Reihe 5

Hereinspaziert! Ein Heft übers Anfangen

Das Magazin der Staatstheater Stuttgart Nr. 13 Staatsoper Stuttgart, Schauspiel Stuttgart, Stuttgarter Ballett Sept – Nov 2018 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, Mitwirkende dieser Ausgabe jedem Ende wohnt ein Anfang inne! Weil wir im vorigen Heft Abschied von gleich drei Intendanten feierten, begrüßen wir nun die neuen, die mitsamt ihren Teams am Stuttgarter Ballett, an der Staatsoper Stuttgart und am Schauspiel Stuttgart starten. Ihre Arbeit haben Tamas Detrich, Viktor Schoner und Burkhard Kosminski aber schon vor Monaten, teilweise vor

Jahren aufgenommen. Die Bühnenkünste sind eine Kombina­tion ROMAN NOVITZKY ist ein Mehrfachbegabter: aus Marathon und Kurzstrecke. Pläne werden Jahre im Voraus Er ist Erster Solist, Cho­ gemacht, orientiert an der Verfügbarkeit der Künstler. Für Proben reograph – und Fotograf. Für Reihe 5 hat er zwei bleiben manchmal nur Wochen. Die Kunst besteht darin, Kolleginnen­ inszeniert. Seite 30 diese unterschiedlichen Laufwege zu orchestrieren, damit alle gleichzeitig ins Ziel, also auf die Bühne, kommen. Statt jedoch nun Gebrauchsanleitungen für Dinge zu liefern, die noch weit vor uns liegen, schauen wir auf die nächsten drei Monate und entdecken dort, wen wundert es: lauter Themen für Anfänge. Im Interview erklärt Cornelius Meister, der neue General­ musikdirektor der Staatsoper Stuttgart, warum er mit John Cages HARALD WELZER 4' 33" einsteigt, jenem Werk, das aus nichts als Stille besteht. Der Sozialpsychologe weiß, wie Krieg entsteht und das Lernen Sie Tamas Detrich kennen, den neuen Intendanten des Morden gedeiht. Deswe­gen Stuttgarter Balletts, einen wahren Meister des Beginnens. gehört die Gewalt auf die Bühne. Mit Geschichten, Der Dynamik eine perfekte Form zu geben. Und lesen Sie auf Seite 16, dass es nicht immer ein neuer Stoff zum Beispiel der von Orest, bleibt der Horror lebendig. Das Ziel von Choreographen und Ingenieuren. sein muss, um eine neue Geschichte zu erzählen. Seite 36 Nun wünschen wir Ihnen viel Vergnügen mit dieser Ausgabe Porsche ist stolz auf die erfolgreiche Partnerschaft mit dem Stuttgarter Ballett von Reihe 5, bei der Sie vielleicht entdecken werden, dass wir und wünscht Tamas Detrich zum Beginn seiner Intendanz viel Erfolg. ein paar Dinge verändert haben. Warum? Weil wir finden, dass auch ein Heft ein bisschen Erneuerung gut vertragen kann.

Viel Erfolg bei allem, was Sie anfangen,

Carlos Quezada; Anja Weber; Matthias Baus Matthias Weber; Anja Quezada; Carlos und viel Vergnügen bei der Lektüre HANS OP DE BEECK Der Belgier kreiert Orte, Fotos: die verstören. An der Die Staatstheater Stuttgart Staatsoper Stuttgart erschafft er mit ­Herzog

Braun Dieter Blaubarts Burg ein Gesamtkunstwerk.­ Entde­ cken Sie ab Seite 18 den

Titelmotiv: ­Meister des Grauschleiers

EDITORIAL 3

AZ_CSR_Ballett_Staatstheater_Stuttgart_Jahrbuch_208x268mm_DU21072018_v2.indd 1 19.07.18 17:21 3 Editorial

FOYER 6 Momente

7 Das Ding

8 Mein Weg Warum der Tänzer Adhonay Soares da Silva eine Krise als Geschenk sieht 10 und wie der Regisseur Axel Ranisch seine Mängel für sich nutzt

THEMA 12 Vom Anfangen Vorn ist da, wo sich keiner auskennt. Eine Hommage an das Ungewisse

14 Magie des Auftakts Generalmusikdirektor Cornelius Meister über Anfänge in der Musik

16 Die unendliche Geschichte Fünf Ideen, wie man Romeo und Julia heute spannend erzählen kann

18 Zwischenwelten Künstler Hans Op de Beeck über seine Themen: Tod, Stille und das Nichts

24 Schritt für Schritt Wie der neue Ballettintendant Tamas Detrich wurde, wer er ist

BÜHNE 26 Werke des Wahnsinns Die verstörende Schönheit des Art brut

30 Die Powerfrau Was wir von der Ballerina lernen können

36 Gewaltverluste Warum Krieg eine Bühne braucht

BACKSTAGE 40 Skype-Gespräch 41 In der Probe 42 Lernen vom Theater 42 Abgeschminkt Die Erste Solistin Alicia Amatriain klassisch 43 Hausbericht im Tutu. Lesen Sie ab Seite 30 die Ge­schichte 44 90 Grad vom Mythos der Ballerina. Einfach mal das Heft drehen und lesen, Sie handelt von Schönheit, Kraft und Weiblichkeit was ein Fisch auf der Bühne macht Novitzky Roman Foto: 46 Was war da los?

4 INHALT INHALT 5 Jetzt kommt’s! Es gibt Momente, da wird es noch stiller im Saal. Menschen an den Staatstheatern Stuttgart und ihre Lieblingsszenen Das Ding

Aus der Erde, JOHN CAGE, 4' 33" zurück Zu Beginn des 1. Sinfoniekonzerts fragen wir: Was Tamara Karcher, ist das überhaupt, Musik? John Cage gibt eine PR­Managerin aus Stuttgart, fragt: in die Erde großzügige, radikale Antwort: alles, was sich an Wie lernen Klang und Geräusch in einem Zeitraum ereignet. Vier Minuten und 33 Sekunden lang erklingt Schauspieler kein einziger Ton. Für Skeptiker hält Cage einen ihren Text Notausgang bereit: Sie müssen es nicht Musik auswendig? nennen, wenn das Wort Sie abschreckt! BARBARA ECKLE ist neue Konzertdramaturgin an der Staatsoper Stuttgart und hat die Stücke für das 1. Sinfoniekonzert mit ausgewählt. Am 7. und 8. Oktober in der Liederhalle

Reinhard Mahlberg, Ensemblemitglied beim Schauspiel Stuttgart, antwortet: DAS KÖNIGREICH DER SCHATTEN, II. AKT AUS LA BAYADÈRE Jeder Schauspieler macht Eine Tänzerin betritt die Bühne, das auf seine Art. Ich lerne dann eine zweite, eine dritte. klassisch am Schreibtisch, Zeile Jedes Mal denkt man, das war für Zeile, und murmele leise vor mich hin. Vormittags und die letzte – doch es scheint, als abends klappt das am besten. würde die Reihe nie enden. Die Manchmal fragt meine Frau Tänzerinnen müssen ihre Schritte mich ab oder die Kinder, das ist absolut synchron wiederholen, schöner als allein. Aber Aus­ als ob sie gemeinsam atmeten. wendiglernen reicht nicht: Erst Ein magischer Moment, der wenn sich in den Proben Text und Bewegung verbinden, sitzt den Übergang von der Realität in Wenn Mozarts Requiem erklingt, mit großem Körpereinsatz. Dazu Stiefel, die südafrikanische Minen­ es. Ohne die Souffl euse, die die Traumwelt symbolisiert. geht es in der Regel sehr andächtig läuft ein Film, der das Sterben einer arbeiter an den Füßen haben, wenn dabei ständig vorsagt, wäre zu. Das Werk, komponiert 1791, ist Frau dokumentiert, jener L., deren sie nach schwerster Arbeit unter das undenkbar. Vor jeder Vor­ ELISA BADENES ist Erste Solistin ja eine Totenmesse. Ein Chor fl eht Andenken das Stück gewidmet ist. Tage ihre Gumboot­Dances auffüh­ stellung brauche ich ein, beim Stuttgarter Ballett. Das Königreich der Schatten nach Marius Petipa Gott um das Seelenheil der Ver­ Sterben im Großformat – die Urauf­ ren – so, wie es auch am Ende des zwei Stunden Ruhe, um Ord­ beim Ballettabend Shades of White, storbenen an, begleitet von einem führung sorgte für einen Skandal. Requiem pour L. geschieht. nung in meinen Kopfsalat zu ab 13. Oktober im Opernhaus Orchester. Was haben da Gummi­ Während L. sichtbar die letzten Wenn die Künstler nach der Vor­ bringen, denn manchmal bin stiefel auf der Bühne zu suchen? Kräfte verlassen, konfrontieren die stellung die Stiefel ausziehen wollen, ich in zehn Stücken gleichzeitig Sehr viel – wenn der Komponist Musiker die alten europäischen Töne brauchen sie einen altmodischen dabei. Dafür habe ich auf der Fabrizio Cassol und der Regisseur mit den so ganz anderen Klängen Stiefelknecht, so schweißgebadet Bühne bisher nur selten Hilfe und Choreograph Alain Platel sich Afrikas. Kulturen mischen sich, da­ und geschwollen sind ihre Füße. gebraucht. Übrigens: Es macht Meine ganze Schulzeit über das Werk vornehmen. In ihrer Insze­ bei entsteht etwas Neues, wir erleben Doch das ist es wert, denn: Leben nichts, wenn die Wörter nicht nierung Requiem pour L. remixen sie das alte Kunstwerk durch den Blick und Sterben, Feiern und Leiden sind immer an derselben Stelle bin ich gestanden ... die Messe. Afrikanische und euro päi­ der Gegenwart. Dieses Vergegenwär­ eins, verschmolzen in der altvertraut sitzen. Hauptsache, man bleibt sche Künstler erzeugen ein Kaleido­ tigen und Auffrischen, dieses Mi­ neuen Musik und in den Stiefeln, die im Takt. Selbst dann, wenn ICH BIN WIE IHR, ICH LIEBE ÄPFEL, CIRCA 65. MINUTE die Kollegen variieren. Dann Dieser Satz geht noch weiter: … stehen, bis die Fahne mal gehisst, skop aus purem Mozart und afrika­ schen und Überschreiben ist es, was – voller Respekt – zwischen Grab­ muss man mitgehen und im­ stehen, bis sie wieder unten, stehen, bis der ganze Kommandosalat her­ nischen Klängen. Klassische Sänger sich in den Gummistiefeln spiegelt. steinen tanzen. Michael Matthiass provisieren. Das hält wach! untergeschrien … Da ich in der DDR aufgewachsen bin, erinnere ich singen zu Akkordeon, E­Gitarre und Denn solche Stiefel tragen Toten­ Likembes, den afrikanischen Dau­ gräber heute auf der ganzen Welt, REQUIEM POUR L. von Fabrizio Cassol Das Protokoll führte Christoph mich sehr gut daran, wie ich mehrmals im Jahr als Pionier bei diversen menklavieren. Die Stimmung ist an­ wenn sie die Gruben für unsere und Alain Platel nach Mozarts Requiem. Kolossa. Wenn Sie auch eine Fahnenappellen auf dem Schulhof sinnlos stehen und warten musste. dächtig, doch die Musiker spielen Toten schaufeln. Zugleich sind es die Gastspiel, ab 31. Oktober im Opernhaus Frage haben, dann schreiben Sie uns eine E­Mail an SVEN PRIETZ ist neues Mitglied im Ensemble des Schauspiels Stuttgart. Ich bin wie ihr, ich

reihe5@staatstheater­stuttgart.de liebe Äpfel von Theresia Walser, Premiere am 23. November im Schauspielhaus Fotos: shutterstock Beuttenmüller; Ulrich privat;

6 FOYER FOYER 7 Mein Weg

Adhonay Soares da Silva ist erst zwanzig Jahre alt. Und bereits Erster Solist. Nach einer Verletzung bangte er um die Karriere. Doch daraus schöpft er nun seine Kraft

»Der kleine Adhonay«, sagen seine Kollegen beim Sprünge. Sechs Pirouetten dreht er beim Training, Stuttgarter Ballett liebevoll, wenn sie Soares da bei Vorstellungen gern mehr. »Tours en l’air«, das 1998 Silva meinen. Dabei wurde der gerade zum Ersten sind Drehungen in der Luft, springt er dreifach. Goiânia Solisten berufen. Doch tatsächlich: Soares da Silva Mit einem Sprung begann auch seine erste große ist ziemlich jung für einen Ersten Solisten, zwanzig Krise. In einer Vorstellung von La fi lle mal gardée Brasilien Jahre. »Ich wünsche mir das seit zehn Jahren«, sagt im März kam Soares da Silva seltsam auf. An dem er, »aber jetzt ging es doch ganz schön schnell.« Abend war er müde. »Ich sah schon auf der Bühne, Damals, vor zehn Jahren, in der brasilianischen dass mein Fuß einen seltsamen Winkel hatte, aber Millionenstadt Goiânia, als Adhonay wirklich noch ich war voller Adrenalin – und tanzte meine Varia­ 2013 klein war, nahm seine Mutter ihn mit zu einer Ballett­ tion zu Ende.« Danach fuhr ihn ein Notarztwagen ins aufführung. Der Tanz, die Musik, alles zog ihn ma­ Krankenhaus. Zwei Monate lang ging er an Krücken. Stuttgart gisch an. Die Mutter meldete ihn an, er trainierte, »Es war hart«, sagt er, »ich hatte Angst, nie mehr Deutschland wurde der Beste, gewann als Erster der Schule einen tanzen zu können.« Mittlerweile sieht er die Krise als Wettbewerb, den Youth America Grand Prix. Geschenk. Er entdeckte den Menschen hinter dem Zu der Zeit war Tadeusz Matacz in Brasilien, der Tänzer, Hobbys jenseits des Tanzens: Filme, Fußball, Direktor der John Cranko Schule. Er sah den Vier­ Reisen. Und die Kostbarkeit eines gesunden Körpers. zehnjährigen tanzen und wollte ihn sofort für seine Soares da Silva achtet nun auf seine Grenzen. »Die Schule gewinnen. Doch Adhonay konnte sich nicht Verletzung hilft mir, meiner Intuition zu vertrauen von seiner Familie trennen. Im Jahr darauf gewann und mich selbst zu verstehen.« Jana Petersen er den Prix de Lausanne. Matacz bot ihm abermals ein Stipendium an – Soares da Silva nahm an. Adhonay Soares da Silva tanzt beim Ballettabend SHADES OF WHITE; Choreographien von John Heute gilt er als technisch perfekt, er ist bekannt Cranko, Natalja Makarowa nach Marius Petipa und

für seine brillant ausgeführten Drehungen und George Balanchine, ab 13. Oktober im Opernhaus Foto: Novitzky Roman

8 FOYER deutsche städte medien Mein Weg Die neue Ausstellung Der Regisseur Axel Ranisch war als Kind ein Einzelgänger, bis er die Bühne entdeckte. im Linden-Museum Sie weckte seine Kreativität – und sein Charisma

1983 Berlin­ Lichtenberg

2004 Potsdam

2013 München

2014 Halle (Saale)

Als Axel Ranisch zum ersten Mal tosenden Applaus te ein, in die Musik ebenso wie in die Biografi en der hörte und ihn das Glück durchfuhr, stand er nackt Komponisten. »Die waren meine Abenteuer romane.« auf der Bühne. Er war vierzehn, dick, schüchtern und Er träumte sich in Sergej Prokofjews Kindheit im zaris­ 2018 spielte Theater im Berliner Wannseeforum. Die Dar­ tischen Russland, stellte sich vor, wie dieser emigrier­ Stuttgart steller hatten sich ausgezogen, das Publikum war te, zurückkehrte, Ärger mit Stalin bekam … Klassische hingerissen von ihrem Mut. »Da wusste ich: Angriff Musik durchströmte Ranischs gesamtes Erleben. ist die beste Verteidigung«, sagt er. »Ich musste Wenn er heute als Regisseur eine Szene plant, hat er selbstbewusst mit meinen Mängeln umgehen.« die Musik dazu schon im Kopf. Egal ob sie später zu Jahrelang hatte er sich im heimischen Plattenbau hören sein wird oder nicht. »Ich spiele sie dem Team versteckt, ein altkluges Kind, aufgewachsen in einer vor, damit alle wissen, welches Tempo ich meine, wel­ Familie von Leistungssportlern. Seit jenem Abend chen Rhythmus und Ton, witzig oder ernst.« greift er an, mit Filmen, Opern, einem Theaterstück, An der Staatsoper Stuttgart inszeniert er Prokof­ einem Roman. Seine tragikomischen Antihelden jews Die Liebe zu drei Orangen, ein Märchen voll ab 16.3.2019 kämpfen mit den gleichen Themen wie er selbst – aberwitziger Wendungen. Ihn rühre die Vater­Sohn­ Gefördert durch: dem Dicksein, dem Schwulsein, den überbordenden Beziehung, sagt Ranisch. Der alte König, der den Prin­ Tagträumen. Damit gewinnt er Preise und Herzen, zen nicht versteht und doch zu ihm hält. Der Prinz, seit sieben Jahren jagt ein Projekt das nächste, der sein Ziel verfolgt, auch wenn der Weg gefährlich und jedes bringt ihn mit Menschen zusammen. Das ist. Ranisch kennt dieses Gefühl. Hiltrud Bontrup Theater hat ihn aus der Einsamkeit erlöst. Das Linden-Museum Stuttgart im Herbst: 6.10. Shakir Khan und Pritam Singh: Klassische indische Musik | 7.10. Und die klassische Musik verbindet all sein Schaf­ DIE LIEBE ZU DREI ORANGEN Oper von Kriegsmotiv-Kimonos aus Japan: Sammlungspräsentation | 13.10. Menschen tanzen: Tanzperformance von Grégory fen. Die entdeckte er mit sieben, als der Vater von einer Sergej Prokofjew, Regie Axel Ranisch. Premiere

Trainingsreise vierzig CDs mitbrachte. Ranisch tauch­ am 2. Dezember im Opernhaus Foto: MZ / Paulus Ponizak Darcy | 14.10. El Caribe Colombiano: Kolumbien-Tag | 16.10. Rémy Boussengui: Blanche Neige, fille d’Afrique | 18.10. Dragon Days: Klingonen | 1.11. Día de los Muertos: Mexikanisches Fest | 10.11. Made in Stuttgart: Songs and Words

10 FOYER of Hope | 17.11. Lotos-Ensemble: Musik aus Vietnam | 18.11. Vielfalt: 0711 für Menschenrechte | 27.11. Reverse Exotism – Teheran: Neue Transkulturelle Musik | www.lindenmuseum.de Thema Anfangen Illustration: Dieter Braun

14 Anfangen ist schön. Weil es endlich losgeht, Auftakte Generalmusikdirektor nach vorn, in die Richtung, wo die Luft frisch ist Cornelius Meister erklärt den Reiz der ersten Sekunden. und unverbraucht. Alles ist neu, fühlt sich Und wieso er das 1. Sinfoniekonzert mit pur an, die Fehler, die wir machen, liegen vor Stille beginnt uns, und auch die Haare, die wir in der 16 Damit lässt Suppe finden werden, müssen noch auf dem sich was anfangen! Kopf irgendeines Miesepeters wachsen. Was können Netflix, ZDF, Amazon Prime Anfangen ist mutig, weil vorn ja eben dort ist, und Regisseur Oliver Frljić aus einem alten Stoff wie Romeo wo sich keiner auskennt, und weil jeder und Julia heraus­ Schritt, auch der kleinste, immer einen wack­ kitzeln? 18 ligen Moment in sich trägt. Anfangen ist Alles endet Der belgische Künstler trügerisch. Weil das Neue immer ein Fetisch Hans Op de Beeck baut begehbare Orte, an denen der Tod ist. Weil immer die Gefahr besteht, dass wir die aus jeder Ritze kriecht. Warum? Damit Durststrecke, die nach jedem Anfang kommen wir ihn umarmen!

muss, nicht durchstehen, stattdessen etwas 24 My way Neues anfangen – und uns verzetteln. Anfangen Seine Jahre als Tänzer und Ballettmeister haben Tamas Detrich ist einsam. Weil wir etwas zurücklassen. auf seine neue Aufgabe als Intendant des Und weil wir bei so manchem ersten Mal plötz­ Stuttgarter Balletts lich wie gelähmt dastehen und uns zwei, zwanzig perfekt vorbereitet oder zweihundert Augenpaare anblicken. Anfangen ist klasse. Wenn dann nämlich alles läuft, kann sich das richtig gut anfühlen. Und wenn es nicht läuft? Ist nicht schlimm.

Dann fangen wir von vorne an.

12 THEMA THEMA 13 Da-da-da daaa. Vier Töne, dreimal kurz, ein­ Isolde die Sehnsucht der beiden nach ein­ Sie starten jetzt in Stuttgart – ein mal lang. Mehr braucht Beethovens Fünfte ander schon im Vorspiel kaum auszuhalten. weiterer Schritt in Ihrer Karriere. Anfänge verführen uns, sie saugen nicht, um erkannt zu werden. Genauso der Deshalb reißt uns die leere Quint zu Beginn Mögen Sie Anfänge überhaupt? uns hinein in eine Welt, ein Gefühl, eine wohl berühmteste Basslauf der Popge­ des Fliegenden Holländers aus schneiden­ Schon seit mehr als zwei Jahren bereite ich Liebe auf Erinnerung. Ein Gespräch über die schichte: Schon nach den ersten Takten von der Höhe in die Tiefe: Die ganze Tragik der zusammen mit dem Intendanten Viktor Michael Jacksons Billy Jean spult das Gehirn Geschichte ist in diesen ersten Sekunden Schoner und dem gesamten Team die kom­ Magie der ersten Takte mit jemandem, den Refrain ab. Ob Klassik oder Pop – Anfän­ bereits präsent. menden Spielzeiten vor. Selbstverständlich den ersten ge in der Musik enthalten oft schon eine brenne ich darauf, dass wir die Werke nun der ihr Geheimnis kennt und für Wie gelingt einem Komponisten ein seine erste Spielzeit in Stuttgart einen ganze Welt. Die besten sind unwiderstehlich, guter Anfang? auch präsentieren werden. Die Staatsoper Klang ganz besonderen Einstieg wählt tief im kulturellen Gedächtnis verankert und Wenn es dafür ein Patentrezept gäbe … Im und das Staatsorchester haben mich bereits im persönlichen sowieso. Wiederhören Übrigen vermeide ich es, von »guter« oder ausgesprochen herzlich begrüßt. macht glücklich. »schlechter« Musik zu sprechen. Aber wenn Interview: Michael Matthiass Bliss Point nennt die Musikindustrie den in einer Komposition – ähnlich einem Ro­

Moment, an dem wir einen Song wiederer­ man – bereits die ersten Zeilen das große LOHENGRIN Oper von Richard Wagner, kennen oder wir ein neues Stück an uns Ganze enthalten, beeindruckt mich dies be­ musikalische Leitung Cornelius Meister, Regie heranlassen, uns einlassen – und unser sonders. Mikro- und Makrokosmos hängen Árpád Schilling. Premiere am 29. September im Opernhaus, Liveübertragung im Gehirn eine kleine Menge Endorphin aus­ immer zusammen. Kulturprogramm des SWR 2 am 20. Oktober. schüttet. Mit der Erfindung des Sender­ Was bewirkt eine bestimmte Tonart? Cornelius Meister leitet außerdem das wahlknopfs rutschten Refrains Richtung Für Wagners Lohengrin ist die Tonart A-Dur 1. Sinfoniekonzert am 7. und 8. Oktober und be­- Anfang. Und spätestens seit Spotify, wo ein von zentraler Bedeutung. Der Held, der uns gleitet im 1. Kammerkonzert am 7. November die Musiker des Staatsorchesters am Klavier Swipe über die Aufnahme eines Musik­ eine Ahnung von einer anderen, vielleicht stücks in die eigene Playlist entscheidet – paradiesischen Welt vermittelt, die mögli­ und darüber, ob der Künstler vergütet cherweise überirdisch schön und rein ist: Das wird –, seitdem wir Musik mit dem Smart­ alles und noch viel mehr ist in dem A-Dur Abbildung 1 Abbildung 2 phone hören, wandern diese wohligen Mo­ des Lohengrin-Beginns bereits angelegt. mente immer weiter nach vorn. Aber mal Wie gehen Sie als Dirigent an ein neues ehrlich. Waren Sie dort nicht schon immer? Stück heran? Cornelius Meister, der neue Generalmu­ Neugierig, ungeplant, ich lasse mich über­ sikdirektor der Staatsoper und des Staats­ raschen. Ich mag es, Musik erst einmal aus orchesters Stuttgart, kennt die Kraft eines der Astronauten-Perspektive kennenzuler­ guten Anfangs und weiß, wie Komponisten nen. Also überfliege ich die ganze Partitur und Musiker sie entfesseln. Die Saison der oder blättere frei in ihr herum, um einen Sinfoniekonzerte startet er ausgerechnet Überblick zu bekommen. Manchmal bleibe mit einem Klassiker, der zunächst einmal ich irgendwo hängen, und so werde ich im­ unsere Sinne schärft. Mit einem Auftakt, der mer vertrauter mit der Komposition. Jahre­ aus nichts als Stille besteht. lang bereite ich mich auf Werke vor (ich Herr Meister, Sie spielen zur Eröffnung plane ja auch unsere Programme mehrere John Cages 4' 33" – warum? Jahre im Voraus) und drehe dabei sozusa­ Abbildung 3 Abbildung 4 Warum nicht? Während des gesamten gen jedes Steinchen und Körnchen um. Stücks erklingt kein einziger Ton, aber den­ Manchmal knabbere ich wochenlang an noch ist es natürlich nie ganz still im Raum. einzelnen Takten. Aber das Schöne ist: Da­ Gerade das Verhältnis von Klang und Stille, durch, dass ich so viel Zeit und Energie auf von Tönen und Pausen, interessiert mich. die Vorbereitung verwende, können wir alle Erst durch Pausen werden Töne zur Musik bei den Aufführungen ganz frei sein, voll­ und zum Kunstwerk. Aber keine Sorge: Nach kommen spontan und jeden Abend neu und John Cage folgen im 1. Sinfoniekonzert Jo­ anders. seph Haydn und Gustav Mahler. Erleben Sie dann überhaupt Hesses »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber Zauber des Anfangs? inne«, dieser Satz Hermann Hesses Aber natürlich, immer wieder. Jeden Augen­ gilt auch und gerade für Musik. Was ist blick bin ich aufs Neue begeistert und ver­

Notenskizze: Stephan Storck Stephan Notenskizze: der Zauber musikalischer Anfänge? zaubert von der wunderbaren Musik. Diesen Dass sie uns sofort in die emotionale Welt Zauber auf die Zuhörerinnen und Zuhörer zu Abbildung 5 Abbildung 6 des Stücks führen. Dass sie uns verführen, übertragen und ihr Innerstes zu bewegen: hineinsaugen in einen Kosmos, der nur hier, auch darum geht es mir bei meinen Auffüh­ nur jetzt in diesem Saal für wenige Minuten rungen. Ich träume davon, alle Menschen, oder Stunden entsteht und so nie wiederkeh­ die den Zauber von Musik und Theater noch CORNELIUS MEISTER ren wird. In Richard Wagners Dramen sind nicht in ihr Leben gelassen haben, zu er­ beginnt als neuer Generalmusikdirektor­ der Staatsoper Stuttgart und des Staatsorchesters die Vorspiele gleichberechtigter Teil des Ge­ reichen – egal welche Voraussetzungen sie Stuttgart. Das Programm des Hauses bereitet

Sechsmal berühmte Anfänge – erkennen Sie sie? Es sind klassische Werke und Pophits. Die Lösungen finden Sie auf Seite 46 Baus Matthias Sigmund; Martin Fotos: samtkunstwerks. Deshalb ist bei Tristan und mitbringen. Dafür arbeite ich tagtäglich. er schon seit gut zwei Jahren vor

14 THEMA THEMA 15 Lieben und Sterben im Remix Es gibt Geschichten, die sind so Unter dem Balkon Romeo y Julieta Shake mit Bier Grand Atlantic War pur, so prall, so gut, dass wir nie müde en Nueva York Julia ist eine junge Frau werden, sie zu hören. Romeo und Julia Comedy­Adaption im Amerika und Europa sind zwischen Leidenschaft ist so eine Geschichte. Für das Familienfehde zweier 4-Blocks­Berlin mit verfeindet. Nur der Tod und Erwartung. Wird sie Schauspiel Stuttgart erzählt Regisseur Der Weg der mexikanischer Drogenclans, Kanaksprak, Döner und zweier Liebender kann sie ihren Weg fi nden? Erlösung frei nach Shakespeare echten Dolchen wieder versöhnen Oliver Frljić das Drama völlig neu. Drehbuchautor Robert Gold erkundet, BRD vs. DDR, rein fi ktiv, sein Serien potenzial Palästina vs. , Serbien vs. Bos­ Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich nien: In allen Va­ Zwanzig Jahre nachdem Baz Luhrmann Was auch immer die Macher umtrieb, Der Streaming­Dienst Amazon legt auf Illustrationen: Laura Breiling Nico Hofmann, Produzentenpate des rianten wurde der mit seiner Popversion im fi ktiven Verona als sie die größte Liebesgeschichte die ohnehin schon dralle Netfl ix-Version hiesigen Geschichtsfernsehens, einen Familienkonfl ikt in Beach überraschte, läutet Streaming­ der Welt auf eine so abgefahrene Weise noch einen drauf und verbindet das Shakespeare vornehmen würde. Und Romeo und Julia Gigant Netfl ix eine neue Runde im Ver- modernisierten – eines muss man Schicksal von Romeo und Julia mit der natürlich bringt die Story der tragischen bereits gespiegelt, fi lmungswahnsinn ein. Der mexikani- ihnen zugestehen: An Konventionen Rettung der ganzen Welt. In der von Liebenden aus Verona alles mit, was um ihn aktuell sche Regisseur Alejandro G. Iñárritu (The haben sie sich nicht gehalten (benutzte Steven Spielberg kreierten Dystopie das Stammpublikum der Öffentlich­ zu halten. Der in Revenant, Babel) verlagert den Klassiker Kondome zu verleihen markiert hier stehen sich ein diktatorisches Amerika Bosnien geborene Rechtlichen ansprechen sollte: eine Frau vom spätmittelalterlichen Verona ins das Humorniveau). Das Team um (von Alaska bis Feuerland) und ein Regisseur Oliver zwischen zwei Männern, zwei verfeinde­ New York unserer Tage. Hier begegnen Christian Ulmen (Jerks) versucht sich an paradiesisch­demokratisches Europa Frljić geht in sei­ te Familien, dazu beste Freunde, die sich sich Julia (Jennifer Lawrence) und einer Adaption, die die alte Fehde als fi nnischer Prägung gegenüber. Romeo ner Inszenierung opfern, Gift, Tricks, Kostümfeste, eine Romeo (hochinteressant: Rafael Nadal!) Gastro­Krieg in Berlin­Neukölln erzählt. (Jaden Smith, Sohn von Will Smith), einen Schritt wei­ Verbannung und einen Abschiedsbrief. als Sprösslinge zweier verfeinde ter Ein türkischer Imbiss (Dürüm­Döner), ein Bootsfl üchtling aus Philadelphia, ter und blickt über Die Heldin (Emilia Schüle, Ku’damm 56) die Geschichte Drogenclans, die jeweils unter falschem betrieben von der Clanfamilie Cüpület wird von der italienischen Seglerfamilie bewegt sich durch ein spätmittel­ hinaus. Welche Namen am College eingeschrieben sind, – und gegenüber ein Hipster­Venue (ve­ Capuletti bei Gran Canaria gerettet. Die alterliches Italien, in dem jede Kutsche erlösende Wir­ sich verlieben und zu spät realisieren, gane Burger), geführt von dem höchst sechzehnjährige Tochter Julia (Noomi gackernde Hühner aufstieben lässt kung könnte der in welch unlösbare Situation sie sich fragwürdig angelegten israelischen Un­ Rapace, Prometheus) verliebt sich und die gedeckten Tische der Capulets Tod der Liebenden manövrieren. Aaron Paul (Breaking Bad) ternehmer Avon (sic!) Montag. So weit unsterblich in den jungen Musiker, der aussehen, als hätten sich die Dekora­ für diejenigen kann als Julias diabolischer Verehrer erste, nicht unoriginelle Ähnlichkeiten einfach nur frei sein will und dafür sein teure des Frühstücksfernsehens endlich haben, die am Paris endlich wieder überzeugen. Salma dieser Gentrifi zierungs-Soap mit dem Leben riskiert. Doch der amerikanische austoben dürfen. Jannis Niewöhner Ende leben? Wie Hayek als Chefi n des Capulet-Clans ist Originalstoff. Das Liebespaar wird von Diktator Donald Montague befi ehlt (Rubinrot, Ostwind) gibt einen vergrübel­ könnte die Erzäh­ umwerfend, Javier Bardem als unbarm­ zwei Küchenkräften verkörpert. Romeo der U. S. Navy, den gefl ohenen Romeo ten Romeo; der Rachemord an Tybalt lung weitergehen, herziger Anführer der Montagues im Ze­ ist ein sambischer Migrant und Jülya zurückzuholen. So wird der kontinentale (Edin Hasanovic´) ist im Martial­Arts­Stil damit ihr Selbst­ nit seines Schaffens. Was nicht aufgeht: eine verschleierte Klischeetochter, die Machtkampf schließlich zwischen einem durchchoreografi ert. Emilio Sakraya mord Sinn ergibt? der Versuch, nebenbei dem Tennis neue nicht einmal allein in den 171er­Bus Katamaran und einem Flugzeugträger (4 Blocks) ist als sympathisch angeleg­ Damit ihr Tod zum Hipness einzuhauchen. Die nächtlichen steigen darf. Als die beiden sich auf dem ausgetragen. Dabei sorgen die Kraft der ter Antagonist Paris eine echte Über­ Opfer wird – und Trainingsszenen des Paars in Flushing Karneval der Kulturen näherkommen unendlichen Liebe, raffi nierte Arrange- raschung. Elmar Wepper, der als Pater die Überlebenden Meadows, das von den Montagues zur und Zufl ucht in einer leer stehenden ments der Figuren (Dr. Dre als Mercutio Lorenzo Julia zur Einnahme des Zauber­ zurück ins Leben Geldwäsche betrieben wird, haben ihren Airbnb­Wohnung im verbürgerlichten kommt wie ein amerikanischer Wolf trunks überredet, wirkt allerdings, führt, raus aus erotischen Reiz. Sie werden aber kaum Prenzlauer Berg suchen, beginnt eine Biermann daher) und die Wirkung eines dem Konfl ikt. als hätte er in der Vorbereitung auf die dazu beitragen, dass der Sport wieder so der meistdiskutierten Adaptionen der mithilfe künstlicher Intelligenz erweiter­ Rolle zu viel Al Pacino inhaliert. beliebt wird wie in den Achtzigerjahren. jüngeren Seriengeschichte. ten Giftes für verlässliche Cliffhanger. ROMEO UND JULIA von ,

BESETZUNG Emilia Schüle, Jannis Regie Oliver Frljić. BESETZUNG Jennifer Lawrence, Rafael Nadal, BESETZUNG Jerry Hoff mann, Maryam BESETZUNG Noomi Rapace, Niewöhner, Emilio Sakraya, Elmar Wepper Premiere am Aaron Paul, Salma Hayek, Javier Bardem Zaree, Fahri Yardım, Christian Ulmen Jaden Smith, Dr. Dre, Robert De Niro GENRE Historisches Liebesdrama, edukativ­ 24. November im GENRE Serie, Love­and­Crime­Drama, GENRE Serie, Comedy, GENRE Serie, dystopisches Drama, emotionales Erzählfernsehen, 3 Teile Schauspielhaus 13 Episoden 6 Episoden 10 Episoden

16 THEMA THEMA 17 Ankunft? Abreise? Kontemplation vor der Katastrophe? Eine Arbeit aus der Serie Rooms. Das einzig Reale in dieser Szene ist der Mensch. Alles andere entstand am Computer Bilder: Hans Op de Beeck Der Belgier Hans Op de Beeck gestaltet riesige Rauminstallationen, malt, filmt,komponiert, führt Regie. An der Staatsoper Stuttgart geben uns Rätsel auf. Sein Materialverbrauch ist gewaltig, seine stillen Werke inszeniert er nun Béla Bartóks Blaubarts Herzog im Reich der Zwischentöne . Willkommen Burg Björn Springorum Protokoll: Alles endet

18 THEMA THEMA 19 Hände greifen nach Seerosen im Filmstill aus Staging Silence (2). Darin mischt Op de Beeck Bilder aus seiner Erinnerung mit denen öffentlicher Orte »Ein frisches weil ich Blatt beflügelt Ich Papier mich.Künstler, bin Anfänge Million an einer ich arbeite will,meist und erschaffen Neues etwas wieder immer darauf, ich achtete anfing, ich als Jahren, zwanzig vor Schon gleichzeitig. Dingen fühlen, gefangen Arbeit in meiner nicht mich wollte Ich festzulegen. nicht mich nur einfach kommt anfange, ich was Bei vielem, gehen. in alle Richtungen lieber Neues etwas damit Katastrophe, es eine braucht manchmal Doch Mist heraus. sein.« zu Gefühl, ein Debütant das mag Ich erwächst. daraus ­ ­ « »Viele meiner Werke sind ein Versuch, Stille zu erschaffen. Das funktioniert nur, wenn ich ich wenn nur, Das funktioniert erschaffen. Stille zu ein Versuch, sind Werke meiner »Viele Stille Nehmen Wirkung. ohne Werk bleibt das in sich, nicht er sie Hat triggern kann. Stille im Betrachter auf 250 Quadratmeter, Düsseldorf: im Kunstpalast Collector’s The House Installation meine Sie Titel, keine tragen Bücher Augen, mit geschlossenen da stehen Skulpturen passiert. nichts denen Es gibt herum. liegen ein Notebook und Aschenbecher Bierdosen, Obstschalen, Totenschädel, ich. Stille an – hoffe in der kommt betritt, Raum diesen Wer Geräusch. kein Geschichten, keine einem in Bad ein Kirche, die in mehr nicht vielleicht gehen Welt westlichen der Menschen Die sein.« zu ein Bedürfnis noch immer aber scheint nehmen Stille zu aus Meer ­ »Ich liebe es, gedanklich in 400 Jahre alten Landschaftsmalereien he Landschaftsmalereien alten in 400 Jahre es, gedanklich liebe »Ich »Unser Leben ist fragil wie ein Schmetterling oder eine eine oder ein Schmetterling wie ist fragil Leben »Unser Tod akzeptierst, das du Sobald sein. vorbei Tag jeden es kann ­ Feder, in unserer Menschen meisten Die Angst mehr. keine du hast Ich Tabu. ist ein großes Tod Angst, der aber haben Gesellschaft zei Schönheit die und entdramatisieren Drama dieses möchte Tod den feiern Kulturen Andere liegt. im Lebensende gen, die die Kunst in meiner Wenn . mit farbenfrohen schließlich gelungen.« Arbeit ist meine durchschimmert, Sterblichkeit Räume mich ich wenn aber Leinwand, alter auf Farbe alte Es ist nur rumzuwandern. großen ein. Meine tauche ich und Raum, Bild zum das wird einlasse, darauf in ei ein, sich Menschen lade Ich ähnlich: funktionieren Rauminstallationen Plan bei der Das ist auch betreten. zu Welt meine bewegen, zu Kunstwerk nem Industriegebäude verlassenen alten, in einem Oper . Eine Burg Blaubarts ­ Herzog Ort. mystischer ein Das wird gepackt. sofort Auftrag mich hat der – inszenieren zu

20 THEMA THEMA 21 ­ Der ungarische Komponist Béla Bartók erzählt die Blau­ bart-Sage: Nach der Hochzeit mit dem Herzog zieht Judith in seine Burg, um mit ihrer Liebe das düstere Gemäuer zu erhellen.­ Doch aus jeder Tür, die sie öffnet, tritt Blaubarts blutige­ Vergan­ genheit her- vor. Der Künstler Hans Op de Beeck führt Regie, gestaltet Bühne, Kostüme und Licht. HERZOG BLAUBARTS BURG Oper von Béla Bartók. Premiere am »Beim Malen oder Zeichnen brauche ich Einsamkeit. Ich löse mich von von mich löse Ich Einsamkeit. ich brauche Zeichnen oder »Beim Malen 2. November im Paketpostamt in der Ehmann­

Nichts woher sagen, nicht kann ich und Zustand, ist ein traumähnlicher das Welt, der Nichts große das ich als würde so, Es ist fast kommt. Eingebung meine dann Vorgang diesen ist nicht, Wichtig anzapfen. es mich als würde Oder anzapfen. auf, Sprache die hört Im Nichts lassen. geschehen es nur muss Ich verstehen. zu me Menschen wenn passiert, was ist es das, Vielleicht beginnt. Undenkbare das Wenn auf. Einsamkeit in sich lösen sein, zu Person eine auf, hören Sie ditieren. leer, bin Ich ausgeblutet. völlig mich fühle ich habe, vollendet Werk ein großes ich kann.« entstehen Neues etwas wieder dann in dem Raum, ist der Leere diese doch straße

Was geschah in dieser Nacht, in diesem Zim­ mer, kurz zuvor? Die Ruinen von Pompeji in­ »Wenn nachts die Grenze zwischen Realität und Traum verwischt, verwischt, Traum und Realität zwischen Grenze die nachts »Wenn erschaffen. Selbst in dem mystischen, nächt­ mystischen, dem in Selbst erschaffen. Blaubarts Burg Herzog spirierten Op de Beeck zu der begehbaren Installation Location (7) Horror friedlich. auch geheimnisvoll,aber und düster Es ist Gemälde. meine entstehen ich möchte leicht und dunkel bedrohlich, und schön zwischen Ambiguität Diese bei auch Frau seiner und Herzog In dem für Albernheiten. Platz sein muss Setting lichen Er ist unfähig erzählt. mich und dich über Geschichte eine das ein Paar, ich sehe einem von handelt - Sage Blaubart alte Die ihm los. von nicht kommt sie lieben, zu sich Nur wer nicht. mich interessiert Monstrum das doch Mann, mordlüsternen ziehen.« Sturz dessen aus Trost kann wiederfindet, Helden gefallenen in dem

22 THEMA THEMA 23 brillant; das Publikum ist verblüfft, es hatte ihn eher als Prinzen gesehen. Auch die nächste Wandlung nimmt ­Detrich mit Leichtigkeit – geschmeidig gleitet er in die Rolle des Ballettmeisters. »Ich habe eine Zeit lang beides gemacht: getanzt und gecoacht. Es inspiriert mich, mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben, nicht nur Schritte, auch die Gefühle, die darin lie­ gen.« Sobald Detrich über Tanz spricht, flie­ My way ßen seine Worte. Keine Scheu, pure Präsenz. Und so haben ihn die Aufgaben zu einem Er wirkt ruhig, zurückhaltend, fast scheu – doch Tamas Detrich verfügt Meister der Anfänge gemacht. »Jeder Tag über eine Geheimwaffe: Der neue Ballettintendant hat keine Angst vor ersten ist ein neuer Anfang. Keiner vergeht ohne Überraschung.« Wenn es schwierig ist, be­ Schritten. Von einem, den der Tanz zu dem gemacht hat, was er ist herzigt er eine Maxime seines Vorgängers Reid Anderson, der sie von John Neumeier gelernt hat: »When the going gets tough, Text: Julia Lutzeyer slow down.« Wobei Langsammachen nicht heißt, sich wegzuducken. »Wie ein Tänzer

Es inspiriert mich, meine Erfahrungen Es ist diese höfliche Zurückhaltung, die al­ klare, aufrechte Mann schon als Kind besessen verriet ich nicht, dass ich Ballett mache. Sie len Menschen auffällt, die Tamas Detrich haben. Die Tatsache, dass seine Eltern jeden wussten nur, dass wir umziehen.« weiterzugeben kennenlernen. Und tatsächlich macht ihn Schritt ihres Kindes in die Welt unterstützten, Die Jahre vergehen, der Schüler ent­ diese Zurückhaltung auch aus. »Als kleines ihm den Rücken stärkend, wird ihn weiter ge­ wickelt sein Talent, und als sechs Jahre nach darf ich keine Angst vor dem ersten Schritt Kind war ich sehr scheu«, sagt er. Doch da festigt haben. Und diese Festigkeit braucht es, seinem Start ganz New York von »The Stutt­ haben. Sonst wäre ich im falschen Beruf.« gibt es noch eine zweite Eigenschaft an die­ um den Weg eines Balletttänzers zu gehen. gart Ballet« schwärmt, ist auch der Sech­ Herzklopfen gehöre dazu. Aber sobald sich sem Mann, den viele Gäste des Stuttgarter zehnjährige elektrisiert. Der Junge staunt der Vorhang hebt, sei das Lampenfieber weg. Balletts in den Pausen einer Aufführung lä­ Entschlossen entwirft er einen Plan über Richard Cragun als Romeo und tritt Sein nächster Vorhang ist die Intendanz. chelnd, lautlos, manchmal sogar wie leicht Es ist ein Weg der Anfänge und Mutproben.­ sogar mit den Shootingstars aus Deutsch­ Und auch hier gilt: »Ich gehe diese Aufgabe entrückt durch die Menschengruppen lau­ Als Ballettschüler von New York nach land als Komparse in der Metropolitan Opera an wie alle anderen. Ich schiebe nichts auf.« fen sehen. Ohne diese andere Eigenschaft Deutschland zu ziehen, als Erster Solist die auf. »Magic!«, schwärmt Detrich noch heute. Erst machen, dann reden. Manche behaup­ hätte er den Weg nicht gehen können vom vielen Herausforderungen anzunehmen, als Wie der Ballettintendant der Presse jüngst ten, Detrich sei in seine Rolle als Intendant scheuen Kind ungarischer Einwanderer aus Ballettmeister sein Wissen weiterzugeben charmant erzählte, ist diese prägende Erin­ einfach hineingewachsen. Er widerspricht: der Bronx bis nach Stuttgart, wo er nun die und nun als Nachfolger von Reid ­Anderson nerung der Grund dafür, dass die Compagnie Seit dieser Spielzeit ist er Intendant des Stuttgarter Balletts: Tamas Detrich wuchs in New York »Ein Jahr lang habe ich Interviews mit dem Intendanz des Stuttgarter Balletts antritt: dessen Erbe anzutreten und es in die Zu­ seit dieser Spielzeit mit Artikel firmiert, also als Sohn gebürtiger Ungarn auf. Nach Stuttgart kam er bereits mit sechzehn Jahren Findungskomitee geführt und mich intensiv Selbstsicherheit und der Wille, seinen eige­ kunft zu führen. Dies ist einer von vielen als »Das Stuttgarter Ballett«. vorbereitet.« Was für eine Genugtuung, als nen Weg zu gehen. Anfängen im Leben des Tamas Detrich. Aber noch spielt Detrichs Leben in New die Entscheidung für ihn einstimmig fiel. Zehn Jahre ist er alt, als er das erste Mal York. »Damals eine dreckige, auch gefähr­ »Ich hatte zwanzig internationale Mitbewer­ einen Ballettsaal betritt. »Ich hatte keine Ah­ liche Stadt, die einen nicht zur Ruhe kom­ ­Gegenwart sucht er Tag für Tag. »Ich erlebte Zurück in Stuttgart kommt Detrich endgültig ber und habe hart gekämpft. Im Rückblick Ich hatte keine nung vom Tanz. Aber ein Gefühl: Das will ich men ließ.« Der junge Tänzer erfährt von ei­ die Proben zu Initialen R. B. M. E., Marcias an. Er genießt die Arbeit mit Choreographen war es das Beste, was mir passieren konnte.« Ahnung vom Tanz. machen.« Das war 1969 in New York. Die nem Vortanzen für die John Cranko Schule, dritter Satz ... ich habe geweint«, erinnert sich wie Jirí Kylián. Vor allem in den Rollen von Und nun, wie ist der Start als Intendant? privat geführte Ballettakademie erkennt mitten in Manhattan. Und wieder handelt er ­Detrich. John Crankos Tod war kaum zwei Kylián entwickelt der Junge aus New York Fortsetzung oder Neubeginn? »Es ist ein Aber ein Gefühl: das Talent des Immigrantenkinds und bietet entschlossen. »Ohne Wissen meiner Eltern Jahre her. »Intuitiv habe ich den Zusammen­ eine unübersehbare und zugleich feinstoff­ Anfang. Die Kulmination von allem, was ich ihm ein Stipendium an. Die Eltern, gebür­ ging ich einfach hin. Und ich wurde genom­ halt der Compagnie gespürt.« All das saugt liche Bühnenpräsenz. Und so ist es auch eine bisher gelernt habe.« Andersons Büro ist Das will ich machen tige Ungarn, reagieren prompt und ziehen men.« Einen Tag später lädt er seine Mutter er in sich auf, beobachtet, lernt, wächst. Verneigung vor diesem Weggefährten, wenn umgeräumt, die Perspektive des Direktors mit Sohn Tamas und Tochter Dora aus der zum Spaziergang ein, sonderbar für einen Detrich in seiner ersten Spielzeit als Inten­ sofort eine andere. »Es ist gut, dass nicht Wie so oft bei zurückhaltenden Menschen Bronx nach Manhattan, damit der Sohn Teenager. Er müsse reden, sagt er, und er­ Wenn es hart wird, macht er langsam dant ein abendfüllendes Kylián-Stück ins alles bleibt, wie es war. Nun werde ich es nimmt die Außenwelt jene anderen Seiten die Schule besuchen kann. Dort betritt der zählt seiner Mutter beim Gang um den Block Sein stiller Eifer, gepaart mit Disziplin und Programm nimmt: One of a Kind. Einzigartig. auf meine Weise machen. I’ll do it my way.« nicht wahr, weil sie den ersten Eindruck Junge die Welt des Balletts. Entdeckt, wie von Stuttgart, entwirft einen Plan. tänzerischer Noblesse, bleibt nicht unbe­ Detrich wird als Tänzer alles erreichen, Vom scheuen Kind keine Spur. nicht bedienen – man täuscht sich in ihnen. er sich ausdrücken kann, allein über seine Wenige Wochen später landet ein sech­ merkt. Kurz nach seiner Abschlussprüfung was möglich ist: Solist, Erster Solist, 1998 ­Detrich ist so ein Fall. Aber es ist eben bei­ Bewegungen und die feinen Glieder seines zehnjähriger Amerikaner auf einem kleinen verkündet Direktorin Marcia Haydée: »Du erhält er den Ehrentitel Kammertänzer. des, diese große Zurückhaltung, ja, Sensibi­ Körpers, Schritt für Schritt erlernt er die rei­ Flughafen, umgeben von Krautäckern. »Wo bist der Erste, den ich in meine Compagnie Seinen Abschied von der Bühne gibt er in Beim BLICK HINTER DIE KULISSEN lität, die ihn ausmacht. Und andererseits die che Sprache einer wortlosen Kunst. Nach bin ich hier gelandet, in einem Dorf?« Der aufnehme.« Kurz darauf geht er mit dem der Titelrolle von Crankos Onegin an sei­ können Ballettfans bei Proben zuschauen und den neuen Ballettchef Tamas Detrich Sicherheit, die er besitzt, sobald er weiß, was außen behält Detrich die neue Leidenschaft Schock ist vergessen, sobald er den Profis Stuttgarter Ballett auf Tournee: Berlin, Paris, nem 43. Geburtstag. Detrich verkörpert den bei der Arbeit erleben. Bis 23. September

er will. Auch diese Eigenschaft muss dieser für sich: »Meinen Freunden aus der Bronx bei ihren abendlichen Proben zuschaut. Ihre Novitzky Roman Foto: Südamerika, Hongkong, Israel. arro­ganten, leidenschaftlichen Einzelgänger im Kammertheater

24 THEMA THEMA 25 Die Kunst der Verrücker Sie stehen am Rande der Gesellschaft, gelten als psychisch krank, dabei gehen sie unermüdlich, detailversessen und akribisch ans Werk. Will ­ kommen in der Welt der Outsider­Art – jener Kunst, die sogar dem Kunstmarkt meist zu schräg ist

Henry Darger Untitled (Strangled child in the sky), o. D., 58,4 × 110,5 cm

Frances Glessner Lee nutshell studies of unexplained death / Blue Bedroom, 1943, Detail Text: Sandra Danicke

Als der Erbe durch das Haus von Erwin Hapke ging, ners Henry Darger: Als der Eigenbrötler aus Chicago kurz staunte er bei jedem Schritt. Im Hausfl ur wimmelte es vor seinem Tod 1973 in ein Pfl egeheim zog, fand sein von Tieren. Pinguine, Schwäne, Störche, gefaltet aus Vermieter neben Tausenden Fotografi en und Zeitungs- Lee Godie Women braunem Packpapier, die mit Tesafi lm auf graue Papp- ausschnitten mehr als 19 000 Schreibmaschinenseiten (Out of Space) (Woman in tafeln geklebt und an den Wänden befestigt waren. Hin­ und zahlreiche Zeichnungen – ein abgründiges Konvo­ red with red eyelashes), ter den Zimmertüren saßen und lagen sie zu Tausenden. lut aus dicht verwobenen Hirngespinsten. Es erzählt die o. D., 45,7 × 45,7 cm Auf Tischen, Sesseln, Fensterbänken, Fußböden. Klebten schaurige Geschichte der »Vivian Girls«, sieben mit Penis � Lee Godie Miss Gibbson an den Wänden, besetzten die Dusche. Armeen von In­ ausgestatteten Heldinnen, die auf einem grausamen (sic) (Gibbson Girl in Profi le), o. D., 47 × 45,7 cm sekten, mit fi ligranen Fühlern und Flügeln, menschliche Planeten voller Blutrünstigkeiten einen Feldzug gegen Wesen in Gruppen und einzeln, kommunizierend, kämp­ Kindersklaverei führen: grenzwertig, geschmacklos, aber fend, tanzend, durch die Luft wirbelnd. Häuser, Autos, auch ungemein suggestiv. � abstrakte Figuren – alle aus Papier. Die Kunst von Outsidern lässt uns meist so schnell E rwin Hapke hatte seine Werke keinem Menschen gezeigt. nicht los. Ihre Anziehungskraft speist sich nicht allein Hapke Er lebte allein, ließ niemanden ein. Nur die Schwester, aus ihrer Ästhetik. Ihr Reiz liegt auch in ihrem mani­ Geheimes die seine Arbeiten für Unfug hielt, brachte ihm manch­ schen Charakter, in der Eigenwilligkeit und Unbeirrtheit, Museum, o. D., Detail mal Essen. Hapke saß zu Hause, faltete Stunde um die daraus spricht – und nicht zuletzt in ihrem voyeu­ Stunde, Tag für Tag. Dabei war er promovierter Biologe. ristischen Potenzial. Als er 1981 mit 44 Jahren arbeitslos wurde, zog er zu Den österreichischen Romanautor Clemens J. Setz seinen Eltern in jenes Haus bei Unna; dort starb er auch, hat diese Kunst zu einem Theaterstück für das Schau­ 2016, nach einem Sturz. Was mit seinen Kostbarkeiten spiel Stuttgart inspiriert. Die Abweichungen verdichtet geschieht, die inzwischen als idealtypische Werke der die Schicksale gleich mehrerer Outsider in einer Reini­ Outsider­Kunst gelten, steht bis heute nicht fest. gungskraft. Nach deren Tod tauchen Modelle auf von Werke des Wahnsinns – oder Art brut, wie man die den Wohnungen, die sie putzte. Detailgetreu – mit � Horst Ademeit Kunst nennt, die im Verborgenen entsteht – entdeckte kleinen Abweichungen. Das ästhetische Verfahren untitled, 26.07.1993, man auch in der Einzimmerwohnung des US­Amerika­ gleicht den morbiden Puppenstuben der Amerikanerin 11 × 9 cm

26 BÜHNE BÜHNE 27 � Lee Godie Eldorado, o. D., 66 × 54,6 cm Outsider­Art zeigt uns Ängste, Nöte, Begierden, von denen wir nur ahnen, dass sie auch tief in uns selbst schlummern könnten

Die Wahrheit Frances Glessner Lee, die in den 1940er­ und 1950er­ eindringliche Werkkomplexe, die keiner äußeren Lo­ steckt Jahren Tatorte nachbaute. Winzige Wäscheklammen gik gehorchen, keinen Betrachter im Auge und keine im Fehler und Kaffeedosen waren genauso zu erkennen wie die Marktinteressen im Sinn haben. Und gerade deshalb blutigen Fußspuren des Mörders. Mit ihren akribischen wirken sie wahrhaft authentisch. Der österreichische Dioramen begründete Glessner Lee die Forensik, bei Setz Zu den wenigen Outsidern, die unter den Augen der Schriftsteller jedoch verlieren die Bewohner angesichts der Modelle Öffentlichkeit arbeiteten, zählt der Schweizer Anstalts­ Clemens J. Setz beinahe den Verstand. Sie fühlen sich gestalkt, bis ins insasse Adolf Wölfli. Bis zu seinem Tod 1930 feilte er blickt mit abgrün­ Kleinste ausspioniert. Abweichungen wie ein zusätz­ an einem gigantischen Weltentwurf mit zum Schluss digem Humor in die liches Kind im Bett stürzen die Familien in tiefe Krisen. 25 000 Seiten. Er scheint seine obsessiven Zeichnungen Wunderkammern Setz’ Puppenstuben entfalten die typisch verstörende nicht nur für ein Publikum gemacht zu haben, er kannte und Schreckens­ Wucht der Outsider­Art. Sie konfrontiert uns mit dem, die Strömungen seiner Zeit auch genau. Sein Werk weist kabinette menschli­ cher Beziehungen. In was wir verdrängen und verschweigen. Sie zeigt uns jene Elemente von Dada und Surrealismus auf. seinem Theaterstück Nöte, Ängste und Begierden, von denen wir nur ahnen, Auch Lee Godie (1908 – 94) wurde als Künstlerin wahr­ Die Abweichungen dass die ein oder andere davon auch tief in uns selbst genommen. Die amerikanische Obdachlose begann mit baut eine Reini­ schlummern könnte. Fantasien, die wir uns nicht einmal sechzig Jahren, Porträts von hypnotisch dreinblickenden gungskraft aqua­ zu denken trauen. Leidenschaften, die wir sorgsam unter Frauen auf der Treppe des Art Institute in Chicago an riumsgroße Modelle Kontrolle halten. Passanten zu verkaufen. Bis ins hohe Alter stand sie der Wohnungen, die Die Geschichten ihrer Schöpfer ähneln einander. dort täglich mit ihrem schrillen Bühnen­Make­up. Be­ sie putzt. Detailge­ Es sind Männer und Frauen, die – oft unbemerkt von gehrt sind inzwischen vor allem Godies Selbstporträts treu – bis auf winzige der Umwelt – hochkomplexe Strategien entwickelten, aus Foto kabinen, für die sie sich selbst in wechselnden Veränderungen. um sich ihr Leben zu erklären, es zu bewältigen. Son­ Rollen inszenierte. Woher Godie kam, warum sie auf der Die Kuratorin eines derlinge wie der Düsseldorfer Horst Ademeit, bei dem Straße lebte, verriet sie keinem. Museums will die man, als er 2008 ins Seniorenheim zog, knapp 9000 mit Ungewöhnlich früh entdeckt wurde das Talent von Frances Glessner Lee nutshell studies of Werke als Outsider­ winzigen Handnotizen beschriftete Polaroids fand, auf George Widener. Eine Zeit lang arbeitete der Amerikaner, unexplained death / Art ausstellen. Die denen Spinnen, Fahrräder, Baustellen oder auch mal Jahrgang 1962, als Techniker beim Nachrichtendienst Kitchen, 1944, Detail Familien, die in den ein Paar Badelatschen zu sehen sind. Die Fotos sind der Air Force. In seiner Freizeit fertigte er umfangrei­ � Adolf Wölfl i Wohnungen leben, Teil eines akribischen Systems zur Dokumentation von che Aufzeichnungen an, die eine Vorliebe für Zahlen, Skt. Adolf Thron Arnika, stürzen derweil in »Kältestrahlen«, einer bedrohlichen Macht, deren Mani­ Kalender und Bevölkerungsstatistiken erkennen lassen. 1917, 28,8 × 21,9 cm Krisen: Hat die Putz­ festationen der eigenwillige Künstler rund vierzig Jahre In seinen klar strukturierten Zeichnungen kombiniert Horst Ademeit 5601, frau ihre Geheim­ lang observierte. Zudem drechselte Ademeit Hunderte Widener, ein Inselbegabter mit Asperger­Syndrom, 04.03.2003, 11 × 9 cm nisse und Abgründe Kügelchen aus verschiedenen Hölzern, die er am Körper reale historische Ereignisse mit eigenen Berechnungen durchschaut? Oder trug, um sich vor den Strahlen zu schützen. und entwickelt spezifi sche Codes für superintelligente sind die Abweichun­ Nicht alle Werkgruppen, die man zum Art brut zählt, Computer der Zukunft. Eines seiner mit mathemati­ gen Spekulation? wurden als Kunst konzipiert. Gemeinsam ist ihnen je­ schen Berechnungen überzogenen Bilder handelt von DIE ABWEICHUNGEN doch eine konzeptuelle Herangehensweise, ein hoch Flugzeugabstürzen an Sonntagen, die Widener auf die von Clemens J. Setz, konzentriertes, detailreiches Vorgehen, das mit einer an Zukunft hochgerechnet hat. Regie Elmar Goerden. Besessenheit grenzenden Ausdauer verfolgt wird. Fast Outsider verfügen über Eigenschaften, die im norma­ Uraufführung am 18. November im immer haben wir es mit einer erdrückenden Material­ len Alltag womöglich Probleme bereiten, in der Kunst Kammertheater dichte zu tun, die zugleich überfordert, aufwühlt und jedoch von unschätzbarem Wert sein können. Es sind verführt, denn die sogenannten Outsider­Künstler leh­ exakt jene Fähigkeiten, die wir auch an den Werken nen sich nach Vollendung eines Bildes oder einer Plastik »gesunder« Künstler schätzen: Stringenz, Konsequenz,

Bilder (von oben und von links) nicht zufrieden zurück. Sie müssen weitermachen, um Unangepasstheit, Eigenwilligkeit und eine Radikalität, Seite 27: Museum of Modern Art (MoMA) NY, Gift of the artist’s die Dämonen in Schach zu halten. die auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Und so estate in honor of Klaus Biesenbach, Foto: Digital image, The Museum Fassungslos stehen wir vor den Auswüchsen eines wächst seit einigen Jahren das Interesse der Kunstwelt of Modern Art, New York/Scala, Florenz; Foto: Laurie Shaull (CC BY abnorm gesteigerten Schaffensdrangs, den die Künstler an den Außenseitern, ihre Werke werden gesammelt und 4.0); Estate of Horst Ademeit / Delmes & Zander, Köln; Courtesy of kaum kontrollieren können. Auch, weil es uns nicht kalt­ ausgestellt. Es gibt sogar Galerien, die sich auf diese Carl Hammer Gallery NY; Courtesy lässt, wenn ein Mensch sich mit Inbrunst einem Thema Art Kunst spezialisiert haben. Dass die überzeugends­ of Carl Hammer Gallery NY; Foto: Thomas Köster / WDR — Seite 28: verschreibt, das im Alltag als bloße Spinnerei abgetan ten Werke oft isoliert von der Außenwelt entstehen, von Courtesy of Carl Hammer Gallery NY; Foto: Erin N. Bush; Adolf Wölfl i- wird. Leben und Werk sind bei den Schöpfern dieser in Künstlern, die niemandem gefallen wollen und denen es George Widener I was born, Stiftung, Kunstmuseum Bern; 2012, 217 × 147 cm Estate of Horst Ademeit / Delmes sich geschlossenen Universen meist untrennbar verwo­ egal ist, was andere von ihren skurrilen Systemen der & Zander, Köln; Courtesy of Ricco / � Maresca Gallery NY, Foto: Delmes ben. Immer tiefer tauchen sie in ihren Kosmos ab und Welterfassung halten – gerade das macht sie zu heiß Adolf Wölfl i Zungsang Skt. Adolf & Zander, Köln; Adolf Wölfl i-Stiftung, Roosali, 1917, 99 × 69/70 cm Kunstmuseum Bern schaffen – meist angeleitet von Wahnvorstellungen – begehrten Trophäen.

BÜHNE 29 In allen Facetten Sie schillert, verzaubert, verwirrt. Die Geschichte der Ballerina erzählt von der Schönheit der weiblichen Kraft

Text: Jana Petersen Fotos: Roman Novitzky

Die Erste Solistin Das Tutu ist die Alicia Amatriain Uniform der Ballerina­ , im Kostüm zu Konzert sagt Amatriain. Es für Flöte und Harfe erfordert absolutes von John Cranko Hochstreben.

30 BÜHNE BÜHNE 31 Die Erste Solistin Zumindest für diesen Elisa Badenes mit Moment auf der Krönchen. Elegant im Bühne fühle sie sich schimmernden Tutu royal, sagt Badenes. – näher kann man Hier trägt sie ihr Tutu einer Prinzessin nicht zu Sinfonie in C von kommen , sagt sie George Balanchine

32 BÜHNE BÜHNE 33 s war einmal eine Frau, eine der er­ körperlichen Vorzüge verlässt – überliefert nicht von dieser Welt schienen: Objekte für auf: Bis zur Französischen Revolution steht folgreichsten Künstlerinnen ihrer sind die »unverhältnismäßige Länge ihrer den abendlichen Eskapismus der Bourgeoisie. der König oder ein Darsteller des Königs in Zeit. Kassiert Rekordsummen, ist Arme und Beine«, ihr gewölbter Rücken, ihre Am deutlichsten sichtbar wird das Ideal der Mitte der Bühne, nach der Revolution Star und It-Girl, alleinerziehende spitze Nase. Sie trennt sich noch schwan­ der Ballerina im »Ballet blanc«, das zeitgleich rückt erstmals die Tänzerin als Gegenfigur EMutter, die ihren Ex-Mann alimentiert, die ger. Wer der Vater ihres zweiten Kindes ist, mit der Ballerina entstand. Es ist jener Teil zum monarchischen Repräsentanten in den ihr Handwerk zur Kunst erhebt. Eine Frau, für macht sie nie öffentlich. des Balletts, bei dem eine oder mehrere Bal­ Mittelpunkt. die das Publikum Blumen regnen lässt, die lerinen im Mittelpunkt stehen. Szenen, die Wer ist also diese Figur? Und was kön­ ihre Kritiker »revolutionär« nennen. Die am die Handlung nicht unbedingt voranbringen, nen wir von ihr lernen? Der Blick auf Taglioni Abend ihrer Hochzeit auf der Bühne steht, Das Tutu kann jedoch sehr viel Gelegenheit für virtuosen hilft uns nicht nur, die Ballerina als Künst­ ihr Vermögen per Gütertrennung sichert. Tanz bieten. Verschiedene Variationen des lerin zu erkennen, die hart für ihr Werk ar­ Wer ist diese Frau? Das ist Marie Taglioni, als magischer Kreis Ballet blanc – und damit auch der Ballerina beitet und sich vor ihrer Kunst in den Staub die Ur-Ballerina. um die Ballerina – zeigt der Ballettabend Shades of White. schmeißt. »Hingabe und Opferbereitschaft«, Die Ballerina also. Das scheinbar zarte Der Name leitet sich von dem zweiten Akt sagt Taglioni,­ hätten sie zu ihrem Erfolg ge­ Wesen im Tutu, das noch immer Zuschauer gedeutet werden, als (Das Königreich der Schatten) aus La Baya- führt. Mit dem Blick auf die Ballerina können verzaubert. Diese offenbar anachronisti­ sichtbare Aura dère ab – und ist zugleich eine Anspielung wir uns auch den Mittelpunkt der Bühne er­ sche Figur, der Modeschöpfer von Christian­ auf den erotischen Bestseller Fifty Shades of obern. Unser Schillern, unsere Ambivalenz, ­La­croix bis Jean-Paul Gaultier ganze Kol­ Grey. Ein Titel, der programmatisch auf das die Uneindeutigkeit zum Prinzip erheben. lek­tionen widmen, die seit Jahrzehnten Ihre Paraderolle, die Sylphide, erscheint als Schillern der Tänzerin verweist. die Haute Couture inspiriert. Ein Geschöpf, schillernd, unfassbar, sogar unberührbar. In der neoklassischen Sinfonie in C von Die ambivalenten Kräfte in sich vereinen an dem sich noch immer Mädchen orien­ Sobald sie von einem Mann berührt wird, George Balanchine ist der Tanz selbst die Nicht einmal ihr Alter kann die Ur-Ballerina tieren – und in die sich sogar erwachsene verliert sie ihre Flügelchen und stirbt. In ihr Handlung. »See the music, hear the dance« Marie Taglioni stoppen, häufig das natür­ Frauen hineinträumen. Wer ist diese Figur? vereinen sich das Überirdische und die be­ – Balanchine übersetzt die Musik von liche Finale einer Tänzerin. Zwar verlässt Und warum kommen wir nicht von ihr los? drohliche Geisterwelt, die Anziehungskraft ­Georges Bizet in Bewegung, und tatsächlich sie mit vierzig die Bühne, schlägt dann aber Es hilft der Blick zurück, ins Paris der und die Unnahbarkeit. Dies spiegelt sich scheint es in Palais de Cristal, wie das Stück eine zweite Karriere als Ballettmeisterin an 1830er-Jahre, zu Marie Taglioni. Wir befinden auch in ihrem Tutu, das sowohl als Keusch­ ursprünglich­ hieß, als löste der Choreograph der Pariser Oper ein. Ein begehrter Posten, uns in der Romantik, in Paris ist die Macht heitssymbol als auch als verführerisches die Sinne auf, als wären die Ballerinen die der den weiblichen Tänzern zu jener Zeit des Königs endgültig gebrochen, das Bürger­ Dessous gedeutet werden kann. Das Begeh­ Töne selbst, als wären sie die Noten, die normalerweise nicht offensteht. Erst mit tum übernimmt. Die Taglioni ist die berühm­ ren und die Angst, die sie beim Betrachter ­Tasten des Klaviers, die Saiten der Geige. Die Ende siebzig hört die Taglioni zu arbeiten teste Tänzerin jener Tage, die Schwedin mit gleichzeitig auslöst, verleiht der Ballerina Ballerina als Instrument: Das kurze Teller­ auf. Ihr Alter trage sie »mit Anmut«, schreibt italienischen Wurzeln sorgt für einen wahren ein Schillern; ein Oszillieren zwischen dem tutu gibt den Blick auf die komplizierte Bein­ ein Zeitgenosse. Ballettboom in Paris. »Déesse de la Danse« sichtbaren Hellen und dem unsichtbaren arbeit frei. wird sie genannt, die Göttin des Tanzes. Dunklen. Auch in der einige Jahre später Tatsächlich hat das Tutu genau dafür Mit ihrem Debüt läutet sie eine neue Ära kreierten Figur der Giselle schwingt ein seine Form: Mit steigender Perfektion und Mit der Ballerina im des Tanzes ein: Mit ihr wird das Ballett zur düsteres, verführendes Element mit: Die Ge­ Kunstfertigkeit der Tänzerin wurde der Rock Blick können wir Kunst. »Vor Taglioni war der Tanz nur ein schichte erzählt von den Wilis, verstorbenen immer kürzer. Das verleiht ihm eine Aura Metier, das Handwerk«, schreibt einer der Mädchen, die in langen weißen Röcken im der Unbarmherzigkeit, weil er keine Fehler uns den Mittelpunkt der So sieht sie aus, die Ur-Ballerina Marie Taglioni, hier in ihrer Paraderolle, der Sylphide. wichtigsten Choreographen jener Zeit: »Sie Die Rolle wurde der berühmten Tänzerin auf den Leib geschrieben Mondlicht tanzen – so lange und wild, bis die duldet. »Diese Herausforderung, das Stre­ Bühne erobern erschien, und das Handwerk wurde Kunst.« Männer, die mit ihnen tanzen, tot umfallen. ben nach Perfektion und die Stücke, die Über sie wird gesprochen, in den Cafés, Sa­ reine Technik erfordern, das gefällt mir am lons und Theatern der Stadt. Frauen legen Entrückt, nicht von dieser Welt klassischen Ballett«, sagt die Halbsolistin Vielleicht entwickelt die Ballerina ihre wah­ Schmuck vor ihre Füße. Sie sei »der Tanz Ihr Tanz ist ein Akt der Rache: Die Wilis sind Jessica Fyfe vom Stuttgarter Ballett, »wenn re Stärke, wenn sie all diese Teile integriert:­ selbst«, schreibt einer. »Keine Sprache kann betrogene Bräute, die ihre Männern strafen man es nicht mögen würde, könnte man es die jungfräuliche Braut, die verführende ihre Bewegung beschreiben«, ein anderer. Vorgängerin des frühen 19. Jahrhunderts, wollen. Generell kommen Männer in diesen nicht tanzen.« Ballett ist ein Leistungssport, Zerstörende, die disziplinierte Arbeiterin, ta­ »In Wahrheit hatte es niemanden gegeben, Die Ballerina eine verführerische Wasserfrau, den Mann Balletten sehr schlecht weg, sie betrügen, es stecken Disziplin und harte Arbeit hinter lentierte Geschäftsfrau und hingebungsvolle der so tanzte«, schreibt ein Dritter. ist eine Über­ stets nach unten, in den Tod, zu ziehen, er­ nehmen den Tod der Geliebten in Kauf. Es der Leichtigkeit. Zugleich ist das Tutu ein Künstlerin. Wenn sie all diese Kräfte in sich scheint die Ballerina in Weiß als himmel­ scheint, als würden sie die dunkle Seite einer Schutz: ein magischer Kreis um die Balle­ vereint, sie nicht gegeneinander ausspielt. Schillernd, unfassbar, unberührbar höhung, die weib­ wärts strebende, ikonengleiche Madonna. Dualität verkörpern, die die Ballerina umso rina, der sie unantastbar macht, eine sicht­ Das kann sich über die innere Haltung jeder Taglioni perfektionierte den damals völlig liche Analogie Man kann sie als Archetyp lesen, als un­ strahlender leuchten lässt, moralisch erha­ bare Aura, die ihr Halt und Stärke verleiht. Tänzerin transportieren, die diesen Archetyp neuen Spitzentanz, für sie wurde das erste – erreichbares Ideal, rein, pur, edel, erhaben, ben und vergebend – möglicherweise eine In seiner Choreographie zum Konzert heute auf der Bühne verkörpert. Eine Haltung damals noch wadenlange – Tutu entworfen, zum Helden schwerelos. Als weibliche Analogie zum Reflexion des Wunschdenkens der zum Groß-­ für Flöte und Harfe von Wolfgang Amadeus von Emanzipation, Sichtbarkeit und Macht. welches die virtuose Fußarbeit der Tänzerin Helden der griechischen Mythen deuten teil männlichen Zuschauer. Das Publikum­ Mozart löst John Cranko den Archetypus auf enthüllte. Alles an ihr strebte nach oben. der griechischen­ oder zum edlen Ritter der deutschen Sa­ dieser Zeit hatte sich radikal verändert: War seine Weise auf: Er verkehrt ihn mit einem Alamy Stock Foto Stock Alamy Und tatsächlich stellt die Ballerina eine gen. Kurz: als Überhöhung. Doch dann ist da / zuvor dem – auch weiblichen – Adel der Bal­- Augenzwinkern ins Gegenteil, spielt mit der SHADES OF WHITE Mythen oder Ballettabend mit Konzert für Flöte und Harfe ganz bestimmte Seite der Frau in den Vor­ die ­Taglioni. Verdient mehr als jede andere lettbesuch­ vorbehalten, waren es nun rei­che üblichen Besetzung des Ballet blanc, indem von John Cranko, Musik von Wolfgang dergrund: das Ätherische, das Schwebende, zum edlen Ritter Tänzerin vor ihr. Lässt sich von der Pariser Geschäftsmänner, die sich vom Tanz verzau­ er den beiden Hauptdarstellerinnen ein Amadeus Mozart; Das Königreich der Schatten das Spirituelle. In ihren Memoiren schreibt Oper Rekordsummen zahlen und vertraglich bern ließen. Die Herrschaften wollten sich Corps de ballet aus Männern, einen Männer­ aus La Bayadère, Choreographie von Natalja Taglioni, es möge lächerlich klingen, aber sie sichern, dass keine andere Tänzerin ihre Rol­ amüsieren, ihren Alltag vergessen. Das spie­ harem, zur Seite stellt, der mit herausfor­ Makarowa nach Marius Petipa, Musik von Ludwig Minkus; Sinfonie in C von George »hatte spirituelle Füße und Hände«. Drohte len übernehmen darf. Eine, die sich ihren gelten fantastische Wesen wie die Wilis und dernden Drehungen und Arabesques glänzt. Balanchine, Musik von Georges Bizet.

das gefährliche Naturwesen Undine, ihre Glanz handfest erarbeitet, sich nicht auf ihre Art Collection Picture The Foto: die Sylphiden wider, entrückte Charak­tere, die Damit greift er die Ursprünge der Ballerina Premiere am 13. Oktober im Opernhaus

34 BÜHNE BÜHNE 35 Wieso wir den Krieg spielen Seit siebzig Jahren ist Frieden in Europa. Und auf den Bühnen und TV­Bildschirmen, in Kinos und Videogames herrscht weiterhin Gewalt. Ein Glück, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer, so bleibt der Horror lebendig

Text: Harald Welzer

Das Foto der vor einem Napalmbomben­An­ griff fl iehenden Kinder schockierte 1972 welt­ weit. Es markiert Give me back the Berlin wall tialischen Einzelaktionen und systemati­ die sie ausüben. Sie macht etwas mit ihrem die Wende im Vietnam­ give me Stalin and St Paul schen Erschießungen, bei denen Menschen Körper und ihren Gefühlen, Soldaten wollen krieg – zum Frieden I’ve seen the future, brother: zusammengetrieben und mit Maschinen­ überleben, wollen sich ermächtigen, ihre ei­ it is murder gewehrfeuer getötet wurden. Scheinbar gab gene Todesangst bewältigen. Und: Auch von Leonhard Cohen es keinerlei Grund dafür, all diese Menschen den Armeeführungen gibt es regelmäßig die zu ermorden; sie waren unbewaffnet, wehr­ Tendenz, die Gewalt zu entgrenzen, also für Vor einem halben Jahrhundert, am 16. März los, es ging von ihnen keinerlei Gefahr aus gerechtfertigt zu erklären, dass Zivilisten ge­ 1968, verübten ganz normale amerikanische – aber doch verrichteten die amerikanischen tötet, Frauen vergewaltigt und Dörfer ange­ Soldaten in dem vietnamesischen Dorf My Soldaten ihre Arbeit mit totaler Konsequenz. zündet werden. In kurzer Zeit erscheint nor­ Lai ein Massaker, in dem nicht nur Menschen Überall, das Life­Magazine dokumentierte es mal, was nur Wochen zuvor als undenkbar ermordet wurden, sondern auch noch ihr im Dezember 1969, lagen Tote und Verwun­ gegolten hätte. Krieg ist Krieg, heißt es dann. Vieh abgeschlachtet und ihre Häuser nieder­ dete herum; es gab einen Abwassergraben, Und bei alldem verfestigt sich kategoriale gebrannt wurden – so, als sollte buchstäblich in dem Opfer, die noch lebten, systematisch Gegnerschaft: der andere als absoluter Feind. nichts, keine Spur von den Opfern und ihrem mit Maschinengewehrfeuer getötet wurden. Leben, übrig bleiben. Viele der Frauen des Or­ Nach der Aktion machten die Männer Pau­ Krieg verkörpert das tes wurden vergewaltigt, bevor sie ermordet se, packten Lunchpakete aus, aßen, rauchten wurden. Es handelte sich um einen Massen­ und rissen Witze. bedrohliche Gefühl: mord, der – sieht man von einigen Menschen In der öffentlichen Diskussion, die sich ab, die durch den mutigen Einsatz des Hub­ um den Massenmord von My Lai etwa an­ Es könnte alles auch schrauberpiloten Hugh Thompson gerettet derthalb Jahre später entwickelte, wurde oft ganz anders sein wurden – niemanden ausließ, also im Ergeb­ gesagt, dass der Vorgang etwas Mysteriö­ nis einen Vernichtungswillen erkennen ließ, ses und Rätselhaftes habe. Die Soldaten, die Nicht alle Kriege setzen zu Beginn eine un­ der keine Ausnahmen vorsah. Insgesamt ihn verübt hatten, stellten keine besondere überbrückbare kategoriale Trennung zwi­ fi elen diesem Massenmord 504 Vietname- Gruppe dar, sie waren weder ihrem Alter schen den Feinden, also den Angehörigen sinnen und Vietnamesen zum Opfer; ganze noch ihrer Herkunft oder ihrer Ausbildung einer Wir­Gruppe und einer Sie­Gruppe, drei erfüllten als junge Männer das Krite­ nach anders als die anderen in Vietnam ein­ voraus, aber die Dynamik des Krieges schafft rium, möglicherweise feindliche Kämpfer zu gesetzten Soldaten; ihr Bildungsstand war diese Trennung in kurzer Zeit – in Vietnam sein, nur ein einziger von ihnen war nach­ möglicherweise besser als der Durchschnitt. galt als sicherster Weg, jemanden als Viet­ weislich bewaffnet. Er wurde zu Beginn der Und ein Befehl zum Töten lag nicht vor. cong zu identifi zieren, ihn als Vietcong zu Aktion außerhalb von My Lai auf der Flucht Des Rätsels Lösung ist: Gewalt als sozia­ behandeln, also zu töten: »If it’s dead and Just Cause 4 heißt von einem Hubschrauber aus erschossen. le Handlung ist dynamisch und trägt das it’s Vietnamese«, lautete die Faustregel, »it’s dieses Videogame: Die Tötungsaktion spielte sich innerhalb Poten zial zu ihrer Entgrenzung mit sich. VC.« Wenn jemand getötet wurde, dann war Bei ihrem Kampf für die gute Sache Fotos: picture / AP alliance / Nick Images Ut; hdqwalls.com weniger Stunden ab; sie bestand aus bes­ Denn Gewalt macht etwas, auch mit denen, er Vietcong; Töten und Defi nieren ist hier befreien die Spieler eine tropische Insel von einem Diktator BÜHNE 37 dasselbe. Anders gesagt: Krieg macht alles sozialen Handelns. Dass es in modernen Ge­ Auch wenn von geschilderter, dargestellter, anders, ist eine radikale Störung der ge­ sellschaften mit einem staatlichen Gewalt­ ästhetisierter Gewalt immer eine dunkle wöhnlichen Wirklichkeit und verkörpert das monopol gelungen ist, Gewalt weitestgehend Faszinationswirkung ausgeht, muss von bedrohliche Gefühl: Alles könnte auch ganz aus dem Alltag zurückzudrängen, hat sie ja Gewalt gehandelt werden, um sie nicht wie­ anders sein. nicht abgeschafft. Sie hat heute nur eine an­ derkehren zu lassen. Als menschliche Mög­ dere Gestalt, eine eingehegte, aber das heißt lichkeit geht von ihr ohnehin Faszination Frieden: eine historische Ausnahme natürlich nicht, dass sie nicht existiert. Es gibt aus – man denke nur an die Infl ation von Gewalt ist immer eine Möglichkeit sozia­ sie weiterhin in Familien, bei Sportveranstal­ Kriminalstorys gerade aus jenen Ländern, len Handelns; sie durchzieht die gesamte tungen, bei Oktoberfestschlägereien, und weil die wie die skandinavischen in Wirklichkeit Menschheitsgeschichte. Von Zeit zu Zeit sie nicht abgeschafft ist, sondern nur einen die friedfertigsten sind. Gewalt muss kul­ werden Konfl ikte zwischen Gruppen, Staaten, Gestaltwandel durchlaufen hat, kann sie je­ turell bearbeitet werden, gerade damit sie Nationen, Imperien oder auch innerhalb von derzeit wieder entbunden werden – wie etwa latente Möglichkeit bleiben kann und nicht Gesellschaften so heftig, dass sie mit Gewalt zur organisierten Kriegsgewalt. manifestes Handeln wird. ausgetragen werden. In der kurzen Geschich­ Aber alles, was eine soziale Möglichkeit Bannen kann das kulturelle Gedächtnis te unserer Moderne ist die Gewalt so weit ist, bedarf der kulturellen Bearbeitung, um die Kriegsgefahr selbstverständlich nicht; zurückgedrängt wie noch niemals zuvor. Kli­ sie unter zivilisierender Kontrolle zu halten – das ist die Aufgabe des Völkerrechts und cken Sie mal die kleine Animation » Europe daher pfl egen Gesellschaften Gewalt immer einer zivilisierten Politik. Die hatte in den in the last 1000 years« auf YouTube an und auch durch Rituale, Symbole, Simulationen. vergangenen Jahrzehnten wenigstens in Eu­ schauen Sie sich an, wie die Staaten des Man denke nur daran, dass das zentrale ropa Konjunktur – als Ergebnis der erfahre­ heutigen Europas ihre Territorien und Gren­ Symbol der christlich geprägten Kulturen nen Zerstörung durch Krieg und Holocaust –, zen wie brutzelnde Spiegeleier in der Pfanne ein Hinrichtungsinstrument ist: das Kreuz. aber wenn ich mir die heutige Generation verändern, sich erweitern, schrumpfen, ver­ Gewalt braucht Kultur zu ihrer Eingrenzung. von Politikerinnen und Politikern anschaue, schwinden. Die sieben Jahrzehnte Frieden, bin ich mir nicht sicher, ob nicht die Entzivi­ Mehr als eine halbe auf die wir heute in Westeuropa zurück­ Kriegsspiele: vorauseilende Katharsis lisierung zurückkehrt und mit ihr der Krieg, Million Menschen blicken können, sind historisch betrachtet die Von daher hat die Auseinandersetzung mit der schon überwunden geglaubt war. Keine starben im Winter 1942 bei der Schlacht absolute Ausnahme. Dass mehrere Genera­ dem Krieg im Theater, im Film, in der bilden­ gute Aussicht, aber je schlechter sie ist, des­ um Stalingrad. Auch tionen keinen Krieg erlebt haben: Das hat es den Kunst, in der Musik und natürlich in den to wichtiger ist das Thema. diese Bilder markieren zuvor praktisch noch nie gegeben. Aber das Ego­Shooter­Spielen des digitalen Zeitalters die Wende eines brutalen Kriegs heißt leider nicht, dass der Krieg als Mög­ vielleicht die Funktion einer vorauseilenden lichkeit verschwunden wäre. Besonders in Katharsis; man spielt den Krieg, um seinen Zeiten, da der politische Irrationalismus Schrecken zu erahnen und ihn deshalb als Was Menschen zu zurückgekehrt ist, wird Gewalt wieder zu ei­ reale Möglichkeit zu bannen. Mördern macht ner Option politischen Handelns, und damit Umgekehrt bewahrt aber die dauerhafte kehrt die Möglichkeit des Krieges zurück. Befassung mit Krieg und Gewalt jene Sträh­ Die Orestie ist einer der ältesten Theater­ ne der Faszination, die immer vom Bösen stoff e der Welt – und immer noch aktuell. Er handelt davon, wie Krieg Menschen und von absoluter Gewalt auszugehen verändert und Familien zerstört, wie Fragen Den Tätern folgt scheint. Denn Kriegsgewalt ist ja – im Un­ der Ehre Beziehungen zersetzen, Rache terschied zu alltäglichen Gewaltwünschen eine Generation, Opfer um Opfer fordert. Wie die Gewalt­ und Gewaltfantasien – legitime Gewalt. Sol­ spirale sich dreht und die Option der die Krieg nicht kennt daten haben die Lizenz zum Töten, und für Versöhnung in immer weitere Ferne rückt. noch fürchtet manche ist die Chance zur unbestraften Un­ Der griechische Dichter Aischylos erzählt menschlichkeit (wie der Philosoph Günther in der Orestie von einer Familie im Blut­ Man könnte sagen: Damit kehrt die Möglich­ Anders sagte) sehr verlockend, siehe eben rausch. Erst eine Gerichtsverhandlung keit hunderttausendfachen gewaltsamen das Massaker von My Lai. durchbricht die Kette der Gewalt. Sterbens nach Europa zurück; die Menschen Die Schrecken des Krieges bedürfen der Geschrie ben wurde das Drama 458 v. Chr., müssen lernen, dass Lebenssicherheit ein kulturellen Aufbewahrung, es muss ein kul­ am Übergang von der Tyrannei zur Demo­ hohes, aber fragiles Gut ist. Vielleicht ist der turelles Gedächtnis des Kriegs geben, gerade kratie. Das macht es heute noch so relevant. Umstand, dass sich die Menschen kulturell weil den Täter­ und Opfergenerationen immer Es ist eine Geschichte darüber, wie immer mit dem Krieg als sozialem Super­ eine Generation nachfolgt, die den Krieg nicht unsere Welt ins Wanken gerät und was sie GAU beschäftigt haben, so etwas wie eine mehr aus eigenem Erleben kennt und ihn wieder zusammenführt: Versöhnung. mentale Prävention, dass man sich nicht deshalb weniger fürchtet und naiver betrach­ Der britische Regisseur Robert Icke ist sorglos im Frieden einrichten darf – gerade tet. Zudem hilft das kulturelle Gedächtnis des in seiner Heimat berühmt dafür, moderne wenn man den Krieg vermeiden will, muss Kriegs, die Potenziale zur Grausamkeit auch Formen für alte Stoff e zu fi nden. Seine man mit ihm rechnen. Nicht zufällig heißt die dann zu bewahren, wenn die Digitalisierung Londoner Adaption der Orestie wurde 1908 im deutschen Militär eingeführte Pistole des Krieges, die Ver nichtung von »Gegnern« mehrfach ausgezeichnet. Am Schauspiel »Parabellum«, nach dem lateinischen Sprich­ aus der sicheren Ferne mit Drohnen, immer Stuttgart inszeniert er das Stück neu. wort: »Wenn du den Frieden willst, bereite mehr die Tendenz vertieft, dass in heutigen ORESTIE nach Aischylos, Bearbeitung und den Krieg vor« (si vis pacem, para bellum). Kriegen nicht mehr so viele Soldaten, aber Sieg des Guten über Regie Robert Icke. Premiere am 17. November das Böse: Schlacht­ Und wie gesagt: Gewalt ist immer eine Option umso mehr Zivilisten sterben. im Schauspielhaus Inc. ce, Offi Box Home of property the are programs related all HBO® and reserved. All rights ce, Inc. Offi Box / HBO© 2017 Home Foto: SLOAN HELEN Photo; Stock / Alamy Ltd Partnership Image Heritage szene aus dem welt­ weiten TV­Hit Game of Thrones, hierzulande 38 BÜHNE ausgestrahlt von Sky Großmutter hat den Holocaust überlebt. Es poli­tisch aktiv, habe zu Protesten aufgeru­ Ein Skype-Gespräch ist ein bisschen kompliziert, aber wir ha­ fen und Demos organisiert. Erst wurden ben uns bewusst entschieden. Ich liebe die unsere Mittel gekürzt, dann wurden wir der deutsche Literatur und lerne seit Jahren die Steuerhinterziehung beschuldigt, zwei Jahre Sprache. In habe ich jetzt sechzehn lang steuerlich geprüft und unsere Arbeit Jahre lang am selben Theater gespielt. Ich damit praktisch lahmgelegt. Gefunden ha­ Warum verlässt du dein Land? brauche ein Abenteuer. ben sie nichts. Vor einem Jahr hat mich der Sie haben beide kein einfaches Präsident des nationalen Sicherheitsaus­ Der ungarische Regisseur Árpád Schilling und Verhältnis zu der Regierung Ihres schusses des Parlaments gegenüber den Landes. Gehen Sie auch deshalb? Medien zum Staatsfeind erklärt. Tiran: Ich habe lange gehofft, dass die Be­ Wie reagieren Freunde und Kollegen In der Probe der israelische Schauspieler Itay Tiran wandern setzung palästinensischer Gebiete durch auf Ihren Entschluss? Marion und Thomas Reichart aus meine Landsleute aufhört. Leider wird die Schilling: Ich habe in den vergangenen Stuttgart besuchten eine Probe von Debatte auf beiden Seiten immer extremer Jahren schon so viele Freunde und Partner John Crankos Initialen R.B.M.E., aus und kommen nach Stuttgart. Ein Telefonat das Teil des Ballettabends Begeg- geführt, da bleibt kein Raum für Komple­ verloren, viele wurden müde und gaben auf. nungen ist. Das Stück wurde für die xität, für Argumente. Theoretisch dürfen Die Leute auf der Straße schauen mich ko­ Vor­stellung in der Festwoche über den Umzug mit Pferden, Kindern und der Künstler ihre Meinung frei äußern – prak­ misch an, weil sie mich aus dem Fernsehen Ende Juli mit der ganzen Besetzung tisch zensieren wir uns selbst. kennen. Von meinen Kollegen erfahre ich im Ballettsaal geprobt Hoffnung, Freiheit zu erfahren Schilling: Ich habe deshalb schon seit Jah­ kaum Solidarität. Ich will sie dafür nicht ren an keinem ungarischen Theater mehr hassen – es ist also besser, wenn ich gehe. gearbeitet, nur im Ausland. Ich werde immer wütender und wahnsinni­ Tiran: In Israel kommen nur zwanzig Pro­ ger und brauche Abstand, um zu verstehen, zent des Theaterbudgets vom Staat, den was in Ungarn überhaupt los ist und was Was haben Sie erwartet? Rest müssen wir über die Ticketverkäufe dies im europäischen Kontext bedeutet. Wir dachten, die Probe findet einspielen. Zu achtzig Prozent arbeiten wir Tiran: Das kann ich nachvollziehen. Aus der auf der Opernbühne statt, dafür, dass es den Leuten gefällt. Ich habe Ferne kannst du die Dinge als Künstler aus mit großer Strenge und Dis­zi­ mit meinen Kollegen getan, was ich konnte, einer neuen Perspektive bearbeiten, du hast plin, wie beim Militär. um einen Dialog anzustoßen. Jetzt musste eine ästhetische Distanz. Was ist passiert? ich mal eine Entscheidung für mich treffen. Was lassen Sie schweren Herzens Wir waren im Ballettsaal, also Das ist natürlich auch egoistisch … in der alten Heimat zurück? ganz nah dran. Das war toll! Schilling: … aber verständlich! Bei uns fi­ Schilling: Die Menschen, mit denen ich in Und es ging eher demokratisch nanziert der Staat die Theater. Aus Angst, Ungarn für die Demokratie gekämpft habe. zu: Die Ballettmeisterin ließ alle Subventionen zu verlieren, spielen sie klas­ Tiran: Mein Land, seine Lebensart. Ich liebe tanzen, ohne zu unterbrechen, sische Stücke und versuchen, den Zuschau­ Israel. Ich möchte ein Teil und sie ließ die Tänzer zu Wort Herr Schilling, Herr Tiran, Sie packen ern versteckte Botschaften zu übermitteln. davon bleiben und fühle kommen, bevor sie etwas Ich glaube, das ist dumm, das macht es mich weiterhin verant­ gerade Kisten. Was kommt mit nach Damit im Theater alle korrigierte. Manche, die schon Stuttgart? dieser Regierung nur leichter. wortlich. wissen, was auf den länger in der Compagnie sind, Tiran: Bei uns sind es vier Katzen und vier Tiran: Ich sehne mich nach einer Umge­ Schilling: Ich freue mich, Bühnen passiert, gibt es hatten eine Art Expertenrolle Durchsagen im ganzen Pferde. Kisten reichen da nicht aus. Ich nen­ bung, in der die Kunst an erster Stelle steht. neu anzufangen. Es ist inne, Jason Reilly zum Beispiel. Haus. Die schönsten ne es das »Projekt Arche Noah«, diese Mis­ Wurden Sie an Ihrer Arbeit gehindert? ein Abenteuer, wie du am drucken wir in Reihe 5 Der hat noch dazu für eine sion hat biblische Dimensionen (lacht). Es Tiran: Als ich mit Kollegen öffentlich er­ Anfang sagtest. Ich sehe entspannte Stimmung gesorgt. ist fast unmöglich, in der Region Stuttgart klärte, wir würden nicht in den israelisch mich als Europäer, nicht Uns wurde einmal mehr be­ ein Haus zu finden, das groß genug für uns besetzten Gebieten auftreten, wurden wir als Ungarn. In Ungarn wusst, welche Vielfalt sich in der ist. Mit meiner Frau habe ich mich deshalb diffamiert. Fernsehen und Zeitungen be­ stehe ich auf der jüdi­ Compagnie spiegelt – und alle schon gestritten. Ich sagte: Sei froh, dass wir schimpften uns als Verräter. Aber die libera­ schen Liste der Neonazis, arbeiten gemeinsam an großer Durchsage keine Kinder haben, dann wäre der Umzug le Theater- und Kunstszene feierte uns. Ich obwohl ich kein Jude bin. Kunst. Fantastisch! 4. Juli, 20.13 Uhr wirklich schlimm. Sie sagte: Es sind Som­ konnte weiterarbeiten, mein Leben als Star Das macht mich stolz! Schlappe Was ist anders als in der merferien, das wäre kein Problem. weiterleben. Bei einem palästinensischen Für die Nazis bin ich also Vorstellung? für Folie, bitte! Schilling: Ich habe zwei Kinder. Wir machen Israeli wäre das ganz anders ausgegangen. ein Jude, für die Franzo­ In der Probe wird etwas erar­ allerdings nur Station in Stuttgart während Schilling: In Ungarn sind Leute an der sen werde ich ein Ungar beitet. Eine Aufführung hat eine der Proben zu Lohengrin, dann ziehen wir Macht, die zu faschistischem Denken und sein. Die Leute haben In dem Ballett Lulu. Eine Monstretragödie ganz eigene Aura, da erleben wir nach Frankreich um. Ich will in Bewegung Handeln ermutigen. Die Regierung nutzt ihre Schubladen. Aber werden Bilder auf eine intensiv das fertige Kunstwerk. bleiben, mich entwickeln. Ich hoffe, dass es ihre absolute Mehrheit, um Minderheiten wir können jetzt unsere Leinwand projiziert, die Zwei unterschiedliche Erlebnisse meinen Kindern dabei gut gehen wird. zu diskriminieren, um Arme und Obdach­ eigene Identität finden im zweiten Akt einge­ – für uns sind beide spannend! Regisseur ÁRPÁD SCHILLING inszeniert an der ITAY TIRAN, einer der gefragtesten Schauspieler rollt ist. Auf den Einsatz Tiran: Wie alt sind die beiden? lose zu kriminalisieren, um soziales Enga­ und uns als Menschen Staatsoper Stuttgart Wagners Lohengrin: Ihr Israels, spielt am Schauspiel Stuttgart den hin lässt ein Techniker Schilling: Mein Sohn ist fünf, meine Toch­ Titelheld versucht einen Neuanfang für sich und David in Wajdi Mouawads Theaterstück Vögel. Eine gement und Solidarität unter den Menschen weiterentwickeln. sie wieder runter. Die Fragen stellte Christoph Kolossa. ter neun. – Was reizt dich an Deutschland? die zerstrittene Gesellschaft. Den Bruch mit der Saga vor dem Hintergrund­ des Nahostkonflikts. abzuschaffen. Sie weckt Hass auf kritische Schlappe ist dabei Möchten auch Sie eine Probe Vergangenheit vollzieht er dabei radikal: Niemand Vögel, Erstaufführung in deutscher, hebräischer, besuchen? Dann schreiben Sie Tiran: Meine Frau stammt von dort. Ich Kolossa Christoph privat; Intellektuelle, Flüchtlinge und freie Medien. Die Fragen stellte nicht als Beleidigung darf wissen, wer er war. Lohengrin, Premiere am arabischer und englischer Sprache mit deutschen gemeint: So heißen am uns eine E-Mail an bin Israeli in der dritten Generation. Meine 29. September im Opernhaus Übertiteln, am 16. November im Schauspielhaus Fotos: Ich bin seit zehn Jahren mit meiner Stiftung Martin Theis Theater große Stoffe, [email protected] die man wickeln kann – und das Lager, in dem 40 BACKSTAGE sie aufbewahrt werden. BACKSTAGE 41 Abgeschminkt Wie groß ist das in Der Tänzer Louis Stiens liebt die Ekstase. Ob sie ihn im Ballett oder im Club erwischt, macht Fußballfeldern? aber einen Riesenunterschied aus Um das Rosensteinquartier wird seit zwanzig Jahren gerungen. Doch wie groß wird der Stadtteil im Herzen Stuttgarts eigentlich? Wir zeigen, was alles reinpasst ins neue Viertel

Lernen vom Theater Einfamilienhaus Aussehen 150 m2 wie ein Zombie 6600­mal

Lola Khurramova ist Masken­ bildnerin an der Staatsoper Stuttgart. Sie weiß, wie’s geht »Völlige Ekstase ist selten, aber ich begegne ihr: auf der Tanzfl äche, Anleitung hinterm DJ­Pult im Club und sogar auf der Bühne im Ballett. Doch Alle Zutaten fi ndet man im Einzelhandel oder im Internet: es gibt einen Unterschied zwischen den dreien, und der hat mit Kon­ 1 Palette Fettschminke (in trolle zu tun. Wenn ich als Profi auf der Bühne stehe, darf ich sie nie Schwarz, Weiß, Grün und Rot), blauvioletten Lidschatten, ganz verlieren. Kompaktpuder, Kunstblut, Ich erinnere mich an eine Vorstellung von Glen Tetleys Le Sacre Hautkleber und Entferner, Papiertaschentuch, Gebiss du Printemps. Die Musik von Igor Strawinsky ist berauschend, die mit gelben Zähnen, weiße Bewegungsabläufe der Choreographie sind ermüdend. Wir tanzten im Kontaktlinsen ohne Pupille, Kunstpinsel, Schwämme. Halbkreis, bewegten die Beine sehr schnell. Und irgendwann wusste Zuerst grün­weiße Fett­ ich nicht mehr, welches meine Beine sind und welche den Kollegen schminke auf Gesicht, Lippen gehören. Das war für mich ein erlösender Moment – ein Einheits­ und Hals auftragen. Danach die Tiefen an Schläfen, Wangen gefühl, in dem sich die physischen Grenzen auflösten. Ich fühlte mich Supermarkt ungefähr 2000 m2 und am Hals mit schwarzer mit den anderen verbunden und trotzdem allein. Das zu genießen und Fettschminke herausarbeiten: 500­mal erst mit dem Pinsel auftragen, trotzdem die Kontrolle zu behalten ist ein schmaler Grat. Rosenstein- dann mit einem feuchten Doch je älter ich werde, desto leichter fällt es mir. quartier Schwamm verwischen. Augen­ Mercedes-Benz Museum höhlen und Lider bekommen Wenn ich im Club tanze, brauche ich keine Drogen. 4800 m2 Stuttgart ordentlich Lidschatten. Durchsage Mir genügt die Musik. Das Gute daran ist, dass ich nach Danach alles abpudern. Für 208­mal 21. Juni, 10.20 Uhr einer durchtanzten Nacht kein Down habe. Ich überlas­ faulende Haut eine Lage eines Freie Flächen gibt es kaum im Stadtviertels zu einem Amphi­ Papiertaschentuchs kräuseln, Die Damen und se dem DJ die Kontrolle, wie einem guten Freund, der engen Stuttgarter Talkessel. theater. Reihenhäuser, eine mit Hautkleber aufkleben und Herren des Chores Fußballfeld Wenn doch eine entsteht, wie Mall und Häuserblöcke werden mich durch die Tracks führt. Wenn ich demnächst im 2 mit graugrüner Fettschminke bitte in die 7140 m auf den ehemaligen Gleis­ zu legohaften Bausteinen und fl ächen um den Bahnhof Stutt­ formen eine Skulptur zwischen betupfen. Drumherum ein Stallgasse! Kunstmuseum die Gäste ermutige, sich in Ekstase zu 140­mal gart 21: Wem gehört sie dann? Theater, bildender Kunst und wenig Kunstblut auftragen und tanzen, dann hoffe ich, sie können sich auch auf mich Den Bürgern? Den Investoren? Stadtentwicklung. mit einem feuchten Schwamm Die Oper ist kein Pony­ Der Künstler Tobias Rehberger hof, eine Stallgasse leicht verwischen. Auch am einlassen. Denn schließlich geht es da, wo man Kon­ stellt diese Fragen in seiner NEW LANDSCAPES SHOW gibt es trotzdem. Dort Hals darf Blut nicht fehlen. Max-Eyth-See begehbaren Installation New UP IN THE UNLIKELIEST lagern entlang eines trolle abgibt, immer um Vertrauen.« Jana Petersen 173 000 m2 landscapes show up in the PLACES von Tobias Rehberger Weiße Kontaktlinsen machen langen Gangs Kulissen unlikeliest places. Dafür stapelt ist ab Herbst vor dem gruselige Augen, für das Gebiss in Boxen. Der Chor LOUIS STIENS ist Halbsolist und Choreograph des Stuttgarter Balletts. Im Rahmen 5­mal er Modelle von Elementen eines Schauspielhaus zu erleben wählt man am besten eins mit sammelt sich vor seinem Auftritt in der der Ausstellung Ekstase lädt er ein, sich in Rausch zu tanzen: In Ekstase, ein parti­ gelben, krummen Zähnen. Produktion Erdbeben. zipatives Tanzprojekt, am 30. November und 1. Dezember im Kunstmuseum Stuttgart Kolossa Christoph Foto: Novitzky) Roman (Fotovorlage: Schifferdecker Bernd Illustration: Stahnke k: Lina Infografi Träume dort, denn die Opernbühne liegt 42 BACKSTAGE direkt daneben. BACKSTAGE 43 44 BACKSTAGE

Im Kontroll­ allein.« Das fi nde ich schade, denn die Musik ist G 90 zentrum einer cool, E­Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug. Aufführung: Julian im Seinen Kopfhörer hat er über ein Ohr gescho­ Cockpit des ben. Das andere ist frei, damit er auch die Leute rad Inspizienten hört, die ihn ohne Mikro rufen. Manchmal redet er mit acht Kollegen gleichzeitig, manchmal ru­ fen im selben Moment drei an. Dann blinken die Lämpchen auf seinem Pult. Ein Knopf ist zuge­ klebt. »Das ist das Mikrofon für den Lautsprecher im Foyer. Wenn ich den aus Versehen erwische und wegen irgendwas schimpfe, hören das alle Besucher.« Erik schimpft oft, sagt »Mist« oder »Verdammt!«. Passieren auch mal Fehler oder Katastrophen? »Katastrophen nicht, aber Fehler

ständig. Bloß merken das die Zuschauer meist TERMINE gar nicht.« Erik beobachtet die ganze Zeit konzen­ FÜR DICH triert, hört zu, redet, ich fi nde das stressig. Endlich gehen wir nach vorn. Die Band spielt Degen fl iegen, Helden sterben, Herzen super, Schauspieler laufen mit nacktem Oberkör­ schlagen. Während BACKSTAGE-PRAKTIKUM per herum. Eine Schauspielerin trägt ein weißes sich ihre Familien Sommerkleid. »Das ist aus Zucker«, sagt Erik. bekriegen, kämpfen Der Mann im Dunkeln ROMEO UND JULIA Wirklich? Ich berühre es, fühlt sich normal an. um ihre Liebe. Doch als die Schauspielerin nass wird, löst es sich Ab 6. Dezember im Was am Theater alles schiefgehen kann! Zum Glück gibt’s auf. Sie braucht für jede Probe ein neues Zucker­ Opernhaus. kleid. Jetzt soll schwarzer Schnee auf die Bühne Inspizienten. Die passen auf, dass alle das Richtige tun. In einem Zeltlager fallen, aber ich sehe keinen, nur die schwarze für militärische Julian Entenmann (12) hat einen Inspizienten bei der Arbeit Wand. Erik sieht ihn auch nicht. Der Beleuchter Erziehung stirbt ein begleitet – und heftig schimpfen gehört soll den Scheinwerfer anders stellen, und noch Schüler. Intrigen und eine Mauer des mal Schnee, bitte! Jetzt sieht man ihn rieseln. Schweigens be­ Erik inspiziert in sechzehn Tagen elf verschie­ hindern die Suche dene Theaterstücke, weil ein Kollege krank ist. nach dem Mörder. Lars Erik Bohling ist Inspizient. Von dem Beruf ein Schauspieler bald auf die Bühne, drückt Erik Von jedem muss er jede Sekunde kennen. Aber JUGEND OHNE GOTT, am 25. November habe ich noch nie gehört. Eigentlich kaum zu einen Knopf, und nebenan, wo der Schauspieler wie die Stücke von vorn aus dem Zuschauerraum im Kammertheater. glauben, denn ein Inspizient ist der Chef hinter sich umzieht, leuchtet eine Ampel gelb. Ein paar wirken, weiß er nicht. »Weil ich immer hinter der der Bühne. Sein Arbeitsplatz sieht aus wie ein Sekunden später drückt Erik Grün, dann muss Bühne sitze.« Das stimmt, er ist die ganze Zeit in Die Junge Oper Flugzeug­Cockpit. Über Mikrofon und Kopfhörer der Schauspieler sofort raus. Drückt er Rot, gibt diesem Raum, wo alles schwarz ist, »damit kein bekommt ein eigenes Zuhause und einen ist er mit vielen Leuten im Theater verbunden. es ein Problem, und alles wird abgebrochen. Ein Licht auf die Bühne refl ektiert«. Den ganzen Tag neuen Namen: Junge Auf seinen Monitoren sieht er den Zuschauer­ Inspizient darf keine Sekunde träumen. im Dunkeln … Ich werde müde und gähne. Wann Oper im Nord, raum, die Zugänge zur Bühne und die Hinter­ Ich bin überrascht, wie viele Leute hinter der hast du eigentlich Ferien, frage ich ihn. »Erst abgekürzt JOiN! JOiN! versteht sich als bühne. Ich schaue ihm einen Vormittag lang bei Bühne arbeiten. Manchmal herrscht richtiges Ge­ wenn das Theater Sommerpause hat, in deinen eine Einladung an der Arbeit im Schauspielhaus zu. dränge. Vorn auf der Bühne wird gerade geprobt, Schulferien.« Julian Entenmann alle und als Begeg­ Erik gibt den Kollegen Zeichen, was zu tun ist: sie spielen Rockmusik, und ich möchte zuschau­ nungs­ und Aktions­ mit dem Licht, dem Ton und dem Bühnenbild, mit en. Aber ich darf nicht allein rumspazieren. »Die Du bist zwischen 11 & 13 Jahren und möchtest auch ort aller Altersstufen ein eintägiges Backstage-Prak tikum machen? Bewirb und Künste. Ab der Musik und den Masken. Für alle hat er eine Bühne ist gefährlich, wie eine Baustelle«, sagt dich unter [email protected] und 1. Dezember. Kommt Ampel mit den Farben Gelb, Grün und Rot. Muss Erik. »Du kannst mit mir mitgehen, aber nicht schreibe anschließend einen Bericht für diese Seite! vorbei!

Fotos: privat; Christoph Kolossa

ENDLICH VERSTÄNDLICH WAS SOLL DAS SEIN? Diesmal: Das Königreich der Schatten

#Er hat weder SchuppenFisch noch Flossen: Am Theater ist der Fisch ein Stückchen Stoff, das in Kostüme unter die Achsel genäht wird. Vor allem beim Ballett sitzen Kostüme hauteng, die Liebe: Weltschmerz: Tänzer strecken ständig die Arme über den Kopf. Der Fisch sorgt dafür, dass die Kleider nicht Drogen: hochrutschen. Sind die Arme unten, bildet er eine Falte, gehen sie nach oben, spannt er sich auf wie ein Schirm. Weil seine Form an einen Fisch erinnert, trägt der Stoff seinen Namen. Solor hält es nicht mehr aus. Sein ganzes Kriegerleben läuft schief. Seine große Liebe, die indische Tempel ­ tänzerin Nikija, ist tot. Getötet von der UNSER ERSTES MAL IN DER OPER giftigen Schnepfe, die er nun heiraten Daniel Zadro (14) und Janina Pietzner (14) aus Ludwigsburg muss. Und irgendwie ist er auch schuld haben sich Der Freischütz angeschaut an ihrem Tod, jedenfalls hätte er ihn verhindern können. Da greift er zur Opiumpfeife. Im Delirium sieht er Nikijas Geist; er folgt seiner Liebe ins Totenreich. Total benebelt, begegnet er Wie war’s? immer mehr Frauen, wunderschönen, Daniel: Ich dachte, es ginge edler zu schattenhaften Wesen. Sie schwirren – auf der Bühne und im Publikum. Da um ihn herum, und er schwebt durch waren ziemlich viele Jugendliche. den Dunst des Opiums. Irgendwann Janina: Toll, das Stück war altmodisch fi ndet er Nikijas Schatten und bittet sie und zugleich übertrieben theatralisch. um Verzeihung. Wenigstens hier kann er mit ihr zusammen sein. Und sie liebt ihn noch! Er ist im siebten Was hat das Stück mit euch zu tun? Himmel. Wenn er nur hierbleiben Janina: Ich konnte viele Gemeinsamkeiten könnte, wenn der Traum nur nie zu zwischen Ännchen und mir erkennen. Ende ginge, wenn er nur mehr als Daniel: Das Lampenfi eber, das Max beim einen Schatten in seinen Armen halten Wettschießen hatte, kenne ich aus würde … Dann wacht er auf, verkatert

BACKSTAGE 45 dem Unterricht, zum Beispiel von Vorträgen. und allein. Doch Nikijas Liebe spürt er immer noch. Was bleibt euch in Erinnerung? Was Solor bei seinem Drogentrip sieht, kannst Daniel: Mir hat das Ende am besten gefallen: das Spektakel und das Bühnenbild. du auch erleben – ganz ohne Opium. Beim Ballettabend SHADES OF WHITE, Janina: Die Gänsehaut, als die Musik einsetzte. Das Orchester war richtig laut. Der ab 13. Oktober im Opernhaus ganze Saal bebte, und ich war mittendrin. Durchsage 5. Juli, 19.25 Uhr Reihe 5 Reinigungsdienst für die Frucht- im Abo! blase, bitte! In Das 1. Evangelium kommt das Jesuskind recht realistisch Kostenlos und viermal im Jahr auf die Welt. Bei der Fruchtblase handelt es bieten wir Ihnen noch mehr sich um eine Wasser­ bombe, die in Marias Kostüm eingenäht und Geschichten vor, auf und hinter von ihr aufgestochen wird. Damit niemand ausrutscht, muss der der Bühne. Reinigungsdienst nach der Szene die Flüssig­ keit aufwischen. Foto: Foto: Collett Ronan

Was war da los?

Diana Haller, Mezzosopranistin an der Staatsoper Stuttgart: »Die Denn wenn ich in hohem Bogen springe, applaudiert das Pub­ in Rot auf der Schaukel, das bin ich. Wir sehen eine Szene aus likum. Und ich will nicht, dass ihre Arie durch den Applaus ge­ der Oper Ariodante, in der ich die Titelrolle singe. Ariodante will stört wird. Das Schaukeln sieht einfach aus, aber es ist richtig Ginerva heiraten. Die singt im weiß­blauen Kleid ihre Arie, wäh­ akrobatisch. Für diese Inszenierung muss ich körperlich total fi t rend ich auf dem Trapez schaukele. Genau in ihre Arie hinein sein. Vor der Premiere war ich wochenlang täglich im Fitness­ muss ich abspringen – und als gute Kollegin versuche ich, das studio. Die Vorstellung dauert vier Stunden, und ich singe sieben genau in den zwanzig Sekunden zu tun, in denen sie nicht singt. anspruchsvolle Arien. Da darf ich nicht außer Atem sein!« Bestellen Sie unser Magazin Reihe 5 einfach kostenlos nach Hause!

Per Post an: IMPRESSUM Konzept ErlerSkibbeTönsmann Anzeigen Simone Schmid & Grauel Publishing GmbH anzeigen@staatstheater­stuttgart.de Die Staatstheater Stuttgart – Publikationen Beratung der Herausgeber Druck Bechtle Druck&Service Johannes Erler, Ralf Grauel GmbH, Esslingen Herausgeber Redaktion Dr. Hiltrud Bontrup Erscheinungsweise Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart Die Staatstheater Stuttgart (Ltg.), Jana Petersen; 4 × pro Spielzeit Geschäftsführender Intendant Christoph Kolossa Hauptsponsor des Förderer des Partner der Marc­Oliver Hendriks Redaktion für Die Staatstheater Stuttgarter Balletts Stuttgarter Balletts Oper Stuttgart Intendant Staatsoper Stuttgart Stuttgart Claudia Eich­Parkin, Hausanschrift Viktor Schoner Ingo Gerlach (Oper); Vivien Arnold, Die Staatstheater Stuttgart Intendant Stuttgarter Ballett Pia Boeckhorst (Ballett); Carolina Oberer Schlossgarten 6 Auflösung von Seite 14 Abbildung 1: Eine kleine Nachtmusik von W. A. Mozart / Abbil­ Online unter: Tamas Detrich Gleichauf, Ingoh Brux (Schauspiel) 70173 Stuttgart dung 2: New York, New York von Frank Sinatra / Abbildung 3: 5. Sinfonie von Ludwig Intendant Schauspiel Stuttgart Gestaltung Anja Haas; van Beethoven / Abbildung 4: Hey Jude von The Beatles / Abbildung 5: 4' 33" von John Cage / Burkhard C. Kosminski Lina Stahnke www.staatstheater-stuttgart.de Abbildung 6: Lohengrin von Richard Wagner www.staatstheater­stuttgart.de/reihe5

46 BACKSTAGE EIN ECHTER KESSLER HAT ACHT ECKEN.

KESSLER Sekt zeichnet sich durch einen vollen, runden herstellung. KESSLER Sekt hat aber auch ein paar Ecken – Geschmack aus. Das kommt davon, dass wir ihn nach der die acht Ecken seines Etiketts. Mit diesem Achteck waren die méthode traditionelle erzeugen, der nach wie vor aufwändig- ersten KESSLER Flaschen ab 1826 ausgestattet. Wir finden, sten und qualitativ unübertroffenen Art der Schaumwein- unsere Sektflaschen sehen auch heute noch fabelhaft aus.