DIE RHEINPFALZ — NR. 195 DIE RHEINPFALZ SAMSTAG, 22. AUGUST 2020

Balkon: Die brennende Bibliothek Kinderzimmer: Oma Nagutes Mirabellen im Glas IHR ZUHAUSE IN DER PFALZ Mediathek: Digitalisierung beim SWR WOCHENENDE Im Garten: Und immer blüht das Gänseblümchen Im Einsatz für die Schönheit Quer durch Europa hat Joseph Karl Stieler (1781-1858) die Berühmtheiten seiner Zeit porträtiert. Seine Gemälde prägen bis heute unser Bild von Beethoven, Goethe oder Humboldt. Vor allem aber war der in geborene Stieler Hofmaler von drei bayerisch-pfälzischen Königen aus dem Hause Wittelsbach.

VON CHRISTA SIGG minante Mätresse wird vom Volk ver- achtet, und der Künstler will mit die- Das graue Haar ist zerzaust, als würde sem öffentlichen Ärgernis, das bald zu in diesem Kopf ein Kampf ausgetragen. einer Staatskrise führt, eigentlich Ernst und konzentriert führt der Blick nichts zu tun haben. aus den dunklen Augen in eine unge- Widerspruch kann er sich in den wisse Ferne. Gleich schwirren die Göt- 1840er-Jahren durchaus leisten. Stieler terfunken auf diesen Genius herab, ist bereits über 60, etabliert und hoch den Griffel hat er schon in der Hand. verehrt, Allüren sind ihm dennoch Und dann landen die nächsten Takte fremd. Eher hat sich dieser Maler eine der „Missa solemnis“ auf dem Noten- wohltuende Bescheidenheit und blatt. Tatsächlich sieht der ewig unzu- Dankbarkeit bewahrt, es hätte ja auch friedene hier so ganz anders kommen können für den dermaßen gut aus, dass er selbst ganz talentierten Mann aus Mainz. Zwar angetan war. Und begreiflicherweise wird Kaspar Joseph Stieler am 1. No- ist es das vor 200 Jahren entstandene vember 1781 in eine Künstlerfamilie Porträt, das um die Welt geht und jetzt, geboren – auf der Seite von Vater Au- im Beethoven-Jahr, erst recht über die gust Friedrich gibt es Graveure und Musikszene hinausschwappt. T-Shirts Wappenschneider, Mutter Philippine und Tassen tun ein Übriges. Aber wer ist die Tochter eines Mainzer Hofmusi- war der Maler? kers. Doch die unbeschwerte Kindheit Schöne Münchnerin: die Schuster- Im Vergleich zum Komponisten nimmt ein jähes Ende, als der Vater tochter Helen Sedlmayr im Alt- zählt Joseph Stieler (1781-1858) zu stirbt. münchner Gewand. den weniger bekannten Größen seines FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERVEREWALTUNG Fachs. Dabei hat jeder seine Bilder im Kopf. Goethe, Humboldt, Schelling – Mainzer Revolutionsmotive fast immer sind es die Gemälde aus der Joseph ist gerade acht Jahre alt und Werkstatt Stielers, die in die Ge- kompensiert den herben Verlust mit schichtsbücher, auf Briefmarken oder dem Stift. Stundenlang zeichnet er wie Plakate gelangen. Und es waren längst ein Verrückter, die Schulkameraden nicht nur die Forscher und die Kreati- gieren eh nach seinen Grenadieren ven, die sich von ihm „abconterfeien“ und Husaren, die in diesen Tagen all- ließen, sondern vielmehr die Schönen gegenwärtig sind. Denn nach dem Aus- und Reichen und Mächtigen der Res- bruch der Französischen Revolution taurationszeit. Seit den 1820er-Jahren kommt es auch in grenznahen deut- hat ein Stieler-Porträt zu den Must-ha- schen Gebieten zu Unruhen, seit 1792 ves der Berühmtheiten der Zeit gehört, wird Mainz von den Franzosen bela- und gerade bei den Wittelsbachern ist gert. Und Joseph kann seine Umge- er gut beschäftigt. Erst bei Max I. Jo- bung virtuos aufs Papier bringen. Bald seph, der die Pfalz verlassen hat, um in traut er sich an Porträts, und bereits München den Thron zu besteigen, mit 14 malt er die Mutter mit einer dann als Hofmaler bei dessen Nachfol- Spitzenhaube überm bleichen, sorgen- ger Ludwig I. und bis 1855 auch noch vollen Gesicht. Genauso gelingt das bei dessen Sohn Maximilian II., mit- Miniaturbildnis seiner Schwester Ba- Jospeh Stieler: Selbstporträt des samt dem verwandtschaftlichen An- bette so gut, dass der Rahmenmacher Künstlers von 1806. hang. gleich Modell sitzen möchte. FOTO: STÄDT. GALERIE LENBACHHAUS Im damals noch überschaubaren Mainz mit seinen vielleicht 20.000 Des Königs Damenparade Einwohnern spricht sich das rasch her- Wobei es eine Reihe attraktiver um, und Stieler kann durch seine Auf- Münchnerinnen sogar ohne dynasti- träge das Familieneinkommen ordent- sche Verewigungsansprüche auf die lich aufbessern. Eine chronische Ent- Leinwand schafft. Ludwig I., der ma- zündung der Augen macht ihm aber nisch jedem Rockzipfel hinterherjapst, seit Längerem zu schaffen, sie wird ihn lässt Stieler ab 1827 die Schönheiten im Lauf seiner beträchtlichen Karriere der Stadt porträtieren. Hübsche Bür- regelmäßig an den Rand der Verzweif- gerstöchter wie die kesse Auguste lung bringen. Strobl oder die etwas arglos wirkende Dienstbotin Helene Sedlmayr. Aber auch diverse Grazien aus Adelskreisen, Zu Fuß nach wie die Marchesa Florenzi, die der Stieler kommt schnell vorwärts, lernt bayerische König oft wochenlang in einflussreiche Mentoren wie den Italien besucht. Nur malt Reichsfreiherrn und Erzbischof Karl Stieler 1846 unter Protest. Ludwigs do- Theodor von Dalberg kennen, die ihm an den Höfen Europas Kontakte ver- schaffen. Auch das Studium beim ein- flussreichen Klassizisten Heinrich Fü- ger, dem Direktor der Kaiserlichen Auf Wunsch des Königs züchtig: Bild- Der am 25. August 1786 geborene Ludwig I. 1826 im Krönungsornat. Besonders gern kam er in die Pfalz, zum 1852 Akademie in Wien, dürfte Dalberg ver- nis von Ludwigs Mätresse Lola Mon- vollendeten Schloss Villa Ludwigshöhe. Dort wird gerade umgebaut, weswegen das traditionelle Geburtstagsfest für mittelt haben. Und Stieler enttäuscht tez. FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERVERWALTUNG den König frühestens 2022 wieder stattfinden kann. FOTO: BAYERISCHE STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN nicht. Füger sieht sofort sein Potenzial und will ihm die Historienmalerei die Blätter der Großen von Leonardo Hochzeit feiern darf und damit die Ok- Stieler konnte er sich angeregt unter- Summen ein, die Originale Stielers, der schmackhaft machen, das ist im 19. bis Poussin, und hat keine Scheu, von toberfest-Tradition begründet. halten. Nur der unwillige Beethoven 1858 mit 77 Jahren gestorben ist, Jahrhundert die Königsdisziplin. München aus zu Fuß nach Paris zu Die Galerie der Schönheiten ist für floh angeblich beim vierten Treffen. wechseln oft für deutlich weniger den Allerdings kehrt das alte Augenlei- wandern. 2000 Kilometer legt er in Therese eine Kränkung in 38 Etappen Deshalb sind etwa die Hände, die der Besitzer. Aber was ist auf dem Kunst- den zurück und vermasselt Stieler eine zweieinhalb Monaten zurück, kommt und in der damaligen Zeit ein unfass- Künstler aus dem Gedächtnis konstru- markt schon angemessen? sichere Karriere als Chronist bedeu- durch Augsburg, Ravensburg, Kon- barer Skandal. Der integre Stieler hat ieren musste, nicht sonderlich gelun- tender Ereignisse. Er muss sich auf stanz und Zürich, um sich an der Seine seine liebe Not, und doch liegt ihm die- gen und zu zart für einen 50-Jährigen. ZUM WEITERLESEN kleinere Formate beschränken und „als Glücklichsten aller Sterblichen“ zu se Arbeit ganz besonders. Die besten Andy Warhol, der selbst zum Society- In ihrem reich bebilderten Buch „Joseph fährt damit à la longue sehr viel besser. bezeichnen. Denn jetzt kann er sich Seiten einer Person herauszukehren, Porträtisten avanciert ist, hat das nicht Stieler. Der Königlich-bayerische Hofmaler“ Porträts sind immer gefragt. Und Stie- beim Porträtisten François Gérard mit sie geschmackvoll elegant und ohne interessiert, als er den Rockstar der (Allitera Verlag, 196 Seiten, 35 Euro) hat die ler ist ein angenehmer Zeitgenosse, ge- dem Klassizismus französischer Prä- Pomp in Szene zu setzen, gehört zu sei- Klassik in den späten Achtzigern durch Autorin Sonja Still viel Material zum Künst- sellig – auf Soiréen spielt er Geige und gung beschäftigen und im Musée nen Vorzügen. Und sei es mit einer für die knallbunte Pop-Art-Maschinerie ler, dessen Nachfahren, zu den Wittelsba- Götterfunke: Stielers Beethoven- Gitarre –, gebildet und verlässlich. Napoléon endlich seine Heroen studie- ihn typischen Stola – man denke an das trieb. Seine Beethoven-Siebdrucke chern und zum Kunsthandel zusammenge- Porträt von 1820. Auf seinen Reisen quer durch Europa ren. aparte „Wiener Tuch“ mit seinen türki- bringen bei Auktionen sechsstellige tragen. FOTO: BEETHOVENHAUS BONN lässt er kaum eine Galerie aus, studiert schen Mustern und kräftigen Farben, das er der nicht weniger einnehmen- Plaudereien mit Goethe den Hofsängerin Katharina Sigl 1828 Wichtiger wird freilich die Bekannt- über die Schulter legt. schaft mit Napoléons Adoptivsohn Man mag diese Porträts heute als zu Eugène de Beauharnais in Mailand. glatt und geschönt bekritteln und ver- Dessen Gemahlin Auguste Amalie von gisst dabei, dass das Faltenkillen, Bayern lässt ihre Kinder von Stieler Weichzeichnen, Wegpixeln, kurz, das malen und schickt die Bilder nach Aufhübschen mit digitalen Bildpro- München zu den Großeltern: Max I. Jo- grammen im Grunde nichts anderes seph und seine Frau Karoline sind hell- ist. Nur sehr viel weniger kunstvoll. auf begeistert, das ebnet dem Künstler Denn dass Stieler sein Metier be- den Weg in die Residenz – und die Fol- herrscht hat, kann man ihm kaum ab- gen sind bis heute unübersehbar. Stie- sprechen. Und unter den rund 500 Ge- ler bringt die Regenten und deren Fa- mälden (auch mit Hilfe seiner Schüler), milien mal staatstragend, mal privat die noch auf ein vollständiges Werk- auf die Leinwand. Auch Prinzen und verzeichnis warten, finden sich delika- Prinzessinnen wie Sisis Mutter Ludovi- te Höhepunkte. Die Innovation, die seit ka, die sich aus politischer Räson mit der Moderne so eilfertig eingefordert Herzog Max in Bayern vermählen wird, war in diesem Genre kaum ge- muss und dann vom vermeintlich leut- fragt. Eher der feinfühlig zugewandte seligen „Zittermaxl“ ein Leben lang be- Umgang mit den nicht immer einfa- Zehn Sitzungen für ein Goethe-Por- , 1843, „nach trogen wird. So, wie ihre Schwägerin chen Klienten. trät (1828). FOTO: BPK/BAYERISCHE STAATS- dem Leben gemalt“ hängt in Schloss Therese, die mit Kronprinz Ludwig Goethe nahm sich 1828 Zeit für über Die Königin war nicht begeistert: Blick in Ludwigs „Schönheitengalerie“ in GEMÄLDESAMMLUNGEN Charlottenburg. FOTO: SPSG/GERH. MURZA 1810 immerhin noch eine rauschende zehn Sitzungen, mit dem belesenen Schloss Nymphenburg. FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERVERWALTUNG

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