Die Vollendung Des Neo-Zionismus Oder Israel Als Nationalstaat Des Jüdischen Volkes
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Dr. Reiner Bernstein Tel. 089/34 01 95 20 Viktor-Scheffel-Str. 5 Fax 089/34 01 95 21 D – 80803 München Mobile 0173/39 22 852/4 [email protected] München, 01. Juni 2014 Die Vollendung des Neo-Zionismus oder Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes „Ich bin mit diesem Land verbunden. Mein ältester Sohn und Enkel leben hier, aber ich kann mich selbst nicht als Zionist bezeichnen. Nicht weil ich mich Israel entfremdet habe, sondern weil der Zionismus von der äußersten Rechten eingenommen und sogar gekidnappt worden ist.“ (Saul Friedlaender 2014) Der 29. April 2014, bis zu dem nach den Vorstellungen John Kerrys eine Rahmenvereinbarung zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde abgeschlossen werden sollte, verstrich fast unbemerkt – worüber in Israel der „extreme rechte Flügel … sehr glücklich“ gewesen sei (Coren/Starkman 2014) –, als die Regierung in Jerusalem mit einer dezidierten Agenda aufwartete: mit der Forderung nach Anerkennung Israels als jüdischen Staat beziehungsweise als Nationalstaat des jüdischen Volkes. Mit diesem Verlangen will die israelische Politik die Annexion großer Teile der Zone C mit reichlich 61 Prozent einschließlich des Jordantals vorbereiten. In geradezu klassischem Gleichschritt bezeichnete Wirtschaftsminister Naftali Bennett den von ihm so bezeichneten Friedensprozess als „Selbstmord“ – trotz seiner ins Auge springenden Ergebnislosigkeit. Mein Bericht geht auf den Aufenthalt meiner Frau Judith und mir in Israel und in den palästinensischen Gebieten 1 im April/Mai 2014 zurück. Er beschäftigt sich, ergänzt 1 Ich vermeide nach wie vor den Begriff „Palästina“, weil er eine staatspolitische Ebenbürtigkeit mit Israel unterstellt. Als einen Beleg für die Verletzung der Menschenwürde palästinensischer Reisender über die Allenby Bridge nach Jordanien empfehle ich die Dokumentation von Raed Al Helou „Gute Reise“ (Arabisch/Englisch mit deutschen Untertiteln, 2014), die von der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ gefördert wurde. Der Einsatz des 2 hin und wieder durch einen Blick in die einschlägige Literatur, vor allem mit der Kontinuität im politischen Denken Benjamin Netanjahus und seiner politisch- ideologischen Weggefährten, die die israelischen Reportagen und Kommentaren jener Wochen beherrscht hat. Gegenüber dem heftigen Streit um eine Bestätigung Israels als jüdischen Staat sind Debatten um eine „deutsche Leitkultur“ ohne dogmatische Schärfen geblieben. Verschiedentliche Rufe nach einem „christlichen Menschenbild“ lösten in der Öffentlichkeit keine nachhaltige Resonanz aus. Es ging und geht um Prägungen und nicht um Indoktrination. I. Benjamin Netanjahus „Nationales Grundgesetz“ „Es war ein Traum von äußerster Perfektion: Der Tag werde kommen, an dem sich das gesamte jüdische Volk, die gesamte Gemeinschaft Israel[s] in einem ungeteilten Land Israel wieder versammelt (und) dort ihr Leben gemäß der Thora in all ihren Aspekten neu gestaltet. Das jüdische Volk werde sich vollständig von seiner Unterdrückung durch die großen Mächte befreien“ (Aviezer Ravitzky 1993). Bei einer Veranstaltung in Tel Aviv hat Netanjahu Anfang Mai 2014 ein „Nationales Grundgesetz“ angekündigt, dass Israel als „der Nationalstaat des jüdischen Volkes“ verankert werden solle. Schon früher wollte der heutige Ministerpräsident das Land Israel und vor allem Judäa als die Heimat des jüdischen Volkes gewürdigt sehen (Netanjahu 1993). Dieses Bestreben als Vorbedingung zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde von ihm erstmals 2010 vorgetragen (Bernstein 2010; Bernstein 2013). In Tel Aviv fügte Netanjahu beruhigend hinzu, dass „Israel immer die volle Gleichheit der Menschen- und Bürgerrechte für alle Bürger des Staates Israel achten (wird), für Juden und Nichtjuden in einem jüdischen und demokratischen Staat. Deshalb werden in Israel individuell die Rechte eines Bürgers sichergestellt sein.“ Aus Netanjahus „zweiter Staatsräson“ neben den nationalen Sicherheitsansprüchen (Bernstein 2012) lassen sich zumindest fünf Interpretationen ableiten: Wortes „Palästina“ ist m.E. erst durch die internationale Anerkennung eines Staates Palästina und die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen gerechtfertigt. 3 1. Das „enthusiastische“ Bekenntnis der Europäischen Union zur Zwei-Staaten- Lösung auf der Basis der Waffenstillstandslinien vor dem Junikrieg 1967 ist trotz insistierender Wiederholung (Standley 2013) keine politische Option mehr. Gleichwohl hielten – wie zuletzt noch einmal am 07. Mai 2014 – Barack Obamas Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice und fünf Tage später der Europäische Rat an der Teilung Palästinas fest, wobei immerhin auffällig war, dass der Rat entgegen früheren Verlautbarungen vorsichtig formulierte: „remains convinced“ und „the best way“ (Ravid 2014.1; Council 2014). Einst schrieb Netanjahu, dass „jedes westliche Bündnis mit einem befreundeten arabischen Regime von Grund auf ein Bündnis zwischen Einzelpersonen, nicht zwischen Völkern“ sei (Netanjahu 1993). Was Israel angeht, sollte für die internationale Diplomatie künftig die umgekehrte Regel gelten. Bennett hat einen „Stabilitätsplan“ ins Spiel gebracht: vollständige Bewegungsfreiheit für die Palästinenser in den Zonen A und B sowie Abbau der „Trennungsmauern“, der den Weg für die förmliche Annexion der Zone C freimachen solle (Bennett 2014.1; Bennett 2014.2; ähnlich schon Netanjahu 1993). Die frühe Ikone des Annexionismus Geula Cohen zeigte sich überzeugt, dass die Palästinenser schlussendlich der Autonomie zustimmen würden (Cohen 2013), während für Wohnungsbauminister Uri Ariel die Staatsbürgerschaft in Frage kommt, wenn die Palästinenser die hebräische Sprache beherrschen und sich mit dem Staat Israel solidarisch zeigen (Ariel 2013). Auch jene Anweisung der Regierung lässt sich dazu rechnen, die Palästinenser daran zu hindern, die Siedler von ihrem Grund und Boden zu entfernen, auch wenn ein entsprechendes Urteil des israelischen Obersten Gerichtshofs ergangen ist (Levinson 2014.3). Vor drei Jahren soll Shimon Peres einer Grundsatzvereinbarung mit Machmud Abbas nahe gewesen sein, wonach der palästinensische Präsident „im Namen des palästinensischen Volkes“ und Netanjahu „im Namen des jüdischen Volkes“ einen Friedensvertrag unterschreiben solle. Dieser Vorschlag sei von Netanjahu strikt zurückgewiesen worden (Verter 2014.2). Nach Einschätzung eines ranghohen US- Diplomaten wird Netanjahu „ keine Geste oder irgendeinen positiven Kommentar der anderen Seite akzeptieren“ (Barnea 2014) – obwohl für Sonderbotschafter Martin Indyk Israelis und Palästinenser „physisch verflochten und psychologisch 4 getrennt“ auf engstem Raum leben und die zentralen Probleme „Land, Flüchtlinge, Jerusalem“ Teil ihrer Identität sind (Indyk 2014). Auf dem XIV. Zionistenkongress 1925 in Wien hatte der Chefredakteur der in Berlin erscheinenden „Jüdischen Rundschau“ Robert Weltsch (1891 – 1982) ausgeführt: „Palästina wird stets von zwei Völkern bewohnt sein, von Juden und Arabern. Welcher von den beiden Teilen 51 Prozent und welcher 49 Prozent bildet, ist prinzipiell irrelevant. Denn auf keinen Fall ist eine Entwicklung des Landes möglich, wenn eines der beiden Völker die Rechte der Majorität im Sinne einer Herrschaftsstellung geltend macht. Die Zukunft Palästinas, seine friedliche Entwicklung und Wohlfahrt kann nur dadurch gesichert werden, dass es ein politisches System erhält, in welchem beide Völker gleichberechtigt nebeneinander leben, verbunden durch die natürlichen Bande des Verkehrs, der Wirtschaft und der kulturellen Beziehungen.“ Der „nationale Humanismus“ des ebenfalls aus Prag gebürtigen Literaten und Freund Franz Kafkas Max Brod (1884 – 1968) war in Israel anlässlich seines 130. Geburtstages kaum der öffentlichen Erinnerung wert (Chomsky 2014). Im Nationalstaat des jüdischen Volkes stehen „Nichtjuden“ individuelle, aber keine kollektiven Rechte zu. Der Status der arabischen Staatsbürger als „second-class citizens“ wäre endgültig festgeschrieben. „Ein demokratischer Nationalstaat ist tatsächlich ein Staat der Mehrheitsbevölkerung in dem Sinne, dass er ihre nationale Unabhängigkeit verkörpert und ihrer nationalen und kulturellen Identität Ausdruck verleiht (…). Aber er ‚gehört‘ der Mehrheitsbevölkerung nicht allein und schließt andere nicht aus“ , wurde eingewendet (Yacobson 2014). Die strenge sinaitische Tradition kann Minderheiten in einem als jüdisch-ethnisch konzipierten Staat keine egalitären Rechte einräumen. 2013 sprach sich fast ein Drittel „vollständig“ dafür aus, dass den jüdischen Staatsbürgern mehr Rechte als den nichtjüdischen zustehen sollten, und 16 Prozent waren damit „irgendwie“ einverstanden. Der Frage, ob die Regierung den arabischen Bevölkerungsteil zur Auswanderung auffordern solle, stimmten 27,5 5 Prozent vollständig und weitere 16,3 Prozent „irgendwie“ zu – Außenminister Avigdor Liebermans Vorschlag ihres Transfers bei gleichzeitiger Ablehnung eines Staates Palästina kann also auf breite Unterstützung zurückgreifen –, während 34 Prozent eine solche Ermutigung „vollständig“ und weitere 15,8 Prozent sie „irgendwie“ ablehnten. Gemäß der politischen Erziehung des jungen Meron Benvenisti, „die Wüste zum Blühen (zu bringen) durch das Ausreißen alter Olivenbäume in [der arabischen Ortschaft] al-Basra, um den Boden für eine Bananenplantage freizumachen“ (Benvenisti 2000), besteht bis heute kein Anlass, den Vandalismus der Siedler und den Einsatz von scharfer Munition durch das Militär nachdrücklich zu ahnden (Hass 2014). 3. In dem von Netanjahu angekündigten Grundgesetz sollen – wie die rhetorische Abfolge