piz dem Pizzo di Zocca (3174 m),harrt Kluckers Roseg in der Bernina zu befahren. vergessene Route durch die Nordwestflanke Die Nordostwand des Vorgipfels der ihrer wenigen Aspiranten.Dieser große klas- Cantone (Punkt 3312 der LK) wurde 1980 sische Anstieg,anspruchsvoller als Cantone Schauplatz einer interessanten Erstbege- und Castello,ist wohl ein Opfer des Zeitgeis- hung,als ein bolzengerader Eisschlauch,den tes geworden, trotz des unproblematischen die Erstdurchsteiger „Fiammifero“ (Streich- Zugangs. Es war eine der ersten Touren, die holz) tauften, seine Jungfräulichkeit verlor. Christian Klucker 1891 mit seinem neuen Mit Steileis bis 75 Grad und Fels bis IV fin- Klienten Anton von Rydzewsky unternahm, den hier auch ausgebuffte Freaks eine loh- die erste Besteigung von Norden über die nende Alternative zur klassischen Nord- 650 Meter hohe Firnflanke und die zweite wand. Besteigung des Berges überhaupt.Kurz vor- Die Nordwand des Pizzo del Ferro her, am 6. Juni 1891, hatte Klucker seinen Orientale (3199 m), die sich wie eine Mini- „Herren“ auf die Cima Cantone geführt – ei- ausgabe der hinter dem ne echte Erstbesteigung. Das war es, was Albignagletscher aufbaut, bietet mit einem Rydzewsky suchte,denn der „Baron“ wollte etwa 60 Grad steilen und 450 Meter hohen sich als großer Erschließer des Bergells in Couloir eine weitere Tour für schnelle der Alpingeschichte verewigen, und in Eisgeher,die in der Schwierigkeit zwischen Klucker, der jeden Weg und Steg im Bergell den beiden vorgenannten liegt.Auch diese kannte, fand er den besten Erfüllungsgehil- Route war die späte Entdeckung (1979) ei- fen. Der in Dresden ansässige Rydzewsky ner italienischen Seilschaft. Der Umstand, war 54 Jahre alt,als er Klucker erstmals 1891 dass nicht nur der Zahn der Zeit, sondern engagierte. Er galt als „schwieriger“ Klient, auch die zunehmende Erwärmung der ein ehrpusseliger Mann, eitel und auf Erdatmosphäre am Bergellfirn nagt, legt na- Etikette bedacht, rechthaberisch und geizig he,dass in diesen Gefilden allenfalls bis Ende – kein Zuckerschlecken für den selbstbe- Juni mit passablen Verhältnissen gerechnet wussten Klucker,für den sich bis 1900 eine

Fotos: Rudi Lindner Fotos: werden kann. quälende und unglückselige Beziehung er-

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Der Letzte der Großen Christian Klucker (1853 – 1928) war einer der letzten jener schweizerischen Bergführer, die bei der Erschließung der Alpen noch eine bedeutende Rolle spielten und zahlreiche Erstbesteigungen mit ihren Klienten ausführten.

uf dem Gut Chesa Nova im Fextal erblickte Christian glückte ihm mit Dr. Paul Güß- Klucker am 28. September 1853 das Licht der Welt. Nach feldt und Emile Rey als Senior- A einer Jugend als Bergbauernbub absolvierte er in Samedan führer die erste Begehung des eine Wagnerlehre. Schon in Jugendjahren musste sich Klucker um Peutereygrates am Montblanc, die Versorgung der Familie kümmern.1862 begann er mit einfachen seine bedeutendste alpine Links: Klucker in seinen besten Jahren um 1890; oben Walter Risch Bergtouren in seiner engeren Heimat, 1873 leistete er Militärdienst Erstbegehung. Von 1891 bis und der alte Christian Klucker um 1922. Der Altmeister und sein bei der Gebirgsartillerie. 1874 gab er den Wagnerberuf auf, um 1900 unternahm er jährlich jugendlicher Nachfolger pflegten eine herzliche Freundschaft. Bergführer zu werden.Zu einer Zeit,als es zwar Führervereine,aber mit dem Balten Anton von Ewald Weiß Archiv Fotos: keine offiziellen staatlichen Diplome und Prüfungen gab, reichten Rydzewsky Bergelltouren, wo u.a. die Erstbesteigung von Punta Als Bergführer ging Klucker mit größter Bedachtsamkeit und der Wille und das Geschick,sich in den Bergen zurecht zu finden,zur Rasica 1892 und Ago di Sciora 1893 gelang. Umsicht ans Werk, das brachiale Draufgängertum mancher seiner Ausübung seines neuen Berufs. 1901 lud ihn Whymper auf eine Erkundungstour für die Canadian Kollegen,etwa Martin Schochers,war ihm höchst suspekt. Akribisch Seine ersten Touristen führte Klucker auf die nahen Berge seiner Pacific Railways nach Westkanada ein, zusammen mit den Führern plante er seine Touren und erkundete die Vorhaben auf objektive Heimat, wie den Piz della Margna oder den Piz Tremoggia, dann Christian Kaufmann und Alojs Pollinger. Klucker kehrte enttäuscht Gefahren, mögliche Risiken suchte er weitgehend zu eliminieren. wandte er sich den gefragten Berninatouren zu.Sein größtes Augen- von dieser Reise zurück.Whymper,mittlerweile in die Jahre gekom- Stand eine Unternehmung aber auf dem Programm, führte er die merk galt jedoch den noch weitgehend unerschlossenen Bergeller men, habe oft zu tief ins Whiskyglas geschaut, bedauerte Klucker. Tour entschlossen und schneidig durch. Bergen, in deren Erforschung er nach eigenem Bekunden eine Gerne hätte er mit seinen Kollegen den Mt. Robson oder den Mt. Als Alpinist hielt er sich eisern an selbst auferlegte Grundsätze. Lebensaufgabe sah.Auftakt seiner Serie von bedeutenden Erstbestei- Assiniboine mitgenommen, doch der eigensinnige Whymper ließ So lehnte er den Gebrauch künstlicher Hilfsmittel strikt ab,selbst auf gungen wurde dort der Torrone Orientale,den er 1882 mit Alexander keine Extratouren seiner Führer zu. Kosten bedeutender Erstbegehungen wie der Nordkante des Piz Rzewusky bestieg. Mit Dr.Theodor Curtius, Professor für Chemie in Zwischen 1905 und 1917 musste Klucker aus gesundheitlichen Badile,die er im Juni 1892 für seinen Klienten Rydzewsky erkunde- Heidelberg, unternahm er in den achtziger Jahren regelmäßig Erst- Gründen seine alpinistischen Aktivitäten einschränken.Doch bis zu- te oder der Nordwand des Piz Cengalo, die 1897 von Schocher und besteigungen, wie am Piz Bacone 1883 oder 1887 an der Cima del letzt unternahm er Bergtouren, so stand er noch als 72-Jähriger mit Scipione Borghese erstdurchstiegen wurde (einen Tag nach dieser Largo. Mit dem Professor pflegte Klucker eine herzliche Freund- John Percy Farrar (Präsident des Alpine Club) auf dem Piz Badile,mit Unternehmung stürzte die Gipfelwächte auf voller Breite ab). schaft, die über zwei Jahrzehnte anhielt. Curtius veröffentlichte in 74 gelang ihm noch der Ostgrat des Pizzo del Ferro als Erstbegehung. Klucker war diese objektiv zu gefährlich,solange die Wächte am Grat den Jahrbüchern des SAC etliche Beiträge und war vom Bergell so Nebenher führte Klucker von 1880 bis 1917 die Poststelle in Fex hing. Bergsteigen als Sport bezeichnete er als Sensationshascherei fasziniert, dass er im Fornogebiet auf eigene Kosten die erste kleine zusammen mit seiner Nichte; zweimal wurde er als Gemeindevor- und gegen die Kommerzialisierung der Alpen zog er vehement zu Hütte auf Schweizer Gebiet errichten ließ. Klucker suchte den stand von Sils gewählt, eine Tätigkeit, in der er vor dem Ersten Felde, auch wenn er in dieser Schlacht am Ende unterlag. Bauplatz aus, beriet und unterstützte den Professor tatkräftig. 1920 Weltkrieg ein Wasserkraftprojekt am Silser See verhindern konnte. ging die Fornohütte als Schenkung in den Besitz der Sektion 20 Jahre lang betreute er die Schulpflege seiner Gemeinde, er legte Ein Pionier des Skibergsteigens Rorschach des SAC über. Wert darauf, dass auch die Bergbauernkinder eine ordentliche Christian Klucker war ein Pionier des Winterbergsteigens,das er seit Kluckers Professionalität verhalf ihm bald zu renommierten Schulbildung bekamen. Aus Sorge um seine Angehörigen blieb 1878 mit Schneereifen betrieb, einige seiner großen Wintertouren Klienten wie dem in London ansässigen Schweden Ludwig Norman- Klucker zeitlebens ledig. waren der 1892,der Piz Glüschaint 1893 und der Piz Platta Neruda, den er 1890 durch die Nordwand des Piz Roseg (Bernina) 1894.

Foto: Rudi Lindner Foto: führte und 1891 durch die Nordostwand des (Wallis);1893 Ein fortschrittlicher Bergführer Um 1900 erlernte Klucker das Skifahren,1903 führte er mit dem Klucker kann rückblickend als Prototyp des modernen Bergführers Sachsen Dr. Oscar Schuster die erste Winterbesteigung der Cima di betrachtet werden, der seinen Klienten als kritischer Berater und Rosso im Fornogebiet durch.Danach gab er regelmäßig Skikurse für Partner ebenbürtig zur Seite steht; er verstand es, seine Gäste geist- den SAC, neben seinen alpinen Ausbildungskursen im Schweizer reich zu unterhalten. Allseits gerühmt wurde seine Kenntnis der Alpenclub, dem er lange als Lehrer und Übungsleiter zur Verfügung Alpenpflanzen und der Geologie, ein Wissen, das er sich autodidak- stand. Kluckers pädagogisches Talent wurde gerühmt, er setzte sich tisch aneignete und dass er gerne an seine Klienten weitergab. An auch für eine fundierte Ausbildung von Bergführern ein.Klucker war langen Winterabenden studierte er seine alpine Bibliothek,in der die nie Mitglied eines Führervereins, engagierte sich aber sehr für den wesentlichen Werke seiner Zeit vorhanden waren. Klucker setzte SAC. 1908 erhielt er von der Kantonalverwaltung Graubünden sein sich als energischer Natur- und Umweltschützer für seine geliebten offizielles Patent als Bergführer, 30 Jahre lang hatte er diesen Beruf Pflanzen und Tiere ein. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die zuvor schon ohne Unfall erfolgreich ausgeführt. fanatische Jäger waren, hasste er die Jagd als anachronistisches Gegen Ende seines erfüllten Lebens machte er sich,von Depres- Handwerk. sionen geplagt, an die Abfassung seiner Memoiren, wobei die Erin- nerung an seine Auseinandersetzungen mit Rydzewsky zunehmend Der Skiklassiker Monte Sissone, dahinter der höchste Bergell- die Arbeit belastete. Seine „Erinnerungen eines Bergführers“ er- gipfel – Monte Disgrazia; in Bildmitte Torrone Orientale und rechts schienen unvollständig im Jahre 1930. Christian Klucker starb am die Punta Rasica mit ihrem schwierigen Gipfelblock. 21. Dezember 1928 im Fextal, er wurde 75 Jahre alt.

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gab, über die er bis zu seinem Lebensende ten Winkel, nicht ernst genommen von der incognita, ideales Ziel für Klucker, der ein haderte. Nicht nur, dass sein „Herr“ ihn mit vielbeschäftigten Führergilde der Bernina, beinahe unbeackertes Feld vorfand.Nur die ständigen Beleidigungen und Demütigun- in der bis 1880 annähernd alle wesentlichen Italiener machten von Süden her mächtig gen kränkte; dieser wollte ebenso den alpi- Gipfel, Grate und Wände begangen waren. Druck – Klucker, der deren Umtriebe miss-

nistischen Ruhm ganz für sich alleine. 1862 sah der Monte Disgrazia seine ersten trauisch beobachtete, musste sich sputen. Helga Lindner Foto: Mit von der Partie war noch der Dolo- Eroberer in dem Führer , Praktisch war für Klucker noch der mitenführer Mansueto Barbaria aus Cortina. Leslie Stephen (Autor des berühmten Bu- Umstand, dass der Baron immer im Juni Zuständig als persönlicher Diener seines ches „The playground of Europe“), Edward buchte, er konnte so die Saison um einen Herren musste er diesem die Steigeisen an- Kennedy und dem Diener Thomas Cox; Monat vorverlegen und hatte einen zusätzli- ziehen,ein Gummisitzkissen für mehr Com- 1864 überschritten Douglas Freshfield und chen Verdienst; für Rydzewsky war das fort am Gipfel mittragen und gelegentlich C.C. Tuckett den Monte Sissone und 1866 Bergell optimale Voraussetzung zur ver- die Eissplitter von Kluckers Stufenarbeit mit waren diese beiden nochmals an der Cima wirklichung seiner alpinen Wunschträume. einem Regenschirm von des Herren Haupt di Castello und am Piz Cengalo erfolgreich. Vor allem aufgrund Kluckers außerordentli- abwehren. 1867 bestieg W.A.B. Coolidge die Cima di cher Gebietskenntnis war die zehnjährige Als das Oberengadin schon zum touris- Rosso und den Piz Badile, der zu jener Zeit Liaison mit Rydzewsky ein alpinistischer tischen Zentrum avanciert war, lag das noch nicht einmal seinen heutigen Namen Erfolg,menschlich war sie eine Katastrophe. Bergell weltvergessen in einem unbeachte- trug. Das übrige Bergell war also eine terra 1892 bezwang Klucker den schwierigen

Foto: Rudi Lindner Foto: Gipfelblock der Punta Rasica und etablierte damit den IV.Grad im Bergell; nach zwei ver- Der obere Teil der geblichen Anläufen in jenem Jahr gelang „Via Scarabelli“ (VI) 1893 die Erstbesteigung des Ago di Sciora an der Südostwand unter Mitwirkung des renommierten West- des Ago di Sciora alpenführers Emile Rey. bietet schöne alpine Als Ende der fünfziger Jahre beide Tou- Genusskletterei ren in Walter Pauses Hunderterbuch „Im in bestem Fels mit schweren Fels“ als Genussklettereien ange- guten Sicherungs- priesen wurden, entwickelten sie sich zu möglichkeiten für Modetouren, bis sich die Vorlieben in den Friends und Keile. achtziger Jahren wieder wandelten. Heute wird der Ago weit seltener aufgesucht, ob- vor dem letzten Drittel der Route zum Großereignis jener Zeit vor dem Ersten wohl er einer der markantesten Bergell- Abstieg am Normalweg.Insgesamt eine loh- Weltkrieg, in den Schweizer Alpen herrsch- gipfel ist. nende Alternative für alpin Ambitionierte, te Ruhe. 1921 traf der junge Ostschweizer 1974 entdeckte eine italienische Seil- die auch den Umgang mit Hammer und Bergführer Walter Risch erstmals mit dem schaft an der steilen Südostwand des Ago ei- Haken beherrschen. Altmeister Klucker zusammen und es ent- ne neue Route (VI, A1), die den heutigen stand eine Freundschaft bis zu Kluckers Erwartungen der Freeclimber eher ent- Zwischen den Kriegen Ableben. 1922 eröffnete Risch eine Reihe spricht. Die „Via Scarabelli“ bietet interes- Bis 1900 hatte Klucker die Erschließung der netter Genusstouren, wie den Ostgrat am sante Kletterei in meist gutem Fels mit nur Albignagipfel weitgehend abgeschlossen. Casnile (IV) und den Südgrat am Piz Balzet einer technischen Stelle.Im Falle eines Wet- 1910 erbaute die Sektion Hoher Rohn des (IV), der heute zu den meistbegangenen

Foto: Ewald Weiß Foto: terumschwungs gibt es einen Fluchtweg SAC die Capanna Albigna, das einzige Albignaklettereien zählt.

Oben: Der Südgrat des Piz Balzet ist eine der häufig begangenen Genussklettereien (IV) im Bereich der Albignahütte. Vom „Weg über den Geist“ (IV+) öffnet sich die Aussicht über den Stausee hinweg auf den markanten Pfeiler des Fracchiccio, rechts dahinter die kleine Pyramide des Gallo mit der Vergine rechts und der lange Rücken der Roda Val della Neve.

Mit imposanten Felswänden bricht der Piz Balzet nach Westen ab. Ganz links die Westkante, eine der längsten Klettertouren (V-) der Region; links neben der Gipfel- falllinie das „Thirty-Five-Gully“, welches im Frühjahr eine der extremen Mixed-Touren des Gebiets offeriert. Schräg rechts vom Gipfel der WSW-Grat mit dem beliebten

Foto: Rudi Lindner Foto: „Weg über den Geist“.

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Die Ostflanke des Spazzacaldeira bietet Im deutschen Sprachraum war das Ber- wüstet hatte, war bereits 1930 an der alpin angehauchte Sportklettereien, wie gell weitgehend unbekannt geblieben, erst Albigna unterhalb des Spazzacaldeiramas- hier in der „Via Leni“ (VI). Fixe Zwischen- 1932 erschien im Jahrbuch des D.u.Ö.A.V. sivs ein Hochwasserschutzdamm errichtet sicherungen sind nicht üppig, Friends und ein Beitrag mit Fotos, dem sich weitere worden,gegen den Protest von Naturschüt- Keile gehören zur obligatorischen Berichte – vor allem über die Badilekante – zern, zu denen vormals auch Christian Ausrüstung. in den Mitteilungen und in der ÖAZ in den Klucker zählte, der erfolgreich ein Wasser- Folgejahren anschlossen. Eifrigster Herold kraftprojekt am Silser See vereitelte. „Die Der Wädenswiler Hans Rütter, ebenfalls des Bergells war Walther Flaig, der sich in Schönheit unserer Berge ist nicht für Geld gut mit Klucker befreundet und gelegent- Klosters (Prättigau) als Journalist niederge- wohlfeil“ hatte Klucker immer gesagt, ob- lich mit diesem unterwegs, vollendete des- lassen hatte und mit Publikationen über die wohl er für einen maßvollen und naturver- sen Werk und bestieg die letzten jungfräu- Silvretta und Bernina hervor trat, seinem träglichen Tourismus durchaus zu haben lichen Gipfel, so 1919 den Piz Balzet „Festsaal der Alpen“. Flaig wurde seinen war. Die Nutzung der Albigna wurde nach (2869 m). Rütter arbeitete Kluckers Wissen Sujets bald untreu und zum begeisterten harten Auseinandersetzungen mit der Ber- auf und verfasste den ersten Bergellführer Bergellfan. Im Jahrbuch 1938 veröffentlich- geller Bevölkerung realisiert, die nicht län- des SAC, der 1922 erschien. 1923 über- te er einen detaillierten Artikel übers Ber- ger Opfer der Naturgewalten zugunsten ei- schritt Walter Risch mit seinem Klienten gell, der auch die neuesten Entwicklungen ner unversehrten Landschaft sein wollte. Alfred Zürcher erstmals die Scioragruppe der extremen Felskletterei schilderte. Der Streit entzweite die SAC-Sektion Berni- von Nord nach Süd, quasi als Trainingstour Im September 1933 eröffneten der na im Oberengadin so sehr, dass sich die für die Badilekante, an der die beiden an- Partenkirchner Karl Simon und der Nürn- Kraftwerksbefürworter mit der Sektion schließend den größten Erfolg ihrer berg- berger Willi Weippert mit der Erstbegehung Bregaglia abspalteten. steigerischen Karriere feierten. Anders als der Fuorikante die „Schlacht um den sechs- Nach Inbetriebnahme der Kraftwerks- Klucker, der im Juni 1892 im Auftrag seines ten Grad“, die zwischen deutschen und ita- anlage war einer der schönsten Wasserfälle Herren Rydzewsky die Kante erkundete und lienischen Seilschaften im Bondascatal aus- der Alpen Vergangenheit ebenso ein für das sich zurück zog, weil er den Einsatz von getragen wurde. Das Albignagebiet wurde Bergell einzigartiges Hochmoor, das nun in baumlangen Hans Peter Kasper vom Churer- Bombenfester Granit und sichere Haken Felshaken strikt ablehnte,war Risch von der davon kaum berührt, bis Simon und den Fluten des Stausees für immer versun- Kletter-Club und dessen Spezl Flury Koch machen den „Biopfeiler“ oberhalb der Anwendung moderner Hilfen beim Klettern Weippert im September 1936 die messer- ken war. am Nordpfeiler des Piz Fracchiccio aktiv,ei- Albignahütte zu einem äußerst attraktiven überzeugt.Trotzdem konnte er das Schwie- scharfe Westkante des Gallo (V) hoch über Der Aufstieg zur Capanna Albigna ver- nem Felspfeiler, den vordem nie jemand Ziel für Sportkletterer, die mal Hoch- rigkeitsniveau Kluckers nicht übertreffen; Vicosoprano erstbegingen.Wenige Wochen kürzte sich mit Hilfe der Werkseilbahn von richtig angeschaut hatte,und sie fanden eine gebirgsatmosphäre schnuppern wollen, Ewald Weiß Foto: Risch gab später den Führerberuf auf und zuvor hatte Philipp Wieland, ein Engadiner knapp vier Stunden auf 45 Minuten und die interessante Route,die praktisch die Einfüh- ohne die sonst üblichen Gefahren in Kauf wurde Forstbeamter.Christian Klucker war Führer und Wirt der Capanna Albigna, die Zahl der Besucher schwoll immer weiter an. rung des sechsten Grades im Albignagebiet zu nehmen. bis ins hohe Alter am Berg aktiv,so führte er bizarre Nadel der Fiamma auf dem Spazza- Schon zur Zeit des Dammbaus musste die bedeutete. Als 1978 im nahen Val di Mello Hans Rütter 1922 als 69-Jähriger durch das caldeiramassiv bezwungen, sozusagen der Hütte erweitert werden, noch ein zweites auf der italienischen Südseite des Bergells blanc von sich Reden machte;der Bergfo-to- 60 Grad steile Nordcouloir des Torrione del schwierigste „Gipfel“ des Gebiets,und damit Mal 1976. Die Berge im Bereich des Stau- die Eroberung des siebten Grades in vollem graf Robi Bösch; der Architekt mit Künstler- Ferro, eine beachtliche Leistung, die Klu- den fünften Grad eingeführt.Bald wurde die damms wurden jetzt auch direkt vom Tal aus Gang war, schwappte die Begeisterungs- hand Vital Eggenberger und etliche hier ckers Meisterschaft im Eis eindrucksvoll be- Fiamma zur begehrtesten Attraktion über zu einem schnell zugänglichen Ziel. 1960 welle fürs amerikanisierte Freeclimbing nicht aufgezählte Aficionados hinterließen zeugt. Am 21. Dezember 1928 starb Chris- dem Tal der Maira. 1945 durchstiegen Reto entdeckte der Bergführer Gottlieb Zryd eine auch nach Graubünden über und infizierte ihre Spuren an den Rissen und Platten des tian Klucker im heimatlichen Fextal. Giovanoli und Philipp Wieland die lange schöne Route IV.Grades am WSW-Grat des die kletternde Jugend in der Schweiz.Martin Spazzacaldeira und eröffneten Routen, die Langsam floss der Strom der Zeit in der Westkante des Piz Balzet und hinterließen Piz Balzet, deren Einstieg in gerade mal 20 Scheel, der später einer der ganz renom- zum Lohnendsten zählen, was das Bergell betulichen Schweiz,in Graubünden galt bis damit die neben der Gallo-Westkante alpins- Minuten von der Seilbahnstation aus er- mierten aus der jungen Garde werden soll- dem Sportkletterer bieten kann. 1927 noch ein Sonntagsfahrverbot für Kraft- te Felstour im Albignagebiet. Beide Touren reichbar ist. Zehn Jahre lang galt der „Weg te, eröffnete am Spazzacaldeira den „Stein- Wer zuvor nur in der Kletterhalle tätig wagen, die lärmenden Benzinkutschen soll- sind sowohl „Opfer des Zeitgeists“ als auch über den Geist“ als Geheimtipp, doch nach fresser“ und etablierte damit den siebten war sollte allerdings daran denken, dass die ten die Ruhe von Mensch und Tier nicht von Felsausbrüchen und deshalb nur von der Veröffentlichung in einem „Alpinismus“- Grad. Eine ganz andere Generation, sowohl Touren am Spazzacaldeira nicht übermäßig stören. Die Bergsteiger folgten den Idealen harten Alpinisten alter Schule einigermaßen Anstiegsblatt avancierte sie zu einer gerne in Habit als auch an Einstellung, gab sich mit Sicherungen bestückt sind und der der Altvorderen und das Bergsteigen war ei- sicher zu begehen.Die Zahl der Wiederholer aufgesuchten Genusstour für Wochenend- nun im Albignatal die Klinke in die Hand;der Umgang mit Friends und Keilen dort zum ne exklusive Tätigkeit für gut Betuchte, der hält sich in engen Grenzen. kletterer. 1963 war Gottlieb Zryd mit dem junge Bergführer Jöri Bardill, der am Mont- täglichen Brot gehört. Bergführer eine Respektsperson wie der Walther Flaig, der seit 1938 seinem Pfarrer am Ort. Doch die große Zeit der Reichsführer als „Bergsteigergauführer Vor- Imseng,Knubel und Lochmatter neigte sich arlberg“ diente, durfte nicht mehr in die ihrem Ende zu. Draußen im Flachland griff Schweiz einreisen. Als Propagandist der das „Fexentum“ um sich, im Klettergarten Nazis stand er unter Spionageverdacht und wurde der sechste Grad erprobt und deut- wurde mit lebenslänglichem Einreiseverbot sche und italienische Seilschaften übten belegt. Die von ihm so hoch gelobten sich erfolgreich in der Anwendung von Bergeller Berge konnte er nicht mehr besu- Dülfers neuen Methoden.Noch immer aber chen. behaupteten einige, die Methoden aus dem Kalkklettern seien im Granit nichts nütze. Moderne Zeiten Zwischen 1955 und 1960 ergab sich mit Der Nordostgrat des Spazzacaldeira dem Bau des Albignadamms die gravie- (IV+, A0) bildet sowohl für Alpin- als auch rendste landschaftliche Veränderung der für Sportkletterer mit mehreren Varianten Region. Nachdem im September 1927 ein

Fotos: Rudi Lindner Fotos: (bis VII) ein interessantes Ziel. katastrophales Unwetter das Mairatal ver-

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Renata Rossi, 1984 erste diplomierte Touren im Bergell Bergführerin Italiens, und im nahen Villa di Chiavenna ansässig und ihr Lebensgefährte, der Trentiner Franco Giacomelli, sind sozu- WANDERUNGEN im Segantini-Museum von bis Anfang Mai. Rassige Kletterer bei der Über- sagen „lebendes Inventar“ von Albigna. In Natürlich gibt es im Bergell St. Moritz zu besichtigen sind. Abfahrt über den Gletscher! schreitung von Vergine den achtziger Jahren waren beide die maß- auch herrliche Wanderungen, Der historische Ortskern von Cima Cantone (3354 m). Die und Gallo. Wer die geblichen Erstbegeher des Gebiets und ent- die schönsten unten im Val Vicosoprano lädt mit seinen Nordwandroute von Godet Trittwarze auf der Platte deckten einige der schönsten Klettermög- Bregaglia. mittelalterlichen Zeugnissen (300 m, 50 Grad) gehört zu über dem Einstieg auf lichkeiten. Sentiero Panoramico zur Besichtigung ein, hier den beliebtesten klassischen falschem Fuß erwischt, Als 1971 der Bergführer Leo Blättler an Von Casaccia nach Soglio fanden einst die berüchtigten Firntouren im Gebiet. Saison kann leicht an sich einem unscheinbaren Massiv oberhalb der führt eine der schönsten Tages- Hexenprozesse statt. Das Mitte Mai bis Mitte Juli. selbst zweifeln. Albignahütte eine Übungstour für Führer- wanderungen Graubündens Bergell, Heimat berühmter anwärterkurse einrichtete,konnte noch nie- mit idyllischen Rastplätzen und Gastronomen und Patissiers, STEILEISCOULOIRS mand ahnen, dass der „Biopfeiler“ eines prächtiger Aussicht auf die bietet eine gediegene Gastro- Cima Cantone Vorgipfel P. Tages zu den Schmuckstücken in Sachen Bergeller Berge. Zeit 5 bis 6 nomie, besonders erwähnt 3312 m „Via del Fiammifero“ Freiklettern aufsteigen würde. 1985 erwei- Std., keine alpinen Schwierig- seien die Wildgerichte der (300 m, 60-75 Grad, mixed terten Renata Rossi und Franco Giacomelli keiten. Von Soglio aus kann „Krone“ in Vicosoprano. TD), das Streichholzcouloir, das Angebot am Biopfeiler um einige sehr man mit dem Linienbus der ein enger Eiskamin, läßt sich cheres Wetter, oft überlaufen, bung, kurzer problemloser Abstieg. lohnende Klettertouren, deren Granit eher PTT nach Casaccia zurück- WANDERN ALPIN mit Felshaken absichern. schwierige Stelle (V) über dem Friends und Keile zur zusätzlichen ans Montblancgebiet erinnert.Alle, die ein- fahren. Von Maloja über die Capanna Piz Balzet (2869 m) West- Einstieg, meist IV und leichter. Absicherung obligatorisch. Sehr mal Hochgebirgsatmosphäre ohne lauernde Sentiero Storico del Forno (2574 m) und den couloir „Thirty-Five-Gully“ Kurzer Abstieg am Gallo empfehlenswert für Leute, die mal alpine Gefahren schnuppern wollen und Von Maloja bis zum Grenzort Pass da Casnil Sud (2941 m) (750 m, 70–90 Grad, ED), die (2774 m). aus der Kletterhalle raus wollen, um Rudi Lindner Foto: gut abzusichernde Routen in bestem Fels Castasegna leitet eine 1985 zur Capanna da l´Albigna anspruchsvollste Mixedtour Fiamma-Spazzacaldeira alpine Atmosphäre zu schnuppern. lieben,sind hier gut aufgehoben.Dicht über ausgeschilderte Route zu den (2336 m). Zeit 8 – 10 Std. des Gebiets für Profis der (2487 m), der „schwierigste dem Cantonegletscher, dessen Eis in der kulturhistorischen Stätten und Alpine Höhenwanderung mit Fachrichtung. Saison April/Mai. Gipfel“ des Gebiets ist wohl LITERATUR Nachmittagssonne rumort und kracht,wird Sehenswürdigkeiten. Zeit 12 Gletscherüberschreitung, die auch der meistbestiegene. Wer sich für Kultur und Geschichte der eine oder andere vielleicht alpine Lust- Std. Wer sich für die Kultur- Erfahrung, Ausdauer und ALPINE Kurze Schlüsselstelle (V+). des Bergells interessiert, dem sei gefühle entwickeln – die Chance zu deren geschichte des Bergells inte- Orientierungssinn verlangt, zu- KLETTERTOUREN Sehr originell, prächtiger Tief- der Bild-Textband „Das Bergell – Ausleben liegt gleich ein Stockwerk höher! ressiert, wird die lohnendsten dem feste Bergstiefel und ggf. Ago di Sciora (3205 m) blick ins Bergell. Sehr blitz- Heimat der Giacomettis“ wärmstens Übrigens:Wer sich nicht so recht traut,kann Punkte am besten einzeln be- Pickel. Prächtige Aussicht ins Normalweg von Südosten, IV- schlaggefährdet! empfohlen, erschienen bei Verlag sich bei Renata,Franco und all den anderen suchen, wie das Museum Forno- und Albignagebiet. am Gipfelturm, überwiegend II Piz Casnil (3189 m), bester Scheidegger & Spiess, Zürich. patenten Führern ans sichere Ende binden Ciäsa Granda in Stampa, Abstieg mit Seilbahn nach und III. Langer Zustieg, einst Aussichtsberg der Region mit 2. Aufl. 2001. und ist dann alle Sorgen los – das nur als letz- das Exponate der berühmten Pranzaira und von dort mit Bus Modetour, jetzt nicht mehr so leichtem Normalweg, 5 Std. ter Tipp. Malerfamilie Giacometti und zurück nach Maloja. begehrt. „Via Scarabelli“, von der Seilbahn-Bergstation. Berge Nr. 29 Das Bergell – stille des Malers Varlin zeigt, der Südostwand, 300 m, VI A1, Ostgrat (300m, IV) hübsche Gebirgswelt zwischen Engadin und 1977 in Bondo starb. Auch die SKI- UND die schwierige Alternative für Genusskletterei mit langem Comer See. Naturgeschichte ist in Diora- HOCHTOUREN alpin versierte Kletterer, die Zustieg. men dargestellt. In Maloja Kleine Bergellrunde von der auch den Umgang mit Keilen, Führer und Karten Aussicht auf das Massiv des ist das Atelierhaus von Fornohütte zum Pass dal Hammer und Haken beherr- SPORTKLETTERN Clubführer Bündner Alpen Spazzacaldeira und den Albignasee Giovanni Segantini zu be- Cantun (3265 m), Abfahrt schen. Ausweichmöglichkeit Spazzacaldeira (2487 m), Bd. IV – Südliches Bergell Disgrazia. vom oberen Teil des „Geistwegs“ sichtigen, der hier seine be- über den Vadrec dal Castel zum Normalweg. alpin angehauchte Routen 4. Aufl. 1989. Der SAC-Führer ist am Piz Balzet. deutendsten Werke schuf, die Nord und zur Albignahütte; Piz Balzet (2869 m) Südgrat, zwischen 120 und 250 m derzeitig das empfehlenswerteste Aufstieg zum Pass da Casnil 300 m, IV, hübsche kurze Tour, Höhendifferenz in 15 bis 30 Werk in deutsch mit zahlreichen Sud (2941 m) und Abfahrt zur eine der meist begangenen im Minuten von der Seilbahnsta- Fotos und Toposkizzen auch der Fornohütte. Zeit 2 – 3 Tage. Gebiet. WSW-Grat „Weg über tion erreichbar. Schwierigkeiten modernen Routen. Anspruchsvolle Unternehmung den Geist“, 600 m, IV+, zwischen V und VII, stellenwei- für passionierte Skibergsteiger. Stellen im unteren Wandteil, se grasdurchsetzt. Gelegent- Skitouren Graubünden, Cima di Castello (3388 m). nach oben leichter. lich lange Hakenabstände, SAC-Skitourenführer, 5. Auflage. Die klassische Hochtour mit Orientierungssinn erforderlich, deshalb zusätzlich Keile und Das Bergell wird hier zusammen mit oder ohne Ski im Bergell. Mit wer die letzte Gondel um 17 Friends zur Sicherung ratsam. dem Oberengadin und Val Poschiavo Ski Aufstieg von der Albigna- Uhr erreichen will, muss sich Topos im SAC-Führer. beschrieben. hütte über den Vadrec dal beeilen! Biopfeiler (P. 2843 m), Castel Nord zur Firnterrasse Punta da l’Albigna (2893 m), unscheinbarer Felsmugel am Albigna unter dem Pass dal Cantun, NW-Wand „Meuli“, 380 m, Rand des Vadrec dal Cantun, 65 Proposte di Alpinismo über die Bocchetta dal Castel IV+, Hüttenklassiker, kann vor der in einer gutem Stunde von Topo-Auswahlführer von Renata und den Westgrat zum Gipfel dem Gipfelturm abgebrochen der Albignahütte aus erreichbar Rossi und Franco Giacomelli. (Eisausrüstung!) Im Sommer werden. ist. Wandhöhen zwischen 150 benutzt man den Vadrec dal Vergine-Gallo- und knapp 200 Metern, sehr Landeskarte der Schweiz 1:25000 Castel Sud als Aufstiegsroute. Überschreitung guter Fels, der an Montblanc- Blätter 1276 Val Bregaglia, Zeit 8 – 10 Std. Saison März Kurze Kletterei, auch für unsi- Granit erinnert. Alpine Umge- 1296 Sciora. Foto: Ewald Weiß Foto:

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