„MÄNNER STEHEN STÄNDIG UNTER STROM“ BUSINESS

GESCHÄFTSMODELL KOMM MIR NICHT ZU NAH

The Weeknd widersetzt sich den Regeln des Musik- geschäfts – und wurde trotzdem ein Superstar. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

TEXT: JOSIP RADOVIC´ FOTOS: DANIEL ROCHÉ

SEPTEMBER 2016 71 BUSINESS

DREI SCHWARZE MINIVANS halten vor einem Fotostudio in Berlin. Ein Dutzend junger Männer steigt aus, alle gut gelaunt. Der Pop- star der Stunde kommt als Letzter heraus. Sein Blick ist ernst. Zögerlich entfernt er sich von seiner Entourage. „Ich bin Abel, freut mich“, sagt er formvollendet höflich zur Begrüßung. Viel mehr wird er in den kom- menden Stunden nicht sprechen. Abel Tesfaye, der als Musik macht, hat sich früh entschieden, seine Kunst für sich sprechen zu lassen: Im Jahr 2011 taucht der Kanadier aus dem Nichts auf und tritt einen Hype los, zunächst nur unter Mu- sikkennern. Auf seiner Website bietet er drei Alben – „“, „Thursday“ und „Echoes Of Silence“ – kostenlos zum Herun- terladen an. Der Sound ist hypnotisch, die Texte kreisen obsessiv um harte Drogen und schmutzigen Sex. Es ist R ’n’ B, aber rauer und düsterer als alles, was man bisher gehört hat. Tesfaye schafft es, dieses abgeschlaffte Genre mit wilder Energie aufzuladen, er benutzt Punk- und Rock-Samples und fräst mit seiner Falsetto-Stimme Schneisen durch nebel­ver­ han­gene Klanglandschaften. Tesfayes Heimat­ stadt Toronto ist eine kleine Welt mit einer noch kleineren Musikszene, und so bekommt bald der Manager von Rap-Superstar Drake Wind von der Sache. Er wird zu Tesfayes Für- sprecher, teilt die Songs auf allen Kanälen – der erste große Karriereschub.

72 SEPTEMBER 2016 Geschäftsmodell

Wer Erfolg haben will, braucht Verbündete. Und ein Alleinstel­­ lungsmerkmal: Hipster-R-’n’-B, DIE LEUTE SOLLEN RUHIG SAGEN: dieses Label bekommt Tesfaye bald verpasst. Im Popgeschäft­ WER IST DIESER TYP? ICH GEBE kommt noch ein weiterer wich­ NICHT ALLES PREIS. SO HÄLT MEINE tiger Faktor hinzu: Starquali­ täten. Doch anfangs ist nicht mal KARRIERE LÄNGER klar, ob sich hinter The Weeknd eine Person verbirgt oder eine Band – auf den wenigen ver­ schwommenen Fotos, die im Umlauf sind, ist kaum etwas zu erkennen. Und: Der Mann wei­ gert sich, Interviews zu geben. Bis heute spricht er nur selten über sich und sein Werk. Auch beim GQ-Termin in Ber­ lin zeigt sich Tesfaye wortkarg. Sein Management hat vorab mit Nachdruck darum gebeten, ihn nicht in eine Interview-Situa­ tion zu verwickeln. Völlig aus­ geschlossen sei es, dass er sich mit dem Reporter an einen Tisch setze und Fragen beant­ worte. Ansprechen dürfe man ihn schon, aber erhoffen solle man sich davon lieber nichts.

Schüchtern wirkt er, fast zerbrechlich. Doch sobald die Kamera auf ihn gerichtet ist, ge­ nießt er es, im Mittelpunkt zu stehen. Tesfaye spielt für den

Fotografen die Kunstfigur The Weeknd, die er geschaffen hat. Ernst, mysteriös, undurchdring­ lich. Ein Lächeln kommt ihm in vier Stunden am Fotoset nicht über die Lippen. „Es ist schon in Ordnung, dass die Menschen nicht alles über mich wissen“, hat er in einem seiner raren In­ terviews gesagt. „Sie sollen ruhig sagen: Wer zum Teufel ist dieser Typ? Das kann der Schlüssel sein, warum meine Karriere lan­ ge anhält. Weil ich nicht alles über mich preisgebe.“ In einer Popwelt, in der sich Künstler als Dienstleister verstehen, die ih­ rem Publikum stets mit Status-

Haarige Angelegenheit: Updates zur Verfügung stehen, Die sonderbare Frisur ist ist Tesfaye eine Ausnahmeer­ ein Markenzeichen der Kunstfigur The Weeknd. scheinung. Beim GQ-Shooting zeigt Über sein Leben ist immerhin sich der Sänger, der neu­ erdings auch gut tanzt, so viel bekannt: Aufgewachsen sehr sportlich in einem eher schäbigen Viertel DIESE SEITE: SWEATSHIRT: VETEMENTS. JACKE UND HOSE: MR. COMPLETELY. SCHUHE: GEORGE COX. LINKE SEITE: T-SHIRT: UNIQLO. JACKE: CRAIG GREEN. HALSKETTE PRIVAT HALSKETTE GREEN. CRAIG JACKE: UNIQLO. LINKE SEITE: T-SHIRT: COX. GEORGE SCHUHE: COMPLETELY. MR. UND HOSE: JACKE VETEMENTS. SEITE: SWEATSHIRT: DIESE AUFMACHER: SWEATSHIRT: CHAMPION. HOSE UND MANTEL: MR. COMPLETELY. HALSKETTE: PRIVAT PRIVAT HALSKETTE: COMPLETELY. UND MANTEL: MR. HOSE CHAMPION. SWEATSHIRT: AUFMACHER: von Toronto, die Mutter ver­

SEPTEMBER 2016 73 BUSINESS

dingt sich als Krankenschwester Ernst, mysteriös, und in anderen Niedriglohnjobs, undurchdring- lich: Das ist sein den Vater sieht er kaum, er hat die Image. Doch pri- Familie früh verlassen. Mit 17 vat macht Abel Tesfaye auch schmeißt Tesfaye die Schule, zieht mal einen Spaß mit ein paar Kumpels zusammen. Tagsüber faltet er in einer Boutique T-Shirts, und nachts wird gefeiert. Er hat Sex und wirft Drogen ein: ­Exzess und Selbstzerstörung als Programm. Von dieser rastlosen Zeit wird er später in seinen Songs erzählen, jeder einzelne ist autobio- grafisch. Etwa der Dance-Kracher „Can’t Feel My Face“: Da geht es ausschließlich um Kokain – und das Taubheitsgefühl, das sich mit dem Kick einstellt. Als 2013 mit „“ das erste reguläre Album von The Weeknd erscheint, sind die Verkaufszahlen okay, aber nicht berauschend. Doch man redet über ihn. Und im Ge- spräch zu sein, das ist im Musikge- schäft heute viel wichtiger. Seine merkwürdige Frisur etwa gibt Rät- sel auf. An den Seiten kurz rasiert, ragen vorn zwei palmenartige Ras- tazöpfe mal in die Höhe, mal fal- len sie ins Gesicht. Vom GQ-Foto- grafen darauf­ angesprochen, erklärt Tes­faye, dass er sich vom ameri­ kani­schen Pop-Art-Künstler Jean- Michel Basquiat hat inspirieren las- sen. Tesfaye wollte immer anders und besonders sein, also ließ er sei- ne Haare wuchern, und dabei ent- stand eben dieses Haargebilde, das ihn unverwechselbar macht, wie seine Musik. Sollten irgendwann viele Menschen auf die Idee kom- men, mit einer ähnlichen Frisur he- rumzulaufen, würde er sich etwas anderes überlegen.

“ von Michael Jack- son zu hören, war für Abel Tesfaye ein musikalisches Erweckungser- lebnis. Auch Prince war eine Inspi- rationsquelle. „Die Kids heute ha- ben keinen . Sie haben keinen Prince“, hat Tesfaye mal einem Journalisten gesagt. „Wer soll es denn dann reißen?“ Nun ja, er selbst würde sich anbie- ICH TUE ALLES, UM MEINEN ten. Das Album „Beauty Behind The Madness“ bringt ihm 2015 den ERWAR­TUNGEN GERECHT ZU WERDEN. Durchbruch. Seine Musik klingt schneller, packender, energischer UND JA, VERDAMMT! ICH WILL DER als in den Anfangstagen. Er macht GRÖSSTE WERDEN COMPLETELY MR. MANTEL UND HOSE: CHAMPION. SWEATSHIRT:

74 SEPTEMBER 2016 Geschäftsmodell

1 PLAYLIST DAS WERK VON THE WEEKND

2

3

4

5

sie für den Mainstream zugänglicher – aber ohne sich radiofreund- 1 „House Of Balloons“, lich anzubiedern. Wie Michael Jackson gelingt es ihm, mehrere 2011 2 „Thursday“, 2011 Nummer-1-Hits auf einem Album zu vereinen. Wie Prince schafft er 3 „Echoes Of Silence“, 2011 4 „Kiss Land“, es, verwegene Sounds und versaute Texte in die Charts zu befördern. DRAKE 2013 5 „Beauty Behind Man spricht nun noch viel mehr über ihn. Etwa über seine Beziehung Erkannte The Madness“, 2015 zu dem Model Bella Hadid. als Ers­ter sein Talent und gab ihm eine Chance. QUARTETT Bewacht wird The Weeknd beim GQ-Fotoshooting von einem Bo- Im Gegenzug wirkte Tesfaye WICHTIGE dyguard, der auch schon auf Madonna aufgepasst hat. Er ist sehr groß mit an dessen

MENSCHEN und sehr schwer, und er kann sehr böse gucken. Und wirkt sogar ein- Album „Take Care“. IN SEINEM schüchternd, wenn er nur eine Nachricht in eins seiner drei Smart- LEBEN phones tippt. Einmal macht sich Tesfaye einen Spaß daraus, diesen BELLA massigen Mann, der auf der Couch fast einschläft, am Ohr zu zupfen. HADID Tesfaye ist Dann ruft er einen seiner Kumpels ins Studio herein, um sich über schwer verliebt dessen Jacke lustig zu machen, die so gar nicht seinem Geschmack in das Model. „Du bist mein entspricht. Abel Tesfaye kann auch lustig. Aber nur in den Pausen, Lieblings- nur wenn er nicht die Kunstfigur The Weeknd sein muss. Dann mensch“, teilte sie ihm auf strahlt er lässig das Selbstbewusstsein eines Stars aus, der längst in Instagram mit. den größten Stadien dieser Welt spielt, der mit Bono und Kanye West KANYE abhängt, der für sieben Grammys nominiert war (und zwei gewon- WEST nen hat). Bei der jüngsten Oscarverleihung ging The Weeknd zwar Ist ein großer Fan und lässt leer aus, doch Tesfaye – der für einen R-’n’-B-Sänger bis dato immer dies regelmäßig viel zu linkisch gewirkt hatte – verblüffte das Publikum mit einer ful- seine Millionen minant leichtfüßigen Darbietung seines Songs „“ aus dem Follower­ wissen. „Fifty Shades Of Grey“-Soundtrack. Die Tanzstunden, zu denen er MICHAEL sich gequält hatte, zahlten sich aus. JACKSON Früher eiferte Wie geht es jetzt weiter? Tesfaye, der große Schweiger und Verwei- The Weeknd gerer, an den man ja keine Fragen richten darf, sagt bei der Begeg- seinem Idol nach, heute gilt nung in Berlin irgendwann von sich aus: „Ich will niemals der Typ er mit seinem sein, über den es irgendwann heißt, er hätte ein ganz Großer werden tanzwüti­ gen­ Sound als des- können. Also tu ich alles dafür, meinen Erwartungen gerecht zu wer- sen Nachfolger. STYLING : BODO ERNLE; STYLING-ASSISTENT: GABRIELA PINTADO GABRIELA : BODO ERNLE; STYLING-ASSISTENT: STYLING FOTOS: UNIVERSAL MUSIC (7), DDP IMAGES (1), FACE TO FACE (1); SWEATSHIRT: VETEMENTS. VETEMENTS. (1); SWEATSHIRT: FACE TO FACE (1), DDP IMAGES (7), MUSIC UNIVERSAL FOTOS: JACKE UND HOSE: MR. COMPLETELY. SCHUHE: GEORGE COX. HAARE + MAKE-UP: VANESSA WARKALLA/NINA KLEIN; KLEIN; WARKALLA/NINA HAARE + MAKE-UP: VANESSA COX. GEORGE SCHUHE: COMPLETELY. MR. UND HOSE: JACKE den. Und ja, verdammt! Ich will der absolut Größte werden.“

SEPTEMBER 2016 75