Die Anfänge Der Römischen Herrschaft in Nubien Und Der Konflikt Zwischen Rom Und Meroe*
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DIE ANFÄNGE DER RÖMISCHEN HERRSCHAFT IN NUBIEN UND DER KONFLIKT ZWISCHEN ROM UND MEROE* EINLEITUNG Als Oktavian im Jahre 30a Ägypten laut seinen eigenen Worten «zum Imperium des römischen Volkes hinzufügte»1, übernahm er von den Pto- lemäern auch einen Landstrich, der geographisch genau genommen nicht zu Aegyptus, sondern zu Aethiopia gehörte, da er sich südlich des ersten Nilkataraktes, gemäss heutiger Terminologie also in Nubien befindet. Es handelte sich dabei um die sogenannte Triakontaschoinos, das Dreissigmeilenland, das einen schmalen Landstreifen auf dem linken und rechten Nilufer über eine Strecke von ca. 315 km zwischen dem ersten und dem zweiten Nilkatarakt umfasste2. Diese Region, heute auch Unter- nubien genannt, war spätestens seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. unter ptolemäischer Kontrolle gewesen3 und ist es auch bis zum Ende des Ptolemäerreiches geblieben4. * Das Thema war Gegenstand von Vorträgen im Rahmen von Kolloquien an den Uni- versitäten Trier und Zürich. Den Professoren H. Heinen und B. Näf danke ich für Kritik und Hinweise. Die vorliegende Untersuchung wurde im April 2000 vom Preisinstitut der Universität Zürich ausgezeichnet. 1 Res gestae D. Aug. 5.27: Aegyptum imperio populi [Ro]mani adieci; 16.27: A÷gupton dßmou ¨Rwmaíwn ™gemoníai proséqjka. Cf. Eutrop. VII 7: Aegyptus per Octavianum Augustum imperio Romano adiecta est; VII 9: Romano adiecit imperio Aegyptum. 2 Ausführlich zur Triakontaschoinos, ihrer Ausdehnung und Lokalisierung: J. LOCHER, Topographie und Geschichte der Region am ersten Nilkatarakt in griechisch-römischer Zeit (APF, Beiheft 5), Stuttgart–Leipzig 1999, S. 252-256. 3 Laut IGThSy 302 (= IGLouvre 14, SB V 8878, OGIS I 111) aus der Zeit zwischen 152a und 145a gründete der ptolemäische Beamte Boethos (zu ihm ausführlich: B. KRA- MER – H. HEINEN, Der ktístjv Boethos und die Einrichtung einer neuen Stadt, APF 43.2, 1997, S. 315-363) in der Triakontaschoinos 2 Städte. 4 Dies wird bisher in der Literatur (mit wenigen Ausnahmen, v. infra) anders gesehen. Vielmehr wird allgemein angenommen, dass die Ptolemäer die nubischen Besitzungen an das meroitische Reich verloren haben und dass sich die Grenze zwischen den beiden Staa- ten unmittelbar südlich des ersten Kataraktes bei Philae befunden habe: J.G. MILNE, A History of Egypt under Roman Rule, London 1898, S. 18; F. JOSEPH, Die Südgrenze Aegyp- tens in politischer und militärischer Beziehung von Alexander dem Großen bis zur arabi- schen Eroberung, Diss. ungedr. [Zusammenfassung in: Jahrbuch der Dissertationen der Philosophischen Fakultät Berlin (Friedrich-Wilhelm-Universität)] 1921, S. 122; H. KOR- TENBEUTEL, Der ägyptische Süd- und Osthandel in der Politik der Ptolemäer und römischen Kaiser, Diss. Berlin 1931, S. 50; F.Ll. GRIFFITH, Catalogue of the Demotic Graffiti of the Dodecaschoenus, I, Oxford 1937, S. 3; B.G. HAYCOCK, Landmarks in Cushite History, JEA 74 J. LOCHER Zwischen dem südlich an Ägypten angrenzenden meroitischen Reich und den Ptolemäern hatten anscheinend friedliche Beziehungen mit mehr oder weniger regen diplomatischen Kontakten bestanden. So berichtet Diodor, dass er sich während seiner Reise in Ägypten zwischen 60a und 56a5mit äthiopischen Gesandten unterhalten hat6, und Caesarion soll 58 (1972), S. 241; A.M. DEMICHELI, Rapporti di pace e di guerra dell’Egitto romano con le popolazioni dei deserti africani, Milano 1976, S. 9; L.P. KIRWAN, Rome beyond the Southern Egyptian Frontier, PBA 63 (1978), S. 20; A. BURKHARDT, Ägypter und Meroiten im Dodekaschoinos (Meroitica, 8), Berlin 1985, S. 15; L. TÖRÖK, Der meroitische Staat 1(Meroitica, 9), Berlin 1986, S. 17; ders., The Historical Background: Meroe, North and South, in: Nubian Culture: Past and Present (6th Intern. Conf. Nubian Studies, Uppsala 1986), Stockholm 1987, S. 162; J. LECLANT, Méroé et Rome, in: Studia Meroitica 1984 (5th Intern. Conf. Meroitic Studies, Rome 1984) (Meroitica, 10), Berlin 1989, S. 34; G. DIETZE, Philae und die Dodekaschoinos in ptolemäischer Zeit, AncSoc 25 (1994), S. 107- 110; im Sammelband mit Aufsätzen von S.M. BURSTEIN, Graeco-Africana: Studies in the History of Greek Relations with Egypt and Nubia, New Rochelle 1995, Nr. 9: The Helle- nistic Fringe: The Case of Meroe, S. 110 und Nr. 14: The Nubian Campaigns of C. Petro- nius and George Reisner’s Second Meroitic Kingdom of Napata, S. 175; D.A. WELSBY, The Kingdom of Kush, London 1996, S. 67; L. TÖRÖK, The Kingdom of Kush (HdO, I 31), Leiden 1997, S. 431-432. Als Argument für diese Auffassung wird jeweils auf die Tem- pelbauaktivitäten verwiesen. Da der Name von Ptolemaios VIII. noch in Dakka (ca. 115 km südl. Aswan), von Ptolemaios IX. aber nur noch in Kalabscha (ca. 60 km südl. Aswan) und von Ptolemaios XII. nur noch in Dabod (ca. 22 km südl. Aswan) in hieroglyphischen Tempelinschriften belegt ist und der Name von Kleopatra VII. vollkommen fehlt, will man daraus ableiten, dass die Grenze sukzessive zurückgenommen worden und Unternubien verloren gegangen sei. Eine solche Argumentation ist jedoch methodisch nicht korrekt. Denn man kann zwar aus der Nennung eines Königs in einer Tempelinschrift schliessen, dass sich der betreffende Tempel innerhalb des Herrschaftsbereichs des Königs befunden hat. Umgekehrt kann man aber aus dem Fehlen eines Königsnamens nicht einfach den Schluss ziehen, dass der Tempel und seine Region nicht mehr zum Herrschaftsgebiet gehörte. Dagegen nahm L. TÖRÖK, To the History of the Dodekaschoenos between ca. 250 B.C. and 298 A.D., ZÄS 107 (1980), S. 79, an, dass sich die Reichsgrenze zu Beginn der römischen Herrschaft bei Hiera Sycaminos (Maharraqa, ca. 125 km südl. von Aswan), also am Südende der Dodekaschoinos (Zwölfmeilenland), befand. Einzig J. LESQUIER, L’armée romaine d’Égypte d’Auguste à Dioclétien (MIFAO, 41), Le Caire 1918, S. 464, I. HOFMANN, Der Feldzug des C. Petronius nach Nubien und seine Bedeutung für die mero- itische Chronologie, in: Ägypten und Kusch (Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients, 13), Berlin 1977, S. 196, sowie J. DESANGES, Recherches sur l’activité des Médi- terranéens aux confins de l’Afrique, Rome 1978, S. 288, konstatierten, dass es keinen konkreten Hinweis auf einen Verlust Unternubiens für die Ptolemäer gebe. Allein die Tat- sache, dass der erste römische Präfekt Cornelius Gallus laut seiner Inschrift aus Philae im Jahr 29a offensichtlich über die Triakontaschoinos verfügen und einen tyrannus einsetzen konnte (ausführlicher v. infra), zeigt deutlich, dass die Römer nahtlos an die ptolemäische Herrschaft anknüpfen konnten. 5 Zur Datierung des Aufenthalts von Diodor in Ägypten cf. Diod. I 44.1:… méxri t±v ëkatost±v kaì ôgdojkost±v ôlumpiádov, kaq’ ∞n ™me⁄v mèn parebálomen eîv A÷gupton, êbasíleuse dè Ptolema⁄ov ö Néov Diónusov xrjmatíhwn. 6 Diod. III 11.3: kaì gàr ™me⁄v kaq’ Ωn kairòn parebálomen eîv A÷gupton,…, oûk ôlígoiv dè kaì presbeuta⁄v âpò t±v Aîqiopíav paroÕsin eîv lógouv âfikómeqa ktl. DIE ANFÄNGE DER RÖMISCHEN HERRSCHAFT IN NUBIEN 75 versucht haben, vor den Römern nach Äthiopien zu fliehen7, woraus wohl auch auf friedliche Beziehungen zwischen Meroe und Alexandria am Ende der Ptolemäerherrschaft geschlossen werden darf. Daran scheint sich auch nach der römischen Machtübernahme zunächst nichts geändert zu haben. Bereits der erste römische Präfekt C. Cornelius Gallus traf während seines Aufenthalts in Philae im April 29a laut seiner berühmten trilinguen Inschrift (Hieroglyphen, Lateinisch, Griechisch) mit Gesandten des meroitischen Königs zusammen8. Zugleich ordnete er die Verhältnisse in der Triakontaschoinos neu, indem er einen túrannov/ tyrannus als Vasallen Roms in dieser Region einsetzte9. Wir besitzen also aus der Zeit unmittelbar nach der römischen Macht- übernahme nicht den geringsten Hinweis darauf, dass sich irgendwelche Spannungen zwischen Rom und Meroe ergeben hätten. Vielmehr schien sich eine friedliche Koexistenz der beiden Staaten mit freundschaftlichem diplomatischen Austausch abzuzeichnen. Das Konfliktpotenzial und das Risiko, dass es das Imperium Romanum an dieser Aussengrenze mit einer militärischen Auseinandersetzung zu tun bekommen könnte, war, so würde man meinen, denkbar gering. Gerade deshalb ist es um so überraschender, wenn wir aus den Quel- len10 erfahren, dass im Herbst 25a11plötzlich «Äthiopier» die Region am ersten Nilkatarakt mit den Städten Syene, Elephantine und Philae überfallen, geplündert und vorübergehend besetzt gehalten haben. Woher kommt diese unerwartete Aggression? Welches sind die Hin- tergründe, die zu diesem Angriff geführt haben? Welches die Ziele, die mit einer solchen Aktion verfolgt wurden? Und schliesslich, wie interpretierte man in Rom diesen Vorfall und was wurde dagegen unternommen? In der bisherigen Literatur stehen sich diesbezüglich grundsätzlich zwei Auffassungen gegenüber. Die überwiegende Mehrheit geht davon aus, 7 Cassius Dio LI 15.5: Kaisárion dè êv Aîqiopían feúgwn katelßfqj te ên t±Ç öd¬ç kaì diefqárj. 8 CIL III Suppl. 141475 (OGIS II 654, IGRRP I 1293, ILS 8995, IGPhilae II 128) Z. 7: leg[atis re]gis Aethiopum ad Philas auditis; Zz. 16-17: dezámenóv te présbeiv Aîqiópwn ên Fi|17la⁄v. 9 ID. Z. 8: tyrann[o] Tr[iacontas]choe[ni i]n f[ine] Aethiopiae constituto; Zz. 17-18: tú]rannón te t±v Triakontasxoínou toparxía[v] |18 mi¢v ên Aîqiopíai katastßsav. Zu dieser Inschrift ausführlicher v. infra. 10 Strab. XVII 1.54; Cass. Dio LIV 5.4-6. Die übrigen Quellen (Res gestae D. Aug. 5.26 & 16.26; Propert. IV 6.78; Plin., n.h. VI 181-182) erwähnen einen «äthiopischen» Über- fall nicht. 11 In der Chronologie der Ereignisse folge ich S. JAMESON, Chronology