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1. Wiener U-Bahn-Tagung

3. und 4. November 2011 Technische Universität Wien Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement und Wiener Linien GmbH & Co KG 1. Wiener U-Bahn-Tagung

Technische Universität Wien Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement Karlsplatz 13/234-1 1040 Wien Tel.: +43/1/58801-23402 Fax: +43/1/58801-23499 [email protected] http://www.ibb.tuwien.ac.at

ISBN: 978-3-9502638-2-4

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Tagungsband 1. Wiener U-Bahn-Tagung

3. und 4. November 2011 Technische Universität Wien Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement und Wiener Linien GmbH & Co KG

Impressum

Herausgeber: Technische Universität Wien Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement Karlsplatz 13/234-1 1040 Wien

Telefon: + 43/1/58801-23402 Telefax: + 43/1/58801-23499 E-Mail: [email protected] Homepage: www.ibb.tuwien.ac.at Druck: Eigenverlag, Wien, Oktober 2011 Cover: WIENCOM, WerbeBeratungsGmbH Redaktion: Univ. Ass. Dipl.-Ing. Bettina Bogner ISBN: 978-3-9502638-2-4 Copyright: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung, Aufnahme auf oder in sonstigen Medien oder Datenträger nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Herausgeber gestattet.

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Vorwort

Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans Georg Jodl Professor für Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik Institutsvorstand für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement

Seit dem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats der Stadt Wien im Jänner 1968 über die Schaffung eines modernen U-Bahn-Netzes zur „Tragung eines wesentlichen Teils des öffentlichen Verkehrs mit einem schienengebundenen Verkehrsmittel in eigener Ebene“ sind mittler- weile rund 43 Jahre vergangen. Der Autor dieser Zeilen war zu diesem Zeitpunkt Studierender des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Wien, die unmittelbar vor der in der Folge errichteten riesigen U-Bahn-Baugrube Karlsplatz lag. Der tägliche Weg über die überspannende Behelfsbrücke des Bundesheeres, die den Blick in die geschäftige Baugrube freigab, löste schon damals eine Begeisterung für den U-Bahn-Bau aus, die bis zum heutigen Tag anhalten sollte.

Es gibt viele Städte, die über ältere und größere U-Bahn-Netze verfügen, jedoch hat Wien in dieser relativ kurzen Zeit das U-Bahn-Netz zügig und mit wenigen Unterbrechungen auf rund 75 Kilometer ausgeweitet. Der weitere Ausbau ist im Gange. Über die Leistungen der beteiligten Fachleute aus den Sphären des Bauherrn, der Planer, der Ausführenden und der Betreiber konnte immer wieder bei in- und ausländischen Fachveranstaltungen berichtet werden. Eine eigene Veranstaltung mit dem Schwerpunktthema Wiener U-Bahn gab es jedoch bisher nicht.

Diese Lücke soll nun nach 43 Jahren mit der 1. Wiener U-Bahn-Tagung geschlossen werden. Das Ziel der Veranstaltung ist kein rein histori- 2 Vorwort

scher Rückblick, der auch in den einschlägigen Publikationen der Wiener Linien nachzulesen ist, sondern eine Bestandsaufnahme mit einer Mischung aus Rückblick, aktuellem Geschehen und zukünftigen Herausforderungen. Wesentliche Grundlage des Erfolgs der Wiener U-Bahn war immer das fachkompetente Zusammenspiel aller Mit- wirkenden, bei dem die sachorientierte interdisziplinäre Zusammen- arbeit einer Vielzahl von höchst unterschiedlichen Fachbereichen im Vordergrund stand. Die zeitweise Mitwirkung des Autors dieser Zeilen an dieser faszinierenden Bauentwicklung mag einen Anstoß zur Idee dieser Tagung gegeben haben.

3

Vorwort

Dipl.-Ing. Günter Steinbauer Vorsitzender der Geschäftsführung der Wiener Linien

Die U-Bahn ist das Rückgrat des Wiener Öffentlichen Verkehrs und eine einzige Erfolgsgeschichte. Die Wiener Linien, als der Mobilitäts- Dienstleister der Stadt, betreiben die U-Bahn aber nicht nur, sondern verfügen über großes technisches Know-how was Planung, Bau- management und Bauüberwachung betrifft. Dieses Know-how soll aber nicht allein im Unternehmen bleiben, sondern vor allem auch den nachkommenden Generationen übermittelt werden.

Die 1. Wiener U-Bahn-Tagung soll eine Plattform sein, um das Wissen aus der Praxis mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft zu verbinden und damit einen wichtigen Output für die Zukunft der Wiener U-Bahn zu generieren. Die engen Kontakte der Wiener Linien zur universitären Lehre und Forschung garantieren, dass wir als Unternehmen immer auf dem letzten Stand der Technik sind und sichere und innovative Infrastruktur für unsere Kunden anbieten können.

Die bisherige Geschichte des U-Bahnbaus in Wien zeigt, dass optimale Ergebnisse dann erreicht werden, wenn Stadtverwaltung, Stadtent- wickler, Ingenieure und die ausführenden Firmen kompetent und als Team zusammenarbeiten. Denn das gemeinsame Ziel ist klar definiert: schnelles, nachhaltiges und vor allem wirtschaftliches Bauen für die Wienerinnen und Wiener.

4 Vorwort

Ich wünsche den Teilnehmenden der 1. Wiener U-Bahn-Tagung span- nende Diskussionen, viele neue Erkenntnisse und nachhaltige Impulse für die Zukunft der Wiener U-Bahn.

5

Vorwort

Mag.a Maria Vassilakou Vizebürgermeisterin der Stadt Wien Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung

Wien wächst. Heuer leben erstmals mehr als 1,7 Millionen Menschen in unserer Stadt und in den kommenden Jahren wird Wien zur 2-Millionen-Metropole. Die U-Bahn spielt für dieses Wachstum eine wichtige Rolle, denn mehr Menschen bedeutet auch mehr Mobilität. Bereits heute müssen wir die Grundlagen schaffen, um auch künftig in einer Stadt zu leben, die auf verlässliche öffentliche Verkehrsmittel sowie schnelle und leistungsstarke U-Bahnen bauen kann.

Das Wiener U-Bahn-Netz stellt die Lebensadern unserer pulsierenden Metropole dar. Auch in den nächsten Jahrzehnten geht die Stadtentwicklung Hand in Hand mit dem Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln. Dabei ist es zentral, das qualitativ hochwertige Angebot an Öffis in Wien sicherzustellen. So leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Erschließung von neuen Stadtentwicklungsgebieten wie etwa der Aspern.

7

Vorwort

Mag.a Renate Brauner Vizebürgermeisterin der Stadt Wien Stadträtin für Finanzen, Wirtschaftspolitik und Wiener Stadtwerke

Wien gehört seit vielen Jahren zu den lebenswertesten Städten der Welt. Der umfassend ausgebaute öffentliche Verkehr trägt dabei maßgeblich zur hohen Lebensqualität in unserer Stadt bei. Vor allem die Wiener U-Bahn ist für die Wienerinnen und Wiener ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil ihrer Stadt. Über 500 Millionen Menschen nutzen die U-Bahn jährlich.

Doch die U-Bahn ist nicht nur das beliebteste Verkehrsmittel Wiens, sondern der U-Bahnbau ist für die Stadtentwicklung von enormer Bedeutung, bringt Beschäftigung und ist ökologisch mehr als sinnvoll. Wo die U-Bahn hinfährt, wächst die Stadt. Das hat besonders die - Verlängerung in den Norden Wiens gezeigt, wo entlang der neuen Strecke komplett neue Stadtteile und Lebensräume entstehen. Mit der Seestadt Aspern gestalten wir einen Stadtteil, in dem in Zukunft 20.000 Menschen arbeiten sowie 20.000 Menschen wohnen werden und der von Anfang an hochrangig mit der U-Bahn erschlossen sein wird. Gerade die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der U2- Verlängerung können sich wirklich sehen lassen.

So finden durch den U-Bahnausbau rund 17.000 Menschen pro Milliarde Euro Auftragssumme Beschäftigung. Gleichzeitig werden bei einer Investition von rund 1,4 Milliarden Euro für den Bau der U-Bahn (vom Schottenring bis zur künftigen Endstation Seestadt) Wert- schöpfungseffekte von 3,8 Milliarden Euro ausgelöst. Von den Investi- 8 Vorwort

tionen in den Bau der U-Bahn profitiert vor allem Wien, denn drei Viertel der Auftragssumme und knapp zwei Drittel der Beschäftigung kommen der Bundeshauptstadt zugute. Man sieht also: Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs zahlt sich in jeder Hinsicht aus: Für die Menschen, für die Wirtschaft, für die Beschäftigung und für die Umwelt! Darum bekennt sich die Wiener Stadtregierung unter Bürgermeister Häupl auch nachhaltig zum weiteren Ausbau der U-Bahn – auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Die 1. Wiener U-Bahn-Tagung beschäftigt sich mit einem Thema, das im wahrsten Sinne des Wortes alle bewegt. Als für die Wiener Linien und für den U-Bahn-Ausbau zuständige Stadträtin wünsche ich Ihnen für die Tagung viel Erfolg!

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Wir danken unseren Sponsoren:

10 Fachvorträge

Fachvorträge

Seite 14-19 Dipl.-Ing. Günter Steinbauer Die Bedeutung der U-Bahn für Wien und die Wiener Linien

Seite 22-36 Johann Hödl Die Finanzierung der Wiener U-Bahn

Seite 38-47 Dipl.-Ing. Thomas Madreiter Wieviel U-Bahn braucht Wien — und wohin? U-Bahn-Planung und Stadtentwicklung als kooperativer Prozess

Seite 50-60 Ing. Kurt Höfling Die Wiener U-Bahn fährt in die 4. Ausbauphase

Seite 62-72 Mag. arch. Paul Katzberger Die Architektur der neuen U-Bahn-Hochstrecke

Seite 74-99 Dipl.-Ing. Arnold Ritter Bauabschnitt U2/8 Stadlau, Hardeggasse Herausforderungen des Brückenbaus im urbanen Umfeld

Seite 102-113 Ing. Walter Diplinger, Dipl.-Ing. (FH) Markus Sattler Verlängerung der U2 nach Aspern in die Seestadt U-Bahn-Bau im Einklang mit der städtebaulichen Entwicklung

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Seite 116-127 Dipl.-Ing. Franz Kaiser Zugsicherung — Grundlage für einen sicheren Bahnbetrieb

Seite 130-140 Dipl.-Ing. Dr. Lothar Martak Rückblick Grundbau — gelernt für die Zukunft!

Seite 142-161 Dipl.-Ing. Gerhard Sochatzy, Dipl.-Ing. Thomas Herzfeld U-Bahn-Bau — Geotechnische Herausforderung heute und in der Zukunft

Dipl.-Ing. Günter Steinbauer

Die Bedeutung der U-Bahn für Wien und die Wiener Linien

Dipl.-Ing. Günter Steinbauer Vorsitzender der Geschäftsführung der Wiener Linien Wiener Linien GmbH & Co KG Erdbergstraße 202 1031 Wien www.wienerlinien.at

14 Steinbauer, Günter

Die Bedeutung der U-Bahn für Wien und die Wiener Linien

Eine gute und berechtigte Frage, die selten oder nie so gestellt wird. Wien ist so wie alle Städte noch nicht autark nachhaltig, da seine Ver- und Entsorgung mit Rohstoffen, Energie und Lebensmitteln auf Flächen außerhalb der Stadt angewiesen ist.

Im Sinne der ökologischen Verträglichkeit verwendet man heute den Ökologischen Fußabdruck (ÖF) als Maß der Verträglichkeit des menschlichen Lebens und seiner Ressourcenansprüche gegenüber den vorhandenen Flächen zur Gewinnung von Ressourcen und der Bindung von CO2 in Pflanzen.

Der ÖF von Wien liegt mit 3,9 ha/p weit über dem globalen Maximalwert von 2,2 ha/p. Für Wien summieren sich die Fußabdrücke auf die Größe von 35 Fußballfeldern. Umso bedeutender sind daher Ver- und Entsorgungssysteme, die den ÖF der Stadt senken und so eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Am Beispiel des Nachhaltigkeits- dreiecks ÖKONOMIE-ÖKOLOGIE-SOZIALES soll nun dargestellt werden, wie die Entwicklung der Stadt ohne Öffentlichen Verkehr (ÖV) aussehen könnte und welche Beiträge daher der ÖV zur nachhaltigen Lebensweise leistet.

Abbildung 1: Städtevergleich Ökologischer Fußabdruck Quelle: http://www.wien.gv.at/umweltsch utz/nachhaltigkeit/images/staedte. gif, 11.05.2011

Steinbauer, Günter 15

Aus ökologischer Sicht ist der Unterschied groß. Ohne auf Struktureffekte und Rückkopplungen einzugehen zeigt das Energie- flussbild der Stadt Wien, dass der ÖV rund 600 GWh an Energie einsetzt.

Verkehr

Abbildung 2: Energieflussbild der Stadt Wien. Relevant ist der Unterschied von ÖV- zu nicht ÖV-Energiebedarf. Quelle: http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/energieplanung/pdf/ energieflussbild-2009.pdf, 11.05.2011

16 Steinbauer, Günter

Der Motorisierte Individualverkehr (MIV) und der Lieferverkehr weitere ca. 13.500 GWh. Das sind fast 30% der Energie Wiens. Wien ohne ÖV würde also rund 7.000 GWh mehr Energie für den MIV benötigen. Der Gesamtenergiebedarf läge dann bei rund 50.000 GWh, 40% davon im Verkehr.

Die Emissionsbilanz verändert sich analog von 200.000 t CO2 für den ÖV (davon rund 140.000 t WIENER LINIEN) und 2.300.000 t MIV + Liefer- verkehr auf 3.600.000 t CO2 oder rund 30% der Wiener Emissionen.

0,6 0,54

0,5

0,4 -km.a] -km.a] Fußabdruck

0,3 [m²/Pers

0,2 0,16 Ökologischer Ökologischer

0,1

0,0 SystemSystem „ U2"U2 Verlängerung Verlängerung"“ ReferenzsystemRefernzsystem „mot. "mot. Individualverkehr“Individualverkehr"

Abbildung 3: Ökologischer Fußabdruck einer U-Bahn-Fahrt und einer Auto- fahrt (beide 1 km). Quelle: ÖFRU, TU-Wien

Selbst wenn man für Straßenbahn und Bus nur einen Vorteil beim ökologischen Fußabdruck von 3,3 unterstellt, wie dies für die U2 nach Aspern ermittelt wurde, ist die Bilanz klar.

Der ÖF des Verkehrs in Wien würde um rund 50% größer werden. Die notwendigen Verkehrs- und Abstellflächen würden sich verdoppeln und Steinbauer, Günter 17

ca. 13% der Stadtfläche einnehmen1. Dies entspricht der Größe von Floridsdorf.

Abbildung 4: Flächenbedarf des MIV und Lieferverkehrs ohne ÖV-System. Quelle: http://www.buechereien.wien.at/assets/content/wienkarte-b1210.gif, 11.05.2011 Die ökonomische Bilanz zeigt sich am deutlichsten bei den Reisezeiten. „Zeit ist Geld“ ist ein mittlerweile nicht mehr passender Spruch, sieht man die Erkenntnisse zu Geschwindigkeit, Raumstruktur und der Länge der zurückgelegten Wege mit ins Kalkül.

Trotzdem zeigt eine einfache Berechnung des Österreichischen Instituts für Raumplanung (ÖIR), dass eine Verlagerung aller ÖV-Fahrgäste auf Zufußgehen, Radfahren, Autofahren erhebliche Mehrkosten für die Menschen mit sich bringt. Bei Zufußgehen sind es 4,6 Mrd. € oder 6.100 € Mobilitätskosten pro Person und Jahr. Bei den Radfahrern 1,2 Mrd. € oder 4000 € Mobilitätskosten pro Person und Jahr. Im Szenario Autofahren 680 Mio. € oder 3.792 € Mobilitätskosten pro Person und Jahr.

1http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/step/step05/download/pdf/step- kapitel4-5.pdf; 11.05.2011 18 Steinbauer, Günter

Wien ohne ÖV – Veränderung der hypothetische Zeitkosten gegenüber Best and, alle Wegezw ecke 2009 [Mio. EUR / Jahr]

6.000

5.000

4.628 4.000

3.000

2.000 1.193 1.000 678

0 Szenario Zu-Fuß-Gehen Szenario Radfahren Szenario Autofahren

Abbildung 5: Veränderung der gesamten Zeitkosten für Wien ohne ÖV. Quelle: ÖIR

Dazu kommt, dass die Errichtung und Wartung sowie der Betrieb des ÖV in Wien rund 5.000 Arbeitsplätze pro Jahr dauerhaft sichert. Wirtschaftliche Vorteile und nachhaltige Effekte für die Stadt werden von einer Studie der TU Wien, des WIFO und Joanneum Research nachgewiesen. Die Untersuchung unter dem Titel „Beschäftigungs- und regionalwirtschaftliche Effekte der U2-Verlängerung Schottenring – Seestadt Aspern in der Bauphase".

Bei einer Investition von rund 1,4 Mrd. Euro für den Bau der U-Bahn werden wirtschaftliche Effekte von 3,8 Mrd. Euro angestoßen – 83% davon innerhalb Österreichs. Als direkte Wirkung des U-Bahn-Baus finden rund 17.000 Menschen pro Milliarde Auftragssumme Beschäftigung. Das sind um 50% mehr als im Straßenbau.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der ÖV in Wien ein wesentlicher Garant dafür ist, das die Stadt in Richtung Nachhaltigkeit verändert werden kann.

Die Auswirkungen eines fehlenden ÖV´s würden Wien in ökologischer, ökonomischer aber auch sozialer Hinsicht deutlich überfordern und die Funktionsfähigkeit der Stadt in Frage stellen. Steinbauer, Günter 19

Literatur

ÖFRU — Vom Ökologischen Fußabdruck zum Ressourcen- und Umweltmanagement am Beispiel der Wiener Linien (ÖFRU) Arbeitspaket 1: Ökologischer Fußabdruck der U2 Verlängerung. Endbericht Arbeitspaket 1. Studie im Auftrag der Wiener Linien. Technische Universität Wien, Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft, 2010; Jakob Lederer, Ulrich Kral, Paul H. Brunner

Beschäftigungseffekte der U2-Verlängerung – Aspernstraße TU WIEN, Joanneum research und WIFO, Studie im Auftrag der Wiener Linien; 2011

Regionalwirtschaftliche und stadtstrukturelle Wirkungen des U-Bahn- Ausbaus in Wien (Institutsprojekt-Nr. 132). W. Schönbäck (Projektleiter), G. Gutheil, B. Beschorner, R. Wieser, in Zusammenarbeit mit R. Deußner, Österreichisches Institut für Raumplanung (ÖIR). Auftraggeber: Wiener Linien, Projektlaufzeit: 07/2004 bis 09/2005

Johann Hödl

Die Finanzierung der Wiener U-Bahn

Johann Hödl Abteilungsleiter Kaufmännische Dienste und Controlling Wiener Linien GmbH & Co KG Erdbergstraße 202 1031 Wien www.wienerlinien.at

22 Hödl, Johann

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 23 2 Ausgaben für den U-Bahn-Bau von 1967 bis 2010 ...... 24 3 Anteil der U-Bahn Ausgaben an den Gesamtausgaben und Gesamtinvestitionen der Stadt ...... 25 4 Die geplante und die tatsächliche Finanzierung der U-Bahn ...... 26 5 Kostenkontrolle und Budgetüberwachung ...... 28 6 Die Frage nach den Kilometerkosten der Wiener U-Bahn ...... 30 7 Veränderte Kostenschwerpunkte ...... 31 8 Die erbrachten Leistungen ...... 32 9 Beschäftigungswirkung ...... 33 10 Die vertraglich bereits vereinbarte U-Bahn-Zukunft ...... 35

Hödl, Johann 23

Die Finanzierung der Wiener U-Bahn

1 Einleitung

Der Bau der Wiener U-Bahn erfolgte im internationalen Vergleich relativ spät. Der weltweit ersten U-Bahn, der Londoner Metropolitan- Line, die im Jahr 1863 eröffnet wurde, folgten in Europa bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ähnliche Anlagen in Budapest, Paris und Berlin. In Wien wurde zwei Jahre nach der Londoner U-Bahn im Jahr 1865 erst einmal eine Pferdetramway-Linie in Betrieb genommen. Obwohl U-Bahn-Planungen bereits seit 1844 in Wien nachweisbar sind, dauerte es noch 120 Jahre – bis Ende der 1960er Jahre – bis die endgültige Entscheidung zum Bau einer U-Bahn fiel. Die Stadt hat es sich aber offensichtlich nicht leicht gemacht und beinahe „verzweifelt“ nach billigeren Alternativen zum „teuren“ U-Bahn-Bau gesucht. Der Bau der Wiener Stadtbahn durch die k.k. Staatsbahnen am Ende des 19. Jahrhunderts steht symbolisch für den Versuch der Stadt, sich die lokalen Nahverkehrsprobleme vom Staat bzw. heute von den Bundesbahnen (Schnellbahnen) lösen zu lassen. Der ausbleibende Erfolg der Stadtbahn war daher aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen schon bei deren Planung nicht wirklich überraschend. Nach dem zweiten Weltkrieg war es die Verkehrsphilosophie von „Schnellstraßenbahnen“, die später mit dem Bau der Unter- pflasterstraßenbahnen (USTRAB) auf der 2-er Linie und in der Wiedner Hauptstraße wiederum in eine Sackgasse führte. Der damalige Wiener Finanzstadtrat Felix Slavik fuhr auf der Suche nach Alternativen 1958 sogar höchstpersönlich nach Köln, um eine Versuchsstrecke der „Alwegbahn“, einer Art Einschienenbahn, die man heute als Cable-Liner bezeichnen würde, zu besichtigen. Aber schon damals konnte sich dieses Verkehrssystem im städtischen Bereich nicht wirklich durchsetzen. Gleichzeitig borgte Slavik den ÖBB Geld, damit diese im Jahr 1962 zwischen Meidling und Floridsdorf eine Schnellbahnlinie errichten konnten. Die Diskussionen über die Notwendigkeit einer U-Bahn für Wien verstummten aber trotz all dieser Maßnahmen und Versuche nicht. Die damals neuartigen verkehrswissenschaftlichen Prognose- und Modellrechnungen des Institutes für Eisenbahnwesen an der TU Wien ließen bei nüchterner wissenschaftlich fundierter 24 Hödl, Johann

Betrachtung ganz offensichtlich den Bedarf nach einem wirklich leistungsstarken Massenverkehrsmittel für Wien erkennen. Das Bessere ist eben der Feind des Guten, auch wenn das Gute billiger zu haben ist.

2 Ausgaben für den U-Bahn-Bau von 1967 bis 2010

Dass der Bau einer U-Bahn nicht die billigste Lösung sein kann, war den Finanzverantwortlichen der Stadt von vornherein klar. Sehr genau hatte man sich damals den in den 1960er Jahren gerade begonnenen Bau der Münchner U-Bahn angesehen. Wie hoch die Ausgaben der Stadt Wien für den U-Bahn-Bau dann tatsächlich waren, zeigt die Abbildung 1.

Abbildung 1: Tatsächliche Ausgaben der Wiener U-Bahn

Insgesamt 8.011,789.145,34 € hat die Stadt in den 43 Jahren von 1967 bis 2010 für die vier Ausbauphasen der Wiener U-Bahn aufgewendet. Im Durchschnitt sind das rd. 200 Mio. € pro Jahr. Die Grafik des Kostenverlaufes (blaues Diagramm) gibt jedoch den falschen Eindruck wieder, als wären die finanziellen Aufwendungen im Laufe der Jahrzehnte immer höher geworden, als wäre immer mehr Geld in den Hödl, Johann 25

U-Bahn-Bau geflossen. Um den tatsächlichen Trend bzw. die eigentliche Entwicklung des Bauaufwandes für die U-Bahn heute zu erkennen, ist es notwendig die einzelnen Jahressummen rechnerisch auf die einheitliche Preisbasis des Jahres 2010 zu bringen – so als hätte man das gesamte 75 Kilometer lange U-Bahn-Netz zu den Preisen des Jahres 2010 gebaut. Durch diese Valorisierung ergibt sich ein völlig anderes Bild (siehe grünes Balkendiagramm). Es zeigt sich, dass der eigentliche Aufwand für den U-Bahn-Bau seit dem Bau des Grundnetzes für die Stadt immer geringer wurde; dass also der finanzielle Umfang der Investitionen in die U-Bahn im Laufe der Jahrzehnte abnahm.

3 Anteil der U-Bahn-Ausgaben an den Gesamtausgaben und Gesamtinvestitionen der Stadt

Wie stark die Finanzen der Stadt Wien durch den U-Bahn-Bau tatsächlich belastet wurden, wird in Abbildung 2 veranschaulicht.

Abbildung 2: Gesamtausgaben der Stadt Wien

Die Gesamtausgaben der Stadt Wien sind hier immer mit 100 % eingetragen. Grundsätzlich zeigt sich, dass der Anteil von getätigten 26 Hödl, Johann

Investitionsausgaben an den Gesamtausgaben der Stadt von durchschnittlich 30 % Anfang der 1970er Jahre mit Beginn der Ölkrise im Jahr 1973 stetig im Abnehmen war und sich erst in den letzten Jahren wieder einem Anteil von 20 % des Gesamtbudgets nähert. Ein hoher Prozentsatz an Investitionstätigkeit ist in einer Volkswirtschaft immer ein Gradmesser für wirtschaftliches Wachstum und gesicherte Wertschöpfungseffekte. Der Anteil der U-Bahn-Ausgaben sowohl an den Gesamtausgaben als auch an den Gesamtinvestitionen der Stadt bestätigt den in Abbildung 2 dargestellten Trend von immer geringer werdenden Belastungen der Stadt Wien durch den U-Bahn-Bau.

4 Die geplante und die tatsächliche Finanzierung der U-Bahn

Wie war nun die Finanzierung der U-Bahn bzw. die Aufbringung der für den U-Bahn-Bau notwendigen Gelder geplant? Der damalige Finanzstadtrat Felix Slavik ging aufgrund der ersten Schätzungen von Gesamtkosten für das Grundnetz von ca. 5 Milliarden Schilling – verteilt auf ca. 10 Jahre – aus. Eine enorme Größenordnung bedenkt man, dass die Gesamtausgaben der Stadt Wien Ende der 1960er Jahre pro Jahr nur rd. 10 Milliarden Schilling betrugen. Um sich die Größenordnung zu veranschaulichen, hilft ein Blick auf das Jahr 2010. Da betrugen die Gesamtausgaben der Stadt Wien rd. 12 Milliarden €. Ein heutiges Bauprojekt, das mit der Hälfte dieses Betrages – also mit einem Betrag von ca. 6 Milliarden € – kalkuliert werden würde, hätte kaum die Chance ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Die Stadt Wien trat deswegen damals mit dem Finanzministerium bzgl. eines entspre- chenden Bundesbeitrages in Verhandlungen, konnte aber erst im Jahr 1970 von der ersten Kreisky-Regierung mit Hannes Androsch als Finanzminister für den Wiener U-Bahn-Bau die Zusage für einen Fixbeitrag von 2,4 Milliarden Schilling in zehn Jahresraten bekommen. Dies waren rd. 50 % der präliminierten Kosten. Die andere Hälfte der Baukosten gedachte die Stadt durch Einführung einer Dienst- geberabgabe (pro Arbeitnehmer und Woche 10 Schilling) als eine Art Wiener „U-Bahn-Steuer“ hereinzubekommen. Ein scheinbar perfektes Finanzierungsmodell für Wien. Eine Hälfte zahlt der Bund, die andere Hälfte zahlen die Arbeitgeber in der Stadt. Die abschließende Bilanz der Hödl, Johann 27

Finanzierung des Grundnetzes der Wiener U-Bahn mit den Linien , U2 und U4 zeigt jedoch ein davon stark abweichendes Bild (siehe Abbildung 3). Der Bundesbeitrag konnte nur 13 % der tatsächlichen Gesamtkosten abdecken und die Dienstgeberabgabe nur 16 %. Was waren die Ursachen? Einerseits die gegenüber der Kostenschätzung wesentlich höheren Projektkosten aufgrund mangelnder Erfahrungen im innerstädtischen Tunnelbau, des weiteren die teilweise exorbitanten Preissteigerungen infolge des Ölschocks ab dem Jahr 1973 und drittens die durch den Einsturz der Reichsbrücke im Jahr 1976 notwendig gewordene vorgezogene Verlängerung der U1 vom Praterstern nach .

Abbildung 3: Finanzierung der Wiener U-Bahn

Durch die Tatsache, dass der Bundesbeitrag vor Baubeginn als Fixbeitrag und nicht als prozentmäßiger Anteil an den effektiven Gesamtbaukosten vereinbart wurde, blieb Wien sozusagen alleine auf einem Großteil der Baukosten sitzen. Die finanzielle Situation wurde für die Stadt damit äußerst schwierig. Die folgenden Verhandlungen führten insofern zu einem Erfolg, als der Bund nach Einführung der Kfz- Steuer wenige Monate vor Einsturz der Reichsbrücke nun doch bereit war, von den neuen Steuereinnahmen 25 % dem Wiener U-Bahn-Bau zusätzlich zu widmen. Der Bundesbeitrag für das Grundnetz stieg damit 28 Hödl, Johann

von 13 % auf insgesamt 27 %, war aber trotzdem nur halb so hoch wie ursprünglich geplant. Ein ebenso ernüchterndes Bild zeigt sich bei Betrachtung der Einnahmen durch die Dienstgeberabgabe. Da auch diese nicht wertangepasst wurde, blieben die Einnahmen aus dieser Abgabe bis zum heutigen Tag ziemlich konstant bei jährlich ca. 20 Millionen €. Zu wenig, um wie geplant ca. 50 % der U-Bahn-Kosten decken zu können und vor allem ein durch fehlende Wertanpassungen jährlich immer geringer werdender Betrag. Beim Grundnetz konnten durch die Dienstgeberabgabe zumindest 16 % der Ausgaben bedeckt werden, bei den weiteren Ausbauphasen sank der Deckungsbeitrag der Dienstgeberabgabe auf nur mehr 9 %. Da das neue Verkehrsmittel U-Bahn aber für Wien sofort mit der ersten Eröffnung im Jahr 1978 eine Erfolgsgeschichte wurde, gingen die U-Bahn-Planungen trotz der üblichen, bald zur Routine werdenden Einwände und Alternativ- vorschläge zum teuren U-Bahn-Bau weiter. Im Jahr 1979 konnten die Verhandlungen mit dem Bund über die Finanzierung der nächsten U-Bahn-Ausbauphasen mit einem neuen, für Wien wesentlich besseren Vertrag abgeschlossen werden. Diese Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über Vorhaben, an welchen der Bund und das Land Wien interessiert sind, legte eine grundsätzliche 50:50-Finanzierung zwischen Bund und Land Wien fest, die bis heute Gültigkeit hat. Von Bundesseite wurden von den 50 % rund 42 % durch Geldmittel aus dem ordentlichen Bundesbudget und 8 % über Kreditfinanzierungen aufgebracht.

5 Kostenkontrolle und Budgetüberwachung

Bei so kostenintensiven und langfristigen Projekten wie dem Bau von U-Bahn-Linien kommt der Kostenkontrolle und der Überwachung der Budgetmittel natürlich eine besondere Rolle zu. Die Öffentlichkeit verlangt, dass im Sinne einer sparsamen und korrekten Bauabwicklung die vor Baubeginn präliminierten Mittel genau eingehalten und etwaige Abweichungen rechtzeitig bekanntgegeben und auch entsprechend genehmigt werden. Wenn aber zwischen dem Zeitpunkt der ersten Kostenschätzungen und der Fertigstellung und Abrechnung des Projektes oft bis zu 10 Jahre liegen, ist es notwendig zu vermeiden, dass „Kraut mit Rüben“ verwechselt wird. Die laufende Inflation bzw. die laufenden, nicht beeinflussbaren Preissteigerungen verhindern einen Hödl, Johann 29

direkten Vergleich der einzelnen Beträge, d.h. einen nominellen Vergleich der Schätzkosten mit den abgerechneten Kosten. Bei der Wiener U-Bahn wurden daher mit nachfolgender Formel die Schätzkosten jährlich evaluiert:

Schätzkosten (lt. Vertrag) - Jahresverbrauch

= Restbetrag x Jahresindexsteigerung

= valorisierter Restbetrag + Jahresindex/2 (Preissteigerung während des Jahres)

= zur Verfügung stehende Bausumme

Durch diese jährliche Valorisierung der Schätzkosten mit einem Mischindex aus den drei von der ÖSTAT (Statistik Austria) bekanntgegebenen Bauindizes (Brückenbau, Straßenbau sowie Wohnhaus- und Siedlungsbau) wurde die Möglichkeit geschaffen, „Gleiches mit Gleichem“ zu vergleichen und – entsprechend der ursprünglichen politischen Willensbildung – die neue, aufgewertete und jetzt zur Verfügung stehende Bausumme zu ermitteln. Die Schlussbilanz ist Grundlage für ein abschließendes Reporting, bei dem entweder Mehrkosten, Einsparungen oder eine „Punktlandung“ zu begründen sind.

Schätzkosten (lt. Vertrag) + Valorisierung - tatsächliche Kosten = Einsparung oder Mehrkosten

Entsprechend den gemachten Erfahrungen kann aber jedes Ergebnis in der Öffentlichkeit bzw. bei den verschiedenen Prüf- und Kontroll- instanzen zu herber Kritik führen. 30 Hödl, Johann

6 Die Frage nach den Kilometerkosten der Wiener U-Bahn

Eine immer wieder auftauchende Frage ist jene nach den Kilometerkosten beim Wiener U-Bahn-Bau. Anhand der folgenden aktuellen Beispiele ist dargestellt, wie unterschiedlich dabei die Ergebnisse sein können und wie schwierig und daher beinahe unmöglich derartige Fragen eindeutig zu beantworten sind. Demnach schwanken die Kilometerkosten dzt. zwischen 80 Mio. € und dem beinahe dreifachen Wert von 225 Mio.€ entsprechend der in Abbildung 4 aufgelisteten wesentlichen Gründe.

Abbildung 4: Kosten für einen Kilometer U-Bahn

Internationale Vergleiche z.B. mit dem Münchner U-Bahn-Bau, führen daher – wie die gemachten Erfahrungen zeigten – eher zu mehr Verwirrung als zu klaren Erkenntnissen, wie auch das Kontrollamt der Stadt Wien in einer diesbezüglichen Studie aus dem Jahr 2004 eindeutig nachgewiesen hat. Hödl, Johann 31

7 Veränderte Kostenschwerpunkte

Was ist nun im Detail in den Wiener U-Bahn-Kosten enthalten? Grundsätzlich sind beim U-Bahn-Bau immer alle Aufwendungen von den ersten Planungsüberlegungen über die Baukosten und das rollende Material bis zur Ausgestaltung der Oberfläche nach Beendigung der Bauarbeiten in den Investitionsausgaben enthalten. In der Kostenaufteilung (siehe Abbildung 5) ist der prozentmäßige Anteil der einzelnen Gewerke an den Gesamtausgaben der drei bisherigen Ausbauphasen zu erkennen.

Abbildung 5: Kostenaufteilung beim U-Bahn-Bau

Die Ursachen für die unterschiedlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten sind mannigfaltig und vor allem davon abhängig, wo die Schwerpunkte der einzelnen Ausbauphasen lagen (siehe dazu auch die Ausführungen zu Abbildung 5). Einzelne Trends in der Kosten- entwicklung sind aber dennoch erkennbar. Dass der Anteil der Planungskosten an den Gesamtkosten tendenziell steigt, ist sicherlich durch Stichwörter wie „offene Planung“, „Bürgerbeteiligung“, und „UVP-Verfahren“, samt der damit verbundenen unzähligen Gutachten und den zahlreichen Planungsvarianten bei jedem neuen Projekt, erklärbar. Die Steigerung bei den Grunderwerbskosten ist nicht alleine 32 Hödl, Johann

durch vermehrte Grundstücksspekulationen zu erklären, sondern auch durch die speziellen Gegebenheiten bei der 3. U-Bahn-Ausbauphase mit den Verlängerungen der U2. Der sinkende Anteil der Rohbaukosten an den Gesamtbaukosten mag durch immer stärker werdende Konkurrenz am Bausektor begründet sein. Die unterschiedliche Entwicklung zwischen dem Ausbau von Stationen und dem Ausbau der Strecken hat ihre Ursache eher im großen Anteil von Umbaustrecken beim Grundnetz (Linien U2 und U4) im Vergleich zu Neubaustrecken (Linie U1). Dass die Wagenbaukosten relativ geringer wurden, hat sicherlich auch mit dem neuen Konzept des durchgehenden V-Wagens gegenüber dem 3-teiligen Silberpfeil U11 zu tun.

8 Die erbrachten Leistungen

Nach den vielen Zahlen und Kostenangaben zum Wiener U-Bahn-Bau ist es natürlich interessant zu sehen, was Wien letztendlich für das viele Geld bekommen hat. Abbildung 6 zeigt die Entwicklung der fertiggestellten U-Bahn-Kilometer von 1976 bis 2010.

Abbildung 6: Fahrgäste der Wiener Linien – Netzlänge U-Bahn Hödl, Johann 33

In diesen 35 Jahren konnten 75 Kilometer U-Bahn mit 101 Stationen eröffnet werden. Dies entspricht einem jährlichen Schnitt von ca. zwei neuen U-Bahn-Kilometern und drei Stationen. Dieses hochwertige Angebot wurde von der Bevölkerung auch im hohen Ausmaß angenommen. Waren bis zur Eröffnung der ersten U-Bahn-Linie die Fahrgastzahlen der Wiener Linien sogar rückläufig, stiegen parallel mit jeder neuen U-Bahn-Eröffnung (bis heute immerhin 23 Teileröff- nungen) auch die Kundenfahrten bei den Wiener Linien auf enorme 838 Millionen im Jahr 2010. Also beinahe eine Verdoppelung der Kunden gegenüber dem „Vor-U-Bahn-Zeitalter“. Dieser Trend hin zur U-Bahn ging aber nur zu einem geringen Teil zu Lasten von Straßenbahn und Bus, sondern ist durch den massiven Umstieg breiter Bevölkerungsschichten vom Auto auf die U-Bahn und natürlich durch die wesentlich höhere Mobilität der Bevölkerung erklärbar. Die Vorteile der U-Bahn für Wien sind unbestreitbar und sicherlich trägt das moderne, alle Bezirke umfassende U-Bahn-Netz zu der großen Attraktivität bei, derer sich die Stadt in nationalen und internationalen Umfragen und Lebensqualitäts-Rankings immer wieder erfreut.

9 Beschäftigungswirkung

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender positiver Faktor durch den Bau der U-Bahn ist der beschäftigungspolitische. Laut einer Studie des Österr. Instituts für Wirtschaftsforschung ist hinsichtlich der Beschäftigungswirkung bei Investitionen in den U-Bahn-Bau in der Höhe von 100 Mio. Euro mit direkten und indirekten Beschäftigungs- effekten von 2.100 Personen zu rechnen. Zieht man dazu die aktuellen jährlichen Investitionen in den U-Bahn-Bau von bis zu 300 Mio. € in Betracht, so kann pro Jahr von über 6.000 gesicherten Arbeitsplätzen durch den U-Bahn-Bau ausgegangen werden. Interessant ist auch die Entwicklung, wenn man einen Blick auf die Herkunftsländer der beim U-Bahn-Bau direkt Beschäftigten wirft (siehe Abbildung 7). Waren es beim Bau der Linien U3 und U6 Mitte der 1990er Jahre noch 33 % Wiener, 57 % aus anderen Bundesländern und nur 10 % Ausländer, so hat sich dieses Bild in der Zwischenzeit auf nur mehr 18 % Wiener, 46 % aus den Bundesländern und bereits 36 % aus anderen europäischen Ländern verschoben. Abbildung 8 zeigt deren Herkunft im Detail und lässt dabei die „Donaumonarchie“ ein wenig wiederauferstehen, 34 Hödl, Johann

kommt doch ein Großteil der ausländischen Arbeiter aus diesen ehemaligen Kronländern.

Abbildung 7: Arbeitskräfte-Herkunft in Österreich

Abbildung 8: Arbeitskräfte-Herkunft in Europa (Stichtagerhebung 2011) Hödl, Johann 35

Aber auch im Verhältnis der Größenordnung der Arbeiter zu den Angestellten ist eine starke Veränderung zu verzeichnen. Der Prozentanteil der Angestellten sank in den letzten 15 Jahren von 27 % auf 7 %. Ergebnis von anscheinend rigorosen Einsparungen und Rationalisierungsmaßnahmen im „Overheadbereich“ bzw. in der Verwaltung.

10 Die vertraglich bereits vereinbarte U-Bahn- Zukunft

Abschließend noch ein Blick auf die aktuelle finanzielle und terminliche Situation beim U-Bahn-Bau mit einer Vorschau bis zum Jahr 2022 (siehe Abbildung 9). Dabei ist zu erkennen, dass zur Realisierung der im Jahr 2007 mit dem Bund vereinbarten 4. Ausbauphase mit drei U-Bahn- Projekten, nämlich der U2-Verlängerung von der Aspernstraße zum Flugfeld bzw. zur Seestadt-Aspern und der U2-Verlängerung in die andere Richtung vom Karlsplatz zur Gudrunstraße sowie mit der U1-Verlängerung vom Reumannplatz nach Rothneusiedl, in den nächsten sieben bis acht Jahren jährlich zwischen 200 und 250 Millionen Euro benötigt werden. Ab 2019 könnte unter Vorgabe eines konstanten jährlichen Finanzierungsverlaufes eine 5. U-Bahn-Ausbau- phase, so eine solche in den Planungsüberlegungen der Stadt Wien Platz hat, in Angriff genommen werden. Immerhin gibt es im Jahr 2019 auch das Jubiläum „50 Jahre U-Bahn-Bau in Wien“ zu feiern.

36 Hödl, Johann

– 2022) – : Bauzeiten und Baukostenablaufplan 3. und 4. Ausbauphase (2011 (2011 Ausbauphase 4. und 3. Baukostenablaufplan und Bauzeiten 9 : Abbildung Abbildung

Dipl.-Ing. Thomas Madreiter

Wieviel U-Bahn braucht Wien – und wohin? U-Bahn-Planung und Stadtentwicklung als kooperativer Prozess

Dipl.-Ing. Thomas Madreiter Leiter der Magistratsabteilung 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung Rathausstraße 14-16 1082 Wien www.stadtentwicklung.wien.at

38 Madreiter, Thomas

Inhaltsverzeichnis

1 Planungen „im Hintergrund“ ...... 40 2 Erste Ausbauphase (1969-1982) ...... 41 3 Zweite Ausbauphase (1982-2000) ...... 42 4 Dritte Ausbauphase (2000-2010) ...... 43 5 Vierte Ausbauphase (bis 2019) ...... 44 6 Herausforderungen und Ausblick ...... 45

Madreiter, Thomas 39

Wieviel U-Bahn braucht Wien – und wohin? U-Bahn-Planung und Stadtentwicklung als kooperativer Prozess

„Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.“ (Konfuzius) Stadtentwicklung und Verkehrsplanung sind längst zwei Disziplinen, die nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Auch wenn Konfuzius sein Zitat freilich noch frei von jeglicher Kenntnis über die künftige Existenz von elektrischen Verkehrssystemen formulierte, so lässt es sich im Kern dennoch auch auf die Grundsätze der U-Bahn- Planung umlegen: Gemeinsame Zielsetzungen, die in einem integrativen, kooperativen Prozess aller Beteiligten entwickelt werden, sollen dazu beitragen, nicht nur die Qualität des öffentlichen Verkehrs in Wien zu erhalten, sondern auch in neuen Stadtentwicklungsgebieten ein nachhaltiges Angebot an hochrangigen Verkehrsmitteln als Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu schaffen.

Wien zählt seit Jahren weltweit zu den Städten mit höchster Lebensqualität und liegt in internationalen Rankings stets an vorderster Stelle. Grund dafür ist nicht zuletzt eine vorausschauende Stadtentwicklung und Ver- kehrsplanung, die auf die Forcierung umweltfreund- Abbildung 1: Blick über Wien licher Verkehrsarten – öffent- licher Verkehr, Radwege, Fußwegenetz – setzt. Mit Erfolg, denn der Modal Split in Wien weist einen eindeutigen Trend auf: Mittlerweile nutzen 36 Prozent – ein internationaler Spitzenwert – den Öffentlichen Verkehr, nur mehr 31 Prozent den PKW für ihre täglichen Wege. Diese positive Entwicklung ist auf das hervorragende öffentliche Verkehrsnetz und nicht zuletzt auf die Erfolgsgeschichte der Wiener U-Bahn zurückzuführen. Die Qualität des Wiener U-Bahn-Netzes überzeugt seit 40 Madreiter, Thomas

Jahrzehnten. Rund 1,5 Millionen Fahrgäste täglich nutzen die Vorzüge der U-Bahn – mit steigender Tendenz. Wien ist allerdings nicht nur eine Stadt mit höchster Lebensqualität, sondern aufgrund seiner Attraktivität auch eine wachsende Stadt – eine Entwicklung, die die Stadtplanung als Herausforderung und Chance gleichermaßen begreift. Bereits in den vergangenen Jahren ist die Zahl an EinwohnerInnen deutlich gestiegen, Prognosen zufolge werden 2035 rund 2 Millionen EinwohnerInnen in Wien leben. Dies bedeutet nicht nur, dass zusätzliche Wohnungen und Arbeitsplätze benötigt werden, sondern dass auch die Verkehrsinfrastruktur – und hier gemäß den verkehrspolitischen Zielsetzungen in erster Linie der umweltfreundliche Verkehr – entsprechend ausgebaut und „mitwachsen“ muss.

1 Planungen „im Hintergrund“

Wien hat sich im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten relativ spät für die Errichtung eines U-Bahn-Netzes entschlossen. Im Laufe der Planungsgeschichte, die mit einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats 1968 ihren Ausgangspunkt genommen hat, haben sich die Anforderungen an die Netzplanung gewandelt und unterschiedliche Entwicklungen und Trends Eingang gefunden. War zu Beginn der Planungen die Verknüpfung der U-Bahn-Planung mit der Stadtentwicklung sekundär, so gingen im Laufe der Jahrzehnte die Zielsetzungen beider Disziplinen immer stärker Hand in Hand. Es galt vor allem zusehends neue Rahmenbedingungen wie städtebauliche und demographische Entwicklungen, gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. Gender Mainstreaming aber auch enger werdende budgetäre Spielräume zu berücksichtigen. Mittlerweile sind Stadtentwicklung und Verkehrsplanung nicht mehr losgelöst voneinander zu sehen. Der U-Bahn-Bau orientiert sich an der Stadtentwicklung und vice versa fungiert er gleichzeitig auch immer stärker als „Motor“ für neue Stadtentwicklungsgebiete – wie zum Beispiel entlang der Verlängerung der Linie U2 Richtung Donaustadt an der Achse Prater-Messe-- Stadion und über die Donau bis in die künftige Seestadt Aspern. Nach dem Gemeinderatsbeschluss 1968 erfolgte der Beginn des Wiener U-Bahn-Baus bereits im November 1969 mit dem Spatenstich für die Madreiter, Thomas 41

Linie U1 am Karlsplatz. Dieser rasche Start wurde durch schon bereits jahrelange Planungen „im Hintergrund“ ermöglicht. Seit damals obliegt die generelle U-Bahn-Planung – angefangen von Netzentwürfen über Trassen- und Stationsfestlegungen bis zum generellen U-Bahn-Projekt – federführend der Magistratsabteilung 18 – Stadtentwicklung und Stadtplanung. Grundsätzlich umfassen die dazu notwendigen Arbeiten städtebauliche Analysen und Einschätzungen, generelle Projektierung der Trassen, funktionelle Bearbeitung der Stationen und funktionelle und gestalterische Bearbeitung der betroffenen Oberflächen, bevor die Projekte den Wiener Linien zur Detailplanung und Umsetzung „übergeben“ werden. Zusätzlich ist bei der generellen Planung die Vorbereitung der politischen Entscheidungen in Form von Varianten- darstellungen und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit auf verschiedensten Ebenen zu berücksichtigen.

2 Erste Ausbauphase (1969-1982)

In der sogenannten ersten Ausbauphase der Wiener U-Bahn von 1969 bis 1982 wurde ein 30 km langes U-Bahn-Netz realisiert. Zu Beginn standen dabei die hochrangige Erschließung der „Kernstadt“ mit einer U-Bahn und der Aufbau eines Grundnetzes im Vordergrund. Eine Abstimmung der Netzplanung mit der Stadtentwicklung erfolgte nur sekundär. Entwicklungsszenarien, Zentrenverteilung und Entwicklungs- achsen wurden zwar berücksichtigt, jedoch stark aus dem Blickwinkel der Verkehrsplanung beurteilt. Erst mit dem Neubau der Reichsbrücke und der daraus folgenden Option, eine U-Bahn-Linie rasch über die Donau in die Stadterweiterungsgebiete zu führen, wurde die Forderung nach intensiver Abstimmung schlagend. Seit dieser Zeit sind die U-Bahn-Netzplanung und die Stadtentwicklung eng miteinander verknüpft. Es galt sowohl die bestehenden Siedlungsgebiete als auch zukünftige Gebiete mit der U-Bahn zu erschließen. Das Grundnetz der U-Bahn – bestehend aus den Linien U1, U2 und U4 – wurde im September 1982 schließlich mit einer Länge von rund 30 Kilometern fertig gestellt. 42 Madreiter, Thomas

Abbildung 2: Das Netz der 1. Ausbauphase

3 Zweite Ausbauphase (1982-2000)

Von 1982 bis 2000 wurden die Linien U3 und U6 errichtet. Das U-Bahn- Netz wuchs auf 61 km an und umfasste 85 Stationen. Die Entscheidungen, welche Netzerweiterungen in dieser Ausbauphase realisiert werden sollten, hingen eng mit den Bearbeitungen zu einem Stadtentwicklungsplan (STEP) für Wien zusammen. Es wurde bewusst, dass die Festlegung weiterer U-Bahn-Linien für die Stadtentwicklung von ausschlaggebender Bedeutung sein würde. Im STEP 1984 wurde zum ersten Mal deutlich hervorgehoben, welche Ziele der Stadtentwicklung Wiens mit dem U-Bahn-Netzausbau verknüpft wurden. Es sind dies einerseits die ausgewogene Entwicklung der Hauptzentren und andererseits die Konzentration der auch weiterhin notwendigen Stadterweiterung auf sogenannten Entwicklungsachsen, deren Rückgrat im Wesentlichen U-Bahn-Linien bilden sollen. Madreiter, Thomas 43

Abbildung 3: 1996 wurde die U6- Verlängerung nach Floridsdorf eröffnet

4 Dritte Ausbauphase (2000-2010)

In der dritten Ausbau- phase der U-Bahn von 2000 bis 2010 wurden die Linien U1 und U2 Richtung Norden ver- längert. Im Oktober 2010 wurde die Verlängerung der U2 Nord in die Aspernstraße eröffnet und damit ein weiteres Erfolgskapitel in der Geschichte der Wiener Abbildung 4: U2-Verlängerung entlang U-Bahn aufgeschlagen. der Achse Prater-Messe-Krieau-Stadion Täglich nutzen mehr als

50.000 Fahrgäste diese komfortable Strecke über die Donau. Bis 2013 wird sie in einer letzten Ausbaustufe nach Aspern Die Seestadt Wiens verlängert und somit eine attraktive Verbindung von der Donaustadt ins Stadtzentrum geschaffen. Auch wird dadurch der wesentlichen Zielsetzung der Stadtentwicklung Rechnung getragen und bereits vor bzw. parallel mit der Besiedelung des neuen Stadtteils eine Anbindung an ein hochrangiges öffentliches Verkehrsmittel sichergestellt. Auch im Rahmen der dritten Ausbauphase waren stadtplanerische Erwägungen für die Ausbauentscheidung vorrangig und wurde gerade dabei der Konnex zwischen U-Bahn-Netzplanung und Stadtentwicklung besonders deutlich. So wäre ohne die U-Bahn die attraktive Entwick- 44 Madreiter, Thomas

lung von so manchen Zielgebieten der Stadtplanung nicht möglich gewesen, wie z.B. im Gebiet entlang der Achse Prater-Messe-Krieau- Stadion eine besondere Dynamik zu verzeichnen war – nicht zuletzt auch durch die Impulsgeber MesseWienNeu und Fußball-EM 2008. In dieser Ausbauphase wurde auch den steigenden Anforderungen nach transparenter Planung und frühzeitiger Einbindung der Bevölkerung in den Planungsprozess Rechnung getragen. Die verschiedensten Entwürfe und Varianten wurden der Bevölkerung präsentiert und mit ihr diskutiert. Durch diesen Austausch zwischen fachlicher Ebene und BenutzerInnen bzw. Betroffenen konnten zahlreiche Optimierungen erzielt werden.

5 Vierte Ausbauphase (bis 2019)

Der weitere Ausbau des Wiener U-Bahn-Netzes wurde 2007 beschlossen. Bis 2019 sollen drei Linienverlängerungen realisiert werden. Für die Verlängerung der Linie U2 in die Seestadt Aspern wurde bereits mit dem Bau begonnen und diese soll 2013 in Betrieb gehen. Für eine Verlängerung der Linie U1 nach Rothneusiedl (U1 Süd) und U2 zur Gudrunstraße (U2 Süd) laufen die Planungen und Vor- arbeiten. Auch hier erfolgt die intensive Abstimmung der Netzplanung mit den städtebaulichen Entwicklungen. Deutlich ist dabei wieder die Wechselwirkung erkennbar: Für die Planung gilt, dass nur bei einer entsprechend dichten Stadtentwicklung der U-Bahn-Ausbau ziel- führend und aus gesamtwirtschaftlichen Gründen vertretbar ist. In den Planungen zu dieser Ausbauphase wurde der Fokus sehr stark auf die NutzerInnen der zukünftigen U-Bahn-Linie gelegt. So war beim generellen Projekt der U1 Süd Gender Mainstreaming erstmalig in der U-Bahn-Netzplanung Thema, die unterschiedlichen Interessenslagen der gesellschaftlich definierten Geschlechter wurden bei allen Planungsschritten berücksichtigt. Bei der städtebaulichen Bearbeitung wurden z.B. Standorte im Einzugsbereich der U-Bahn mit erhöhter Zielfunktion hinsichtlich ihrer NutzerInnenstruktur vertieft untersucht. Optimale Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Stationen wurden besonders berücksichtigt. Madreiter, Thomas 45

Abbildung 5: Folder zur Infoveranstaltung U1 Süd

6 Herausforderungen und Ausblick

Die beschriebene Abstimmung der U-Bahn-Netzplanung mit der Stadtentwicklung zählt bereits zu den Selbstverständlichkeiten in der Wiener U-Bahn-Planung. Die Abstimmung der zeitlichen Entwicklungen von Verkehrsinfrastruktur und Städtebau stellt jedoch noch eine gewisse Herausforderung dar. Vor allem gilt es hier – losgelöst von den einzelnen Planungsschritten – die Planung als Prozess von Variantenuntersuchung über Masterplanung bis hin zur Ausführung zu sehen. Dazu kommt, dass bei immer stärker werdenden Budget- restriktionen neben der herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Effizienz auch die Betrachtung auf gesamt-wirtschaftlicher Ebene weiter an Bedeutung zunehmen wird. Es gilt hier für die Zukunft einen integrativen Ansatz zu wählen, der für die kommenden Entscheidungen zum Ausbau der U-Bahn bzw. des öffentlichen Verkehrsnetzes Wiens Eingang in die Netzplanung findet. Dabei geht es darum – auch wie in der Evaluierung des Masterplans Verkehr 03/08 formuliert – ein noch stärkeres Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und Versorgungsqualität zu legen und bei Ausbauprojekten unter- schiedliche Alternativen (U-Bahn, Straßenbahn, S-Bahn, Bus) zu bewerten. 46 Madreiter, Thomas

Jedenfalls werden diese Überlegungen auch in die 5. Ausbauphase der U-Bahn, die es gemäß dem Rot-Grünen Regierungsprogramm unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen des Bundes vorzubereiten gilt, einfließen.

Abbildung 6: U2 Nord/Donaustadtbrücke

Neue Dynamik wird die Thematik der Planung des hochrangigen öffentlichen Verkehrs und damit auch der U-Bahn durch die existierenden Vorgaben und laufenden Prozesse der Europäischen Union im Hinblick auf die Klima- bzw. Energieeffizienz von Städten erhalten. Unter dem Schlagwort „Smart Cities“ werden derzeit europaweit vielfältige Aktivitäten geprüft, um die sehr engagierten Klimaschutzziele auch auf städtischer Ebene zu erreichen. Dabei ist der Blickwinkel im Bereich der Mobilität oft auf die sogenannte e-Mobilität von individuellen Kraftfahrzeugen eingeengt. Tatsächlich können aber die traditionellen öffentlichen Verkehrssysteme, die schon längst elektrisch betrieben werden, wie etwa die U-Bahn, im Zusammenhang mit neuartigen, smarten Gesamtverkehrslösungen eine wesentlich verbesserte Gesamtwirksamkeit entfalten. Hier ergibt sich etwa im Bereich des Betriebes durch optimierte Informationssysteme noch erhebliches Potenzial für eine verbesserte Nutzung der U-Bahn. Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Wie viel U-Bahn braucht Wien?“ endet allerdings nicht an der Stadtgrenze. Die steigende Mobilität in der Region, der hausgemachte Verkehr durch Madreiter, Thomas 47

Siedlungsentwicklungen im Wiener Umland machen grenzüberschrei- tende Lösungen zur Bewältigung des Verkehrs notwendig. Nicht zuletzt aufgrund jüngster Erhebungen zu Pendlerbewegungen vom Umland nach Wien1 ist dabei die Diskussion über grenzüberschreitende Planungen und die Führung von U-Bahn-Linien ins Wiener Umland – eine langjährige, von verschiedenen Seiten stets erneuerte Forderung – kürzlich wieder aufgeflammt. Abseits der Debatte auf politischer Ebene – aus verkehrsplanerischer Hinsicht sind dabei nicht nur die restriktiven budgetären Rahmenbedingungen, sondern auch die Möglichkeiten und Grenzen hinsichtlich der (technischen) Umsetzbarkeit zentrale Frage- stellungen. Zur Bewältigung des Verkehrs in der Region gilt es jedenfalls prioritär über finanziell leichter darstellbare und kurz- bis mittelfristig rascher umsetzbare Lösungen zu diskutieren. Dazu zählen nicht nur die Optimierung bestehender Systeme wie der S-Bahn und Intervall- verdichtungen im Regionalverkehr, sondern auch die Verbesserung der Verknüpfung von überregionalen und städtischen Verkehrsträgern bis hin zum Ausbau des Park&Ride-Angebots und Überlegungen zur Parkraumbewirtschaftung. Auch überregional gilt wie für den innerstädtischen öffentlichen Verkehr: Optimale Lösungen für die KundInnen, Forcierung des Umweltverbundes und Anreize schaffen, den PKW stehen zu lassen und auf ein umweltfreundliches Verkehrsmittel umzusteigen. In Wien gelingt dies bereits bestens: 2010 haben die Wiener Linien – nicht zuletzt auch durch die Verlängerung der U2 und den Nachtbetrieb – so viele Fahrgäste wie noch nie transportiert und konnten in allen Bereichen eine Rekordbilanz vermelden. Allein die U-Bahn legte 2010 eine Wegstrecke von 13,5 Millionen Kilometern zurück. Es sei der Stadtentwicklung gestattet, auch einen kleinen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte für sich zu reklamieren.

Weitere Informationen: www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/verkehrsplanung/ubahn/index.html

1Planungsgemeinschaft Ost (PGO), Kordonerhebung Wien in den Jahren 2008-2010. Wien, Niederösterreich, Burgenland 2011.

Ing. Kurt Höfling

Die Wiener U-Bahn fährt in die 4. Ausbauphase

Ing. Kurt Höfling Leiter des Referates Planung Projektleiter Netzentwicklung Wiener Linien Wiener Linien GmbH & Co KG Erdbergstraße 202 1031 Wien www.wienerlinien.at

50 Höflinger, Kurt

Inhaltsverzeichnis

1 Mehr als vier Jahrzehnte konsequenter und zügiger Ausbau des U-Bahn-Netzes ...... 51 2 Warum die Wiener ihre U-Bahn lieben – oder Qualität, die seit Jahrzehnten überzeugt ...... 53 2.1 Benutzerfreundlichkeit – Corporate Design ...... 53 2.2 Betriebsqualität ...... 55 3 4. Ausbauphase – damit Stadtentwicklungsgebiete näher zum Zentrum rücken ...... 56 4 Wird der große Erfolg der U-Bahn bei der Bevölkerung auch eine Linie U5 bringen? ...... 60 5 Literaturverzeichnis ...... 60

Höflinger, Kurt 51

Die Wiener U-Bahn fährt bereits in die 4. Ausbauphase

U-Bahn-Bau ist mehr als Tunnels zu graben und Gleise zu verlegen. Die Wiener U-Bahn hat sich zu einem Meisterwerk urbaner Verkehrs- baukunst manifestiert, das den vielfältigsten Anforderungen und Qualitätsansprüchen gerecht wird und ein ästhetisches Ganzes ergibt. Wenn in Wien im Jahre 2010 838 Mio. Fahrgäste, das heißt täglich ca. 2,3 Mio. auf den Wiener Linien gezählt wurden, von denen täglich fast 1,5 Mio. die U-Bahn benutzen, so bekommt man einen Eindruck vom bedeutenden Stellenwert und der hohen Akzeptanz der Wiener U-Bahn. Die Bevölkerung hat diese kommunale Leistung entsprechend gewürdigt und die U-Bahn quasi gestürmt. Die Wiener U-Bahn ist ein Service, unspektakulär, schnell und präzise. Architektur und Produktdesign sind bewusst minimalistisch und betonen die Kundenorientiertheit der Einrichtung. Das System ist weitestgehend von den Begriffen Funktion – Sicherheit – Benutzer- freundlichkeit geleitet. Diese Kriterien wurden in eine harmonisch leitende Form gebracht und in drei Ausbauphasen bisher weiter- entwickelt.

1 Mehr als vier Jahrzehnte konsequenter und zügiger Ausbau des U-Bahn-Netzes

Die Erfolgsgeschichte der Wiener Linien begann mit der Inbetriebnahme des ersten Teilstückes der U1 am 25. Februar 1978. Im Jahre 1977 verzeichneten die Wiener Linien 429 Mio. Fahrgäste pro Jahr, im Jahr 2000 waren es bereits 724,9 Mio. In der ersten Ausbauphase von 1969 bis 1982 entstand das sogenannte Grundnetz. Die neue Durchmesserlinie U1 vom Reumannplatz nach Kagran mit einer Länge von 10 km und 14 Stationen wurde im dicht verbauten Stadtgebiet zur Gänze in Tieflage ausgeführt. Nach Querung der Donau in der neuen Reichsbrücke macht die U1 jedoch in Hochlage auf sich aufmerksam. 52 Höflinger, Kurt

Die ehemalige Unterpflasterstraßenbahn der 2er Linie (Linien E2, H2, G2) wurde für einen U-Bahnbetrieb mit Kurzzügen an beiden Enden durch eine Neubautrasse in Tieflage, offener Bauweise ergänzt und präsentierte sich zwischen Karlsplatz und Schottenring mit einer Länge von 3,5 km und 7 Stationen (später 6 Stationen) als U2. Die Linie U4 von Hütteldorf nach Heiligenstadt mit einer Länge von 16,4 km und heute 20 Stationen wurde aus der ehemaligen Wiental- und Donaukanallinie der Stadtbahn (von Otto Wagner 1894 - 1900 errichtet) entwickelt. Im Bereich der sogenannten Wasserleitungswiese entstand auch der erste Betriebsbahnhof der U-Bahn. In der 2. Ausbauphase (1982 - 2000) wurde eine zweite neue Durchmesserlinie vom Westen in den Südosten durch die Stadt gelegt. Die Linie U3 von Ottakring nach Simmering mit einer Länge von 13,5 km und 21 Stationen – fast zur Gänze in Tieflage geführt – erblickt lediglich in Ottakring und beim zweiten neu errichteten Betriebsbahnhof in Erdberg das Tageslicht. Aus der ehemaligen Gürtellinie der Stadtbahn (von Otto Wagner 1894 – 1897 errichtet) entstand Wiens neue Nord-Südtangente des hoch- rangigen öffentlichen Verkehrs (ÖV). Die Linie U6 mit einer Länge von 17,5 km und 24 Stationen ist nach wie vor die längste und abwechslungsreichste U-Bahn-Linie Wiens. Beginnt sie in Siebenhirten auf Brücken und Dammstrecken, so taucht sie vor der Station Philadelphiabrücke bis zur Längenfeldgasse in eine Tunnelstrecke ab. Mit der Querung des Wientals fährt die U6 auf der historischen Gürtelstrecke zur neu errichteten Station Spittelau. Brückentragwerke (Querung Donaukanal und Donau) und Tieflagen wechseln sich bis zum Erreichen der Endstation Floridsdorf ab. Das Bemühen die denkmalgeschützte Substanz möglichst unverändert zu erhalten, führte auch dazu, dass die U6 mit Oberleitung und Niederflurfahrzeugen der Type T geführt wird. Die 3. Ausbauphase der U-Bahn (2000 - 2010) findet in „Trans- danubien“ statt. Mit der Verlängerung der U1 von Kagran aus (4,6 km, 5 Stationen) – teils unter dicht verbauten Bereichen, aber auch im Vorfeld der großen Wohnhausanlagen Rennbahnweg und Großfeld- siedlung in Hoch- und Niveaulage geführt – wurde das bereits in den „Leitlinien der Stadt Wien“ (1972) definierte Ziel einer Verknüpfung mit der S-Bahn im Norden, nämlich in Leopoldau, realisiert. Höflinger, Kurt 53

Das größte Interesse bei den Bürgerinnen und Bürgern hat allerdings die neue U2 hervorgerufen. Zunächst musste die bestehende U2 langzugtauglich gemacht werden. Dazu gehörte auch eine neue Wendeanlage im Bereich Musikverein. Anschließend konnte mit der 9,2 km langen und 11 Stationen umfassenden neuen U2 vom Schottenring aus (vorwiegend in Tieflage) in der ersten Etappe – rechtzeitig zur Fußball EM 2008 – das Stadion und schließlich (zur Gänze in Hochlage) die vorläufige Endstelle Aspernstraße erreicht werden. Die neue U2 brachte auf Grund der gesetzlichen Rahmenbedingungen auch eine Premiere. Dieses Bauvorhaben – zu dem auch das Betriebsgleis vom Stadion unter dem grünen Prater zum Bahnhof Erdberg gehört – wies eine Länge von mehr als 10 km auf und musste deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, was für U-Bahnen in Europa einzigartig war. Mussten die Donaustädter in den 1990-Jahren noch erhebliche Überzeugungsarbeit für den Bau einer U-Bahn in ihren jungen boomenden Bezirk leisten, konnten sie die lang ersehnte U2 am 2. Oktober 2010 schließlich in Besitz nehmen. Die Begeisterung für diesen qualitativen Quantensprung im öffentlichen Verkehrsnetz, die attraktive Gestaltung der Stationen und der Ausblick vom Zug auf die hochwertigen Landschaftsqualitäten ist nach wie vor ungebrochen.

2 Warum die Wiener ihre U-Bahn lieben – oder Qualität, die seit Jahrzehnten überzeugt

2.1 Benutzerfreundlichkeit – Corporate Design Die U-Bahn ist in erster Linie ein Verkehrsbauwerk mit all seinen Auflagen, Vorschriften und technischen Rahmenbedingungen. In der Erfüllung dieser Anforderungen vermag die Wiener U-Bahn jedoch Identität zu stiften und Symbol zu sein. „Durch einen einfühlsamen Umgang mit der Aufgabenstellung und den Anforderungen ist es gelungen den Menschen, wie er sich im Raum bewegt, was er zur Orientierung zur Interaktion und zum Wohlfühlen an einem solchen Ort benötigt, den Vorrang gegenüber Maschinen und technischen Notwendigkeiten einzuräumen“ (Katzberger, Architekt). 54 Höflinger, Kurt

Abbildung 1: Das Wiener U-Bahn-Netz nach Fertigstellung der 3. Ausbauphase

Das einheitliche Gestaltungskonzept der Wiener U-Bahn ist flexibel, um es an die unterschiedlichen Erfordernisse der einzelnen Station anpassen zu können. Der direkte Bezug einer Station zur Lage in der Stadt wird der Priorität des Linienimages untergeordnet. Eine Linie ist für den Fahrgast als kontinuierliches Bauwerk erlebbar. Durch gezielte Anwendung der Linienkennfarbe und ein leicht erfassbares Leit- und Informationssystem wird dem Fahrgast auf kommunikative Weise das Einsteigen, Umsteigen und das Verlassen des U-Bahnbereichs in einer für alle Stationsarten einheitlichen Ausführungsform angezeigt. Helligkeit, Transparenz, Übersichtlichkeit, leichte Orientierung, Einsehbarkeit von Passagen, Gängen, Stiegen-, Fahrtreppen- und Liftanlagen und einfache Formensprache sind Wesensmerkmale des Konzepts. Auch die barrierefreie Ausgestaltung, die sowohl von jungen Müttern mit Kinderwagen als auch älteren Menschen sehr geschätzt wird, zählt zum Standard der Wiener U-Bahn. Entscheidend ist auch das hohe subjektive Sicherheitsgefühl und die Behaglichkeit, die vermittelt wird. Helle Farben wirken einladend und sind Grundlage für eine optimale Ausleuchtung. Blendungseffekte durch Kontraste und ungünstigen Strahlengang werden vermieden. Höflinger, Kurt 55

Die Berührungsbereiche sind hochwertig ausgestattet und mit glatten, hellen Materialien bis ins kleinste Detail durchgestaltet. Im Gegensatz dazu stehen die roh belassenen, unnahbaren, dunklen Gleisbereiche. Der Grenzlinie – dem Kontrast zwischen beiden Bereichen, der Bahnsteigkante und dem darüberliegenden Kommunikationsträger (Lichtband mit Schürze) – kommt besondere Bedeutung zu. Dieses Gestaltungsprinzip ist auch als Wiener System bekannt. Der Kunde erwartet eine saubere U-Bahn, daher wird bereits in der Ausstattung auf Erhaltungsfreundlichkeit geachtet und versucht präventiv die gedankenlose Verschmutzung auf ein Minimum zu reduzieren, sodass ein dauerhaft einladendes, gepflegtes Erscheinungs- bild erreicht wird. Es zeigt sich, dass die Verwendung von hochwertigen Materialien wie Email, Granit oder Chrom-Nickel-Stahl die Folgekosten senkt und die Attraktivität der U-Bahn-Anlagen erheblich steigert. Ästhetik ist in der Wiener U-Bahn nicht Selbstzweck, sondern erfüllt wesentliche Bedürfnisse der Fahrgäste. Mit dem U-Bahn-Bau wurden aber auch ganze Straßen, Plätze und Stadtteile neu gestaltet, revitalisiert, begrünt und ausgedehnte Fußgängerbereiche geschaffen. Die Stadt ist schöner und lebenswerter geworden. Es ist ein selbstverständliches Ganzes entstanden.

2.2 Betriebsqualität Es haben sich aber auch die Verkehrsgewohnheiten verändert – Wien ist durch die U-Bahn näher zusammengerückt. Die U-Bahn ist zum Rückgrat des öffentlichen Verkehrs geworden. Sie wird von den Fahrgästen hinsichtlich Fahrgastkomfort, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit aber auch wegen der attraktiven Intervalle besonders geschätzt. Der getrennte Fahrweg macht den Betrieb der U-Bahn unabhängig von Behinderungen, die von anderen Verkehrsträgern ausgehen. Gerade vor dem Hintergrund der ungelösten Probleme des Straßenverkehrs (Ökologie und Ökonomie, Belastungen der Anrainer, Stau, Parkraumknappheit etc.) ist die Wiener U-Bahn ein spürbarer Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme in der Stadt. Hohe Reisegeschwindigkeit, Erreichbarkeit und Betriebsqualität sowie hoher Komfort sind die wesentlichen Komponenten einer solchen Problemlösung. Sie sind die Voraussetzung für die Verlagerung der 56 Höflinger, Kurt

Verkehrsströme vom motorisierten Individualverkehr zum umweltfreundlichen öffentlichen Verkehr. In laufenden Analysen werden von den Wiener Linien Angebot und Nachfrage, die Leistungsfähigkeit des Netzes und die Anforderungen aus der Stadtentwicklung untersucht, um dem Grundsatz der kundenorientierten und wirtschaftlichen Betriebsführung Rechnung zu tragen. Die über Jahrzehnte erworbenen Erfahrungen der Wiener Linien auf dem Gebiet der Marktkenntnis, der Angebotsplanung und der Produktion von Verkehrsleistungen stellen dafür eine wesentliche Ausgangsbasis dar. Zweck der Analysen ist es, den Bedarf für künftige ÖV-Maßnahmen rechtzeitig zu erkennen und die daraus abzuleitenden Optionen in den strategischen Planungen zu berücksichtigen. Und die Bevölkerung dieser Stadt erwartet von einem Öffentlichen Personennahverkehr Anbieter zurecht, dass er seinen Kunden ein bedarfsgerechtes Mobilitätsangebot zur Verfügung stellt. Der Ausbau des U-Bahn-Netzes und damit die permanente und konsequente Verbesserung des ÖV-Angebots spiegeln sich in den laufenden Rekordzahlen an Fahrgästen wider. Das hat in Wien zu einer starken Position des öffentlichen Verkehrs mit spürbar positiven Auswirkungen auf den Modal Split geführt. Es zeigt sich deutlich, dass Investitionen in den unabhängigen Schienenverkehr ein Schlüssel für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik sind, mit dem ein Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr bewirkt wird.

3 4. Ausbauphase – damit Stadtentwicklungs- gebiete näher zum Zentrum rücken

Vor Beginn der 4. Ausbauphase waren die Wiener Linien gerade dabei, die magische Grenze von 800 Mio. Fahrgästen pro Jahr zu durchbrechen. Ein Erfolg, der unbestritten auf den konsequenten Ausbau des U-Bahn-Netzes zurückzuführen ist. Auf politischer Ebene war aber Optimismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht angebracht, erst nach den Nationalratswahlen im Herbst 2006 war für Wien an einen neuen U-Bahn-Ausbauvertrag zu denken. Gemäß Vertrag der 3. Ausbauphase und auf Basis des Masterplans Verkehr Wien 2003 konnten jedoch die Planungen für eine 4. Ausbauphase weitergeführt Höflinger, Kurt 57

werden, da „ein Planungsstopp bei derartig langfristigen Projekten wie dem Bau von U-Bahn-Linien äußerst schwerwiegende Folgen mit unaufholbaren Verzögerungen oder die völlige Erlahmung des U-Bahn- Gedankens samt Verlust des gesamten Know-hows mit sich bringen kann“ (Hödl, Wiener Linien). Am 12. Juli 2007 war es soweit! Im Rahmen einer feierlichen Vertragsunterzeichnung wurde von Vizebürgermeisterin Renate Brauner und Finanzminister Wilhelm Molterer ein neuer U-Bahn- Ausbauvertrag unterzeichnet. Basierend auf dem bereits dargestellten Erfolgsrezept der Wiener U-Bahn sollen in der 4. Ausbauphase gemäß den Zielen der Stadtplanung vor allem große städtebauliche Entwicklungspotentiale mit der U-Bahn erschlossen werden. Hohe Einwohner- und Arbeitsplatzdichte erzeugen eine gebündelte Verkehrsnachfrage, die erforderlich ist, um ein leistungsfähiges Verkehrsmittel wie die U-Bahn wirtschaftlich zu betreiben. Das Instrumentarium Stadtentwicklung wird daher entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der 4. Ausbauphase nehmen. Noch bevor die Verlängerungsstrecke der U2 vom Stadion zur Aspernstraße in Betrieb genommen wurde, beginnen mit dem Spatenstich für die U2-Nord-Verlängerung am 29.10.2009 bereits die Bauarbeiten für die 4. Ausbauphase. Die neue U2-Strecke von der Aspernstraße ins ehemalige Flugfeld zur „Seestadt Aspern“ ist 4,4 km lang und wird bei Inbetriebnahme Ende 2013 drei Stationen aufweisen. Zur Gänze in Hoch- bzw. Niveaulage, mehr oder weniger auf der „grünen Wiese“ errichtet, soll die U2 dem neu entstehenden multifunktionalen Stadtgebiet bereits von Anfang an ein höchst attraktives ÖV-Angebot zur Verfügung stellen. Auf einer Fläche von 240 ha wird in den nächsten 25 Jahren eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas für 20.000 EinwohnerInnen und 20.000 Arbeitsplätze mit Wohnungen, Büros, Dienstleistungen, Gewerbe, Bildung, Forschung, großzügige öffentliche Räume und Grünflächen entstehen. Das städtebauliche Konzept und die U2-Trasse konnten bereits in einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Masterplaner des Flugfelds Aspern (Architekt Tovatt) in der generellen U-Bahn-Planung aufeinander abgestimmt werden. Damit in der Seestadt ein Zentrum mit hoher Arbeitsplatzdichte entstehen kann, war für die Masterplanung nicht nur eine Station Seestadt in der Mitte sondern auch ein hochrangiger ÖV-Knoten im Norden Grundbedingung. 58 Höflinger, Kurt

Von Bratislava kommend bildet diese Station Aspern den ersten Haltepunkt und Umsteigeknoten in Wien. U2, S-Bahn, Regional- und Intercity-Züge sowie der regionale und lokale öffentliche Verkehr können hier künftig bei entsprechendem Ausbau des Marchegger Asts der Ostbahn und der städtebaulichen Entwicklung verknüpft werden. Ein weiterer Umsteigeknoten an der U2-Nordverlängerung, der jedoch bereits mit der U-Bahn-Inbetriebnahme große Bedeutung erlangen wird, ist die Station Hausfeldstraße. Werden doch von ihr allein mehr als 20.000 EinwohnerInnen bestehender Siedlungen nördlich der Ostbahn erschlossen, die neue Straßenbahntangente Linie 26 – eine ideale Verbindung zwischen Floridsdorf und Donaustadt (über weite Strecken auf eigenem Gleiskörper) – hier angebunden und mehrere städtische Buslinien angelenkt. Vorkehrungen für das Nachrüsten einer Station „An den alten Schanzen“ bei einer späteren städtebaulichen Entwicklung im südlichen Hausfeld werden ebenfalls getroffen. Wesentlich komplizierter zeigt sich die Situation im Bereich U1- Verlängerung nach Rothneusiedl. Für viele Favoritner wäre das logische Ende dieser U-Bahn-Strecke Oberlaa, da sich dort durch die Therme sowie Erholungs- und Freizeiteinrichtungen eine Art Zentrum entwickelt hat. Seitens der Stadtplanung jedoch ist für die Verlängerung der U1 nach Süden eine attraktive Erschließung des Stadtentwicklungsgebiets Rothneusiedl ein wesentliches Ziel. Mit der Verlängerung vom Reumannplatz nach Rothneusiedl (4,7 km, 6 Stationen) besteht einerseits die Möglichkeit zahlreiche bestehende als auch zukünftige Einwohner und Arbeitsplätze optimal an das hochrangige ÖV-Netz anzuschließen, andererseits ist im Bereich Rothneusiedl eine optimale regionale Anbindung (P&R und Anlenkung von Regionalbussen) gewährleistet. Ein entsprechendes Generelles Projekt wurde von der Magistratsabteilung 18 (MA 18 – Stadt- entwicklung und Stadtplanung) im April 2008 den Wiener Linien zur weiteren Bearbeitung übergeben. „Bei der Überlegung und Planung zum Zielgebiet Rothneusiedl und der Verlängerung der U1 wurde eine nahezu zeitgleiche Entwicklung bzw. Realisierung der Verkehrsinfrastruktur und des Städtebaus angestrebt. Da es bei der Entwicklung des Zielgebiets wegen Nichtverfügbarkeit von Grundstücken zu Verzögerungen gekommen ist, kann von dieser nahezu zeitgleichen Entwicklung nach derzeitigem Stand nicht ausgegangen werden. Um eine aus gesamtstädtischer Sicht optimale Höflinger, Kurt 59

Lösung zu gewährleisten, erscheint es daher sinnvoll verschiedene Optionen zu überlegen und gegebenenfalls zu untersuchen. Da es dadurch zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommen soll, haben die Wiener Linien zunächst den inneren Abschnitt der Verlängerung (Reumannplatz – Alaudagasse), der auf Grund der Tieflage bautechnisch aufwendiger ist und daher auch eine längere Bauzeit in Anspruch nimmt, eisenbahnrechtlich eingereicht“ (Rauscher, MA 18). Der Beginn der U-Bahn-Bauarbeiten für den vorgenannten Bereich, der überwiegend bergmännisch aufgefahren werden muss, ist für Herbst 2011 geplant. Eine Betriebsaufnahme für eine U1-Süd-Verlängerung mit Ende 2016 steht im Raum. Das dritte im Vertrag enthaltene U-Bahn-Projekt ist eine U2- Verlängerung vom Karlsplatz über den Schwarzenbergplatz und den Rennweg Richtung Arsenal und Gudrunstraße mit einer Länge von ca. 4,5 km und möglichen 5 Stationen. Erst mit der Entscheidung, die U2 in die Donaustadt über den Schottenring zu führen, wurde die Grundlage geschaffen, dass die U2 über Karlsplatz Richtung Süden oder Osten verlängert werden könnte. Gleichzeitig wurden städtebauliche Entwicklungen ehemaliger Industrieareale und Bahnflächen in Zentrumsnähe (St. Marx – Erdberger Mais, Aspangbahnhof – Eurogate, Arsenal, Frachtenbahnhof Wien Süd) in absehbaren Zeiträumen möglich. Wegen beginnender Stadtentwicklung in den genannten Bereichen wurde diese U2 Süd im Masterplan Verkehr Wien 2003 bereits in die 4. Ausbauphase integriert. Der zuvor erwähnte Hauptvorschlag ist allerdings nicht unumstritten. Betriebliche Fragen im Zusammenhang mit dem Umbau der erst in der 3. Ausbauphase neu errichteten Wendeanlage Karlsplatz, Trassenführung im Bereich Rennweg, Einbindung in die bauliche Entwicklung St. Marx – Eurogate, Lage der Endstation sowie die hohen Kosten im Vergleich zu den Wirkungen führten seitens der Stadtplanung zu weiteren vertieften Variantenbearbeitungen, die bis dato kein konkretes Ergebnis zeigen.

60 Höflinger, Kurt

4 Wird der große Erfolg der U-Bahn bei der Bevölkerung auch eine Linie U5 bringen?

In weiser Voraussicht bezüglich Langfristigkeit von U-Bahn-Projekten wurden beim aktuellen U-Bahn-Ausbauvertrag auch Planungsarbeiten über das nächste Jahrzehnt hinaus genehmigt. Die jährlichen Steigerungen der Fahrgastzahlen lassen die Weiterführung des U-Bahnbaus nicht unwahrscheinlich erscheinen. Immer wieder aufgeworfene Themen, wie eine bessere Anbindung des Südraumes, eine zukunftssichere Bereinigung des U2-Provisoriums Landesgericht, die Sicherung der Betriebsqualität durch Entlastung kritischer U1-, U3- und U6-Abschnitte und Stationen sowie eine mittel- bis langfristige Überlastung der U6 durch den Bahnhof Meidling (Vorbahnhof zum Hauptbahnhof) aus Regional- und Fernverkehr unterstreichen diese These. Der Masterplan Verkehr Wien 2003 definiert unter dem Kapitel Zielnetz die weitere Zukunft der U-Bahn folgendermaßen: „In diesem Zielnetz ist neben den in der 4. U-Bahn-Ausbauphase geplanten Verlängerungen eine Linie U5 mit einer Verknüpfung mit der Linie U2 bei der Station vorgesehen. Die Linie U5 soll von Hernals kommend bei der Station Rathaus aus der derzeitigen Stammstrecke der U2 bis Karlsplatz und anschließend in den Bereich Aspanggründe und Arsenal geführt werden. Die Linie U2 soll dann vom Flugfeld bis zum Rathaus und anschließend in einem neuen Netzteil über die Neubaugasse, die Pilgramgasse, den Matzleinsdorfer Platz und den Wienerberg bis zur Gutheil-Schoder- Gasse geführt werden.“ Ein umfangreiches Bauprogramm, das durchaus visionären Charakter hat und die optimale Ergänzung in Richtung eines zukunftsorientierten Gesamtnetzes bedeuten würde

5 Literaturverzeichnis

Stadtentwicklung – Masterplan Verkehr Wien 2003 Wiener Linien – Netzanalyse Wiener Linien Wiener Linien – Die Linie U2 Wiener Linien – Das Wiener U-Bahn-Netz Diverse eigene Artikel in Fachzeitschriften

Mag. arch. Paul Katzberger

Die Architektur der neuen U-Bahn-Hochstrecke

Mag. arch. Paul Katzberger Architekt Katzberger Ziviltechniker Gesellschaft mbH Paulanergasse 13 1040 Wien

62 Katzberger, Paul

Inhaltsverzeichnis

1 Städtebau und Erwartung der stadträumlichen Entwicklungen entlang der neuen U2 ...... 63 2 Historischer Hintergrund und Neuansatz der Gestaltung...... 64 3 Gestaltungsziele ...... 67 4 Die Gestaltung der Hochstrecke (Brückenbauwerk) ...... 72

Katzberger, Paul 63

Die Architektur der neuen U-Bahn-Hochstrecke

1 Städtebau und Erwartung der stadträumlichen Entwicklungen entlang der neuen U2

Mit der Entscheidung der Verlängerung der U2 nach Nordosten wird ein langes, von Stadtplanern und Politikern anvisiertes Ziel einer Entwicklung in diesem transdanubischen Teil der Stadt verwirklicht. Mit seinen hochwertigen Landschaftsqualitäten und räumlichen Ressourcen für Wohn- und Betriebsstätten wird dieser Erweiterungs- raum durch ein hochleistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel zukunftsorientiert erschlossen. Der Bedeutung dieser Aufgabe entsprechend wurde ein europaweiter Architektenwettbewerb ausgeschrieben.

Abbildung 1: Ansicht Wettbewerb 2000 (Arch. Katzberger)

64 Katzberger, Paul

2 Historischer Hintergrund und Neuansatz der Gestaltung

Historisch ist für Wien die Errichtung der Stadtbahn der nachhaltigste Eingriff durch ein verkehrstechnisches Großprojekt in die Stadt und deren städtebauliche Struktur. Gleichzeitig ist die Stadtbahn auch aus gestalterischen Gründen ein Meilenstein von Weltgeltung. Ins- besondere, weil es gelang mit einer hohen Selbstverständlichkeit diese Infrastrukturmaßnahme über den eigentlichen Zweck hinaus auch als eine gebietsidentitätsstiftende Qualität einzusetzen. Das Konzept von Architekt Otto Wagner war es, die in Hochlage geführten Bereiche in Viadukte und in dazwischen liegende Stationsgebäude zu gliedern. Wobei die Stationen mit ihrem vorwiegend symmetrischen Aufbau eine gute Erkennbarkeit und Übersichtlichkeit auszeichnet. Für die neuen Hochstationen wurde von Architekt Paul Katzberger ein anderer Ansatz gewählt, der die Dynamik der Zeit versinnbildlicht. Dem Grundkonzept der Bauingenieure folgend entwickelte er dieses mit seinen Mitarbeitern dahin gehend, dass die Trasse tragende Brückenbauwerke ohne Unterbrechung durchgehend das Erscheinungsbild der Hochtrasse prägen. Nur im Stationsbereich werden diese Tragwerke mit einer Einhausung überdacht und durch die Aufnahmebauwerke und die Unterwerke unterbaut. Ziel dieses Ansatzes ist neben der Veranschaulichung der konstruktiven Struktur vor allem auch die Betonung des den Stadtraum definierenden visuellen Bandes der Hochtrasse. Wie auch bei Otto Wagner steht im Vordergrund, dass die primären Materialien der Tragkonstruktion, bei der Stadtbahn der Ziegel, bei der U2 der Stahlbeton, das Erscheinungsbild prägen. Eine weitere historische Wurzel ist die Fortsetzung der Qualität der frühen Wiener U-Bahnbauten. Diese wurden vor allem durch die gestalterische Kraft von Wilhelm Holzbauer geprägt, der den ersten Wettbewerb zur Wiener U-Bahn gewann. Die Selbstverständlichkeit dieser Ästhetik, insbesondere in den ersten Ausbauphasen, ist bei Vergleichen mit anderen internationalen U-Bahn-Netzen herausragend. Trotzt vielfältiger Neuansätze wurde ausgehend von einer Analyse dieses Bestandes die neue Gestaltungsidee entwickelt, die in ihrer formalen Stringenz überzeugt. Katzberger, Paul 65

Abbildung 2: Ansicht Station Krieau (Foto Bruno Klomfar)

Gestaltungsidee: Die grundlegende Gestaltungsidee für die Linie U2 ist die konsequente Weiterentwicklung des bestehenden Wiener Systems. Mittlerweile gibt es in Wien mehr als 40 Jahre U-Bahn-Bau, der im Gegensatz zu manchen anderen Großstädten als Leitmotiv jeweils die zusammenhängende Gestaltung einer Linie hat. Darüber hinaus ist 66 Katzberger, Paul

durch den Innenausbau ein Gesamtzusammenhang erkennbar (Materialien, Raumwirkung, Linienfarbe). Ein charakteristisches Erkennungsmerkmal der Wiener U-Bahn ist die Trennung von hell ausgestalteten Bereichen, in denen sich die Benutzer bewegen, und den dunklen nicht ausgestalteten Blindbahnsteigbereichen. Für die gegenständliche Aufgabe galt es daher, einerseits eine Architektursprache zu finden, die Tief- und Hochstationen, Mittel- und Seitenbahnsteige sowie Sonderlösungen als eine zusammenhängende Einheit ablesbar macht, und andererseits diese neue Linie auch in die Tradition der bisherigen Linien einbindet. Die U-Bahn ist in erster Linie ein Verkehrsbauwerk mit Auflagen, Vorschriften und technischen Rahmenbedingungen. Die Aufgabe der Architektur muss daher sein, diese Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig Identität zu stiften und Symbol für das angebotene Service – verlässlicher öffentlicher Transport – zu sein. Das heißt: Reduktion und Weiterentwicklung zugleich. Unter dem Gesichtspunkt der langen Lebensdauer und Gebrauchs- tüchtigkeit bei extremer Beanspruchung der Bauwerke zerfällt die Aufgabe in einen pragmatischen und einen gestalterischen Teil. Erst die Bewältigung beider Anforderungen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aspekte (für Errichtung und Betrieb) kann als Lösung der Gestaltungsaufgabe angesehen werden. Daher wird auf bereits bisher bewährte Ausbaumaterialien (z.B.: Granit, Edelstahl, Email) zurückgegriffen. Ergänzend gelangen Aluminium und Glas (natürliches Licht) in verstärktem Ausmaß zur Anwendung. Katzberger, Paul 67

Abbildung 3: Aufgang zum Bahnsteig (Foto Bruno Klomfar)

3 Gestaltungsziele

Ziel der Gestaltung ist es, eine dem Zweck entsprechende, dem städtischen Umraum und der Funktion adäquate Gebäudekonzeption zu finden. Insbesondere wird versucht, dass durch Material und die gewählten Proportionen ein selbstverständliches Ganzes entsteht, dessen Präsenz nicht penetrant aber dennoch einprägsam ist. Die Objekte sind in ihren Elementen wie auch in ihrem Ganzen als kleine Serie mit hoher Selbstähnlichkeit entwickelt und ergeben daher eine linienspezifische Gesamtwirkung. Grundsatz ist, möglichst helle, übersichtliche und gut zu erhaltende Gebäude zu errichten. Die Integration von Kunst im öffentlichen Raum ist im Zuge der Planung und Errichtung ein immer wieder diskutierter Aspekt, der ein gutes Beispiel für die Breite der Diskussionen im Zuge der Formfindung zwischen Planern der Wiener Linien und der Stadt Wien abbildet. Schon bei der Präsentation der Wettbewerbsergebnisse hat Frau Stadtrat Dr. Ederer auf eine Ausstattung mit Kunstwerken hingewiesen, zwischenzeitlich wurden unterschiedliche Ansätze ausgearbeitet und 68 Katzberger, Paul

wurde und werden Arbeiten realisiert, insbesondere eine Skulptur des Heiligen Nepomuk (dem Brückenheiligen) von Werner Feiersinger im Bereich Station Stadlau, weitere Arbeiten sind in Vorbereitung.

Materialien außen: Dominierend sind die Betonteile des Streckenbauwerkes, welche im Bereich der Stationen unter- bzw. überbaut werden. Diese Bauwerke sind im oberen Bereich großflächig verglast. Die unterbauten Teile gliedern sich in Metallwandverkleidungen mit integrierten Lüftungs- jalousien und Toren bzw. in Verglasungen. Die Metallteile sind, um eine elegante Baukörpererscheinung zu erreichen, in anthrazit-färbigem Emailblech ausgeführt, das einen weichen, die Glas- und Betonflächen kontrastierenden Baukörpereindruck ergibt. Wo die Möglichkeit besteht, wird durch die Einplanung urbanen Grüns eine zeitgemäße und ortspezifische Gesamtwirkung erzielt.

Abbildung 4: Ansicht Station Donaumarina (Foto Bruno Klomfar)

Katzberger, Paul 69

Materialien innen: Im Gegensatz zum Äußeren, wo versucht wird, mit feinen Abstimmungen der als gedeckt zu bezeichnenden Materialfarben eine gute urbane Einbindung zu erreichen, werden im Inneren mit stärkeren Kontrasten und der Kontrastfarbe Weiß oder Anthrazit auf der Nutzerebene gestalterisch klärende Akzente gesetzt. Die einzelnen Materialien sind so aufeinander abgestimmt, dass ein heller und leichter Raumeindruck entsteht. Am Boden und für die Stiegen wird der vielfach in der Wiener U-Bahn bewährte Granit vorgesehen. Die Wandverkleidungen darüber sind aus weiß emaillierten Glas- oder anthrazit-färbigem Syenith bzw. Metallpaneelen. Die Decken- verkleidungen sind eloxierte, gelochte Metallpaneele mit Lochanteil nach akustischem Erfordernis. Sitzgelegenheiten und andere die Stationen funktionell ergänzende Einrichtungsgegenstände sind aus strapazierfähigen Metallkonstruktionen hergestellt. Ein wesentlicher Gestaltungsansatz wird in der künstlichen Beleuchtung gesehen. Es wurde auch für die Nachtstunden ein für den Menschen angenehmes Lichtkonzept umgesetzt, das gerade in diesen Stunden dem Fahrgast in seinem Sicherheitsbedürfnis entgegenkommt. Darüber hinaus sind die Stationsgebäude gestalterisch so aufgebaut, dass das Tragwerk der U-Bahn mit seinen Betonbrüstungs- verkleidungen im Bereich der Aufnahmegebäude bündig mit den Außenfluchten unterbaut wird. Zwischen den massiven Teilen dieser Unterbauungen und dem Beton des Tragwerks befinden sich größten- teils Oberlichtbänder, die eine visuelle Trennung erzeugen. Im Bereich der über dem Tragwerk liegenden Einhausungen der Stationen werden ebenfalls in der Flucht der Streckenteile gläserne Aufsätze errichtet, die mit einem Gründach (extensiv) mit Oberlichtband und Entrauchungs- schlitzen ergänzt und abgeschlossen werden. Diese primär wirkenden Elemente sind vom Aluminium des Glashaltesystems, dem Glas der Einhausung, dem Beton der Brüstungselemente und dem dunklen Email der Außenwandverkleidungen der Unterbauungen der Trasse geprägt. Durch die Entscheidung, die Streckenbauteile in ihrer Geometrie dominieren zu lassen, werden die einzelnen Bauteile als additive, integrale Bestandteile der Strecke und damit der Funktion – schnelle Verbindung – wahrgenommen. In Verbindung mit der Transparenz der 70 Katzberger, Paul

Zugangsverglasungen und der Verkaufsflächen wird ein klarer, die Zugangssituation unterstreichender Primäreindruck erzielt.

Abbildung 5: Nachtansicht zum Bahnsteig (Foto Bruno Klomfar)

Abbildung 6: Mittelbahnsteig Station (Foto Bruno Klomfar) Katzberger, Paul 71

Dem gebotenen Ziel, einer Infrastrukturanlage dieser Bedeutung gerecht zu werden, wird versucht, den immer unterschiedlichen Rahmenbedingungen funktional zu entsprechen und Typus- anpassungen mittels Variationen, einer stringenten einfachen Formensprache vorzunehmen und gleichzeitig, ein wiedererkennbares, ästhetisches Ganzes in den Stadtraum zu implementieren. Wenngleich der Versuch gemacht wurde, möglichst gleiche Stationen zu realisieren, so erzwangen die Rahmenbedingungen doch stark unterschiedliche Lösungen. Besucht man die Stationen, sticht aber die im Automobildesign so angestrebte „Selbstähnlichkeit“ (der einzelnen Typen einer Marke – ein Audi Kombi und eine Audi Limousine sind auch ohne Logos eindeutig als verwandt erkennbar) sofort ins Auge und gibt der Linie ein eindeutiges „Branding“.

Abbildung 7: Seitenbahnsteig Station (Foto Bruno Klomfar)

72 Katzberger, Paul

4 Die Gestaltung der Hochstrecke (Brückenbauwerk)

Die Hochstrecke ist gestalterisch so aufgebaut, dass das Tragwerk der U-Bahn mit seinen runden Stützen und dem darüber liegenden Tragwerk aus Ortbeton durch die regelhafte Anwendung des Stützrasters einerseits und die optimierte Formgebung der Tragwerksgeometrie andererseits die funktionalen Prämissen klar und eindeutig darstellt. Der zweite wesentliche Teil der Wahrnehmung dieses Bauwerks ist der Brüstungsfertigteil, der aus Schallschutz- gründen die Hochstrecke im Bereich der Gleise begleitet. Hier wurde durch die klare Gestaltung versucht, die Logik der Tragkonstruktion fortzusetzen. Grundsätzlich wurden Sondersituationen in Kreuzungsbereichen erarbeitet, die die Gesamtwirkung des stadträumlichen Umraumes wie auch des U-Bahnbauwerks nicht einschränken. Als gestalterischer Grundsatz gilt, dass die vorhandenen Grünzonen nur im unbedingt notwendigen Maß durch Oberflächenbefestigungen beeinträchtigt werden und ein Maximum an unversiegelten Flächen erhalten blieb.

Dipl.-Ing. Arnold Ritter

Bauabschnitt U2/8 Stadlau, Hardeggasse – Herausforderungen des Brückenbaus im urbanen Umfeld

Dipl.-Ing. Arnold Ritter Projektleiter der U2 Verlängerung Baulos U2/8 Stadlau, Hardeggasse Swietelsky Bauges.m.b.H. Filiale Ingenieurtiefbau Wiedner Hauptstraße 56/5 1040 Wien www.swietelsky.at 74 Ritter, Arnold

Inhaltsverzeichnis 1 Einführung ...... 75 2 Bauwerksbeschreibung ...... 75 2.1 Trassenverlauf ...... 75 2.2 Bauteile ...... 77 3 Erfordernisse aufgrund bestehender Infrastruktur ...... 93 3.1 Zwangspunkte in der Projektierung ...... 94 3.2 Berücksichtigung von Einbauten ...... 95 3.3 Vorgaben für die Montageablaufplanung ...... 96 3.4 Einrichtung von Verkehrsführungen ...... 98 4 Literaturverzeichnis ...... 99

Ritter, Arnold 75

Bauabschnitt U2/8 Stadlau, Hardeggasse – Herausforderungen des Brückenbaus im urbanen Umfeld

1 Einführung Im Zuge der Erweiterung der U-Bahnlinie U2 nach Aspern wurden von Oktober 2006 bis Dezember 2009 die Rohbauarbeiten des Bauabschnitts U2/8 Stadlau, Hardeggasse realisiert. Die Tragwerke dieses Abschnitts, welcher sich über eine Länge von ca. 1100 m erstreckt, sind zur Gänze in ein- und zweifacher Hochlage konzipiert und ausgeführt. Zusätzlich wurden im Zuge dieses Bauabschnitts die Stationen „Stadlau“ und „Hardeggasse“ errichtet. Insbesondere durch die Errichtung der Gemeinschaftsstation Wien-Stadlau wurde eine weitere leistungsfähige Verbindung von S-Bahn-Netz und U-Bahn-Netz erzielt. Durch die im Baulosbereich vorhandene Verkehrsinfrastruktur (hochrangige Straßen- und Gleisverbindungen) waren besondere Herausforderungen bei der Planung und Ausführung dieses Bauabschnittes gegeben. 2 Bauwerksbeschreibung 2.1 Trassenverlauf Der Bauabschnitt U2/8 beginnt im Bereich des Kreuzungsplateaus Neuhaufenstraße/Kaisermühlenstraße im 22. Wiener Gemeindebezirk. Die Trasse verläuft in zweifacher Hochlage beginnend am Bauabschnittsübergang vom Baulos U2/7 zwischen Lachs- und Raabweg über die Neuhaufenstraße in einem Rechtsbogen zur Autobahn A23. Die Fahrbahnen der A23 werden mit einer mittleren lichten Höhe von ca. 6,30 m überfahren. In weiterer Folge führt der Rechtsbogen über den Bahnhof Stadlau mit einer mittleren lichten Höhe von ca. 6,70 m. Dieser Streckenabschnitt (Bauteil A) wird auf eingleisigen Stahltragwerken geführt, welche im Längsvorschub montiert wurden. 76 Ritter, Arnold

Abbildung 1: Trassenverlauf U2/8, Blickrichtung Westen

Die daran anschließenden Stahlbetontragwerke (Bauteil B) münden am Ende des Rechtsbogens in die Station Stadlau mit den beiden Aufnahmegebäuden Stadlau und Konstanziagasse und dem dazwischen liegenden Stationstragwerk. Danach verläuft die Trasse zunächst auf eingleisigen Brücken- tragwerken von der Station Stadlau weg fallend von der zweifachen in die einfache Hochlage (Bauteil D). Ab Erreichen dieser Höhenlage gehen die beiden eingleisigen Tragwerke in ein zweigleisiges über, das in dieser Höhenlage – sich kontinuierlich aufweitend – bis zur Station Hardeggasse verläuft (Bauteil E). Es werden dabei die Mühlgrundgasse (lichte Höhe ca. 9,1 m) und die Gemeindeaugasse (lichte Höhe ca. 5,2 m) überfahren. Von der Station Hardeggasse bis zum Bauabschnittsübergang U2/9 kurz vor dem Donauspital verläuft die Trasse auf eingleisigen Brücken- tragwerken (Bauteil G) horizontal in einfacher Hochlage. Die lichte Höhe unter den Tragwerken beträgt in diesem Bereich ca. 5,2 m.

Ritter, Arnold 77

2.2 Bauteile

2.2.1 Eingleisige Stahltragwerke (Bauteil A) Der Bauteil A besteht aus zwei eingleisigen, im Grundriss kreis- bogenförmig mit Radien von 330,0 und 338,65 m gekrümmten Stahltragwerken mit einem konstanten Gefälle von ca. 0,8 % Richtung U-Bahn-Station Stadlau. Die mittlere Höhe der Fahrflächentangente (FFT) über Geländeoberkante (GOK) beträgt im Bereich der Neuhaufenstraße ca. 15,0 m, im Bereich der A23 ca. 9,7 m und im Bereich des Bahnhofes Stadlau ca. 10,3 m. Auf Grund der großen Stützweiten (max. 64 m) und der komplexen Randbedingungen für die Montage (Überquerung der A23 und des Bahnhofes Stadlau knapp oberhalb des jeweiligen Lichtraumes) wurden die Tragwerke als einzellige Stahlhohlkastenbrücken mit beidseitigen Konsolen konzipiert. Das statische System der Brückenkonstruktion ist ein Durchlaufträger über fünf Felder. Die Gesamtlänge der Tragwerke beträgt ca. 250 m bzw. 219 m, wobei die Einzelstützweiten zwischen 30 und 64 m variieren. Die Brückenbreite zwischen den Außenkanten der Brüstungsfertigteile ist konstant 6,0 m, die Brückenhöhe beträgt einschließlich der Brüstung 5,0 m. Die Abmessungen des Stahlkastens sind annähernd quadratisch. Die Kastenbreite zwischen den stetig gekrümmten Stegblechaußen- kanten beträgt konstant 2,80 m, die mittlere Kastenhöhe 2,82 m. Die Fahrbahn ist als orthotrope Platte ausgebildet, auf der ein durchgehendes Schotterbett angeordnet ist. Der Querträgerabstand variiert in Abhängigkeit von der jeweiligen Stützweite und beträgt max. 3,0 m. Um die Querbeweglichkeit der Tragwerke zu minimieren, wurde eine Tangentiallagerung der Tragwerke mit Punktkipplagern ausgeführt. Bei jeder Stütze werden die Tragwerke in Querrichtung gehalten, in Längsrichtung erfolgt die Horizontalkraftlagerung bei den mittleren Stützen in den Achsen 3 und 4 (Bereich ÖBB).

78 Ritter, Arnold

Abbildung 2: Charakteristischer Querschnitt Stahltragwerke (Bauteil A) Ein zukünftig erforderlicher Lagertausch kann mittels Hebepressen in der betriebsfreien Zeit erfolgen. Die Hebepressen können in der Regel am Stützenkopf zwischen den Lagern angeordnet werden. Während der Lagertausch bei den Stützen im ÖBB-Bereich ursprünglich nur mit Hilfsstützen auf den Anprallböcken und damit einhergehenden betrieblichen Einschränkungen angedacht war, konnte im Zuge der Ausführung durch die Wahl von kompakteren Kalottenlagern und der Verstärkung der Lagerquerscheiben ebenfalls die Möglichkeit des Einsatzes von Hebepressen am Stützenkopf geschaffen werden. Jedes Tragwerk besitzt sechs Stützen, welche auf Bohrpfahlgründungen (Pfahlkopfplatte + Bohrpfähle Ø 1,20 m) fundiert sind. Der Trennpfeiler an der Baulosgrenze U2/7-U2/8 ist als Hohlkasten ausgebildet und übernimmt die Auflagerung des zweigleisigen Stahlbetontragwerkes von U2/7 sowie der beiden eingleisigen Stahltragwerke. Die Trennpfeiler in Achse A/5 nehmen auch die anschließenden eingleisigen Stahlbetontragwerke von Bauteil B auf und sind aufgrund der Anpralllasten des naheliegenden S80-Gleises mit einem größeren Querschnitt ausgebildet. Ritter, Arnold 79

Ebenso wurden die Stützen der Achsen A/3 und A/4 im ÖBB-Bereich im unteren Drittel durch die Ausbildung von Anprallböcken massiv verstärkt.

Abbildung 3: Stützenausbildung im ÖBB-Bereich Um die baulichen und betrieblichen Eingriffe in die A23 und den Bahnhof Stadlau zu minimieren, erfolgte die Montage der Brücken- tragwerke durch Längsvorschub (Taktschiebeverfahren). Die für den Zusammenbau der Stahlteile und die Aufnahme der Vorschubeinrichtung erforderliche Montageplattform war im Bereich der Baulosgrenze U2/7-U2/8 situiert. Vorgeschoben wurde bergab in Richtung U-Bahn-Station Stadlau. Die Querschnittsabmessungen der beiden Brückenobjekte wurden vorab so entwickelt, dass die Anlieferung der fertig geschweißten Hauptträger (in Längen bis 13,3 m und max. 3,0 m Breite) ohne die beidseitigen Konsolen möglich war. Die Konsolen wurden ebenfalls als fertig zusammengeschweißte Einheit angeliefert und vor dem Einschubvorgang am Stahlkasten angeschweißt, sodass der gesamte tragende Querschnitt vorgeschoben werden konnte. 80 Ritter, Arnold

Abbildung 4: Montageplattform im Bereich Neuhaufenstraße Die Höhe des Zusammenbaus lag ca. 140 mm über der Endlage des Tragwerkes, um Kollisionen mit den vorab eingebauten endgültigen Lagern zu vermeiden. Die Auflagerung der Stahltragwerke während der Montage erfolgte auf Montagestützen, die neben den später für die Endlage vorgesehenen Stützen auf den Pfahlrosten bzw. Anprallböcken aufgestellt und mit den Stahlbetonstützen kraftschlüssig verbunden wurden. Diese Montagestützen dienten zur Aufnahme der Verschiebelager, welche je nach Kragarmlänge bzw. maximaler Last bis über 1700 mm lang waren und mit Niroblech als Gleitblech überzogen wurden. Auf dem Gleitblech wurden PTFE-Gleitplatten mit einer Nenndicke von 13mm und einer Breite > 100 mm aufgelegt, wobei die PTFE-Fläche zusätzlich mit Schmiertaschen für Silikonfett versehen war. Damit konnten die während des Verschubvorganges auftretenden Reibungskräfte auf ein Minimum reduziert werden. Da das Tragwerk im Kreisbogen eingeschoben wurde, waren bei jedem Verschiebelager Seitenführungskonsolen mit einem planmäßigen Abstand zur Untergurtaußenkante von 50 mm angebracht. Diese Ritter, Arnold 81

sollten die Horizontalkräfte infolge Wind, Temperatur und Kraft- umlenkung sowie die auftretenden Kräfte im Falle einer nicht planmäßigen Vorschubunterbrechung in die Stützen abtragen.

Abbildung 5: Montagezustand im ÖBB-Bereich Zusätzlich waren je Tragwerk im Bereich des Mittelstreifens der A23 sowie neben der Neuhaufenstraße für das Tragwerk A1 ortsfeste Hilfsstützen erforderlich. Diese als Stahlkonstruktion ausgeführten Hilfsstützen wurden mit den mittels Kleinbohrverpresspfählen tiefgegründeten Fundamenten biegesteif verbunden. Im Gleisbereich wurde nahe den Stützen in der Achse A/4 eine mobile Hilfsstütze auf einem eigens dafür umgebauten Eisenbahngüterwaggon erforderlich. Diese Hilfsstütze diente planmäßig im Fall der größten Auskragung zur Reduzierung der vertikalen Kragarmdurchbiegung um zu verhindern, dass die Tragwerksunterkante unter die bestehenden Oberleitungen reicht. Die Hilfsstütze am Waggon war als Teleskopstütze mit gelenkig und drehbar angeschlossenem Querträger ausgebildet. Die Verschiebelager wurden als Wälzwägen mit Seitenführungsrollen ausgeführt. 82 Ritter, Arnold

Die Konzeption erfolgte als Pendelstütze, die für den Transport und für die Montage unten fixiert (eingespannt) und nach dem Einbau auch unten gelenkig gemacht werden konnte. Für den planmäßigen Einsatz der Hilfsstütze wurde diese in Längsrichtung zur nächstgelegenen Stütze in Achse A/4 abgestrebt. Außer dem geplanten Einsatz diente die mobile Hilfsstütze auch bei nicht planmäßigen Vorschubunterbrechungen (Wind, etc.) im Bahnhofsbereich als temporäre Unterstellung bzw. schnell verfügbare Ersatzlagerungsmöglichkeit des auskragenden Tragwerkteiles.

Abbildung 6: Einsatz der mobilen Waggon-Hilfsstütze Die Vorschubeinrichtung bestand aus einem Abspannbock, der auf den Hauptträger des Montagebodens aufgeschraubt wurde und über den die Reibungskräfte in den Trennpfeiler abgeleitet wurden. Das Einschieben erfolgte mittels Zugstangen über damit verbundene Pressenschuhe und Hohlkolbenpressen im definierten Pressenzyklus. Während der Vorschubtätigkeiten waren alle in Funktion befindlichen Verschiebelager mit je einem Mann besetzt, ebenso war bei jeder Hohlkolbenpresse und beim Hydraulikaggregat je ein Bedienungsmann eingesetzt. Die gesamte Mannschaft war mit Funkgeräten ausgerüstet und untereinander bzw. mit der Aggregatbedienung verbunden. Ritter, Arnold 83

Für die aus dem Tragwerksgefälle (ca. 0,80 %) resultierenden Horizontalkräfte wurde aus Sicherheitsgründen eine auf der Montageplattform situierte Rückhaltevorrichtung beim Vorschub vorgesehen. Das Anheben der Tragwerksspitze auf die Stützen erfolgte mit einer Hubvorrichtung, welche stufenweise ausgefahren wurde, bis die Unterkanten der Hubvorrichtungsschuhe mit der Hohlkastenunterkante niveaugleich waren. Danach konnte der Längsvorschub nach Bedarf fortgesetzt werden. Nach Abschluss der Vorschubarbeiten wurden die Tragwerke auf ihre endgültige Lage abgestapelt und mit den Kalottenlagern verschweißt.

2.2.2 Eingleisige Stahlbetonbrücken über S80 (Bauteil B) Der Bauteil B besteht aus zwei eingleisigen Streckentragwerken in zweifacher Hochlage, welche die Verbindung zwischen den Stahlbrücken über dem Bahnhof Stadlau und dem U-Bahn- Stationsbauwerk Stadlau herstellen. Zwischen den beiden Einzel- tragwerken liegt das Verknüpfungsbauwerk (Bauteil C1) der ÖBB- Station Stadlau und der U-Bahn-Station. Die Tragwerke überspannen mit 6,40 m bzw. 6,20 m lichter Höhe über SOK auch die beiden S80-Gleise der ÖBB-Station. Daher war die Herstellung der zwei eingleisigen Stahlbetontragwerke B1 und B2 hinsichtlich des Bauablaufs auch zusammen mit dem Bauteil C und dem Taktschieben der Bauteile A2 und A1 zu betrachten. Die beiden Einzeltragwerke dieses Abschnittes weisen unterschiedliche Geometrien und somit auch statische Systeme auf. Während das Tragwerk B1 als 3-feldriges Stahlbetontragwerk mit einer Länge von ca. 48,45 m und Stützweiten von ca. 13,60-17,85 m aus- geführt wurde, weist das 4-feldrige Stahlbetontragwerk B2 eine Gesamtlänge von ca. 70,45 m und Stützweiten von 8,25-23,50 m auf. Die unterschiedlichen bzw. unregelmäßigen Stützweiten erklären sich aus dem Umstand, dass die Tragwerke das Stationsbauwerk überbrücken. 84 Ritter, Arnold

Die Lagerung der Tragwerke erfolgt in den Übergangsbereichen zu den Bauteilen A und C3 durch Elastomerlager, wobei zusätzlich querfeste Lager (Führungslager) ausgeführt wurden. Der Tragwerksquerschnitt baut auf eingleisigen Regelquerschnitten mit einer Gesamtbreite von 6,0m und einer statischen Minimalhöhe von 1,22 m auf, erfährt aber laufend Veränderungen, sodass von keinem durchgehenden Regelquerschnitt gesprochen werden kann.

Abbildung 7: Verstärkter Tragwerksquerschnitt (Bauteil B) So musste der Querschnitt beim Trennpfeiler zum Stahltragwerk (Bauteil A) für die Aufnahme der Übergangskonstruktion zum Stahltragwerk maßgeblich verändert werden, da die Kabeltrogführung und die Querneigungsverhältnisse unterschiedlich sind und zudem große Relativverschiebungen aufgenommen werden müssen. Weiters verläuft das Tragwerk in Teilbereichen direkt an der Begleitwand des Stationsbauwerkes, weshalb der Kragarm Iängs dieser Wand gekürzt wurde und die Brüstungsfertigteile entfallen. Die Stützenquerschnitte der Hauptachsen setzen sich entweder aus zwei Halbkreisen mit Durchmesser 1,40 m und einem 80 cm breiten, geraden Zwischenstück zusammen oder es wurde ein Kreisquerschnitt Ritter, Arnold 85

mit Durchmesser 1,40 m ausgeführt. Die Stützen schließen biegesteif an das Brückentragwerk an.

2.2.3 Station Stadlau (Bauteil C) Die Station Stadlau liegt in zweifacher Hochlage schräg über der Kaisermühlenstraße und den ehemaligen Sportanlagen des E.S.V. Stadlau. Die Nivellette der beiden Gleise liegt zwischen ca. 11,65 m (Ostteil) und ca. 13,00 m (Westteil) über dem Gelände und ist horizontal. Das Hauptstationstragwerk (Bauteil C3) überspannt die Kaisermühlenstraße und liegt zwischen den beiden Aufnahmegebäuden Kaisermühlenstraße und Konstanziagasse. Die lichte Höhe über der im Zuge des U-Bahn-Baus verlegten Kaisermühlenstraße beträgt im Mittel ca. 9,6 m (Haupttragwerke) bzw. 6,9 m (Querträger). Der Hauptteil der Station wurde als Stahlbetonbrücke errichtet und besteht aus sieben Stützenpaaren, auf denen über Querträger die monolithischen Haupttragwerke aufliegen. Zwischen diesen spannt sich der Mittelbahnsteig samt darunter liegendem Kollektor. Die Stützweiten betragen ca. 20,0 bis 22,5 m. Die Geometrie der Tragwerksstützen wurde an die Richtung der neuen Kaisermühlenstraße angepasst und ist ein rautenförmiger, in den Ecken abgerundeter Querschnitt mit Abmessungen von ca. 4,5 x 3,0 m (umschriebenes Rechteck). Aufgrund der unterschiedlichen Schnitt- winkel der Achsen je Gleisseite ergaben sich zwei verschiedene Schalungsgeometrien für die Stützen des Bauteils C3. Um die geforderten Sichtbetonflächen ohne die bei diesen geometrischen Vorgaben problematischen Ankerstellen ausführen zu können, wurde ein Schalungssystem aus einer kletterfähigen Sperrenschalung und einer Trägerschalung für die rautenförmigen Stützen eingesetzt. Mit diesem System konnten die bis zu 12,50 m hohen Stützen in jeweils 3 Abschnitten hergestellt werden. Die abgerundeten Eckbereiche des Rhomboids wurden mit einfach in das Schalungssystem integrierbaren ausgefrästen Leimholzblöcken hergestellt.

86 Ritter, Arnold

Abbildung 8: Querträgerausbildung (Bauteil C3) Die Stützenpaare sind jeweils durch einen als Hohlkasten ausgebildeten Querträger zu Querrahmen verbunden. Diese Querträger mit angezogenen Seitenflächen (trapezförmiger Querschnitt) nehmen entweder die Elastomerlager für die Tragwerke auf oder die Platten- tragwerke und Kollektoren sind daran unmittelbar anbetoniert. Eine zusätzliche Herausforderung bestand in der Integration der zur Stabilisierung des Tragwerkes in Längsrichtung erforderlichen geneigten Strebepfeiler in den Achsen C1/3 und C2/3, wobei der Strebepfeiler unter dem Gleis 1 in Richtung Westen, jener unter Gleis 2 Richtung Osten geneigt ist. Sowohl die Herstellung des im Querschnitt ebenfalls rauteförmigen Strebepfeilers als auch die Ausbildung des Knotens Stütze – Strebepfeiler – Querträger stellten besondere Anforderungen an das Schalungssystem und an das ausführende Personal. Das insgesamt 125 m lange Stationstragwerk ist in der Längsrichtung als fugenloser 6-Feld-Rahmen ausgebildet, wobei nur die drei zentral gelegenen Mittelstützenreihen biegesteif mit dem Tragwerk verbunden Ritter, Arnold 87

Abbildung 9: Herstellung Strebepfeiler (Bauteil C3) sind. Diese Stützenreihen und die schräg liegenden Strebepfeiler übernehmen die Ableitung sämtlicher horizontaler Längslasten. Alle diese Horizontallasten werden in die Pfahlgründung abgeleitet. Generell geben die Stützen der Hauptachsen ihre Lasten über Querjoche in je vier Bohrpfähle mit Durchmesser 1,20 m und Achsabstand 4,50 m (quer) x 3,00 m (längs) ab. Die Strebepfeiler sind über Querjoche auf je zwei Bohrpfählen mit d = 1,20 m gegründet. Im Bereich des Aufnahmegebäudes Kaisermühlenstraße wird das Stationstragwerk durch die Fahrtreppen in der Längsachse aufgeschnitten, sodass hier das Regeltragwerk und die mittig liegenden Kollektor- und Bahnsteigstützen modifiziert werden mussten. Der Tragwerksquerschnitt baut auf den beiden außen liegenden Gleistragwerken auf, die aufgrund der Trassierung einen variablen Abstand aufweisen. Die Gesamttragwerksbreite variiert daher zwischen 19,64 m und 21,79 m. Beide Gleistragwerke bestehen aus Stahlbeton- platten mit einer Breite von 3,90 m und einer Mindeststärke von 1,22 m. An der Außenseite setzen sich die Platten in Kragarmen mit einer Breite von 1,66 m fort, an deren Enden die Brüstungsfertigteile befestigt werden. Zwischen den beiden Gleistragwerken wird der Raum unterhalb des Bahnsteiges mit einer Bodenplatte versehen und als Kollektor genutzt. Zwischen den beiden geraden und horizontal liegenden Gleisen kommt 88 Ritter, Arnold

Abbildung 10: Charakteristischer Querschnitt Stationstragwerk (Bauteil C3) der Mittelbahnsteig zu liegen, dessen Breite sich im Sinne der Kilometrierung von ca. 13,1 m auf ca. 10,9 m verjüngt. Vor dem Haupttragwerk befindet sich das Aufnahmegebäude Kaisermühlenstraße (Bauteil C1), in dem sich Betriebsräume, Gewerbeflächen und die Aufstiege (Fahrtreppen, Lifte, feste Stiegen) befinden. Es ermöglicht ebenfalls die Verknüpfung zur gleichzeitig in Betrieb genommenen S80-Station der ÖBB, die bei der Konzeption des Aufnahmegebäudes berücksichtigt wurde. Aus diesem Grund wird das Aufnahmegebäude auch von einem eigenständigen Brückentragwerk für das horizontal liegende, östliche S80-Gleis (Bauteil C2) durchdrungen. Dieses Plattentragwerk mit einer Dicke von 0,80 m, das auf kreisrunden Stützen (d = 80 cm) starr aufliegt, wird von den massiven Teilen des restlichen Stationsbauwerkes vollständig konstruktiv getrennt, um Körperschallübertragungen zu verhindern. Nach dem Haupttragwerk befindet sich das Aufnahmegebäude Konstanziagasse (Bauteil C4), in dem sich ebenfalls Betriebsräume, eine Gewerbefläche und die Aufstiege (Lifte, feste Stiege) befinden. Aus konstruktiver Sicht ist dieses Bauwerk, das vom Hauptstationstragwerk und von den beiden begleitenden Streckentragwerken des Bauteiles D Ritter, Arnold 89

konstruktiv völlig getrennt ist, wie ein klassischer Hochbau zu behandeln. Die anfallenden Lasten werden über Wände, Stützen und Wandscheiben in die Pfahlroste abgetragen und von dort an die Bohrpfähle (d = 1,20 m) übergeben.

2.2.4 Station Hardeggasse (Bauteil F) Die Station Hardeggasse liegt in einfacher Hochlage quer über die Hardeggasse im Einmündungsbereich der Schickgasse, welche in Folge des U-Bahn-Baus in Richtung Norden verschoben wurde. Die Nivellette der beiden Gleise befindet sich ca. 6,30 m über dem Gelände und ist horizontal. Die lichte Höhe über der im Zuge des U-Bahn-Baus zu adaptierenden Hardeggasse beträgt im Mittel ca. 4,50 m. Zwischen den beiden horizontal liegenden Gleisen kommt der Mittelbahnsteig zu liegen, dessen Breite zwischen ca. 8,1 m und ca. 10,9 m variiert. Die Station wurde als Stahlbetonbrücke errichtet und besteht aus acht Hauptstützenpaaren und vier Nebenstützenpaaren, auf denen die monolithischen Haupttragwerke aufliegen. Zwischen diesen spannt sich der Mittelbahnsteig samt darunter liegendem Kollektor. Unter dem Haupttragwerk sind das zentrale Aufnahmegebäude Hardeggasse, in dem sich Betriebsräume, Gewerbeflächen und die Aufstiege (Lifte, feste Stiegen) befinden, sowie das am westlichen Stationsende liegende Unterwerk situiert. Das insgesamt 130 m lange Stationstragwerk wurde als fugenloser 7-Feld-Rahmen ausgebildet, wobei nur die vier zentral gelegenen Mittelstützenreihen und die Stützen im Aufgangsbereich biegesteif mit dem Tragwerk verbunden sind. Diese Stützenreihen übernehmen die Ableitung sämtlicher Längs- und Querlasten. Aufgrund der größeren Entfernung vom Deformationsruhepunkt erhalten die vier äußeren Stützenreihen am Stützenkopf angeordnete Verformungslager. Der Tragwerksquerschnitt und die Ausbildung der Kollektoren wurde analog zum Stationstragwerk Stadlau ausgeführt, die Gesamtragwerks- breite variiert zwischen 16,78 m und 19,62 m.

90 Ritter, Arnold

Abbildung 11: Bauzustand Station Hardeggasse Die Stützenquerschnitte sind je nach Erfordernis entweder rechteckig mit den Abmessungen 1,20 x 2,00-2,40 m oder ausgerundet (zwei Halbkreise mit Durchmesser 1,40 m und 80 cm breitem, geradem Zwischenstück) ausgeführt. Die Stützen der Hauptachsen geben ihre Lasten über Querjoche in je zwei Bohrpfähle mit Durchmesser 1,20 m und Achsabstand 3,00 m ab. Die Lasten der Flachbauten werden aufgrund der Anordnung der Tragwerksstützen innerhalb der Betriebsräume und der Stärke der vorgefundenen Anschüttung über die Sohlplatte in gleichmäßig verteilte Kleinbohrverpresspfähle abgeleitet.

Ritter, Arnold 91

Abbildung 12: Bahnsteig Station Hardeggasse nach Fertigstellung

2.2.5 Streckentragwerke (Bauteile D, E, G) Eingleisige Stahlbetonbrücken in zweifacher Hochlage (Bauteil D) Der Bauteil D besteht aus zwei eingleisigen Streckenbauteilen in ein- bis zweifacher Hochlage, die jeweils weiter in mehrere dreifeldrige Einzeltragwerke unterteilt sind. In Kilometrierungsrichtung stellen sie den ersten Teil der Verbindung zwischen den Stationen Stadlau und Hardeggasse dar. Die Stützweiten der dreifeldrigen Stahlbetontragwerke betragen ca. 20,0 m. Die Tragwerke sind mit den beiden Mittelstützen biegesteif verbunden. An den beiden Enden werden die Tragwerke längs verschieblich auf je zwei allseits beweglichen Elastomerlagern gelagert und durch Führungslager querfest mit den Widerlagern verbunden. In den darunter befindlichen Stützen werden Aussparungen vorgesehen, die es ermöglichen, Stahlträger durchzuführen, an denen die Pressen für den Lagertausch angesetzt werden können. 92 Ritter, Arnold

Abbildung 13: Eingleisige Streckentragwerke (Bauteil D) Zweigleisige Stahlbetonbrücken in einfacher Hochlage (Bauteil E) Der Bauteil E besteht aus zweigleisigen Einzeltragwerken in einfacher Hochlage, die jeweils als dreifeldrige Plattentragwerke ausgeführt sind. Vor der Station Hardeggasse weiten sich die Tragwerke so weit auf, dass in deren Mitte ein weiteres Gleis (Abstellgleis) Platz findet. In Kilometrierungsrichtung stellt dieser Bauteil den zweiten Teil der Verbindung zwischen den Stationen Stadlau und Hardeggasse dar. Die Stützweiten der dreifeldrigen Stahlbetontragwerke betragen ca. 20,0 m. Die Tragwerke sind mit den beiden Mittelstützenpaaren biegesteif verbunden. An den beiden Enden werden die Tragwerke längs verschieblich auf je zwei allseits beweglichen Elastomerlagern gelagert. Eingleisige Stahlbetonbrücken in einfacher Hochlage (Bauteil G) Der Bauteil G besteht aus zwei eingleisigen Streckentragwerken in einfacher Hochlage, die in Kilometrierungsrichtung die Verbindung zwischen der Station Hardeggasse und dem Baulosübergang U2/8-U2/9 herstellen. Ritter, Arnold 93

Die zweifeldrigen Stahlbetontragwerke sind ca. 35,0 m lang. Die Stützweiten betragen ca. 14,95-20,15 m. Die Tragwerke sind mit den Mittelstützen biegesteif verbunden. An den Enden werden die Tragwerke längs verschieblich auf je zwei allseits beweglichen Elastomerlagern gelagert und durch mittige Führungslager querfest mit den Widerlagern verbunden. Allgemeines Die Tragwerksquerschnitte der Tragwerke D und G bauen auf den eingleisigen Regelquerschnitten mit einer Gesamtbreite von 6,0 m und einer statischen Minimalhöhe von 1,22 m auf und bleiben im Prinzip unverändert längs der Bauwerksachse. Im Bauteil E kommt der zwei- gleisige Regelquerschnitt mit variabler Gesamtbreite zur Anwendung. Die Stützenquerschnitte setzen sich aus zwei Halbkreisen mit Durchmesser 1,40 m und einem 80 cm breiten, geraden Zwischenstück zusammen. Im Übergangsbereich von den eingleisigen zu den zweigleisigen Tragwerken werden die Stützen kontinuierlich vom oben beschriebenen Querschnitt auf eine Geometrie mit einem nur 30 cm breiten, geraden Zwischenstück verkleinert, welches den Regelfall für die Stützen im zweigleisigen Tragwerksbereich darstellt. Die Stützen geben ihre Lasten über Pfahlroste in die Bohrpfähle mit Durchmesser 1,20 m ab. Alle horizontalen Belastungen wie Wind, Bremsen und Erdbeben werden über die horizontale Bettung der Pfähle abgetragen.

3 Erfordernisse aufgrund bestehender Infrastruktur Ein urbanes Umfeld ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl an bestehender Bebauung und ein dichtes Netz an vorhandener Infrastruktur (Straßenführungen, Gleisverbindungen, Einbauten, etc.). Im Fall des Bauabschnitts U2/8 mussten durch die Querung der A23 und des Bahnhofs Stadlau besonders hochrangige Verkehrs- verbindungen berücksichtigt werden. Auf die sich daraus ergebenden Rahmenbedingungen und Zwänge in technischer, räumlicher und zeitlicher Hinsicht musste bereits in der Projektierung sowie in weiterer Folge in der Arbeitsvorbereitung und 94 Ritter, Arnold

während der Bauausführung entsprechend Rücksicht genommen werden. Die Koordination aller Beteiligten und die gemeinsame Erarbeitung und Sicherstellung von Abläufen in diesem komplexen Handlungsfeld stellte noch vor der eigentlichen Leistungserbringung die eigentliche Herausforderung dieser Baumaßnahme dar.

3.1 Zwangspunkte in der Projektierung Im Baulosbereich waren bereits bei der Projektierung mehrere Zwangspunkte für die Trassierung des Streckenabschnitts zu berücksichtigen. Diese wurden vom Projektanten im Technischen Bericht der Ausschreibung wie folgt beschrieben:

• Seitenlage zur Kaisermühlenstraße vor der Neuhaufenstraße unter größtmöglicher Schonung der anschließenden Bebauung (Kleingartenanlage), • Überquerung der A23 und des ÖBB-Bahnhofs Stadlau mittels Stützweitenmaximierung (geringste Eingriffe in A23 und Bahnhof) und unter Einhaltung der erforderlichen lichten Höhen für Autobahn und Bahn,

• große Höhenlage der Station Stadlau durch vorangehende Überquerung der ÖBB-Trasse und erforderlicher horizontaler Nivellette (Abfallen in einfache Hochlage erst nach der Station möglich), • geringst mögliche Eingriffe in die Bebauung entlang der Mühlgrundgasse bei der Querung derselben, • maximale Abrückung von der Bebauung entlang der Heinrich Leffler-Gasse und der Gemeindeaugasse unter gleichzeitiger Beachtung der Ecke der Friedhofsgrenze an der Gemeinde- augasse (dadurch teilweise Bogenlage der Station Hardeg- gasse), • möglichst rasches Zusammenziehen der Tourengleise nach der Mittelbahnsteigstation Hardeggasse und damit enger Gleis- achsabstand am Grundstück der Schule Langobardenstraße, Ritter, Arnold 95

um genügend Platz für den Schulneubau zu lassen (dadurch teilweise Bogenlage der Station Hardeggasse). Aufgrund der unvermeidlichen Nähe zur bestehenden Bebauung wurden bereits im Rahmen der Vorarbeiten zum Ausschreibungsprojekt sämtliche Gebäude, Bauwerke und Einbauten, die im Einflussbereich des U-Bahn-Bauwerkes liegen, von unabhängigen Gutachtern untersucht und deren Zustand dokumentiert.

3.2 Berücksichtigung von Einbauten Die Einbauten der verschiedenen Infrastrukturträger wurden bereits in der Projektierungsphase aufgenommen und planlich dargestellt, um die notwendigen Maßnahmen beurteilen zu können. Soweit die Möglichkeit bestand, wurden zur Freimachung des Baubereiches bereits vor Baubeginn die jeweiligen Einbauten umgelegt. Vor allem in den Stationsbereichen waren jedoch noch während bzw. unmittelbar vor den Rohbauarbeiten Umlegungen durch die Einbautenträger bzw. deren Auftragnehmer erforderlich. Diese Arbeiten mussten im Bauablaufkonzept des Rohbaus berücksichtigt werden. Insbesondere im Bereich der A23 und der ÖBB musste die Funktionsfähigkeit der Einbauten in jedem Fall sichergestellt sein. Störungen in diesen Bereichen hätten weitreichende Auswirkungen auf das gesamte hochrangige Straßennetz der Stadt Wien und den Betrieb des Schnellbahnnetzes und des Frachtenbahnhofs Stadlau haben können. Deshalb war auch bei nicht unmittelbarer Gefährdung, insbesondere beim Einsatz schwerer Geräte (Bohrpfahl-, Spundwandgerät, etc.), mit den zugehörigen Dienststellen und Einbautenträgern das Ein- vernehmen über allfällige Zusatzmaßnahmen (Lastverteilung, Schutzmaßnahmen, etc.) herzustellen, damit Beschädigungen der Einbauten durch Überlastung vermieden werden konnten. Im Bereich des Mittelstreifens der A23 war keine Möglichkeit für eine Umlegung der vorhandenen Einbauten (Strom, Kanal, Beleuchtung) gegeben. Die in diesem Bereich ausgeführten Tiefgründungen (Kleinbohrverpresspfähle) für die Hilfsstützen HS A2/1 und HS A1/2 96 Ritter, Arnold

mussten daher durch eine spezielle Anordnung den Einbauten ausweichen. Die Sicherstellung einer genauen Ausführung hinsichtlich Ansatzpunkt, Neigung und Einhaltung der vorgeschriebenen Toleranzen war neben der nochmaligen Kontrolle der Einbautenlage vor Beginn der Arbeiten durch die ausführende Firma unentbehrlich. Die wesentlichen Einbauten (Kabel, Signale etc.) im Bahnhofsbereich wurden vorab durch die ÖBB-Dienststellen umgelegt, sodass das jeweilige Baufeld für die erforderliche Bautätigkeit frei war. Auf Grund des geringen Platzangebots während der Baudurchführung (Inselbaustellen mit mehreren Bauphasen) mussten jedoch umgelegte Einbauten teilweise unmittelbar neben den Baubereichen in provisorischen Kabeltrögen oder auch ungeschützt (z. T. befestigt auf Abschrankungen) geführt werden. Auf diese Einbauten war daher besonders zu achten. Ebenso waren die Signal-, Fernmelde-, Energieversorgungs- und Fahrleitungsanlagen (Maste, Leitungen, Fahrdrähte, Abspannungen, etc.) in diesem Bereich zu beachten. Der für die Erstellung der U-Bahn- Tragwerke erforderliche Um- und teilweise Neubau dieser Anlagen wurde von den ÖBB nach vorhergehender Abstimmung geplant und durchgeführt.

3.3 Vorgaben für die Montageablaufplanung Für alle Arbeiten im Bereich der ÖBB und der A23 war die Vorgabe, dass die Sperrzeiten bzw. die unmittelbaren Zeiten der Leistungserbringung so kurz wie möglich gehalten werden sollten. Dies erforderte von der ausführenden Firma eine detaillierte Planung und Arbeitsvorbereitung sowie nach Möglichkeit die Vorfertigung von Elementen (Schalungen, Bewehrungen, etc.) und die Bereithaltung von Geräten bzw. Zwischenlagerung von Material im Nahbereich des Einsatzortes. Bei einem Ausfall von Geräten musste ein kurzfristiger Ersatz sichergestellt sein. Weiters waren vor allem bei der Herstellung der in diesem Bereich befindlichen Stahltragwerke (Bauteil A) und der anschließenden Stahlbetontragwerke (Bauteil B) unter anderem folgende Vorgaben zu beachten: Ritter, Arnold 97

• Der Zusammenbau der Stahltragwerke durfte nicht zu hoch über der endgültigen Lage erfolgen, um für das Abstapeln des fertigen Tragwerkes in die Endlage nur möglichst kurze Gleissperren bzw. Behinderungen bei der A23 zu verursachen. • Die Aufbauten auf und neben den Stützen und die Hilfsstützen, die den Längsverschub der Stahltragwerke ermöglichen, waren so zu gestalten, dass es zu keinen zusätzlichen räumlichen (Licht- und Schutzraum) oder zeitlichen Behinderungen für den Autobahn- bzw. den Schienenverkehr kommt. • Zur Minimierung der Sperrzeiten auf der A23 und bei der ÖBB wurde vorausgesetzt, dass die durchschnittliche Vorschub- geschwindigkeit ca. 2,0 m/h betragen soll. Es waren keine Vorschubeinrichtungen zugelassen, die bereits planmäßig einen langsameren Vorschub erbracht hätten.

• Die Einhaltung der Sicherheitsabstände bzw. die bauliche Trennung zu allen stromführenden Anlageteilen der ÖBB war durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen.

• Das Personal musste auf die Gefahren durch die Verkehrs- träger und deren Einrichtungen im unmittelbaren Einsatz- bereich hingewiesen und nachweislich entsprechend unterwiesen werden. • Alle Arbeiten im Bereich Neuhaufenstraße, Kaisermühlen- straße, A23 und Bahnhof Stadlau waren gemeinsam mit dem jeweiligen Infrastrukturträger abzustimmen. Weiters wurden alle zuständigen Behörden, Institutionen und betroffenen Unternehmen vorab über alle Bauausführungen informiert, um ihnen die Möglichkeit für erforderliche Sicherheits- maßnahmen zu geben.

• Für sämtliche außerplanmäßigen Zustände, wie z.B. Unter- brechung des Vorschubs durch technisches Gebrechen oder Witterungsverhältnisse (v. a. Wind ≥ 60 km/h, starker Regenfall), Unfälle im unmittelbaren Nahbereich der Bau- durchführung oder auch Einstellung der Arbeiten aufgrund gegenüber der Montagestatik unerwartet hohen Ver- formungen (Überschreitung von Alarmwerten) wurden Notfall- und Alarmpläne erstellt, um durch klar festgelegte Handlungs- 98 Ritter, Arnold

anweisungen und Informationsketten die Reaktionszeiten möglichst kurz zu halten.

• Die Montage der Brückenausrüstung, insbesondere der Brüstungsfertigteile, erfolgte derart, dass die Stahltragwerke zur Anlieferung an die Einbaustelle herangezogen wurden. Dies diente ebenfalls der Minimierung der Beeinflussung der Infrastrukturträger.

• Das Aufbringen der letzten Deckbeschichtung der Stahl- tragwerke konnte zur Minimierung der Behinderungen nur für den Untergurt von der Straße bzw. von den Gleisen aus in der betriebslosen Zeit erfolgen. Die Beschichtung der restlichen Tragwerksaußenflächen konnte nur mit am Stahltragwerk verfahrbaren Arbeitsgerüsten außerhalb der Lichtraumprofile und Gefahrenbereiche realisiert werden.

3.4 Einrichtung von Verkehrsführungen Zusätzlich zu der Vorgabe der Minimierung der Verkehrsbelastungen durch die Wahl der Herstellungs- und Montageverfahren war es für die Errichtung der Brücken- und Stationstragwerke erforderlich, in einzelnen Teilabschnitten Verkehrsprovisorien zu errichten bzw. temporäre Verkehrsführungen einzurichten und diese mit den Vorgaben der Infrastrukturträger (ASFINAG, ÖBB, Gemeinde Wien), den zuständigen Verkehrsbehörden und den baubetrieblichen Erforder- nissen abzustimmen. Die wesentlichsten Schnittstellen und Notwendigkeiten ergaben sich dabei im Bereich der Stahltragwerke (Bauteil A) durch die Strecken- führung über die Autobahn A23 und den ÖBB-Bahnhof Stadlau. So wurde bereits im Zuge der generellen Planung der Verkehrsführung während der Baumaßnahmen in Abstimmung mit den zuständigen Magistratsabteilungen und der Polizei Wien festgelegt, dass grundsätzlich immer 3 Fahrstreifen je Fahrtrichtung der A23 aufrecht- erhalten werden müssen, lediglich in der Nacht bzw. an Wochenenden war die Sperre einzelner Fahrstreifen in Abstimmung mit den betroffenen Dienststellen und nach erfolgter Genehmigung möglich. Ritter, Arnold 99

Die Durchführung der Arbeiten im Nahbereich der A23 durfte daher nur unter Zugrundelegung von vorgegebenen verkehrstechnischen Rahmenbedingungen erfolgen. Ebenso mussten im Bereich der beiden Stationstragwerke die Relationen auf der Kaisermühlenstraße und der Hardeggasse auf Baudauer durchgängig erhalten bleiben. Dies galt ebenso für die von den Streckentragwerken der Bauteile D und E überquerten öffentlichen Verkehrsflächen. Während im Bereich der Stationen die Aufrechterhaltung des Verkehrs durch die Errichtung von provisorischen und tw. definitiv bleibenden Fahrbahnen erreicht wurde, war eine Einrichtung von Verkehrs- provisorien in den Streckenbereichen nicht vorgesehen. Für alle Verkehrsmaßnahmen bzw. Baudurchführungen waren sämtliche oben genannte Projektbeteiligte einzubinden und laufend zu informieren.

4 Literaturverzeichnis Wiener Linien GmbH & Co KG: Technischer Bericht U-Bahn-Linie U2, Bauabschnitt U2/8 „Stadlau, Hardeggasse“; Wien, 01/2005. ARGE U2/8 Stadlau, Hardeggasse: Technischer Bericht Montage Stahltragwerke A1, A2; Wien, 07/2007. ARGE U2/8 Stadlau, Hardeggasse: Ergänzung zu Technischer Bericht Montage Stahltragwerke, Absenk-, Korrosionsschutzarbeiten; Wien, 02/2008.

Ing. Walter Diplinger Dipl.-Ing. (FH) Markus Sattler

Verlängerung der U2 nach Aspern in die Seestadt U-Bahn-Bau im Einklang mit der städtebaulichen Entwicklung

Ing. Walter Diplinger, Dipl.-Ing. (FH) Markus Sattler Projekt- und Bauleiter der U2 Verlängerung Baulos U2/16 Aspern Flugfeld ÖSTU-STETTIN Hoch- und Tiefbau GmbH Barichgasse 40-42 1030 Wien

102 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangssituation ...... 103 1.1 Geografische Lage ...... 103 1.2 Einbettung der U-Bahn im städtebaulichen Projekt ...... 104 1.3 Derzeitiger Stand Bauarbeiten ...... 106 2 Grundlagen ...... 109 2.1 Grundsätze ...... 109 3 Zielsetzungen ...... 111 4 Abbildungsverzeichnis ...... 113

Diplinger, Walter; Sattler, Markus 103

Verlängerung der U2 nach Aspern in die Seestadt U-Bahn-Bau im Einklang mit der städtebaulichen Entwicklung

1 Ausgangssituation

1.1 Geografische Lage Die Seestadt Aspern befindet sich auf dem ehemaligen Gelände des Flugfeldes Aspern in Wien-Donaustadt im 22. Wiener Gemeindebezirk.

Abbildung 1: Darstellung der 4. Ausbauphase U-Bahn-Netz

Dieses Zielgebiet der Stadterweiterung erstreckt sich entlang der be- reits vorhandenen U2-Verlängerung in die Donaustadt bis zum künfti- gen Verkehrsknotenpunkt im Nordwesten des Areals im Bereich der Hausfeldstraße. 104 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Das Gelände ist weitgehend unbebaut und wurde ursprünglich land- wirtschaftlich genutzt. Im östlichen Bereich des zukünftigen Baufeldes bzw. der neuen Seestadt Wien aspern befinden sich Teile der befestig- ten Rollbahn des ehemaligen Flugfeldes Aspern.

Dieses Entwicklungsprojekt der Stadt Wien ist eines der größten städ- tebaulichen Zielprojekte Europas. Die Fläche von etwa 240 ha ent- spricht jener des 7. und 8. Wiener Gemeindebezirks.

1.2 Einbettung der U-Bahn im städtebaulichen Projekt

Dem gesamten öffentlichen Raum wurde eine besondere Bedeutung beigemessen. Straßen, Freiflächen und Öffentlicher Verkehr sind we- sentliche Planungsschwerpunkte und nicht – wie so oft – Restflächen oder notwendiges Übel zwischen den bestehenden Gebäuden bzw. Infrastrukturflächen.

Die Verlängerung der U-Bahn-Linie U2 wird vom Nordwesten in das zukünftige Erweiterungsgebiet des 22. Wiener Gemeindebezirks ge- führt.

Die Station Flugfeld Nord bildet dabei einen zentralen Knotenpunkt zwischen U-Bahn und ÖBB-Ostbahn sowie den erforderlichen Straßen- bahn- und Buslinien.

Nach der U-Bahn-Station steigt die Trasse im Rechtsbogen rasch in einfache Hochlage an, die damit eine Barrierewirkung vermeidet.

Diplinger, Walter; Sattler, Markus 105

Abbildung 2: Darstellung der U-Bahn-Einbindung in die Seestadt

Abbildung 3: Aufteilung der Seestadt Aspern in unterschiedliche Nutzungsbe- reiche 106 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Die Station Flugfeld Süd liegt direkt neben dem Seeufer und erschließt die „Waterfront“ und das Wissenschaftszentrum am Rande des Sees.

Nach der Station bildet die Wende-, Revisions- und Abstellanlage den Abschluss des U-Bahn-Verkehrsbauwerks. Die Revisions- und Abstell- halle wird in das Gewerbegebiet südlich der Ringstraße integriert.

1.3 Derzeitiger Stand Bauarbeiten

Die Bauarbeiten der U-Bahn-Trasse sind voll im Gange und der Lücken- schluss der drei Bauabschnitte wurde im August 2011 erreicht.

Die gesamte Herstellung der konstruktiven Tragwerke ist abgeschlos- sen. Am Bauabschnitt U2/16 Flugfeld Süd werden derzeit die Stahlbau- und Ausbauarbeiten der Revisions- und Abstellhalle sowie der Station und den Aufnahmegebäuden durchgeführt.

Abbildung 4: Ausbau der Revisionshalle Diplinger, Walter; Sattler, Markus 107

Abbildung 5: Stationsbauwerk Flugfeld Süd

Abbildung 6: Seeaushub westlich Stationsgebäude Flugfeld Süd 108 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Abbildung 7: Abstellhalle Blickrichtung Süden

Durch den Impuls der U-Bahn wurde im August 2011 mit dem Bau der ersten Etappe des Technologiezentrums „Aspern IQ“ begonnen.

Abbildung 8: Technologiezentrum Aspern IQ Diplinger, Walter; Sattler, Markus 109

Abbildung 9: Technologiezentrum Aspern IQ

2 Grundlagen

2.1 Grundsätze

Verkehr sollte sichtbarer Ausdruck von Lebendigkeit und Aktivität sein. Daher war das Ziel der Entwicklung auf dem Flugfeld Aspern urbanen Lebensraum zu schaffen. Dies jedoch unter der Voraussetzung, die erforderlichen Verkehrswege mit möglichst wenig Anstrengungen und Belästigungen für Mensch und Umwelt zu errichten.

Der öffentliche Verkehr wird Grundlage für Begegnung, Austausch und Freude an Bewegung und ein Zeichen für urbanes Leben setzen.

Die sehr gute und strukturierte Anbindung an den öffentlichen Verkehr (U-Bahn, dichtes Bus- und Straßenbahnnetz in der Umgebung), mit der Möglichkeit einer direkten Verbindung für Fußgänger- und Radverkehr in die umliegenden Siedlungsteile erlaubt daher auf dem Flugfeld Aspern gute Rahmenbedingungen für ein zeitgemäßes Verkehrskon- zept.

Aufgrund der direkten und schnellen Verkehrsverbindungen innerhalb des Flugfelds und in die unmittelbare Umgebung sind die Transportmit- tel des Verkehrverbunds deutlich attraktiver als der Autoverkehr. 110 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Abbildung 10: Stationsbauwerk Flugfeld Süd

Die Innenbezirke Wiens sind durch die hochwertigen Verkehrsverbin- dungen sehr gut erreichbar. Die Fahrzeiten vom Flugfeld Nord mit der U2 betragen zum Praterstern 18 Minuten und zum Karlsplatz 30 Minu- ten:

Reisezeiten vom Bahnhof Flugfeld Süd U2 Praterstern 18 Min. Schottentor 25 Min. Karlsplatz 30 Min. Stephansplatz 27 Min.

Die Umsetzung eines attraktiven, urbanen Zentrums mit zeitlich kurzen Wegen zu allen infrastrukturellen Einrichtungen in Verbindung mit eindeutigem Vorrang für den öffentlichen Verkehr soll die Qualität in diesem Stadtentwicklungsgebiet und im Bereich Nordosten Wiens deutlich verbessern und ein nachhaltiger Motor für ein effektives Wachstum der Region sein. Diplinger, Walter; Sattler, Markus 111

Abbildung 11: Visualisierung der Seestadt

Durch die Nutzung der Hälfte der Grundfläche der Seestadt als öffentli- cher Raum mit Straßen, Plätzen, Grün- und Erholungsflächen sowie die Führung der U-Bahn in Hochlage, war es möglich, die Barrierewirkung der öffentlichen Verkehrsmittel zu minimieren und somit ein attrakti- ves Gesamtbild der Hauptverkehrsträger im neuen Stadtgebiet zu schaffen.

3 Zielsetzungen

Hohe Lebens- und Arbeitsqualität in der Seestadt Aspern wird erst durch hochwertige Infrastruktur und Verkehrsanbindungen möglich.

Dieser öffentliche Raum mit den öffentlichen Verkehrsmitteln stellt das Zentrum der neuen Seestadt Aspern dar.

Die damit verbundene Entschleunigung, in Einklang mit attraktiven Geh- und Radwegen, sorgt im neuen Stadtteil für mehr Lebensqualität. 112 Diplinger, Walter; Sattler, Markus

Die Führung der U2 in das ehemalige Flugfeld sowie die Lage des Um- steigebahnhofs Flugfeld und der U-Bahn-Endstation „Flugfeld Süd“ stellen für die urbane Vernetzung der Entwicklungspunkte in der See- stadt wesentliche Grundelemente dar.

Abbildung 12: Stationsbauwerk Flugfeld Süd

Die Verlängerung der bestehenden U2 bis zum neuen Stadtentwick- lungsgebiet Aspern Seestadt ergänzt den 2. und 22. Bezirk mit einem leistungsstarken öffentlichen Verkehrsmittel und ermöglicht eine nach- haltige Erschließung der gesamten Strecke.

Mit der U2 werden gänzlich neue Verkehrsbeziehungen entstehen. Diese werden die Anbindung der Donaustadt an die restlichen Bezirke Wiens deutlich verbessern.

Die generelle Verkehrsstrategie für den Nordosten von Wien mit dem Herzstück Linie U2 als schnelle, direkte Verbindung zur Wiener Innen- stadt verleiht der gesamten Region ein hohes wirtschaftliches Entwick- lungspotenzial. Diplinger, Walter; Sattler, Markus 113

4 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/ verkehrsplanung/u-bahn/planungsergebnis/ Abbildung 2: Wien 3420 Aspern Development AG Abbildung 3: Wien 3420 Aspern Development AG Abbildung 4-6: ARGE U2/16 Aspern Seestadt Abbildung 7: Wien 3420 Aspern Development AG Abbildung 8-9: ATP/renderwerk, Bauherr WWFF Business and Service Center GmbH Abbildung 10: Arbeitsgemeinschaft Architekten U2 Architekt Katzberger – Architekt Moßburger Abbildung 11: Wien 3420 Aspern Development AG Abbildung 12: Arbeitsgemeinschaft Architekten U2 Architekt Katzberger – Architekt Moßburger

Dipl.-Ing. Franz Kaiser

Zugsicherung – Grundlage für einen sicheren Bahnbetrieb

Dipl.-Ing. Franz Kaiser Leiter des Geschäftsfeldes für Sicherungs- und Leittechnik im Nahverkehr Siemens AG Österreich Siemensstraße 90 A-1210 Wien

116 Kaiser, Franz

Inhaltsverzeichnis 1 Der sichere Bahnbetrieb ...... 117 2 Grundlagen der Zugsicherung ...... 118 2.1 Signal ...... 118 2.2 Gefährdungen des Bahnbetriebes ...... 119 2.3 Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen ...... 119 3 Komponenten der Zugsicherung ...... 121 3.1 Gleisfreimeldung – FTG S ...... 121 3.2 Elektrischer Weichenantrieb, Weichenverschluss ...... 122 3.3 Signale, FES Fahrterlaubnissignal ...... 122 3.4 NS Notsignal ...... 122 3.5 LZB - Linienzugbeeinflussung...... 123 3.6 ESTW – elektronisches Stellwerk ...... 124 3.7 Bedienung der Zugsicherung ...... 124 4 Gesamtüberblick Zugsicherung...... 126 5 Literaturverzeichnis ...... 127

Kaiser, Franz 117

Zugsicherung – Grundlage für einen sicheren Bahnbetrieb

1 Der sichere Bahnbetrieb

Der sichere Bahnbetrieb im Sinne der Zugsicherungstechnik umfasst eine unfallfreie Abwicklung des Betriebsablaufes, d.h. ein unfallfreier Ablauf der Fahrzeugbewegungen. Damit ist gemeint, dass keine Schienenfahrzeuge zusammenstoßen, dass es zu keinen Entgleisungen an den Weichen kommt und dass ihre Geschwindigkeit sich im Bereich der aktuell zulässigen Geschwindigkeit bewegt. Streng genommen, ist die dabei angestrebte Sicherheit keine 100 %-ige Sicherheit, sondern im Umkehrschluss ein äußerst geringes Schadens- risiko, d.h. es ist unwahrscheinlich, dass ein Unfall bzw. ein Schaden eintritt. In den relevanten CENELEC Normen spricht man vom „Nichtvorhandensein eines unzulässigen Schadensrisikos“. Man spricht auch von einem „tolerierbaren Schadensrisiko“, das ein Sicherungs- system gewährleisten muss.

Abbildung 1: Todesfallrisiko in der EU-15 (2013) bezogen auf 100 Mio. Personenkilometer

Grundsätzlich wird erwartet, dass das Unfallrisiko deutlich geringer ist, wenn man sich in die Abhängigkeit Dritter begibt (öffentliches Verkehrsmittel) als bei Aktivitäten in Eigenverantwortung. Das erreichte Sicherheitsniveau der Eisenbahn ist traditionell sehr hoch und nur mit dem der zivilen Luftfahrt vergleichbar. Diese hohe 118 Kaiser, Franz

Sicherheit ist sicher eine Kernkompetenz des Systems Eisenbahn und ein klarer Wettbewerbsvorteil. Im Bereich der U-Bahn wird mit SIL 4 (SIL = Safety Integrity Level), der höchste Sicherheitslevel gem. CENELEC Norm umgesetzt, das entspricht einer Gefährungsrate von < 10-8 pro Stunde.

2 Grundlagen der Zugsicherung

2.1 Signal Die Bedeutung der Signalbegriffe im Eisenbahnbetrieb ist im Vergleich zum Individualverkehr durchaus unterschiedlich. Im Straßenverkehr zeigt eine grüne Ampel nur die grundsätzliche Fahrmöglichkeit für den Verkehrsteilnehmer. Ob die Fahrt wirklich möglich ist, muss der Fahrer eines Fahrzeuges im Straßenverkehr individuell beurteilen: Ist die Kreuzung noch vom Querverkehr blockiert oder gibt es einen Stau? In jedem Fall muss der Verkehrsteilnehmer innerhalb seines Sichtweges jederzeit anhalten können.

Abbildung 2: Signalanlage

Im Eisenbahnbetrieb ist ein Anhalten innerhalb des Sichtweges aufgrund der spezifischen Eigenschaften des Systems Eisenbahn (Masse, Geschwindigkeiten, Bremsmöglichkeiten) oft nicht möglich. Kaiser, Franz 119

Deshalb hat sich von Anfang an das Prinzip des von „außen gesteuerten“ Systems etabliert. Das heißt, eine Stelle außerhalb des Schienenfahrzeuges überwacht den geplanten Fahrweg und informiert den Triebfahrzeugfahrer geeignet. Die Bedeutung eines grün (FREI-) zeigenden Signales bei der Eisenbahn umfasst deshalb nicht nur die Fahrerlaubnis, sie beinhaltet auch die Aussage, dass der Fahrweg bis zum nächsten Haltepunkt exklusiv zur Verfügung steht. Es ist mit keinen anderen Fahrzeugen zu rechnen. Und die Verzweigungspunkte, die Weichen (Gefahrenpunkte für Ent- gleisungen) sind in einem gesicherten Zustand (korrekte Endlage und mechanisch verriegelt) und damit ist die Fahrt ohne Gefährdung möglich.

2.2 Gefährdungen des Bahnbetriebes Die wichtigsten Gefährdungen, die durch die Zugsicherung unbedingt vermieden werden müssen, sind:

• Gegenfahrten von Schienenfahrzeugen auf demselben Gleis • Folgefahrt in zu geringem Abstand • Eine Fahrt in die Flanke eines Zuges von einem Nebengleis • Eine Umstellung einer Weiche unter einem Zug • Überhöhte Geschwindigkeit

2.3 Maßnahmen zur Vermeidung von Gefährdungen Basis der Zugsicherungsphilosophie ist die Überwachung der zu befahrenden Gleise ebenso wie die Bewegungen der Züge. Dazu werden

120 Kaiser, Franz

Abbildung 3: Überwachung der Gleise und Zugbewegungen

• die Gleisbereiche in einzelne Abschnitte segmentiert, z.B. in Bahnhofgleise, Blockabschnitte, Weichenbereiche.

• diese einzelnen Gleissegmente werden auf Vorhandensein eines Schienenfahrzeuges mit Hilfe der Gleisfreimeldung überwacht.

• Jede Fahrzeugbewegung hat einen definierten Start (Startsignal) und ein definiertes Ende (Fahrstraßenziel), dieser Fahrweg wird für eine Zugfahrt definiert (festgelegt), inklusive der Elemente, die zusätzlich zur Sicherung der Fahrt notwendig sind (Flankenschutz, Durchrutschweg, Schutzweg).

• Der Fahrweg und die notwendigen Elemente werden verschlossen (für diese Fahrt reserviert) und auch während der Befahrung überwacht. • Nur wenn alle Bedingungen für eine sichere Fahrt vorliegen (Verschluss der Fahrstraße) kann das zugehörige Signal einen Fahrtbegriff einnehmen. • Während des „Abfahrens der Fahrstraße“ wird die Zugbewegung (inkl. Geschwindigkeit) überwacht, um sicherzustellen, dass rechtzeitig vor dem Zielpunkt die Bremsung eingeleitet wird. Die – naheliegende – Grundregel des Eisenbahnbetriebes sieht vor, dass sich in jedem Blockabschnitt immer nur ein Zug befindet. Kaiser, Franz 121

3 Komponenten der Zugsicherung

Ein Zugsicherungssystem als Gesamtanlage betrachtet besteht aus verschiedenen Komponenten, mit unterschiedlichen Aufgaben: Von der Standorterfassung der Züge über die Überwachung der einzelnen Elemente und die Bildung der Fahrstraße bis hin zur Übermittlung der Signalbegriffe und Überwachung der Zugbewegungen gibt es Subsysteme, die definierte Informationen an die Nachbarsysteme übertragen.

3.1 Gleisfreimeldung – FTG S Der FTG S-ferngespeiste Tonfrequenzgleiskreis überwacht die einzelnen Gleissegmente auf die Anwesenheit von Schienenfahrzeugen.

Außenanlage S-Verbinder

f1 f f5

GAG

Kabelanlage

Innenanlage FTG S-

Frei-/Besetztmeldung Gleisanschlussgehäuse

Abbildung 4: Gleisfreimeldungsanlage Dazu wird an einer Stelle eine Wechselspannung in das Gleis eingespeist (Sender) und am anderen Ende des Gleiskreisabschnittes diese Spannung von einem Empfänger überwacht. Durch den Achskurzschluss wird die Spannung entsprechend verringert und der Zug erkannt. • Lückenlose Gleisfreimeldung entlang des Gleise • Realisierung großer Längen möglich 122 Kaiser, Franz

• Durchgehende zweischienige Bahnstromrückführung möglich • Fernspeisung bis zu einer Entfernung von 6,5 km möglich • Schienenbrucherkennung möglich

3.2 Elektrischer Weichenantrieb, Weichenverschluss Zum raschen und sicheren Umstellen der Weichen werden elektrische Weichenantriebe eingesetzt, die mit Umstellkräften von bis zu 5500 N in ca. 3 Sek. die Weichen umstellen und die Zungen in der Endlage halten (mit 7000 N Festhaltekraft). Weiters überwacht ein elektrischer Weichenantrieb ständig die korrekte Endlage der Weichenzungen und meldet jede Änderung der Zungenlage an das Stellwerk. Über ein 4-poliges Kabel werden sowohl der Umstellstrom als auch die Endlagenüberwachung zum Weichenantrieb geführt, die Stellent- fernung kann bei entsprechender Kabelqualität bis zu 6,5km betragen.

3.3 Signale, FES Fahrterlaubnissignal Im normalen Betrieb werden dem U-Bahnfahrer die Signalbegriffe direkt am Führerstand über die LZB angezeigt (Führerstands- signalisierung). Im Falle eines LZB-Ausfalls besteht die Möglichkeit, dem Fahrer durch Lichtsignale die Fahrerlaubnis mitzuteilen. Die Bedeutung ist ähnlich: Die Fahrwegelemente sind eingestellt und verriegelt, die Fahrt ist mit verminderter Geschwindigkeit (max. 15 km/h) – Fahren auf Sicht – möglich.

3.4 NS Notsignal In besonderen Fällen (Notfällen) ist ein direkter Eingriff in das Fahrzeug auch durch Fahrgäste möglich, indem der Zugnotstoppschalter am Bahnsteig betätigt wird. Dadurch wird in den ein- und ausfahrenden Kaiser, Franz 123

Zügen dieser Station sofort der Fahrtbegriff „HALT“ ausgegeben und der/die betroffenen Züge bremsen bis zum Stillstand. Der Fahrer erhält die entsprechende Anzeige am Führerstand und zusätzlich zeigt ein blinkendes, rotes Lichtsignal den Nothalt an.

3.5 LZB – Linienzugbeeinflussung Wie der Name – Linienzugbeeinflussung – schon ausdrückt, erfolgt die Beeinflussung des Zuges nicht nur an bestimmten Punkten (z.B. Signalstandorten), sondern kontinuierlich entlang seines Fahrweges. Dazu wird dem Zug über ein spezielles Antennenkabel (dem Linienleiter) ständig die erlaubte Höchstgeschwindigkeit im aktuellen Linienleiterabschnitt mitgeteilt (0 km/h – 80 km/h).

V VGP =VGN+4 km/h Prüfwert der Grenzgeschwindigkeit [km/h] von der Strecke übermitteltes 80 Geschwindigkeitsprofil für einen Fahrgastzug 75 VGN 70 60 berechnete Mittenabsenkung des ATP-FZG 50 Sollgeschwindigkeit ATO-FZG 40

25

15 Haltepunkt

0 80LLL 80LBB 75BBB 60BBB 40BBB Fahrinformation (FI) s [m] 74m 74m 74m 74m 74m 74m 4 3 2 1 1. HS 2. HS 37m 37m Schutzschleife Bahnhof Fahrtrichtung A Abbildung 5: Bremstreppenbildung für einen automatischen Stationshalt Dazu erhält der Zug noch weitere Informationen über die nächsten Abschnitte (Geschwindigkeitsvorausschau, Bremsen, Zusatz- informationen für die Fahr-/Bremssteuerung und Betriebsabwicklung: z.B. Bahnsteigseite). Die Informationen über die aktuell erlaubte Geschwindigkeit im jeweiligen Abschnitt (das entspricht den Signalbegriffen) wird dem LZB-Streckengerät vom Stellwerk mitgeteilt. 124 Kaiser, Franz

3.6 ESTW – elektronisches Stellwerk Im Zentrum der Zugsicherung steht das Stellwerk – heute üblicherweise als elektronisches Stellwerk ausgeführt –, bei dem alle Informationen zusammenlaufen. Alle Komponenten der Außenanlage melden den Zustand der angeschlossenen Elemente an das ESTW und führen Stellaufträge des Stellwerkes aus. Im ESTW werden die Fahrstraßen gebildet und verwaltet und alle Zustände der Außenelemente überwacht. Über die angeschlossenen LZB-Streckengeräte übermittelt das ESTW die Fahrtbegriffe an die Züge.

Abbildung 6: Elektronisches Stellwerk Leopoldau

3.7 Bedienung der Zugsicherung Die Bedienung der Zugsicherungseinrichtungen – der elektronischen Stellwerke – unterliegt ebenfalls hohen Sicherheitsanforderungen im Sinne signaltechnischer Sicherheit. Damit ist gemeint, dass die aktuellen Anzeigen „sicher“ den aktuellen Zustand des Bahnbetriebes widerspiegeln, da ja unter Umständen kritische Bedienhandlungen daraus abgeleitet werden. Ebenso ist „sicher“zustellen, dass die entsprechenden Freigaben und Befehle auch die richtigen Elemente und Züge erreicht.

Kaiser, Franz 125

Abbildung 7: Sicherer Bedienplatz eines elektronischen Stellwerks

Die Aufgaben der Bedienplätze sind:

• Darstellung des Bahnprozesses, Zustände aller Elemente, Standorte der Züge • Bedienung der Elemente oder Betrieb mit Automatikbetrieb (Sb Selbststellbetrieb oder ZL Zuglenkung) • Allgemeine Systemmeldungen • Bereichsübersichten, Lupenbilder • Systemübersichten • Alarmliste • Testbilder • Betriebstagebuch, Archiv • Record & Playback-Funktion

126 Kaiser, Franz

4 Gesamtüberblick Zugsicherung

Betrachtet man das Zugsicherungssystem der U-Bahn Wien, so kann man entsprechend der Funktionen einen Aufbau in mehreren Ebenen darstellen:

• Außenanlage, Feldebene Die Außenanlage stellt mit ihren Gleisen, Weichen, Signalen, Linienleiterschleifen die Prozessebene dar, die es zu überwachen und steuern gilt

• Stellwerke, Stellebene Die dezentral aufgebauten Stellwerke sind direkt mit den Außenanlage-Elementen verbunden, sie überwachen und steuern diese Elemente • Bedienebene Die verschiedenen Bedienplätze sind zum Teil in räumlicher Nähe der Stellwerke situiert, sie stehen aber auch zentral zur Verfügung, so dass die einzelnen Stellwerke je nach betrieblicher Anforderung lokal oder zentral bedient werden können.

• Automatisierungsebene, Zuglenkung Der Regelbetrieb wird seit vielen Jahren vollautomatisch abgewickelt, indem fahrplangesteuert die einzelnen Fahrstraßen automatisch durch die sogenannte Zuglenkung zeitgerecht eingestellt werden.

Kaiser, Franz 127

5 Literaturverzeichnis

Prof. Dr. Braband, Die Rolle der Sicherheitstechnik, 2007 Braunschweig Produktbeschreibung LZB513 – Linienzugbeeinflussung, Siemens 1998 Produktbeschreibung SICAS ECC – elektronisches Stellwerk, Siemens 2003 Produktbeschreibung FTG S – Ferngespeister Tonfrequenzgleiskreis Bauart Siemens, Siemens 1990

Dipl.-Ing. Dr. Lothar Martak

Rückblick Grundbau – gelernt für die Zukunft!

Dipl.-Ing. Dr. Lothar Martak Hon. Professor an der TU-Wien Am Hang 3 2123 Schleinbach Niederösterreich [email protected]

130 Martak, Lothar

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ...... 131 2 Offene und geschlossene Bauweise unter dem Grundwasserspiegel ...... 132 3 Bodeninjektionen - Düsenstrahlverfahren – Mixed in Place – Technik ...... 134 4 Brunnenwasserhaltung und Untergrundvereisung ...... 135 5 NATM-naher Tunnelvortrieb und Schildmaschinenvortrieb ...... 138

Martak, Lothar 131

Rückblick Grundbau – gelernt für die Zukunft!

1 Einleitung

Der Wiener U-Bahn Bau begann ungefähr Mitte der 1960iger Jahre, aber nur auf dem Papier. Die Stadtverwaltung war sich nicht recht schlüssig, wie das Problem des ausufernden Individualverkehrs durch die zunehmende private Motorisierung einerseits und die damit verbundene Behinderung des damaligen Straßenbahnbetriebes durch Stau in den Griff gebracht werden konnte. Es wurden zwar seit den Anfang 1960iger Jahren mit Erfolg an neuralgischen Verkehrs- knotenpunkten die Tieflegungen der Straßenbahn als sog. USTRABA durchgeführt. Aber wenn die Straßenbahnen danach wieder an die Oberfläche kamen, wurden die straßenverkehrsbedingten Behinder- ungen wieder voll wirksam und es war bequemer im eigenen Pkw zu sitzen und zu warten, als in der überfüllten Straßenbahn stehend die nächste Grünphase der Ampel herbeizusehen.

Für die grundbau- und tiefbautechnische Erfahrungssammlung waren die Baustellen für die USTRABA zwar wertvoll, sie blieben aber alle mit ganz geringen Ausnahmen über dem jeweils örtlichen freien Grundwasserspiegel. Soweit war man allerdings schon im letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gegangen, als Wien mit einem doppelten Ring von vollbahnmäßig ausgebautem Stadtbahn- und Vorortebahnbetrieb ausgestattet worden war. Diese Ringlinien, die zu ihrer Zeit grandios die hügelige Landschaft der Wienerwaldausläufer und die Donauniederungen durch Tunnel und Brückentragwerke erschlossen, waren zwar militärisch zweckmäßig, aber am Verkehrsbedürfnis der Wiener vorbeigebaut. Radiallinien waren von Nöten, die vor allem die wichtigsten Bezirkshauptstraßen bedienen und zeitsparende Verbindungen durch die Innere Stadt bieten konnten.

Diese Radiallinien, die schon vor dem 1. Weltkrieg angedacht worden waren, scheiterten damals an den technischen Möglichkeiten der großflächigen Grundwasserabdichtung von langgestreckten Tunnel- 132 Martak, Lothar

bauten weit unter dem Grundwasserspiegel, wie ihn ein vollwertiger U-Bahn-Bau benötigt. Zwei Weltkriege und eine Wiederaufbauzeit später waren diese Grundwasserabdichtungen durch Druckluftbetrieb, Bodeninjektionen und Dichtungsschlitzwände bereits bewährter Stand der Technik, sodass ein voll im Grundwasser etwa 25 m tiefliegendes U-Bahn-Bauwerk am Karlsplatz in den Siebzigerjahren realisiert werden konnte.

2 Offene und geschlossene Bauweise unter dem Grundwasserspiegel

Offene und geschlossene Bauweisen für Eisenbahnen waren schon im 19. Jahrhundert geotechnisch gängige Methoden, langgezogene Einschnitte und hohe Bergketten zu durchqueren. Oft halfen die kohäsiven Eigenschaften der Schluffe und Tone, wie sie als „tertiäre" Sedimente in vielen Städten der Welt (z.B. London und Paris) unter wasserführenden Flussalluvionen anzutreffen waren, die Stadtbahnen in diese zu verlegen und nur durch druckluftaufgefahrene Senkschächte den Passagierverkehr mit der Oberfläche zu verbinden (z.B. 1. Elbtunnel). Einfache Schildmaschinen besorgten bis in die Siebziger- jahre des 20. Jahrhundert die Auffahrt der Streckentunnel, wie z. B. in München und Budapest.

Wien war in der glücklichen Lage in Planung und Ausführung auf solche Beispiele erfolgreich zurückgreifen zu können und speziell der Münchner U-Bahn-Bau war für die Dienststellen der Stadt Wien über viele Jahre nicht nur im Grundbau und Tunnelbau beispielgebend. Wir haben alle diesen Kollegen – damals gab es im Tiefbau und Grundbau noch kaum Kolleginnen – unseren Dank abzustatten. Die U-Bahn-Linie U1 vom Reumannplatz in Favoriten bis zur Donauquerung war in Wien und Österreich die erste Linie für ÖPNV, die zur Gänze über ca. 8 km Länge in Tieflage durch dichtbebautes Stadtgebiet geführt wurde. Die Bauabschnitte der inneren und äußeren Favoritenstraße, sowie der Praterstraße und Lassallestraße wurden in offener Bauweise in einfacher bis eineinhalbfacher Tiefenlage im Schutz von Schlitzwänden mit innenliegender Wasserhaltung geführt. Der Südtirolerplatz von der Theresianumgasse, der Karlsplatz bis zur Taubstummengasse und die Martak, Lothar 133

gesamte Innenstadtquerung bis zum Nestroyplatz wurden in geschlossener Bauweise mit dem damals üblichen offenen Schild unter Druckluft vorgetrieben. Der Druckluftvortrieb war nur möglich, weil Bodeninjektionen über den feinkörnigen Lockergesteinsschichten das freie Grundwasser durch meterdicke Injektionskörper abdichten konnten.

Die Schlitzwandtechnik, von Prof. Christian Veder, einem Österreicher, entwickelt, war schon aus dem Bau der USTRABA unter der Lastenstraße bis zur Schwarzspanierstraße bekannt und bewährt und konnte somit auch nach Beispielen in Mailand bis in Tiefen von 25 m und mehr Meter erfolgreich eingesetzt werden. Auch die Donaukanalquerung der U1 wurde mit halbseitigen Inselschüttungen in offener Bauweise mit Schlitzwänden ausgeführt. Für den Bodenmechaniker, Grundbauingenieur und Geotechniker waren diese Arbeiten ein ideales Lernfeld für die vielfältigen Spezialtief- bautechnologien, wobei nicht alles ohne Rückschläge abgehen konnte. Im Vortrag sollen einzelne Beispiele dazu durch instruktive Bilder kurz skizziert werden. Auch Pfahlwände, anfangs nur auf Abstand und tangierend, in der Folge überschnitten, entwickelten sich von der Tieflegung der Linie 18 am Margareten- und Wiedener Gürtel zu einer vollwertigen Bauvariante zu den Schlitzwänden bis ca. 15 m Aushubtiefe. Insbesondere die SOB-Pfahlvariante ab den 1990iger Jahren konnte zeit- und baustelleneinrichtungssparend auf mehreren U-Bahn Losen in den folgenden Jahrzehnten eingesetzt werden.

Was den Tunnelbau in geschlossener Bauweise betrifft, wurde nach den Anfängen mit der offenen Schildmaschine mit Speichenrad ab den 80iger Jahren über mehr als zwei Jahrzehnte vollständig auf Vortriebsmethoden im Sinne der neuen Österreichischen Tunnelbau Methode (NATM) übergegangen. Mit und ohne Druckluft, mit und ohne dachförmige Injektionskörper konnte diese aus dem modernen alpinen Tunnelbau modifizierte Lockergesteinstunnelbauweise, sowohl was die Setzungen und Verformungen darüber, als auch was die Kosten einschließlich Bauhilfsmaßnahmen betraf, mit den Schildmaschinen dieser Zeit erfolgreich mithalten. Die dabei gemachten Erfahrungen, begleitet durch eine intensive Messtechnik, brachten nicht nur für die im U-Bahn-Bau tätigen Dienststellen und Planer enormen Wissenszuwachs, sondern erhielten auch durch eine Vielzahl von 134 Martak, Lothar

hauseigenen Publikationen volle Anerkennung der Fachkollegenschaft im internationalen Umfeld. Einzelne kurze Beispiele aus dieser Lernphase sollen im Vortrag gezeigt werden.

3 Bodeninjektionen – Düsenstrahlverfahren – Mixed in Place-Technik

Für den Tunnelbau im dichtbebauten Stadtbereich im und unter Grund- wasser ist die Wasserhaltungsfrage eines der wichtigsten grundbau- technischen Kernprobleme. Waren für die Schlitzwand- oder Pfahlbauweise der offenen Baugruben die innenliegenden Brunnen- und Drainagewasserhaltungen Stand der Technik, weil außerhalb tiefliegende Baukörper oder Einbautenträger nicht oder kaum betroffen waren, galt das für die geschlossene Bauweise vorerst nicht. In den in Wien im Miozän liegenden Tunnelvortrieben mit Wechsellagen aus Schluffen, Tonen und Feinsanden waren die Brunnenfilter der üblichen Sande/Kiese der pleistozänen und holozänen Sedimente nicht oder nur bedingt brauchbar und mussten erst in mühsamer Erfahrung entwickelt werden. Hier konnten die bereits international bekannten Bodeninjektionen, das erste Jahrzehnt auf chemischer Basis, danach allein auf Zementbentonitbasis die Abdichtfunktion in vielen Baulosen der Linie U1 und U3 erfolgreich übernehmen. Sogar Injektionen auf Feinzementbasis kamen Mitte der 1990iger Jahre am Karlsplatz bei der Erweiterung der Verbindungs- gänge zur Anwendung, allerdings mit nicht sehr herausragendem Erfolg.

Das Düsenstrahlverfahren (DSV), welches bereits Mitte der 1970iger Jahre in Wien Eingang fand, wurde in den grobkörnigen Böden sehr bald zur verlässlicheren und kostengünstigen Variante, da damit auch auf einfache Weise Wandlücken unter Kanälen und sonstigen Einbauten größeren Ausmaßes geschlossen werden konnten. DSV- Lösungsmöglichkeiten übernahmen vielfältige Objektunterfangungs- aufgaben neben, unter und über den U-Bahn-Vortrieben. Die Entwicklung ging in Richtung Tunnelsicherung durch hufeisenförmige DSV-Schirme ab 1984 auf dem Bauabschnitt Rochusgasse der U-Bahn-Linie U3 weiter und wurde zur tiefbautechnischen Lösung Martak, Lothar 135

generell überall dort, wo andere bekannte Spezialtiefbaumethoden zur Tunnelsicherung versagten. Auch da gab es natürlich vereinzelt Rückschläge, die den Wissenszuwachs und die grundbautechnische Erfahrung ganz entscheidend erweiterten. Auf sie soll im Vortrag eingegangen werden. Das DSV basiert auf der Hochdruckstrahltechnik, die ursprünglich aus Japan kam, bei der mit einer Zementsuspension das Bodenkornskelett aufgelöst und betonähnlich gebunden wurde. Was die Baustelleneinrichtung und den Arbeitseinsatz betrifft, war das DSV gegenüber den Bodeninjektionen bereits wesentlich erfolgssicherer und kostengünstig überlegen. Die Weiterentwicklung, die gegenwärtig verfolgt werden kann und vermutlich die grundbautechnische Zukunft bestimmen wird, geht zur Mixed in Place-Technik mit einer Vielzahl von Varianten. Dabei wird der Zement direkt dem durch Bohrschnecken oder Bohrpaddel aufgelösten Lockergestein zugegeben.

Wenn auch die einaxialen Druckfestigkeiten der DSV und der Mixed in Place-Technik noch den statischen Ansprüchen nur unvollständig gerecht werden können, stellen diese Methoden Arbeitszeit reduzierende Technologien dar, für die auch die bodenphysikalische Forschung ihren Beitrag noch zu leisten haben wird. Gerade die Technologieforschung im Spezialtiefbau wird zunehmend ein Gebiet, das von der akademischen Lehre oftmals sträflich vernachlässigt und den Mannschaften der ausführenden Firmen als scheinbar simples Probierfeld überlassen worden war. Das hat sich in Zukunft zu ändern, will die hohe Wissenschaft ihren zuerkannten Forschungsauftrag erfüllen.

4 Brunnenwasserhaltung und Untergrundvereisung

Beide Verfahren sind bewährte Wasserhaltungsmethoden, jedoch unter gegensätzlichen Voraussetzungen. Die Brunnenwasserhaltung hat im Wr. U-Bahn-Bau einen langen Weg an Erfahrungssammlung zurückgelegt. Den Wirkungsgrad der Bohrbrunnen zu verbessern, gelang im Kies und im Sand bereits durch Weglassen der vor 30 und 40 Jahren noch üblichen Metalltressen- oder Kunststoffgewebe rund um die Schlitzbrückenfilter. Die Brunnen versandeten schlichtweg im fein- körnigen Boden. Ein Beispiel soll im Vortrag die erfolgsmindernde 136 Martak, Lothar

Wirkung dieser Filterauflagen zeigen. Viel Verbesserung im Grob- bis Mittelsand konnte im Laufe der Jahre durch vorsichtig ausgeführten Pumpeneinschalt- und Laufbetrieb erzielt werden, wobei je nach Größe der Pumpraten vom Durchlaufbetrieb auf intermittierenden Pump- betrieb übergegangen wurde. Zu Beginn der 1990iger Jahre gelang es das erste Mal großflächig für den „trockenen" U-Bahn-Tunnelvortrieb den Grundwasserspiegel über einen Bezirksteil von Simmering um 10 m bis 20 m auf die Dauer der Tunnelarbeiten abzusenken, das Pumpwasser gegebenenfalls zu dekontaminieren und in einem anderen Bezirksteil wieder zu versickern. Es kam zu keinen nennenswerten Differenzsetzungen an den betroffenen Häusern und Einbauten und zu keinen bekanntgewordenen baulichen Schäden. Auch hier konnte auf ähnliche Beispiele im europäischen U-Bahn-Raum zurückgegriffen und die Erfahrung gesteigert werden.

Unterstützt durch bereits vorhandene oder im Bau begriffene temporäre Grundwassersperren entlang des Donaukanals, der Donau und der U-Bahn-Bauwerke der U1 in der Achse Praterstraße/Lassalle- straße war es im abgelaufenen Jahrzehnt möglich geworden, für die U2-Verlängerung in der kritischen Altverbauung der Leopoldstadt im 2. Wr. Gemeindebezirk die miozänen Sedimente ca. 20 m großflächig zu entspannen und anschließend zu entwässern. Das Grundwasser in den Kiesen/Sanden wurde gleichfalls abgepumpt, sodass gefahrlos ein Tunnelvortrieb im Sinne der NATM im Bezirk möglich wurde. Nicht möglich war es jedoch Brunnen herzustellen, wo die dichte Verbauung keine Brunnenstandorte zuließ. Infolge Unkenntnis in diesen geologisch nicht ausreichend erkundbaren U-Bahn-Streckenstücken kam es gerade dort durch lokale Erosionsrinnen im abdeckenden tonigen Schluff zu Grundwasserzutritten in den Firsten der Vortriebe. Die trotz sofortigen Wasserhaltungsmaßnahmen vor Ort verbleibenden Wasserzuläufe zwangen zu einem DSV-Einsatz von hufeisenförmiger Dichtsicherung. Es wurden mühevolle Erfahrungen mit den Sicherheitsanspüchen der ausführenden Firmengemeinschaften gemacht, die unter dem Modewort „Claiming" zusammengefasst werden dürfen.

Dennoch wird sich die Brunnenwasserhaltung auch im feinkörnigen Boden, soweit dieser überhaupt Wasser abgeben kann, durch die schon länger bekannten Drahtfilter einen Namen machen, da sie einen besonders hohen Wasserdurchgang durch die Filter und damit einen Martak, Lothar 137

hohen Wirkungsgrad besitzen. Sie werden im weiteren U-Bahn-Bau bei geringen intermittierenden Pumpmengen eine Entspannung mit anschließender Entwässerung von Feinsanden und Grobschluffen bei baulich und sicherheitstechnisch akzeptabler Feinteilfracht ermöglichen und damit andere Wasserhaltungsmaßnahmen im wassergesättigten feinkörnigen Boden in Wien wirtschaftlich und sicherheitstechnisch ersetzen. Nach Abschaltung der Brunnen steigt das Grundwasser im Laufe der nachfolgenden Monate wieder auf seinen ursprünglichen Spiegelstand und hinterlässt keine umweltbeeinträchtigende Spuren. Auch der Baumbestand des Hyblerparks in Simmering und des Augartens in der Leopoldstadt und anderer Grünflächen hat keinen nachweisbaren Wachstumsschaden erlitten.

Untergrundvereisung kommt in der Regel im Tiefbau und damit auch im U-Bahn-Bau dann – und nur dann – zum Einsatz, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben, und ist sehr teuer. Ganz anders wird es jedoch, wenn die Bodenvereisung von Anfang an als umweltfreundiche und bautechnisch sehr sichere Grundwasserhaltung geplant, ausgeschrieben und kontrolliert durchgeführt wird. Untergrund- vereisung wurde ähnlich wie in München auch in Wien in den 80iger Jahren zur Schlitzwandfugenabdichtung eingesetzt, wenn die Schlitz- wandelemente ziehharmonikaartig in der Tiefe auseinandergelaufen waren und die Wasserdurchtrittsfugen nicht genau lokalisiert werden konnten. Bodenvereisung wurde in den 1990iger Jahren für Einfahrtsvorgänge von Rohrpressungen und Verbindungsstollen mit großem Erfolg ausgeführt. An der U1 wurde für die Unterfahrung eines bedeutenden Warenhauses in der Mariahilferstraße das Vereisungs- verfahren gewählt, um die Tunnelvortriebe unter den knapp darüber befindlichen Fundamenten temporär zu sichern ohne spätere Schall- brücken durch Bodeninjektionen oder DSV-Körper zu schaffen.

Während alle diese Bodenabdichtungen und Verfestigungen unter Zuhilfenahme von Flüssigstickstoff erfolgten, gab es beim Bau der U6 unter der Post in der Niederhofstraße zum ersten Mal in großem Stil Vereisungsarbeiten mit dem altbewährten Kalziumchlorid- und Magnesiumchlorid-Soleverfahren im intermittierenden Kühlbetrieb. Es standen somit in Wien ausreichend profunde Erfahrungen für alle Verfahren zur Verfügung, als für die Donaukanalquerung infolge des Verunmöglichens üblicher Teilbauphasen im Fluss dieses Verfahren 138 Martak, Lothar

gewählt werden musste. Da die Gefahr alter Bombentrichter in der Flusssohle des Donaukanals bestand, wurde für die ca. 70 m Flussquerung ein zweistufiger Vereisungsring mit außenliegenden Kühlrohren für Flüssigstickstoff und innenliegenden Rohren für das Solekühlsystem um die Stationsvortriebsprofile herum geschaffen. Begonnen wurde mit der außenliegenden Flüssigstickstoffvereisung, die nach wenigen Tagen abgeschaltet werden konnte, um mit der Solekühlung den Kälteerfolg kostengünstig zu halten. Die Vortriebs- arbeiten verliefen ohne Zwischenfälle, da die Vereisungsringe vermutete Überdeckungsschwachstellen im ca. 11°C warmen Wasser des Donaukanals problemlos stabilisierten. Die Kosten waren vor Bau- beginn bekannt und wurden auch nicht überschritten. Es konnten für dieses Verfahren wieder wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. Nach Abschalten des Kühlbetriebes dauerte es fast ein gesamtes Jahr bis der Boden durchwegs wieder seine ursprüngliche Temperatur angenommen hatte. Für die Vereisungskosten hätte allerdings eine neue Ausflugschiffflotte für Donau und Donaukanal angeschafft werden können!

5 NATM-naher Tunnelvortrieb und Schildmaschinenvortrieb

Wie bereits oben erwähnt, startete der U-Bahn-Bau in Wien mit der U-Bahn-Linie U1 vom Karlsplatz nach Süden und nach Norden mit dem offenen BADE-Schild – benannt nach dem norddeutschen Hersteller in Burgdorf bei Hannover – zuerst ohne und dann in Richtung Stephans- platz mit Druckluft. Dieser einfache Schildtyp, der gering abgewandelt in Budapest und in München bereits viele Jahre vorher zum Einsatz gekommen war, hatte den Vorteil den abzubauenden Boden vom Steuerstand aus sehen zu können, danach bei Wasserzutritt die Drucklufthöhe einzustellen, deren Wirkung beim Bodenabbau zu kontrollieren und damit die Vortriebsgeschwindigkeit der Schild- maschine an die geotechnischen Randbedingungen anpassen zu können. Dieser Vorteil konnte aber auch zum Nachteil werden, wenn die Porenwasserverdrängung an der Ortsbrust durch die Durch- lässigkeitseigenschaften des Bodens gebremst war und nach vorne gedrücktes Porenwasser im oberen Schildbereich innerhalb weniger Martak, Lothar 139

Minuten an der Sohle des Schildes als frei auslaufendes Wasser-/Sand- Gemenge hereinkam. Eine Erhöhung der Druckluft wirkt hier nur Wasser-/Sandeintritt beschleunigend. Der Fehler lag in der zu hohen Schildgeschwindigkeit, bei der die Porenwasserverdrängung zum nächstliegenden Aquifer nicht lange genug für den anstehenden Feinsand abgewartet worden war. Im Vortrag soll dieser wichtige bodenphysikalische Zusammenhang kurz erläutert werden. Es dauerte ein halbes Jahr, die Schadenstelle unter einem ehemals kriegs- beschädigten Haus am Schwedenplatz zu beheben.

Angesichts dieser Schwierigkeiten und der offensichtlichen Risken beim offenen Schild unter Druckluft kam ab 1985 auf der U-Bahn-Linie U3 der Einsatz der NATM, angepasst auf geringstmögliche Setzungen und Verformungen der Bebauung im Einflussbereich mit und auch ohne Druckluft, aber im Schutz von Tunnelausbruch umschließenden Bodeninjektionen. Es waren damit nicht die ersten NATM-Einsätze im feinkörnigen Boden. Ähnliches war bereits in Frankfurt unter dem Römer, in München und bei der U1 in kleinem Maßstab am Karlsplatz und am Südtirolerplatz ausprobiert worden. Unbenommen der möglich gewordenen Senkung der Tunnelvortriebskosten, kam die Wert- schöpfung vollständig aus Österreich mit den im alpinen Tunnelbau erfahrenen Arbeitsmannschaften, den Tunnelbögen, den Pfändblechen, der Bewehrung und dem Spritzbeton aus der österr. Stahl- und Zementerzeugung.

Die folgenden Jahrzehnte waren durch die Umstellung von Druckluft auf Brunnenwasserhaltung, mit und ohne Vakuum und auf Ortsbrust- entwässerungen mit Lanzen und Sohldrainagen gekennzeichnet. Die U3-Fertigstellung nach Ottakring und die U2-Verlängerung durch den 2. Wr. Gemeindebezirk bis hinter den Praterstern waren Beispiele dieses erfolgreichen „bergmännischen", innerstädtischen Tunnelbaus, der international von den Fachkollegen auf den Tunnelbautagungen gewürdigt wurde. Wenn auch hierbei nicht in jedem fein- oder grobkörnigen Lockergestein die Grundwasserentspannung und Entwässerung so funktionierte wie angedacht, die innerstädtische Anpassung der NATM war durchaus geglückt und kommt bei der U1- Süd-Verlängerung ab dem Reumannplatz über den Laaerberg wieder zum Einsatz.

140 Martak, Lothar

Zwischenzeitlich hat bei der Entwicklung der Schildmaschinen über die vollkommen geschlossenen Schildtypen wie Hydroschild und EPB- Schilde ein gewaltiger Technologiesprung stattgefunden. Ein Hydroschild wurde wieder im Wr. U-Bahn-Bau auf den Verlängerungen der U1 zum Kagraner Platz nach Norden und bei der 3. Donaukanal- querung für das Verbindungsgleis zum U-Bahn-Betriebsbahnhof Erdberg eingesetzt. Durch die Schneidradstützung mit Bentonit- suspension oder mit verbreitem anstehenden Boden als EPB-Variante kann die außenliegende Brunnenwasserhaltung vollständig entfallen. Allerdings ist und bleibt der Schildbetrieb auch für den Nachläufer mit einem großen Baustelleneinsatz verbunden. Querschläge zwischen den Schildröhren werden nach wie vor mit konventioneller Stollen- vortriebtechnik im Schutz von DSV-Bodenabdichtung oder Boden- vereisung durchgeführt. Dennoch wird die Zukunft auch im inner- städtischen Tunnelbau den Schildmaschinen gehören. Die teuren Querschläge, Schrägschächte für Rolltreppen und bergmännisch durch- geführte Stationstunnelerweiterungen werden bald der Vergangenheit angehören. Ein großzügiges Tunnelprofil, in dem nicht nur die Touren- gleise und Weichenstelleinrichtungen Platz finden, sondern auch die elektrische Ausrüstung der Unterwerke und ein groß dimensioniertes Brandrauchabzugkonzept inkludiert sein kann, erscheinen in Bälde wirtschaftlich machbar. Groß dimensionierte vertikale Schächte, wie z.B. im U-Bahn-Bau in Madrid, können bequem die Rolltreppen, Liftanlagen und Ver- und Entsorgungseinbauten aufnehmen. Damit erscheint für den Ingenieurgrundbau und Tiefbau nach wie vor ein weites Betätigungsfeld vorgegeben, in dem die nicht nur in Wien gesammelte Spezialtiefbau- und Tunnelbauerfahrung nutzbringend angewandt werden kann.

Dipl.-Ing. Gerhard Sochatzy Dipl.-Ing. Thomas Herzfeld

U-Bahn-Bau – Geotechnische Herausforderung heute und in der Zukunft

Dipl.-Ing. Gerhard Sochatzy, Dipl.-Ing. Thomas Herzfeld MA 29 - Brückenbau und Grundbau Wilhelminenstraße 93 A A-1160 Wien www.wien.gv.at/verkehr/brueckenbau/

142 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ...... 143 2 Verlängerung der U1 nach Süden ...... 144 2.1 Allgemeines ...... 144 2.2 Linienführung und Höhenlage ...... 144 2.3 Geologische Verhältnisse und Grundwasser ...... 147 2.4 Geotechnische Herausforderungen ...... 151 3 Verlängerung der U2 zum Flugfeld Aspern ...... 154 3.1 Allgemeines ...... 154 3.2 Geologische Verhältnisse ...... 154 3.3 Geotechnische Herausforderungen ...... 155 4 Ausblick in die Zukunft ...... 157 5 Literaturverzeichnis ...... 161 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 143

U-Bahn-Bau – Geotechnische Herausforderung heute und in der Zukunft

1 Einleitung

Seit mehr als drei Jahrzehnten liegt einer der Schwerpunkte der geotechnischen Beratungstätigkeit der MA 29 – Fachbereich Grundbau im Wiener U-Bahn-Bau. Bestand anfänglich die mit Bezug zum U-Bahn- Bau zu sehende Tätigkeit in der Veranlassung der Untergrund- aufschließung mit der Bereitstellung von Bohrprofilen bzw. Labor- ergebnissen und aus der grundbautechnischen Amtsachverständigen- tätigkeit, so folgte relativ rasch auch eine umfassende beratende geotechnisch-geologische Unterstützung. Beginnend bei der generellen Planung wurde die MA 18 – Stadt- entwicklung und Stadtplanung bei ihren Linienentwürfen für den Neubau und für die Verlängerungen der U-Bahn-Linien U1, U2, U3 und U6 mit Untergrundbeschreibungen und tunnelbautechnischen Mach- barkeitsüberlegungen unterstützt. Darüber hinaus wurden in weiterer Folge die Unterlagen der Ausschreibungsplanungen der einzelnen U-Bahn-Bauabschnitte seitens des Fachbereiches Grundbau durch detaillierte „Geotechnische Teile“ ergänzt. Die geotechnischen Teile beinhalteten eine eingehende Untergrundbeschreibung, geologische und geotechnische Längs- und Querschnitte, Angaben zu Rechen- und Bodenkennwerten und grund- bautechnische Hinweisen zu den Spezialtiefbauverfahren. Die derzeitige Beratungstätigkeit im Wiener U-Bahn-Bau erstreckt sich auf die drei Abschnitte der Verlängerung der U2 zum Flugfeld Aspern und die (Tiefbau)abschnitte für die Verlängerung der U1 nach Süden, wobei die Bauabschnitte U1/8 „Alaudagasse“, U1/9 „Altes Landgut“ und U1/10 „Troststraße“ sicher die größte Herausforderung der nahen Zukunft darstellen.

144 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

2 Verlängerung der U1 nach Süden

2.1 Allgemeines Die Verlängerung der U1 nach Süden mit ihren drei Tiefbauabschnitten stellt sicher eines der Highlights der kommenden Jahre für den Fachbereich Grundbau dar, bei dem es mit größtem Einsatz die Interessen der Wiener Linien und im weitesten Sinn der Wienerinnen und Wiener zu vertreten gibt.

2.2 Linienführung und Höhenlage

2.2.1 Bauabschnitt U1/8 „Alaudagasse“ Die U-Bahn-Trasse des Abschnitts U1/8 „Alaudagasse“ beginnt im nördlichen Anschluss an das, noch dem Bauabschnitt U1/7 „Stockholmer Platz“ zugehörige, südliche Rampenbauwerk der Station „Alaudagasse“. Das Stationsgebäude erstreckt sich in einfacher Tieflage auf einer Breite von 21 bis 25 m zwischen dem Hansson-Zentrum und den Straßenbahngleisen der Favoritenstraße, sowie in der Länge von ca. 230 m bis nach Norden und wird mittels Bohrpfählen in der so genannten Deckelbauweise hergestellt. Von der Station führen zwei getrennte, rd. 350 m lange Streckenröhren (als NATM-Vortrieb geplant) in Richtung Norden, teils unter der Favoritenstraße, teils unter der Verdachtsfläche „Laaerberg“ bis zum Weichenschacht „Volkspark“. Die beiden Nivelletten der Gleisachsen wurden mit Überdeckungen zwischen rd. 5,5 m (Vortriebsbeginn) bis rd. 14 m (Vortriebsende) so gewählt, dass entsprechend den verfügbaren Bodenaufschlüssen zur Verdachtsfläche „Laaerberg“ eine Mindestüberdeckung der Tunnelfirste mit ungestörtem natürlichen Boden von 2,0 m gegeben ist. Sollten die Anschüttungen im Bereich der Verdachtsfläche „Laaerberg“ tiefer reichen, sind zusätzliche Firstsicherungen geplant (vergleiche Kapitel 2.4.1). Der ca. 85 m lange und im Mittel ca. 15 m breite Weichenschacht wird ebenfalls in Deckelbauweise mittels Bohrpfählen errichtet und hat eine maximale Aushubtiefe von 23 m. Der Schacht liegt gegenüber dem Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 145

neuen FH Campus und bildet die Bauabschnittsgrenze zum Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“.

Abbildung 1: Übersicht über den Bauabschnitt U1/8

2.2.2 Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“ Die U-Bahn-Trasse des Abschnittes U1/9 „Altes Landgut“ verläuft über den gesamten Baulosbereich in Tieflage. Sie wird von der Baulosgrenze zu U1/8 bis in die Favoritenstraße unter dem Verteilerkreis Favoriten und der A23 hindurch bis zur Station „Altes Landgut“ geführt. Die Gleise verlaufen (als NATM-Vortrieb geplant) dabei jeweils in eingleisigen Streckenröhren mit einer Überdeckung von ca. 16 bis 20 m unter der GOK. Im Bereich der Querung der A23 reduziert sich die Überdeckung auf ca. 6,5 m bis zur Fahrbahndecke. Die Station „Altes Landgut“ setzt sich aus den beiden Stationsschächten „Altes Landgut“ und „Katharinengasse“ sowie den dazwischen liegenden Stationsröhren zusammen. Der Schacht „Altes Landgut“ mit einer Tiefe von ca. 30 m liegt innerhalb des Verteilerkreis Favoriten, der Schacht „Katharinengasse“ mit einer Tiefe von ca. 28 m bereits in der Favoritenstraße. Beide Schachtbauwerke werden zweischalig mittels Schlitzwänden (d = 100 cm) und nachträglich eingebauter Innenschale errichtet. Von der Station „Altes Landgut" bis zur Baulosgrenze zu U1/10 wird die Trasse in der Favoritenstraße teilweise unter der vorhandenen Wohnbebauung geführt. Die Überlagerung über der Firste zum Niveau der Favoritenstraße beträgt ca. 19 m, die Überlagerung zur Fundierung der Bebauung beträgt ca. 15 m. Knapp vor der Baulosgrenze zu U1/10 146 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

erfolgt die Errichtung eines 26 m tiefen Notausstieges (Schachtbauwerk „Maria-Rekker-Gasse“), der in Spritzbetonbauweise geplant ist.

Abbildung 2: Übersicht über den Bauabschnitt U1/9

2.2.3 Bauabschnitt U1/10 „Troststraße“ Die Trasse des Bauabschnittes U1/10 verläuft ebenso wie die des Bauabschnittes U1/9 über den gesamten Baulosbereich in Tieflage. Die Gleise verlaufen nach der Bauabschnittsgrenze U1/9 in eingleisigen Streckenröhren in geschlossener Bauweise (als NATM-Vortrieb geplant) dem natürlichen Gelände folgend mit einer Überdeckung von ca. 14 bis 18 m bis zur Station „Troststraße“. Vor der Station „Troststraße“ wird das Gleis 2 unter die westlich der Favoritenstraße liegende Bebauung verschwenkt, wobei die Überdeckung zu den Fundamentunterkanten ca. 12 m beträgt. Die Station „Troststraße“ setzt sich aus den beiden Stationsschächten „Klausenburger Straße“ und „Angeligasse“ sowie den dazwischen liegenden Stationsröhren zusammen. Der Schacht „Klausenburger Straße“ mit einer Tiefe von max. 24 m und der Schacht „Angeligasse“ mit einer Tiefe von ca. 20 m werden im Straßenraum der Favoriten- straße in Deckelbauweise mit aufgelösten Bohrpfählen und wasserun- durchlässiger Innenschale zweischalig errichtet. Der östliche Bahnsteigtunnel (Gleis 1) wird in der Favoritenstraße in offener Bauweise mittels aufgelösten Bohrpfählen und wasserundurchlässiger Innenschale mit einer Tiefe von maximal 13 m zweischalig errichtet. Die Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 147

in geschlossener Bauweise errichtete westliche Bahnsteigröhre (Gleis 2) mit einem minimalen Abstand der Tunnelfirste zur Geländeoberfläche von ca. 10 m verläuft unter der Bebauung der Favoritenstraße im Schutze von DSV-Schirmen. Die Gleise verlaufen nach der Station Troststraße weiter in Tieflage in eingleisigen Streckenröhren in geschlossener Bauweise mit einem Abstand von ca. 10,0 m bis zur Geländeoberfläche. Die Streckenröhren laufen dabei parallel zum Gelände und münden in das bestehende U-Bahn-Bauwerk der Wendeanlage Reumannplatz.

Abbildung 3: Übersicht über den Bauabschnitt U1/10

2.3 Geologische Verhältnisse und Grundwasser

2.3.1 Bauabschnitt U1/8 „Alaudagasse“ Ein Großteil der Station „Alaudagasse“ und des Weichenschachtes sind ebenso wie die beiden Streckenröhren in den miozänen Ablagerungen des Wiener Beckens eingebettet. Die Schluffe und Tone des Mittelpannons (in Abbildung 4 grün als Gebirgsart IIIa bzw. IIIb dargestellt) werden von gering mächtig wasserführenden Sand- und Kieslagen, die in ihrer horizontaler Ausdehnung und Durchlässigkeit variieren können, durchzogen, so dass von unterschiedlich ausgeprägten Schichtwässern ausgegangen werden muss, die sich in Ergiebigkeit und Druckpotential stark voneinander unterscheiden. Überlagert werden die miozänen Sedimente von einer gering- mächtigen, nur im Stationsbereich auftretenden Hanglehmschwarte (in Abbildung 4 violett als Gebirgsart II ersichtlich), die aus oberflächlich 148 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

verwitterten Schluff-Tonen und gravitativ verfrachteten Lösslehmen und Laaerberg-Terrassenschottern besteht.

Abbildung 4: Geotechnischer Längenschnitt Bauabschnitt U1/8 – Gleis 1

Besonders prägend und in oranger/brauner Farbe als Gebirgsart I in Abbildung 4 ersichtlich sind heterogene Anschüttungen unter- schiedlichster Mächtigkeit, die im Zusammenhang mit der Verfüllung einer ehemaligen Ziegelgrube erwähnt werden müssen.

2.3.2 Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“ Der am Laaerberg gelegene Bauabschnitt U1/9 weist unter einer Anschüttung (Gebirgsart I – rot) oberflächennahe geringmächtige Hang- und Lösslehme (in Abbildung 5 hellbraun als Gebirgsart II dargestellt), mit teilweisen Anteilen von Laaerbergschottern auf. Diese oberflächennahen feinkörnig-gemischtkörnigen Schichten können ebenso wie die Laaerbergschotter (Gebirgsart III – gelb/braun) sehr seichtes, eher gering ergiebiges und niederschlagsabhängiges Grundwasser (als Hang- und Schichtwasser zu bezeichnen) führen. Die Schotter bilden ein kleines geschlossenes Schichtpaket zwischen dem Stationsbereich „Altes Landgut“ und der Bauabschnittsgrenze zu U1/10. Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 149

Die dominierende geologische Schicht unter der geringmächtigen Laaerbergterrassenschotterbedeckung sind jedoch die miozänen (Mittelpannon) schwach sandigen Schluff-Tone (in Abbildung 5 grün bzw. türkis als Gebirgsart IV, IVa bzw. IVc dargestellt). Sie sind als Grundwasserstauer anzusehen, können jedoch geringmächtig und schichtweise sandige oder sandig-schluffige Bereiche (Gebirgsart IVb – orange dargestellt) beinhalten, in denen gespanntes geringergiebiges Schichtwasser zu erwarten ist. Diese Wechsellage von Feinsand- bzw. sandigen Schluffschichten befindet sich tiefenmäßig ab ca. 20 m unter GOK mit einer durchschnittlichen Mächtigkeit von 5 m und reicht bis in den Bauabschnitt U1/10. Die angetroffenen Grundwasserzutritte sind zum Großteil auf diesen Horizont konzentriert.

Abbildung 5: Geotechnischer Längenschnitt Bauabschnitt U1/9 – Gleis 1 150 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

2.3.3 Bauabschnitt U1/10 „Troststraße“ Der Bauabschnitt U1/10 ist geprägt von einer Zweiteilung der geologischen Situation. Ca. ⅔ des Bauabschnittes liegen im Löss-/Lösslehmbereich (in Abbildung 6 braun als Gebirgsart IIa bzw. IIb dargestellt). Diese Zone ist charakterisiert durch Lösslehmschichten (wieder aufbereitete und umgelagerte Lösse), in denen vereinzelt geringmächtige Schotterzonen vorkommen können. Der überwiegende Bereich dieser Lößlehmzone besteht aus einer Wechsellagerung von Lösslehmschichten und reinen Feinsandschichten (Löss), wobei die reinen Sandschichten in der Minderheit sind. Bedingt durch diesen Wechsel von bindigen mit nicht bindigen Schichten kommt es an diesen Übergängen zu einem regellosen Austritt von gering ergiebigen (teilweise gespannten) Hang- bzw. Schichtwasserzutritten. Diese Zone reicht vom Reumannplatz bis zum Bereich Alpengasse – Schleiergasse. Die unter den Lößlehmschichten liegenden Donauterrassenschotter der Arsenalterrasse (gelb als Gebirgsart IIIb bezeichnet), die als Träger des freien Grundwassers bezeichnet werden können, sind für das gegenständliche Bauvorhaben nur von untergeordneter Relevanz. Nur das Vortriebsende an der Wendeanlage Reumannplatz hat einen gering mächtigen Donauterrassenschotterkörper im Sohlbereich. Die Übergangszone bzw. der Abbruchbereich von den Löss(lehm)en zum Miozän (gelb als Gebirgsart IIIa in Abbildung 6 bezeichnet) ist gekennzeichnet durch einen deutlichen Wechsel von reinen miozänen sandigen Schluffschichten über regellos wechselnden Sand, Schluff, Kies, sandigen Kies und Blockwerk bis zu Lösslehmzonen mit der Wechsellagerung von schluffigen Sandschichten (Lösslehm) mit reinen Sandschichten (Löss). Ab dem Bereich Schleiergasse folgen die stark konsolidierten Schichten des Miozäns, bestehend aus schwach sandigen, tonigen Schluffen (grün als Gebirgsart IVa bzw. IVc bezeichnet) mit Zonen von Grob- schluffschichten bzw. schluffigem Sand (orange als Gebirgsart IVb bezeichnet) analog zum Bauabschnitt U1/9. Auch in den Miozän- schichten ist die Wasserführung großteils auf diese Wechsellage von Feinsand- bzw. sandigen Schluffschichten beschränkt. Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 151

Abbildung 6: Geotechnischer Längenschnitt Bauabschnitt U1/10 – Gleis 1

2.4 Geotechnische Herausforderungen

2.4.1 Bauabschnitt U1/8 „Alaudagasse“ Auf Basis mehrerer Erkundungskampagnen – vor allem im Hinblick auf die Unterkante der Ziegelgrubenverfüllung – wurde die Trassierung gegenüber dem Generellen Projekt so geändert, dass eine ausreichende Überdeckung zur Anschüttung besteht. Um das Restrisiko eines „Anschneidens“ der Verfüllungen durch die beiden im zyklischen Vortrieb aufzufahrenden Tunnelröhren weiter zu minimieren, werden spezifische Vorauserkundungen von jener Streckenröhre aus durchgeführt, die weiter von der Verdachtsfläche entfernt liegt und gegebenenfalls zusätzliche Firstsicherungen in Form von Rohrschirmen für die andere Röhre angeordnet. Als zweite Herausforderung sind die schwer zu entspannenden Feinsand- bzw. Grobschluff-Zwischenlagen in den miozänen 152 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

Sedimenten zu nennen, deren Entwässerbarkeit von Obertage im Zuge eines aufwändigen Langzeitpumpversuches in der Detailplanung erst praktisch erprobt werden musste. Hier bedarf es einer besonders sensiblen Vorgangsweise im Hinblick auf Errichtung, Ausbau und Betrieb von Vertikalfilterbrunnen-Anlagen, um die gewünschte Wirkung (Reduzierung des Druckniveaus) auf Baudauer erreichen zu können. Auch die gezielte Drainage und Abschlauchung der Schichtwässer zwischen den aufgelösten Bohrpfahlwänden muss von den ausführenden Firmen sehr umsichtig und wirkungsvoll umgesetzt werden, damit es zu keinen unzulässigen Belastungssituationen (Wasserdruck) für die Baugrubensicherungen der Station und des Weichenschachtes kommt.

2.4.2 Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“ Am Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“ ist mit drei wesentlichen Herausforderungen zu rechnen:

• Die Entspannung der miozänen Wässer während der Herstellungsphase der großen Schlitzwandschächte der Stationsgebäude (Aushubtiefen ca. 28-30 m) mittels Wasser- haltung von Obertage und die Gewährleistung der Ent- spannung der miozänen Wässer bis zum Einbau der Innen- schale über einen Zeitraum von ca. 3 bis 4 Jahre.

• Der NATM-Vortrieb in der Gebirgsart IVb. Die aus einer Wechsellage von Feinsand- bzw. sandigen Schluffschichten bestehende Gebirgsart, welche das größte Grundwasser- druckpotential aufweist, ist für einen gesicherten Vortrieb zwingend zu entspannen. Die Entspannung soll prinzipiell von Obertage und im Bedarfsfall mittels Lanzen von Untertage erfolgen.

• Die Unterfahrung der A23 unter dem Verteilerkreis Favoriten, wobei die Überdeckung zur A23 nur ca. 6,5 m beträgt. Die Fundierung des bestehenden Tunnels der A23 erfolgte in den 70-Jahren mittels Schlitzwandelementen. Zur Schließung der verbleibenden Bereiche zwischen den Schlitz- wandelementen wurden im Zuge der Sanierung der A23 im Sommer 2011 diese Bereiche mit DSV ergänzt, um einen gesicherten Vortrieb durchführen zu können. Für einen Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 153

möglichst verformungsarmen Vortrieb wurde ein relativ steifer Ausbau mit erhöhter Spritzbetonstärke und Voraussicherung mittels Rohrschirm gewählt. Ein umfas- sendes Messprogramm (inkl. horizontaler Inklinometer im Rohrschirm) wurde entwickelt, um die prognostizierten Setzungen mit den tatsächlichen und den zulässigen Setzungen des A23-Tunnels zu vergleichen. Die Entspannung der druckhaften miozänen Wässer muss unterhalb der A23 mittels Lanzen erflogen, da aus Platzgründen eine Entspannung von Obertage nicht durchführbar ist. Im gesamten Bauvorhaben U1/9 „Altes Landgut“ spielt die Wasserhaltung eine entscheidende Rolle. Nach den ausführlichen Langzeitpumpversuchen und der Aufschlusskampagne im Vorfeld der Ausschreibung sind in der folgenden Bauphase die ausführenden Firmen mit ihrem gesamten Know-how gefragt, diese Herausforderung sicher und wirtschaftlich umzusetzen.

2.4.3 Bauabschnitt U1/10 „Troststraße“ Im Bauabschnitt U1/10 „Troststraße“ der zu 2/3 im Löss- /Lösslehmbereich liegt, kommt dem Vortrieb in der mit ger ing ergiebigen (teilweise gespannten) Hang- bzw. Schichtwasserzutritten erfüllten Wechsellagerung von Lösslehmschichten und reinen Feinsandschichten (Löss) große Bedeutung zu. Zur Entspannung/- Entwässerung der kleinräumigen Schichtwasserhorizonte sind Brunnen von Obertage vorgesehen. Zur Restwasserentspannung sind zusätzlich von Untertage Entwässerungsmaßnahmen (z.B. Abschlauchungen an der Ortsbrust und Laibung, Vakuumlanzen, etc.) geplant. Als zweite Herausforderung ist die Herstellung der Stationsröhre Gleis 2 zu nennen, die zur Gänze unter der Bebauung in der Favoritenstraße zu liegen kommt. Zur Sicherung des Bereiches werden vorab DSV-Säulen von Obertage, welche in den anstehenden Terrassenschotter einbinden, hergestellt. Für den Vortrieb der Stationsröhre ist vom Tunnel aus der Einbau eines DSV-Schirmes und von Ortsbrustsäulen geplant. Die von Obertage eingebrachten DSV-Säulen dienen dabei als Auflager für den horizontalen DSV-Schirm. Die einaxiale Druckfestigkeit der letzten DSV-Säule des DSV-Schirmes (horizontal) muss vor dem weiteren Vortrieb mindestens 3 N/mm² betragen. 154 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

Für den Vortrieb in den wasserführenden Wechsellagen von Feinsand- bzw. sandigen Schluffschichten (Gebirgsart IVb), die sich im Bau- abschnitt U1/9 fortsetzen, ist die Wasserhaltung ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Die Entspannung erfolgt prinzipiell mittels Brunnen von Obertage und im Bedarfsfall mittels Lanzen von Untertage (vergleiche U1/9).

3 Verlängerung der U2 zum Flugfeld Aspern

3.1 Allgemeines Obwohl bei der Verlängerung der U2 zum Flugfeld Aspern mit den Bauabschnitten U2/14 „Hausfeldstraße“, U2/15 „Flugfeld Nord“ und U2/16 „Flugfeld Süd“ keine unterirdischen Bauwerke hergestellt werden (die Trasse verläuft in Hoch- bzw. Niveaulage), ist die MA 29 als grundbautechnischer Berater bei den zahlreichen Gründungsverfahren immer wieder gefordert.

3.2 Geologische Verhältnisse Betrachtet man den geologischen Aufbau im Bereich der Bauabschnitte U2/14 bis U2/16 von der Oberfläche ausgehend in den Untergrund, zeigt sich folgender Bodenaufbau:

• Anschüttungen: anthropogen, künstlich • Aulehme und Ausande: quartäre rezente Bildungen, Fein- klastika

• Donauschotter: quartäre rezente Bildungen, Grobklastika • Schluffe, Tone, Sande: miozäne Sedimente des Wiener Beckens, Feinklastika Die Anschüttungen und die Aulehme/Ausande sind als eher schlechter Baugrund anzusehen, die für die Abtragung höherer Lasten ungeeignet sind. Dort wo hohe Lasten (z.B. von Stationsgebäuden) abzutragen sind, oder die (Differenz)setzungen minimiert werden sollen, wird daher eine Fundierung im sandigen Kies (Donauschotter) hergestellt. Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 155

3.3 Geotechnische Herausforderungen

3.3.1 Gründung der Tragwerke Da wie bereits erwähnt die Bauabschnitte U2/14 bis U2/16 in Hoch- oder Niveaulage verlaufen, kommen als Gründungselement der U-Bahn-Tragwerke Tiefgründungen in Form von Bohrpfählen zur Anwendung. Die Fundierung erfolgt dabei mittels Ortbeton- Bohrpfählen (Durchmesser DN 900 bis 1200 mm), wobei die Lastabtragung über Mantelreibung erfolgt. Zumeist werden bei den Tragwerken unter jeder Stütze zwei bis vier Pfähle angeordnet, die mit einem Pfahlrost verbunden sind. Zur Anwendung kommen vollverrohrte Pfahlbohrungen, wobei die Verrohrung je nach Bodenart dem Baufortschritt entsprechend vorauseilen muss. Insbesondere im Bereich der miozänen Sande ist unbedingt eine ausreichende Wasserauflast vorzusehen, um die Gefahr von hydraulischen Grundbrüchen auszuschließen.

3.3.2 Gründung der Stationsgebäude Die Fundierung der Aufnahmegebäude ist getrennt von der Tieffundierung der Tragwerke und erfolgt mit einer Stahlbetonplatte. Aufgrund der hohen Lasten ist eine Gründung im Donauschotter erforderlich. Sind die Ausedimente so mächtig, dass die Bodenplatte in diesen zu liegen kommen würde, gibt es mehrere Möglichkeiten, um die Lasten ohne maßgebliche Setzungsdifferenzen in den Untergrund abtragen zu können:

• Durchführung eines Bodenaustausches • Tieferführung der Lasten mit Mikropfählen • Tiefenverdichtung

3.3.2.1 Durchführung eines Bodenaustausches Dabei ist grundsätzlich ein weitgestuftes, sandig-kiesiges Material mit einem Steinanteil (d > 63 mm) unter 5 % und einem max. Fein- kornanteil (d < 0,063 mm) < 10 % zu verwenden. Im Zuge des Einbaus sind ständige visuelle Kontrollen des Materials und Konformitäts- und Identitätsprüfungen (Verdichtungskontrollen) zwingend erforderlich. 156 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

3.3.2.2 Tieferführung der Lasten mit Mikropfählen Sind die Aulehme und Ausande so mächtig, dass ein Bodenaustausch zwar technisch möglich ist, aber wirtschaftlich nicht mehr vertretbar ist, kann eine Tieferführung der Lasten in Form von Mikropfählen erfolgen. Zur Anwendung kommen Kleinbohrpfähle und nach dem Bohr- oder Rammverfahren hergestellte Kleinverpresspfähle, wie z.B. verpresste duktile Rammpfähle, Ischebeck-Pfähle. Als Beispiel sei hier der Bauabschnitt U2/14 „Hausfeldstraße“ genannt, wo Kleinbohrpfähle (System Ischebeck) für die Fundierung des Stationsgebäudes der Station „Hausfeldstraße“ angewendet wurden. Am Bauabschnitte U2/15 „Flugfeld Nord“ wurden mantelverpresste duktile Rammpfähle u.a. für die Fundierung des auskragenden Vordaches der Station „Aspern“ ausgeführt. Hier musste besonderes Augenmerk auf das Erreichen der statisch erforderlichen Gebrauchslast von bis zu 600 kN je Pfahl gelegt werden. Nach Erkundung der Kiesoberkante mittels Rammsondierungen wurde im Zuge von Probepfählen nachgewiesen, dass die erforderliche Tragfähigkeit durch das vom Auftragnehmer gewählte Mikropfahlsystem (DN 118 mm mit Rammschuhdurchmesser von 250 mm) erreicht werden kann. Auf Basis dieser Versuche wurden die Rammkriterien festgelegt.

3.3.2.3 Tiefenverdichtung Anstelle der Tieferführung der Lasten mit Mikropfählen kann in Folge der nur eingeschränkten Tragfähigkeit des oberflächlich anstehenden Ausediments eine Bodenverbesserung des Untergrunds mittels Tiefenverdichtung in Form einer Rüttelstopfverdichtung durchgeführt werden. Bei diesem im Bauabschnitt U2/15 angewendeten Verfahren musste aufgrund der wechselnden Geologie (rasches Abtauchen der Kiesoberkante möglich) besonderes Augenmerk auf die gesicherte Einbindung in den zumindest mitteldicht gelagerten Kies gelegt werden. Aus diesem Grund wurde hier vor Beginn der Rüttelstopfverdichtung ein Probefeld angelegt. Es diente dem Nachweis der Eignung des vorgeschlagenen Konzeptes des Auftragnehmers und zur Überprüfung der geforderten Tragfähigkeit. Im Zuge der Ausführung erfolgte eine Qualitätssicherung durch folgende teils kontinuierlich automatisierte Aufzeichnungen: Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 157

• Stromverbrauch (Ampereaufnahme) bei wiederholtem Eindringen des Rüttlers (Pilgerschrittverfahren)

• Einfahrtiefe des Rüttlers • Materialverbrauch je Stopfpunkt bzw. Säule

Dadurch konnten die örtlichen Inhomogenitäten des Untergrundes aufgrund der Ergebnisse interpretiert werden und die Parameter der Stopfverdichtung an die Lage der Kiesoberkante angepasst werden. Neben einer fortlaufenden Dokumentation jeder Einzelsäule und einem Nachweis der eingebauten Kiesmenge stellten Sondierungen mit der schweren Rammsonde SRS 15 bzw. DPH eine dritte Schiene des Qualitätsnachweises der Tiefenverdichtung dar.

Abbildung 7: Rüttelstopfverdichtung am Bauabschnitt U2/15

4 Ausblick in die Zukunft

„Meine Wiener werden nicht unter die Erde müssen!“ Diese von Kaiser Franz Josef vor etwa 120 Jahren anlässlich der Eröffnung der Gürtel- Hochbahn ausgesprochenen Worte, entsprachen einer den fortschrittlichen Zukunftstechnologien gegenüber eher ablehnenden 158 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

Haltung des Kaisers. Leider prägten sie auch sehr lang die Verkehrsplanung unserer Stadt. Umso erfreulicher ist es, dass der ab den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Wiener Stadtverwaltung begonnene U-Bahnbau zur Erfolgsgeschichte wurde. Eine Erfolgsgeschichte die nahezu von allen Bevölkerungsschichten mitgetragen wird. Mit ausschlaggebend für die hohe Zustimmung und das Vertrauen, welches die Bevölkerung dem U-Bahnbau entgegenbringt, ist zweifelsohne auch der bekannt hohe Qualitätsstandard des U-Bahnbaus, was Planung, Örtliche Bauaufsicht, Geotechnische Projektbegleitung, sichere Baumethoden und Baudurch- führungen betrifft, der schonende Umgang in Bezug auf Objekt- bestände und das Fehlen jeglicher größerer Baukatastrophen. Dem heutigen mündigen Bürger ist jedenfalls klar, soll die Stadt lebens- und liebenswert bleiben, aber auch alle Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Arbeitswelt bieten, so müssen für ein friedliches Miteinander von „Individualverkehr“ und „Öffentlichem Verkehr“ aber auch von sämtlicher Ver- und Entsorgungsinfrastruktur auch mehrere unterirdische Ebenen genutzt werden. Zu beobachten ist jedenfalls, dass die Führung von Straßen, öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch größerer Ver- und Entsorgungsleitungen in Stollen und Tunneln, die in geschlossener Bauweise hergestellt werden, in innerstädtischen Bereichen aus wirtschaftlichen wie auch aus Umweltgründen immer mehr an Bedeutung erlangt. Bei der täglichen Auseinandersetzung mit innerstädtischen Infrastruktur-Projekten ist allerdings nicht mehr zu übersehen, wie dicht bereichsweise auch die tieferen Ebenen bereits besetzt sein können. Es wird heute bereits sehr eng, auch „unter der Erde“. Betrachtet man den derzeitigen Ausbauzustand von U-Bahn und S-Bahn, so steht dem Wiener Bürger bereits ein beachtliches Netz zur Verfügung. Dennoch ist kaum davon auszugehen, dass damit das Ausbauende der U-Bahn erreicht ist. Abgesehen von der geplanten Komplettierung der U1-Süd nach Rothneusiedl und/oder Oberlaa gibt es noch einige „blinde Flecken“ und vermutlich aus Bürgersicht gesehen wünschenswerte innerstädtische (in Tieflage) geführte U-Bahn-Achsen. Ein kurzer Vergleich mit den geplanten U-Bahn-Netzen des Jahres 1971, die ja nahezu für jede wichtigere Radialstraße eine eigene Linie vorsah, zeigt zwar einerseits die anfänglich ein wenig utopischen Wunschvorstellungen, anderseits lässt sich aber Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas 159

bespielsweise die reale langfristige Notwendigkeit der seit geraumer Zeit diskutierten U2/U5 gut erkennen. Die U2 vom Schottentor kommend nach Süden in Richtung Matzleinsdorferplatz und darüber hinaus, die U5 als U2 vom Karlsplatz kommend nach Hernals. Die Entscheidung wird wohl zwischen Geld, Politik und dem ungebrochenen Wunsch der Bevölkerung nach einem weiteren U-Bahn-Ausbau fallen. Was die geotechnischen Herausforderungen angeht, so werden sie uns demnach auch in der Zukunft sicher nicht ausgehen. Wichtig für jegliche zukünftige Planungen werden jedenfalls (wie auch bis dato) entsprechend umfassende auf Untergrund, Anlageverhältnisse, Bebauung und Infrastruktur abgestimmte geotechnische Vorerkund- ungen sein. Letztendlich liefern sie jene ganz wichtigen Entscheidungs- hilfen, die zusammen mit anderen Auswahlparametern für die richtige Wahl von Lage und Nivelette der Trasse aber auch von Bauweisen, Bau- methoden, Bauhilfsmaßnahmen, etc. verantwortlich sind. Entscheid- ungen jedenfalls, die für die Sicherheit des späteren Tunnelbaus bekannterweise sehr mitentscheidend sind. Auch wenn unser genereller Kenntnisstand über den Wiener Untergrund sehr hoch ist, sind für Ausschreibungs- und Ausführungs- planungen vorweg genaue Detailkenntnisse über Boden und Grundwasser unumgänglich. Darüber hinaus sind aber auch im Wiener Untergrund kleinere geotechnische Überraschungen nie auszu- schließen. Als Beispiel dafür können die Aufschlussarbeiten für die U1- Süd gelten. Aus Erfahrungen mit Tiefgründungsarbeiten am Wienerberg war die Möglichkeit des örtlichen Vorhandenseins von natürlichen Gasvorkommen (Gasblasen) bekannt. Als die MA 29 allerdings im Zuge der Erkundungen für die U1-Süd in relativer Oberflächennähe im miozänen sandigen Kies eine unter Druck stehende Methan-dominierte Gasblase angebohrt hat und abfackeln musste, war die Überraschung doch einigermaßen groß. Noch erstaunlicher war dann der Umstand, dass es kein rasches Ausgasen der Blase gab und ein beachtlicher Aufwand für das gezielte Schließen des Bohrlochs notwendig war. Hinsichtlich der Bauweisen und Baumethoden wäre die U5 nach Hernals wahrscheinlich ähnlich der „alten“ U3-West zu sehen. Hier könnte vermutlich die NATM mit all ihren Stütz- und Sicherungs- maßnahmen in Kombination mit wasserhaltenden Maßnahmen (von 160 Sochatzy, Gerhard; Herzfeld, Thomas

Grundwasserabsenkung und Grundwasserentspannung über Abdich- tung bis Druckluft) zweckmäßig zum Einsatz kommen.

Abbildung 8: NATM-Vortrieb

Für die U2 nach Süden, die ungefähr parallel zum Westgürtel verlaufen wird, gilt zu beachten, dass sie aufgrund der Topographie vermutlich teilweise in großer Tiefe zu liegen kommen und bereichsweise Grenzsteigungen bis 40 ‰ aufweisen wird. So muss sie beispielsweise eine der für Wien dominanten Wasserachsen – den Wienfluß – unterqueren, um dann wieder zum Wienerberger/Laaerberger Zug hochzusteigen. Was die Baumethodik betrifft, sollte aufgrund der zu vermutenden Anlageverhältnisse, Baugrundverhältnisse und der Bebauung zunächst eher die Schildbauweise anzudenken sein. Entgegen der geübten Praxis wäre hier vielleicht auch eine über mehrere Stationen durchlaufende Schildfahrt zweckmäßig. Die Entwicklung der Erddruckschilde hat jedenfalls eine so weitgehende Reife erreicht, dass heute eine solche Schildfahrt – bei entsprechender geotechnischer Begleitung – setzungsarm und mit großer Sicherheit für die Bebauung durchgeführt werden kann.

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5 Literaturverzeichnis

Sochatzy G., Jawecki C., Herzfeld T. (2010): Die geologische, grundbautechnische und bodenmechanische Situation in der „Donaustadt“, Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 155. Jahrgang Heft 7-9/2010 und 10-12/2010, Seite 167-173, Wien, Österreich. Loreth J. (2010): Eine U-Bahn auf der Wiese – Technische Herausforderungen beim laufenden Bau der U2 in die Seestadt“, Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 155. Jahrgang Heft 7-9/2010 und 10-12/2010, Seite 159-163, Wien, Österreich. Wiener Linien GmbH & Co KG (2011): Ausschreibungsprojekt U-Bahn- Linie U1, Bauabschnitt U1/8 „Alaudagasse“, Wien, Österreich. Wiener Linien GmbH & Co KG (2011): Ausschreibungsprojekt U-Bahn- Linie U1, Bauabschnitt U1/9 „Altes Landgut“, Wien, Österreich. Wiener Linien GmbH & Co KG (2011): Ausschreibungsprojekt U-Bahn- Linie U1, Bauabschnitt U1/10 „Troststraße“, Wien, Österreich. Stadt Wien (Herausgeber): PERSPEKTIVEN 1/2005 – Grundbau, Wien, Österreich.

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