G80 Jahre George Gruntz
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SPEZIAL 80 JAHRE GGGEORGE GRUNTZ Wir verneigen uns vor einem ON THE SUNNY SIDE grossen Musiker. OF THE STREET Ein Musiker und seine Zeit: George Gruntz zum Achtzigsten am 24. Juni. Wer genötigt würde, seine atemberaubende Biographie auf das Format eines Programmzettels oder Buchdeckels zu reduzieren, bekäme es mit der Angst zu tun, oder zumindest mit dem schlechten Gewissen. GVON ARMIN BRUNNER Natürlich kann man eine Compact-Version von Georges Lebenslauf oder Honegger immer zuhinterst in den Biographien versteckt hielt. herstellen und die klingt dann etwa so: «George Gruntz – er hat die Doch es war auf die Dauer nicht zu übersehen und schon gar nicht zu Meister des Barock verjazzt, Beduinen zum Swingen gebracht, mit überhören: «Der bislang kaum bekannte Sound», schreibt der deut- Rolf Liebermann die Jazz-Oper «Cosmopolitan Greetings»G geschrie- sche Musikwissenschaftler und Komponist Siegfried Borris, «brach ben; war viele Jahre musikalischer Direktor des Zürcher Schauspiel- herein über die internationale Musikszene und mit einer rasant an- hauses, leitete während 23 Jahren die Geschicke der Berliner Jazzta- schwellenden Kommunikationsbreite durchbrach er die etablierten ge, bereiste mit seiner grandiosen ‚Concert Jazz Band’ die Kontinente. Ordnungen und wurde mit ebenso viel frenetischem Jubel empfan- Wird 1995 mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse der Bundesrepublik gen wie mit Ingrimm verteufelt, mit dem Bannstrahl der Verachtung Deutschland ausgezeichnet.» und Disqualifikation belegt, mit kategorischer Verunglimpfung». Damit ist zwar einiges gesagt, aber auch unendlich viel weggelassen. Das war die Zeit, als George seine ersten Finger- und Gelenkübun- Ich betone: sehr viel weggelassen! Hand aufs Herz: Wer mit Vereh- gen an seinem Jazzklavier absolvierte. Hätte er die Hörer-Typologie rung und Hingabe dem Musiker George Gruntz huldigen möchte, des Philosophen Adorno gekannt und an sie geglaubt, dann hätte er spürt sehr bald, dass er von der Materialfülle buchstäblich erdrückt erfahren, dass sein künftiges Publikum aus «Ressentiment-Hörern» wird, einer Fülle, die ihn verstummen lässt. bestehen wird ... Was weglassen, wie kürzen, um dieser exemplarischen Musikerbio- Unter den sieben Hörer-Kategorien, die Adorno eingerichtet hat, ran- graphie nicht Gewalt anzutun? Welche Höhepunkte gilt es herauszu- giert der Jazz-Hörer gerade mal an 5. Stelle und dort in einer Sonder- picken, wenn die Biographie ohnehin von Höhepunkt zu Höhepunkt stellung, eben als «Ressentiment-Hörer». Dann folgen nur noch der hüpft? «Unterhaltungshörer», für den die Musikindustrie tätig ist und am Ich greife also hinein in den mächtigen Strom des Gewesenen, ich Schluss der «Unmusikalische Hörer» als Ergebnis eines Erziehungs- greife heraus, ich ergreife, was ich mit zwei Händen zu erhaschen defektes. vermag. Bei genauerem Hinsehen gewinnt man unweigerlich den Soweit Adorno und seine Musikhörer-Rangliste. Und wir andern, Eindruck, dass der Lebenslauf von George Gruntz nur mit einer die wir uns an Schuberts Forellenquintett nicht satt hören konnten, Perlenkette vergleichbar ist, nur mit einer schillernde Perlenkette, was blieb uns? Auch wir bekamen unser Fett ab und durften deren einzelne Juwelen so stark funkeln und strahlen, dass man zur den folgenden Richterspruch aus Frankfurt – natürlich stehend – ent- Sonnenbrille greift. gegennehmen: «Wer sich heute noch an den schönen Stellen eines Leben heisst immer und jederzeit: Première – und bei aller Detailpla- Schubertquartetts oder gar nung ist Leben eine gewaltige Improvisation. an der provokant gesunden MASALLAH ! – der Liebe Gott soll Daher soll diese Mini-Hommage den Charakter einer Improvisation Kost eines Händelschen Con- ihn beschützen. Ich habe mit George tragen – es wird nicht nach Noten gespielt, es wird improvisiert, mit certo grosso labt, rangiert während vielen Jahren in ganz Europa, ein paar Standards im Rucksack. als vermeintlicher Bewah- in der Türkei, in den USA und Canada rer der Kultur unter den zusammen gespielt. Und habe auf diesen Tourneen viel von ihm gelernt, Improvisation 1: Schmetterlingssammlern.» wichtige Erfahrungen sammeln können Wie war das damals, als George Gruntz anfing? Mein Gott, wer möchte da und viele andere Musiker kennenge- Man muss sich das Musikleben der Nachkriegszeit vergegenwär- nicht Schmetterlingssammler lernt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. tigen, damals, als der 25jährige George seine musikalischen Fühler sein! Ich wünsche ihm noch viele gesunde ausstreckte. Wer in dieser Nachkriegszeit ins musikalische Erwach- Warum ich das erwähne? und erfolgreiche Jahre. Danke für das Œuvre, George Gruntz. senalter eintrat, dem wurde bald klar, dass der Jazz in den Sälen und Weil Georg weiss, auf was er Burhan Öçal Kathedralen der anspruchsvollen, und das heisst: der sogenannten sich einlässt, als er sich end- abendländischen Kunstmusik nichts zu suchen hatte. gültig entschliesst, Musiker und zwar Jazzmusiker zu werden. Zitat Praktiziert wurde eine strikte musikalische Apartheid-Politik. Jazz George Gruntz: «Wenn Sie mich fragen würden, was ich bin, wel- war dort, wo man sich mit dem Innenleben des «Wohltemperier- chen Beruf ich ausübe, hätte ich Ihnen geantwortet: Ich bin Jazz- ten Klaviers» oder der Sonate opus 111 befasste, ein Unwort – ein musiker und habe keinen Beruf. Damit sehe ich mich, ganz ohne «Four Letter Word». Eine eingestandene Zuneigung zu Swing und Werturteil, im Gegensatz zu einem Musiker klassischer Provenienz, Bebop war mit gesellschaftlicher Ächtung gekoppelt. dem Solisten im Stress, dem Musiklehrer in der Routine Ich tue das mit Mit dem dem Jazz zugeneigten Pianisten Friedrich Gulda kam das Freude, woran ich Spass habe.» gehobene Musik-Feuilleton nie zurecht. Jazz zu spielen oder zu be- wundern war ein Risiko für alle, die ihre Karriere auf Schumann und Improvisation 2: Etüde am Cembalo Chopin aufzubauen versuchten. Es fängt schon mal gut an – Talent und Glück reichen sich fürs erste Unvergessen die Konsternation und Sprachlosigkeit in Konservato- die Hände. Die Baslerin Antoinette Vischer, eine vermögende Pianistin riumskreisen, als Rolf Liebermann 1956 mit seinem Jazz-Concerto und Cembalistin, war des Zupfens und Zirpens barocker Suiten über- auf den Plan trat und Furore machte. Zwar wusste man, dass auch drüssig geworden und bestellte eine grosse Zahl frischer Cembalo- Debussy, Strawinsky, Ravel und andere ab und zu kleine Ausflüge musik direkt beim Komponisten. Die Stücke der Neu- und Neust- Ganz einfach. Fragen Sie uns. auf das Gelände der Jazzmusik unternahmen, aber das wurde nie so Töner aus der Alten und Neuen Welt ergaben im Endeffekt ein buntes T 058 280 1000 (24 h), www.helvetia.ch ganz ernst genommen, wie man auch Filmmusiken von Hindemith Panorama der zu jener Zeit aktuellen Kompositionstechniken. 3 Als Vollmitglied des «Basler Daigs» hat Antoinette Vischer damit einen uns an Augenblicke, in denen die Erde erbebt und der Vorhang von Sein Personaldossier gleicht einem Höhenweg-Spaziergang durch das sche Methoden und Theorien keinen Platz, starre Regeln und Prinzi- eigenen ganz persönlichen musikalischen «Daig» geknetet, indem sie oben bis unten zerreisst im Tempel des Mammon ... Arsenal der Superlative. Wo immer über George Gruntz gesprochen pien schon gar nicht, dafür umso mehr die geheimnisvollen Ord- die zu jener Zeit – also in den 60er-Jahren – bekanntesten Namen Aber: Kann man verflossene Zeit überhaupt spüren oder gar hören? und geurteilt wird, tut man es mit grossem Respekt, mit Worten der nungskräfte des immer wieder erprobten Zufalls. der sogenannten Avantgarde um sich scharte: Kagel, Haubenstock, Man kann: zum Beispiel mit Hilfe von Wort und Musik. Wort und Mu- Begeisterung und Verehrung und Zuneigung. Ligeti, John Cage, Earl Brown, Henze, Isang Yun, aber auch Musiker, sik sind die geheime Nabelschnur der Sinne zu aller Zeit und zu allen Epilog die ausserhalb dieses Zirkels standen, wie Boris Blacher, Gottfried von Zeiten – auch zum Jahr 1932, als George zur Welt kommt, als Ravel Improvisation 5: Wer in der Überfülle von Texten rund um das Wirken von George Einem, Peter Mieg, Rolf Liebermann. Sie alle verfassten avantgardisti- sein Klavierkonzert für die linke Hand schreibt, George Gershwin mit Die hohe Schule des Unwiederholbaren Gruntz herumstochert und herumwühlt, kommt aus dem Staunen sche Cembalomusik. Auch George Gruntz erhielt einen Auftrag. der Komposition seiner Oper «Porgy and Bess» beginnt. Notierte Musik – für den klassischen Musiker ist die Notenschrift quasi nicht heraus – wir wissen es. Kein Jazzjournalist, kein Musikerkolle- In diesem hoch-elitären Kreis aufgenommen zu sein, kam einem mu- Familien-, Musik-, Theater- und Weltchroniken sind Protokolle der die Heilige Schrift – die Auslegung erfolgt innerhalb des festgeleg- ge, kein Bundesrat und kein Staatsopern-Intendant, der nicht ver- sikalischen Ritterschlag gleich. George steuerte «Vier Jazz Etüden wirkenden Zeit, ihre Stränge sind unentwirrbar verwoben mit den ten Kanons. Auch nur geringe Abweichungen von der Schrift kann sucht hätte, dem Phänomen George Gruntz auf seine Weise gerecht über Motive von Hans Werner Henze» bei. politischen, technologischen und moralischen Umwälzungen ihrer Unheil heraufbeschwören. zu werden. Für den Dreissigjährigen war das Lob des schon weltberühmten Epochen und unauflösbar verbunden mit den Lebensspuren jedes Das ist anders in der Jazzmusik. Jazz ist die Hingabe an den Augen- Nicht allen gelingt das so überzeugend wie dem einstmaligen Chef- Henze geradezu lebenserhaltend: «Was ich von Gruntz höre» sagt einzelnen Zeitgenossen.