tanznetz.de Das Spielzeitheft NR Vorwort DEN TANZ NACH VORNE BRINGEN

2 In diesem Jahr gibt es so viele international wichtige Tanz- großereignisse in Deutschland wie nie zuvor. Neben der Tanzplattform Deutschland in Frankfurt, dem Tanzkongress in Hannover und der internationalen tanzmesse nrw in Düsseldorf, die mit dem „Tanzjahr 2016“ diese Lobbykam- pagne für den Tanz ausgerufen haben, konnten in diesem Jahr auch der 13. Kongress für Tanzmedizin in Dresden statt- finden, die 5. Biennale Tanzausbildung in Köln sowie zahl- reiche international wichtige Wettbewerbe und Festivals. Kaum ein Land in der Welt ist so reich an Ballettensembles, Ausbildungen, Förderungen und Initiativen für den Tanz wie Deutschland, das damit global eine große Attraktivität für Künstler und Zuschauer hat. Opulent vom Bundespräsiden- ten Joachim Gauck eröffnet, hochkarätig von Botschaftern begleitet, fachkundig vom Dachverband Tanz betreut, gilt es im Tanzjahr die Stellung für den Tanz in Deutschland zu manifestieren und auszubauen. Denn nicht überall ist gera- de der zeitgenössische Tanz sichtbar und erlebbar wie unser Beitrag zum Thema „Das Duckburg-Phänomen: Zeitgenös- sischer Tanz im Diskurs zwischen Zentrum und Peripherie“ zeigt. Eine Stimme für den Tanz brauchen wir, wie im Beitrag über den Fachtag zum Thema Modelle zur Entwicklung und Stabilisierung der Tanzszene in Deutschland zu lesen ist.

Unser drittes Spielzeitheft als E-Booklet folgt daher dem Motto „Den Tanz nach vorne bringen“. Wir freuen uns über die überaus rege Beteiligung von Tanzexperten aus unter- schiedlichen Bereichen an der Umfrage zur vergangenen Spielzeit, die wir als Anerkennung unseres ständig wachsen- den Tanzportals sehen. Zudem feierten wir in diesem Jahr opulent das 20. Jubiläum unserer tanznetz-Community.

Wenn das kein Tanzjahr ist!

Nina Hümpel 3 _____INHALT______RÜCKBLICK__06______auf die Spielzeit 2015/16 ______DEN TANZ NACH VORNE BRINGEN__20______Ein Interview mit Michael Freundt zum Tanzjahr 2016 ______„YOU SHOULD DO, WHAT YOU CAN DO“__24______Der Tanzkongress 2016 in Hannover ______DIE 5. BIENNALE TANZAUSBILDUNG IN KÖLN__32______Ein Interview mit Vera Sander ______WO STEHT DER ZEITGENÖSSISCHE TANZ?__44___ Die Tanzplattform Deutschland 2016 ____DIE UMFRAGE __52______DAS DUCKBURG-PHÄNOMEN __74______Zeitgenössischer Tanz im Diskurs zwischen Zentrum und Peripherie ______GESUNDHEITSFÖRDERUNG DURCH TANZ FÜR TANZENDE__80______Der 13. Kongress für Tanzmedizin 2016 an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden Ein Erfahrungsbericht der Tänzerinnen Alanna und Tarah Pfeiffer ______EINE STIMME FÜR DEN TANZ__92______Ein Beispiel für die Lobbyarbeit des Dachverband Tanz Deutschland ______DIE INTERNATIONALE TANZMESSE NRW__100______Ein Interview mit Felix Wittek ______IMPRESSUM__108______

5 GEEHRT BEORDERT VERABSCHIEDET ______ENTSCHIEDEN RÜCKBLICK______RÜCKBLICK_____ auf die Spielzeit 2015/16 von Anja K. Arend

7 GEEHRT CESAR CORRALES erhält sowohl den „Emerging Dancer“ als auch den „People’s Choice Award“ des English Na- tional Ballet.

WOLFGANG OBERENDER, IVAN LIŠKA, BETTINA KARL REGENSBURGER, WAGNER-BERGELT Mitbegründer und Intendant Der Tanzpreis der Landes- des ImPulsTanz — Vienna Inter- hauptstadt München wird national Dance Festival wird an die künstlerische Leitung mit dem „Offizier des Leopold des Bayerischen Staatsbal- II-Ordens“ von Seiner Majestät letts, Ivan Liška, Bettina Wag- König Philippe von Belgien ner-Bergelt und Wolfgang ausgezeichnet. Oberender, verliehen.

HANS VAN MANEN erhält den „Grand Prix à la Car- STEFAN DREHER rière“ in Cannes, Frankreich. Der Choreograf Stefan Dreher wird für seine ungewöhnli- OHAD NAHARIN, chen künstlerischen Positio- nen von der Landeshauptstadt Chef der Batsheva Dance München mit dem Förderpreis Company, wird die goldene Tanz ausgezeichnet. „Carina-Ari-Medaille“ in Schwe- den verliehen. JOHN NEUMEIER UND OSCAR BUTHELEZI ANTJE PFUNDTNER ALEXANDRE RIABKO erhält für seine Choreografie „Road“ den Kurt-Jooss-Preis werden beim „Prix Benois de 2016. Auch der Publikumspreis IN GESELLSCHAFT la Danse“ geehrt. Der Ham- geht an den Südafrikaner. erhält mit dem 7. George Ta- burger Ballettchef erhält die bori Hauptpreis die höchste Auszeichnung für sein Lebens- bundesweite Auszeichnung werk, Riabko wird für seine für KünstlerInnen und Ensem- Kunst als Tanzpartner ausge- bles der freien Szene. zeichnet.

9 TANZFONDS ERBE AMELIE DEUFLHARD, BRIDGET BREINER Das Projekt TANZFONDS ERBE Intendantin von Kampnagel Der Deutsche Theaterpreis Der erhält als einziger deutscher in Hamburg, wird mit dem FAUST geht 2015 erneut an die Gewinner mit dem „Europa „Goldenes Lot“ für ihr zivilge- Choreografin Bridget Breiner, Nostra Awards für Erhalt und sellschaftliches Engagement diesmal für ihr Stück „Charlot- Vermittlung des Kulturerbes ausgezeichnet. te Salomon: Der Tod und die Tanz“ den EU-Preis in der Ka- Malerin“ am Musiktheater im tegorie „Bildung, Ausbildung Revier Gelsenkirchen. Als bes- und Bewusstseinsbildung“. te Darstellerin im Bereich Tanz wurde Alicia Amatriain ausge- zeichnet. SABRINA SADOWSKA bekommt die Verdienstme- daille der Bundesrepublik Deutschland. Nicht nur als Choreografin und Ballettmeis- SIDI LARBI CHERKAOUI terin hat sie sich einen Namen erhält die Ehrendoktorwürde gemacht, mit ihrer Stiftung der Universität Antwerpen. TANZ — Transition Zentrum Deutschland hat sie sich einem wichtigen und lange vernach- lässigten Thema zugewandt. GEORGETTE LUTZ FÖRSTER TSINGUIRIDES wird in Positano/Italien mit dem „Léonide Massine Tanz- Die Stuttgarter Choreologin MARTIN SCHLÄPFER, preis 2015“ für sein Lebens- Georgette Tsinguirides be- Ballettdirektor und Chefcho- werk ausgezeichnet. kommt die „Große Stauferme- reograf des Balletts am Rhein daille in Gold“. Seit 70 Jahren Düsseldorf/Duisburg, erhält ist sie mit dem Stuttgarter Bal- den Musikpreis der Stadt Du- lett verbunden. isburg.

10 PROF. MARTIN PUTTKE Der deutsche Tanzpreis geht an Prof. Martin Puttke. Mit den Zukunftspreisen werden Marcos Menha vom Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg und Andrey Kaydanovskiy vom Wiener Staatsballett ausgezeichnet. Den Anerkennungspreis erhalten die drei Tanzmedizinerinnen Dr. Elisabeth Ex- ner-Grave, Dr. Liane Simmel und Dr. Eileen Wanke.

spIElzEIt 2016 — 17 GILLES JOBIN tanzthEatEr erhält im Oktober den „Grand Prix“ des Schweizer Bundesamts für Kultur. Als Tänzer wurden Simo- 30.10.16 UraUfführUng ne Aughterlony und Ioannis Mandafounis ausge- えもじ絵文字 EMOJI Zwei Stücke von Annamari Keskinen zeichnet. Den „Spezialpreis Tanz“ erhält Claude und Evangelos Poulinas Ratzé für die Association pour la danse contempo- raine Genève. 14.01.17 UraUfführUng MarIanEngraBEn Ein Stück von Johannes Wieland

ALAIN PLATEL 29.04.17 UraUfführUng wird mit dem kanadischen „Grand Prix de la Danse“ thE rItE Of sprIng geehrt. Ein Stück von Johannes Wieland Mit Musik u. a. von Igor Strawinsky (Le sacre du printemps) ∆ Mit dem Staatsorchester Kassel GREGOR GLOCKE erhält den ersten „Alexander-von-Swaine-Preis“. 30.06.17 UraUfführUng Die Stiftung „Pro Humanitate et Arte“ und die ChOrEOgrafIsChE WErKstatt Staatliche Ballettschule Berlin entschieden sich Junge Choreografinnen und Choreografen gemeinsam für den jungen Nachwuchstänzer. stellen sich vor

Kartentelefon: 0561.1094-222 www.staatstheater-kassel.de 11 ______BEORDERT

MAURO BIGONZETTI Der frühere Leiter des Aterbal- letto und international erfolg- reiche Choreograf Mauro Bi- gonzetti wird neuer Ballettchef der Mailänder Scala. REMUS SUCHEANA, IVAN CAVALLARI, MARTIN SCHLÄPFER Am Ballett am Rhein Düssel- derzeit Direktor des Ballet de dorf/Duisburg übernimmt der l’Opéra national du Rhin, ist jetzige Co-Direktor Remus Şu- als künstlerischer Direktor an cheană neben der Leitung der das Grands Ballets Canadiens Ballettschule nun auch die Bal- de Montréal berufen worden. lettdirektion. Martin Schläpfer wird Künstlerischer Direktor ADOLPHE BINDER, und bleibt Chefchoreograf. derzeit künstlerische Direkto- rin der Danskompani an der Staatsoper in Göteborg, wird ab Mai 2017 Intendantin des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.

12 ED WUBBE, NANINE LINNING Ed Wubbe, der langjährige künstlerische Leiter des „Inter- nationaler Wettbewerb für Choreographie“ in Hannover übergibt nach 12-jähriger Tä- tigkeit sein Amt an Nanine Linning. AURÉLIE DUPONT, langjährige Primaballerina an der Pariser Oper, übernimmt ab August 2016 die Leitung des Balletts an der Pariser Oper.

BRUNO BOUCHÉ übernimmt ab September 2017 die künstlerische Leitung des Balletts der Opéra national du Rhin und folgt damit auf den Italiener Ivan Cavallari.

13 CHRISTOPH MARTHALER, STEFANIE CARP Ab 2018 wird Stefanie Carp gemeinsam mit Christoph Marthaler die Ruhrtriennale leiten. Damit gestalten zwei der international führenden Theaterpersönlichkeiten das bedeutende Musik- und Thea- terfestival.

HOLGER BERGMANN ist seit Januar 2016 neuer Geschäftsführer des Fonds Dar- stellende Künste. WALTER HEUN wird Präsident des von ihm mitbegründeten European Dancehouse Network. RACHID OURAMDANE tritt gemeinsam mit Yoann Bourgeois im Grenob- ler Centre chorégraphique national (CNN) die Nachfolge von Jean-Claude Gallotta an. Es ist das erste Mal, dass ein choreografisches Zent- rum von einem Zirkuskünstler und einem Cho- reografen gemeinsam geleitet wird.

14 ANDREA GERN Die Kulturvermittlerin Andrea Gern übernimmt zum 1. Februar 2016 die Geschäftsführung der Interessengemeinschaft Tanz — TanzSzene Baden-Württemberg e.V.

STEPHAN THOSS wird mit der kommenden Spielzeit neuer Bal- lettintendant am Nationaltheater Mannheim. Er übernimmt damit die Nachfolge von Kevin O’Day.

MAKHAR VAZIEV verlässt die Mailänder Scala und übernimmt die Leitung des Moskauer Bolshoi-Balletts. IVAN ALBORESI wird ab der Spielzeit 2016/17 neuer Ballettdirektor am Theater JAMES SUTHERLAND Nordhausen. übernimmt die Leitung der Tanzsparte des Pfalztheaters in Kaiserslautern. JULIE KENT, ehemalige Primaballerina am American Ballet Theatre, über- nimmt die Leitung des Washing- ton Ballet. LARS SCHEIBNER übernimmt die Leitung der Deutschen Tanzkompanie Neu- strelitz. 15 ______VERABSCHIEDET

Im Alter von 82 Jahren verstirbt die frühere Balanchine-Tänzerin und gefragte Ballettmeis- terin Violette Verdy. Verdy gehörte zu den führenden Ballerinen des letzten Jahrhun- derts, sie war die erste Frau an der Spitze des Pariser Opernballetts und war bis zu ihrem Tod eine international gefragte Expertin bei der Einstudierung von Balanchines Werken.

Der Dresdner Tänzer und Choreograf Manfred Schnelle verstarb am 17. Februar 2016 im Alter von 80 Jahren. Er befand sich mitten in den Proben zu einer Rekonstruktion der Tänze seiner Lehrerin Marianne Vogelsang.

Überraschend starb Roman Arndt, Tanzhisto- riker am Institut für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste in Essen, im Alter von nur 52 Jahren.

16 Marieluise Jaska, ehemalige Pavel Šmok, tschechischer Catherine Verneuil, langjährige Erste Solistin an der Wiener Choreograf und Gründer des Tänzerin beim Ballet du XXe Staatsoper und spätere Lei- Prager Kammerballetts, ist am Siècle, starb am 11. Dezember terin des Tanzensembles am 4. April 2016 in Prag verstor- 2015. Verneuil war Maurice Tiroler Landestheater, verstarb ben. Béjart nicht nur als Tänzerin am 24. Februar 2016. eng verbunden, auch als Kos- Jean Deroc, Gründer des tümbildnerin und Pädagogin Der Gründer und langjährige Schweizer Kammerballetts und arbeitete sie mit dem Choreo- Leiter des Tokyo Ballet und der „Tanzfestspiele Königs- grafen zusammen. der Japan Performing Arts felden“, ist am 30. Dezember Foundation, Tadatsugu Sasaki, 2015 verstorben. Er galt als Am 16. Oktober 2015 ist der starb im Alter von 83 Jahren in eine der zentralen Gründungs- englische Tänzer und Choreo- Tokio. figuren einer freien Tanzszene graf David Drew im Alter von in der Schweiz. 77 Jahren verstorben. Über Der Bühnenbildner, Tänzer, 50 Jahre war er dem Londoner Choreograf und Schauspieler Marijan Jagust, langjähriger Royal Ballet verbunden. Germinal Casado war ein en- Ballettmeister des Staatsthe- ger Mitarbeiter von Maurice aters am Gärtnerplatz, ist am Die Tanzkritikerin und Tanzför- Béjart. Nun ist er im Alter von 25. Dezember 2015 in Mün- derin Edith Boxberger starb 81 Jahren gestorben. chen verstorben. am 12. Oktober 2015 in Berlin. Mit ihr verliert die Tanzszene Anna Lærkesen, eine der füh- eine Kämpferin für die Kunst. renden Ballerinen der 1960er- und 1970er-Jahre, ist im Alter von 73 Jahren in Kopenhagen gestorben.

17 F ü h r e n d e Irène Lejeune, Botschafterin Akteure in den freien des Bayerischen Staatsbal- Tanzszenen und Stadtthe- letts, stellt ihre Unterstützung atern in Baden-Württemberg der Kompanie zum Ende der und Bayern haben bei der Spielzeit ein. Die Unterneh- 2. TANZBIENNALE HEIDELBERG merin hatte das Ensemble seit die Gründung einer Arbeits- 2008 mit insgesamt 1,3 Millio- gruppe „TANZ SÜD“ nen Euro unterstützt. beschlossen.

Die Folkwang Universität der Künste und die Pina Bausch Foundation starten eine Ko- Das Land operation in Lehre, Forschung Nordrhein-Westfalen nimmt und künstlerischer Arbeit. sich der mittelgroßen Spielstätten für zeitgenössischen Tanz an, wenn Mei Hong Lin bleibt auch unter es seine dreijährige Förderung von je dem neuen Intendanten Her- 30.000 Euro an das Kulturzentrum Fabrik mann Schneider Ballettdirek- Heeder in Krefeld, das Theater im Ballsaal torin am Landestheater Linz. mit der Brotfabrik in Bonn, den Ringlok- schuppen in Mülheim an der Ruhr Carlos Matos, seit 2013 Leiter und das Theater im Pumpenhaus des Tanzensembles an den in Münster vergibt. Landesbühnen Sachsen, bleibt auch die nächsten drei Jahre im Amt.

Georg Weinand, Leiter der Dampfzentrale Bern, wird nach dreieinhalb Jahren im Amt von einem fünfköpfigen Leitungsteam abgelöst.

Benjamin Millepied verlässt die Pariser Oper nach nur ein- einhalb Jahren an der Spitze der Ballettkompanie.

18 ______ENTSCHIEDEN

2,35 Millionen Euro stellt die Kulturstif- tung des Bundes für ihr neues Die Tanzplattform 2018 wird von Förderprogramm „Tanzland“ bis PACT Zollverein in Essen und sei- 2021 zur Verfügung. Gastspielkoope- nem künstlerischen Leiter Stefan rationen zwischen festen Ensembles, Hilterhaus ausgerichtet. der freien Szene und vor Ort vorhande- nen Bühnen sollen das Angebot für Der von der Kulturstiftung des Tanz gerade in den kleineren und Bundes ins Leben gerufene mittleren Städten deutlich „TANZFONDS ERBE“ vergibt zum Das Land ausbauen. vierten Mal Förderungen. Dies- Nordrhein-Westfalen nimmt mal in Höhe von 583.884 Euro. sich der mittelgroßen Spielstätten für zeitgenössischen Tanz an, wenn Mit 12 Millionen Euro für die es seine dreijährige Förderung von je nächsten drei Jahre wird ein 30.000 Euro an das Kulturzentrum Fabrik Bündnis von sieben internationa- Heeder in Krefeld, das Theater im Ballsaal len Produktionshäusern für zeit- mit der Brotfabrik in Bonn, den Ringlok- genössische darstellende Kunst schuppen in Mülheim an der Ruhr vom Bund gefördert. und das Theater im Pumpenhaus in Münster vergibt. Vertragsverlängerung: Auch 2017 wird „DANCE“, das internationale Festival für zeitgenössischen Tanz der Landeshauptstadt Mün- chen, von Nina Hümpel kuratiert werden.

Nach knapp zwei Monaten tritt Jan Fabre als künstlerischer Leiter des „Athens & Epidaurus Festival“ zurück.

Beate Vollack hat ihren Vertrag als Tanzchefin am Theater St. Gallen um weitere drei Jahre verlängert. _____DEN TANZ NACH VORNE BRINGEN____ Ein Interview von Nina Hümpel mit Michael Freundt zum Tanzjahr 2016

20 Michael Freundt, der Dachverband Tanz Deutschland ist Gründungsmitglied der Initiative Tanzjahr 2016. Was ist das eigentlich?

Das Tanzjahr 2016 ist eine Kampagne, um sich in der Tanzsze- ne zu verbinden, gemeinsam den Tanz sichtbarer zu machen. Es ist der Versuch, die Aufmerksamkeit der Kulturpolitik stärker auf den Tanz zu lenken, ein größeres Publikum für den Tanz zu gewinnen und zu zeigen, dass Tanz auch über Kunst und Kultur hinaus in der Gesellschaft präsent ist.

Wer ist von der Gründerseite beteiligt?

Ich würde nicht von einer Gründung — wie bei einer festen Ins- titution — sprechen, sondern von einer Initiative. Den ersten An- stoß dazu gaben vor Jahren Kajo Nelles und Felix Wittek von der internationalen tanzmesse nrw. Die Tanzmesse findet alle zwei Jahre statt, im selben Jahr wie die Tanzplattform. Alle drei Jah- re wird der Tanzkongress organisiert. Folglich gibt es alle sechs Jahre eine besondere Konstellation dieser drei internationalen Tanzevents. Die Idee war also: Statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, verbinden sich die Drei als Partner für eine größere Initiative. Und um diese Initiative weiter in den Tanzbereich zu tragen, wurde der Dachverband Tanz als vierter Partner ins Boot geholt.

Beziehen sich die Aktivitäten nur auf den künstleri- schen Bühnentanz oder soll der Tanz in seiner gesamten Breite sichtbarer werden?

Tanz hat viele Sprachen — von klassisch, modern, traditionell bis zeitgenössisch. In dieser Vielfalt steht der künstlerische Tanz im Ein Interview Zentrum unserer Initiative, aber Tanz findet nicht nur auf der Büh- von Nina Hümpel ne statt, sondern auch als Volkstanz, als Urban Dance, in Tanz- mit Michael Freundt und Ballettschulen, als Schulprojekt, in der Therapie, als Ange- zum Tanzjahr 2016 bot für geflüchtete Menschen, als tänzerische Angebote für die Gesundheitsprävention, als Experimentierfeld für die Forschung. All dies wollen wir zeigen und thematisieren.

21 Wer durfte mitmachen den Tanz, welcher am Anfang des Tanzjahres und in welcher Form? stand, war eine große Wertschätzung für die Tanzschaffenden. Entstanden ist auch das neue Eingeladen sind alle, die sich dem Gedanken Förderprogramm „Tanzland“ der Kulturstiftung dieser Initiative verbunden fühlen. Das Tanz- des Bundes, mit dem die Tanz- und Balletten- jahr ist offen für alle Tanzschaffenden. Ob sie sembles stärker auch in kleineren Städten prä- ihre Veranstaltungen mit in den Tanzkalender sent sein werden. Und in vielen Städten hat sich auf www.tanzjahr2016.de einbringen, das Logo die Tanzszene — von den Ballettschulen über oder die visuellen Elemente des Tanzjahres auf freie ChoreografInnen, bis hin zu den großen ihre Websites, Plakate oder Flyer übernehmen Kompanien — neu verbunden, wirbt gemein- oder eigene Tanzjahr-Initiativen starten. Unter sam um Publikum, macht die Kulturpolitik auf dem Titel „Transformance CityXChange“ haben sich aufmerksam. Beim zweiten Runden Tisch erstmals die freien Tanzszenen in Nürnberg, Tanzförderung im November in der Berliner Regensburg, München und Passau im Tanzjahr Akademie der Künste werden wir — mit Blick auf 2016 eine gemeinsame Veranstal- die Initiativen dieses Jahres, aber auch tungsreihe entwickelt, die im auf die zehn Jahre seit Beginn des Herbst 2016 starten wird. Tanzplan Deutschland — mit Po- 17 ChoreografInnen erar- litikerInnen des Bundes, der beiten Transformationen Länder und der Städte über ihrer Choreografien — die Förderung des Tanzes vom Ursprungsstück zur diskutieren. Neuinterpretation. Was wurde noch nicht Jetzt ist das halbe erreicht, wo liegen die Jahr um und ein Groß- Ziele für die nächsten teil der Veranstaltungen Jahre? ist bereits vergangen wie die Tanzplattform Deutschland Den künstlerischen Tanz mit der in Frankfurt, der 13. Kongress für Tanz- großen Welt all jener, die selbst tanzen — ob medizin in Dresden, die 5. Biennale Tanz- Volkstanz, Gesellschaftstanz, in Tanzprojekten ausbildung in Köln und der Tanzkongress für alle Generationen — zu verbinden, dazu kön- in Hannover. Zeit für eine Zwischenbilanz: nen wir in diesem Jahr nur die ersten Schritte Was wurde mit dieser Initiative erreicht? gehen. Eine Herausforderung bleibt es, auch jene zu erreichen, die Tanz noch gar nicht an- Wichtig war und ist die Wahrnehmung durch spricht. Vielleicht kann ein Weg dazu sein, die Politik. Dass die Kulturstaatsministerin nicht nur Musik und Clubs, sondern auch die Monika Grütters die Schirmherrschaft für das Tanzvorstellungen der Theater im Internet, in Tanzjahr übernommen hat, bedeutet schon ei- den sozialen Netzwerken stärker zu bewerben. niges. Der Empfang des Bundespräsidenten für Dazu haben wir unser Projekt „Tanz medial“ ge- startet und wollen jene Portale und Initiativen, Was passiert nach Ablauf des Jahres mit die Tanz im Internet präsentieren, seien es die den angestoßenen Initiativen wie der Tanzensembles, die KünstlerInnen oder — ganz Website mit ihren Informationen, mit wichtig — die Tanzarchive, durch Initiativen für den neuen Netzwerken und der größeren mehr Förderung unterstützen. Öffentlichkeit?

Welche Art der Unterstützung wünscht sich der Dachverband Tanz Deutschland? Die Website wird in das Portal www.danceinfo.de übergehen. Den Kalender der Tanzszene wollen Zunächst wünschen wir uns eine stärkere För- wir weiter ausbauen und die redaktionellen derung des künstlerischen Tanzes, durch die Themen z.B. durch die weitere Kooperation mit Städte, die Bundesländer und durch den Bund. tanznetz stärken. Und vielleicht gelingt dann auch am Ende des Jahres ein Programm, in dem Städte, Länder Schon heute verbinden wir die lokalen Netz- und Bund gemeinsam den Tanz stärken. werke in gemeinsamen Expertenrunden, versu- chen, mit den kulturpolitischen Verbindungen Für das Tanzjahr wünschen wir uns, dass noch die Szenen vor Ort zu stärken. Sicherlich haben mehr KünstlerInnen, Institutionen und Verbän- wir mit dem Tanzjahr auch in puncto Öffentlich- de ihr eigenes Statement zum Motto „Dance keitsarbeit einiges dazugelernt, durch Erfolge now!“ formulieren und auf ihren Internetseiten und Defizite. Und das müssen wir dann weiter- kommunizieren. So wie die Soziokulturellen führen, jede Woche, jeden Monat neu umsetzen. Zentren in Baden-Württemberg das Video „Wir tanzen aus der Reihe“ produziert haben, es Soll es weitere Tanzjahre geben? auf die Websites der Häuser stellen und so die Bandbreite der Tanzformen präsentieren, die in Rechnerisch wäre das nächste in sechs Jahren. den Zentren im Land gezeigt, geschaffen und Warum nicht? Warum nicht schon früher? kreiert wird.

Michael Freundt ist Journalist und Kritiker, er lebt und arbeitet in Berlin. Er ist stellvertretender Geschäftsführer beim ITI-Zentrum Deutschland und Geschäftsfüh- rer des Dachverband Tanz Deutschland. 23

______„YOU SHOULD DO, WHAT YOU CAN DO“___

Der Tanzkongress 2016 in Hannover

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20 TänzerInnen verteilen sich im Opernhaus Hanno- „YOU SHOULD ver. Die Foyers, Treppen, Garderoben und Balkone werden zu kleinen Bühnen. „20 Dancers for the 20th Century“ nennt DO, Boris Charmatz sein ‚Musée de la danse‘. Wie in einem Museum flanieren die BesucherInnen durch die Räume, bleiben mal kurz mal lang stehen, betrachten, ruhen aus WHAT oder machen mit. Ein Kaleidoskop der europäisch-ame- rikanischen Tanzgeschichte des letzten Jahrhunderts YOU CAN DO“ wird hier aufgefächert. Schlaglichter fallen auf einzelne TänzerInnen, ChoreografInnen, aber auch auf Stücke, die prägend waren und sind. – Zeitgenossenschaft tänzerisch

„You should do, what you can do“, sagte Dr. Mit 70 Veranstaltungen und circa 200 Refe- Anna-Maija Mertens. Die Geschäftsführe- rentInnen bot der Tanzkongress ein vol- rin von Transparency International Ger- les Programm. Fast etwas zu voll für many war eingeladen worden als die dreieinhalb Tage, denn das Ge- Respondentin zur Podiumsdis- fühl, das Meiste zu verpassen, kussion „Ethics of Decision Der war ein ständiger Begleiter. Making“. Ein ungewöhn- Tanzkongress 2016 Aber vielleicht ist auch licher und überra- in Hannover das ein Zeichen von schender Gast beim von Zeitgenossenschaft? Ein diesjährigen Tanzkon- Anja K. Arend Zeichen für das Sich-Einlas- gress, der Tanzschaffende, sen (-Müssen) auf eine Welt, in Studierende und Interessierte der unendlich Vieles gleichzeitig aus allen (Tanz-)Bereichen zu ei- geschieht, in der man aber trotz nem Branchentreffen einlud. Man traf digitaler Kommunikationsmöglichkeiten sich in Hannover, der niedersächsischen und einem beeindruckenden Angebot an Hauptstadt, um sich damit auseinanderzu- Mobilität immer nur an einem Ort wirklich setzen, was „Zeitgenoss*in sein“ heißen kann. ‚sein‘ kann. Denn, wie in den letzten Ausgaben des Tanzkon- gresses, war es den Veranstalterinnen Sabine Krassimira Kruschkova, habilitierte Theaterwissen- Gehm und Katharina von Wilcke nicht genug, schaftlerin, Dozentin an zahlreichen Universitäten, Lei- die Plattform für einen möglichst breiten bran- terin des Theoriezentrums des Tanzquartier Wien, hält den Eröffnungsvortrag. Roland Barthes wird zitiert, Ja- cheninternen Austausch zu bieten, auch zu ge- cques Derrida herangezogen. Wie lässt sich ‚Zeitgenos- sellschaftlichen Fragen sollte Stellung bezogen senschaft‘ poststrukturalistisch fassen? Was kann ‚Zeit‘ bedeuten, was ‚Genossenschaft‘? Kruschkova eröffnet werden. Und das, was die Tanzszene derzeit be- ein Frage- und Antwortspiel zwischen Stücktiteln zeit- wege, finde sich, genauso wie aktuelle gesell- genössischer Tanzproduktionen und philosophischen Ideen. Dabei bleibt sie im dekonstruktivistischen Kon- schaftliche Themen, in dem Begriff der ‚Zeitge- zept Derridas, stellt mehr Fragen, als sie Antworten nossenschaft‘, so die beiden Organisatorinnen gibt. Etwas verloren lässt sie einen zurück, und doch hat man das Gefühl zeitgenössischer Tanz besitze eine in ihrer Eröffnungsrede. Damit hatte sich der philosophisch-politische Relevanz – warum genau, fragt Tanzkongress viel vorgenommen. Tänzerisch, man lieber nicht. – Zeitgenossenschaft wissenschaftlich künstlerisch, wissenschaftlich, politisch wollte er sein. Ob das gut gehen kann, fragt man sich unwillkürlich.

27 „Border Effects“ nennt sich ein zweiter Schwer- punkt des Tanzkongresses. Er knüpft direkt an aktuelles Tagesgeschehen an, wenn er Themen wie Migration, Dezentralisierung und Dekoloni- alisierung in die Diskussion einbringt. Es geht um „übergeordnete und alltägliche Grenzen bzw. Grenzziehungsprozesse“ und um die Be- schäftigung „mit der Rolle, dem Stellenwert und der Handlungsmacht des Körpers darin“, so das Programm. In Vorträgen, Diskussionsrun- den, aber vor allem in Workshops sollen Gren- zen erfahrbar und verhandelbar werden. Der Andrang ist groß, die Workshops sind schnell ausgebucht.

Acht Damen und Herren sitzen im Halbkreis auf der Bühne des Schauspielhauses Hannover. Einer da- von, platziert in der Mitte, moderiert diese Abschluss- diskussion des Themenbereichs „Border Effects“. Es wird noch einmal rekapituliert, was in den einzelnen Work- shops, die von Zweierteams geleitet wurden, geschah. Schon bald kam man vom Konkreten ins Allgemeine: es gehe um Strukturen, um Positionierung, um Rela- tionen. Um Vorhandenes und Utopisches. Und selbst- verständlich müsse das Vorhandene („the system“) eine Veränderung erfahren („the change“). System- kritik als Selbstzweck? – Zeitgenossenschaft politisch

So wie es sich heute kaum ein Festival erlau- ben kann, nicht wenigstens eine interkulturelle Schiene anzubieten, so kann auch der Tanzkon- gress dieses Thema nicht umgehen. Denn es ist eines, das uns auf den Nägeln brennt, das im Zuge zunehmender Migrationsbewegungen zur fast täglichen Schlagzeile geworden ist. Und ja, es stellt nicht nur Gesellschaften, sondern auch jede und jeden Einzelnen vor Herausforderun- gen. Dem Tanz wird nachgesagt, er sei per se interkulturell, er agiere jenseits sprachlicher Barrieren, Nationalitäten spielen keine Rolle.

28 Aber welche Argumente hier angeführt werden, die internationale Besetzung von Tanzkompani- en oder zahlreiche Gastspiele, sind eher äußere Faktoren. Wie sieht es eigentlich mit dem Tanz selbst, den Bewegungen, dem Körper aus? Gibt es eine omnikulturell verstehbare Bewegungs- sprache? Werden Tanzstile und -traditionen ver- schiedener Kulturen genauso gleichberechtigt behandelt, wie die internationale Zusammen- setzung einer klassischen Kompanie? Dass sich der Tanzkongress diesen Fragen stellt, ist wun- derbar – und notwendig.

Aus dem Off ertönt eine Frauenstimme. Bis ins kleinste Detail beschreibt sie die Bewegungen einer Tänzerin. Zunächst kann man ganz einfach folgen. Dann ein Schritt aus dem indischen Tanz – kurzes Blackout. Der Bewegungsfluss wird gestoppt – außer man kennt sich aus mit indischem Tanz. Biografisches wird ein- geflochten. Die Tänzerin scheint sich zwischen Indien und Deutschland zu bewegen. Wo gehört sie hin? Wie sie einordnen? Grenzen verschwimmen – in der Bewe- gung, in der Biografie. Sandra Chatterjee und Johanna Devi sind beide ausgebildet in indischem Tanz und in europäischen Tanztechniken. Beide sind aufgewachsen in Deutschland und Indien. Beide belegt mit „the bur- den of representation“ – die eine blond und blauäugig, die andere schwarzhaarig und dunkelhäutig. Wie sie da so nebeneinanderstehen, öffnen sie unendlich vie- le Diskussionsebenen. Anschließend eine theoretische Verortung ihrer künstlerischen Arbeit. Das geht nicht, ohne die Biografie einzubeziehen. Und doch geht es um große Fragen, um eine Definition von „contempo- rary dance“. Der Begriff ‚contemporary‘ beanspruche für sich eine ästhetische Exklusivität. Denn nur das, was in Europa und den USA geschehe, sich in ein bestimmtes konzeptionelles, stilistisches und ästhetisches Kon- zept einordne, gelte als ‚contemporary dance‘. Decken Chatterjee und Devi hier hinter allen Diskursen von Interkulturalität und Postkolonialem eine eurozentris- tische Haltung auf? – Zeitgenossenschaft künstlerisch

29 Betrachtet man die drei Tage Diskussionen, Vor- träge, Lecture Performances und Tanzauffüh- rungen, dann hat der Tanzkongress eigentlich alle seine Ziele erreicht. Und dennoch bleibt man irgendwie unzufrieden zurück. Das mag an der Vielzahl der wegen der terminlichen Überschneidung nicht besuchbaren Veranstal- tungen liegen. Vielleicht hat es aber auch mit etwas anderem zu tun, mit einer Diskrepanz von Gewolltem und Getanem. Von gesellschaft- licher Relevanz war die Rede, von der Überwin- dung kultureller Grenzen. Und doch bleiben die meisten Diskussionen im schon bekannten Rahmen eines europäischen Kunstverständnis- ses stecken, sind eng verhaftet mit einem post- strukturalistischen Denken westlicher Schule. Eine kritische Reflexion der eigenen Position scheint nur am Rand stattzufinden. Kommt man über diese Fokussierung auf das ‚Eigene‘ an das ‚Andere‘ heran? Wird man damit einer zeitge- nössischen gesellschaftlichen Realität gerecht?

30 „You should do, what you can do“, so Dr. Anna-Maija Mertens. Dazu gehört, sich der eigenen Po- sition und Möglichkeiten bewusst sein, dazu gehört auch, die eigenen Grenzen erst einmal zu ak- zeptieren, Verantwortung zu übernehmen im Hier und Jetzt. Und es heißt auch, sich über Macht- strukturen und Hierarchien in Entscheidungsprozessen im Klaren zu sein, wie Mertens in ihrer Reaktion auf die Diskussion um „Ethics of Decision Making“ betonte. Und da reicht es nicht, diese Ideen damit abzutun, dass sich der zeitgenössische Tanz schwertue mit Begriffen wie Macht. Wenn der zeitgenössische Tanz eine gesellschaftliche Relevanz beansprucht, dann muss er sich mit der gesellschaftlichen Realität auseinandersetzen. Auch wenn einzelne Kon- zepte, zum Beispiel das der ‚Macht‘, nicht in seine künstlerischen Visionen passen. Das heißt nicht, dass er nicht ständig und mit aller Kraft daran arbeiten kann, künstlerische, ästhetische, gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Utopien wahr zu machen. Es heißt nur, dass er sich der Diskussion bestimmter Themen, Standpunkte und Perspektiven nicht von vornherein verweigern sollte. Seine eigene Position, Geschichte und theoretische Basis zu kennen und offenzulegen, ist vielleicht eine Möglichkeit zu sehen wo und wie man handlungsfähig ist. Denn „you should do, what you can do“. 31 32 ______DIE 5. BIENNALE TANZAUSBILDUNG IN KÖLN_____

Ein Interview mit Vera Sander

33 DIE 5. BIENNALE TANZAUSBILDUNG IN KÖLN Ein Interview mit Vera Sander

Vera Sander, es gibt die Biennale Tanzausbildung seit 2008. Warum und von wem wurde sie gegründet?

2008 wurde von Tanzplan Deutschland im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss der professionellen Ausbildungsinsti- tutionen – der Ausbildungskonferenz Tanz (AK|T) im Jahr 2007 – ein ganz neues Projekt auf den Weg gebracht, die Biennale Tanzausbildung. Initiator war Ingo Diehl, der damals im Team Tanzplan wirkte und sich im Besonderen dem Bereich der Aus- bildung widmete. Die erste Biennale fand am Hebbel am Ufer in Berlin statt und bot den Hochschulen mit Tanzausbildung so- wie den Berufsfachschulen ein Forum zu einem bundesweiten fachlichen Austausch und der Präsentation des Könnens ihrer Abschlussklassen. Sicherlich trug der Erfolg der ersten Biennale sowie der Zusammenschluss der Tanzausbildungsinstitutionen zur AK|T entscheidend dazu bei, dass sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereit erklärte, die zweite Biennale Tanzausbildung zu fördern. Seitdem fördert das BMBF dieses international anerkannte Ereignis. 2013 wurde die Biennale Tanzausbildung in die Liste der kulturellen Bundeswettbewerbe des BMBF aufgenommen. Eine weitere Erfolgsmeldung in der Geschichte der Biennale Tanzausbildung, die dazu führte, dass die Biennale Tanzausbildung dank der Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung fortan regelmäßig stattfinden kann. 34 Welche Rolle Als nationales und internatio- eine Sichtbarkeit verleiht. Wie spielt die Biennale nales Kunstereignis stellt sie wichtig und einmalig die Bien- Tanzausbildung in der nicht nur eine Plattform für nale Tanzausbildung ist, zeigt Tanzwelt? Studierende, KünstlerInnen das große Interesse, das sie Gibt es weitere Initiativen sowie Lehrende dar, sondern im In- und Ausland gefunden dieser Art in Europa oder befördert auch die Diskussi- hat. Zahlreiche Tanzinstitutio- in der Welt? onen über Internationalisie- nen interessieren sich für den rung in der Ausbildung. Sie Zusammenschluss zur AK|T Die Ausbildungskonferenz bietet die Möglichkeit des Aus- sowie für die Teilnahme an der Tanz (AK|T) setzt mit der Durch- tauschs über Ländergrenzen Biennalen Tanzausbildung. führung der Biennale Tanzaus- hinweg. So kann ein interna- Sie schätzen das gemeinsame bildung wichtige Impulse in tional geführter Dialog ein dif- Arbeiten von internationalen der Diskussion um Tanz und ferenzierteres Verständnis von Studierenden und Lehrenden Ausbildung. Sie ist ein viel- methodischen und konzepti- im Bereich der Tanzausbil- schichtiger und besonders onellen Herangehensweisen dungen sowie den Austausch sichtbarer Ort für Austausch, und künstlerischer Praxis be- zwischen den eingeladenen Begegnung, Produktion und fördern. Die Biennale ist ein KünstlerInnen, Studierenden, den öffentlicher Diskurs von Instrument, das die Gemein- Lehrenden, WissenschaftlerIn- Tanzausbildung geworden. schaft der AK|T stärkt und ihr nen und der Öffentlichkeit.

35 36 Welche Ausbildungen Kunst in Frankfurt am Main und im Frankfurt werden dazu eingeladen Lab statt. Die 4. Biennale Tanzausbildung 2014 und warum? wurde an der Palucca Hochschule für Tanz Dres- den zum Thema „EDUCATION_PROFESSION Die Biennale Tanzausbildung dient der Förde- — A CREATIVE PROCESS“ ausgerichtet. Die rung des Nachwuchses im Bühnentanz sowie Präsentationen der AbsolventInnen fanden dem fachlichen Austausch der Tanzausbildungs- in der Semperoper Dresden statt. Die 5. institutionen untereinander. Sie ist ein Forum Biennale Tanzausbildung 2016 an der für Austausch und Begegnung von Studieren- Hochschule für Musik und Tanz Köln/ den und Lehrenden und bietet eine Plattform, Zentrum für Zeitgenössischen Tanz auf der AbsolventInnen aller AK|T-Institutionen wurde mit den Präsentationen und (auf Einladung auch) internationaler Ausbil- der AbsolventInnen in der Oper dungsinstitutionen einem breiten Publikum in Köln/Staatenhaus 1 eröffnet wechselnden Präsentationsformen sowohl sich und widmete sich dem The- selbst als auch Projekte und Arbeitsergebnis- ma „Reflexion und Feed- se, die in Bezug zu den Themen der jeweiligen back“. Biennalen stehen, vorstellen. In diesem Jahr nahmen neben den zehn nationalen staatlich Gibt es auch für Tanzlaien anerkannten Ausbildungsinstitutionen im Be- oder den Tanzzuschauer reich Tanzausbildung fünf internationale Aus- dort etwas zu bildungsinstitutionen teil: Codarts/Rotterdam, erleben? SNDO/Amsterdam, DOCH/Stockholm, Tisch/NY, Ballet School Toronto. Ja, sicher! An zwei Abenden präsentieren AbsolventInnen In welchen der zehn nationalen staatli- Städten und auf welchen chen und fünf internationalen Bühnen findet die Ausbildungsinstitutionen Choreo- Biennale statt? grafien, die sich mit dem Thema der Biennale befassen. Diese werden Die 1. Biennale Tanzausbildung Tanzplan mit den Studierenden in ihrem letzten Deutschland fand 2008 im HAU in Berlin zum Ausbildungsjahr von internationalen Cho- Thema „Digital Tools und Neue Medien in der reografen einstudiert. Die Präsentationen Ausbildung“ statt. 2010 wurde mit Unterstüt- geben einen Überblick über die beeindru- zung von Tanzplan Deutschland, des Bundesmi- ckende Vielfalt und die herausragende Qualität nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) der AbsolventInnen der Tanzausbildungsins- und RUHR.2010 die 2. Biennale Tanzausbildung titutionen. Die Sichtbarmachung fördert zum zum Thema „Methoden der Rekonstruktion“ in einen den allgemeinen Diskurs über Fragen Essen an der Folkwang Universität der Künste im Zusammenhang mit Ausbildungsinstituti- durchgeführt. Die 3. Biennale Tanzausbildung onen und Möglichkeiten und rückt zum ande- zum Thema „KULTURERBE TANZ“ fand 2012 an ren die Kunstsparte Tanz in den Blick der Ge- der Hochschule für Musik und Darstellende sellschaft. Junge Nachwuchstalente erfahren 37 es als besondere Chance und Was auf Einladung fünf internatio- Vorbereitung auf künftige be- hat sich geändert nale Institutionen teil. Neben rufliche Herausforderungen, seit den Anfangszeiten? den regelmäßig stattfinden- ihre Arbeit in diesem Rahmen den Weiterbildungen der AK|T zu zeigen. Die Biennale ist für Ausdrücklicher Wunsch der wurde in Köln erstmals ein sie eine großartige Bühne, um Ausbildungskonferenz Tanz ist Lehrendenworkshop in das ihre künstlerische Arbeit öf- es, dass die Biennale Tanzaus- Programm integriert. Dies för- fentlich zu präsentieren und bildung in unterschiedlichen dert den Austausch in einer eine tolle Chance tanzinteres- Städten – jeweils angebunden Verschränkung von Theorie sierte Laien daran teilhaben zu an ein AK|T-Mitglied als austra- und Praxis. lassen. gende Institution – stattfindet. Das ermöglicht es, innerhalb Was war der Schwerpunkt, Zum Abschluss der Biennale der erprobten Grundstruktur das Thema der 5. Biennale findet für die Teilnehmenden der Biennale spezifische Ent- Tanzausbildung der Biennale sowie ein interes- scheidungen zu treffen, die in Köln? siertes Publikum ein Fachsym- es der künstlerischen Leitung posium statt. In Köln wurden erlauben, der jeweiligen Bien- Der zentrale Gedanke war, die in einem eintägigen Symposi- nale ein eigenes Gesicht zu 5. Biennale Tanzausbildung um „Feedback and Reflection: geben. Jede Biennale erhält Köln 2016 in besonderer Wei- (Re)Thinking Modes of Artistic so eine eigene Farbe, wid- se der Kultur des Feedbacks Learning“ vertiefend Fragen, met sich einem eigenen The- und der Reflexion im künst- die sich in Bezug zu Feedback ma und sucht innerhalb des lerischen Kontext zu widmen. stellen, reflektiert. Vorträge, Netzwerks der austragenden Rückkopplungsprozesse und Lectures und Lecture Perfor- Institution nach Partnern. Das Reflexionsverfahren werden mances mit internationalen prägt jede Biennale auf eine mittlerweile als berufliches GastreferentInnen bezogen ganz besondere Art und macht Handwerkszeug vielseitig sich in dem Symposium u.a. jede Biennale einzigartig und eingesetzt. In mehrtägigen auf die Themenfelder der anders. praktischen Workshoplabo- Workshops, so dass es auch ren mit internationalen Work- für ein interessiertes Publi- Ein wichtiger Schritt für die Ver- shopleiterInnen gingen die kum möglich war, sich mit den stetigung der Biennale Tanz- Teilnehmenden Fragen nach, Inhalten und Fragestellungen ausbildung war die Aufnahme die sich in Bezug zu Feedback der Workshops und der Ar- dieser Veranstaltung in die Lis- stellen. In vier Workshops für beitstreffen der Kölner Bien- te der kulturellen Bundeswett- Studierende, die von Dana nale zu befassen, auch wenn bewerbe des BMBF. Weiterhin Caspersen/Amy Raymond, sie nicht selbst daran teilneh- ist es gelungen, die Biennale Ramus Ölme/Ulrika Berg, Yael men konnten. für internationale Gäste zu Schnell/Jörg Schiebe und öffnen. Inzwischen nehmen Russell Maliphant im Co-Tea- dank der Unterstützung des ching-Team angeleitet wur- BMBF an der Biennale neben den, konnten die Teilnehmen- den zehn AK|T-Institutionen den in einer Verschränkung 38 ZAV-Künstlervermittlung Tanz Ihre Agentur für Tanz, Training und Choreografie Die ZAV-Künstlervermittlung Tanz ist Ansprechpartner für alle Theater und professionellen Tanzschaf- fenden. Wir vermitteln Ballett- und TanztheaterdirektorInnen, ChoreografInnen, TänzerInnen, Ballett- meisterInnen, Ballett-ManagerInnen, AssistentInnen, DramaturgInnen sowie Ballett-RepetitorInnen in Engagements an staatliche und städtische, freie und private Bühnen und Compagnien in Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und der Schweiz

Juliane Rößler: +49 (0)40 284015-39 • [email protected] Dirk Elwert: +49 (0)341 33731-141 • [email protected] www.zav-kuenstlervermittlung.de

39 Canada’s National Ballet School Toronto bei der 5. Biennalen Tanzausbildung in Köln 41 von Theorie und Praxis dem Studierende, Lehrende und welchen Vorstellungen und Thema der Biennale nachge- Gäste an einem offenen Pro- Interessen die eingeladenen hen. Dabei behandelte jeder motionskolloquium teilneh- NachwuchskünstlerInnen und Workshop einen spezifischen men. Auch konnte in Veran- Lehrenden nach Köln kommen Aspekt in Bezug auf das The- staltungen wie etwa „Forms of und was die Biennale an Mög- ma der fünften Biennale. Ein Research“ ein Austausch über lichkeiten der Auseinanderset- vielschichtiges Angebot von Fragen zu künstlerischer For- zung und Entwicklung bieten Sharing Events unterfütterte schung stattfinden. kann, war Teil der konzepti- den Austauschprozess. Erst- onellen Überlegungen. Ein mals wurde ein Workshop für Ging erster Think Tank gab wichtige Lehrende in das Programm die Idee auf? Impulse und diente der Vorbe- der Biennale aufgenommen. reitung. Während dieser Auf- Unter Anleitung eines Work- Die positive Resonanz im An- taktveranstaltung im Kölner shopleiters können fachspezi- schluss an die Biennale lässt Zentrum für Zeitgenössischen fische Fragen bearbeitet und das vermuten. Tanz, die im März 2014 statt- ein nachhaltiger Austausch fand, äußerten vor allem Stu- angeregt werden. Für MA-Stu- Was reizte Sie dierende den Wunsch, diese dierende nationaler und inter- persönlich an dieser Biennale auch als Rahmenset- nationaler Studiengänge im Aufgabe? zung für ein „soziales Gefüge“ Bereich Tanz, Choreografie, mit Raum für Gestaltung zu Tanzwissenschaft, Performan- Das Thema der 5. Biennale Tan- verstehen. In einem zweiten ce Studies, Tanzpädagogik zausbildung „Feedback und Think Tank im Mai 2015 im und Tanzvermittlung wurden Reflexion“ ist für mich nicht ZZT haben Studierende und tägliche Knotenpunkte ange- nur ein wichtiges und aktuel- Lehrende sich in mehreren boten, die in verschiedenen les Themenfeld. Die Ausein- Arbeitsgruppen getroffen, um Formaten Raum für Diskussion andersetzung darüber fordert Gedanken und Ideen für das bieten – von einer Feedback- geradezu dazu auf, Inhalte Programm zu konkretisieren praxisgruppe bis zu indi- und Formate der Biennale auf und auszuarbeiten. Diesen viduellen Mentoring-Sessions. ihre Wirkung und Wechsel- Geist in die Biennale einflie- Diese „Diurnal Interchanges“ wirkung hin zu befragen und ßen zu lassen, war eine sehr bildeten die Grundlage der bei der Gestaltung des Pro- schöne und reizvolle Aufgabe, Feedbackpraxisgruppe wäh- gramms in besonderer Weise der ich mich zusammen mit rend der Biennale. Weiterhin zu berücksichtigen. Im Vorfeld Mariella Greil leidenschaftlich gab es die Gelegenheit, sich der Kölner Biennale haben wir gestellt habe. über den Bereich der For- daher viele Überlegungen an- schung auszutauschen. Bei- gestellt, welche Bedingungen spielsweise war es möglich, ei- geeignet sind, um Studieren- nen Einblick in die Forschung de, Lehrende, Gäste und Öf- am Zeitgenössischen Zentrum fentlichkeit in unterschiedli- Tanz der HfMT Köln zu erhal- chen Formaten miteinander ten. Dazu konnten interessierte in Kontakt zu bringen. Mit 42 Was wünschen Sie sich für die Entwicklung der Bien- Frédérick nale Tanzausbildung in der Zukunft? Gravel Ich wünsche mir für die Bien- Grouped’ArtGravelArtGroup nale eine weiterhin kontinu- ierliche Unterstützung und All Hell is gute Zusammenarbeit mit Breaking Loose, dem BMBF, den KünstlerInnen Honey und WissenschaftlerInnen, Partnern und Förderern, die diese international anerkann- te Plattform unterstützen und die Biennale weiterhin als her- ausragendes Ereignis der Tanz- landschaft ermöglichen.

Tanztheater

Vera Sander ist Leiterin des Zentrum für Zeitgenössischen Tanz Ort: Muffathalle Zellstraße 4, 81667 München und Professorin für zeitgenössi- Infotelefon 089 – 45 87 50 10 schen Tanz an der Hochschule für www.muffatwerk.de Musik und Tanz Köln. Sie lehrt Einlass: 20Uhr Eine Veranstaltung des Muffatwerkes in Kooperation mit ACCESS TO DANCE. u.a.: zeitgenössische Tanztech- Access To Dance wird ermöglicht durch das Kulturreferat der LH München und dem nik, Methodik, Aufführungspraxis. Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT)

Neben ihrer akademischen Tätigkeit ist sie als Choreografin tätig. Als Gastlehrerin ist sie re- Mi Do gelmäßig für das professionelle Training verschiedener Tanzensem- bles und Workshops verantwortlich. 12.10 13.10 43 _____WO STEHT DER ZEITGENÖSSISCHE TANZ?______Die Tanzplattform Deutschland 2016 von Boris Michael Gruhl

4444 45 Die Tanzplattform Deutschland war im „Tanz- Interessanterweise ging der Blick in diesem jahr 2016“ nach 22 Jahren an den Ort ihres Ur- Jahr auch weit in die Vergangenheit. „Das Tria- sprungs zurückgekehrt. In Frankfurt am Main dische Ballett“ von Oskar Schlemmer und Albert fand dieses ‚Theatertreffen des Tanzes’ 1994 Burger wurde 1922 im Kleinen Haus des Würt- erstmals statt und sollte fortan insbesondere tembergischen Landestheaters in Stuttgart ur- für internationale FachbesucherInnen in kom- aufgeführt und markiert eine für Deutschland primierter Form zeigen, wo sich der freie Tanz in wesentliche Entwicklung des Zusammenge- Deutschland befindet. hens darstellender und bildender Künste im Be- reich des modernen Tanzes. Zur Tanzplattform In diesem Jahr hatte sich nicht nur mit Veranstal- 2016 zeigte das Bayerische Staatsballett II eine tungsorten in Bad Homburg, Darmstadt, Rekonstruktion dieses Werkes aus dem Offenbach und Frankfurt die Jahre 1977 von Gerhard Bohner. Plattform zu einem Tanznetz Im Zusammenhang mit neu- entwickelt, man trug auch eren Arbeiten freier Tän- konsequent der Tatsa- WO zerinnen und Tänzer, che Rechnung, dass gefördert durch den Stadt- und Staats- STEHT TANZFONDS ERBE, theater sich längst DER die sich weniger nicht mehr ver- im Sinne strenger schließen vor jenen ZEITGENÖSSISCHE Rekonstruktionen, Formen des Tanzes, als freier, zeitgemä- der Performance, TANZ? ßer Auseinander- die einst lediglich Die Tanzplattform setzung mit histo- in der freien Szene zu Deutschland rischen Anregungen Hause waren. 2016 beschäftigen, macht dieses Gastspiel durchaus Zudem zeigte das Pro- Sinn. Allerdings hätte man gramm dieses Jahres wie weit der sich eben auch ein Gastspiel an- Begriff ‚Tanz’ von der Gruppe der JurorInnen derer Art der Auseinandersetzung mit den gefasst wurde und wie sie damit auf die aktuel- historischen Experimenten des freien Tanzes le, schwer zu überschauende Szene zu reagie- vorstellen können. ren versuchen. In diesen Kontext passt auch das Gastspiel von Am Ende hatte man allerdings auch den Ein- Adam Linder aus Berlin, welches sich auf Léonide druck, dass diese Auswahl als Anregung ver- Massines Choreografie „Parade“ zur Musik von standen werden kann, sich erneut mit Kriterien Erik Satie in der Ausstattung Pablo Picassos von des professionellen, zeitgenössischen Tanzes zu 1917 für die Ballets Russes bezieht. Das Stück beschäftigen, denn teilweise herrschte auf der erregte Aufsehen, weil nach den Anweisungen Tanzplattform 2016 so gut wie völlige Tanzfrei- des Autors Jean Cocteau Gebärden des alltägli- heit. chen Lebens durch Übertreibungen und Ironi- sierungen in mitunter absurde Szenen des Tan- 46 zes gesteigert wurden. Linder sie verschieden aufgenom- kopiert nicht, bestenfalls zitiert men werden, versteht sich von er. Noch besser ist er, wenn er selbst. Aber die Signalwirkung auch ironisiert in seiner Para- angesichts einiger tanzfreier de alltäglicher Eitelkeiten, die Projekte wie „On Trial Together er durch seinen Berufsstand (Episode Offenbach)“ von Ana als Tänzer bestens kennt. Au- Vujanović & Saša Asentić aus genzwinkernde Ironie, so ex- Berlin als Gesellschaftsspiel nach strengen Regeln zele- akt wie elegant getanzt, dazu und Happening anhand der brierten Gewalt- und Schmer- eine intelligente Soundcollage Frage was Theater und was zexzesse einbeziehen, wobei in hintergründigen Korrespon- Choreografie sei, ist da. sich Letzteres auf die Verfüh- denzen, deren Parade gerade- rung zu gedanklicher Zunei- wegs in die Gegenwart führt. Wie weit die Begriffe ‚Tanz’ gung beschränkt. und ‚Choreografie’ gefasst Linders Arbeit lässt sich gut werden können, wurde streit- Von allem etwas hatten die im Zusammenhang mit den bar deutlich an dem Stück drei etablierten Kompanien Arbeiten junger Tänzerinnen, „Violent Event“, in dem sich anzubieten. So zur Eröffnung Tänzer, Choreografinnen und Verena Billinger & Sebastian das Regieduo Gintersdorfer/ Choreografen sehen, die dem Schulz mit der Faszination von Klaßen aus Berlin, Bremen und Tanz in ganz unterschiedlichen Gewalt auseinandersetzten Abidjan im Frankfurter Schau- Facetten verpflichtet sind. Dass und die Zuschauenden in die spielhaus „Not Punk, Pololo“. 47 48 Wüsste man nicht, dass dieses Stück schon älter ist, man hät- te es für eine Auftragsarbeit zur Illustration der überlangen und sich wiederholenden Er- öffnungsreden halten können. Denn da war selbstverständ- lich die Rede von den Versuchs- laboren des Tanzes, von der In- ternationalität dieser Kunst als Spiegel der sich wandelnden Gesellschaft hin zu einem er- weiterten Deutschlandbegriff und natürlich, im Hinblick auf Ebenso etabliert wie Gintersdorfer/Klaßen und Isabelle Schad die konkrete Aufführung, den aus Berlin und Poznan, die sich mit „Collective Jumps“ schrei- Problemen der Übersetzung tend und schwingend und verknotend den Traditionen des Volks- und der Verständigung. tanzes zuwendet und dabei in esoterischem Leerlauf verebbt, ist Meg Stuart aus Brüssel mit ihrer Kompanie Damaged Goods, die In einer Parade der Popkultu- ihre vorerst letzte Koproduktion mit den Münchner Kammerspie- ren treffen Stile und Sprachen, len zum Festivalfinale zeigte. körperlich, verbal und musika- lisch aufeinander in dieser so „Until Our Hearts Stop“ hätte zum grandiosen Satyrspiel wer- schrillen wie lautstarken, lei- den können, mangelte es diesem über zweistündigen Abend der aber auch nicht enden wol- nicht zu oft an dramaturgischer Konsequenz. So berührend und lenden Revue einer ivorisch- verstörend, so unterhaltsam und verunsichernd, so sensibel wie europäischen Koproduktion, hintergründig diese Spiele der Menschen sind, die ihre Seelen bei der es Methode ist, die und Herzen auf der nackten Haut tragen, bei denen es für keinen Übersicht zu verlieren und den Moment peinlich oder beschämend wird, wenn bei vaginalen Er- immer schwieriger werdenden kundungen der Frauen die Schamgrenzen fallen und Männer zu- Versuchen eines Übersetzers nächst verschämt, dann immer offensichtlicher erotisch kungeln nicht mehr folgen zu können. und kampeln, wenn die Versuche der Menschen, sich im Gegen- über zu den Klängen eines Jazz-Trios neu zu erfinden scheitern, sie sich dadurch aber nicht entmutigen lassen, es fehlt das Maß. Nach einer guten Stunde ist der Dampf raus, dann wird geblö- delt, gequasselt, das Publikum mit einbezogen und der zunächst so gelungene Exkurs über die beschädigte Ware Mensch und de- ren tragikomischen Reparaturversuchen nimmt selber Schaden.

49 Wahrhaft neue Tendenzen konnte man an drei Eine Arbeit von existenzieller Eindringlichkeit, Produktionen ablesen: suggestiv und sensibel, präsentiert der in Wien und Berlin lebende Tänzer und Choreograf Ian Ganz gegenwärtig, ganz ohne Musik und Video, Kaler gemeinsam mit seinem Wiener Kollegen hergeleitet aus den sich wiederholenden End- Philipp Gehmacher mit der Soundkünstlerin losschleifen der Bewegungsformate aus dem Aquarian Jugs (Jam Rostron). Kalers Choreografie Fitnesswahn, präsentiert Paula Rosolen aus heißt „o.T. / (gateways to movements)“ und ist Frankfurt ihr Ballett in drei Akten, „Aerobics!“. ein 50 Minuten währender in der Sie findet Spuren des klassischen Balletts in Spannung aus Distanz und Nähe, Einsamkeit den Bewegungen der Alltagskultur, sie spürt und deren Überwindung trotz unvermeidlicher den Parallelen anhand der Faszination sich wie- Trennung. Erstaunlich, mit wie überzeugendem derholender Bewegungen nach und bringt sie Raumgefühl Kaler eine Abfolge von Bildern ge- zueinander in Raum- und Bildkompositionen, staltet, wie er es vermag hinter der scheinbaren die nicht in jedem Fall überkommenen Vorstel- Äußerlichkeit von Versatzstücken der Clubkul- lungen von Tänzerinnen und Tänzern entspre- tur Strukturen der Sehnsucht zu erkennen, die chen müssen. Zudem kennt Paula Rosolen den er dann im Wechsel aus Expression und Zurück- Unterschied zwischen Albernheiten und Humor. nahme in künstlerische Formen verwandelt. Kein Wort, kein Video, die Dynamik aus Kör- persprache und Klang ist in der Korrespondenz zum Raum beredt genug. Um die Reduktion der Körpersprache, um ‚störrische Ruhe’ geht es in „(b)reaching stillness“ von Lea Moro. Minimalismus der kör- perlichen Bewegungen gegen den Überwältigungssound von Gustav Mahler, Tanz als Ästhetik des Widerstandes. Diese Wider- ständigkeit erweist sich am Ende auch als verbindendes Motiv dieser so unterschiedlichen und gegensätzlichen Gastspiele der Tanzplattform 2016 bei einer Auslastung von fast 100% mit ins- gesamt 10.562 Besucherinnen und Besuchern.

51 ______DIE UMFRAGE______von Lulu Tikovsky ROBERT CONN TAMAS DETRICH INGO DIEHL HONNE DOHRMANN JUTTA EBNOTHER KERSTIN EVERT ERIC GAUTHIER JESSICA IWANSON MARIELUISE JEITSCHKO IVAN LIŠKA GOYO MONTERO GÜNTER PICK ANTONY RIZZI SILVANA SCHRÖDER SIMONE SCHULTE CHRISTIAN SPUCK BETTINA WAGNER-BERGELT GERT WEIGELT

53 ROBERT CONN

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Eine Rückbesinnung zur Neo- klassik durch Choreografen wie Wheeldon, Millepied oder Ratmansky.

ChoreografIn des Jahres: Edward Clug.

TänzerIn des Jahres: Katherina Markowskaja am Bayerischen Staatsballett. Welches Thema beschäf- tigt Sie gerade im Tanz? Die Frage, wie Choreografen Aufführung des Jahres: Handlungsstücke in zeitge- „Pure“ von Dominique Dumais nössische Bewegungs- und am Nationaltheater Mann- Bildersprache übersetzen und heim. sie einem heutigen Publikum vermitteln können. Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Die Kunstfertigkeit des „Part- nerings“ kommt bei vielen neuen Werken zu kurz.

54 TAMAS DETRICH

TänzerIn des Jahres: Friedemann Vogel. Er tanzt seit Jahren auf höchstem Niveau und ist ein Weltstar. Ein auffälliger Trend der Aber in dieser Spielzeit ist er Spielzeit 2015/2016? über sich selbst hinausge- Jet-Set-Tänzer. Viele junge wachsen: Er tanzt so frei und Tänzer wollen alles sofort mit so viel Leidenschaft! Er ist erreichen. Ich denke Geduld ein Vorbild für alle. und Vertrauen wären manch- mal die bessere Antwort und Aufführung des Jahres: man muss verstehen, dass Zum einen: unser Gastspiel die Kompanie als Ganzes von John Crankos „Romeo etwas Besonderes ist. Aber in und Julia“ in Salzburg. Es hat Stuttgart ist mir in der letzten alles gepasst, dieser Abend Spielzeit vor allem die Kreati- war ein absoluter Traum! Zum Welches Thema beschäf- vität aufgefallen: Es wird nicht anderen: „Nijinski“, das neue tigt Sie gerade im Tanz? nur getanzt, es wird choreo- Ballett, das Marco Goecke für Aktuell beschäftigt mich un- grafiert und experimentiert. Gauthier Dance im Theater- sere anstehende Festwoche! Die jungen Tänzer haben haus Stuttgart kreiert hat. In den letzten sechs Monaten dabei sehr viel Mut; das finde habe ich aber meine Inten- ich sehr stimulierend! Gibt es etwas, das Sie in danz ab 2018/19 vorbereitet der derzeitigen Tanzszene und habe deshalb etliche Vor- ChoreografIn des Jahres: vermissen? stellungen und Kompanien Für mich gab es ein ‚Come- Nein, im Gegenteil. Ich konnte gesehen und viele Gespräche back’ des Jahres: William in dieser Spielzeit so viel Krea- geführt. Es geht darum, mei- Forsythe, der die Liebe zum tives beobachten, ich habe so ne eigene Vision zu verwirk- Ballett wiedergefunden hat viel Spannendes gesehen. Die lichen. Im Moment sind alle und mit seinem Werk „Blake letzten sechs Monate waren Türen offen und es gibt viele Works I“ an der Pariser Oper sehr aufregend für mich — ich Möglichkeiten — es ist eine eine wunderbare Hommage blicke momentan sehr opti- spannende Zeit! an das Ballett geschaffen hat. mistisch auf die Tanzwelt!

55 INGO DIEHL

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Auflösung des Theaterraums – partizipative Vorstellungs- und Vermittlungsformate. Der Körper in Bewegung steht wieder mehr im Mittelpunkt, exzessiver und direkter.

ChoreografIn des Jahres: Viele tolle Produktionen, nicht eine einzelne, die ich an dieser Stelle rausheben wollte. Boris Charmatz und Meg Stuart und Lia Rodrigues Welches Thema beschäf- – auch immer wieder gut! tigt Sie gerade im Tanz? Wo steht der Tanz in Zeiten TänzerIn des Jahres: gesellschaftlicher Verände- Marlene Freitas. rungen? Und ganz konkret: Welche Berufsperspektiven haben AbsolventInnen heute Aufführung des Jahres: bzw. wie können wir aus der Die letzten Lectures meiner Ausbildung heraus produk- MA CoDE-Studierenden. tive Verbindungen in die Gesellschaft und in ein breites Gibt es etwas, das sie in Arbeitsfeld herstellen? der derzeitigen Tanzszene vermissen? Eine Öffnung über die diver- sen Tellerränder.

56 HONNE DOHRMANN

Welches Thema beschäf- tigt Sie gerade im Tanz? 1) Wie man Pflicht und Kür in einer Staatstheaterkompanie so unter einen Hut bringt, dass daraus Neues entstehen kann. 2) Wie Tanz gesellschaftlich relevant sein kann.

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Partizipation wird zum Stan- dard.

ChoreografIn Gibt es etwas, das Sie in des Jahres: der derzeitigen Tanzszene Anouk van Dijk/Falk Richter. vermissen? Choreografen aus Deutsch- TänzerIn des Jahres: land, die auch international Solène Weinachter. Trends setzen können.

Aufführung des Jahres: Obwohl ich sonst eigentlich kein Fan bin: „Fractus V“ von Sidi Larbi Cherkaoui.

57 Welches Thema beschäftigt Sie JUTTA gerade im Tanz? Ganz persönlich beschäftigt mich mein Umzug von Nordhausen ans Mecklenburgische Staats- EBNOTHER theater in Schwerin. Eine neue spannende Zeit, die mir viel Motivation und gute Impulse für meine Arbeit gibt!

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Nicht wirklich!

ChoreografIn des Jahres: Marco Goecke.

TänzerIn des Jahres: Es gibt viele junge sowie erfahrene, talentierte, aufregende und gute TänzerInnen ... Ich habe im Moment niemanden, den ich besonders erwähnen kann!

Aufführung des Jahres: Das, was ich in diesem Jahr gesehen habe, war nicht das, was für mich „Aufführung des Jahres“ war.

Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Vielleicht ist es eher etwas, das mit Ehrlichkeit zu beschreiben ist. Egal ob Tanzschaffender oder Tänzer – ich möchte berührt sein und glauben, dass es ‚real’ ist!

58 59 KERSTIN EVERT Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Langsam aber stetig wird auch in der Tanzsze- ne in Deutschland der Bereich „Tanzprodukti- onen für junges Publikum“ aktueller, das ist eine wichtige Entwicklung. ChoreografIn des Jahres/Aufführung des Jahres: Antje Pfundtner mit ihrer Produktion „nimmer“, die als Variante für junges Publikum und als Variante für Publikum jeden Alters existiert.

TänzerIn des Jahres: Alle Tänzerinnen und Tänzer, die sich den schwierigen Bedingungen des Arbeitens in der freien Szene stellen ... Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Weiterhin und immer noch die Frage, wie und Tanzszene vermissen? wann eine wirklich substanzielle Förderung Einen Dialog zwischen Ausbildungsinstituti- des Tanzes auf Bundesebene realisiert wer- onen im Bereich Tanz/Choreografie und dem den kann. Ich hoffe, dass wir dem Ziel in der ‚Tanzmarkt’, also allen Kontexten und Instituti- kommenden Spielzeit näher kommen, denn onen, auf die die AbsolventInnen anschließend schließlich ist das eine noch offene Aufgabe treffen. Teilnehmende dieses Dialogs soll- des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU ten auch die jeweils fördernden Ministerien/ und SPD im Bund für die laufende 18. Legislatur- Behörden aus Wissenschaft und Kultur sein. periode.

60 ERIC TänzerIn des Jahres: Keine einzelne Person! Für GAUTHIER mich sind das alle Tänze- rinnen und Tänzer, die in Welches Thema beschäftigt unserem schönen, aber auch Sie gerade im Tanz? so schweren Beruf arbeiten. Die Situation für den Tanz in Jeden Tag versetzen sie die Stuttgart entwickelt sich gerade Grenzen ein kleines bisschen sehr erfreulich. In Aussicht mehr. Chapeau! steht der Bau eines eigenen Tanzhauses gegenüber vom Aufführung des Jahres: Theaterhaus Stuttgart, das "OCD Love" von Sharon Eyal. nicht nur Raum für Gauthier Ich habe dieses Stück vor Dance, sondern auch für die einem Jahr und aktuell letzte freie Szene bietet. Was für Woche gesehen. Es hat mich eine schöne, partnerschaftli- gepackt wie beim ersten Mal. che Perspektive! 60 Minuten pure, atemberau- bende Intensität aus Israel. Ein auffälliger Trend Und sechs Performer, die sich der Spielzeit 2015/2016? die Seele aus dem Leib tanzen. Einer, der mir sehr entgegen- kommt: Es wird wieder mehr erzählt im Tanz. Plötzlich gibt Gibt es etwas, das Sie in es überall Handlungsballette der derzeitigen Tanzszene und starke Geschichten. So vermissen? kann es weitergehen. Was ich grundsätzlich vermisse: Synergien und eine stärkere ChoreografIn kollegiale Vernetzung. Wir des Jahres: könnten so viel mehr erreichen! Da muss ich nicht lange über- Die Organisationen und Struk- legen — und sorry, es betrifft turen dafür gibt es im Prinzip, eine Produktion von Gauthier aber wie immer läuft es auf Dance. Doch wenn man sich Psychologie hinaus. Vor lauter die begeisterten Reaktionen Arbeit schmoren wir alle zu anschaut, bin ich mit dieser sehr im eigenen Saft. Meinung bestimmt nicht alleine. Ganz klar: Marco Goecke.

61 JESSICA IWANSON

ChoreografIn des Jahres: Alessandro Pereira. Ich verfolge ihn und seine Arbeit seit er am Münchner Gärtnerplatztheater tanzte. Heute ist er „Choreographer in Residen- ce“ am Danish Dance Theatre in Kopenhagen. Für unsere Absolventen 2016 hat er gerade eine abstrakte Kurzchoreografie für vier Paare geschaffen: zeitgemäß, poetisch, technisch an- spruchsvoll und theatral. Tanz für den 7. Sinn.

TänzerIn des Jahres: Wally Wolfgruber. Eine Schülerin der frühen Welches Thema beschäftigt Sie 80er-Jahre. 1991 habe ich ein Duett für sie und gerade im Tanz? Frey Faust choreografiert. Schon damals fas- Nicht erst seit Akram Khans unglücklicher Äu- zinierte sie mich durch ihre komplexe Tänzer- ßerung zum Thema Frau: Ich möchte vor allen persönlichkeit. Nach einer Karriere u.a. bei Lar Dingen junge Choreografinnen fördern, ermu- Lubovitch unterrichtet sie heute in New York an tigen, motivieren. Das wird auch die Arbeit der der Purchase University und arbeitet in freien Iwanson-Sixt-Stiftung in den nächsten Jahren Produktionen. Und auch mit 52 noch immer prägen. technisch perfekt, sensibel und bühnenprä- sent. Und mit dem gewissen Extra. Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Aufführung des Jahres: In der freien Szene vor allen Dingen der Trend Für mich natürlich „Junger Tanz“ im Gasteig, weg vom großen Ensemble. Und ich denke Mai 2016. Es ist schon faszinierend den Nach- nicht, dass das eine künstlerische Frage ist, wuchs in den Startlöchern zu erleben. Eine Art sondern eine finanzielle. Der theaterunabhän- tänzerische U21: hochprofessionell, brillant, gige Tanz braucht eine andere Dimension der vielseitig und ‚dedicated’. So sieht die Zukunft Subvention. des Tanzes aus.

Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Bewegung und Humor. 62 MARIELUISE JEITSCHKO

ChoreografIn des Jahres: Raimund Hoghe für „Musiques et mots pour Emmanuel“, weil er — wieder einmal auf seine so unvergleichlich leise Art — das Wichtigste unserer Zeit, des Lebens und der Tanzge- schichte ohne überflüssige Gesten und Worte zu vermitteln versteht.

TänzerIn des Jahres: Mayo Arii und Alexandr Trusch (in Neumeiers „Turangalîla“). Emmanuel Eggermont (in Hoghes “Musiques Welches Thema beschäftigt Sie et mots pour Emmanuel“). gerade im Tanz? Immer wieder: Marlucía do Amaral (Ballett Menschen mit eingeschränkten körperlichen am Rhein), Ako Nakanome (TanzTheater Bewegungsmöglichkeiten als Tänzer und Münster). Choreografen. Aufführung des Jahres: Ein auffälliger Trend der Spielzeit Anne Teresa De Keersmaekers „Die Weise von 2015/2016? Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ Immer mehr Kompanien stellen erfreulicher- nach R. M. Rilkes Erzählung – ein hochästhe- weise gegen Ende der Saison Choreografien tisches Beispiel von ‚Literaturtanz’ für zwei eigener Tänzer vor. Besonders gefallen haben Tänzer, Querflöte und Textprojektionen bei mir So-Yeon Kims „Zahir“ (Ballett am Rhein) der Ruhrtriennale. und Jason Franklins „Unknown“ (TanzTheater Münster). Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Ich vermisse deutsche Tänzer im (staatlich geförderten!) Bundesjugendballett und NRW Juniorballett. Zumindest sollten die Ausschreibungen für die Positionen aus- schließlich hier ausgebildete und lebende Nachwuchskünstler ansprechen.

63 IVAN LIŠKA

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Die Einrichtung und Erfolge der Junior Kompanien. Nach dem Bayerischen Staatsballett II in München, dem Bundesju- gendballett in HH, der Junior Company in Dortmund, Plä- nen dazu in Nürnberg, Berlin. Demgegenüber stehen leider die Abwicklungstendenzen in Hagen, Pforzheim usw.

Welches Thema beschäftigt ChoreografIn des Jahres: Sie gerade im Tanz? Aszure Bartons „Adam is“ an Die unterdurchschnittliche der Bayerischen Staatsoper. Bezahlung, also Unterbezah- lung der Tänzer als Folge der TänzerIn des Jahres: Umwandlung der Tarifverträge Giada Zanotti von der in Soloverträge in kleineren Staatsoper Hannover. Ensembles. Die steigenden Jonah Cook und Adam Mietkosten in größeren Städten. Zvonař von der Bayerischen Staatsoper.

Aufführung des Jahres: Pina Bausch „Für die Kinder von gestern, heute und mor- gen“ beim Bayerischen Staats- ballett.

64 GOYO MONTERO

ChoreografIn des Jahres: Marco Goecke und Crystal Pite, beide schaffen einzigarti- ge Welten und Wege, uns ihre Welten näherzubringen.

TänzerIn des Jahres: und Alessandra Ferri — für ihren Mut und ihre unermüdliche Suche.

Aufführung des Jahres: Welches Thema beschäftigt „Letter to a Man“ von Robert Sie gerade im Tanz? Wilson/Mikhail Baryshnikov. Konflikt und Verlust.

Gibt es etwas, das sie in Ein auffälliger Trend der der derzeitigen Tanzszene Spielzeit 2015/2016? vermissen? Mir fällt vor allem auf, dass die Überhaupt nicht, glückli- meisten Werke eine Tendenz cherweise entwickelt sich unserer Gesellschaft wider- und wächst der Tanz in jeder spiegeln: Produziert für den Minute. schnellen Konsum, um dann Aber die Tänzer benötigen genauso schnell vergessen zu bessere Konditionen und wie werden. immer mehr Unterstützung!

65 nünftig macht. Ist es richtig dabei gehen Musikalität und GÜNTER einen Russen, der im Westen dramaturgische Zusammen- so gut wie unbekannt ist, an hänge völlig verloren. ein Haus zu holen, dessen PICK Tradition er nicht kennen kann ChoreografIn des und nun eine ‚Neugründung’ Jahres: dieses Apparates stattfindet? Als Choreografin der freien Warum muss ein Choreograf, Szene hat mich besonders bei einem so vielseitigen Rafaële Giovanola mit ihren Repertoire wie es die Häuser beiden mutigen Produktionen dieser Größe haben, auch „What about Orfeo“ und „Mo- künstlerischer Direktor sein? mentum“ beeindruckt. Wenn Die wenigsten schöpferischen ich auch große Bedenken Direktoren haben Verständnis wegen der dramaturgischen für das Werk anderer Choreo- Überfrachtung beider Stücke Welches Thema beschäftigt grafen. Paradebeispiel: Wenn habe. Weniger wäre wohl Sie gerade im Tanz? Marcia Haydée das Stuttgarter mehr, aber vielleicht haben Mich beschäftigt wie die Fin- Ballett nicht gerettet und Reinald und Rafaële Recht, dung der Nachfolge unserer später an einen vernünftigen dass nur die große Geheimnis- großen Kompanien funktio- Direktor übergeben hätte, tuerei beim Feuilleton an- niert und welche Konsequen- wäre Crankos Repertoire kommt und die Zuschauer sich zen das für die Tänzer und heute wahrscheinlich in der sowieso ihren eigenen Reim das Publikum hat. Wie ist es ganzen Welt, aber nicht mehr drauf machen. möglich, dass fünfzig Prozent in Stuttgart zu Hause. eines Ensembles gekündigt TänzerIn des Jahres/Auf- werden kann (wäre das z.B. Ein auffälliger Trend der führung des Jahres: auf den Opernchor anwend- Spielzeit 2015/2016? Jörg Mannes für die gelunge- bar, oder die Hälfte der Strei- Nicht erst in dieser Spielzeit ne Adaption von „Der Besuch cher im Orchester? Es handelt fällt mir auf, aber dieses Jahr der alten Dame“, Staatsoper sich um ein Corps, nicht Solis- besonders, dass die Cho- Hannover. In der Tradition von ten!). reografien immer halsbre- Cranko gelingt dem Choreo- Wie ist es möglich, dass in cherischer werden, eine Art grafen ein abendfüllendes München der Staatsopern- Wettbewerb der Tänzer, wer Handlungsballett, das nicht intendant offenbar den Nach- es noch verdrehter kann. Vom plüschig daherkommt, aber folger für Ivan Liška bestimmt, Ballett waren wir diese Akro- auch nicht alle Traditionen und nicht eine Findungskom- batik-Nummern ja gewöhnt, auf den Kopf stellt. Und darin mission, wie bei Intendanten jeglicher Aussage vollkom- Cássia Lopes als Claire Za- üblich. Und das, obwohl men entleert, aber dass der chanassian. Konstanze Vernon der Staats- zeitgenössische Tanz das nun Bobby Briscoe in Choreografi- regierung vorgemacht hat, auch bis zum Exzess betreibt, en von Ricardo Fernando. wie man eine Nachfolge ver- will mir nicht in den Kopf. Und 66 Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Vermisst habe ich — aber auch nicht erst in dieser Spielzeit: Mehr Willen zur Zusammen- arbeit zwischen freier Szene und den etablierten Theatern. Ein auffälliger Trend der Aber als Schritt in die richtige ANTONY Spielzeit 2015/2016? Richtung darf der Tanzkon- Die Angst zu scheitern. gress gewertet werden, weil hier das Staatstheater Hanno- RIZZI ChoreografIn des Jahres: ver (Steven Markusfeld) bei William Forsythe mit seinem der Durchführung zu dessen Ballettabend „Of Any If And, Gelingen beigetragen hat. Approximate Sonata, Blake Works I“ an der Opéra national de Paris.

TänzerIn des Jahres: Adrien Couvez von der Opéra national de Paris. Courtney Richardson von der Semperoper Dresden.

Aufführung des Jahres: „Blake Works I“ von William Forsythe an der Opéra Natio- Welches Thema beschäf- nal de Paris. tigt Sie gerade im Tanz? „In Terms of Time“ von Tim Ich arbeite mit der Geschichte. Etchells am Tanztheater Ich lerne von der Tanzge- Wuppertal Pina Bausch. schichte und darüber hinaus von der Lebensgeschichte. Gibt es etwas, das Sie in Beide sind sehr eng miteinan- der derzeitigen Tanzszene der verbunden. Mich beschäf- vermissen? tigt auch die Langsamkeit des Originalität. Choreografen aus Lernprozesses über die Ver- der Ballettwelt, die über die gangenheit. Ballettwelt hinausschauen.

67 SILVANA SCHRÖDER

TänzerIn des Jahres: Ein auffälliger Trend der Filip Kvacák, Alina Dogodina Spielzeit 2015/2016? und Laura Costa Chaud — Diese Spielzeit hat deutlich herausragende Tänzer in Klas- gezeigt, dass die Verbindung sik und Moderne. von Tanz und Live-Musik auf der Bühne beim Publikum Aufführung des Jahres: sehr beliebt ist. Wenn die Die erste Ballettpremiere klassische Trennung von Mu- dieser Spielzeit „Piaf — La vie sik aus dem Orchestergraben en rose“, deren Entwicklung Welches Thema beschäftigt und Tanz auf der Bühne auf- mir als Choreografin unheim- Sie gerade im Tanz? gehoben wird, kann ein ganz lichen Spaß gemacht hat, Es beschäftigt mich, wie Tanz- eigener Zauber entstehen. deren Vorstellungen bislang kompanien in kleinen Städten immer ausverkauft sind, und mit geringen Mitteln ihre ChoreografIn des die wie kaum eine andere hohe künstlerische Leistung Jahres: Produktion die regionale und erhalten und steigern können. Das ist für mich mein Bruder überregionale Wahrnehmung Speziell auf meine Kompanie Mario Schröder, der es wieder des Thüringer Staatsballetts in bezogen, suche ich immer einmal geschafft hat, eine diesem Jahr geprägt hat. wieder nach neuen Möglich- extrem abwechslungsreiche, keiten, das Ensemble lokal anspruchsvolle und zugleich Gibt es etwas, das Sie in ganz fest zu etablieren und unterhaltsame Ballettspiel- der derzeitigen Tanzszene gleichzeitig stark nach außen zeit zu konzipieren. Sein vermissen? zu präsentieren. Ballettabend „Lobgesang“ Ich vermisse oft die Wahrneh- zu Musik von Poulenc und mung und Anerkennung von Mendelssohn hat mich sehr Ballettzentren außerhalb der berührt. Großstädte.

68 SIMONE SCHULTE

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Die Stücke werden zunehmend politischer, greifen aktuelle Stimmungen auf und reflektie- ren diese eindringlich über den Körper. Welches Thema beschäftigt Sie ChoreografIn des Jahres: gerade im Tanz? Lia Rodrigues. Für „Transformance CityXChange“, einem Format, das wir in Bayern mit ChoreografInnen entwickelt haben, beschäftigen wir uns gera- Aufführung des Jahres: de mit Autorenschaft im Tanz. Was bedeutet Pina Bausch, „Für die Kinder von gestern, Autorenschaft im zeitgenössischen Tanz und heute und morgen“, Bayerisches Staatsballett/ inwieweit ist es möglich die Idee eines Werks Wuppertaler Tanztheater. nach Jahren an einen anderen Choreografen weiterzugeben. Wie kann man den Arbeitspro- Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen zess öffnen, damit auch das Publikum einen Tanzszene vermissen? Einblick in die Arbeit erhält. Ich vermisse, besonders in München, Räume für den Tanz. Proberäume und Orte für Expe- rimente, für ungewöhnliche Performances im Stadtraum.

69 CHRISTIAN SPUCK

ChoreografIn des Jahres: Aufführung des Jahres: Edward Clug — er ist ein be- „Macbeth“ am Opernhaus merkenswerter Künstler, den Zürich war großartig: Barrie ich seit Langem bewundere Kosky gelang eine geniale und auch als Freund sehr Inszenierung mit einem ein-

schätze. Seine Produktion maligen Sängerensemble. „Peer Gynt“ in dieser Spielzeit Welches Thema beschäf- macht ihn für mich zum Cho- tigt Sie gerade im Tanz? Gibt es etwas, das Sie in reografen des Jahres. Ich arbeite zurzeit an der der derzeitigen Tanzszene Choreografie zu Verdis „Re- vermissen? quiem“. Dort beschäftigt mich TänzerIn des Jahres: Leider finden Humor und vor allem das Abstrakte im Viktorina Kapitonova hat versteckte Ironie viel zu selten Erzählerischen und das Erzäh- sowohl in der Doppelrolle als Eingang in Tanzproduktionen. lerische im Abstrakten. Wie Odette/Odile in Alexei Rat- Am anderen Ende des Tanz- weit kann man Gesten verein- manskys Rekonstruktion von spektrums gibt es allerdings fachen oder reduzieren, so- „Schwanensee“, als auch als zu wenige wirklich berühren- dass Emotionen aber trotzdem Olimpia in „Der Sandmann“ de Produktionen, weil es an vermittelt werden können? eine wahre Meisterleistung der darstellerischen Ernsthaf- vollbracht in dieser Spielzeit. tigkeit fehlt. Ein auffälliger Trend der Großen Respekt habe ich auch Spielzeit 2015/2016? für unseren Solisten William Spannende Rekonstruktionen Moore, der nach einer ein- von Werken, die in Vergessen- jährigen Verletzungspause heit gerieten. wieder auf die Bühne zurück- gekehrt ist.

70 Die ganze Welt des Tanzes

in einem fulminanten Nachschlagewerk

Jetzt schon in der zweiten, korrigierten Auflage

»[Das große Tanzlexikon] ist ein ausgezeich- netes Nachschlagewerk für alle, die sich für den Tanz interessieren, die den Tanz lieben, Profi s aller Couleur und Laien.« Radio Berlin-Brandenburg

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Das Spektrum der über 600 Artikel reicht dabei vom Ballett bis zur Peking-Oper, vom mittelalterlichen Reigen bis zum HipHop, von Fragen der Dokumentation bis zur Pro- Das große Tanzlexikon blematik des Plagiats, von Schwanensee bis Personen – Werke – West Side Story, von Shakespeare bis Picasso. Tanzkulturen – Epochen Herausgegeben von Annette Hartmann und Weitere Informationen unter Monika Woitas www.laaber-verlag.de 2., durchgesehene und korrigierte Aufl age. XVIII/756 Seiten mit 145, z.T. farbigen Abbildungen. Geb. € 98,– Laaber ISBN 978–3–89007–780–2 71 Ein auffälliger Trend der Spielzeit BETTINA 2015/2016? Neben den unangenehmen Entwicklungen hin zu immer weniger Tanzensembles in Deutsch- WAGNER-BERGELT land, zum Sparwillen auf Kosten des Tanzes in vielen Mehrspartentheatern, zu immer niedri- geren Gagen und wenig Willen zu Machtaus- gleich zwischen den Sparten, eine erfreulich lebendige Szene, die ein unglaubliches Poten- zial mitbringt und sehr produktiv ist, sowohl an festen Häusern als auch in der freien Szene.

ChoreografIn des Jahres: Ich habe in diesem Jahr nicht so viele andere Produktionen gesehen wie die Jahre davor, liebe aber immer Gintersdorfer/Klaßen; au- ßerdem Jérôme Bel, Boris Charmatz und sein „Musée de la danse“ auf dem Tanzkongress 2016; Bridget Breiner in Gelsenkirchen. Welches Thema beschäftigt Sie TänzerIn des Jahres: gerade im Tanz? Joana de Andrade. Mich hat in dieser Spielzeit beschäftigt, wie das Tanztheater Pina Bauschs auf den Tanz in Aufführung des Jahres: Deutschland, auf Theater und die gesamte dar- „Gala“ von Jérôme Bel in den Kammerspielen, stellende Kunst Einfluss genommen hat. Durch „Für die Kinder von gestern, heute und mor- meine intensive Beschäftigung mit dem Stück gen“ im Bayerischen Nationaltheater, Russell von Pina Bausch „Für die Kinder von gestern, Maliphant Company in Wolfsburg. heute und morgen“ kam auch die Frage nach der richtigen Tänzerausbildung wieder – unsere Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen TänzerInnen, die dieses Stück getanzt haben, Tanzszene vermissen? sind alle klassisch ausgebildet, manche sind Das, was ich überhaupt zur Zeit vermisse – und klassische Ballerinen, die die großen Haupt- ich zähle mich dabei zur Tanzszene und zu rollen des 19. Jahrhunderts verkörpern, und dieser Gesellschaft: ein noch entschiedene- haben das großartig bewältigt. Viele haben es res Eintreten und ein mutiges Bekenntnis zu als eine Herausforderung und eine Erweite- Demokratie, Empathie, Hilfsbereitschaft und rung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten jetzt und in einer offenen Gesellschaft, von uns allen, die der Zukunft begriffen. Das heißt, die klassische wir wissen, was auf dem Spiel steht. Ausbildung ist für mich unangefochten eine universale Bildung.

72 73 GERT WEIGELT

(c) BANDALOOP

u.a. mit JÉRÔME BEL FORCEDTRISHA ENTERTAINMENT BROWN

ESZTERIAN SALAMON KALER SUPERAMAS Welches Thema beschäftigt Sie gerade im Tanz? Die Schönheit. Immer wieder: die Schönheit.

Ein auffälliger Trend der Spielzeit 2015/2016? Nun wird allerorten gezittert. Marco Goecke macht Schule!

ChoreografIn des Jahres: Hans van Manen, George Balanchine, Martin Schläpfer.

TänzerIn des Jahres: Fred Astaire und Ginger Rogers und auch Yuko Kato (Ballett am Rhein).

Aufführung des Jahres: „Schwanensee“, exemplarisch gemeint.

Gibt es etwas, das Sie in der derzeitigen Tanzszene vermissen? Vor allem die freie Szene lässt häufig Selbstkritik vermissen. SAISON 2016/2017 73 www.tqw.at 73

TQW-Tanznetz-Inserat.indd 1 15.07.16 12:59 74 ______DAS DUCKBURG- PHÄNOMEN______Zeitgenössischer Tanz im Diskurs zwischen Zentrum und Peripherie von Ingrid Türk–Chlapek

75 Internet und soziale Medien machen es mög- In der deutschsprachigen Fachliteratur wird der lich. Auch in kultureller Randlage kann man Rand im eigenen Land kaum verhandelt. Am inzwischen einschlägige Großevents zumindest ehesten finden Best-Practice-Beispiele Eingang auf dem Bildschirm wahrnehmen. Eine persönli- in den wissenschaftlichen Diskurs. Constan- che Teilnahme ohne finanzstarke Institution im ze Klementz beschreibt 2005 unter dem Titel Rücken scheitert jedoch häufig an den Kosten. „Standortvorteil Peripherie“ in Theater der Zeit So bekommt die virtuelle Partizipation zugleich die Aktivitäten der fabrik Potsdam. Weil die fa- einen Geschmack von Ausgegrenztsein. Dieses brik finanziell mit den Global Playern der inter- und andere Dilemmas thematisierte der von nationalen Tanznetzwerke gar nicht mithalten Franz Anton Cramer, Matjaž Farič und mir selbst könne, hätte man sich nie „um Marktgesetze geleitete Workshop „Wir sind der Schnabel der und Stilquoten geschert“. Programmiert wur- Welt: Dance and Performance in Duckburg“ de, was der künstlerischen Leitung gefiel, von beim diesjährigen Tanzkongress in Hannover. „anachronistischen Merkwürdigkeiten“ bis zu „eindringlichen Statements“, Letztere fanden Das Wissen um die Schwierigkeiten zwischen teilweise erst viel später den Weg auf interna- kulturellen Ballungsräumen und der Peripherie tionale Bühnen. besteht im zeitgenössischen Tanz seit Langem. Legendär sind die Förderungen des französi- Maren Witte nimmt zwei Jahre später den Ort schen Kulturministers Jack Lang, die in den Stolzenhagen im deutschen Brandenburg unter 1980er-Jahren den Grundstein für die neunzehn die Lupe. Unter dem Titel „Radiating Ground“ flächendeckenden Centres chorégraphiques diskutiert sie in dem Sammelband „Tanz Me- nationaux in Frankreich legten. Noch heute, ob- tropole Provinz“ die Gefahr postkolonialen wohl als Modell etwas in die Jahre gekommen, Auftretens von im nahen Berlin lebenden Tanz- basiert darauf ein Großteil der dezentral prospe- schaffenden, wenn diese einmal pro Jahr das rierenden Kunstgattung. In Österreich, um ein Tanz-Land-Festival Ponderosa ausrichten. Wit- aktuelles Beispiel zu nennen, schüttet das Bun- te versteht zeitgenössischen Tanz als zutiefst deskanzleramt für Kunst und Kultur Zuschüsse „städtische, metropolitane“ Kulturform, die für Tourneen aus, wenn eine Tanzproduktion Sehgewohnheiten und Fachwissen voraus- innerhalb einer Saison zumindest in drei setzt. „Ihn aufs Land zu bringen, riskiert Bundesländern gastiert. In Deutschland daher im höchsten Maße Unverständnis, finanziert die Kulturstiftung des Bun- wenn nicht gar Ablehnung und Wider- des seit 2006 alle drei Jahre einen stand seitens der Bewohner Stolzen- Tanzkongress, der zuletzt in Städten hagens.“ ausgetragen wurde, die nicht als Hochburgen zeitgenössischer DAS Tatsächlich kämpft der zeitge- Tanz- und Performancepraxis DUCKBURG- nössische Tanz in peripheren gelten. Alles Strategien, um Regionen bis heute mit dem das Ungleichgewicht von PHÄNOMEN Image des Provokant-Sper- Geld, Macht und Struktu- rigen. In Kärnten, dem ren zwischen der Mitte südlichsten Bundesland und dem Rand auszu- Österreichs in der gleichen. Nähe zu Italien und 76 Slowenien, etablierte sich der Begriff des Zeitge- München, Salzburg, Ulm und Vorarlberg teil, um nössischen erst ab Mitte der Nullerjahre. Davor Ausprägungen des ‚Duckburg-Phänomens’ zu bezeichnete man künstlerischen Bühnentanz diskutieren. Selbst- und Fremdwahrnehmung fernab von Ballett als modernen Tanz, divergierten dabei häufig. Tanzschaffen- Ausdruckstanz oder Tanztheater. de aus Vorarlberg empfanden bei- spielsweise ihre Kolleginnen Als der Tanzkongress in und Kollegen aus Leipzig Hannover 2016 den als nicht in der Periphe- Begriff des Zeitgenös- rie arbeitend. Dort fühl- Zeitgenössischer sischen zur Debatte te man sich jedoch Tanz stellte, zeigte sich, sehr wohl am Rand — im Diskurs wie sehr seine Kon- verglichen mit Berlin. zwischen notationen je nach Einzig die Gäste aus Zentrum und Peripherie geo-kultureller Lage Berlin verorteten sich differieren. Unverse- einhellig im Zentrum. hens klaffte ein Riss Letztere planten künst- zwischen dem innovati- lerische Aktivitäten im ven Flair des Zeitgenössi- Umkreis der Bundeshaupt- schen in der Peripherie und stadt und suchten Information, seiner Ausstrahlung als überholte um nicht wie Aliens in einem Ufo zu Kunstpraxis in den kulturellen Metropolen. landen. Tanzschaffende aus Metropolen ohne konkrete Projektideen fehlten. Sie dürften ihre An dieser Stelle setzte der Workshop „Wir sind Ambitionen am Marginalen — überspitzt formu- der Schnabel der Welt: Dance and Performance liert — in Treffen mit Kolleginnen und Kollegen in Duckburg“ an und verhandelte drei Fragen: aus Asien, Afrika oder dem arabischen Raum abgehakt haben. Dies könnte neben der man- Was verstehen wir unter ‚zeitgenössisch’? gelnden ‚Sexyness’ von kleinen, einheimischen Formaten mit der aktuellen Förderpraxis zusam- Etablieren sich Diskurse am Rand zeitverzögert menhängen, welche Kontinente übergreifende oder schlichtweg anders? Projekte großzügiger fördert als innerstaatliche Kooperationen. Lassen sich aus dem utopischen Potenzial des Zeitgenössischen, wie es am Rand existiert, Der Begriff des zeitgenössischen Tanzes wurde, Strategien für die Tanzentwicklungen in Bal- ausgehend von somatischen Tanztechniken, ge- lungszentren extrahieren? sellschaftsrelevanten Inhalten und performati- ver Inszenierungspraxis, als pluralistisch-prakti- Rand, Provinz, ländlicher Raum, Peripherie, kables Label erachtet. Gegen die Stimmen nach noch fehlt eine Schärfung und Eingrenzung die- seiner Ablösung sprach unter dem Blickwinkel ser Begriffe. Ähnlich diffus ist die interessierte eines postfordistisch-neoliberalen Wettlaufs, Personengruppe. So nahmen in Hannover an dass das ‚Neue um des Neuen Willens’ häufig dem Workshop Fachleute aus Berlin, Galway, unhinterfragt mehr zählt als sachliches Abwä- Gießen, Heilbronn, Klagenfurt, Laibach, Leipzig, gen und tiefgreifende Analysen. 77 überaus positiv ein. Das Andere im Dis- Als weiteres Plus ent- kurs zwischen Rand puppte sich die starke und Mitte verweigerte Publikumsanbindung sich einer Festschrei- in der Peripherie. Aus- bung. Immer wieder gezeichnete Erfahrungen schien sich eine verzöger- in Talks mit verblüffend te Entwicklung des zeitge- schlüssigen Interpretatio- nössischen Tanzes an der Pe- nen und dichter emotionaler ripherie zu bestätigen. Hängt Wahrnehmung verwiesen auf das damit zusammen, dass gro- einen offenen Dialog zwischen ße, teure Produktionen internati- Bühne und Publikum, der sich in onal anerkannter Choreografinnen Ballungszentren aufgrund eines und Choreografen in ländlichen Ge- häufig eingeschworenen Fachpub- bieten unterrepräsentiert sind? Ist likums weniger frei entfalten dürfte. es eine Folge der Unsichtbarkeit von Identitätsstiftend wirken sich an der künstlerischen Arbeiten aus der Peri- Peripherie Gastspiele von abgewander- pherie in größeren Kontexten? Die Dis- ten Tanzschaffenden aus. Abgeschieden- kussion kreiste, als würde man im Suchen heit und Rückzug als Vorteil von ländlichen des Anderen einen blinden Fleck abzirkeln, Gebieten wurden hingegen als romantische ohne die optische Täuschung aushebeln zu Zuschreibung entlarvt. können. Adäquate Forschungsinstrumente sind noch Desiderate. Als Best-Practice-Beispiele aus den Reihen der Anwesenden fungierten u.a. das Festival „Tanz!“ Überraschenderweise sichtete man einiges an in Heilbronn, die Tanzreihe der Stadt Klagen- utopischem Potenzial des Zeitgenössischen in furt sowie das Festival „Fronta“ in Murska So- Randbereichen, aus dem sich Strategien für die bota. Regisseur und Choreograf Matjaž Farič Tanzentwicklungen in Ballungszentren extra- veranstaltet in der 12.000-Einwohner-Stadt hieren ließen. Eine unverblümte Programmie- Murska Sobota an der Grenze zu Österreich und rung, die Marktgesetze und Stilquoten außen Ungarn seit 2006 jeweils Anfang September ein vor lässt, wie es Klementz in ihrem Artikel über zeitgenössisches Tanzfestival. Durch geschickte die fabrik Postdam beschrieb, wurde auf der Ha- Programmierung von internationalen und regi- benseite verbucht. Ferner schätzte man die Be- onalen Gastspielen, Einbindung des Publikums deutung der tänzerischen Aktivitäten in der kul- in Produktionen, Workshops und Talks konnte turellen Landschaft der jeweiligen Region als sich in einer wirtschaftlich schwachen Region mit hoher Arbeitslosigkeit und ohne touristi- sches Surplus ein Festival etablieren, das inzwi- schen von dem vormals tanzfernen Publikum sehr gut angenommen wird.

78 Die ökonomische Benachtei- ligung von Randgebieten ruft TANZ! trotz dieser motivierenden Ausnahmen nach weiterer Ge- Und danach? gensteuerung. Um nicht vom Wir beraten Sie kostenlose und vertraulich Diskurs ausgeschlossen zu zu allen Fragen rund um die Transition. sein, werden Stipendien der öffentlichen Hand sowie die Übernahme von Fahrt- und Aufenthaltskosten von kleinen Playern ohne institutionellen Hintergrund gefordert. So „noBody“ von Sasha Waltz. Foto: Bernd Uhlig „noBody“ von Sasha Waltz. könnten zukünftig vermehrt Tanzschaffende aus der Pe- ripherie an Großereignissen wie etwa dem Tanzkongress Kollwitzstraße 64 | 10435 Berlin | Tel: 030 - 32 667 141 in Hannover teilnehmen. Eine [email protected] | www.stiftung-tanz.com Einbindung der innerstaat- lichen Peripherie dürfte die Entwicklung von zeitgenössi- schem Tanz und Performance insgesamt befeuern, da man Anz_Tanz_101x131.indd 1 02.08.16 12:43 Innovatives nicht ausschließ- lich im Außen sucht, sondern auch im Austausch der wech- selseitigen Expertise. Nächster Start des

Certificate of Advanced Studies in Dance Science: Health & Performance

Juli 2017 in Frankfurt a. M.

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Eine Kooperation von tamed e. V. und der Universität Bern/Schweiz: Master of Advanced Studies in Dance Science 79

______GESUND HEITS FÖRDERUNG DURCH TANZ FÜR TANZENDE______DER 13. KONGRESS FÜR TANZMEDIZIN 2016 AN DER PALUCCA HOCHSCHULE FÜR TANZ DRESDEN Ein Erfahrungsbericht der Tänzerinnen Alanna und Tarah Pfeiffer

81 Rückblickend war es ein sehr treffend gewähl- Die Vortragsblöcke waren ansatzweise thema- ter Titel für den tamed-Kongress 2016, der in tisch zusammengefasst und bauten teilweise der Palucca Hochschule für Tanz in aufeinander auf, was es dem Zuhö- Dresden abgehalten wurde. Für rer leicht machte, in das jewei- uns als eine ehemalige Stu- lige Thema einzutauchen. dentin dieser Schule und Beispielsweise lag am Frei- eine häufige Besucherin GESUNDHEITSFÖRDERUNG tag der Schwerpunkt auf war die Rückkehr an die DURCH dem Thema „Tänzerpsy- Hochschule für den Kon- chologie“, vor allem im gress sowohl ein sehr TANZ Hinblick auf (gestörtes) informatives als auch ein FÜR Essverhalten. In drei emotional-nostalgisches sich gegenseitig ergän- Erlebnis. Im Folgenden ha- TANZENDE zenden Vorträgen wurde ben wir beide unsere Eindrü- dargestellt, dass unter Tän- cke und das, was wir an neuen zern das Wissen über gesunde Erkenntnissen gewinnen konnten, be- Ernährung eher mangelhaft sei, wo- schrieben und zu einer gemeinsamen Schilde- durch sich das Risiko von Essstörungen erhö- rung verschmolzen. he. Auch selbstbewertender Perfektionismus, körperliche Unzufriedenheit und depressive Wie immer fand der Kongress an drei aufein- Tendenzen wurden als Risikofaktoren von ge- anderfolgenden Tagen statt und beinhalte- störtem Essverhalten identifiziert. Besonders te wählbare Workshops und Fachdiskurse wichtig sei daher die Entwicklung von Be- sowie zahlreiche Vorträge im Plenum. Es wältigungsstrategien, um mit dem All- gab auch ein Rahmenprogramm inklu- tagsdruck besser umgehen zu können. sive Get-together-Party und Besuch Deutlich in Erinnerung geblieben ist einer Vorstellung des Cullberg-Bal- ein Vortrag von Amelie Wilkinson letts im Festspielhaus Hellerau. zum Thema Identität und Leiden- schaft bei professionellen Büh- Der Die Location war genial. Die nentänzern. Sie illustrierte, 13. Kongress Räume der Palucca Hoch- dass viele (vor allem klassi- für Tanzmedizin 2016 schule sind geräumig und sche) Bühnentänzer dazu an der Palucca Hochschule hell und alles liegt nahe neigen, trotz Verletzung für Tanz Dresden beieinander, sodass bzw. Schmerzen wei- man nicht zwischen terzutanzen und, den Workshops dass sie dadurch hin und her het- den Heilungs- zen muss. Auch die Organisation ließ nichts zu prozess meist verlängern und verkomplizie- wünschen übrig, von der Raumplanung über ren. Ursache dafür sei die Verschmelzung der die Simultanübersetzung, bis hin zur Mahlzeit-, persönlichen Identität mit dem Tanz (bei län- Snack- und Getränkeversorgung. gerem Aussetzen empfinde man einen Iden- titätsbruch), verstärkt durch die zum Teil süch- 82 tig machende Körperlichkeit des Tanzes. Für Tänzer typische Merkmale wie Schuldgefühle bei vermindertem Training und verbissenes Ausharren trotz Schmerzen charakterisierten Ein eine sogenannte „obsessive Leidenschaft“ und Erfahrungsbericht seien oftmals mehr schädlich als förderlich: der Stressfaktoren würden ignoriert, das Verlet- Tänzerinnen zungs- und Essstörungsrisiko erhöhe sich und Alanna und Tarah die Erholungszeit verlängere sich. Eine obses- Pfeiffer sive Leidenschaft werde vor allem durch auto- ritäre Hierarchien, Wettbewerb und generelle Entmachtung des Einzelnen kultiviert. Ausbil- dungsinstitute und Arbeitgeber, die hingegen Autonomie fördern, unterstützten die Entwick- lung einer „harmonischen Leidenschaft“, eine Form von Leidenschaft, die z.B. der von Musi- kern ähnelt und sich auf positive Gefühle statt auf Selbstkritik stütze.

83 Die Vortragsblöcke am Samstag widmeten sich vor allem medizinisch-diagnostischen Verfah- ren: Vorgestellt wurde beispielsweise die Funkti- onelle Diagnostik (3D-Körperscans, Bewegungs- analyse anhand von Motion-Capture-Technolo- gie usw.) als Werkzeug zur Entwicklung eines auf jeden Tänzer persönlich abgestimmten Trai- nings, z.B. zum Ausgleich einer Skoliose: Dieses Behandlungskonzept klingt vielversprechend, wird aber leider bisher im Rahmen der gesund- heitlichen Betreuung von Tänzern weder kas- senärztlich noch durch Unfallkassen finanziert. Andere Vorträge thematisierten u.a. die Fas- zientherapie und Faszienfitness als sinnvolle Präventionen und Behandlungsbegleitungen oder untersuchten die Ursachen von Hallux- Valgus-Bildung bei Tänzern: Wider Erwar- ten werde diese bei Tänzern nicht unbedingt durch das Tragen von Spitzenschuhen ausge- löst, sondern durch das Tragen von Ballett- schläppchen, wodurch eine hohe Belastung 84 für den Vorderfuß ohne Dämpfung entstehe. panien weltweit hervor: Wie oben geschildert In einem Vortrag zur funktionellen Verände- könne eine Dysfunktion des Beckenbodens rung des Beckenbodens bei Tänzern wurde zu vielerlei Beschwerden führen. Die anschei- dargestellt, dass Belastungsinkontinenz bei nend speziell unter klassischen Tänzern häufig Berufstänzern sehr häufig vorkomme; dies vorkommende Belastungsinkontinenz sei ein liege aber nicht etwa an einem zu schwachen besonderes Problem, da die meisten Betrof- Beckenboden, vielmehr sei er oft durch zu fenen weder den Ursprung ihrer Beschwer- viel Anspannung verhärtet, was zu einer Stö- den noch mögliche Behandlungsmethoden rung seiner reflektorischen Funktion führe. kennen und sie vor allem keine Möglichkeit Ursachen dafür seien meist eine Fehl- oder sähen, schamfrei darüber zu sprechen. Aber Überbelastung, mangelnde Rumpfstabili- auch Grundlagen einer gesunden Tanztech- tät oder sogar schlechte Ernährung (Vita- nik wie gut ausgerichtete Beinachsen, eine min D-Mangel). gesunde Ausdrehung (en dehors) und ein starkes Körperzentrum, welches nicht nur Zum Thema Gesundheit und Funktiona- für die Balance und für die leichte, ge- lität des Beckenbodens gab die Referen- schmeidige Bewegungsqualität eines tin Judith Elisa Kaufmann am Sonntag Tänzers so wichtig ist, bis hin zur funktio- dann auch einen ganzen Workshop, der nellen Atmung, seien auf eine unbeein- sowohl inhaltlich faszinierend wie auch trächtigte Funktion des Beckenbodens erheiternd war. Sie wusste dieses oft zurückzuführen. Wie wichtig wäre es tabuisierte bzw. traditionell als scham- also für uns Tänzer zu lernen, dieses haft angesehene Thema mit einer er- im traditionellen Tanztraining selten frischenden Offenheit und Direktheit oder gar nicht angesprochene Mus- anzusprechen und sorgte mit char- kelgeflecht zu spüren und mit ihm zu mantem Humor für eine entspannte arbeiten. Atmosphäre. Auch wenn heutzu- tage, nicht zuletzt durch die wach- Weitere Workshops, die in Erinne- sende Popularität von Pilates, Yoga rung geblieben sind, waren zum und verschiedenen Body-Awa- Beispiel der praktische Massage- reness-Techniken, die meisten workshop bei Sibylle Streich, in Tänzer wohl mit dem Begriff des dem wir ein paar Grundgriffe der Beckenbodens und seiner unge- Nackenmassage erlernten und fähren Lage und Funktion ver- gleich am Partner ausprobieren traut sind, sind die weitreichen- konnten und auch der Work- den Konsequenzen, die eine shop bei Odile Seitz zum The- Dysfunktion dieses komplexen ma Faszientraining. Muskelsystems mit sich brin- gen können, wahrscheinlich Der Workshop bei Karin Pent- den Wenigsten bewusst. Dies haler beschäftigte sich damit, ging auch aus Judith Elisa Tanz als Therapieform bei Kaufmanns Beschreibung körperlichen Beschwerden ihrer Arbeit mit Ballettkom- einzusetzen: Tänzerische 85 Übungen werden dazu genutzt, sätzlich belas- gesundes Alignment und ten und wür- gesunde Bewegungsmuster den in Bezug zu lernen und durch gezielte auf Tanzpro- Mobilisation und sim- ben- und Vor- ple, spielerische stellungen nicht Kräftigungs- wirklich die benötigte und Koordina- Ausdauer in den auszuführen- tionsübungen den Bewegungen verbessern. Verletzungen Als mögliches Zusatztraining vorzubeugen. (ein- bis dreimal wöchentlich) stellte uns Starr ein tanzspezi- Andreas Starr fisches Ausdauertraining vor, gab einen sehr an- welches wir gleich am eigenen schaulichen und akti- Leib spüren konnten: Im Bal- Sonntag waren die Themen ven Workshop zum Thema lettsaal stattfindend, ziemlich breit gefächert, „Tanzspezifisches besteht diese trotzdem ergänzten aerobes Training“. Trainingsform sie sich gegenseitig Starr erklärte, größtenteils und waren unserer dass traditio- aus aufein- Meinung nach von nelles Tanztrai- ander auf- hoher Relevanz: ning (sowohl bauenden Ein Trainingskon- klassisch als und vielfach zept namens „Kinetic auch zeitgenös- wiederholten Awareness — The Ball sisch) zwar die Übungsele- Work“ wurde von Thomas Technik schule, aber menten aus dem Körtvélyessy vorgestellt, wel- meist nicht die Ausdauer zeitgenössischen Tanz, ches auf die Verbesserung des und daher nicht wirklich auf durchsetzt mit Lau- Körperbewusstseins intensive Proben- und Vorstel- fen und Hüpfen. durch Konzentra- lungsphasen vorbereite; der Ähnlich einer tion auf einzel- auf die ausdauernde Belas- Aerobic-Stun- ne Körperteile tung nicht vorbereitete Körper de kann die abzielt. Die ermüde dadurch schneller, Intensität je Methode, wodurch sich das Verletzungs- nach Anstren- mithilfe von risiko erhöhe. Andere Ausdau- gung ange- Gummibällen ertrainingsarten wie Joggen passt werden, verschiedener oder Schwimmen seien zwar man bleibt jedoch Größen Muskeln gut für das Herz-Kreis- immer in Bewegung. zu stimulieren und lauf-System, könn- zur Entspannung zu bringen ten aber die Im abschließenden und durch gezieltes Platzie- Gelenke zu- Vortragsblock am ren der Bälle unter dem ent- 86 spannt liegenden Körper auch an hartnäckige Muskelverspannungen BALLETT IM REVIER heranzukommen, ist zwar für Tän- SPIELZEIT 16.17 zer vom Prinzip her nichts Neues, die Strukturierung einer ‚Entspan- nungspraxis’ sowie das Erkennen RUß – EINE GESCHICHTE THE VITAL UNREST der Nützlichkeit, sich für längere VON ASCHENPUTTEL (WA) Ballettabend in zwei Teilen Ballett von Bridget Breiner von Bridget Breiner Zeitspannen der kompletten Ruhe ab 23. Sept. 2016, Kleines Haus Musik von Georgs Pelecis und Camille Saint-Saëns und Entspannung hinzugeben, da- PROSPEROS INSEL ab 25. März 2017, Großes Haus gegen vielleicht schon. Ballett von Bridget Breiner ab 8. Oktober 2016, Großes Haus DER REST IST TANZ. Ballettabend mit Choreografien von DAS MÄDCHEN MIT DEN Marguerite Donlon, Pontus Lidberg Auch das im Anschluss vorgestellte SCHWEFELHÖLZERN und Renato Paroni de Castro, sogenannte „wingwave-Coaching“, Ballett für Kinder und ab 20. Mai 2017, Kleines Haus Jugendliche von Kevin O’Day welches physische sowie psychische ab 26. Nov. 2016, Kleines Haus 4. INTERNATIONALE BENEFIZ–GALA Traumata, die langfristige „Körpe- HAMLET DES BALLETT IM REVIER rechos“ bilden, erkennen und Ballett von Cathy Marston zugunsten der MiR-Stiftung behandeln soll, ist eine re- ab 11. Februar 2017, Kleines Haus 17. Juni 2017, Großes Haus JAM SESSION IX MOVE! 2017 lativ neue ganzheitliche Frühjahr 2017 Ein Tanzprojekt mit Schülern und Praxis, die auf Stres- dem Ballett im Revier sprävention und Ver- ab 28. Juni 2017, Großes Haus

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87 letzungsmanagement abzielt. die schwere körperliche Arbeit medizin mehr auf kurzfristige Nach all dem war es also pas- von Tänzern respektiert werde Leistungsmaximierung als send, mit einem Vortrag anzu- und mit derselben medizini- auf langfristige, ganzheitli- knüpfen, der zur Ganzheitlich- schen Betreuung, die che Heilung abziele und keit in der Tanzmedizin aufrief: Hochleistungs- dass manche Cho- Körper, Geist und Seele beein- sportlern zuteil reografen nicht flussten sich gegenseitig und wird, einher- davor zurück- bei der Therapie müssten so- gehe. Ande- schreckten, für wohl die körperliche Gesund- rerseits müs- kurze Zeit die heit als auch die emotionale se der Tänzer maximale kör- Intelligenz angesprochen wer- trotz der kör- perliche Fähig- den. Der Tänzeralltag werde perlichen Leis- keit ihrer Tänzer meist von Strenge, Disziplin, tung seine auszuschöpfen, Nervosität und Selbstbeurtei- kreative Funktion um sie dann zu erset- lung beherrscht, umso mehr als Künstler beibehalten. zen. Dadurch werde der Tanz müsse die Tanzmedizin das Durch den Perspektivwan- „industrialisiert“, bis hin zu Bewusstseinsfeld vergrö- del befürchtet Simon-Ha- dem Punkt, dass die Produk- ßern und eine Vor- tala einen Verlust tion wichtiger werde als die bildfunktion für dieses Künstler- Kunst und die Künstler. In die- die ganzheit- stellenwertes sem Sinne rief Simon-Ha- liche Therapie des Tänzers tala, ähnlich wie einnehmen. und damit ei- vorhergehende nen Gemüts- Referenten, zu B esonders wandel von einem ganz- kontrovers Choreografen heitlichen — aber auch und Ballettdirek- Therapiean- besonders span- toren: Sobald die satz für Tänzer nend — war der Vortrag Leistung des Tänzers nur auf, der Raum von Boglárka Simon-Hatala, noch an seiner „sportlichen“ für Kreativität Physiotherapeutin und Bo- Fertigkeit gemessen wer- und Emotionalität dy-Awareness-Coach für viele de und nicht mehr an seiner lasse. berühmte Kompanien und Persönlichkeit, seiner Leiden- Tänzer: Ihre Sorge ist, die neue schaft oder seinem Ausdruck, Zum Abschluss des Kongres- gesellschaftliche und medizi- mache er sich ersetzbar; so- ses brachte Dr. Liane Simmel nische Wahrnehmung des bald er aus gesundheitlichen den Titel „Gesundheitsförde- Tänzers als Sportler Gründen nicht mehr die kör- rung durch Tanz für Tänzer“ bringe unerwarte- perliche Höchstleistung er- auf den Punkt und fasste zu- te negative Kon- bringen könne, verliere er sammen, was in den sequenzen mit an Wert. Simon-Ha- intensiven drei sich. Zwar sei tala sprach die Tagen klar ge- es einerseits Sorge aus, dass worden war: positiv, wenn auch die Sport- Tanzmedizin 88 89 umfasse nicht nur die medizinische Behand- lung für Tänzer, sondern auch den Tanz als The- rapie selbst. Dabei müsse vor allem Wert auf die Betrachtung des ganzen Menschen, nicht ALANNA PFEIFFER nur seines Körpers, gelegt werden. Wichtig sei es, den Spagat zu wagen zwischen Amateur und Alanna Pfeiffer ist 27 Jahre alt und Tänzerin an Profi, Theorie und Praxis, Tradition und Innova- der Oper Chemnitz. Ihre Tanzausbildung erhielt sie in tion, Forschung und Anwendung. Gießen und anschließend drei Jahre lang an der Akade- mie des Tanzes der Hochschule für Musik und Darstel- lende Kunst Mannheim. Sie war schon mehrfach auf Hier können wir uns Dr. Simmel nur anschlie- tamed-Kongressen, auch als Schülerin noch vor ihrer staatlichen Ausbildung gemeinsam mit ihrer Mutter, die ßen: Als professionell arbeitende Tänzerinnen Balletttänzerin war und ihrer Schwester, die ebenfalls wünschen wir uns natürlich eine bessere me- Tänzerin wurde. Sie profitierte in diesem Jahr vor allem vom Workshop zum Thema „Funktionalität des Beckenbo- dizinische Betreuung, aber man darf nicht ver- dens“, weil das unter TänzerInnen ein viel zu wenig an- gessen, dass der Tanz als eine der Ursprachen gesprochenes und wahrgenommenes, aber für deren Ge- sundheit wie auch Tanztechnik fundamentales Thema ist. der Menschheit einen tiefen emotionalen Kern hat. Es ist wunderbar, die Perfektion anzustre- ben, doch sollte man dafür die Emotionalität und Menschlichkeit nicht aus den Augen ver- lieren. Es wäre schön, wenn sich der Trend, der anscheinend die Medizin und die Psychologie erfasst hat und der sich auch in der wachsenden Popularität von Meditation und Introspektiven Techniken in der Gesellschaft generell wider- spiegelt, die körperliche und geistige Gesund- heit als eine nicht voneinander zu trennende Einheit zu betrachten, in der Tanzwelt fortsetzen würde. Woraus man hoffentlich zu der Erkennt- nis gelangen kann, dass Stressreduktion und der aufmerksame und fürsorgliche Umgang mit physischen wie psychischen Ressourcen nicht nur für die Gesundheit der Tanzschaffenden von größter Wichtigkeit ist, sondern langfristig zu einer hochwertigeren, differenzierteren und aussagekräftigeren künstlerischen Arbeit füh- ren kann.

90 TARAH PFEIFFER

Alannas jüngere Schwester Tarah P f e i f- fer ist 24 Jahre alt und ebenfalls Mit- glied des Ballett Chemnitz. Ihre Vorausbildung erhielt sie in Gießen im Tanzstudio A und absolvierte dann in Dres- den an der Palucca Hochschule für Tanz ihren Bachelor im Fachbereich Tanz. Zusammen mit Mutter und Schwester nahm sie bereits als Ju- gendliche an einigen tamed-Kon- gressen teil und interessiert sich seitdem sehr für die Verbindung von Tanz, Medizin und Wissenschaft.

91 92 ______EINE STIMME FÜR DEN TANZ______

Ein Beispiel für die Lobbyarbeit des Dachverband Tanz Deutschland von Anja K. Arend

93 Denn ohne gute Lobbyarbeit ist es schwierig, in der Politik die eigenen Ziele durchzusetzen. Was nach politischem Machtkampf, Egoismus und Majestätenspiel klingen mag, hat nicht un- „EINE STIMME bedingt mit den negativen Aspekten der hier- archischen Verhältnisse in vielen Bereichen der FÜR DEN TANZ“ (Kultur-)Politik zu tun, sondern vielmehr mit In- formation. In der Regel müssen sich PolitikerIn- Ein Beispiel nen mit sehr breiten Themenfeldern befassen, für die Lobbyarbeit eine Spezialisierung auf einen Bereich, wie er für des Dachverband Tanz Deutschland die Schaffung annähernd optimaler Strukturen nötig wäre, ist da kaum möglich. Also braucht Am frühen Mittag des 15. Juni 2016, einen Tag es eine Schnittstelle zwischen KünstlerIn und vor Beginn des Tanzkongresses 2016 in Hanno- PolitikerIn, die die spezifischen Bedürfnisse ver- ver, füllt sich das Foyer der Schwankhalle Bre- mitteln kann. An dieser Schnittstelle sieht sich men. Weit gereiste BallettdirektorInnen, Tanz- der Dachverband Tanz. Und dieses Selbstver- chefInnen und KulturmanagerInnen begrüßen ständnis spiegeln die Fachtage auf wunderbare sich herzlich, die Bremer Lokalszene, durch Tän- Weise wider. Es lohnt sich also, bei einem dieser zerInnen und ChoreografInnen zahlreich vertre- Fachtage einmal genauer hinzusehen. ten, steht noch etwas am Rand. Helge Letonja, der künstlerische Leiter des in der Schwankhal- „Ensembleförderung“ ist das Thema dieses of- le beheimateten steptext dance project und fenen Treffens zwischen TänzerInnen, Choreo- seine Dramaturgin Anke Euler haben gemein- grafInnen, TanzdirektorInnen, Kulturmanage- sam mit dem Dachverband Tanz Deutschland rInnen etc. aus ganz Deutschland. Der Großteil zu einem Fachtag geladen. Schon einige dieser der Anwesenden kommt aus der freien Szene, Treffen hat der Dachverband Tanz organisiert. eine kleinere Gruppe repräsentiert an Stadtthe- Hier sollen Tanzschaffende aus der freien Szene atern beheimatete Tanzensembles. Michael und institutionell beheimatete KünstlerInnen Freundt, Geschäftsführer des Dachverband gemeinsam am Tisch sitzen, ihre Schwierigkei- Tanz, hat den Tag strukturiert, mit Keynotes und ten, Bedürfnisse und Visionen kennenlernen, gemeinsamen Diskussionsrunden, mit Klein- zusammen Modelle zur Entwicklung und Sta- gruppen und einer Podiumsdiskussion. Den bilisierung der Tanzszene in Deutschland erar- inhaltlichen Rahmen steckt Anke Euler, Drama- beiten und in den Dialog mit der Kulturpolitik turgin beim steptext dance project, mit ihrer treten. Das Konzept scheint ein Paradebeispiel Keynote. Man merkt, dass ihr die Tanzförderung für die Arbeit des Dachverbands zu sein, der auf der Seele brennt, dass ihr die Betonung von sich als „eine Stimme für den Tanz“ versteht und Tanz als ‚Gemeinschaftskunst‘ ein echtes Be- in zahlreichen Aktivitäten versucht die äußerst dürfnis ist. Zuviel Herz liegt in dieser Anfangs- vielfältige Tanzszene zu bündeln, um ihr in der rede, als dass es hier ‚bloß‘ um Förderstruktu- politischen Landschaft ein größeres Gewicht zu ren, also ums Geld geht. Vielmehr wünscht sich verleihen. Euler neue Definitionen, ein neues Verständnis des Verhältnisses von KünstlerIn, Kunstpro- 94 dukt, Produktionsbedingungen und (finanziel- ler) Förderung. Den Künstler in den Mittelpunkt stellen, ist dabei ihre zentrale Forderung. Weg vom Begriff der ‚Förderung‘ eines bestimmten Projekts, hin zur ‚Investition‘ in künstlerisches Potenzial. Nicht die KünstlerInnen sollen sich an vorhandene Förderstrukturen anpassen müs- sen, sondern die jeweiligen Förderungen an die künstlerische Idee. Das bedeutet auch, einen Rahmen zu schaffen für künstlerische Entschei- Doch ist die Forderung nach einem Ensemble dungsfreiheit. Dass es diese Freiheit gibt, stellt wirklich ein allgemeines Anliegen der freien Anke Euler ohne Umschweife infrage und macht Szene? Genau dieser Frage gingen die kleineren das konkret an einem Beispiel fest: dem Ensem- Arbeitsgruppen nach, indem sie persönliche ble. Dass derzeit die meisten Stücke der freien, Erfahrungen und Wünsche erfragten, verschie- zeitgenössischen Szene Soloarbeiten, Duette dene Ausgangspositionen und Bedürfnisse oder Produktionen mit ähnlich kleinen Teams zusammenbrachten und gemeinsam an mög- sind, wertet Anke Euler keineswegs (ausschließ- lichen Modellen für eine funktionierende und lich) als künstlerisches Phänomen. Eher sieht künstlerisch interessante Ensembleförderung sie diese Konzentration auf ein Minimum an arbeiteten. So rasch man sich darüber einig war, Beteiligten den Rahmenbedingungen geschul- dass die vorhandenen Fördermaßnahmen we- det, die die Arbeit mit einem größeren Team, der für die solistische Arbeit noch für die Arbeit geschweige denn mit einem ganzen Ensemble, mit einer größeren Anzahl an TänzerInnen aus- quasi unmöglich machen. Sollte das tatsächlich reichend seien, so unklar war, was unter einem der Fall sein, wäre die Diskussion um eine mög- Ensemble zu verstehen sei. Dass es sich dabei liche Ensembleförderung im Tanz eine zentrale. nicht nur um eine fest engagierte Truppe wie an Denn dann würde ohne die Ensembleförderung einem Stadttheater handeln konnte und sollte, ein ganzer Bereich der Tanzszene, nämlich die darüber entstand schnell Konsens. Ob man sich zeitgenössische und freie Arbeit mit einer Grup- in den Förderstrukturen nun an vorhandenen pe von Tänzern, wegfallen. Und das bedeutet Institutionsmodellen orientieren oder eher in eine nicht zu unterschätzende Reduzierung der die Richtung eines Kollektives denken sollte, Vielfalt von Kunst. blieb neben vielen anderen Aspekten wie Gast- spielpolitik, Organisation des Produktionspro- zesses etc. als Frage im Raum stehen. Vielleicht zeigte sich in diesen Diskussionen schon eine Folge der nun seit Jahren auf solistische Arbeit und Einzelprojekte fokussierten Förderung: Die größte Anzahl der anwesenden Tanzschaffen- den war sichtlich daran gewöhnt, alleine oder mit dem kleinstmöglichen Team zu arbeiten. So divers wie die persönliche Arbeitsweise waren dann auch die Vorstellungen zu einer mögli- 95 chen Ensembleförderung. All diese Meinungen, nig Diskussionsbedarf am Ende des Tages übrig Bedürfnisse und Visionen unter einem Modell geblieben war. Vermutlich nicht so sehr einem zusammenzufassen, scheint schier unmöglich. anstrengenden Tag geschuldet als vielmehr ei- Es zeigt aber auch, wie groß der Bedarf an sol- ner schon seit Langem aufgebauten Resignati- chen Treffen ist, schon alleine, damit sich die on vonseiten der Tanzszene, schien der Großteil Tanzszene selbst besser kennenlernen kann. der TeilnehmerInnen des Fachtags diesem Ge- Denn nur über diesen Austausch, die gegen- spräch keine Bedeutung beizumessen, schien seitige Anerkennung unterschiedlicher Bedürf- sich von dem Austausch nichts zu versprechen. nisse, und schlussendlich über das Finden von Damit gab man den VertreterInnen der Bremer Kompromissen kann die Tanzszene als Ganzes Kulturpolitik die Möglichkeit, sich in Allgemein- eine klare Position gegenüber der Politik ver- plätzen zu verlieren und viel propagierte, aber treten, die als gemeinsame Stimme ins Gewicht wenig nachhaltige Themen wie eine de facto fallen kann. gegebene und nicht weiter hinterfragte Inter- kulturalität von Tanz, besonders in Zeiten der Dass bis zu diesem Ziel noch eine Menge Arbeit ‚Flüchtlingskrise‘, hochzuhalten. Man tauschte zu leisten ist, wurde in der abschließenden Dis- sich eher podiumsintern über das Verständnis kussion mit KulturpolitikerInnen aus Bremen von Kreativität aus, bekräftigte die Notwendig- deutlich. Eingeladen waren die Kulturdeputier- keit einer Förderung des künstlerischen Entste- ten von Bündnis 90/Die Grünen (Kirsten Kap- hungsprozesses genauso, wie man sie komplett pert-Gonther), der CDU (Martin Michalik), der ablehnte. Selbstverständlich wurde die Wich- Linken (Miriam Strunge) sowie die Bremer Kul- tigkeit von Kunst insgesamt, insbesondere des turstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD). Mit ei- Tanzes, mehrfach betont, eine Neustrukturie- nem solchen Podium und vor dem Hintergrund, rung der Fördermaßnahmen von allen Seiten dass Bremen 2016 den Vorsitz der Kultusminis- bejaht und ohne Umschweife zugegeben, dass terkonferenz innehat, hat der Dachverband Tanz es selbstverständlich mehr finanzielle Mittel eine gute Möglichkeit für einen direkten Dialog brauche. Dass diese im Moment und vermutlich zwischen Tanzschaffenden und Politik geschaf- auch auf längere Sicht wohl nicht zur Verfügung fen. Man sollte vermuten, dass diese Plattform stünden, wurde noch kurz hinterhergeschoben. gerne und ausgiebig für die Schilderung der Bis auf zwischenparteiliche Differenzen wirkten mehr als unzufriedenen Position Tanzschaffen- alle einig, geschehen ist nichts. der genutzt würde, denn weit über eine speziel- le Ensembleförderung hinausgehende Themen Mit gemischten Gefühlen lässt einen ein solcher wie die fehlende soziale Sicherheit, Altersarmut, Tag zurück. Viele wichtige Themen wurden an- das Fehlen von Probemöglichkeiten, die Nicht- gesprochen, dass es in der Tanzszene finanziell finanzierung der Projektentwicklungsphasen, alles andere als gut läuft, wurde wieder einmal die dominierende Nachwuchsförderung und bestätigt, dass es durchaus kreative Ideen zum vieles andere kamen an diesem Tag zur Spra- Umgang mit den diversen Schwierigkeiten gibt, che. Schwierigkeiten und mögliche Lösungsan- macht Mut. Und doch scheint ein ganz zentraler sätze hätten hier Gehör finden können. Darum Aspekt zu fehlen: die Formulierung einer klaren war es erstaunlich zu sehen, wie sehr die Zahl Position, die sich nach außen vermitteln lässt. der Anwesenden plötzlich schrumpfte, wie we- Dabei scheitert es nicht an den heterogenen 96 Kontexten und künstlerischen Bedürfnissen der einzelnen TänzerInnen und ChoreografInnen www.thinkbigfestival.de und auch nicht an dem immer noch vorhande- nen, aber immer schmaler werdenden Graben zwischen Institution und freier Szene, denn es gibt durchaus Themen, die alle Beteiligten be- treffen. Das Problem liegt eher in der Kommu- nikation der eigenen Bedürfnisse, dem Finden einer gemeinsamen Sprache mit der Politik und dem Willen, sich auf das Feld der kulturpoliti- schen Diskussion zu begeben, was auch heißt, eine bestimmte Sprach- und Verhandlungskul- tur zu akzeptieren. In dieser Situation verbirgt sich ein Paradox, dessen Auflösung nicht ohne Weiteres möglich sein wird: Wie soll eine freie Szene, die sich in ihrem Selbstverständnis (not- wendigerweise?) gegen vorhandene Struktu- ren, gegen Institutionalisierung und bestimmte Formen von Machtdiskursen stellt, nun inner- halb derselben agieren, ohne sich selbst zu verraten? Aber es wird notwendig sein, sich mit diesen Strukturen auseinanderzusetzen, wenn man zum Beispiel durch Förderungen und die Integration in Sozialsysteme ein Teil von ihnen sein möchte.

Der Dachverband Tanz Deutschland übernimmt dabei nicht nur eine zentrale Vermittlungsposi- tion zwischen Tanz und Politik, er wird sich auch, vielleicht sogar in erster Linie, mit der Tanzsze- ne selbst befassen müssen. Wer sind wir, wer wollen wir sein und wer können wir sein – sind Fragen, die die Tanzszene erst einmal unter sich verhandeln muss. Internationales Tanz – und Performance – Festival für junges Publikum 18. – 25. Oktober 2016 München 97 9898 ______DIE INTERNATIONALE TANZMESSE NRW______

Ein Interview mit Felix Wittek

99 100 DIE INTERNATIONALE TANZMESSE NRW Ein Interview mit Felix Wittek

Felix Wittek, die interna- tionale tanzmesse nrw ist Gründungsmitglied der Initiative Tanzjahr 2016. Warum eigentlich?

Die Tanzmesse hat das Tanz- jahr mitinitiiert, weil wir selbstbewusst behaupten, neben der Tanzplattform Deutschland und dem Tanz- kongress, ein für Deutschland wichtiges Tanzereignis zu sein und stark genug sind, um für den Tanz in Deutschland et- was Positives zu bewirken. Die Anlage des Tanzjahrs als eine Initiative, der sich möglichst viele Tanzschaffende aus un- terschiedlichen Bereichen und Arbeitszusammenhängen an- schließen können, entspricht der Philosophie der Tanzmes- se: Wir möchten einen starken Rahmen geben, in dem jeder Tanzschaffende willkommen ist und sich ganz den eigenen Möglichkeiten entsprechend einbringen kann. Diese Hal- tung macht das Tanzjahr zu einer guten Sache. Wir können damit an die Öffentlichkeit ge- hen und zeigen: So viel Gutes gibt es im Tanz und wer es noch nicht gesehen hat, bekommt 101 vielleicht Lust, es sich anzusehen. Andererseits zusammenbringen, um eine Grundlage für Aus- stärkt das Tanzjahr unser aller Selbstbewusst- tausch und Zusammenarbeit auf internationaler sein, denn es zeigt, in wie vielen Bereichen und Ebene zu schaffen. Die Teilnehmerzahlen, die in welcher großen Zahl wir gemeinsam erfolg- seit mehreren Jahren weit über 1.000 interna- reich für den Tanz arbeiten. tionalen Besuchern liegen, zeigen die Relevanz des Projekts. Welche Rolle spielt die Tanzmesse in der Gibt es weitere Tanzwelt? Tanzmessen in Europa Wie grenzt sie sich oder in der Welt? von einem Tanzfestival oder der Tanzplattform ab? Eine zweite Tanzmesse gibt es in dieser Form nicht. Aber natürlich sind wir nicht alleine. In Die Tanzmesse ist ein international ausgerich- Amerika, Europa und Asien gibt es ähnliche tetes Projekt. Sie hat keinen nationalen Pro- Projekte, die im Gegensatz zur Tanzmesse ent- grammfokus und unterscheidet sich damit von weder einen ökonomischen oder einen lokalen Tanzplattformen. Vergleicht man die Tanzmesse Aspekt in den Vordergrund rücken. Keines die- mit einem Festival, liegt der größte Unterschied ser Projekte stellt die Netzwerkarbeit so in den in der Programmgestaltung und in der Ausrich- Vordergrund, wie es die Tanzmesse tut. Dies ist tung auf das Publikum. Ist es die Aufgabe eines ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Festivalkurators für sein lokales Publikum ein passendes Programm zusammenzustellen, so Wer präsentiert sich sieht die Tanzmesse ihre Aufgabe darin, ver- an den Ständen im schiedene Ästhetiken, Arbeitsweisen und The- Messebereich? men aus den teilnehmenden Ländern für ein internationales Publikum gegenüberzustellen. Letztendlich repräsentieren die einzelnen Mes- Diese Produktionen können auf der Ebene der sestände KünstlerInnen und ihre Arbeiten. Wie Sehgewohnheiten, des kulturellen Verständ- dies geschieht, ist aber oft sehr unterschiedlich nisses von Tanz, aber auch in Bezug auf lokale und durch verschiedene Motivationen geprägt. Strömungen und Tendenzen weit auseinander- An kleineren Ständen machen Kompanien di- liegen. Wir rechnen nicht damit, dass jedem rekt auf ihre Aktivitäten aufmerksam. Agentu- Besucher jede gezeigte Produktion gefällt, ren, Produktionshäuser oder Künstlerkollektive möchten aber das Ziel erreichen, dass für einen stellen neben Tanzproduktionen auch ihre ei- Besucher aus Asien, Amerika, Afrika, Austra- genen Institutionen vor. Länderorganisationen lien oder Europa etwas dabei ist. Natürlich ist betreiben die größten Messestände und möch- es unmöglich, einen gesamten Überblick über ten zeigen, wie wichtig Tanz für ihr kulturelles das internationale Tanzschaffen zu geben. An- Selbstverständnis ist. Aber vergessen wir nicht haltspunkte kann die Tanzmesse aber anbieten. die Vermittler, Produzenten, Veranstalter und Und genau diese Rolle möchte die Tanzmesse Manager. Auch sie empfangen an ihren Stän- spielen: Tanzschaffende aus der ganzen Welt den das internationale Publikum.

102 103 pROgRAmm 2017 An wen wendet Was reizt Sie persönlich Deutsches Theater München Ι Schwanthalerstraße 13 Ι TICKETS: 089 – 55 234 444 Ι www.deutsches-theater.de sich die internationale an dieser Aufgabe? tanzmesse nrw? 17.01. - 22.01.17 Fredrik rydman’s ch bin gerne Gastgeber. Denn ich habe großen THE NUTCRACKER RELOADED I Tchaikovsky meeTs sTreeTdance nach „ reloaded“ katapultiert Fredrik rydman mit Die Tanzmesse hat zwei Zielgruppen: einer- Spaß mit meinem Team zusammen daran zu nUTcracker reLoaded das klassische Ballett erneut ins 21. Jahrhundert. Tschaikowskys musik trifft auf hiphop-Beats und seits die bereits angesprochenen internatio- tüfteln, eine angenehm-freundschaftliche At- Pop-melodien. der nussknacker-Prinz wird zum amerikanischen R’n’B-Sänger, die verwöhnten Zuckerfiguren sind gelangweilte nalen Tanzfachleute. Andererseits aber auch mosphäre für Begegnungen zu erzeugen, und Blogger mit instagram-Berühmtheit. das lokale Tanzpublikum. Seit 2008 öffnet die hierfür einen Rahmen von aufeinander abge- spiELzEiT Di - Sa: 19.30 Uhr Ι Sa + So: 15.00 Uhr Tanzmesse ihre Vorstellungen für ZuschauerIn- stimmten Veranstaltungen und Angeboten zu nen aus der Region und bietet ihnen — neben schaffen. Ich bin selbst kein Künstler, schätze TiCKETs* ab 29,- € in Deutschland bekannten Kompanien — Pro- aber die Arbeit von allen am Tanz beteiligten duktionen und Künstler, die zum ersten Mal in KünstlerInnen sehr. Tanz zu schauen macht Deutschland zu sehen sind. mir einfach Spaß. So ist es schön, für die Unter- stützung des Tanzes etwas Produktives tun zu Was hat sich können. Auch der Austausch mit so vielen un- „Einfallsreich, beängstigend, geändert terschiedlichen Persönlichkeiten aus so vielen lustig und verrückt — seit den Anfangszeiten? Ländern in der Vorbereitung bereichert mich ein modernes märchen“ persönlich sehr. sTARCHOREOgRAf Alles und nichts. Von der Vision der Tanzmesse- fREDRiK RYDmAN Erfinderin Anne Neumann-Schultheis profitiert Was dürfen wir die Tanzmesse noch heute und sie prägte ihr vom Bühnenprogramm Tchaikovsky meeTs sTreeTdance Selbstverständnis maßgeblich: Gegenseitiges erwarten? Kennenlernen und Vernetzen der TeilnehmerIn- Ist das ein kuratiertes Programm? nen untereinander bilden die Grundlage für 25.04. - 14.05.17 eine produktive Zusammenarbeit in der Zu- Das Bühnenprogramm präsentiert Produkti- WEsT siDE sTORY drei meisTer – ein Werk kunft. Aber natürlich hat die Tanzmesse sich in onen unserer AusstellerInnen. In diesem Jahr kein anderes musical vereint die Genialität von drei meistern wie WesT side sTory. die unsterbliche musik von Leonard den vergangenen 22 Jahren mit jeder Ausgabe zeigen wir im tanzhaus nrw, im FFT Düsseldorf, Bernstein, die großartigen Texte von stephen sondheim und die unvergleichlichen choreografien von Jerome robbins. mit der Broadway-Premiere 1957 definierte WEST SIDE STORY verändert. Formate wurden ausprobiert und im Stahlwerk sowie in der Fabrik Heeder in Kre- ein ganzes Genre neu. am deutschen Theater erlebte es 1961 seine europäische erstaufführung. verbessert. Glücklicherweise ist die Teilnehmer- feld und im Forum Leverkusen über 90 Kom- zahl von damals wenigen hundert mit heute panien aus 30 Ländern. Die Auswahl trifft das spiELzEiT Di - Sa: 19.30 Uhr Ι Sa: 15 Uhr Ι So: 14.30 + 19 Uhr weit über tausend mit dem Projekt mitgewach- Programming-Team der Tanzmesse. Mit dieser TiCKETs* ab 30,- € sen und trägt zu seiner Attraktivität bei. Aufgabe haben wir versucht, mindestens eine für das jeweilige Land oder eine Region rele- vante Produktion auszuwählen, die als Beispiel „No. 1 greatest für das jeweilige Tanzschaffen dort steht. Neben musical of All Time.“ Carolelinda Dickey, Christian Watty und mir war THE TimEs Roman Arndt noch an der diesjährigen Pro- grammauswahl beteiligt. Sein plötzlicher Tod in diesem Mai macht uns immer noch betroffen und wir vermissen ihn sehr.

104 * Preise ggf. inkl. mwst. und zzgl. servicegebühren pROgpRRAOmgmR 2A0m17m 2017 Deutsches TheaterDeutsches München Theater Ι Schwanthalerstraße München Ι Schwanthalerstraße 13 Ι TICKETS: 089 13 – Ι55 TICKETS: 234 444 089 Ι www.deutsches-theater.de – 55 234 444 Ι www.deutsches-theater.de

17.01. - 22.01.1717.01. - 22.01.17 THE NUTCRACKERTHE NUTCRACKER RELOADED RELOADED FredrikFredrik rydman’s rydman’s TchaikovskyTchaikovsky meeTs sTree meeTdanceTs sT reeTdance nach „swan Lake nracheloaded“ „swan katapultiert Lake reloaded“ Fredrik katapultiertrydman mit Fredrik rydman mit nUTcracker renLUToadedcracker das klassische reLoaded Ballett das erneut klassische ins 21. Ballett erneut ins 21. Jahrhundert. TschaikowskysJahrhundert. musik Tschaikowskys trifft auf hip hmop-Beatsusik trifft und auf hiphop-Beats und Pop-melodien. derPop- nussknacker-Prinzmelodien. der nwirdussknacker-Prinz zum amerikanischen wird zum amerikanischen R’n’B-Sänger, die verwöhntenR’n’B-Sänger, Zuckerfiguren die verwöhnten sind Zuckerfigurengelangweilte sind gelangweilte Blogger mit instagram-Berühmtheit.Blogger mit instagram-Berühmtheit. spiELzEiT Di - Sa: 19.30 Uhr Ι Sa + So: 15.00 Uhr spiELzEiT Di - Sa: 19.30 Uhr Ι Sa + So: 15.00 Uhr

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25.04. - 14.05.17 WEsT siDE25.04. sTORY - 14.05.17 drei meisTerWE – seinT WerksiDE sTORY kein anderes musicaldrei vereint meis die GenialitätTer – einvon drei Werk meistern wie WesT side sTory. die unsterbliche musik von Leonard Bernstein, die großartigenkein anderes Texte mvonusical stephen vereint sondheim die Genialität und von drei meistern die unvergleichlichenwie WchoreografienesT side s Tvonory Jerome. die unsterbliche robbins. mit m usik von Leonard der Broadway-PremiereBernstein, 1957 die definierte großartigen WEST Texte SIDE von STORY stephen sondheim und ein ganzes Genre dieneu. unvergleichlichen am deutschen Theater choreografien erlebte es von 1961 Jerome robbins. mit seine europäischeder erstaufführung. Broadway-Premiere 1957 definierte WEST SIDE STORY ein ganzes Genre neu. am deutschen Theater erlebte es 1961 seine europäische erstaufführung. spiELzEiT Di - Sa: 19.30 Uhr Ι Sa: 15 Uhr Ι So: 14.30 + 19 Uhr

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„No. 1 greatest musical of All Time.“ THE TimEs „No. 1 greatest musical of All Time.“ THE TimEs

* Preise ggf. inkl. mwst. und zzgl. servicegebühren 105 * Preise ggf. inkl. mwst. und zzgl. servicegebühren

Was sind eigentlich Was wünschen Sie sich T-Talks? für die Entwicklung der internationalen tanzmesse nrw in der Zukunft? Schön, dass Sie fragen. Das erste „T“ steht für Tanzmesse. Die T-Talks sind neu und erweitern Ich wünsche mir eigentlich, dass es genauso das Programm um Gesprächsformate. Darin weitergeht: Dass wir als Organisatoren weiter- möchten wir die Themen unserer Partner einbe- hin unsere Augen und Ohren offen halten, um ziehen und sichtbar machen. Es geht dabei um in kommenden Ausgaben ein für die internati- produktionspraktische und den internationa- onale Tanzszene attraktives Angebot offerieren len Tanzkontext betreffende Fragestellungen. zu können. Wir wollen damit, dass auch in Zu- Mit jedem der 14 T-Talks gehen wir eine Part- kunft unsere Besucher die Tanzmesse mit dem nerschaft mit mindestens einer weiteren auf Gefühl verlassen werden, dass sich der Besuch der Tanzmesse vertretenen Institution ein und für sie persönlich gelohnt hat. Ich wünsche mir haben hierzu die jeweilige Frage gemeinsam zudem ein größeres Budget. Uns ist es nicht entwickelt. Dies hat es uns ermöglicht, ein weit möglich, die auftretenden KünstlerInnen an- gefächertes Angebot zusammenzustellen. gemessen zu entlohnen. Dies zu ändern, steht ganz oben auf unserer Agenda.

107 ____IMPRESSUM____

Spielzeitheft Nr. 3 Idee, Konzept und Redaktion: NINA HÜMPEL ANJA K. AREND HANNAH MELDER

Mitarbeit: Anzeigen und Marketing: Grafische Gestaltung: LULU TIKOVSKY JANETT METZGER GYÖNGYI LUPFER

Herausgeber (V.i.S.d.P): tanznetz.de © 2016 109 S. 12: Remus Şucheană, FOTOCREDITS Martin Schläpfer © Susanne Diesner „YOU SHOULD DO,

S. 13: Nanine Linning SPIELZEITHEFT © Annemone Taake WHAT YOU CAN DO“ Der Tanzkongress 2016 in Hannover: S. 13: Aurélie Dupont NR. 3 S. 24/25: Public Warm-up © Hidemi Seto, Opéra national de Paris mit Boris Charmatz © Anja Beutler S. 13: Bruno Bouché © Petri Laitinen S. 26: Sonja Pregrad S. 14: Christoph Marthaler, in „20 DANCERS FOR THE XX CENTURY“ Stefanie Carp von Boris Charmatz © Anja Beutler © Edi Szekely, Ruhrtriennale 2016 S. 26: S. 14: Holger Bergmann COVER: Ashley Chen in „20 DANCERS FOR THE © Ohne Angabe XX CENTURY“ von Boris Charmatz „Das Triadische Ballett“ von Oskar © Anja Beutler Schlemmer/Gerhard Bohner/Bayeri- S. 14: Walter Heun © Ohne Angabe sches Staatsballett 2 © Wilfried Hösl S. 28/29: Salon „Ethics of Decision S. 15: Andrea Gern © die arge lola Making“ © Anja Beutler S. 15: Ivan Alboresi © Birgit Susemihl S. 28: Workshop „Releasing the Archive“ mit Carol Brown und Thomas VORWORT: S. 16: Violette Verdy Kampe © Anja Beutler © Holger Badekow S. 3: Nina Hümpel © Bettina Stöß S. 29: Workshop „Performing Borders: S. 16: Manfred Schnelle Vulnerability, Citizenship, and the © Manfred Schnelle Body“ mit Gurur Ertem und Tom Tlalim © Anja Beutler RÜCKBLICK AUF DIE S. 16: Roman Arndt © Ohne Angabe S. 30: Salon „Let’s talk about work, S. 18: Mei Hong Lin SPIELZEIT 2015/16: honey!“© Anja Beutler © Peter Philipp S. 9: Karl Regensburger © Michael Dürr S. 31: Raphaëlle Delaunay S. 18: Carlos Matos in „20 DANCERS FOR THE XX CENTURY“ © Martin Reißmann S. 9: Wolfgang Oberender, von Boris Charmatz Ivan Liška, Bettina Wagner-Bergelt © Anja Beutler © Wilfried Hösl S. 18: Benjamin Millepied © Opéra national de Paris S. 9: John Neumeier © Steven Haberland S. 19: Nina Hümpel © Bettina Stöß DIE 5. BIENNALE TANZ- S. 9: Stefan Dreher © Stefan Dreher S. 19: Beate Vollack © Theater St. Gallen AUSBILDUNG IN KÖLN S. 10: Martin Schläpfer © Gert Weigelt Ein Interview mit Vera Sander: S. 32: School of Dance and S. 10: Amelie Deuflhard Circus Stockholm © Paul Leclaire © Marcelo Hernandez DEN TANZ NACH S. 35: Hamburg Ballett – John Neumeier S. 10: Bridget Breiner © die arge lola VORNE BRINGEN © Paul Leclaire Ein Interview mit S. 10: Lutz Förster © Vito Fusco Michael Freundt zum Tanzjahr 2016: S. 36: Symposium „Reflection and Feedback“ © Paul Leclaire S. 11: Prof. Martin Puttke S. 23: Michael Freundt © Anna Roskozny © Bettina Stöß S. 36: Abschluss im Foyer der Oper © Paul Leclaire S. 12: Adolphe Binder © Joakim Roos, Tanztheater Wuppertal S. 40/41: Canada’s National Ballet School Toronto© Paul Leclaire S. 12: Mauro Bigonzetti © Gert Weigelt S. 43: Vera Sander © Bettina Stöß 110 S. 63: Marieluise Jeitschko S. 90: Alanna und Tarah Pfeiffer WO STEHT DER © Privat © Lutz Lippmann

S. 64: Ivan Liška S. 90: Alanna Pfeiffer ZEITGENÖSSISCHE © Sascha Kletzsch © Rolf K. Wegst

TANZ? S. 65: Goyo Montero S. 91: Tarah Pfeiffer Die Tanzplattform Deutschland 2016: © Gregory Batardon © Daisy Komen

S. 44/45: „Collective Jumps“ S. 66: Günter Pick S. 91: Alanna und Tarah Pfeiffer von Isabelle Schad © Lioba Schöneck © Lutz Lippmann © Laurent Goldring S. 67: Antony Rizzi S. 91: Alanna und Tarah Pfeiffer S. 47: „Aerobics! – Ein Ballett in © Günter Krämmer © Lutz Lippmann 3 Akten“ von Paula Rosolen/Haptic Hide © Laurent Philippe S. 68: Silvana Schröder © Stephan Walzl S. 47: „Not Punk, Pololo“ von Ginters- DIE INTERNATIONALE dorfer/Klaßen S. 69: Simone Schulte © Privat © Knut Klaßen S. 70: Christian Spuck TANZMESSE NRW: S. 48: „UNTIL OUR HEARTS STOP“ von © Raphael Hadad Meg Stuart/Damaged Goods S. 100/101: „Camouflage“ © Iris Janke S. 72: Bettina Wagner-Bergelt von Meimage Dance Company © Sascha Kletzsch © Gunu Kim S. 50: „nimmer“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft S. 73: Gert Weigelt S. 103: „From the Top“ © Anja Beutler © Gert Weigelt von Victor Fung Dance © Keith Hiro S. 51: „Violent Event“ von Billinger & Schulz S. 103: „Titanium“ © Florian Krauß GESUNDHEITS- von Rojas y Rodríguez © Rafa Abella S. 106: „Memento Vivere“ FÖRDERUNG DURCH von compagnie MAD © DR S. 106: „Correction“ DIE UMFRAGE: TANZ FÜR TANZENDE von VerTeDance © Radek Holes Der 13. Kongress für Tanzmedizin 2016 S. 54: Robert Conn an der Palucca Hochschule für Tanz S. 107: „Folk“ © Nik Schölzel Dresden – Ein Erfahrungsbericht der von National Dance Company Wales Tänzerinnen Alanna und Tarah Pfeiffer: © Rhys Cozens S. 55: Tamas Detrich © Roman Novitzky S. 80: Workshop-Impressionen © Monika Löffelholz S. 56: Ingo Diehl © Ingo Diehl S. 83: Workshop-Impressionen © Monika Löffelholz IMPRESSUM: S. 57: Honne Dohrmann © Andreas Etter S. 84: Workshop-Impressionen S. 109: Nina Hümpel © Bettina Stöß © Monika Löffelholz S. 58: Jutta Ebnother S. 109: Anja K. Arend © Privat © Andràs Dobi S. 84: Workshop-Impressionen © Monika Löffelholz S. 109: Hannah Melder © Privat S. 60: Kerstin Evert © Thies Rätzke S. 86: Workshop-Impressionen S. 109: Lulu Tikovsky © Mauricio Tikovsky © Monika Löffelholz S. 61: Eric Gauthier S. 109: Janett Metzger © Privat © Maks Richter S. 87: Workshop-Impressionen © Monika Löffelholz S. 109: Gyöngyi Lupfer © Privat S. 62: Jessica Iwanson © Vreni Arbes

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