Bergell Für Einsteiger Und Genießer
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Unterwegs IM BERGELL Südlich des Malojapasses warten die Bergeller Berge rund um die Capanna Albigna mit einem der vielgestaltigsten Tourengebiete der Zentralalpen auf. Ob klassische alpine Bergtouren oder anspruchsvolle Skihochtouren, Genussklettereien oder Sportkletter- touren, Firnflanken oder Steileiscouloirs – für beinahe jede Jahreszeit und jeden Geschmack ist hier die gesamte Palette des Bergsports geboten. Von E WA L D W E I S S Foto: RenataFoto: Rossi Der bizarre Granit- zacken der Fiamma auf dem Massiv des Spazzacaldeira ist die größte Attraktion für Kletterfreunde im Bergell, falls sie nur auf kurze Touren aus sind. Die Godet-Rütter-Route an der Nordwand der Cima Cantone zählt zu den beliebtesten klassi- schen Eistouren des Gebiets (rechts). AlbignaAlbigna Foto: Rudi Lindner Foto: Bergell für Einsteiger und Genießer Nr. 4/2002 22 DAV Panorama Nr. 4/2002 DAV Panorama 23 Unterwegs IM BERGELL Die Albignahütte, kaum sichtbar auf Konditionsstarken und erfahrenen Berg- Eis, Firn und Frühjahrsschnee dem begrünten Sporn im Mittelgrund, gängern vermittelt der unschwierige Piz Der bedeutendste Klassiker unter den wird von eisgepanzerten Dreitausendern Casnile (3189 m) eine lohnende Dreitausen- Hochtouren führt auf den höchsten Gipfel dominiert: Links oben die Cima Cantone dertour mit grandioser Aussicht über die im- des Bergeller Grenzkamms,die Cima di Cas- mit dem Vadrec dal Cantun, darunter die possante Runde des Fornobeckens und die tello (3388 m), über den Vadrec del Castel dunkle Pyramide der Punta da l’Álbigna formvollendeten Giganten des Bergells vom Nord, unmittelbar hinter der Punta da ‘l Al- und rechts darüber die Cima di Castello, Monte Disgrazia im Osten bis zum Piz Badile bigna. Über anstrengende Blockhalden und höchster Gipfel im schweizerisch-italieni- im Westen.Gute Geher können die Tour (mit Gletscherfirn ist hier eine Höhendifferenz schen Grenzkamm mit dem Vadrec dal Seilbahnhilfe) also vom Tal aus in einem Tag von etwa 1300 Metern zu überwinden.Von Castel Nord. Deutlich sichtbar ist die unternehmen.Vermutlich wurde der Casni- der obersten Terrasse des Castellogletschers Bocchetta dal Castel und der darüber le schon früh von Jägern erstiegen,die erste bietet sich als Alternative auch noch der ansetzende Westgrat, über den der Normal- touristische Ersteigung wird für 1880 ver- Aufstieg zur Cima Cantone (3354 m). Als an- anstieg verläuft. zeichnet. Der Gipfel des Spazzacaldeira bie- spruchsvolle und rassige Skitour empfiehlt tet von der Seilbahn aus das nächstgelegene sich diese Route für das Frühjahr, wenn die Ziel, mit prächtigem Tiefblick ins Tal der mühseligen Blockhalden und Gletscherspal- Maira und interessanten Nahstudien der ten vom Winterschnee bedeckt höchsten Kletterer an der bizarren Nadel der Fiamma Abfahrtsgenuss versprechen.Für die letzten gleich nebenan, dem meistbesuchten Klet- Gratstrecken auf die Gipfel dürfen Pickel tergipfel des Gebiets. und Steigeisen nicht fehlen. Die weitere Umgebung der Capanna Am illustren Firnschild der 300 Meter Aussicht vom Gipfel des Piz Bacun auf die Albigna ist prädestiniert für Ausbildungs- hohen Cantone-Nordwand, 1912 von Ch. Umrahmung des Albignagletschers. Von kurse aller Art und bei Bergschulen und Godet und Hans Rütter erstbegangen, links: Pizzo di Zocca, Pizzo del Ferro Führern entsprechend beliebt.So war es na- kommt der passionierte Nordwandmann Orientale, Torrione del Ferro und die Pizzi heliegend, dass eine große Zahl der Routen alter Schule auf seine Kosten, aber auch del Ferro; in Bildmitte die Sciorakette mit des Gebiets im Laufe der letzten 120 Jahre alpine Einsteiger, die schon Bergerfahrung Sciora di Dentro, Ago di Sciora, Punta von Bergführern erschlossen wurden, allen besitzen, können sich an die 50 Grad steile Pioda und Sciora di Fuori. Rechts dahinter voran vom großen Christian Klucker (1853 Firnwand wagen.Der Zustieg über den klei- die Bondascaberge mit den Gemelli, Piz – 1928), der die meisten Übergänge, Grate nen, aber spaltenreichen Vadrec dal Cantun Cengalo und Piz Badile mit der markanten und Gipfel hier vor über hundert Jahren er- ist genau so ernst zu nehmen wie die Wand Nordkante im Profil. kundet hat. selbst! 1976 musste sich die Firnflanke dem ie pittoreske Szenerie des Bon- massive und glänzender Firnkuppen rund Dammes – wenn das Wetter mitspielt. dascatals mit dem berühmten Piz um den Stausee, dessen träge Ruhe gele- Wanderer, die ausgetretene Pisten und Badile genießt Weltruf unter Klet- gentlich durch das Kalben des Albignaglet- viele Farbklekse zur Orientierung brauchen, Dterern, doch unmittelbar östlich schers jäh unterbrochen wird. Die abgelös- haben im Bergell schlechtes Spiel,die Über- liegt hinter den Zacken der Scioragruppe ten Minieisberge gleiten wie kleine Schiffe gänge zu anderen Hütten führen über müh- das weniger spektakuläre Albignatal als mitt- der Staumauer entgegen und geben dem See same Blockhalden oder Gletscher und set- leres der drei Bergeller Seitentäler auf ein arktisches Gepräge. Hinter der Albigna- zen etwas alpine Erfahrung und entspre- Schweizer Gebiet.Wenn auch die Berge un- hütte baut sich die Punta da ‘l Albigna als chende Ausrüstung voraus und auch Klet- scheinbarer wirken und die Wände nur halb düstere Felspyramide auf, hoch darüber die tersteigfans gehen hier leer aus. so hoch sind wie in der südwestlichen weißen Dome der Cima Cantone und der Apropos Wetter – auch in dieser Bezie- Nachbarschaft,ist das Albignatal doch eines Cima di Castello, dem Kulminationspunkt hung hat das Bergell seine Eigenheiten, wie der beliebtesten Tourengebiete Graubün- des Bergeller Grenzkamms. Weiter südlich den „Malojawurm“, eine seltsame Wolken- dens wegen seiner schnellen Zugänglich- überragen die einsamen Spitzen des Pizzo di formation, die in Kürze miserables Wetter keit durch die Werksseilbahn der Elektrizi- Zocca und der Pizzi del Ferro als stille mit oft sintflutartigen Niederschlägen mit- tätswerke Zürich (EWS). In einer Viertel- Wächter den Kessel des Albignagletschers, bringt und schon viele Urlaubs- und Wo- stunde gelangen die Besucher zur Bergstati- eine menschenleere Arena der Schweigsam- chenendpläne zunichte gemacht hat. Die on an der Staumauer und somit schon in keit,die ihre westliche Begrenzung im Firn- feuchtwarmen Luftmassen des nahen Co- Einstiegsnähe des Spazzacaldeira mit seinen dom der Cima della Bondasca und den gra- mer Sees kondensieren über den Gletschern Sportkletterrouten und der berühmten nitenen Ostwänden der Scioragruppe fin- der Region und sorgen so für energiegela- Fiamma oder den mächtigen Westabstürzen det. Eher selten sind dort Alpinisten zugan- dene Gewitterstürme, die für die Gegend des Piz Balzet.Die Capanna Albigna ist in ei- ge. Die Mehrheit der Bergfahrer bevorzugt charakteristisch sind und schon etliche ner Dreiviertelstunde erreichbar und wäh- den vorderen Bereich rund um die Stau- Bergsteiger in Bedrängnis gebracht haben. rend der Sommersaison sorgt der Zustrom mauer,die Sportkletterer eilen zu den nahen Seinen ganzen Charme entwickelt das der Bergfreunde für ständige Überlastung Routen am Spazzacaldeira, die alpin Ambiti- Albignagebiet oft gegen Ende der Saison, der gut bewirtschafteten SAC-Hütte. onierten steigen hinauf zur Fiamma oder wenn bei prächtigem Herbstwetter die süd- noch weiter zu Vergine und Gallo,um ihren liche Sonne den Granit erwärmt und tro- Ein alpiner Mikrokosmos Leidenschaften zu frönen.Wer es noch alpi- ckene Felsen ideale Voraussetzung sind für Der Panoramablick von der Staumauerkrone, ner wünscht, hält sich an die schwierigen die Sportklettereien beim Staudamm, oder die beim Aufstieg zur Hütte überschritten Routen des Fracchiccio-Nordpfeilers oder die entfernteren Touren an der Punta da wird, entfaltet die Galerie dunkler Granit- die langen Grate des Piz Balzet jenseits des ‘l Albigna ,am Piz Balzet oder am Biopfeiler. Rudi Lindner Fotos: 24 DAV Panorama Nr. 4/2002 Nr. 4/2002 DAV Panorama 25 Unterwegs IM BERGELL Links oben: Die Skitouristen rasten in der Nähe des Passo dal Cantun, dahinter der Gipfel der Cima di Castello mit dem Westgrat. In der Nähe des Pass da Casnil Sud laden weiche Rasenpolster und kleine Seen zur Ruhepause, dahinter die Nordwand der Cima Cantone. Links unten: Bergsteiger überklettern das „Nashorn“ am Gipfelgrat des Piz Balzet, hinten die Westflanke des Piz Casnile, des leichtesten Aussichtsberges der Gegend. ersten Steilwandfahrer, dem Südtiroler Ein Bergführer Kaminkehrer Heini Holzer, geschlagen ge- und seine Lebensaufgabe ben;er verunglückte im folgenden Jahr töd- Am dominierenden Berg des Albignakessels, lich beim Versuch, die Nordwand des Piz dem Pizzo di Zocca (3174 m),harrt Kluckers Roseg in der Bernina zu befahren. vergessene Route durch die Nordwestflanke Die Nordostwand des Vorgipfels der ihrer wenigen Aspiranten.Dieser große klas- Cantone (Punkt 3312 der LK) wurde 1980 sische Anstieg,anspruchsvoller als Cantone Schauplatz einer interessanten Erstbege- und Castello,ist wohl ein Opfer des Zeitgeis- hung,als ein bolzengerader Eisschlauch,den tes geworden, trotz des unproblematischen die Erstdurchsteiger „Fiammifero“ (Streich- Zugangs. Es war eine der ersten Touren, die holz) tauften, seine Jungfräulichkeit verlor. Christian Klucker 1891 mit seinem neuen Mit Steileis bis 75 Grad und Fels bis IV fin- Klienten Anton von Rydzewsky unternahm, den hier auch ausgebuffte Freaks eine loh- die erste Besteigung von Norden über die nende Alternative zur klassischen Nord- 650 Meter hohe Firnflanke und die zweite wand. Besteigung des Berges überhaupt.Kurz vor- Die Nordwand des Pizzo del Ferro her, am 6. Juni 1891, hatte Klucker seinen