US-Dominanz Im Internationalen Markt Für Fernsehproduktionen 37 | Media Perspektiven 1/2017
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Media Perspektiven 1/2017 | 36 Mittel nicht allein dazu benutzt, europäische Kabel- Aufstieg und Ausverkauf der und Satellitenkanäle zu erwerben, wie zum Bei- europäischen Produktionsgruppen spiel das britische Virgin Media (übernommen von Liberty Global), die pan-europäischen Rundfunk- veranstalter Scandinavian Broadcasting Systems US-Dominanz im (SBS) und Eurosport (beide übernommen von Dis- internationalen Markt covery Communications), den britischen Fernseh- kanal Channel 5 (übernommen von Viacom) sowie für Fernsehproduktionen das größte private Fernsehnetzwerk Polens TVN Von Andrea Esser* (übernommen von Scripps). Die führenden US- amerikanischen Medienunternehmen haben gleich- zeitig auch die größten und rasch expandierenden europäischen Produktionsgruppen akquiriert. US-Marktführerschaft Im 20. Jahrhundert war die Marktführerschaft US- im internationalen amerikanischer Unternehmen im internationalen TV-Handel lange Handel für Spielfilme und Fernsehproduktionen mit Kurz und knapp unangefochten einem Marktanteil von rund 70 Prozent unange- • Europäische Produzenten begründeten mit erfolgreichen Formaten fochten. (1) Auch im 21. Jahrhundert stehen die USA im Reality-TV und im Factual Entertainment einen neuen Trend in weiterhin an der Spitze des internationalen Pro- der internationalen Vermarktung von TV-Programmen. grammhandels. Im Jahr 2013 hatten sie gegen- • Zeitweilig verschoben sich die Gewichte von der traditionell über Europa, ihrem nach wie vor wichtigsten dominanten US-Fernsehbranche nach Europa. Absatzmarkt, einen Exportüberschuss von rund • Seit einigen Jahren kaufen US-Konzerne erfolgreiche europäische 9,6 Mrd Euro. (2) Allerdings gab es zu Anfang des Produktionsgruppen auf und erneuern ihre führende Position im neuen Jahrhunderts zwischenzeitlich eine auffällige globalen TV-Markt. Verschiebung der Marktkräfte zwischen europäi- schen und US-amerikanischen Unternehmen. Euro- • Die Folgen der vertikalen und horizontalen Integration betreffen päische Produktionsgruppen hatten sich an die Produktion, Distribution und Regulierung der Fernsehbranche. Spitze eines rasch wachsenden Geschäftszweiges gesetzt: des Handels mit unterhaltenden Fernseh- formaten. Dieser Zweig umfasst sowohl die älteren Der folgende Beitrag (4) behandelt in seinem ers- Genres der Gameshows und Quizshows als auch ten Teil die Entwicklung des internationalen Format- das neuere Genre des Reality-TV. Heute werden handels und die Herausbildung einiger wichtiger auf dem internationalen Markt hunderte solcher europäischer Produktionsgruppen. Deutlich wird Formate gehandelt, zum Beispiel „Deal or no Deal“, dabei, dass sich im Verlaufe des Aufstiegs dieser „Got Talent“ oder „Next Top Model“. Die meisten europäischen Produktionsgruppen die Gewichte dieser in vielfachen lokalen Versionen weltweit pro- im globalen Markt der Fernsehunterhaltung von duzierten Shows haben ihren Ursprung in Europa. den USA hin nach Europa verschoben, wesentlich Der globale Marktwert international gehandelter angetrieben durch den Umfang und die Geschwin- Formate betrug im Jahr 2008 rund 3,2 Mrd Euro digkeit der Übernahmeaktivitäten in Europa zu und ist seitdem deutlich gestiegen. Europäische Beginn des 21. Jahrhunderts sowie die Rolle von Firmen generierten zwei Drittel dieses Wertes. (3) Investmentunternehmen hierbei. Im zweiten Ab- Der zunehmende kommerzielle Erfolg dieser euro- schnitt wird die sich anschließende Phase US- päischen Formate war die Grundlage für das Wachs- amerikanischer Akquisitionen und der dahinter tum einiger multinationaler Produktionsgruppen, stehenden Managementstrategien näher beleuch- die ihr Hauptquartier in Europa hatten, darunter vor tet. Angeleitet wird diese Untersuchung von der allem Endemol, Fremantle Media, All3Media und begründeten Annahme, dass „ownership matters“, Zodiak Media. Diese global engagierten, europä- das heißt, Eigentumsstrukturen bestimmen im ischen Produktionsgruppen entwickelten sich zu Medienbereich wesentlich darüber, was produziert einer maßgeblichen Konkurrenz für die etablierten wird, durch wen, auf welche Weise und für welche US-Konzerne. Publika. Darüber hinaus haben die Eigentumsver- hältnisse auch eine Bedeutung dafür, wo die gene- Europäische Wie im Folgenden gezeigt werden wird, ist das er- rierten Urheberrechte liegen und wohin die daraus Produktionsgruppen staunliche Wachstum der europäischen Produk- resultierenden Gewinne fließen. Der letzte Abschnitt stark gewachsen – tionsgruppen und ihrer weltumspannenden Ver- des Beitrags befasst sich schließlich mit den Im- und von US-Konzernen triebsnetze in der ersten Dekade des 21. Jahr- plikationen eines zunehmend vernetzten globalen übernommen hunderts von konkurrierenden US-amerikanischen Marktes für Fernsehunterhaltung. Es wird ein vor- Medienkonzernen absorbiert worden. Seit etwa läufiges Modell präsentiert, in dem die Machtver- 2010 haben diese US-Konzerne ihre erheblichen schiebungen skizziert werden, die sich aus den neuen Eigentumsverhältnissen und dem fortlau- fenden Prozess der internationalen Integration der Fernsehproduktion ergeben, sowie die möglichen Folgen dieses Prozesses auf der nationalen Ebene * University of Roehampton, London. in Europa. US-Dominanz im internationalen Markt für Fernsehproduktionen 37 | Media Perspektiven 1/2017 Hintergrund der Forschung begann, sich seitdem fortgesetzt hat, wenn auch Multinationale Eine zentrale Annahme in der Forschung ist, dass über die Zeit gesehen in ungleichmäßiger Intensi- Konzerne spielen die multinationalen Konzerne (Transnational Corpo- tät. Ähnlich wie bei den Übernahmen und Fusionen zentrale Rolle im rations – TNC) ein zunehmend wichtiger Faktor im in den 1980er und 1990er Jahren sind dabei die Medienwandel Wandel der Mediensysteme in Ländern auf der Investments im internationalen Produktionsbereich ganzen Welt geworden sind. Der bekannte Globali- in jüngerer Zeit vor allem als defensive Maßnah- sierungskritiker Robert McChesney stellte beispiel- men gegen die europäisch geführten globalen Pro- weise fest: „Was das globale Mediensystem aus- duktionsgruppen, aber auch gegen die wachsende zeichnet, ist nicht die transnationale Kontrolle über Konkurrenz der finanziell starken Onlineunterneh- exportierte Medieninhalte, sondern die zunehmende men, zu verstehen. Unternehmen wie Amazon, Kontrolle multinationaler Konzerne über die Medien- Apple, Google oder YouTube schwächen die Markt- verbreitung und die Inhalte innerhalb der verschie- position der traditionellen Medienkonzerne wie denen Länder.“ (5) In jüngerer Zeit ist auch die zum Beispiel Time Warner oder 21st Century Fox Finanzierung des Mediensektors stärker in den und zwingen sie dazu, ihre Strategien anzupassen. Fokus der Forschung geraten: „Das außergewöhn- Die wirtschaftliche Macht verschiebt sich dabei liche Wachstum des Finanzsektors, sowohl insge- zunehmend weg von den traditionellen Flaschen- samt als auch relativ zum industriellen Sektor und hälsen der Fernsehdistribution hin zu neuen Ein- anderen Bereichen der Wirtschaft, hat dazu geführt, nahmequellen. Eine besondere Bedeutung kommt dass das Finanzkapital und finanzielle Modelle die dabei dem geistigen Eigentumsrecht zu. (10) Strategien und die Entwicklung im Rest der Ökono- Die vorgestellten Untersuchungsergebnisse be- mie bestimmen.“ (6) Das seit Jahren niedrige Zins- ruhen zum einem auf Hintergrundgesprächen mit niveau, und damit verbunden die leichte Verfügbar- leitenden Fernsehmanagern aus den Bereichen keit von Krediten, hat zu wiederkehrenden Wellen Programmeinkauf, Produktion und Vertrieb. Außer- internationaler Expansion von Unternehmen über dem wurde eine große Zahl von Dokumenten aus- Fusionen und Übernahmen geführt. (7) Die Finan- gewertet, darunter Branchenberichte, Fachpresse, zierung des Fernsehsektors und der Einfluss der Unternehmensberichte und Unternehmensweb- großen multinationalen Konzerne über die nationale seiten, Konferenzen, Diskussionsprotokolle sowie Medienproduktion und -distribution stellen daher Dokumente aus dem politischen Sektor. einen zentralen Hintergrund auch für die vorliegen- de Untersuchung dar. Der Aufstieg des Formatgeschäftes – und Europas Rolle dabei US-Produzenten Eine zweite relevante Forschungstradition beschäf- In der Welt des internationalen Programmhandels Rechtehandel hatten großen tigt sich seit vielen Jahren mit den Gründen der ist das Fernsehformat eine an eine Lizenz gebun- vor allem mit Vorsprung bei anhaltenden Dominanz der amerikanischen Medi- dene Ware, die in der Form einer „Production Bible“ Gameshows, kommerzieller enkonzerne über den internationalen Handel mit plus zugehöriger Beratungsdienstleistungen ver- Talentshows, TV-Unterhaltung Fernsehprogrammen. Historisch gesehen hatten die kauft wird. Die allermeisten Fernsehformate gehö- Reality-TV und US-amerikanischen Fernsehproduzenten immer ren den Genres Gameshow oder Talentshow (bei- Factual Entertainment einen großen Vorsprung bei der Herstellung kom- spielsweise „Dancing with the Stars“, „Top Model“), merziell orientierter Unterhaltungsprogramme. Hier- Reality-TV und Factual Entertainment („I’m A Cele- bei kam und kommt den sogenannten US-Majors brity Get Me Out!“, „Supernanny”, „Come Dine auch ihr großes globales Vermarktungs- und Ver- With Me”) an. Zunehmend zeigen sich allerdings triebsnetzwerk zugute. In jüngerer Zeit haben ver- Überschneidungen zwischen diesen Genres sowie schiedene Forscher auch darauf hingewiesen, dass eine Tendenz, weitere Genres in den Formathandel durch den zunehmenden finanziellen Druck im US- einzubeziehen, so etwa auch Serien und Fernseh-