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Mitt. Mus. Nat.kd. Berl., Geowiss. Reihe 6 (2003) 183-193 10. 11.2003

Die nachweisbaren Strukturen der Federn von Archaeopteryx mit Anmerkungen zu Longisquama und diversen Proavis-Modellen

Burkhard Stephanl

Mit 9 Abbildungen

Zusammenfassung

Die Abstammung der Vogel, die Entwidung des Togelflugesund die Evolution der Vogelfeder sind die zentr;..n Themen, die sehr kontrovers diskutiert werden und bei denen Archaeopteryx als Taxon oder als Modell fur die evolutiven Prozesse eine wesentliche Bedeutung zukommt. Dass der erste Fund von Archaeopteryx eine echte Vogelfeder ist und die Abdrucke bei den Skelettfunden von echten Federn stammen, ist offensichtlich. Sie haben einen Schaft, eine Innen- und eine AuRen- fahne, gebildet von Federasten und Federstrahlen. Der Beschreibung der Konturfeder rezenter flugfahiger Vogel folgt die Beschreibung der Konturfeder von Archaeopteryx. Am Berliner Exemplar Iasst sich nachweisen, dass die Fahnen der Archaeopteryx-Federn wie bei den rezenten flugfahigen Vogeln von Bogen- und Hakenstrahlen gebildet werden. SchlieRlich wird auf die gegenwartige Diskussion von Longisquama hinsichtlich der Evolution der Federn und der Abstam- mung der Vogel sowie auf geeignete Proavis-Modelle eingegangen. Archaeopteryx hatte bereits hochentwickelte Federn. Wenn die Hautderivate von Longisquama als nonavian feathers den Vogelfedern homolog sind, dann sind sie ein Beleg dafur, dass die Federn in der mittleren Trias entstanden sind. Ihre Flugtauglichkeit erhielten sie erst durch Funktionswechsel. Quadrupede Gleiter eignen sich nicht als Proavis-Modelle.

Schliisselworter: Vogel, Archaeopteryx, Longisquama, Federstruktur, Evolution der Federn, Abstammung der Vogel, Proavis.

Abstract

The evident structures of the feathers of Archaeopteryx with a statement about Longisquama and diverse models of Proavis.

The origin of , the beginning of the flight of birds and the evolution of feathers are the central themes, which are contro- versially discussed, separate as well as together. Because of this, Archaeopteryx is of fundamental importance as taxon and as a model for evolutionary processes. That the first fossil finding of Archaeopteryx is a genuine feather and the moulds near the skeleton came from genuine feathers is evident. They have a shaft (rachis), an inner and an outer vane, which are formed by barbs and barbules. The existence of distal and proximal barbules has been provided. It was necessary to test, whether proof of that could be furnished on the feather moulds. The description of the contour feather of Archaeopteryx follows the description of the contour feather of modern birds, which are able to fly. On the specimen of Archaeopteryx deposited at the Museum fir Naturkunde (Berlin) can be shown that the vanes of the feathers are formed by anchoring of distal and proximal barbules, of hook and bow barbules. Additionally, a discussion of Longisquama concerning the evolution of feathers, the and the suitable model of Proavis are considered. If derivates of Longisquama as nonavian feathers were homologous to bird feathers, they are an evidence for origin of the feathers in the Middle Triassic. They got their airworthy usefulness by change of function. Quadrupede gliders are unsuitable as Proavis models.

Key words: Aves, Archaeopteryx, Longisquama, feather structure, evolution of feathers, origin of birds, Proavis.

Einleitung Vogel nicht sofort so offenkundig gewesen (Meyer 1861a, b, 1862, Heller 1959, Wellnhofer Die Entdeckung der einzelnen Feder 1860 und 1988). Nach wie vor hat Archaeopteryx eine des ersten Skeletts mit Abdrucken von Federn zentrale Bedeutung einerseits als Taxon und fur 1861, das zum Londoner Exemplar von Ar- die verwandtschaftlichen Beziehungen sowohl chaeopteryx wurde, hatten nicht fir so vie1 Auf- der Vogel als auch der friihen Vogel untereinan- regung gesorgt, ware die prinzipielle Uberein- der sowie andererseits als Modell fur die Evolu- stimmung mit Federn der rezenten flugfahigen tion und Stammesgeschichte der Vogel und als

' Museum fur Naturkunde der Humboldt-Universtitat zu Berlin, Invalidenstr. 43, D-10115 Berlin, Germany Erhalten November 2000, angenommen Juni 2003 184 Stephan, B., Die Strukturen der Federn von Archaeopteryx

Symbol dieser objektiven Gegebenheiten insge- kiel, heran, der beim Offnen der Federfahne ab- samt. fallt. Der basale Teil des Federkiels, die Spule, Die Abstammung der Vogel, die Entwicklung Calamus, weist eine Kammerung auf die mit Be- des Vogelfluges und die Evolution der Vogelfeder sonderheiten des Federwachstums zusammen- sind die drei oft miteinander verquickt diskutier- hangt. ten Themenkomplexe, zu denen eine Vielzahl von Der auf die Spule folgende Abschnitt des Fe- Hypothesen und Theorien entwickelt wurden derkiels, Scapus, ist der Federschaft, Rachis. Von (Stephan 1974, 1979, 1987, Charig 1985, Berichte ihm gehen beidseitig Federaste, Rami, und von uber die Roundtable Discussion wahrend des diesen wiederum beidseitig Strahlen, Radii, ab. 4. Internationalen Treffens der Society of Avian Aste und Strahlen bilden zusammen die Feder- Paleontology and Evolution von Wittmer, Gos- fahne, Vexillum, die aus der Innenfahne und der low, Jr. und Chiappe in Olson 1999: 327-344). AuBenfahne besteht. Die zur Federspitze ausge- Seltsamerweise spielt die Ableitung der Federn richteten und an ihrer Unterseite mit Haken aus- aus Schuppen noch immer eine Rolle (Proavis- gestatteten Hakenstrahlen, die distalen Strahlen, Modelle; Diskussion in Stephan 1987). In diese uberkreuzen die zum Federrand ausgerichteten Diskussion wird nun Archaeopteryx selbst ein- und mit einer Krempe, dem Bogen, ausgestatte- bezogen. Die Behauptungen, die Federabdrucke ten Bogenstrahlen, die proximalen Strahlen. seien Falschungen, sind allerdings langst widerlegt Aste und Strahlen entspringen jeweils in einem (Rietschel1985b, Wellnhofer 1988,2002). spitzen Winkel von weniger als 60", so dass Ha- Offenbar genugt es aber nicht (mehr), die ken- und Bogenstrahlen in einem Winkel von heute bekannte Feinstruktur der Vogelfedern unter 90" aufeinander treffen. Offenbar begun- logischerweise auch fur die Federn von Ar- stigt dies das Verankern und Gleiten der Haken chaeopteryx vorauszusetzen. Auf Anregung von in den Bogen. Die Fahne ist fest und elastisch W. Bock, New York, suchte ich am Berliner zugleich. Das ist der Grundaufbau der Konturfe- Exemplar nach Stellen, die das Vorhandensein dern (Abb. 1). Von diesem ist eine Vielfalt an von Bogen- und Hakenstrahlen selbst anhand Abanderungen moglich und realisert (s. Berg- von Federabdrucken belegen konnten, wie sie mann 1987, Berndt & Meise 1959, Bd. 1: 23-28, Martin (1991: fig. 9) von Archaeopteryx beschrie- Brown et al. 1988: 96-101, 108-197, Bub 1985, ben und abgebildet hat. Anlass hierfur war ein Busching 1997). offener Brief von A. D. Walker, Newcastle upon Bei den Federn des GroBgefieders, zu dem die Tyne, U.K., an mehrere Kollegen. in dem er be- Hand- und Armschwingen sowie die Schwanz- zweifelt, dass die Federn von Archaeopteryx der federn gehoren, unterscheiden sich AuBen- und Struktur der Federn rezenter Vogel entsprechen Innenfahne deutlich. Die AuBenfahne der Schwanz- und fur Archaeopteryx und die Evolution der federn wird vom zentralen Paar nach auBen im- Vogel zu weitreichenden Schlussfolgerungen ge- mer schmaler und fester, analog die AuBenfahne langt. Dabei spielt der Vergleich mit Longisqua- der Handschwingen, so dass die auBeren Hand- ma eine Rolle. Von anderen Autoren werden die schwingen eine sehr schmale AuBenfahne haben vergroBerten Hautderivate von Longisquama - am ausgepragtesten die mitunter stark ein- vollig anders interpretiert. gebuchteten Handschwingen. Dieser Form- und Bevor die Ergebnisse der Untersuchung des Strukturwandel ist flugtechnisch begrundet. Berliner Exemplars dargelegt werden, wird fir Die benachbarten Schwungfedern und auch den Vergleich und das leichtere Verstandnis der die benachbarten Schwanzfedern sind jeweils so Zusammenhange der Bau der Konturfeder re- angeordnet, dass diese Federn beim Ausbreiten zenter flugfahiger Vogel beschrieben. Abschlie- der Flugel und Spreizen des Schwanzes zum Send wird auf den Vergleich zwischen Archaeop- Erreichen einer groBen Flache sowie beim Zu- terx und Longisquama, die Evolution der Federn sammenlegen der Flugel und des Schwanzes auf und die Abstammung der Vogel sowie die Pro- ein raumsparendes AusmaB ubereinandergleiten. avis-Modelle eingegangen. Im zusammengelegten Fliigel und Schwanz ist - von oben betrachtet - stets die AuBenfahne sichtbar (bei den inneren Armschwingen und ei- Beschreibung der Konturfedern rezenter ner der beiden mittleren Schwanzfedern auch flu#ahiger Vogel die Innenfahne). Die Federn bleiben auch im maximal gespreizten Flugel rsp. Schwanz an der Die Feder wachst aus einem in die Haut einge- Basis uberlagert, so dass ihr Ubereinandergleiten senkten Follikel in einem Hautmantel, dem Blut- stets gewahrleistet ist - auch beim fliegenden Mitt. Mus. Nat.kd. Berl., Geowiss. Reihe 6 (2003) 185

ren Hakchen an der Krempe, dem Bogen, der Bogenstrahlen verankern (Abb. 2). Weitere Ab- bildungen der Verhakung bringen Brown et al. 1988, Bub 1985, Busching 1997, Griffiths 1996, Lucanus & Stettenheim 1972 (letztere ubernom- 1 mm - men von anderen Autoren, u.a. Feduccia 1985). k HS Beim Abdruck von Federn in einem Substrat konnen die im Innern der Fahnen verborgenen Strukturen - die Seiten von Schaft, Asten und Strahlen, die nach ventral gerichteten Hakchen 0,l mm - und die Bogen sowie die Verankerung zwischen Abb. 1. Strukturen der Konturfedern rezenter Vogel. a, Haken- und Bogenstrahlen - nicht abgebildet Schema einer Feder. At AuRenfahne; If: Innenfahne; S: werden. Schaft. b, Varianten des Schaftquerschnitts. c, Varianten des Astquerschnitts. B Ansatz eines Bogenstrahls, H Ansatz Betrachtet man eine Feder mit bloljem Auge, eines Hakenstrahls. d, links Hakenstrahl, rechts Bogenstrahl. fallen der starke Schaft und die feinen und lan- Fig. 1. Structure of contour feathers of modem birds. a, gen, sehr regelmaljig und dicht angeordneten scheme of a feather. Af: outer vane, If: inner vane, S: shaft. Aste auf. Den Raum zwischen den Asten fiillen b, variants of the shaft's cross-section. c, variants of the cross- section of the barbs. A insertion of a bow (proximale) bar- die Strahlen aus, von denen auf der Dorsalseite bule, B: insertion of a book (distal) barbule. d, left - hook der Feder nur die Oberseite der Hakenstrahlen barbule, right - bow barbule. zu sehen ist (Abb 3), auf der Ventralseite der Feder nur die nach auljen gerichtete Flache der Vogel, der auf Anderungen von Luftstromungen Bogenstrahlen. Bei Vergroljerung ist auch die und Windverhaltnissen sofort reagieren muss. jeweils andere Lage erkennbar. An Stellen, an Federn sind dreidimensionale Gebilde. Ihr denen die Verankerung zwischen Haken- und Schaft ist im Querschnitt rund, oval, bohnen- Bogenstrahlen gelost ist, sowie am abgenutzten formig oder auch fast quadratisch (Abb. 1).Auch Federrand (Abb. 3, 4) sind die an den Asten sit- die Aste haben einen wechselnden Querschnitt. zenden Saume aus Haken- bzw. Bogenstrahlen Ihr basaler Teil ist mehr oder weniger oval, der zu erkennen. Die Fahne ist durch diese Struktur dorsale Bereich kann zu einer Leiste verlangert luftundurchlassig. So ist auch verstandlich, dass und stark gebogen, der ventrale Teil spitz ausge- auf einem vie1 groberen Substrat, selbst dem zogen oder verbreitert sein (Abb. 1). Die Bogen- strahlen sind flach und an einem Rand aufge- wolbt, die Hakenstrahlen haben Fortsatze nach ventral (einige zu Hakchen gekriimmt) und dor- sal (Abb. 1). Die Bogenstrahlen entspringen am Ast tiefer als die Hakenstrahlen, die sich mit ih-

Abb. 3. Buteo buteo. Ausschnitt aus der Fahne einer Schwungfeder, von oben, mit Schaft, Asten und - als Stri- chelung erkennbar - Hakenstrahlen (Fotos: W. Harre). An einer Stelle ist die intakte Fahne gestort. Hier sind auBer den nahezu parallel zum Schaft ausgerichteten Hakenstrahlen die zum Federrand orientierten Bogenstrahlen als Saum zu er- kennen. Fig.3. Buteo buteo. Part of a vane of a wingfeather, from dorsal, with shaft, barbs and - seen as broken lines - hook Abb. 2. Verzahnung der Haken- und Bogenstrahlen zur Bil- barbules. The intact vane is interrupted at one place. Here, dung der Federfahne. besides the hook babules, which are almost parallel to the Fig. 2. Doveteiling of the hook and bow barbules for buil- shaft, are also the bow barbules, which are directed to the ding a vane. border of the vane as a kind of hem. 186 Stephan. B., Die Strukturen der Federn von Archaeoutervx

feinsten Schlamm, nur die jeweils auBere Flache der genannten Strukturen einen Abdruck hinter- lassen kann. AuBerdem ist zu beachten, dass die ventralen Rander der Aste verbreitert und die dorsalen Rander verlangert und stark gekriimmt sein konnen, so dass die Aste in der Draufsicht breiter erscheinen, als sie sind (s. Querschnitt, Abb. 1).

Die Struktur der Konturfedern von Archaeopteryx

Die Federabdriicke des Berliner Exemplars (MB. Av. 100, MB. Av. 101) belegen eindeutig, dass die Federn eine AuBen- und eine Innenfahne hatten, Strukturen, die nur durch Haken- und Bogenstrahlen moglich sind. Ferner ist zu er- kennen, dass der Raum zwischen den Asten aus- gefullt ist, ein Indiz dafur, dass Strahlen tatsach- lich vorhanden waren (Abb. 5-8, s. auch Helms Abb. 4. Bufeo buteo. Federfahne mit leicht zerschlissenem Rand. Aste mit je einem Saum aus Haken- und Bogenstrahlen. 1982, Rietschel 1985a: Tafeln 1 u. 2, Griffiths Fig. 4. Buteo buteo. Vane with slightly tattered edge. Barbs 1996, Martin & Czerkas 2000). wzh a hem of hook barbules and bow'barbules each

Abb. 5. Archaeopteryx lithogruphica (MB. Av. 101.1). Spitze des linken Flugels, 5.-7. Handschwinge (von auBen gezahlt). Deutlich erkennbar sind die Abdriicke von Schaft und Asten. Der Rand der AuBenfahne (s. vor allem dunkle Stellen) ist zerschlissen oder z.T. venvest. Kleinere Abschnitte sind in Dellen des Substrats gedruckt. Die Storung der einst geschlossenen Fahne ist an diesen Stellen langs der Aste erfolgt, d.h. durch Losen der Verbindung zwischen Haken- und Bogenstrahlen. Fig. 5. Archaeopteryx lithogruphica (MB. Av. 101.1). Top of the left wing, 5th-7th primaries (counted inwardly). The moulds of the shafts and barbs are clearly seen. The edge of outer vane (see especially the darker places) is tottered or partly rotten. Little sections are pressed into dents. The disorder of the formerly closed vane at these parts always took place longitudinal the barbs. That is by loosing of the contact of hook and bow barbules. Mitt. Mus. Nat.kd. Berl.. Geowiss. Reihe 6 (2003) 187

Abb. 6. Archaeopteryx lithographica (MB. Av. 101.2). Auch auf der Gegenplatte sind die Abdriicke von Schaft und Asten der Flugel- und Schwanzfedern deutlich erkennbar. Rechts unten sind Schafte und Fahnen von Fliigeldeckfedern zu erkennen. Fig. 6. Archaeopteryx lithographica (MB. Av. 101.2). The counterpart shows clearly the marks of the shafts and barbs of the wing and tail feathers. Shafts and vanes of wing coverts at the bottom right are seen.

Aurjerdem gibt es an bestimmten Flugel- und senen Stelle der Fahne (vgl. Abb. 3). An diesen Schwanzfedern des Berliner Exemplars Stellen, Stellen sind die an den Asten sitzenden Strahlen die nur durch das Vorhandensein von Haken- als Saum, der seitlich verschwommen auslauft, und Bogenstrahlen zu erklaren sind. Wie von auch auf dem Abdruck erkennbar. (Zur Einbet- Federn rezenter Vogel bekannt ist, kann durch tung von Archaeopteryx siehe Helms 1982.) mechanische Einwirkung die Fahne der Feder Analoge Stellen sind an alten abgenutzten Fe- aufgerissen werden, was bedeutet, dass an diesen dern, vor allem kurz vor der Mauser, der Er- Stellen die Bindung zwischen den Bogen- und neuerung des Gefieders respektive der einzelnen Hakenstrahlen gelost wurde (Abb 3.). Dieser Federn, oder an bereits in Verwesung uberge- Eingriff ist reversibel. Wir konnen die Haftung gangenen Federn erkennbar. Das trifft in gerin- der Strahlen wieder herstellen, indem wir die gem MaBe auch auf die Rander der Federn des Fahne zwischen Daumen- und Zeigefinger hin- Grorjgefieders des Berliner Exemplars zu, vor al- durchziehen. Die Vogel benutzen hierfur den lem aber auf die einzelne Feder von Archaeop- Schnabel (beim ,,PutZen" des Gefieders - man teryx, dem 1. Fund. Ihr Rand ist zerschlissen kann beobachten, wie sie einzelne Federn durch (Abb. 9). Bei dieser Feder ist der Schaft unter- den Schnabel ziehen oder mit dem Schnabel im halb der Fahne abgebrochen oder abgebissen, so Gefieder stochern, womit sie nicht nur die Lage dass der basale Teil des Kiels, die Spule, Cala- der Federn in Ordnung bringen sondern auch mus, fehlt. Wenn Greifvogel Federn erbeuteter die Feinstruktur der Federfahnen). Vogel rupfen, entsteht im Kiel ein Loch oder Bei der Einbettung des Berliner Exemplars eine Kerbe, kleine Raubtiere unter den Sauge- gab es auf dem Boden, auf dem der Vogel zu tieren beil3en den Kiel durch, grorje Raubtiere liegen kam, leichte Unebenheiten. Sie sind als ziehen die Federn buschelweise heraus, wobei Dellen erkennbar. Ihnen folgen Teile der Feder- die Kiele abbrechen. Bei Mauserfedern bleibt fahnen, wodurch diese an diesen Stellen zerrissen der Kiel unbeschadigt erhalten (vgl. Brown et al. (Abb. 5). Dieses Bild entspricht dem einer zerris- 1988: Abb. S. 75). 188 Stephan, B., Die Strukturen der Federn von Archaeopteryx

Abb. 7. Archaeopteryx lirhographica (MB. Av. 101.1). Schwanz mit Abdriicken von Schwanzfedern. Schaft und Abb. 8. Archaeopteryx lithographica (MB. Av. 101.2). Teil Fahnen der Federn sind deutlich zu erkennen. der Schwanzfedem (vergl. Abb. 7: linker unterer Bereich). Fig. 7. Archaeopteryx lithographica (MB. Av. 101.1). Tail with Wie bei den Handschwingen erfolgte das AufreiRen der Fah- marks of tailfeathers. Shaft and vanes of the feathers are nen langs der gerade verlaufenden Aste durch Losen der clearly seen. Verankerung zwischen Haken- und Bogenstrahlen. Fig. 8. Archaeopteryx lithographica (MB. Av. 101.2). Part of tailfeathers (see Figure 7: left lower sector). As with the pri- maries the burst of the vane took place longitudinal of the Die Federn des GroBgefieders, die bereits er- straight barbs by loosing the anchoring of the hook and bow wahnten Hand- und Armschwingen sowie barbules. Schwanzfedem (Steuerfedern), und auch die Fe- dern des Kleingefieders - das sind die Deck- federn von Fliigeln und Schwanz. die Federn an 1959) zeigt ebenfalls deutlich Abdriicke einiger Kopf Hals, Rumpf und Beinen - bilden zu- Federn des Kleingefieders. Auch fur die anderen sammen die Konturfedern. Allein schon aus den Exemplare von Archaeopteryx, fur die alle Fe- aerodynamischen Eigenschaften des GroBgefie- dern des GroBgefieders nachgewiesen sind - bei ders ist zu schlieBen, dass die Urvogel ein Klein- den beiden letzten, dem Eichstatter und Soln- gefieder besaBen. Das Berliner Exemplar belegt hofener Exemplar bei schrager Beleuchtung im dies durch die Abdriicke von Fliigeldecken Streiflicht (Wellnhofer 1974, 1988) - war das (Abb. 6) sowie Federn im Brustbereich (vor den Kleingefieder existenziell. Humeri), auf dem Riicken, am Schwanzansatz und an den Unterschenkeln. Letzteres ist in manchen Rekonstruktionen beriicksichtigt, so von Archaeopteryx, Longisquama, Proavis Pycraft (1910), Heilmann (1926, Gemalde), Burian in Augusta (1962), Reichel (1941) sowie Wie aus obigem Vergleich hervorgeht, stimmen auch beim Tetrapteryx-Stadium nach Beebe (Heil- Form und Struktur der Federn von Archaeopter- mann 1926), von anderen Autoren weniger oder yx und der Konturfedern rezenter flugfahiger gar nicht. Das iibrige Kleingefieder ist immer Vogel prinzipiell iiberein. Zweifel hieran haben dargestellt. Das Maxberger Exemplar (Heller keine objektive Basis. Mitt. Mus. Nat.kd. Berl.. Geowiss. Reihe 6 (2003) 189

Von einigen Autoren (Jones et al. 2000, Jones derivaten von Longisquama zunachst stark modi- et al. 2001) ist Longisquama nun fest in die fizierte verlangerte Schuppen gesehen und Uberlegungen zur Evolution der Federn und zur keinen Hinweis auf Ahnlichkeit rnit Federn ge- Abstammung der Vogel integriert worden, was funden, weshalb sie fiir ihn als Ubergang zwi- z. T. Ruckwirkungen auf die Interpretation von schen Reptilschuppe und Vogelfeder nicht in Be- Archaeopteryx hat, weswegen hier kurz darauf tracht kamen. Er ist ebenfalls Anhanger der eingegangen werden sol]. Baum-Theorie und betont die Entwicklung der Intern (Walker, s. Einleitung) wird eine Auffas- Federn im Zusammenhang mit der Entwicklung sung diskutiert, nach der zwar der erste Fund von des Fliegens. Die primare aerodynamische Funk- Archaeopteryx lithographica, die mineralisierte tion der Vogelfeder werde durch die Asymme- einzelne Feder, als echte Vogelfeder anerkannt trie der Fahnen der Handschwingen belegt. Sie wird, die zu den Skeletten von Archaeopteryx ist auch die Begrundung fur die Flugfahigkeit gehorenden Abdrucke jedoch nicht von echten von Archaeopteryx (Feduccia & Tordoff 1979).2 Federn stammen sollen. Dabei spielt u.a. der gute Zusammen mit weiteren Autoren (Jones et al. Erhaltungszustand der Fahnen, die nirgendwo 2000) ist Feduccia nun davon uberzeugt, dass die aufgerissen, d. h. die Verhakungen von Haken- Abdrucke der groljen Hautderivate von Longi- und Bogenstrahlen an keiner Stelle gelost seien, squama aufgrund der Struktur ihres Kiels der eine Rolle. Die Fahnen der Federn von Archaeop- Nachweis der fruhesten Federn sind. Ihr Basisteil teryx seien vie1 einfacher gebaut als die Federn hat einen Bau wie die Spule, Calamus, der Vo- rezenter Vogel: Die beiderseits des Schaftes vor- gelfeder und steckt wie diese in einer Hautta- handenen Fahnen wurden aus einer einheitlichen, sche. Diese Interpretation und das Primat der regelmaljig gefalteten Lamina gebildet. Die ,,Fe- Flugfunktion der Federn ergibt die von den Au- dern“ von Archaeopteryx seien essentiell den toren vertretene Vorstellung, die verlangerten “Federn” von Longisquama ahnlich. Die Asym- Hautderivate hatten dem Gleitflug gedient, wozu metrie der Federn sei nicht nur beim aktiven Flug, sie seitwarts abgespreizt werden mussten (Abb. sondern auch beim Gleiten notwendig. Unter siehe BBC News und Hawkes 2000). Das ist Hinweis auf zahlreiche Skelettmerkmale (u.a. eine weitere Variante des quadrupeden Proavis- Schadel, Pubis, Hand) wird der Schluss gezogen, Stadiums. Archaeopteryx sei kein Vogel, sondern ein thero- Nach Sharov (1970), dem Entdecker von Lon- poder Dinosaurier und beide hatten nichts rnit der gisquama insignis, handelt es sich um einen klei- Evolution der Vogel zu tun, die Vogel wurden von nen Pseudosuchier. Sein Rumpf war ca. 50, der fruhen Crocodilomorphen abstammen. Das not- Hals ca. 10, der Schadel ca 28 mm lang. Er hatte wendige Ubergangsstadium entspricht demjeni- eine Furcula und eine lange schmale Scapula, gen der Baum-Theorie (quadrupedes Gleiten). Bauchrippen fehlen, die Vorderextremitat hatte Mit dem Nachweis der Ubereinstimmung der 5 Finger. Hinterkorper und Schwanz sind nicht Federn von Archaeopteryx mit den Federn der erhalten. Die Hautderivate am Rumpf, die der Vogel (s. oben) entfallt auch die Schlussfolge- Thermoregulation gedient haben konnten, sind rung zur Stellung von Archaeopteryx im System 5-7 ma1 langer als breit und nicht so kompliziert auljerhalb der Aves. gebaut wie die extrem verlangerten Gebilde auf In einem anderen Vergleich rnit Longisquama dem Rucken. Diese sind etwa 120mm lang, da- gehen die Schlussfolgerungen in eine ganz ande- von das verbreiterte Stuck ca. 20mm. Der mitt- re Richtung. Feduccia (1985) hatte in den Haut- lere Abschnitt ist ca. 5 mm breit, das verbreiterte

Angemerkt sei hier, dass die Behauptung, die Handschwingen der Hiihnervogel hatten eine wenig ausgepragte Asymme- trie, nicht zutrifft (siehe z. B. Abb. in Brown et al. 1988). Ihr Fliigel hat eine hohe Flachenbelastung, und sie miissen auch im windstillen Raum schnell vom Boden auffliegen konnen, um der Gefahr in letzter Minute zu entkommen. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Federn des Kleingefieders (Kopf-, Hals-, Riicken-, Brust- und Bauchfedern) symmetrisch gebaut sind (vgl. u. a. Abb. bei Brown et al. 1988, Busching 1997). Asymmetrisch sind vor allem die distalen Handschwingen und die auReren Schwanzfedern, Federn, die wahrend des Fluges besonders stark beansprucht werden. Die Asymmetrie dieser Federn entstand mit der Vervollkommnung des Fluges, nicht in seinen Anfangen. Funktionswechsel von Strukturen war nicht selten. Bestimmte Strukturen entwickelten sich in Zusammenhang mit einer oder mehreren speziellen Funktionen. Sie miissen erst einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht haben, bevor weitere Funktionen hinzukommen konnen. Werden letztere zur Hauptfunktion, konnen die bisherigen - im Falle der Federn Thermo- regulation, Tarnung, beim Imponieren und bei der Balz - erhalten bleiben, wenn sie weiterhin im Leben der betreffenden Tiere eine wichtige Rolle spielen. Funktionswechsel der Federn bedeutet fiir die Evolution der Vogel u.a. die Kombination der Federn an Hand und Unterarm zu Tragflachen, d.h. Integration in eine neue funktionelle Einheit, die Fliigel, als Hand- und Armschwingen, obere und untere Fliigeldecken, Alulafedern. Die Federn des Kleingefieders bilden zusammen die Strom- linienform des fliegenden Vogels. Die Anordnung der Fliigelfedern ist einmalig und ebenso wichtig wie die Federn selbst. 190 Stephan, B., Die Strukturen der Federn von Archaeopteryx

Innern dieses Abschnittes an die Federseele der Spule einer Vogelfeder erinnert und offenbar dieselbe Funktion beim Wachstum hatte. Er nimmt an, dass diese Gebilde eine Fallschirmwir- kung hatten und den Fall verlangsamten. Dabei waren sie schrag nach oben gestellt. Sharov kann zwar keinen Ubergang von Longisquama zu den friihen Vogeln erkennen, halt es aber fur mog- lich, dass die Vorfahren der Vogel solche Schup- pen gehabt haben konnten, und Longisquama rnit den Vogelvorfahren nah verwandt war. Lon- gisquama lebte vor 230 Millionen Jahren (Unwin et al. 2000: mittlere bis obere Trias) in Mittel- asien (Fergana-Becken im heutigen Kirgistan). Seine Stellung im System steht noch nicht fest. Die langen Gebilde konnten auch eine ahn- liche Funktion gehabt haben wie die Kehlfalte der Baumleguane (Norops) oder die Rucken- kamme der Baumechsen, z. B. der Basilisken (Basilicus), und beim Imponieren undloder Wer- ben zur Geltung gebracht worden sein. Jones et al. (2000) sehen in diesen langen Gebil- den keine Schuppen, sondern nonavian feathers, und unterstreichen, dass - wenn diese Strukturen mit Vogelfedern homolog sind - die Entwicklung der Federn 75 Millionen Jahre vor der Existenz der voll befiederten Archaeopteryx erfolgte. Letzteres wurde erstens meine Uberzeugung stutzen, dass Federn nicht aus Reptilschuppen hervorgingen (Stephan 1974: 100, 1979: 112, 1987: 163, 168), was schon Lucanus & Stetten- heim (1972) - deren Arbeit mir erst vor weni- gen Jahren zuganglich wurde - belegen, und zweitens auch die Erkenntnis, dass die Federn von Archaeopteryx bereits hoch entwickelt wa- ren und die Vogelfedern deshalb wesentlich fru- her entstanden sein muljten. Abb. 9. Archaeopteryx lithographicn. Einzelne Feder (MB. Der Vergleich dieser nonavian feathers rnit Vo- Av. 100). Die fossile Feder zeigt Ubereinstimmung mit dem Bau einer Konturfeder rezenter Vogel mit Schaft. schma- gelfedern zeigt, dass fur eine Homologisierung ler AuBen- und breiter Innenfahne. rnit Asten und z. T. abge- nicht das gesamte Gebilde in Betracht kommt, nutztem Rand. sondern hochstens der basale Teil des Kieles rnit Fig. 9. Archaeopteryx lithographica. Solitary feather (MB. Av. 100). This fossil feather shows in correlation to feathers of den Luftkammern. Reisz & Sues (2000) und Prum modern birds the typical construction of a contour feather (2001) konnen keine Homologie zur Vogelfeder with shaft and narrow outer vane and broad inner vane. with erkennen, und Unwin & Benton (2001) betonen barbs and partly disturbed edge. auljerdem, dass nach bestimmten Skelettmerk- malen Longisquama kein Archosaurier ist. Ende, die Fahne, etwa doppelt so viel. Deren Bei den quadrupeden Wirbeltieren, die gleiten Oberflache ist geriffelt (s. Sharov 1970: Tafel VI- wie z. B. die Flughornchen, Pteromys, spannt sich I1 Bild 2). In der Mitte verlauft der Schaft. Der eine doppelte Hautfalte an den Rumpfseiten kompakte Saum der Fahne ist vorn viel breiter zwischen Vorder- und Hinterextremitat, bei den als der Schaft und hinten fast so breit wie dieser. aktiv fliegenden Fledermausen und Flughunden, Der Teil des Kiels, der der Spule der Feder Chiroptera, sowie den Flugsauriern, Pterosauria, homolog ist, reicht bis an die Fahne heran, ist sind/waren die Vorderextremitaten starker einbe- also wesentlich langer als bei einer Vogelfeder. zogen. Alle diese Tiere bleiben quadruped bei der Sharov (1970) schreibt, dass diese Struktur im Fortbewegung an Baumen oder auf dem Boden. Mitt. Mus. Nat.kd. Berl., Geowiss. Reihe 6 (2003) 191

Ihre Flughaut wird durch die Korperwand und den meisten spielt die Verlangerung des Sprun- vor allem durch die Extremitaten gestiitzt. Die ges eine Rolle. Baum-Theorie und Boden-Baum- Hautderivarte von Longisquama saljen in Hautta- Theorie erlauben hypothetisch eine allmahliche schen, an denen nur Hautmuskeln ansetzen. Vergroljerung der (Schuppen) Federn wahrend Diese reichen zum Aufrichten der Gebilde, nicht der Evolution des Fliegens. Die Boden-Theorie aber zu deren Stabilisierung bei horizontaler Stel- setzt andere Funktionen wie z.B. die Thermo- lung und hoher Beanspruchung wahrend des regulation fir die anfangliche Evolution der Fe- Gleitfluges. Welche Muskeln, Sehnen, Bander dern voraus (Ubersicht und Diskussion s. Ste- sollten die Stabilisierung bewirkt haben? AuBer- phan 1987). dem war die Wirbelsaule beweglich. Die Gebilde Bedenkt man, dass bei den rezenten Vogeln inserieren dorsal in der Nahe der Wirbelsaule und mehrere Typen von Federn - Konturfedern (s. nicht an den Rumpfseiten, was - wenn iiberhaupt oben, z. T. mit dunigen Strukturen), Pelzdunen, mit der Fortbewegung verbunden - fiir die Wir- Borsten, Fadenfedern - und die Konturfedern in kung eines Fallschirms spricht, bei dem die langen mannigfaltigen Formen und Groljen sowie abge- Kiele als Streben fungierten. Manovrierfahig ware wandelt zu Schmuckfedern usw. vorkommen, so ein solches Tier aber nicht. sollten weitere Strukturen, die aus Follikeln her- Der quadrupede Gleiter gehort zu den fruhes- vorgehen, nicht iiberraschen. Es miissen primar ten Modellen von Proavis, dem hypothetischen keine Federn oder Gebilde gewesen sein, die Glied zwischen bestimmten Sauriern und Vogeln eine Fahne ausbildeten. Das Entstehen aus - s. Modelle von Pycraft (1910) und Steiner einem Follikel in einer Hauttasche weist nur auf (1917) bis Tarsitano (1985) (Zusammenstellung die besondere Potenz der Haut dieser Tiere hin. in Stephan 1987). Charakteristisch sind Quadru- Weitere Varianten solcher Hautderivate konnen pedie, ein Leben auf Baumen (Baum-Theorie) durchaus existiert haben. und Gleitflug. Die Autoren lassen dabei die Fe- Aber nur eine Variante, namlich diejenige, die dern aus verlangerten Reptilschuppen hervorge- Konturfedern am Unterarm und an der Hand so- hen (obwohl Schuppen nur bei den Squamata wie am Schwanz ausbildete, biped war und de- auftreten, einer vollig anderen phylogenetischen ren Vorderextremitaten frei waren von der Fort- Linie; s. hierzu auch Martin & Czerkas 2000). bewegung an oder auf dem Substrat, so dass sich Die Konstruktion der Hand von Archaeopteryx Flugel rnit dem fur Vogel charakteristischen Ge- und den Vogeln bleibt unberiicksichtigt, und die lenkautomatismus ausbilden konnten, kommt als verlangerten Schuppen sind eher um den Ellen- Vorfahr der Vogel in Betracht, alle anderen bogen gruppiert dargestellt als an der Hand nicht. Insofern entsprechen viele Proavis-Mo- (kiinftige Handschwingen) und am Unterarm delle und auch Longisquama - als Model1 ge- (kiinftige Armschwingen). dacht - nicht einem Bindeglied zwischen betref- Tetrapteryx-Vorstellungen eignen sich nicht als fenden Sauriern und den Vogeln. Proavis-Modelle, so auch diejenige in Form der Die langen Hautderivate von Longisquama Rekonstruktion von Microraptor gui durch Xu deuten aber darauf hin, dass die Bildung von Fe- et al. (2003: 336) nicht. Sie geben kein ,,stage in dern in der mittleren Trias stattfand, wofiir auch bird evolution" (p. 339) wieder. Dariiber hinaus die relativ weit fortgeschrittene Entwicklung des ist Microraptor gui in dieser Rekonstruktion Gefieders von Archaeopteryx spricht, und die mit Archaeopteryx-Flugeln ausgestattet. Entwick- Urvogelfedern das Ergebnis einer langen Evolu- lungsstadien vor Archaeopteryx hatten jedoch tion sind (Stephan 1974: 88, 1979: 99, 1987: 93). noch keine so hoch entwickelten Fliigel. Dieser Schluss wird nun gestutzt durch Haut- Die notwendigerweise bipeden Vorfahren der derivate von theropoden Sauriern aus der Unter- Vogel - bipede Archosaurier oder spater bipede kreide Chinas, die mit den Borstenfedern der Theropoden - fiihrten zur Boden-Baum-Theo- Vogel homologisiert werden (Cheng et al. 1998, rie. Beide Theorien brauchen das Baumstadium Xu et al. 1999, 2000, 2001, Ji et al. 2001, Welln- fur die Uberwindung der Schwerkraft in den An- hofer 2002) sowie dem Nachweis von tubularen fangen des Fliegens. Seltsamerweise werden bei borstenartigen Hautderivaten von Psittacosaurus, der zweiten Theorie aus bipeden Bodenbewoh- einem nicht-theropoden Saurier aus der Unter- nern wieder quadrupede Baumbewohner bzw. kreide Chinas (Mayr et al. 2002). Diese unver- solche, die auf den Baumen ihre Vorderextremi- zweigten Gebilde haben Verbindung zu den taten zum Klettern und beim Gleiten einsetzen. Dornfortsatzen (Spinae dorsales) und Praezyga- Boden-Theorien miissen fur die Uberwindung pophysen der Schwanzwirbel. Der aus ihnen ge- der Schwerkraft andere Varianten finden. Bei bildete Schwanzborstenkamm hatte Signalfunk- 192 Stephan, B., Die Strukturen der Federn von Archaeopteryx tion. Bei den Vogeln dienen borstenartige Fe- Verkurzung des Rumpfes und Naherung der dern als Wimpern dem Schutz der Augen sowie Huft- und Schultergelenke an den Korper- als Bart- oder Schnurrborsten am Schnabelwin- schwerpunkt. Femora nach vorn-auBen, Hu- kel als Fibrissen dem Tasten und als reusenartige meri nach hinten-auBen gerichtet. VergroBerung der Schnabelspalte beim nacht- Hals relativ lang und S-formig gekriimmt. lichen Insektenfang. Die Borsten der theropoden Schultergelenk bereits vor Proavis aus der und nicht-theropoden Saurier sind Grundlage fur Ebene des Brustbeins in Hohe der Wirbel- die Annahme, dass sich filamentartige Hautderi- saule verlagert. vate vor der Evolution des Fliegens entwickelten Vorderextremitaten mit drei Fingern. Am (Xu et al. 1999, 2001, Brush 2001, Ji et al. 2001, Daumen entwickelten sich die Federn des Sues 2001, Wellhofer 2001, 2002, Mayr et al. Daumenfittichs, Alula, am langen Finger die 2002). Wellnhofer gibt das von Xu et al. ent- distalen Handschwingen, am Metacarpus die wickelte Modell der Evolution der Vogelfeder, inneren Handschwingen, an der Ulna die d. h. einer Konturfeder, wieder und diskutiert kunftigen Armschwingen. weitere Funde. Das erste Stadium dieses Modells Automatismus der Bewegung von Ellenbogen- ist ein tubulares zylindrisches faden- oder bors- und Handgelenk, durch den beim Strecken tenartiges Gebilde, das dritte Stadium ist ein Ge- des Ellbogengelenkes zugleich das Handge- bilde aus einem langeren verzweigten Schaft, lenk gestreckt wird (bei Archaeopteryx eben- beim vierten Stadium sind auch die Aste ver- so entwickelt wie bei rezenten Vogeln). zweigt. Das zweite Stadium aber ist kein Uber- Von der Fortbewegung am Boden oder auf gangsstadium, denn es entspricht einer Pelzdune Baumen vollig befreite Vorderextremitaten, da (Teleoptil): Viele Aste gehen von einem kurzen sich nur so aus ihnen Fliigel entwickeln konn- Schaft aus. Die Nestdune (Neoptil) ist eine ten. Die Verlangerung der Finger fuhrte zur dunige Struktur an der Spitze einer Konturfeder, VergroBerung der Fingerkrallen. Einen un- die bei Ausbildung dieser Feder abfallt, sie hat mittelbaren funktionellen Bezug gibt es nicht. eine strahlige Basis (ausfuhrlich bei Brown et al. Reduktion des langen Schwanzes zusammen 1988, Busching 1997 u.a.). Pelzdunen stehen mit der Reduktion der Zahne und leichterer zwischen den Konturfedern und sind von diesen Bauweise. vollig bedeckt. Pelzdunen, Konturfedern, Faden- Entstehung der Vogel moglicherweise in federn und Borsten sind nicht-austauschbare einem Gebiet in Mittelasien. Varianten des Gebildes Vogelfeder. Es ist ublich geworden, Cladogramme zu er- Danksagung stellen. Mitunter sind es uber ein Dutzend (s. Stokstad 2000). Sie helfen jedoch nicht weiter, Prof. Dr. W. Bock, New York, bat mich, am Berliner Exem- weil die ausgewahlten Merkmale unterschiedlich plar von Archaeopteryx nach Indizien fur den Feinbau der Federfahnen zu suchen. Frau W, Harre vom Institut fur Pala- bewertet werden konnen. Die Losung ist die Re- ontologie des Museums fur Naturkunde der Humboldt-Uni- konstruktion des Werdens des gesamten Kom- versitat zu Berlin machte die Foto-Aufnahmen. Dr. Unwin plexes ,,Vogel". Ein unter Beachtung der ge- sowie Dr. S. Frahnert, Leiterin der Ornithologischen Abtei- lung des Instituts fur Systematische Zoologie des Museums nannten Zusammenhange entwickeltes Proavzs- fir Naturkunde Berlin, Dr. G. Mayr, Forschungsinstitut Sen- Modell zeigt Stephan (1987: 184-185). ckenberg Frankfurt am Main, und Dr. G. Viohl, Jura-Mu- Nach dem jetzigen Kenntnisstand sind fiir Pro- seum Eichstatt, verdanke ich einige schwer zugangliche re- spektive neuere Literatur. Bei den englischen Texten half H. avis als Modell des Entwicklungsstadiums zwi- Kohler, Wildau. Frau E. Siebert, Museum fur Naturkunde, schen bipeden Sauriern und Vogeln folgende De- Berlin, hat die Abbildungen auf den Standard der Zeitschrift tails zu beachten: gebracht. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank. - Klein, bis DrosselgroBe - Bipedie, Hinterextremitaten mit 4 Zehen, die Literatur erste nach hinten gewendet. Knie und Fersen gebeugt. Keine sekundare Ruckkehr zur Qua- Augusta, J. 1962. Versteinerte Welt. 260 S., URANIA-Verlag, drupedie. Daher kein Gleitflug, sondern Be- Leipzig, Jena, Berlin. ginn des Fliegens mit dem Fallschirmsprung BBC News. 22. June, 2000. Earliest feathers fan controversy. Bergmann, H.-H. 1987. Die Biologie des Vogels. 356 S., (Vorderextremitaten nicht horizontal schrag AULA-Verlag, Wiesbaden. nach vorn gestreckt, sondern leicht gewinkelt Berndt, R. & Meise, W. 1959. Naturgeschichte der Vogel. V-formig nach oben gehalten). Bipede Lebens- Bd. 1, 390 S., Franck'sche Verlagshandlung, Stuttgart. weise an Gebirgshangen und Flussterrassen, wo Brown, R., Ferguson, J., Lawrence, M. & Lees, D. 1988. 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