Jede Menge Cola
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KULTUR der Sonic-Youth-Mitstrei- Pop ter: jeder Song ein Ready- made aus sorgfältig über- steuerten Instrumenten und mild expressionisti- Jede Menge schen Storys über Science- fiction-Abenteuer oder amerikanische Eßgewohn- Cola heiten. Ein staunenswert melodisches Werk voller Sie machen Musik, Filme und Mode jaulender Byrds-Gitarren – und ein Verstoß gegen das – vor allem aber ringen die Lärmpio- Bandprinzip, den linearen, niere der US-Band Sonic Youth mit ordentlich durchkompo- nierten Popsong um jeden dem Dilemma des Erfolgs. Preis zu vermeiden. „Einen richtigen Radio- er Bursche sieht aus wie einer je- hit zu haben, das wäre das ner gutgelaunten Karrieristen, die schlimmste für uns“, be- Dman am Bankschalter trifft oder im hauptet Kim Gordon und marmorverkleideten Fahrstuhl eines läßt dazu mürrisch die Appartementblocks für hungrige Wall- Mundwinkel hängen. Street-Broker: Das pausbäckige, frische So muß man natürlich Jungengesicht zeigt immerzu ein sonni- reden im Untergrund, ges Grinsen, und die langen Knochen wenn der Erfolg droht. ragen aus jedem Anzug, als habe er das Gordon, die früher mal Ding von seinem kleinen Bruder ge- D. ROSE / OUTLINE Kunstkritikerin war und borgt – diesem Jüngling würde noch die Sängerin Gordon: „Schmeißt alle CDs weg“ bis heute den Ruf einer Art mißtrauischste Großmutter eine Versi- Anti-Madonna genießt, cherungspolice abnehmen. Zeiten: Wie sie in den besten Tagen der wird am Abend in einem überfüllten Tatsächlich ist Thurston Moore Ende Punkmusik loslegten mit wütender Gi- Konzertsaal vor rund tausend kreischen- 30 und hält nichts von Aktenmappen tarrendrescherei und intellektueller Be- den Fans gegen den Hitverdacht anbrül- und einem geregelten Arbeitsplan. Er geisterung für alles Abseitige aus dem len. Sie wird ihre blonden Strähnen liebt es, spät aufzustehen, und sein Geld Mülleimer der Popgeschichte; wie sie schütteln und lustig herumtoben, damit verdient er auf ziemlich einfache Weise: zum Vorbild für die Grungerocker von niemand daran zweifelt, um wieviel wil- „Wir gehen in einen Raum und trinken Nirvana werden konnten und für das der sie ist als Courtney Love, die sie ei- jede Menge Coca-Cola, wir drehen die wüste Mädchenidol Courtney Love – ne „kranke Person“ nennt, seit Love Verstärker auf, haben viel Spaß und ma- und zugleich ihren Ruhm bewahrten als kürzlich einem ihrer Freunde die Faust chen dazu Musik.“ Ingenieure einer Trivialkunst, die viele zwischen die Augen knallte. Zusammen mit Kim Gordon, Lee Ra- Kritiker sogleich an Andy Warhols Zuvor aber erzählt sie vom unbeirrten naldo und Steve Shelley betreibt Moore „Factory“ in deren Sechziger-Jahre- Gesamtkunst-Anspruch der Band, von die „Supergroup des amerikanischen Glanzzeiten erinnerte. obskuren Filmen und von den netten Undergrounds“, wie das deutsche Fach- Die neue Platte zeugt abermals von Kleidern für ungezogene Mädchen, die blatt Spex rühmt. Die Band heißt Sonic der Sammelwut und Umdeutungskraft sie unter dem Label „X-Girl“ für einen Youth, wurde vor 14 Jah- Laden entwirft, den der ren in New York gegründet Musikerkollege Mike D. und hat gerade, unter dem von den Beastie Boys in Titel „Washing Machine“, New York betreibt: „Sieht ihr zwölftes Album veröf- alles verdammt gut aus“, fentlicht. sagt sie, „aber trotzdem Schon der Titel deutet langweilt mich Mode. Viel- an, daß sich irgendwas ver- leicht sollten wir besser ein ändert hat im Bohemele- paar Mädchenbands zu- ben Moores und seiner sammensuchen und X-Girl- Kumpane. Vor einem Jahr Platten verkaufen.“ hat seine Gefährtin Kim Sonic Youth sind kon- Gordon ein Kind in die frontiert mit dem Dilemma Welt gesetzt; da werden des Erfolgs. Im Sommer Platten eben einfach nach haben sie auf einer ausge- einem Neuneinhalbminu- dehnten US-Tour vor bis zu tensong namens Waschma- 25 000 Zuhörern gespielt. schine benannt, und auch Wie läßt sich das mit mit dem Spätaufstehen ist dem Pioniermythos verein- es nicht mehr weit her. baren? Kim Gordon hat da- Ziemlich übernächtigt für einen der Lieblingssprü- lungern Moore und Kim che der Band parat: „Am Gordon in den roten besten, ihr schmeißt alle Plüschsesseln einer Pariser CDs von uns weg und kauft Hotellobby herum und ge- F. MICELOTTA / OUTLINE euch dafür die Platten von ben Auskunft über große Popband Sonic Youth: Ein Song namens Waschmaschine Led Zeppelin.“ Y 284 DER SPIEGEL 39/1995.