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In den frühen 1960er Jahren sah die Equipment-Welt noch komplett anders aus. Die sogenannten P.A.s (ei- Let The gentlich eher schwachbrüstige Gesangsanlagen mit Röhrenverstärkern), mit denen man damals Hallen be- schallte, würden heute nicht einmal mehr bei kleinen Club Gigs zum Einsatz kommen. Die leistungsstärks- ten dedizierten Bass-Amps wie der Brownface bzw. Blackface mit geschlossener 2 x 12“ Box, in der normale Gitarren-Lautsprecher wie bes- tenfalls Jensen C12N saßen, lieferten mit einer End- stufe mit zwei 5881 oder 6L6GC und Siliziumdioden- Shine In Gleichrichter gerade einmal um die 40 bis 50 Watt. Als The Kingsmen aus Portland, Oregon, 1963 ihren großen Hit „Louie, Louie“ landeten, nahm die Grö- 200S 1967 ße der Hallen, in denen sie auftraten, rasch zu – und te geschraubtes Brett sorgt für gewissen Schutz vor damit die Verstärkungsprobleme. Norm Sundholm dem Berühren der bei Betrieb sehr heißen Gleich- konnte sich mit seinem Bass im Mix einfach nicht richter- und Endstufenröhren und lässt gleichzeitig durchsetzen und bat seinen Bruder Conrad, einen deren Belüftung zu. Auf der Oberseite findet sich Lehrer und Hobby Elektronik-Tüftler, um Hilfe. Aus ein mittig montierter schwarzer Kunststoffgriff mit Dynakits des amerikanischen Stereoanlagen-Herstel- Stahleinlage und vernickelten Endkappen. Alle acht lers Dynaco für einen PAS-1 Pre-Amp und einen MK- Ecken sind durch verschraubte verchromte Metallauf- III Monoblock entwickelten sie in der Werkstatt des sätze geschützt. Von vorne schaut man auf die leicht Hauses ihres Vaters ein 60 W Topteil namens C60, bei nach hinten angeschrägte Metall-Frontblende, die in dem das Control Panel wie bei einem Tweed Bassman Schwarz und Rot siebbedruckt wurde – ein weiteres auf der Oberseite angesiedelt war, sowie eine hierauf ergonomisch vorteilhaftes Feature, wenn der Amp abgestimmte „rear-loaded“ 2 x 15“ Box nach dem Fol- typisch im Stehen bedient wird. Hierin sitzen rechts ded-Horn-Prinzip, die gemäß der Verwendung zweier außen drei breite Kippschalter: Power (mit integrier- JBL D-140F 2-40 getauft wurde. Diese JBLs gehörten ter roter Betriebsleuchte), Polarity (musste aus Si- damals zu den leistungsstärksten, effizientesten und cherheitsgründen deaktiviert werden) und Stand-By teuersten Instrumentenlautsprechern. Das Resultat (schaltet die gleichgerichtete Hochspannung zur ers- machte nicht nur Norm glücklich, sondern fand rasch ten Filterstufe von zahmen 30 MFD und parallel zum Anklang bei anderen Musikern, obwohl die Kombina- innen verschraubten Choke). Im Inneren finden sich tion mit rund 1.000 Dollar extrem teuer war. Zudem des Weiteren ausschließlich hochwertige in den USA wollten ebenfalls Gitarristen diesen „Sunn-Sound“. So gefertigte Komponenten, darunter Potentiometer von wagten die Sundholms 1965 den Sprung in gewerbli- CTS, 0,5 W Kohlefilm- und 1 W Kohlepresswiderstän- che Räume, wo sie ein weiteres Top mit 2 x EL34, eine de, 600V Filmkondensatoren von Mallory (620 Series) kleinere 1 x 15“ Bass-Box mit der Bezeichnung 1-40 und CDE (Black Cat) sowie Schalter und Buchsen von sowie zwei ähnlich große, jedoch weniger tiefe Gitar- Switchcraft und Carling. Im Zuge der Überholung renboxen mit der Lead-Variante der 15“ JBLs, dem wurden die müden, teils schon ausgetrockneten origi- D130F, herstellten. Aus dem C60 entstand dann der ab nalen Elektrolytkondensatoren von CDE, Sprague und Anfang 1967 gebaute 200S. Sunn-Amps und -Cabinets wurden von einer ganzen Reihe Rockstars gespielt, darunter Noel Redding und Bill Cox bei Hendrix, Felix Pappalardi bei Mountain, John Entwistle auf US-Tou- ren der Who und Tommy Shannon bei Johnny Winter. Nachdem sein Bruder zwei Jahre zuvor ausgestiegen Leistungsstärker, breitbandiger, kompakter, leichter – das sind die Stichworte, die den Entwick- war, verkaufte Conrad Sundholm 1971 das Unterneh- men, welches 1985 weiter an Fender gereicht und in- lungstrend bei Bass-Amps in den letzten dreißig Jahren im Kern charakterisieren. Auf der Strecke zwischen leider stillgelegt wurde. blieb dabei im Vergleich zu guten alten Röhren-Verstärkern immer eine mehr oder minder große Portion Wärme, Klangfülle und nicht zuletzt Charakter. Entsprechend bleibt der Ansatz äußerst Konstruktion Das aus Stahl gefertigte Verstärkerchassis wird mit- Mallory gegen hochwertige Neuteile ausgetauscht. populär, im Studio neben einem D.I.-Signal auch einen Vintage-Amp zu mikrofonieren. Dafür eig- tels vier von unten eingeführten Schrauben in einem Den Aufbau kann man als Point-To-Point im engeren nen sich Verstärker niedrigerer Leistungsklassen bestens, wie eben das Sunn 200S Topteil aus dem mit schwarzem Kunstleder bezogenen stabilen Sperr- Sinne bezeichnen, denn alle Verbindungen sind ent- ersten Produktionsjahr. holzgehäuse gehalten. Dessen Vorderseite wurde mit weder direkt oder über Mehrfach-Lötleisten ausge- zu den Sunn-Boxen passendem Grill-Cloth bezogen. führt; es gibt also weder ein Eyelet- oder Turretboard Text und Bilder von Michael Püttmann Ein sich nach innen verjüngendes, auf die Rücksei- noch eine Platine.

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Ein innovatives Feature der frühen Sunn- te Palette an vintage Amp-Sound-Wünschen Amps, das später auch von anderen Herstel- erfüllen; einzig wenn es um super-fette, DETAILS: lern übernommen wurde, ist der Einsatz besonders warme und dabei obertonreiche einer speziellen Schaltbuchse für den zwei- Old School Sounds geht, hat der Portaflex Hersteller: Sunn Musical Equipment ten Lautsprecherausgang. Ist nur der erste die Nase vorn. Für einen Einsatz in Loun- Company Ausgang belegt, wird der 8 Ohm Abgriff des ges oder kleinen Clubs in einer Besetzung Modell: 200S Ausgangstrafos verwendet. Sobald ein Ste- ohne Schlagzeuger bei moderater Lautstär- Herkunftsland: Tualatin, Oregon, USA cker in Ausgang 2 eingeführt wird, wechselt ke reicht die Leistung aus, aber mehr geht Seriennummer: 2623 (Metallschild auf der Kontakt zur 4 Ohm Sekundärwicklung. live nicht, es sei denn, man benutzt wie für Chassis-Oberseite) So steht dem Spieler frei, eine 8 Ohm, eine Aufnahmen eine DI-Box und mischt das Mi- Baujahr: 1967 Signalweg 4 Ohm oder eben zwei parallele 8 Ohm (= 4 krofon-Signal vom Amp damit über die P.A. Gehäuse: Sperrholz mit schwarzem Der einkanalige Verstärker bietet zwei mit klassischen Ohm) Cabs anzuschließen. Sehr praktisch, Kunstleder & Sunn-Lautsprecher- Switchcraft Klinkenbuchsen realisierte Eingänge, von und das wurde gleich bei meinem Test Drive Resümee Bespannstoff denen man ja sowieso nur einen benutzt. Zwischen ausgenutzt! Vintage Sunn-Amps tauchen in unseren Frontblende: schwarzer und roter den ersten beiden mittels einer 12AX7 realisierten Breitengraden heutzutage immer noch sehr Aufdruck auf Metall-Blende Verstärkungsstufen sitzt der 500k Ohm Lautstärke- Tone selten auf. Das dürfte daran liegen, dass sie Rückblende: keine/blankes Chassis regler samt Lo-Boost-Schalter. Die Ansteuerung der Sunn bot zum 200S eine passende Box mit neu zu sehr hohen Preisen verkauft und in Kanäle: 1 mit zwei Eingängen (Switch- Klangregelung erfolgt von der Anode der zweiten beachtlichen Ausmaßen (42“ x 24“ x 15“) Deutschland nicht vertrieben wurden. Ein craft Klinkenbuchsen) und zwei JBL D140-F an. Auf eine dieser Import aus den USA, der für jeden Verstär- Schalter und Regler: Power, Polarity, und eine Hochspannung von stolzen 520 VDC. In der Originalboxen trifft man in Europa noch viel ker lebensgefährlich sein kann, birgt für alte Stand-By, Lo Boost, Hi Boost, Volume, ultralinearen Gegentakt-Endstufe verrichten zwei seltener als auf ein 1960er Jahre Sunn-Top ein besonders hohes Versandrisiko, Treble, Bass mächtige KT88 mit einem grauen Dynaco A-431 Aus- und ich hatte leider auch zum Testen keine denn speziell die Trafofüße aus relativ dün- Potentiometer: CTS (Volume 500k, gangstransformator ihren Dienst. Die originalen bri- zur Verfügung. Was lag näher, als zunächst nem Stahlblech brechen schnell. Entspre- Treble 400k, Bass 750k, Bias 10k, alle tischen Röhren waren bei unserem 200S bei seinem eine ca. 1974er Fender Bassman 50 Box mit chend stellt man auch bei diesem 200S am datiert zwischen Mitte 1966 und Anfang Eintreffen längst erneuert worden, allerdings wie in zwei 15ern in der kompakteren Bauform mit Ausgangstrafo professionelle Schweißnähte 1967) den meisten alten Sunns mit deren entfernten ameri- diagonal angesiedelten Speakern und einer fest. Ist er einmal vor Ort und von Grund auf Festwiderstände: 0,5 W Kohlefilm- & kanischen Verwandten vom Typ 6550A. Leider unter- Gesamtimpedanz von 4 Ohm anzuschließen. professionell überholt, liefert solch ein frü- 1 W Kohlepresswiderstände schieden die sich aber mit ca. 13 mA zu deutlich im Gespielt wurde mit einem 1962er Slabboard her Sunn 200S einen relativ großen, selbst Kondensatoren: Mallory, CDE, Ruhestrom, sodass die Endstufe sehr asymmetrisch Fender , den mein Kollege Henner im Bass punchigen und variablen Vintage- Sprague, Cornell Dubilier (teils ersetzt) Stufe. Interessanterweise weichen die Werte der ein- lief. Britische KT88 werden bereits seit Jahrzehnten Malecha in zwei früheren Ausgaben bereits Sound, der für Recording und leise Gigs Reglernöpfe: Black Skirted Knobs gesetzten CTS-Potentiometer von denen des am 1. bedauerlicherweise nicht mehr hergestellt und sogar ausführlich portraitiert hat, und einem ausreichend Headroom mit sich bringt. Das Effekte & Einschleifweg: keine(r) November 1967 veröffentlichten Schaltplans ab (400k einwandfreie gebrauchte Duette kosten ein Vermö- 1975er Precision Bass mit leichtem Swamp Klangergebnis hängt außerdem stark von Röhren: vs. 250 Ohm Treble, 750k vs. 1M Ohm Bass). Hinzu gen. Also griff ich zur nächstbesten Alternative, näm- Ash Body. Die von Oxford zugekauften Laut- der damit kombinierten Lautsprecherbox - Vorstufe: 12AX7 kommt der integrierte Hi Boost Switch. Danach folgt lich Neuauflagen von Genalex, die heute in der Reflek- sprecher mit Keramikmagneten und blauen ab. Steht hier kein originales Sunn-Cab zur - Treiber- & Phasenumkehrstufen: mit dem Pentodenelement der 6AN8 eine Treiberstu- tor-Fabrik in Russland hergestellt werden. Mittels des Fender-Aufklebern hatten dabei ganz schön Verfügung, empfiehlt sich eine mit einem 6AN8 fe, um nach Klangregelungsverlusten wieder genug internen 10k Ohm Bias Potentiometers konnte der zu kämpfen und kamen bei dynamischen oder zwei alten Alnico JBLs ausgestattete - Endstufe: 2 x KT88 Pegel zu schaffen, damit über die nachfolgende Con- Ruhestrom problemlos eingestellt werden. Spitzen bereits an ihre Belastungsgrenzen, hochwertige Alternative. - Gleichrichter: 5AR4/GZ34 certina Phasenumkehrstufe (auch Split Load Phase was sie mit angezerrten Lauten vermel- Transformatoren: Dynaco Inverter genannt) ohne jede weitere Verstärkung die deten. Will man zu einem D.I.-Signal nur - Power: P-782 Endstufenröhren stark genug angefahren werden. etwas wärmere Mitten hinzumischen und - Choke: C-354 den 200S dabei nicht ganz ausfahren, kann - Output: A-431 man mit diesem Rig klarkommen. An einer Ausgänge: 2x Switchcraft Klinkenbuch- Mit-1980er Made in USA 1 x 15“ 8 Ohm Am- sen, 8 Ohm oder 4 Ohm peg Box mit aufgerüstetem JBL K-140 aus Leistung: ca. 60 W RMS/250 W den 1970ern machte sich der 200S dann Program Power doch noch wesentlich besser. Ein einzelner Besonderheiten: bei Tone Nirvana Speaker wäre zudem im Studio wesentlich generalüberholtes US-Modell aus dem einfacher abzunehmen. Die tiefere Bauwei- ersten Produktionsjahr, welches zum se in Zusammenspiel mit dem effiziente- Betrieb an unserem 230 VAC Netz einen ren (98 dB) 150W Alnico-JBL lieferte einen Vorschalttrafo auf 117 VAC benötigt größeren, damit tieferen und bei höheren Herzstück des Netzteils ist ein grauer Dynaco P-782 Treble-Einstellungen offeneren, definierte- www.sunnamps.com Netztrafo, der über einen 5AR4/GZ34 Röhrengleich- ren und räumlicheren Sound als die 2 x 12“ (offizielle Support Website) richter laut Schaltplan eine Hochspannung von 480 Fender Box und auch als der internationale www.tone-nirvana.com VDC auf den Anoden der KT88 liefern sollte. Mit ei- Studio-Standard, ein vintage Ampeg Portaf- nem Vorschaltrafo, der sekundär 120 VAC bietet, maß lex B15N mit originalem CTS Speaker. Mit ich eine Heizspannung von 6,4 VAC (nominal 6,3 VAC) diesem Set-up lässt sich im Studio eine brei-

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