Im Gesprach Rolf Henrich Und Otto Schily Issn 1028-2734

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Im Gesprach Rolf Henrich Und Otto Schily Issn 1028-2734 IM GESPRACH ROLF HENRICH UND OTTO SCHILY ISSN 1028-2734 Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion Heft 35 Herausgegeben von Arno Bamme, Peter Baumgartner, Wilhelm Berger, Ernst Kotzmann ISSN 1028-2734 In dieser Schriftenreihe veröffentlicht das IFF, Arbeitsbereich Technik- und Wissen- schaftsforschung, Arbeitsmaterialien, Diskussionsgrundlagen und Dokumentationen, die nicht den Charakter abgeschlossener Forschungsberichte tragen, aber dem jeweils interessierten Fachpublikum zugänglich gemacht werden sollen. Beabsichtigt ist, neuere Forschungsresultate schnell, auch in vorläufiger Form, ohne aufwendige Aufarbeitung in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit der Zustimmung des Instituts gestattet. Editorial Im März und April fand in Klagenfurt eine Veranstaltungsreihe der Philosophischen Gesellschaft unter dem Titel Grenzberichte statt. An vier Abenden waren Schrift­ steller, Theoretiker und Politiker aus sieben europäischen Ländern eingeladen, um über ihr Land zu berichten, von ihren Lebensumständen zu erzählen und zu ver­ suchen, im Gespräch Gemeinsamkeiten und Differenzen zu reflektieren. Es kam uns darauf an zu erfahren, welche Besonderheiten, Unvereinbarkeiten, welche ganz konkreten Probleme und Konflikte das ausmachen, was man das je eigene Land nennt. Der Abend mit Otto Schily und Rolf Henrich am 6. April 1990 stand unter dem Vorzeichen der zukünftigen Vereinigung beider deutschen Staaten. Unter dem Titel: Einheit und Widerspruch sollte vor allem die Problematik dieses Vereinigunsprozesses zur Diskussion gestellt werden. Ob diese Vereinigung überhaupt zustande kommen kann, stand außer Frage. Hier waren sich Otto Schily und Rolf Hernrich einig. Fragt man nach dem Autor dieser Einigkeit, so ist es die Geschichte selbst. Mit dem Ton der Geschichtsmächtigkeit stellt sich nur mehr die Frage nach dem "Wie", nach der Machbarkeit eines vereinten Deutschlands. Und so standen auch die Folge­ problematiken, die Fragen der Währungs- und Wirtschaftsunion, der Eigentums­ verhältnisse und Reformen, wie die Auswirkungen der Vereinigung auf die politische Landschaft eines neuen Deutschlands und hier besonders der mögliche Zusammen- schluß der PDS mit den Grünen, im Mittelpunkt. Insgesamt gesehen, scheint die Realisierung eines gesamten Deutschlands nach westlichem Vorbild beschlossen zu sein. Ein "anderer Ton", der an diesem Abend nur kurz mit der Dritte-Welt-Problematik angesprochen wurde, fand sich nur selten. Besonders in Bezug auf das aktuell gewordene Haus Europa, war bei den anderen Veranstaltungsabenden nicht nur Zustimmendes zu hören. Ob in einem ökonomisch vernetzten Europa die kleineren Staaten wie Rumänien oder Bulgaren sich mit dem Keller des Hauses abfinden werden müssen, scheint nur allzu sicher zu sein. Beim Veranstaltungsabend "Schweiz - Österreich: Das Neutrale" wurde eine mögliche "Nordweltapartheid" angesprochen, die den Nord-Süd-Konflikt noch verschärfen könnte. Auch die Befürchtung, daß in einem vereinten Europa jene demokratischen Strukturen, die z.B. in der Schweiz unter dem Schutz der Neutralität aufgebaut werden konnten, in einem unter ökonomisch-zentralistischen Gesichtspunkten be­ stimmten Europa wieder abgebaut werden würden, blieb ohne Antwort. Sie konnte nur mit Sollens-Bestimmungen aufgefangen werden. Die politische Forderung nach Erhaltung demokratischer Strukturen, dem Mitbestimmungsrecht von Bürger­ bewegungen oder der kulturellen Vielfältigkeit, wurde ausgesprochen. Wie diese aber 1 zu realisieren ist, blieb offen. Scheinbar bleibt die Hoffnung, daß der sich ent­ wickelnde europäische Wirtschaftsraum ohne Demokratisierung gar nicht funk­ tionieren kann. Daß Angst, Zögern oder Nachdenklichkeit keine Kriterien für die Machtbarkeit sind, wurde von Otto Schily und Rolf Henrich sehr deutlich gemacht. Was die Wieder­ vereinigung betrifft, wurde klargestellt: zuerst wird die Geschichte vollzogen, dann ist wieder Zeit für andere Probleme. Insofern könnte das Tempo und die Methode der deutschen Vereinigung paradigmatisch für das Tempo und die Methode des angestrebten vereinigten Europas sein. Die ökonomisch treibende Kraft wird hierbei wohl die wirtschaftliche Potenz der BRD zu sein. Dieser Prozeß scheint zwingend und ohne Alternative zu sein, scheint doch ein vereintes Europa notwendig, um die politisch-ökonomische Potenz Deutschlands unter europäischer Kontrolle zu halten. Unter diesem Gesichtspunkt legitimieren sich wechselseitig die Vereinigung Deutsch­ lands und Europas. Wie Schily sagte: "Wir können umso deutscher sein, je euro­ päischer wir werden". Die Frage ist, ob sich Europa auch unter deutschen Vor­ zeichen vereinigen wird. Ein radikal oppositionelles Denken erscheint unter der Perspektive eines vereinten, demokratischen Europas irrational. Inwieweit die Entstehung eines ökonomisch­ politischen und kulturellen Machtblockes in Europa einen Terrorismus der Dritten Welt hervorrufen wird, bleibt als Frage aufgegeben. Wächst nicht die Gefahr, daß auf die offensichtliche ökonomische Vernünftigkeit des Vereinigungsprozesses nur mehr mit genauso offensichtlicher Unvernünftigkeit geantwortet wird? Wie aus dieser Diskussion hervorgegangen ist, wird sich ein demokratisches System gleich­ zeitig mit seinen eigenen obrigkeitsstaatlichen Traditionen und der Frage des Terrorismus auseinandersetzen müssen, um ein demokratisches System zu bleiben. Aus österreichischer Perspektive stellt sich weiterhin die Frage, wie ein kleiner Staat - noch dazu mit dem Status der Neutralität - im Prozeß der europäischen Vereinigung sein Recht auf Autonomie und Mitbestimmung bewahren wird können. Auf diese Frage wurde auch von Teilnehmern aus Bulgarien, Rumänien, der Tsche­ choslowakei und Ungarn insistiert. Besonders für kleine Länder ist es selbstver­ ständlich problematisch und identitätsbedrohend, wenn ökonomische Macht die politischen Perspektiven vorgibt. An dieser Stelle möchten wir uns besonders bei Arno Bamm6 für die Konzeption und Moderation des Gespräches mit Rolf Henrich und Otto Schily bedanken. Be­ sonderer Dank auch an Frau Gerda Tomaschitz, die die schriftliche Fassung des Gespäches erstellte. Im Gespräch: Rolf Henrich (Deutschland-Ost) und Otto Schily (Deutschland-West) Arno Bamml: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zum heutigen Gesprächs­ abend der "Grenzberichte" und heiße dazu unsere Gäste, Herrn Rolf Henrich aus Deutschland-Ost und Herrn Otto Schily aus Deutschland-West herzlich in Klagenfurt willkommen. Wir haben es hier mit zwei Deutschen zu tun, die mindestens zwei Dinge miteinan­ der gemein haben: Beide sind Juristen, und beide verfügen über eine Tugend, die in dem durch obrigkeitsstaatliches Denken lange Zeit geprägtem Deutschland nur spärlich entwickelt war: Zivilcourage. Der eine, aus Deutschland-Ost, wurde wegen seiner Kritik am real existierenden Sozialismus mit Berufsverbot belegt und aus der Partei ausgeschlossen. Bei dem anderen, aus Deutschland-West, fand man degoutier- lich, daß er, in Zeiten latenter politischer Hysterie, des Terrorismus Verdächtigten juristischen Beistand gewährt hat. Klaus Ratschiller, Hubert Wank und ich haben uns Themenkomplexe zurechtgelegt, von denen wir annehmen, daß sie auch für Österreich interessant sind. Dazu werde ich im Laufe des Gespräches einige Impulsthesen geben. Ich möchte nun mit dem ersten Themenkomplex "Politische Ambition - persönlicher Lebensweg" beginnen. Herr Rolf Henrich hat einen Weg genommen, von der staatstragenden Partei zur Radikalopposition. Die Kritik, die er in seinem Buch "Der vormundschaftliche Staat" formuliert, ist meines Erachtens radikaler als die Kritik, die zuvor Rolf Bahro formuliert hat. Bahro hatte ja gesagt, die DDR befindet sich im Stadium des Proto- sozialismus. Rolf Henrich hat gesagt, das stimmt so nicht. Der Sozialismus, das heißt, der Realsozialismus ist nicht die historische Folgestufe auf die bürgerliche Gesellschaft, sondern ein paralleler Entwicklungspfad. Er ist die industrielle Form der asiatischen Produktionsweise. Im "Spiegel" vom 27. März 1989 war daraufhin zu lesen, daß Rolf Henrich mit ein, zwei Jahren Gefängnis rechne, daß er sie aushalten würde, aber ein Held sei er nicht. "Der Spiegel" meinte dazu, Rolf Henrich werde wohl nach West-Deutschland gegen Devisen abgeschoben. Es kam dann alles ganz anders. Herr Henrich, wie erlebten Sie das damals, was waren Ihre Beweggründe, Ihre Perspektiven, war das ein Alleingang oder mit Freunden abgesprochen? Rolf Henrich: Sie haben die Spiegeigveröffentlichung angesprochen. Meine Freunde haben damals angenommen, daß es nicht ohne eine Inhaftierung abgehen würde. Da gab es halt immer denselben Mechanismus, Inhaftierung und letztendlich Abschiebung 3 in die BRD. Es haben mehrere Freunde mit mir zusammen gestanden, aber wir waren, jedenfalls vor dem Frühjahr 1988, doch ein sehr kleiner Kreis. Und auch da muß man wieder unterscheiden, zwischen denen, die unter dem Dach der Kirche gearbeitet haben und jenen die nur unter diesem Dach gearbeitet haben. Das war ein Raum, der einem einen gewissen Schutz gegeben hat, aber natürlich auch ein problematischer Raum, denn es gab da auch eine Grenze zur übrigen Bevölkerung. Das Problem vor 1988 war ja, daß es nie gelungen ist, den Funken, ich sag es jetzt einmal etwas plakativ, auf den normalen Bürger überspringen zu lassen. Wir hatten verabredet, und zwar schon sehr zeitig, daß wir eine Form finden wollten, außerhalb des kirchlichen Rahmens aktiv zu werden. In diesem Rahmen sehe ich auch diese Veröffentlichung, und wie gesagt, ohne die Hilfe vieler Freunde war das nicht abgegangen.
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