1 2 »Ich habe nur die Hoffnung, 3 4 dass der Kelch an uns vorübergeht ...« 5 Der Zypernkonflikt und die erste deutsche 6 Out-of-area-Entscheidung* 7 8 Von Alexander Troche 9 10 »Die Zeit ist vorbei, wo wir sagen mussten, deutsche Soldaten beteiligen sich 11 an derartigen Aktionen nicht.« Dieser Meinung schloss sich eine große Mehr- 12 heit des Deutschen Bundestages an, als Parlamentarier fast aller Parteien in 13 einer Plenarsitzung am 13. Dezember 1996 den Weg für die Out-of-area-Ent- 14 sendung von 3000 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der SFOR-Truppe für eine 15 NATO-Operation in Bosnien frei machten.1 Als am 24. März 1999 schließlich 16 deutsche Tornado-Piloten in den Einsatz gegen die Bundesrepublik Jugosla- 17 wien flogen, bedeutete dies auch den ersten regulären Kampfauftrag für die 18 deutschen Streitkräfte in der Nachkriegsgeschichte. 19 Diese Entscheidungen wurden in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch 20 im Ausland als historische Zäsur empfunden. Das Dogma der Enthaltsamkeit 21 bei internationalen Militäreinsätzen war zwar in kleinen Schritten schon seit 22 1991 durchlöchert worden, doch erst das grundsätzliche Urteil des Bundes- 23 verfassungsgerichtes vom 12. Juni 1994 hatte gegen zahlreiche Einwände den 24 Kurswechsel eingeleitet, indem es erstmals unmissverständlich klarstellte, 25 dass das Grundgesetz internationale Missionen der Bundeswehr im humani- 26 tären ebenso wie im militärischen Bereich deckt, solange eine Zustimmung 27 des Bundestages vorliegt.2 Damit wurde jene Phase deutscher Sicherheitspo- 28 litik für beendet erklärt, die Bundespräsident Roman Herzog 1995 mit dem 29 Bild des »Trittbrettfahrens« kritisiert hatte.3 Das Faktum, dass Deutschland 30 nicht mehr länger die alleinige verteidigungspolitische Verantwortung den 31 westlichen Partnern überlassen konnte, besaß seinen Hintergrund in zwei we- 32 33 34 * Die vorliegende Darstellung basiert auf Forschungen, die der Verfasser unternommen 35 hat im Rahmen seiner demnächst erscheinenden Untersuchung »Berlin wird am Mekong vertei- 36 digt«. Die bundesdeutsche Außenpolitik und ihr Verhältnis zu China, Taiwan und Süd-Vietnam 1954–1966. 37 1 Für die Debatte im Deutschen vgl. die Stenographischen Berichte, 13. Wahl- 38 periode, 149. Sitzung, S. 13490 ff. 39 2 Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994, in: Neue Juristische Wochenschrift, 47 (1994), Heft 34, S. 2207 ff. 40 3 Rede von Bundespräsident Roman Herzog vor der Deutschen Gesellschaft für Aus- 41 wärtige Politik, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes vom 15. März 1995, S. 162 f. 42 184 Alexander Troche

1 sentlichen Entwicklungen der 90er Jahre: Zum einen in der deutschen Verei- 2 nigung, mit der gerade das Ausland die endgültige Wiederherstellung einer 3 staatlichen und außenpolitischen Normalität für die Bundesrepublik verband 4 – mit den daraus entstehenden Rechten und eben auch Pflichten. Zum anderen 5 aber lag ein Ursprung der neuen Erwartungshaltung auch in den augenfälligen 6 Konflikthäufungen in und außerhalb Europas. So wurden die Deutschen 1993 7 nicht zuletzt vom damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Butros 8 Butros Ghali, daran erinnert, dass sich die internationale Gemeinschaft nicht 9 vor einem UNO-Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten fürchte.4 10 Die seit Anfang 1990 ganz offensichtlich gestiegenen Ansprüche an die zu- 11 künftige deutsche Militärpolitik führten deshalb noch einmal zu der seit Jahr- 12 zehnten praktizierten innen- und außenpolitischen Diskussion, in der juristi- 13 sche Invektiven mit Verweis auf schwerwiegende Verfassungsbeschränkun- 14 gen ein globales militärisches Engagement Deutschlands verhindern sollten. 15 Doch eben jene Rechtsauslegung war von Beginn der deutschen Nachkriegs- 16 geschichte an umstritten. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass 17 in den Diskussionen der 90er Jahre wenig darüber reflektiert wurde, wann und 18 weshalb diese Rechtsdoktrin der Bundesrepublik eigentlich entstand. Ein Blick 19 in ihre Entstehungsgeschichte zeigt nämlich, dass die juristischen Einwände 20 niemals den Kern des Problems bildeten, sondern nur einen fehlenden politi- 21 schen Willen ummanteln mussten. Sicherlich besaß die Bundesrepublik – lan- 22 ge Zeit an der Trennlinie des Ost-West-Konfliktes liegend – viele gute Gründe, 23 um sich als geteilte Nation mit eingeschränkter Souveränität nicht übermäßig 24 militärisch oder machtpolitisch zu exponieren. Doch der Konsens darüber war 25 bei weitem nicht unverbrüchliches Erbe der Bonner Gründerväter. 26 Deshalb besitzt die sicherheitspolitische Zäsur im vereinigten Deutschland 27 der 90er Jahre nur teilweise den Anspruch auf Exklusivität. Dies verdeutlicht 28 vor allem das Eingangs zitierte Plädoyer eines bekannten deutschen Politikers, 29 welches sich unzweideutig für internationale Bundeswehreinsätze und gegen 30 ein deutsches Abseitsstehen ausspricht. Es datiert nicht etwa aus der Kontro- 31 verse der 90er Jahre, sondern aus dem Jahr 1964 und stammt von keinem Ge- 32 ringeren als dem damaligen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages und 33 stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, Carlo Schmid.5 Dessen For- 34 derung nach Übernahme von internationaler Verantwortung verweist darauf, 35 dass schon einmal in der bundesdeutschen Geschichte eine Regierung in Ab- 36

37 4 Vgl. hierzu Gregor SCHÖLLGEN, Zehn Jahre als europäische Großmacht. Eine Bilanz 38 deutscher Außenpolitik seit der Vereinigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/2000, 39 S. 3 ff. 40 5 Äußerung Carlo Schmids bei einer Gesprächsrunde im Bundeskanzleramt am 4. Febr. 1964. Vgl. hierfür die Aufzeichnung von Staatssekretär Carstens an Bundesaußenminister 41 Schröder vom 4. Febr. 1964; Bundesarchiv Koblenz [zitiert nachfolgend als BA], NL 1337 42 Karl Carstens, Bd. 630, sowie Anm. 16. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 185 stimmung mit allen Bundestagsfraktionen dem Einsatz von Bundeswehrsol- 1 daten außerhalb des NATO-Gebietes zugestimmt hat. Nicht erst 1996, sondern 2 schon 1964 fiel die erste Out-of-area-Entscheidung für die deutsche Bundes- 3 wehr. Dieser Umstand wurde in der Forschung bisher weder reflektiert,6 noch 4 fand er jemals Eingang in die aktuelle politische Diskussion. 5 Die brisante Entscheidung war im Frühjahr 1964 notwendig geworden, als 6 die USA und Großbritannien die Beteiligung Bonns an einer NATO-Streit- 7 macht mit 1200 Bundeswehrsoldaten erbaten, welche einer friedensbewahren- 8 den Mission im Zypern-Konflikt dienen sollte. Dort hatte sich die seit langem 9 krisenhafte Situation zwischen den NATO-Mitgliedern Türkei und Griechen- 10 land mit der Kündigung der 1959 geschlossenen Allianz- und Garantieverträge 11 durch Präsident Makarios am 1. Januar 1964 so verschärft, dass eine türkische 12 Militärintervention unmittelbar drohte.7 Um einen bündnisinternen Krieg zwi- 13 schen den beiden NATO-Partnern zu verhindern, wurde der Plan für die Ent- 14 sendung einer 10 000 Mann starken Präventions-Truppe aus anderen Mitglied- 15 staaten des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses entwickelt. Diese Va- 16 riante sollte nicht nur verhindern, dass der Zypern-Konflikt zum Zypern-Krieg 17 eskalierte, sondern auch sicherstellen, dass nicht die Vereinten Nationen zur 18 entscheidenden Instanz der Friedensregelung erklärt wurden. Denn weder die 19 Regierung in Washington noch in London beabsichtigte, durch solch ein Frie- 20 densmandat zwangsläufig auch dem UN-Sicherheitsratsmitglied Sowjetunion 21 ein Mitspracherecht zu gewähren.8 22 Im Zuge dieses NATO-internen Lösungsmodells dachte man auch an einen 23 Beitrag deutscher Soldaten. Mit einer gemeinsamen Demarche im Auswärti- 24 gen Amt wiesen der britische Botschafter Sir Frank K. Roberts und der ame- 25 rikanische Geschäftsträger Martin J. Hillenbrand am 31. Januar gegenüber 26 Staatssekretär Karl Carstens eindringlich auf die gefährliche Lage in Zypern 27 hin. Sie ließen vor allem den vorsichtigen Einwand Carstens’ nicht gelten, 28 wonach das Bundesverteidigungsministerium bei einem solchen Engagement 29 die unliebsamen Erinnerungen an die Kämpfe während des Zweiten Weltkrie- 30 ges in Griechenland und auf Kreta fürchte. Roberts appellierte sogar »dringend 31 32 33 6 Vgl. hierzu Nina PHILIPPI, Bundeswehreinsätze als außen- und sicherheitspolitisches 34 Problem des geeinten Deutschland, Frankfurt a.M. 1997, S. 59 ff.; Matthias PETER/Harald RO- 35 SENBACH, »Deutsche Grenadiere nach Vietnam? Wie Washington vor dreißig Jahren die Bun- 36 desregierung in große Verlegenheit brachte«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. April 1997, S. 13. Beide Untersuchungen datieren die erste Auseinandersetzung um Out- 37 of-area-Einsätze erst auf spätere Jahre. 38 7 Zum Verlauf des Zypern-Konfliktes vgl. Frank R. PFETSCH (Hrsg.), Konflikte seit 1945. 39 Daten – Fakten – Hintergründe. Europa, Freiburg 1991, S. 93 ff.; Archiv der Gegenwart 34 40 (1964), S. 11120 ff., S. 11299 ff. und S. 11368 ff. 8 Die Internationale Politik 1964–1965, hrsg. v. Wilhelm CORNIDES (Jahrbücher des For- 41 schungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik), München 1972, S. 71 f. 42 186 Alexander Troche

1 an seine Freunde«, die Last der Verantwortung zu teilen. Die Darlegungen 2 der Botschafter waren so nachdrücklich, dass Außenminister Gerhard Schröder 3 die Angelegenheit noch am gleichen Tag dem Bundeskabinett vorlegte.9 4 Damit war in der Bundesrepublik die erste Erörterung von Out-of-area-Ein- 5 sätzen der Bundeswehr notwendig geworden. Die Anfrage aus Washington und 6 London, die der deutschen Presse nicht lange verborgen blieb, sorgte für kon- 7 troverse Reaktionen, sowohl in der Öffentlichkeit wie auch in Regierungs- 8 kreisen. Zum entschiedensten publizistischen Fürsprecher eines deutschen 9 Engagements wurde Theo Sommer, der in der Wochenzeitschrift »Die Zeit« 10 vor einem »Absentismus« und »krassen Egozentrismus« der Deutschen warnte. 11 Schließlich schüfen Ansprüche auch Verpflichtungen.10 Dagegen stand jedoch 12 unübersehbar eine Mehrzahl von Kritikern. Die »Frankfurter Allgemeine Zei- 13 tung« kommentierte: »Das ist Nichts für Bonn«.11 Auch Kurt Becker in »Der 14 Welt« wandte sich in einem ausführlichen Leitartikel gegen deutsche Soldaten 15 für Zypern.12 Die wöchentliche Presseanalyse der amerikanischen Botschaft 16 in Bonn fiel deshalb pessimistisch aus. Die öffentliche Meinung, so analysierte 17 der Stimmungsbericht, zeigte sich dermaßen geschlossen ablehnend, dass die 18 US-Vertreter alle Komponenten für einen grundsätzlichen politischen Konflikt 19 mit der Bundesregierung prognostizierten.13 Interessanterweise spielten recht- 20 liche Beschränkungen des Grundgesetzes keine Rolle in den Leitartikeln der 21 großen Presseorgane. Als Einwand gegen ein deutsches Militärengagement 22 wurde zwar erhoben, dass ein Einsatz in Zypern weder auf NATO-Boden noch 23 auf Empfehlung des NATO-Rates erfolgen würde. Aber vor allem politische 24 Rücksichtnahmen bildeten die Hauptargumente. Mit der Entsendung deutscher 25 Soldaten werde man sich der direkten Kritik der Sowjetunion aussetzen. Der 26 Lösung der Berlin- und Deutschlandfrage sah man mit einer solchen Maßnah- 27 me nicht gedient, vielmehr riskiere Bonn, seinen mühsam aufgebauten mora- 28 lischen Kredit in der Weltöffentlichkeit zu verspielen. 29 In deutschen Regierungskreisen traf der Gedanke internationaler Bundes- 30 wehreinsätze ebenfalls nicht auf einhellige Zustimmung, doch wurde er nicht 31 32 33 9 Aufzeichnung von Staatssekretär Carstens an Bundesaußenminister Schröder vom 31. Jan. 1964; Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1963 ff., hrsg. 34 im Auftrag des Auswärtigen Amtes vom Institut für Zeitgeschichte, Hauptherausgeber Hans- 35 Peter SCHWARZ, München 1994 ff. [nachfolgend zitiert als AAPD mit Jahrgang und Seiten- 36 zahlen], AAPD 1964, S. 168 f. Vgl. auch die zeitgenössische Berichterstattung im Spiegel vom 12. Febr. 1964, S. 17 ff. 37 10 Die Zeit vom 7. Febr. 1964, S. 1. 38 11 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Febr. 1964, S. 1. 39 12 Die Welt vom 5. Febr. 1964, S. 1 f. 40 13 Bericht der amerikanischen Botschaft Bonn »Joint Weeka No. 6« an das Department of State, Washington, vom 7. Febr. 1964; National Archives, Washington D.C. und College 41 Park/Maryland (USA) [zitiert nachfolgend als NA], RG 59, Alpha Numeric Files 1964–1966, 42 POL GerW, Box 2208. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 187 kategorisch verworfen. Das Kabinett stimmte dem Ersuchen Großbritanniens 1 und der USA in seiner Sitzung am 31. Januar 1964 zunächst grundsätzlich zu. 2 Die Form der Beteiligung – z.B. durch ein Lazarett – sollte allerdings noch 3 genauer erwogen werden. Auch machte es die Bundesregierung zur Bedin- 4 gung, dass Zypern einer deutschen Beteiligung am Militäreinsatz ausdrücklich 5 zustimmt.14 Nur drei Tage nach der Kabinettssitzung kam es dann am 3. Feb- 6 ruar zu einer Sondersitzung im Bundeskanzleramt, zu welcher 7 unter strikter Geheimhaltung neben Ministern auch die führenden Fraktions- 8 politiker der Bonner Parteien sowie Beamte des Auswärtigen Amtes und des 9 Bundesverteidigungsministeriums in die sogenannten »Hallstein-Räume« ge- 10 laden hatte.15 Über den genauen Verlauf des Gesprächs drang niemals etwas 11 in die Öffentlichkeit. »Die Welt« titelte deshalb: »Bonn schweigt zur Zypern- 12 Frage«.16 Erst Franz Josef Strauß berichtete 1989 in seinen Erinnerungen, wie 13 kontrovers der Fall Zypern in der Kanzleramtsrunde diskutiert wurde und dass 14 er selber »außerordentlich scharf argumentierte«.17 15 Tatsächlich führte die vertrauliche Diskussion um die Entsendung von Bun- 16 deswehrsoldaten nach Zypern zu erstaunlichen Koalitionen. Im Groben kristal- 17 lisierten sich drei Lager heraus: das der kompromisslosen Gegner, das der zö- 18 gernden, aber dennoch wohlwollenden Bedenkenträger sowie das Lager der ent- 19 schiedenen Befürworter. Es blieb dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß 20 vorbehalten, gemeinsam mit seinen Kollegen aus der FDP-Fraktion, dem Par- 21 lamentarischen Geschäftsführer Hans Georg Emde und dem stellvertretenden 22 FDP-Vorsitzenden Knut Frhr. von Kühlmann-Stumm, entschieden gegen den 23 Bundeswehreinsatz auf Zypern zu votieren. Bis zuletzt waren weder Strauß noch 24 25 26 14 Handschriftlicher Vermerk von Staatssekretär Carstens für Ministerialdirektor Jansen 27 und Ministerialdirektor Krapf vom 31. Jan. 1964; AAPD 1964, S. 170, Anm. 10. Erlass von 28 Staatssekretär Carstens an die deutschen Botschaften in Washington und London vom 1. Febr. 29 1964; ebd. 15 Aufzeichnung von Staatssekretär Carstens über die Sitzung im Bundeskanzleramt am 30 3. Febr. 1964 an Bundesminister Schröder vom 4. Febr. 1964; BA, NL 1337 Karl Carstens, 31 Bd. 630. An dem Treffen nahmen neben Bundeskanzler Ludwig Erhard teil: Kai-Uwe v. Hassel 32 (Bundesminister für Verteidigung), (Bundesminister für besondere Aufgaben), 33 (Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen), Ludger Westrick (Staatssekretär im Bundeskanzleramt), Volkmar Hopf (Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium), 34 Karl Carstens (Staatssekretär des Auswärtigen Amtes), Generalinspekteur Trettner, Rainer Bar- 35 zel (Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion), Will Rasner (Parlamentarischer Geschäftsführer 36 der CDU/CSU-Fraktion), Franz Josef Strauß (Vorsitzender der CSU), Hans Georg Emde (Par- lamentarischer Geschäftsführer der FDP), Knut Frhr. v. Kühlmann-Stumm (stellvertretender 37 Vorsitzender der FDP-Fraktion), Fritz-Rudolf Schultz (stellvertretender Vorsitzender der FDP- 38 Fraktion), Karl Mommer (Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion), Carlo Schmid 39 (Vizepräsident des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Frak- 40 tion) sowie (stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion). 16 Die Welt vom 4. Febr. 1964, S. 1. 41 17 , Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 429. 42 188 Alexander Troche

1 die FDP-Vertreter von der Notwendigkeit dieser Out-of-area-Mission zu über- 2 zeugen. Der CSU-Vorsitzende wandte sich am deutlichsten gegen die avisierten 3 Pläne, weil er keine Verpflichtung für ein deutsches Eingreifen sah und vor allem 4 das von Bundesminister v. Hassel entworfene Szenario eines NATO-Bürger- 5 krieges zwischen Griechenland und der Türkei für unwahrscheinlich hielt. 6 Wenigstens vorsichtige Bedenken wurden von den Vertretern des Vertei- 7 digungsministeriums vorgebracht. Sie wiesen daraufhin, dass ein Einsatz au- 8 ßerhalb des NATO-Gebietes unbedingt der Zustimmung des Bundestages be- 9 dürfe, der über einen Verteidigungsfall zu entscheiden habe. Generalinspek- 10 teur Trettner und Staatssekretär Hopf betonten vor allem die Gesetzeslücken 11 des deutschen Rechtes, die für die Soldaten eine nicht zu akzeptierende Un- 12 wägbarkeit bedeuten würden. Bei dieser Frage bemängelten die Generäle der 13 Bundeswehr jedoch weniger grundsätzliche juristische Einschränkungen, son- 14 dern die Tatsache, dass das Grundgesetz keine Regelungen kenne für den Fall 15 einer Verwicklung deutscher Soldaten in Partisanenkämpfe. Nur zu deutlich 16 wirkten die Erfahrungen der deutschen Militärs bei Kämpfen in Griechenland 17 während des Zweiten Weltkrieges nach. Generalinspekteur Trettner glaubte 18 deshalb ganz dezidiert darstellen zu müssen, »dass mit geltendem Strafrecht 19 kein Partisanenkrieg geführt werden könne«. Gegen Partisanen helfe aber »nur 20 Terror«. Auch insoweit müsse das Parlament die Soldaten freistellen. Vertei- 21 digungsminister v. Hassel forderte deshalb, Soldaten für diesen Fall vor einer 22 späteren Strafverfolgung zu schützen. Grundsätzlich plädierte v. Hassel jedoch 23 am entschiedensten aus dem Kreis der Bedenkenträger für einen deutschen 24 Einsatz. Er fürchtete einen griechisch-türkischen Zusammenstoß, aus dem nur 25 die Sowjetunion als Gewinner hervorgehen könne. Auch habe die Bundesre- 26 publik durchaus Interessen im südosteuropäischen Raum. Schließlich sei vor 27 kurzem sogar ein ganzes deutsches Fallschirmjägerbataillon der »Mobile 28 Landforce« zu Übungszwecken nach Griechenland geflogen und werde dem- 29 nächst auch in der Türkei erwartet. Von Hassel optierte deshalb für eine Be- 30 teiligung der Bundeswehr mit Fallschirm- und Gebirgsjägern.18 31 32 33 18 Damit muss die Darstellung von Hans-Jürgen GRABBE, Unionsparteien, Sozialdemo- kratie und Vereinigte Staaten von Amerika 1945–1966, Düsseldorf 1983, S. 455, revidiert wer- 34 den. Er behauptet, dass der Gedanke einer Eingliederung deutscher Soldaten in eine NATO- 35 Friedenstruppe für Zypern schon auf der Ebene des Verteidigungsministeriums verworfen wor- 36 den sei. Dabei stützt er sich auf eine briefliche Auskunft des ehemaligen Verteidigungsministers v. Hassel aus dem Jahr 1975. Wie jedoch der Verlauf und Ausgang des Treffens im Bundes- 37 kanzleramt am 3. Februar beweist, war das Thema weder durch das Verteidigungsministeriums 38 blockiert worden, noch kann v. Hassel als Gegner des Bundeswehreinsatzes bezeichnet werden. 39 Von Hassel appellierte für eine Beteiligung mit der eindringlichen Frage, »was geschehen wür- 40 de, wenn wir uns versagen sollten?« »Man müsse bedenken, dass die Vereinigten Staaten seit Jahren durchschnittlich wöchentlich hundert Mann im Kampf mit dem Kommunismus verlören, 41 und man könne nicht immer den Standpunkt einnehmen, die Amerikaner sollten alles tun, wir 42 brauchten uns nicht zu beteiligen.« Vgl. hierzu Anm. 16. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 189

Bundeskanzler Erhard und Staatssekretär Carstens, welcher Außenminister 1 Schröder bei dem Treffen vertrat, gaben sich Mühe, gegen alle Bedenken auf 2 die politischen Implikationen der vorliegenden Frage abzuheben. Schon im 3 Vorfeld der Diskussion mit den Fraktionen hatte Außenminister Schröder seine 4 Haltung klargelegt, indem er den von Generalinspekteur Trettner im Bundes- 5 verteidigungsrat geäußerten Bedenken entgegenhielt, Bonn werde sich aus 6 »Bündnisgründen [...] nicht versagen dürfen«.19 Schröders Staatssekretär wand- 7 te sich im Bundeskanzleramt nun nochmals mit seiner Schlussfolgerung gegen 8 die von Seiten der Bundeswehrführung vorgetragenen rechtlichen Defizite und 9 plädierte für einen Vorrang der Politik vor der Gesetzeslage: »Aber die hier zu 10 treffende Entscheidung sei politischer Natur. Wenn man aus politischen Grün- 11 den überzeugt sei, dass man handeln müsse, müsse man handeln, und es müs- 12 sten dann die rechtlichen Maßnahmen ergriffen werden, die erforderlich sei- 13 en.«20 Und darüber, dass die Bundesrepublik bei der Lösung der Zypern-Krise 14 eine wichtige Rolle spielen könne, ließ Carstens keinen Zweifel. Schließlich 15 genieße Bonn Vertrauen bei Türken und Griechen. Auch Bundeskanzler Erhard 16 stellte die deutsche Truppenzusage für Zypern in einen breiten politischen Kon- 17 text. Die USA stünden vor Wahlen, während Europa ein »diffuses Bild« biete. 18 »Nur wir seien in den amerikanischen Augen ein zugleich starker und verläss- 19 licher Partner. Auch das müsse bei der Entscheidung berücksichtigt werden.« 20 Für diese Argumente waren vor allem die SPD-Vertreter zugänglich und un- 21 terstützten den Regierungskurs in dieser Frage ausnahmslos. Herbert Wehner gab 22 gleich zu Beginn des Treffens zu bedenken: »Wir könnten keineswegs den Stand- 23 punkt einnehmen: unter allen Umständen werden keine Deutschen nach Zypern 24 entsandt.« Karl Mommer, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, kon- 25 statierte, man dürfe sich der Solidarität nicht entziehen. Ein Nein sei unmöglich. 26 Und sein Parteifreund Carlo Schmid pflichtete bei, dass »entscheidend ... die Er- 27 haltung des Friedens« sei. Auch sei die Zeit vorbei, in der sich deutsche Soldaten 28 an solchen Aktionen nicht mehr beteiligten dürften. Schmid schlug deshalb den 29 Einsatz eines Feldjägerbataillons vor. Rechtliche Bedenken schob der Bundes- 30 tagsvizepräsident ganz beiseite, weil diese »Polizeiaktion« nicht als Krieg be- 31 zeichnet werden könne und das Grundgesetz deshalb nicht zum Zuge komme. 32 Herbert Wehner hielt generell die »juristische Argumentation« für betrüblich. 33 Sicher solle die Bundesrepublik nicht als erster auf den Zug aufspringen. Aber, 34 so Wehner, »ein Nein in dieser Frage auszusprechen, sei keine gute Politik«.21 35 36 37 19 Handschriftliche Bemerkung von Bundesminister Schröder vom 31. Jan. 1964 zum 38 Bericht über die Sitzung des Bundesverteidigungsrates am 30. Jan. 1964; AAPD 1964, S. 169, 39 Anm. 7. 40 20 Aufzeichnung von Staatssekretär Carstens an Bundesminister Schröder vom 4. Febr. 1964; BA, NL 1337 Karl Carstens, Bd. 630. 41 21 Ebd. 42 190 Alexander Troche

1 Am Ende des Gespräches fanden sich Strauß, Emde und von Kühlmann- 2 Stumm mit ihrem kategorischen Nein in der Minderheit. Keiner der Anwesen- 3 den bestritt, dass sich die Bundesrepublik bei einer ernsthaften Anfrage und 4 der Zustimmung Präsident Makarios nicht verweigern könne und dürfe. Das 5 – bis heute geheim gebliebene – Gespräch im Kanzleramt zeigt damit deutlich, 6 dass kein Verantwortlicher die Lücken der bundesdeutschen Gesetzgebung tat- 7 sächlich als ein Hindernis für den Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr in Zy- 8 pern erachtete. Vorbehaltlich der noch ausstehenden politischen Entscheidung 9 hatte Staatssekretär Carstens bereits am Tag vor der Kanzlerrunde in einem 10 Runderlass an die deutschen Vertretungen die Zustimmung der Bundesregie- 11 rung und vor allem die nachdrücklich positive Empfehlung des Auswärtigen 12 Amtes für eine Entsendung deutscher Soldaten mitgeteilt. Die politischen Mo- 13 tive für die militärische Beteiligung Bonns, so Carstens an die deutschen Di- 14 plomaten, lagen vor allem im Versuch, einen direkten Konflikt der NATO- 15 Staaten Türkei und Griechenland zu verhindern sowie ein Fußfassen der Sow- 16 jetunion in Zypern über eine eventuelle UNO-Aktion auszuschließen.22 Den 17 amerikanischen und britischen Geschäftsträgern in Bonn wurde darüber hinaus 18 von Ministerialdirektor Franz Krapf die grundsätzliche Bereitschaft Bonns sig- 19 nalisiert und die Entsendung von deutschen Offizieren des Verteidigungsmi- 20 nisteriums nach London zur Besprechung aller technischer Einzelheiten vor- 21 geschlagen.23 Wie spätere Stellungnahmen Bundeskanzler Erhards beweisen, 22 hatte dieser sich gegen die Vorbehalte in der Koalition und in der Öffentlichkeit 23 konsequent der Linie des Auswärtigen Amtes angeschlossen.24 Die Bundesre- 24 gierung war im Februar 1964 offiziell bereit, deutsche Soldaten für einen Out- 25 of-area-Einsatz im NATO-Verband nach Zypern zu entsenden. 26 Dass es 1964 nicht zur ersten Peace-keeping-Mission in der Geschichte der 27 Bundeswehr kam, lag nicht an Bonn, sondern an der Blockade des zypriotischen 28 Präsidenten Makarios. Er ließ die Bundesregierung wissen, dass er erstens eine 29 deutsche Beteiligung an der NATO-Aktion in Zypern nicht wünsche und zwei- 30 tens auf eine Vermittlung der Vereinten Nationen hoffe. Allerdings sei ein fi- 31 nanzieller Beitrag Bonns zu einer etwaigen UNO-Mission oder der Einsatz des 32 33 22 Runderlass von Staatssekretär Carstens vom 2. Febr. 1964; AAPD 1964, S. 180 f. 34 23 Aufzeichnung von Ministerialdirektor Krapf, Auswärtiges Amt, vom 3. Febr. 1964; 35 AAPD 1964, S. 180, Anm. 3. 36 24 Vgl. das Gespräch Bundeskanzler Erhards mit dem amerikanischen Botschafter George McGhee, Bonn, am 12. Febr. 1964; AAPD 1964, S. 192; ebenso den Bericht McGhees, Bonn, 37 an das Department of State, Washington, vom 13. Febr. 1964; NA, RG 59, Alpha Numeric 38 Files 1964–1966, POL GerW, Box 2210. Horst Osterheld, der Leiter des Außenpolitischen 39 Büros im Bundeskanzleramt, notierte in seinen Erinnerungen: »Ich habe nur die Hoffnung, 40 dass der Kelch an uns vorübergeht, denn Makarios will, wenn überhaupt, nur Truppen aus Ländern, die UNO-Mitglieder sind. Das wäre sehr gut für uns.« Vgl. Horst OSTERHELD, Au- 41 ßenpolitik unter Bundeskanzler Ludwig Erhard 1963–1966. Ein dokumentarischer Bericht aus 42 dem Kanzleramt, Düsseldorf 1992, S. 64. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 191

Deutschen Roten Kreuzes willkommen.25 Mit der Weigerung Makarios’ entfiel 1 jedoch die Grundvoraussetzung für das Bonner »Ja« zum Bundeswehreinsatz. 2 Auch wenn es deshalb nicht zu einer tatsächlichen Entsendung deutscher Sol- 3 daten gekommen ist und die Bundesrepublik fortan die internationale Peace- 4 keeping-Mission in Zypern nur finanziell unterstützen sollte, hatte die Episode 5 doch zweierlei demonstriert: Erstens deuteten die im vertraulichen Gespräch 6 geäußerten Einstellungen der Bonner Parteivertreter darauf hin, dass Defizite 7 der Rechtslage nicht ernsthaft als Hinderungsgrund betrachtet wurden und des- 8 halb die später immer wieder formulierten legalistischen Absagen an ein inter- 9 nationales Militärengagement nur einen Vorwand darstellten, um den fehlenden 10 politischen Willen sowie die negative Interessensabwägung in Bonn mit juris- 11 tischen Hindernissen zu verklausulieren. Zweitens war mit den Entscheidungen 12 anlässlich der Zypern-Krise eine Diskussion eröffnet, die die Bundesregierung 13 fortan regelmäßig beschäftigen sollte. Dies um so mehr, als mit der Implemen- 14 tierung einer UNO-Friedenstruppe für Zypern im Laufe des Jahres 1964 auch 15 die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Einsätzen aufge- 16 worfen worden war. Wie Innenminister Hermann Höcherl in einem späteren 17 Gespräch über die Diskussionen im Bundeskabinett berichtete, waren die Be- 18 fürworter des Einsatzes – er selbst, Außenminister Schröder und Bundeskanzler 19 Erhard – auch in diesem Fall aus Gründen der Solidarität für eine Beteiligung 20 deutscher Soldaten. Welchem Zweck diene schließlich all das Militär, wenn es 21 in solchen Fällen nicht »benützt« würde – so der Innenminister –, und auch 22 die rechtlichen Bedenken könne man ausräumen.26 23 In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass fast zeitgleich sowohl 24 auf deutscher wie auch amerikanischer Seite erstmals zwei grundlegende 25 Denkschriften entstanden, die zur zukünftigen Frage von Bundeswehreinsät- 26 zen für friedenserhaltende Maßnahmen Stellung nahmen. Eine Abhandlung 27 der amerikanischen Botschaft in Bonn vom März 1964 untersuchte die aus 28 der Zypern-Krise zu ziehenden Konsequenzen und entwickelte eine generell 29 pessimistische Prognose für die Möglichkeiten Washingtons, in Zukunft deut- 30 sche Truppen bei internationalen Operationen einzubinden. Maßgebend für 31 dieses Ergebnis erachteten die amerikanischen Diplomaten die fast einhellige 32 33 34 25 Bericht Botschafter Joseph Koenigs, Nikosia, an das Auswärtige Amt vom 8. Febr. 35 1964; AAPD 1964, S. 181, Anm. 6. 36 26 Gespräch zwischen Innenminister Hermann Höcherl und dem amerikanischen Bot- schafter McGhee, Bonn, am 12. Mai 1964. Höcherl empfand den schließlich erreichten Kom- 37 promiss einer finanziellen Beteiligung an der Zypernaktion vor allem eines Landes für unwür- 38 dig, welches sich bei der Verteidigung seines eigenen Bodens auf fremde Truppen stütze. 39 McGhee appellierte an Höcherl, die Deutschen dürften nicht vor militärischen Verpflichtungen 40 zurückschrecken und so »Gefangene ihrer eigenen Geschichte« werden. Vgl. den Bericht McGhees, Bonn, an das Department of State, Washington, vom 14. Mai 1964; NA, RG 59, 41 Alpha Numeric Files 1964–1966, POL GerW, Box 2229–2231. 42 192 Alexander Troche

1 Ablehnung internationaler Bundeswehreinsätze durch die öffentliche Mei- 2 nung. Zwar gab es auch verständnisvolle Kommentare deutscher Journalis- 3 ten,27 aber die Furcht vor einem erneuten militaristischen Image, die Sorge 4 vor einer Versteifung der Moskauer Deutschlandpolitik und nicht zuletzt die 5 Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg würden zu große Barrieren in den 6 nächsten Jahren darstellen, als dass ein Einsatz auch in Gebieten wie Afrika 7 und Asien, die keinen direkten Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus auf- 8 wiesen, wahrscheinlich werden könnte. Auch wenn die Reaktion der Bundes- 9 regierung – namentlich Bundeskanzler Erhards und Außenminister Schröders 10 – Flexibilität und Entgegenkommen demonstriert hätte, betone das Auswärtige 11 Amt gegenüber den USA rechtliche Bedenken, könne diese jedoch nicht ver- 12 bindlich und präzise darlegen. Zurück blieben deshalb Spekulationen, inwie- 13 weit dabei Verstöße gegen tatsächliche rechtliche Bestimmungen gemeint wa- 14 ren oder eher Konflikte mit dem Gesetzesgeist. Als Schlussfolgerung verwies 15 die US-Botschaft auf die Grundlage für die ausgeprägte Sensibilität der Deut- 16 schen: Der Wiederaufbau der Bundeswehr und ihre Eingliederung in die WEU 17 und NATO fanden schließlich im Geiste einer strikten Kontrolle deutscher 18 Truppen durch das atlantische Verteidigungsbündnis statt und sollten jegliches 19 Aufleben eines deutschen Militarismus verhindern. Konsequenz dieser Prä- 20 misse bildet die nun aktuelle Empfindlichkeit, »even though it may at times 21 appear to be a perverse and narrow interpretation of that spirit«. Das Memo- 22 randum gibt deshalb zu bedenken, dass amerikanische Versuche, die deutsche 23 Sensibilität in diesem Bereich zu mindern, auch die deutschen Empfindlich- 24 keiten in Grundfragen der westlichen Verteidigungspolitik negativ beeinflus- 25 sen könnten.28 26 Die entsprechende Aufzeichnung deutscherseits datiert vom Mai 1964 und 27 wurde an der deutschen Botschaft in Washington erstellt.29 Sie ist vor allem 28 deswegen interessant, weil die dortigen Einschätzungen sich deutlich von der 29 amerikanischen Analyse unterscheiden und insgesamt einen sehr pragmati- 30 schen Grundton aufweisen. Die Aufzeichnung stellt einen ersten Versuch dar, 31 die gesamte Ausgangslage für internationale Einsätze deutscher Soldaten zu 32 33 34 27 Die amerikanische Botschaft in Bonn berief sich hierbei auf die Meinungsäußerungen 35 von Theo Sommer (»Die Zeit«) und Kurt Wessel (»Münchner Merkur«), die beide eine Be- 36 teiligung an der Zypern-Aktion für unvermeidbar hielten, wollte die Bundesregierung in der NATO glaubwürdig bleiben. Diese Ansichten würden auch in konservativen Parteikreisen und 37 sogar in der SPD geteilt. Vgl. hierfür das Memorandum der amerikanischen Botschaft Bonn 38 an das Department of State, Washington, vom 17. März 1964; NA, RG 59, Alpha Numeric 39 Files 1964–1966, DEF GerW, Box 1632. 40 28 Ebd. 29 Aufzeichnung von Legationsrat I. Klasse Hans-Georg Wieck, Washington, vom 28. Mai 41 1964. Sie wurde von Botschafter Karl Heinrich Knappstein, Washington, am 9. Juli an das 42 Auswärtige Amt übermittelt; AAPD 1964, S. 582 ff. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 193 evaluieren und beweist dabei, dass in der Tat die Frage der Out-of-area-Mis- 1 sionen 1964 als noch völlig offen bezeichnet werden muss. Sie geht von der 2 Feststellung aus, dass aufgrund des so erheblichen deutschen Militärpotentials 3 und der umfangreichen Verteidigungsaufwendungen die Frage einer Beteili- 4 gung der Bundesrepublik an UNO-Operationen immer häufiger zu erwarten 5 sein wird. Im Zusammenhang mit der Diskussion im Fall Zyperns kristalli- 6 sierten sich – so das Memorandum – im wesentlichen drei Gegenargumente 7 heraus: 1. Alle deutschen Truppen unterstünden ausschließlich NATO-Befehl 8 und könnten deshalb nicht zu einem UNO-Einsatz abgezogen werden; 2. ge- 9 rade ein Einsatz bei den griechischen Bevölkerungsteilen auf Zypern könne 10 unliebsame Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hervorrufen; 3. rechtliche 11 Voraussetzungen für einen UNO-Einsatz fehlten. Vor allem die USA, so diag- 12 nostizierte die deutsche Botschaft Washington, verfolgten seit längerem das 13 Ziel, einzelne Staaten um Beiträge zum Aufbau von UNO-Streitkräften zu bit- 14 ten. Es müsse fraglich erscheinen, »ob wir wirklich auf die Dauer in allen 15 Fällen abseits stehen können«. Deshalb enthält das Memorandum einen Maß- 16 nahmenkatalog, der die Voraussetzungen für eine Übernahme dieser UNO- 17 Funktionen durch die Bundesrepublik schaffen sollte. Bemerkenswert dabei 18 ist, dass die Frage der Nichtmitgliedschaft Bonns in diesem Zusammenhang 19 keine Rolle spielte, sondern im Gegenteil die militärische Partizipation sogar 20 dazu genutzt werden sollte, den »Präzedenzfall eines deutschen Auftretens 21 auch in originären VN-Organen ohne gleichzeitige Anwesenheit von SBZ- 22 Vertretern« zu schaffen. Dies sollte durch ein Anhörungsrecht der Bundesre- 23 publik im Sicherheitsrat für den Fall einer Beteiligung der Bundeswehr ge- 24 währleistet werden. Des weiteren empfahl das Memorandum die Vorbereitung 25 der fehlenden rechtlichen Voraussetzungen sowie – mit Einwilligung der 26 NATO – die Aufstellung einer deutschen UNO-Truppe, z.B. aus Einheiten 27 des Bundesgrenzschutzes. 28 Alle Gutachten bis zur Mitte der 60er Jahre monierten somit zwar gewisse 29 gesetzliche Lücken in der genauen Ausgestaltung deutscher militärischer Aus- 30 landseinsätze, doch kein Schriftsatz ging davon aus, dass erhebliche verfas- 31 sungsmäßige Beschränkungen vorlagen. Erst die brisante Zuspitzung der in- 32 ternationalen Lage ließ es von deutscher Seite politisch immer weniger op- 33 portun erscheinen, militärische Präsenz außerhalb der eigenen Grenzen zu 34 zeigen. So hatte das Bekanntwerden geheimer deutscher Panzerlieferungen an 35 Israel just im Frühjahr 1965 für die Bundesrepublik und ihre Außen- und 36 Deutschlandpolitik in ein diplomatisches Desaster gemündet. Nicht nur erziel- 37 te die DDR im Gefolge dieser Nahost-Krise mit dem ersten Staatsbesuch Wal- 38 ter Ulbrichts in Ägypten einen herausragenden Prestigegewinn im Ringen um 39 internationale Anerkennung, sondern es brachen aus Empörung über die deut- 40 sche Militärhilfe für Israel auch zahlreiche arabische Staaten die diplomati- 41 schen Beziehungen zu Bonn ab, welches aber gerade in dieser Region beacht- 42 194 Alexander Troche

1 liche wirtschaftliche Interessen besaß.30 Darüber hinaus verstärkte sich aus- 2 gerechnet auf amerikanischer Seite seit Mai 1964 die Tendenz, Bundes- 3 wehreinheiten nun auch für den Einsatz in Vietnam vorzusehen. Sie gipfelte 4 im Dezember 1965 schließlich in der Forderung von US-Präsident Lyndon 5 B. Johnson, Bonn solle deutsche Bundeswehrpioniere in Bataillonsstärke nach 6 Saigon entsenden. Ein solches Engagement in einem unkalkulierbaren Kon- 7 fliktherd und außerhalb jeder NATO-Verantwortlichkeit stand für Bundes- 8 kanzler Ludwig Erhard schon aus innenpolitischen Gründen nicht zur Debatte, 9 ja er fürchtete sogar, wie er dem amerikanischen Verteidigungsminister Robert 10 McNamara anvertraute, seinen eigenen Sturz für den Fall, dass er deutsche 11 Soldaten nach Vietnam entsenden müsste.31 12 Das deutsche Ja zum Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebie- 13 tes auf Zypern hatte folglich einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Je 14 mehr deshalb die politischen Risiken der amerikanischen Rekrutierungswün- 15 sche für Vietnam wuchsen, desto stärker wurde das Bedürfnis nach einer ein- 16 schlägigen Abwehrargumentation. Erst vor diesem Hintergrund wurde der von 17 Karl Carstens formulierte Grundgedanke, wonach der politische Wille den 18 rechtlichen Rahmen gestalten müsse, zum Umkehrschluss. Als die Bundesre- 19 gierung 1966 ein deutsches Militär-Engagement in Vietnam mit rechtlichen 20 Begründungen ablehnen wollte, entwickelte ein Gutachten des Auswärtigen 21 Amtes erstmals »erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken« gegen den 22 Vietnam-Einsatz. Doch es kam gleichzeitig nicht umhin, auch die Schwach- 23 stellen der deutschen Argumentation – nämlich die immer noch vorhandenen 24 Gesetzeslücken – aufzuzeigen: Denn erstens musste man das »Fehlen konkre- 25 ter, zitierbarer Verfassungsnormen« eingestehen. Und zweitens könnte eine 26 »Freigabe für überseeische Verwendung« der Bundeswehr mit Zustimmung 27 des NATO-Rates »jederzeit erfolgen«.32 28 Die Devise, ohne weitere Erläuterung auf »schwerwiegende Verfassungs- 29 probleme« hinzuweisen und damit den deutschen Bundeswehreinsatz zu dele- 30 gitimieren, verdichtete sich seit Mitte der sechziger Jahre immer mehr zu einem 31 politischen Leitfaden. Deshalb war die jahrzehntelang praktizierte Bonner 32 Doktrin der militärischen Enthaltsamkeit schon in ihrer Entstehung mehr ein 33 politisches, als ein rechtliches Konstrukt. Als die internationalen Anforderun- 34 gen an die Bundesrepublik in den sechziger Jahren vor dem Hintergrund wach- 35 sender Krisenherde in Zypern oder Vietnam spürbar stiegen, kristallisierte sich 36

37 30 Vgl. hierfür Alexander TROCHE, Ulbricht und die Dritte Welt. Ost-Berlins »Kampf« 38 gegen die Bonner »Alleinvertretungsanmaßung«, Erlangen/Jena 1996, S. 39 ff.; Niels HANSEN, 39 Geheimvorhaben »Frank/Kol«. Zur deutsch-israelischen Rüstungszusammenarbeit 1957 bis 40 1965, in: Historisch-Politische Mitteilungen 6 (1999), S. 229 ff. 31 Vgl. hierfür Anm. 1. 41 32 Aufzeichnung von Ministerialdirektor Werz, Auswärtiges Amt, an die deutsche Bot- 42 schaft in Washington vom 18. April 1966; AAPD 1966, S. 506 ff. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung 195 langsam und in mehreren Schritten ein unausgesprochener Konsens der deut- 1 schen Politik heraus, der mit Verweis auf das deutsche Grundgesetz die Ak- 2 tivierung deutscher Truppen für internationale Einsätze verhinderte. Dieser 3 Standpunkt wurde unablässig formuliert, aber auf seine Stringenz nie richtig 4 überprüft. Schon die ersten Rechtsgutachten des Auswärtigen Amtes und auch 5 im Department of State in Washington ließen – wie gezeigt – erheblichen Zwei- 6 fel daran aufkommen, ob tatsächlich rechtliche Hindernisse die Möglichkeiten 7 von Bundeswehreinsätzen versperrten. Die amerikanischen Diplomaten in 8 Bonn analysierten deshalb schon frühzeitig und weitsichtig, dass die deutschen 9 Gegenargumente »more imaginery than real« erschienen und hier nicht eine 10 juristische, sondern primär eine politische Ablehnung zugrunde lag.33 11 Es ist folglich nur konsequent, wenn eben jene lang geübte legalistische 12 Argumentation in sich zusammenbrach, als mit dem Bundesverfassungsge- 13 richtsurteil von 1994 eine erste gerichtliche Überprüfung angestrebt worden 14 war. Die deutsche Politik war zu dieser Überprüfung erst gezwungen worden, 15 als die internationalen Veränderungen mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 16 und der endlich erreichten deutschen Vereinigung so grundlegend wurden, 17 dass die politischen Motive hinter der Militär-Doktrin unzeitgemäß, ja an- 18 tagonistisch und deshalb den internationalen Partnern nicht mehr vermittelbar 19 erschienen. Damit rangen sich die deutschen Politiker zu eben jener Erkenntnis 20 durch, die schon 1964 mehrheitsfähig war: nämlich dass der Schutz des eige- 21 nen Landes nicht per definitionem an den Grenzen seines Territoriums oder 22 des NATO-Bündnisses enden könne. Die Rückkehr in diese verteidigungspo- 23 litische Realität hätte sich für die Bundesrepublik Deutschland 1964 beinahe 24 vollzogen. Ausgelöst jedoch durch das deutsche Nahost-Debakel sowie vor 25 dem Hintergrund eines zeitgleich eskalierenden Vietnam-Krieges wurde es in 26 Bonn für notwendig erachtet, in den Schatten einer selbstbegründeten Absti- 27 nenz zu treten, auf dass – wie es Ludwig Erhards enger außenpolitischer Be- 28 rater im Bundeskanzleramtes, Horst Osterheld, in seinem Tagebuch nieder- 29 schrieb – »der Kelch an uns vorübergeht«.34 30 31 32 33 34 35 36 37 33 Die amerikanische Botschaft in Bonn stellte fest: »The problem for the Government 38 was primarily political in character and the legal difficulties which the Government hinted at, 39 but did not define, were probably more imaginery than real«. Vgl. das Memorandum der ame- 40 rikanischen Botschaft Bonn an das Department of State, Washington, vom 17. März 1964; NA, RG 59, Alpha Numeric Files 1964–1966, DEF GerW, Box 1632. 41 34 OSTERHELD, Außenpolitik (wie in Anm. 25), S. 64. 42