ausgabe 2 / 2016 ausgabe

DEUTSCHE TIGERMÜTTER HABEN KEINE ZÄHNE KEINE TIGERMÜTTERDEUTSCHE HABEN TURNSCHUHE KORREKTE POLITISCH REBELLION EINER HAUSFRAU EINER REBELLION

Rezension über „Die Vegetarierin“ von Han Kang Han von über „Die Vegetarierin“ Rezension Koreas frühkindliche in das Einblick Bildungssystem in Exile“ Iphigenia - „Walls Theaterprojekt Über koreanisch-deutsche das KULTUR KOREA KULTUR

kultur korea |한국문화 Coverbild: DOKOREA – Ten Thousand Spirits, das erste koreanische Dokumentarfilmfestival in Berlin, fand vom 16. bis 19. September 2016 im Kino Babylon statt. Es wurde vom Koreanischen Kulturzentrum in Zusammenarbeit mit dem Kino Babylon organisiert und von der Hyundai Motors Group sowie dem Korean Film Council (KOFIC) unter- stützt.

© Koreanisches Kulturzentrum EDITORIAL

Restaurantbesitzer nach Feierabend

Liebe Leserinnen und Leser,

die Koreanischlehrerin schreibt noch mit Kreide, wischt die Tafel mit einem Schwamm und versetzt Schüler/innen fortgeschrit- tenen Alters so zurück in Kindertage. Sie kommt nach Hause oder an den Arbeitsplatz, geht mit auf Reisen, unterrichtet auch an Feiertagen oder mitten in der Nacht. Talk to me in Korean heißt das Online-Lernportal, bei dem die allzeit flexible Lehrerschaft auf ebenso flexible Nutzer/innen trifft, die dem Unterricht über den Bildschirm folgen – willkommen in der Gegenwart. „Fernsehen war gestern“, die Stars von heute sind auf YouTube unterwegs, und vielen von uns wird bewusst, dass die eigenen Kindertage weit zurückliegen.

„Lernen wie Konfuzius“ in der Abgeschiedenheit der Natur des 16. Jahrhunderts erlaubt einen Rückblick in alte Zeiten und fühlt sich an wie eine Atempause in dieser schnelllebigen Zeit. Vor dieser Zeitleiste bilden die visualisierten Kontraste der Fotoreporta- ge „Kommunikation und Versenkung“ gewissermaßen die Schnittmenge zwischen Tradition und Moderne, wie Markus Kirchgess- ner in „Töchter der Meere und Selfiesticks“ erläutert.

„Alt, älter, am ältesten“ - womit verbringen Senioren in Korea eigentlich ihre Tage? Taxifahren? Damenreisen? Bauerntanz? Wuss- ten Sie, dass die größte koreanische Gemeinschaft der westlichen Welt in Los Angeles beheimatet ist? Und dass Dokkaebi bunte Trolle mit Hörnern sind, die sich unsichtbar machen und in Wäldern leben? Dass „Lederfisch zum Feierabend“ ein kulinarischer Genuss und Korea ein Paradies zum Geldausgeben ist? Dass K-Pop und Kaffeebrauen kein Widerspruch und Haha der Name eines Entertainers ist - kein Witz?! Dass Holzkunsthandwerk im Erzgebirge von einer Koreanerin gefertigt wird und deutsche „Tigermüt- ter“ keine Zähne haben?

In dieser Ausgabe erfahren Sie auch, was „Politisch korrekte Turnschuhe“ mit innerdeutscher Teilung und Goethes „Iphigenie“ zu tun haben und weshalb mangelnde Attraktivität einer Frau ein überzeugendes Heiratsmotiv für einen Mann sein kann, wie es die Autorin Han Kang in ihrem Roman „Die Vegetarierin“ beschreibt. Von komplizierten Beziehungen zwischen den Geschlechtern erzählt auch der Film „Right Now, Wrong Then“ des koreanischen Kultregisseurs Hong Sangsoo, der seit Anfang Dezember in deutschen Kinos zu sehen ist.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen, EIN SCHÖNES WEIHNACHTSFEST UND EIN GLÜCKLICHES, GESUNDES JAHR 2017!

Foto: Markus Kirchgessner Foto: Ihre Redaktion Kultur Korea

KULTUR KOREA / 1 INHALTSVERZEICHNIS

1 EDITORIAL

2 INHALTSVERZEICHNIS

LITERATUR

4 Rebellion einer Hausfrau Rezension über „Die Vegetarierin“ von Han Kang Von Maximilian Kalkhof

Leseprobe „Die Vegetarierin“

8 Han Kang auf Lesereise Von Katharina Borchardt

10 Groteske auf dem Land Über die Lesung mit Song Sokze aus seinem Buch „Das Dorf am Fluss“ Von Thomas Lindemann

12 Leben – Nebel Rezension über den Erzählband „Acht Leben“ von Hoon Von Lisa Meyer

GESELLSCHAFT

14 Lernen wie Konfuzius Ein Besuch der Akademie Sosu Seowon Von Fabian Kretschmer

17 Deutsche Tigermütter haben keine Zähne Einblick in das frühkindliche Bildungssystem Koreas Von Katrin Nam

19 Alt, älter, am ältesten Senioren in Korea Von Anne Stern-Ko

22 Lederfisch zum Feierabend Kulinarische Eindrücke aus Von Franz Lerchenmüller

24 Korea – ein Paradies zum Geldausgeben Über die koreanische Konsum- und Dienstleistungskultur Von Bettina Dirauf

27 „Gutes Aussehen [ist] wichtiger als Individualität“ Vom Streben nach dem perfekten Äußeren Von Nele Becker 2 / KULTUR KOREA KALEIDOSKOP 53 Blumen der Freundschaft 29 Ein Festival in Potsdam entfaltet sich zu einem Treffpunkt für Zeitmaschine Los Angeles Korea-Fans Über die koreanische Gemeinde am Pazifik Von Gesine Stoyke Von Alexander Krex MUSIK 31 Youtube auf der Überholspur 56 Fernsehen war gestern JazzKorea 2016 Von Nele Becker Ein Spiegel in weiter Ferne Von Matthias R. Entreß 33 Das Online-Portal Talk to me in Korean 59 Lerntipps von Hyunwoo Audition für das K-Pop World Festival 2016 Von Nele Becker im Berliner Tempodrom Von Lauren Fleischer 34 Die vielen Gesichter der Dokkaebi 60 Eine Einführung Haha Von Alexander Reisenbichler Die zwei Gesichter eines Entertainers Von Ute Fendler 37 Von und der Kunst des Kaffeebrauens 62 Ein Treffen mit „Mouse Rabbit”-Inhaber und Barista Jongjin Kim Der Traum von einer Gemeinschaft der Verschiedenen Von Bettina Dirauf Angelika Sarrazin beim Pyeongchang Special Music & Art Festival 2016 39 Von Dr. Stefanie Grote Von Korea ins Erzgebirge Im Gespräch mit Hyesung Kwak, angehende Holzspielzeug- 63 macherin Das Daegu Symphony Orchestra Von Gesine Stoyke Die moderne Kulturdelegation Koreas Von Matthias R. Entreß KUNST, THEATER, FILM 65 41 Seoul trifft Berlin – Tradition und Moderne DOKOREA 2016 Deutsch-koreanisches Gemeinschaftskonzert an Eindringliche Bildwelten in neuen Dokumentarfilmen renommiertem Ort in Berlin Von Jörg Krömer Von Patrick Becker

44 KOREA IM SUCHER DER KAMERA - FOTOREPORTAGE „Right Now, Wrong Then“ Kultregisseur Hong Sangsoo erstmalig im deutschen Kino 68 Von Gesine Stoyke Kommunikation und Versenkung Fotos von Markus Kirchgessner 47 Politisch korrekte Turnschuhe 72 Über das koreanisch-deutsche Theaterprojekt Töchter der Meere und Selfiesticks „Walls - Iphigenia in Exile“ Im Gespräch mit dem Fotodesigner Markus Kirchgessner Von Dr. Stefanie Grote Von Dr. Stefanie Grote

50 RÜCKBLICK IM BILD Französische Haute Couture trifft Hanbok Die Entwürfe der Designerin Saena Chun 74 im Koreanischen Kulturzentrum Neulich im Koreanischen Kulturzentrum & anderswo... Von Gesine Stoyke Juli bis Dezember 2016

80 IMPRESSUM

KULTUR KOREA / 3 LITERATUR - REZENSION REBELLION EINER HAUSFRAU SIE TRÄUMT DAVON, EINE PFLANZE ZU WERDEN

Von Maximilian Kalkhof

Als Yong-Hye zur Vegetarierin wird, zerbricht erst ihre Ehe, dann die Familie. In ihrem preisge- Leseprobe aus „Die Vegetarierin“ krönten Roman „Die Vegetarierin“ erzählt Han Kang die groteske Rebellion einer koreanischen Hausfrau.

Es muss ein Biedermann sein, wer seine Ehefrau so beschreibt: „Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig un- scheinbar.“ Nicht einmal attraktiv habe er sie bei der ersten Begegnung gefunden, sagt der Mann. „So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.“

Yong-Hye und ihr Mann leben in Seoul, sie sind seit fast fünf Jahren verheiratet und führen eine leidenschaftslose Ehe. Die Frau ist fügsam, sie ist eine Ehefrau ohne Eigenschaften, sie kocht und kümmert sich um den Haushalt. Und sie stellt keinerlei Ansprüche an ihren Mann. Für den ist das kein Makel. Im Gegenteil, er, ein koreanischer Kleinbürger, hat Minderwertigkeitskomplexe und ist antriebslos. Sein einziger Ehrgeiz ist es gewesen, die durchschnittlichste Frau der Welt zu heiraten, die ihm ein Frühstück serviert und keine Szene macht, wenn er mal spät aus dem Büro kommt. Nun leben die beiden in einem Gleich- gewicht der Gefühlslosigkeit, das nur durch den Umstand gefährdet ist, dass es so langsam Zeit für ein Kind wäre.

Doch dazu kommt es nicht. Das morbide Gleich- gewicht geht zu Bruch, als Yong-Hye beschließt, sich vegetarisch zu ernähren. „Ich hatte einen Traum“ ist die lapidare Begründung, die sie ihrem Mann für die Entscheidung liefert.

Der Roman „Die Vegetarierin“ der Koreanerin Han Kang, der in diesem Jahr den internationalen Boo- ker-Literaturpreis gewonnen hat, eine der wich- tigsten Literaturauszeichnungen Großbritanniens, ist die Geschichte einer Verwandlung. Und wie bei einer anderen, sehr bekannten Metamorpho- se der Literaturgeschichte, ist die Verwandlung gleich zu Beginn des Buchs ein Mittel, mit dem die Autorin sichtbar macht, was schon lange unter der Oberfläche gegärt hat.

4 / KULTUR KOREA Plötzlich ist er da, der blanke Horror

Nachdem Yong-Hye zur Vegetarierin geworden ist, verliert sie Gewicht und schläft kaum noch. Ihr Mann stellt entgeistert fest, dass er seine Frau überhaupt nicht gekannt hat. Bei einem Abendes- sen mit seinem Chef blamiert sie ihn, weil sie keinen BH trägt und für missbilligende Blicke in der Runde sorgt. Als auch noch ihr Sextrieb zurückgeht, reicht es ihm. Besoffen vergewaltigt er sie. Dass sie sich dabei wehrt, findet er ziemlich geil. Plötzlich ist er da. Der blanke Horror. Mitten in der Eigentumswoh- nung.

Mit dem Buch „Die Vegetarierin“, das jetzt auf Deutsch im Berliner Aufbau-Verlag erschienen ist, hat Han Kang eine Allegorie von archaischer Kraft geschaffen. In ihrer Dichte erinnert die mit rund 190 Seiten kurze Geschichte sofort an Franz Kafkas Para- bel „Die Verwandlung“. Und wie „Die Verwandlung“ lebt Han Kangs Roman davon, dass man seine Tiefe erahnen, aber kaum benennen kann. Er ist ein Gleichnis vom Menschen und der Gesellschaft, und von der Gewalt, die sich entlädt, wenn die Gesell- schaft versucht, den Menschen einzugliedern in das, was sie ein normales Leben nennt.

Kurz nach der Ehe versagt die nächste gesellschaft- liche Institution: die Familie. Bei einem von Yong- Hyes Mann einberufenen Familientreffen versucht ihr Vater, ein jähzorniger Vietnamkriegsveteran, sei- ne Tochter zum Fleischessen zu zwingen. In die Ecke getrieben schneidet sich Yong-Hye die Pulsadern auf. Nach dem Eklat trennt sich ihr Mann von ihr wie von einem kaputten Wecker.

Yong-Hye träumt davon, eine Pflanze zu werden

Han Kangs Roman ist in drei Kapitel unterteilt, jedes erzählt aus einer anderen Perspektive und in einem anderen Sprachstil. Im ersten Teil beschreibt Yong-Hyes Mann die Verwandlung seiner Frau aus der Ich-Perspektive, nüchtern und karg. Das zweite Kapitel hingegen platzt fast vor Sinnlichkeit. Yong-Hye, die nach der Trennung von ihrem Mann alleine lebt, träumt davon, eine Pflanze zu werden. Und ihr Schwager, ein melancholischer Künstler, aus dessen Sicht das Kapitel erzählt wird, entwickelt eine Obsession zu Yong-Hye, diesem „göttlichen Wesen, weder Mensch noch Tier, eher irgendetwas zwischen Pflanze und Urwild“. Die beiden schlafen miteinander wie zwei sich verzehrende Schling- pflanzen.

Als Yong-Hyes Schwester sie ertappt, ruft sie in ihrer Verzweiflung Sanitäter. Yong-Hye wird in einer

KULTUR KOREA / 5 Zwangsjacke in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingeliefert. Der dritte Teil beschreibt schließlich aus der Sicht von Yong-Hyes Schwester den Aufenthalt in der Psychiatrie.

In England, wo „Die Vegetarierin“ bereits im vergan- genen Jahr erschienen ist, ist der Roman zum Teil als Kritik an weiblichen Geschlechterrollen in Korea ge- lesen worden. „Die Erzählung macht klar, dass es der vernichtende Druck der koreanischen Etikette ist, der sie umbringt“, schrieb etwa der „Independent“.

Das ist ungefähr so hanebüchen, als würde man Kafkas „Die Verwandlung“ in erster Linie als Porträt der Prager Jahrhundertwende-Gesellschaft lesen. Natürlich spielt Han Kangs Roman in Korea. Dass er aber eigentümlich fremd daherkommt, liegt nicht etwa an der Kultur, sondern an der verstörenden Kompromisslosigkeit, mit der die Autorin schreibt. Und mit der sie unter Beweis stellt, dass Kafka in Ost- asien eine erstaunliche Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Auch Haruki Murakami beispielsweise versteht man besser, wenn man Kafka kennt. Der japanische Autor hat ihm in seinem Roman „Kafka am Strand“ ein eigenes Denkmal gesetzt.

1922 schrieb Kafka, der übrigens Vegetarier war, die Erzählung „Ein Hungerkünstler“. Sie handelt von einem Artisten, der zur Belustigung der Massen in einem Käfig hungert. Obwohl Hungern für ihn die leichteste Sache der Welt ist, lässt ihn sein Herr maxi- mal 40 Tage hungern. Erst als er in einem Zirkuskäfig vergessen wird, kann der Artist hungern, so lange er will. Endlich ist er frei, aber niemand ist da, der seine Kunst bewundern könnte. Als man ihn schließlich abgemagert und geschrumpelt findet und fragt, warum er eigentlich hungere, antwortet er: „Weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle.“

Im dritten Kapitel von „Die Vegetarierin“ liegt Yong- Hye in der Psychiatrie und hungert. Ein Familienmit- glied ist ihr geblieben, es ist die Schwester, deren Lebensinhalt es ist, sich um andere zu kümmern. Sie versucht, Yong-Hye zum Essen zu bewegen. Da fragt Yong-Hye: „Ist es denn verboten zu sterben?“ Es ist, als hörte man Kafkas Hungerkünstler sprechen.

6 / KULTUR KOREA Han Kang Die Vegetarierin Übersetzt von Ki-Hyang Lee Gebunden mit Schutzumschlag 190 Seiten Aufbau Verlag 978-3-351-03653-9 18,95 €

»,Die Vegetarierin‘ ist ein Meisterwerk.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

» [...] so etwas Intensives und Aufwühlen- des hat man lange nicht gelesen. « NDR Kultur

» Ein extrem vielschichtiger, sinnlicher, fantastischer Roman [...]. « Stern © Baek Dahum

Han Kang wurde in Gwangju, Südkorea, geboren. 1993 debütierte sie als Dichterin, ihr erster Roman erschien 1994. Für ihr literarisches Schreiben wurde sie mit dem Yi- Sang-Literaturpreis, dem Today’s Young Artist Award und dem Manhae Literaturpreis ausge- zeichnet. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Leseprobe endet hier Kulturinstitut Seoul. Mehr Informationen zur Autorin: www.writerhankang.com

Copyrights: SPIEGEL ONLINE, Maximilian Kalkhof, 15.08.2016 http://www.spiegel.de/kultur/literatur/die-vegetarierin-von-han-kang-sie-traeumt-davon-eine-pflanze-zu-werden-a-1107714.html KULTUR KOREA / 7 LITERATUR HAN KANG AUF LESEREISE MIT IHREM ROMAN „DIE VEGETARIERIN“

Die Autorin Han Kang (li.) und Sprecherin Julia Malik am 9.9. in Berlin

Von Katharina Borchardt

„Han Kang tritt hier auf? Gibt‘s doch gar nicht!“, ruft der junge wurde er in anderen Ländern doch schon zuvor vielseits Mann und bleibt verdattert stehen. Im Vorbeigehen hat er sich gelobt. Die größte Aufmerksamkeit hat er hierzulande aber erkundigt, was hier denn los sei. Denn die Türen zum „Prater“, sicherlich der Auszeichnung mit dem Man Booker International einem Theater in Berlin-Prenzlauer Berg, stehen offen; davor Prize zu verdanken, den Han Kang im Mai dieses Jahres in Lon- warten Menschen in Grüppchen auf dem Gehweg. Ein warmer don entgegennahm. So gelangte „Die Vegetarierin“ innerhalb Septemberabend. „Die Han Kang, die ,Die Vegetarierin‘ ge- kürzester Zeit auf die Spiegel-Bestsellerliste; das Buch verkauft schrieben hat?“, fragt er. „Das Buch lese ich gerade!“ Er nestelt sich prächtig. an seinem Rucksack, zieht den Roman heraus und zeigt ihn herum. Ist Han Kang nun also ein internationaler Literaturstar gewor- den? „Oh nein, das denke ich nicht“, antwortet sie verlegen. Es ist die Geschichte einer jungen Frau namens Yong-hye, die „Ich reise gern ins Ausland und gebe dort Lesungen“, sagt zuerst kein Fleisch und bald darauf gar nichts mehr essen will. sie leise, „aber das Unterwegssein strengt mich auch an. Am Sie entfremdet sich von Ehemann und Familie, wird schließlich allerliebsten bin ich eigentlich zu Hause.“ Han Kang lebt mit ih- in die Psychiatrie eingewiesen und zwangsernährt. Eine be- rem Sohn in der Nähe von Seoul. Zum Arbeiten hat sie sich ein klemmende Geschichte, die aber in ihrer poetischen Intensität Studio gemietet. „Von meiner Wohnung aus laufe ich zwanzig viele Leser anspricht. Auch den jungen Berliner, der sich spon- Minuten dorthin“, erklärt sie, „und der Weg führt durchs Grüne. tan eine Eintrittskarte an der Abendkasse besorgen will. Das genieße ich sehr.“

Berlin ist in diesem Spätsommer die erste Station auf Han Um das Jetlag niederzukämpfen, trinkt Han Kang vor der Kangs Lesereise; danach tritt sie in München, Zürich und Berliner Lesung einen großen Milchkaffee. „Zu Hause trinke Frankfurt auf. Anschließend reist sie weiter nach Amsterdam ich fast nie Kaffee“, sagt sie, „aber ich bin erst gestern aus und Paris. In anderen europäischen Sprachen liegen bereits Seoul angekommen, und dort ist es jetzt schon fast 2 Uhr in mehrere Bücher von ihr vor. Deutschland hinkt ein wenig hin- der Nacht.“ Rund 300 Zuschauer sind in den Berliner „Prater“ terher, ist „Die Vegetarierin“ doch Han Kangs bislang einzige gekommen, wo die Autorin im Rahmen des internationalen Romanveröffentlichung auf Deutsch. Die aber hat gerade literaturfestival berlin (ilb) liest. Sie trägt ein schlichtes schwar- großen Erfolg. Innerhalb weniger Tage nach Erscheinen wurde zes Kleid und eine Kette mit einem kleinen Blumenanhänger, der Roman in allen überregionalen Zeitungen ausführlich was ihr zurückhaltendes Wesen unterstreicht. rezensiert, und auch im „Literarischen Quartett“ im ZDF wurde er breit diskutiert. Aus dem Nichts allerdings kam er nicht, „Die Vegetarierin“ erschien auf Koreanisch bereits im Jahr

8 / KULTUR KOREA 2007. Wie ist es, wird gleichen und dass Blätter daraus wachsen. Jedes der drei Kapi- sie gefragt, heute tel kann für sich stehen, und Han Kang hatte sie zunächst auch noch so viel über separat voneinander in verschiedenen literarischen Zeitschrif- einen Roman zu ten veröffentlicht – immer aber mit dem Plan, sie schließlich sprechen, dessen zu einem Roman zusammenzuführen, erzählt sie in Frankfurt. Ersterscheinen bereits neun Jahre Interessant ist, dass dem Roman eine Erzählung vorange- zurückliegt? „An- gangen ist, die schildert, wie sich eine (andere) junge Frau fangs war ich sehr tatsächlich in eine Pflanze verwandelt. Sie heißt „Die Früchte überrascht über meiner Frau“ und ist die einzige Kurzgeschichte von Han diesen späten Erfolg“, Kang, die bislang auf Deutsch erschienen ist (in: „Koreanische antwortet sie. „Der Erzählungen“, hrsg. von Sylvia Bräsel, dtv 2005). Darin entdeckt Roman ist mir aber eine junge Frau blau-grüne Flecken auf ihrem Körper, die sich immer noch nah, immer weiter ausbreiten. Ihr Ehemann ist – anders als der auch wenn ich seither fühllose Mann von Yong-hye – aufrichtig besorgt. Er, der die schon drei weitere Geschichte erzählt, beobachtet, wie seine Frau nach und nach Romane geschrieben abmagert und verwahrlost, bis er sie nach seiner Rückkehr und mich also in ganz von einer Dienstreise auf dem Balkon vorfindet: verwandelt andere Geschichten in eine Pflanze. Die beiden leben in einem Apartment im 13. Han Kang in Berlin vertieft habe.“ Stock eines Hochhauses im Nordosten von Seoul. In dieser Geschichte geht es nicht um Fleischverzicht, sondern um den Sieben Romane, drei Erzählbände und eine Gedichtsammlung umfassenden Rückzug einer Frau aus der modernen Zivili- hat Han Kang bereits auf Koreanisch veröffentlicht. Ein beein- sation. „Das Bild von der Frau, die zur Pflanze wird“, erklärt druckendes Oeuvre für eine erst 45-jährige Autorin. Oft trage Han Kang, „ist mir eine Zeit lang sehr wichtig gewesen. „Nach sie eine ungelöste Frage aus einem Roman in den nächsten dieser bereits sehr tragischen Erzählung wollte ich noch eine hinein, um sie dort genauer zu untersuchen. In „Die Vegeta- weitere Variation zu diesem Thema schreiben. Daraus wurde rierin“ drehe sich alles darum, dass der Hauptfigur Yong-hye schließlich der Roman „Die Vegetarierin“, an dem ich zwei bis auf einmal bewusst wird, dass jeder Mensch eine gewaltsame drei Jahre lang gearbeitet habe und der viel düsterer ge- Seite besitzt. Diese Seite zeige sich auch darin, dass er Tiere worden ist als die vorangegangene Erzählung. Das hat auch um ihres Fleisches willen tötet. Yong-hye will sich dem radikal damit zu tun, dass ich in einem Roman ein Thema immer bis widersetzen und ruft bei einem Familienessen „Vater, ich esse ins Letzte ausreizen will.“ Han Kang, die selbst kein Fleisch, kein Fleisch.“ „Dieser Satz ist das Zentrum des Romans“, betont gelegentlich aber Fisch isst, geht in ihrem Roman unserem ge- Han Kang bei ihrer Lesung im Frankfurter Haus des Buches, waltvollen Umgang mit der Welt auf den Grund und zeigt, wie „denn damit grenzt Yong-hye sich auch gegen ihren brutalen kompromisslos eine sensible junge Frau darauf reagiert. Han Vater ab.“ Der aber versucht prompt, der enthaltsamen Yong- Kangs Romane sind radikal. Aufgrund des großen Erfolgs der hye das Fleisch mit Gewalt in den Mund zu pressen. Im daraus „Vegetarierin“ ist die nächste Übersetzung schon in Vorberei- erwachsenden Handgemenge schneidet sich die junge Frau tung. Der Roman „Human Acts“ soll im Herbst 2017 ebenfalls die Pulsadern auf. Diese dramatische Szene taucht in allen drei im Aufbau-Verlag erscheinen. Teilen auf, aus denen sich der Roman zusammensetzt.

Im ersten Teil erzählt Yong-hyes Ehemann davon, wie sehr es ihn ärgert, dass sich seine doch eigentlich angenehm durch- schnittliche Ehefrau immer exzentrischer aufführt. Die Ehe geht bald schon in die Brüche. In diesen ersten Teil sind auch kurze Szenen eingebettet, in denen Yong-hye von Gewalt und Fleischverzehr träumt. Im zweiten Teil führt ihr Schwager die Geschichte fort, indem er Yong-hye in ein erotisch aufgela- denes Kunstprojekt einbindet und ihren Körper mit Pflanzen Foto: privat Foto: und Blumen bemalt. Diese Bemalung gefällt der zunehmend geistesabwesenden jungen Frau sehr. Den Abschluss des Ro- Katharina Borchardt ist mans bildet die Erzählung der älteren Schwester, die die stark » Literaturredakteurin beim abgemagerte Yong-hye in einer psychiatrischen Einrichtung SWR2 und Mitglied der Jury der Bestenliste „Welt- besucht. Dort steht sie gerne im Handstand und stellt sich vor, empfänger“. Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos: dass ihre Hände in der Erde wurzeln, dass ihre Beine Ästen

KULTUR KOREA / 9 10 LITERATUR

/ KULTUR KOREA konzentrieren, nahmereineStelle in einemKonzern anund feierte,mit demerindenAchtzigern ganz zu schonErfolge der deutschenÖffentlichkeit. Schreiben,Statt sichaufsein lauer Berg auftrat, zeigte sicheinungewöhnlicher Charakter /im HausfürPoesieder Literaturwerkstatt Berlin inPrenz - des Literature Translation ofKorea Institut am24.Oktober in er nunaufEinladungdesKoreanischen Kulturzentrums und hat diemeisten derwichtigen Preise desLandeserhalten. Als heuteDer 56-Jährige gilt inSüdkorea alsgroßes Talent und Sung Suk-je). am Fluss“ von Sokze (früherübliche Song Transliteration auch: Han-Fluss vorgestellt: inDeutschland Roman Der „Das Dorf wurde einweiteres nennenswertes Werk am ausderRepublik Romans „Die Vegetarierin“ spürbar. derzeit von HanKang Nun von Lee Sung-U, des vor allemabernatürlich nachdemErfolg leicht surrealen Novelle „Das verborgene Leben derPflanzen“ Deutschland. wiederinteressanten, Das istnachBüchern Koreanische Literatur bekommt neueAufmerksamkeit in am 24.10.2016imHausfürPoesie inBerlin Song Sokze(Autor, li), KatharinaBorchardt (Moderatorin, Mitte), MichaelHase(Sprecher, re) undChristina Youn-Arnoldi (Dolmetscherin) Über dieLesung Sokze ausseinemBuch mitSong amFluss“ „Das Dorf GROTESKE AUF DEM LAND möchte man es nennen, einen Überfall undeineBelagerung, möchte manesnennen,einen Überfall EinScharmützel, umeinDorf. Kampf den, beschreibt eineArt im Wechsel Hasegelesenwur Michael mitdemSchauspieler dessenAuszüge Roman, fast300Seiten starke Der vom Autor wieder LacherimPublikum auslöste. mus sein.Fröhlich vorgetragener, wohlgemerkt, derimmer wieder alsregelrechter - Vagabund dasnurSarkas lebt, kann verdienen. einemAutor, Bei derAchtziger derseitMitte immer Hinweis, undum gutdaran ertuedasallesnurfürGeld zu mehrere Fragen Borchardt derModeratorin Katharina mitdem er Jedenfallsbeantwortete schwierige Situation zukarikieren. gung, seinealsAutor sowohl sicherlich experimentelle wie Dabei zeigte aucheinespürbare Nei- Sokze inBerlin Song seine Literatur zuformen.gesammelten Erfahrungen zu sein,ohnefesten Wohnsitz, derdabei undausdemSchatz dem berichtete eraber, aufReisen immerwiederdauerhaft machte jahrelang Pressearbeit inderfreien Außer Wirtschaft. Von Thomas Lindemann - -

Foto: Koreanisches Kulturzentrum Die Veröffentlichung des Buches (Verlag Horlemann) steht noch aus. bei der schnell nicht mehr sehr klar ist, auf welcher Seite man innerhalb der historischen Lage der Handlung. Der Tonfall, den seine Sympathien lassen soll. Eine Handvoll Menschen lebt die Übersetzerin Ki-Hyang Lee hier wählte, macht es dem Leser fern aller Urbanität in dem namenlosen Dorf am Oberlauf des aber nicht gerade leicht. 1 Nak-Dong, man könnte sich eine Hippie-Kommune vorstellen. Allerdings verweigert das Buch jede zeitliche oder popkul- Dennoch bleibt nach der Lektüre des wendungsreichen turelle Einordnung. Und dann tritt auch schon bald eine Art Buches, das sich zu einem Füllhorn von verschachtelten Storys Räuberbande auf den Plan, ein krimineller Haufen, der als entwickeln wird, eine Geschichte mit sehr progressivem An- erstes die Dorfschönheit zu vergewaltigen versucht. satz. Es geht letztlich darum, wie Familienstrukturen zerfallen und sich wieder neu bilden. In dem Dorf, so wird nach und Das eine wie das andere – die Dichter- und Denker-Idylle mit nach klar, haben sich Randexistenzen der Gesellschaft versam- Kurtisanen und Tanz einerseits, die aus der bösen Stadt her- melt, die nicht in die Sozialstruktur passten, aus der sie kom- ausgetriebene Gangstertruppe andererseits – verliert bald sei- men. Man kann das „Dorf am Fluss“ daher als Studie über die ne Kontur. Die Dorfbewohner zeigen verschlagene Seiten, die Familie der Zukunft lesen – als eine literarische Einfühlung in Räuber eine seltsame Klarheit und Aufrichtigkeit, und wenn die Frage, was moderne Wahlverwandtschaften sein könnten. die nur darin liegt, dass sie so ehrlich wie dumm sind. Der Dazu findet das Buch, das den Leser mehrmals einigermaßen Gangster Se-Dong nähert sich in einer vergifteten erotischen schockiert auf dem Weg durch die Story, sogar einige versöhn- Szene offenbar zum ersten Mal in seinem Leben einer Frau. liche Antworten. Diese, Sae-Mi, spielt das Spiel mit, und die Zeilen des entspre- chenden Kapitels geben keinen Aufschluss darüber, ob unter Umso bedauerlicher, dass der im Brandenburgischen Anger- Zwang oder womöglich mit echter Lust. Die sehr vertrackte münde beheimatete Horlemann-Verlag die Veröffentlichung Debatte über sexuelle Selbstbestimmung und die Grenze zur des Buches zunächst zurückziehen musste. Derzeit ist nicht Straftat, die hier mitschwingt, bleibt Assoziation, denn dem klar, wann es erscheint. Der vollständig gesetzte deutsche Räuber wird hart und fest mit einem Knüppel ein mindestens Text liegt aber vor – und dürfte den einen oder anderen Weg vorläufiges Ende gesetzt. in die Öffentlichkeit finden. Es gäbe dann eine weitere Facette koreanischer Literatur, eine etwas groteske, von teils bitterem Solche Stellen sind schon verwirrend. Viel diskutiert wurde Humor. Ein Gesicht also, das Südkoreas Autoren in Europa aber am Lesungsabend auch eine Spezialität der literarischen noch viel zu wenig zeigen. Anlage: Es gibt keine Anhaltspunkte, wann die Geschichte spielt. Sie wirkt oft wie ein Märchen des 19. Jahrhunderts. 1 „Das verborgene Leben der Pflanzen“ von Lee Sung-U hat sie übrigens Dann aber liegt plötzlich irgendwo eine Plastikplane, oder es auch übersetzt - und zwar äußerst frisch und lebendig. wird sogar ein Handy erwähnt. Also doch eine Posse aus der Gegenwart? Song Sokze erklärte, er habe das absichtlich im Unklaren gelassen. „Es ist sehr schwer, etwas zu beschreiben, das im Jetzt geschieht“, sagte der Autor dazu. „Schriftsteller suchen das nicht so leicht Greifbare.“

Mit dieser Besonderheit muss es zu tun haben, dass die Über-

setzung sich manchmal befremdlich traditionalistisch gibt, da Krug Manuel Foto: wird „gnädige Frau“ gesagt, ein „Glied“ aus einer Jeanshose ge- Thomas Lindemann ist Journalist und Buchautor. Er schreibt holt oder jemand bemerkt reichlich altbacken: „Ihr Hintern war » u.a. für die Frankfurter Allgemeine über feuilletonistische Themen fest“. Das hat (genau wie der halb-bayerische Hinterwäldler-Di- und veröffentlichte mehrere Bücher, darunter den Bestseller alekt, den die Figur Yeo-San bekommen hat) sicher einen Sinn „Kinderkacke – das ehrliche Elternbuch“.

KULTUR KOREA / 11 LITERATUR - REZENSION LEBEN-NEBEL Rezension über den Erzählband „Acht Leben“ von Kim Hoon

Von Lisa Meyer (Preisträgerin des Rezensionswettbewerbs)

Leben. Fünf Buchstaben, deren Bedeutung eigent- lich kaum fassbar ist. Die Naturwissenschaft unter- scheidet zwischen lebendiger und nicht lebendiger Materie. Die Philosophen hingegen betonen die Symbiose aus Körper, Geist und Seele. Leben. Die Sprachwissenschaftler lesen die fünf Buchstaben vielleicht von hinten nach vorne. Dann steht dort Nebel.

„Acht Leben“ heißt der Erzählband des südkore- anischen Schriftstellers Kim Hoon. Die deutsche Übersetzung ist vergangenes Jahr im Septime Verlag erschienen. In seinen vielschichtigen Erzäh- lungen zeichnet Kim Hoon tragische Helden, deren Leben von dem Morgendunst der regnerischen Nacht verschleiert zu sein scheint. Es sind bloß die kleinen Lichtblicke wie beispielsweise die Signale des Leuchtturms auf der Insel Sora in der Erzäh- lung „Seezeichen“, die den Nebel für einen kurzen Augenblick durchbrechen.

„Acht Leben“ ist ein Gesellschaftsporträt. Es ist jedoch nicht nur ein Abbild der koreanischen Bevölkerung, sondern Kim Hoon zeigt die Ge- meinsamkeiten des Lebens, des Scheiterns und des Zweifelns, die Menschen fernab verschiedener Kulturkreise miteinander verbindet. Deutschland und Korea trennen 8.549 Kilometer Luftlinie. Kim Hoons sachliche Sprache, seine einerseits feinen, andererseits jedoch auch distanzierten Beobach- In seiner Heimat hat sich Kim Hoon längst als eine Größe in tungen schrumpfen diese Entfernung auf eine Begegnung der koreanischen Literatur etabliert. 2001 wurde er für seinen von Angesicht zu Angesicht. Ob der beruflich gescheiterte zweiten Roman „Schwertgesang“ mit dem renommierten Taxifahrer Jangsu Kim, der frische Witwer, der sich in den ero- Literaturpreis Tong-in ausgezeichnet. Sein Erzählband „Acht Le- tischen Fantasien mit einer jungen Kollegin verliert oder der ben“ wurde unter dem koreanischen Titel „Gangsanmujin“ im krebskranke Changsu Kim − sie stehen alle vor den Trümmern Jahr 2006 veröffentlicht. Neun Jahre nachdem der Erzählband und verpatzen Chancen ihres Lebens. Sie kämpfen mit ihrem in Korea erschienen ist, wurde die Sammlung nun von Sun Schicksal, das ihr Leben für sie bereitgehalten hat. Doch es ist Young Yun, Michael Topp und Leonie Bätz aus dem Koreani- nicht, wie es sich vielleicht vermuten lässt, das Selbstmitleid schen übersetzt. der Protagonisten, das Kim Hoon zum Thema seiner Erzählun- gen macht. Es ist die Bedeutung reiner Körperlichkeit und der Die Erzählungen sind ein Sammelsurium aus Einzelschicksa- Schönheit der Natur, die alle Charaktere miteinander verbin- len, die sich jedoch am Ende wie ein Puzzle zu einem großen det. Ganzen zusammenfügen. So betrachtet Changsu Kim in der abschließenden Erzählung „Gangsanmujin, Panorama des Lebens“, ein berühmtes Gemälde des koreanischen Malers Yi

12 / KULTUR KOREA Gebunden mit Schutzumschlag 296 Seiten 22,90 € inkl. Mwst (D) 23,50 € inkl. Mwst (A) ISBN: 978-3-902711-45-8

Inmun, welches sich derzeit in dem Besitz des Nationalmuse- ein Schneesturm oder das Abendrot.“ Fast skurril wirkt dieser ums in Seoul befindet. Ein Arzt hat einige Wochen zuvor den Wechsel zwischen der sachlichen Beschreibung, wie der Krebs Krebsbefall seiner Leber diagnostiziert. Das Gemälde trägt den immer mehr den Körper seiner Frau angreift, und der jungen Titel „Gangsanmujindo“, auf Deutsch: die Abbildung endlos und gesunden Schönheit von Eunju Chu. Kim Hoon treibt den weiter Flüsse und Berge. Mit Tusche hat Yi Inmun ein Berg- und Kontrast sogar noch weiter auf die Spitze: Auf der Trauerfreier Flusspanorama aus verschiedenen Perspektiven auf Seide der verstorbenen Frau des Ich-Erzählers diskutieren seine Kol- gemalt. Als der kranke Changsu Kim das Gemälde betrachtet, legen über den Namen der neuen Herbstkampagne der Firma. fragt er sich: „Ob der Meister ein Abbild dieser Welt gemalt Zwischen den Slogans „Reise ins Innere“ oder „Leichtigkeit“ hatte, oder das eines Traumes im Mutterleib, und ob er sie mit soll eine Entscheidung gefällt werden. Passend zu Slogan und Tusche oder mit seinem Atem gemalt hatte - wer weiß?“ Für Location werden dann in einem zweiten Arbeitsschritt die Mo- den Protagonisten ist das Gemälde in diesem Moment der dels ausgewählt. Statt aufrichtiger Gefühle zeichnet Kim Hoon plastische Beweis dafür, dass die Natur der Ursprung allen ein Gesellschaftsbild, das geprägt ist von Oberflächlichkeit menschlichen Lebens ist. Das Bergpanorama wird in Bezug und Materialismus: „[…] sie […] analysierten ihre Haarqualität, gesetzt zu der Entstehung eines neuen Lebewesens in der die Tiefe ihrer Pupillen, die Höhe ihrer Liedfalte […].“ Teilweise Gebärmutter. Obwohl Changsu Kim sterbenskrank ist, erblickt wird bei dieser Erzählung aber leider der metaphorische Ver- er in dem Landschaftsgemälde die Endlosigkeit von Zeit und lust einer Übersetzung deutlich. Der koreanische Originaltitel Raum. Dass der koreanische Originaltitel des Bandes den „Hwajang“ (화장) bedeutet Kremation, aber auch Schminke. Ein Namen des besagten Gemäldes trägt, ist ein Hinweis auf die Wortspiel, das der deutsche Titel „Einäscherung“ nicht wieder- Relevanz der Geschichte für Kim Hoon selbst. Die letzte der geben kann. Eine Fußnote wäre an dieser Stelle wünschens- insgesamt acht Erzählungen wirkt ähnlich wie „Gangsanmujin- wert gewesen, um das Wortspiel des Literaten zu würdigen. do“ als Panorama. Leben, wie Kim Hoon es versteht, ist vielleicht seine Sprache. Die philosophischen Passagen der Sammlung bilden jedoch Sie ist ab und an distanziert und kalt. Sie erwischt den Leser eine Diskrepanz zu den teilweise extrem nüchternen Dar- mit voller Wucht, wenn er es am wenigsten erwartet. Aber stellungen des körperlichen Zerfalls der Protagonisten. „Der dann gibt sie sich auch wieder versöhnlich: „Um 18.25 Uhr Katheter drang endlos weit in meinen Körper vor. Die Harnröh- schaltete Gonsu Song das Leuchtfeuer ein. Alle zwölf Sekun- re schmerzte und der in der Blase eingeschlossene Urin schrie den wühlte nun ein Lichtbündel das Halbdunkel auf. [...] Der auf.“ Der Ich-Erzähler der Erzählung „Einäscherung“ leidet an Wind kam aus Südost, eine leichte, frische Brise.“ Der Leucht- einer Prostataentzündung. Seine Frau ist an einem Hirntumor turm auf der Insel Sora leuchtet verirrten Schiffen den Weg, erkrankt. „Sie ist tot“ lautet der erste Satz dieser wohl aus- wenn ihnen Sturm und hohe Wellen die Sicht nehmen. Leben druckstärksten Geschichte des Bandes. Der Ich-Erzähler, der als ist dann vielleicht das Wahrnehmen der Lichtstrahlen in der Vorstandsmitglied einer koreanischen Kosmetikfirma arbei- Dunkelheit. tet, bereitet die Trauerfeier für seine verstorbene Frau vor. In kurzen Rückblicken lässt er den Verlauf ihrer Krankheit Revue passieren: „Wenn meine Frau einen Anfall von Kopfschmerzen hatte, ging es soweit, dass sie ihre Haare ausriss und tiefblauen Magensaft erbrach.“ Kim Hoon ist kein Freund von Euphemis- men. Anders als der Roman „Der Tod meiner Mutter“, in dem privat Foto: der Autor der Süddeutschen Zeitung, Georg Dietz, den Kampf Lisa Meyer studiert derzeit im 6. Fach- seiner Mutter gegen den Krebs auf ähnlich ehrliche Art und » semester Sinologie und Germanistik an der Weise beschreibt, zeigt der Schreibstil Kim Hoons jedoch kaum Ruhr-Universität Bochum. Sie hat beim pathetische Züge. Wieso etwas beschönigen, an dem es nichts Rezensionswettbewerb 2016 der Ruhr- zu beschönigen gibt? Der Ich-Erzähler flüchtet vielmehr vor Universität Bochum und des Literature Trans- der Realität in seine Fantasien über Eunju Chu, eine junge lation Institute of Korea „Acht Leben. Erzählun- gen. Kim Hoon“ den 1. Preis gewonnen. Nach Kollegin der Kosmetikfirma. Seine Sprache wird dann weich dem Abschluss ihres Bachelor-Studiums und melancholisch. Die harte Realität, der Verfall körperlicher in diesem Jahr wird sie sich für den Master Materie weicht der Göttlichkeit der schönen Frau: „Oder du of Education in Bochum einschreiben. Das bist ein Geist, den man mit der Hand nicht greifen kann wie letzte Fachsemester hat sie in Taiwan an der National Taiwan University verbracht.

KULTUR KOREA / 13 GESELLSCHAFT

Die Architektur des Sosu Seowon soll sich in die umliegende Umwelt harmonisch einfügen - um ein Leben im Einklang mit der Natur zu ermöglichen.

LERNEN WIE KONFUZIUS Wohl kaum ein Land wurde derart von Konfuzius geprägt wie Korea. Noch heute suchen viele Koreaner Orientierung bei dem chinesischen Philosophen. Ein Besuch der Akademie Sosu Seowon, der ältesten konfuzianischen Privatakademie des Landes.

Von Fabian Kretschmer, Seoul

er sich auf den Weg macht, um Park Seok-hong zu fernt, gefühlt trennen die beiden Orte mehrere Jahrhunderte: besuchen, der glaubt, schon bald in penibel arran- Der Feierabendverkehr der Hauptstadt, die futuristischen Glas- Wgierten Landschaftsgemälden zu wandeln: Ein Bach türme des Stadtteils Gangnam, der quietschende Sound der fließt entlang steiniger Berghänge, Pinienbäume ragen ins K-Pop Beats – all das wirkt hier, inmitten von hölzernen Bauten Himmelblau, Spatzen zwitschern. Ein massives Holztor weist mit kunstvoll geschwungenen Dächern, unwirklich weit weg. ins Innere von Koreas ältester konfuzianischer Privatakademie, Seit 1550, also rund 80 Jahre vor der Gründung von Harvard, in deren Hallen bereits seit dem 16. Jahrhundert die Lehre des haben hier bereits die Zöglinge aus erlesenen Familien Astro- chinesischen Philosophen unterrichtet wird. „Die Abgeschie- nomie gelernt, wurden in sozialen Umgangsformen unterrich- denheit macht die Sosu Seowon zum idealen Ort, um sich auf tet oder haben die Werke chinesischer Poeten studiert. seine Studien zu konzentrieren. Zudem ist hier ein Leben im Einklang mit der Natur möglich”, sagt Leiter Park Seok-hong, Wohl kein Land der Welt wurde stärker vom Konfuzianismus ein besonnener Mann mit ergrauten Schläfen, blauem Som- geprägt als Korea. Da das Land seit jeher unter Einfluss Chinas mersakko und braunen Ledersandalen. stand, schwappte auch die Lehre des Philosophen zur Zeit der Drei Königreiche auf die koreanische Halbinsel über. Sie prägte Die Akademie liegt dreieinhalb Autostunden von Seoul ent- die gesellschaftliche Ordnung von Grund auf. Konfuzius lehrte Fotos: Fabian Kretschmer Fotos:

14 / KULTUR KOREA die Schüler rückwärts aus ihrem Sitzkreis tippeln, gebückt und in federleichten Schritten. Niemand hätte es gewagt, dem Lehrer seinen Rücken zuzuwenden.

Dabei ist es ebenjener absolute Gehorsam gegenüber Pro- fessoren und Chefs, für den der Konfuzianismus von einigen scharf kritisiert wird. Zudem wird er für eine ganze Handvoll weiterer sozialer Übel verantwortlich gemacht. Etwa für das vorherrschende Patriarchat, schließlich ist das Frauenbild im Konfuzianismus kaum mit Emanzipation und Gleichberech- tigung vereinbar. Ebenso wenig scheint die strikte soziale Ordnung kompatibel mit dem Gleichheitsgebot westlicher Demokratien. Im Nachkriegskorea (nach 1953) galt der Konfu- zianismus lange Jahrzehnte als altmodisch, rückwärtsgewandt und der Entwicklung des Landes hinderlich.

Dies änderte sich spätestens mit der Asienkrise während der Neunzigerjahre, als Zehntausende über Nacht ihre sicher geglaubten Arbeitsplätze verloren. Damals trat auch die spiri- tuelle Leere vieler Koreaner offen zutage. Der absolute Glaube an ewiges Wirtschaftswachstum verlor seine Allgemeingültig- keit. Viele richteten damals ihr Wertesystem neu aus. Seitdem blicken immer mehr Koreaner vermehrt in die Vergangenheit, um Antworten auf das Hier und Jetzt zu finden.

In „Temple Stays“ (Tempelaufenthalte) leben sie für einige Tage das zurückgezogene, asketische Leben der buddhistischen Park Seok-hong, Leiter der größten konfuzianischen Privatakademie des Landes, Sosu Seowon Bergmönche. In Scheinbeerdigungen zelebrieren suizidge- fährdete Angestellte in Firmenseminaren ihren Tod, um die das Individuum, wie es seine Persönlichkeit kultivieren und Einzigartigkeit des Lebens wieder schätzen zu lernen und die eine Familie führen soll. Dem Herrscher gab die Lehre einen Fesseln des Materialismus abzuwerfen. Und in konfuzianischen Leitfaden vor, seinen Staat zu lenken. Die Gemeinschaft lebte Akademien wie der Sosu Seowon entdecken Besucher die gemäß ihrer sozialen Ordnung – Park Seok-hong nennt dies jahrtausendealten Wurzeln der koreanischen Philosophie. die konfuzianische Utopie: „Ein König sollte wie ein König han- deln, ein Ehemann wie ein Ehemann, eine Frau wie eine Frau Bis zu 15.000 Schüler/innen belegen jährlich einen dreitägigen und ein Schüler wie ein Schüler“. Konfuzius-Kurs. Meist sind sie im Grundschulalter und werden auf Wunsch von ihren Großeltern in die Sosu Seowon ge- Bereits während der -Dynastie (1392-1910) wurde schickt. Dort lernen sie scheinbar anachronistische Praktiken, der Konfuzianismus zur Staatsphilosophie ausgerufen, und etwa, wie man sich während einer Teezeremonie verhält oder auch die Lehrpläne der Universitäten wurden entsprechend formgemäße Briefe an seine Eltern verfasst. ausgerichtet. Und noch heute wirkt diese Lehre im koreani- schen Alltag weiter: im ausgeprägten Ahnenkult, im Hinblick Vielleicht ist dies eine der zentralen, auch heute hochaktuellen auf den Respekt gegenüber Älteren und auch in Bezug auf den Lehren, die Koreaner aus der Sosu Seowon für ihren Alltag zentralen Wert von Bildung. mitnehmen können: Im Zentrum des Unterrichts stand damals keinesfalls das Staatsexamen zur Beamtenprüfung, sondern Dieser lässt sich deutlich in der Sosu Seowon erfahren. Die vor allem das intellektuelle Bemühen um den Wissenserwerb. Akademie unterrichtete auserlesene Schüler aus den umlie- In diesem Sinne entsprechen konfuzianische Akademien wie genden Dörfern in der konfuzianischen Lebensführung. Die die Sosu Seowon durchaus dem humanistischen Bildungsideal Beziehung zwischen Studenten und Professoren sei damals eines Alexander von Humboldt. Im Südkorea der Gegenwert eine ganz besondere gewesen, sagt Herr Park. Er zeigt auf die hingegen fokussieren viele Curricula hauptsächlich auf Tests, zwei separaten Wohnheime neben dem Lesesaal. Sie sind in Abschlüsse und Zertifikate. Die Unis werden allmählich zu wirt- ebenjenem Abstand konstruiert, dass das Haus der Lehrenden schaftsnahen Ausbildungsstätten, doch kritische Reflexion und niemals im Schatten des Studentenwohnheims stehen kann. Persönlichkeitsbildung drohen in den Hintergrund zu treten. Und sobald eine Vorlesung beendet war, sagt Park, mussten

KULTUR KOREA / 15 Auch Park Seok-hong bereitet diese Entwicklung Kopf- schmerzen. Wenn er über den Status Quo seines Heimat- landes sinniert, dann klingen seine Worte, als würde er über einen Zögling sprechen, der irgendwann vom rechten Weg abgekommen ist. Die alarmierenden Selbstmordraten, die Gier der Wirtschaftselite oder die Demonstrationen aufgebrachter Gewerkschaftsführer. „In der koreanischen Gesellschaft gibt es große Spannungen“, sagt Herr Park. Das Land sei geteilt – in politisch links und rechts, Alt und Jung, Nord und Süd. „Wir sollten diese nationale Krise mit den Werten des Konfuzianismus meistern, dem einzigen Weg, unser Land zu einen”.

Solch apokalyptische Worte mögen etwas allzu pessimis- tisch klingen, schließlich lässt sich die jüngere Vergan- genheit Südkoreas vor allem auch als Erfolgsgeschichte schreiben: Die 13.-größte Volkswirtschaft der Welt erstrahlt in nie dagewesenem Wohlstand, die Koreaner haben aus eigener Kraft die Demokratie erkämpft, und dank des Ex- portguts Popkultur schimmert die koreanische „Coolness“ mittlerweile über den gesamten Kontinent.

Auch Herr Park findet zum Abschluss seiner Führung ein paar versöhnliche Worte: „Natürlich haben wir in den tur- bulenten letzten Jahrzehnten viele unserer Werte verloren. Dennoch blicke ich optimistisch in die Zukunft. Es gibt ein Sprichwort im Konfuzianismus, das besagt: ,Lerne das Neue, indem du das Alte betrachtest‘. ”

Fabian Kretschmer, 1986 in Berlin » geboren, studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in Wien, Schanghai und Seoul. Er arbei- tet seit 2010 als freier Journalist für Zeitungen, Magazine, Onlinemedien und das Radio. Seit September 2014 ist er Korrespondent in Seoul, unter anderem für die taz, Wiener Zeitung und den Standard. Im August 2015 folgte die erste Buchveröffentli- chung im rowohlt Verlag: „So etwas

Foto: Heinrich Holtgreve Foto: wie Glück“.

16 / KULTUR KOREA GESELLSCHAFT

ls ich 2013 mit meiner Familie aus den USA nach Ko- rea kam, beschlossen mein Mann und ich, dass unser Asechs Monate alter Sohn Chase neben Englisch und Deutsch auch Koreanisch lernen sollte. Schließlich war er genetisch gesehen Halbkoreaner, und wir hatten vor, mehrere Jahre in Korea zu verbringen. Für mich schien eine dritte Sprache eine gute Zukunftsinvestition zu sein.

Doch schon bald nach meiner Ankunft musste ich feststel- len, dass meine Vorstellungen von idealer Kindererziehung stark von der koreanischer Eltern abwichen. Das Phänomen der „Tigermutter“, die ihre Kinder mit strenger Hand zum ununterbrochenen Lernen anhält und letztendlich zum schulischen Erfolg führt, mag in Deutschland nicht allzu geläufig sein, doch in Korea ist es Realität. In einem Land, in dem Bildung und der Abschluss von einer namhaften Universität gleichbedeutend sind mit wirtschaftlichem und sozialem Erfolg, beginnt der Kampf um heiß begehrte Plätze in Bildungseinrichtungen bereits im Vorschulalter. Kindererziehung ist in Korea nach wie vor Frauensache, und viele Mütter fühlen den Druck, ihre Kinder zu erfolgrei- chen Erwachsenen zu erziehen, der ihnen von der eigenen Familie und der Gesellschaft auferlegt wird. Viele Mütter Anzeigen für Nachmittagsschulen in einem Fahrstuhl in Korea finden wiederum Bestätigung im Erfolg ihrer Kinder und werden von der Gesellschaft an eben jenem gemessen. Während der ersten Monate nach meiner Ankunft besuch- ten Chase und ich mehrmals in der Woche - laut meinen DEUTSCHE koreanischen Freundinnen „absolut unentbehrliche“ - Kurse zur Förderung der Frühentwicklung von Babys. Ab TIGERMÜTTER HABEN dem Alter von elf Monaten schickte ich meinen Sohn dann aber an fünf Tagen der Woche in eine koreanische Kita. KEINE ZÄHNE Obwohl er weder sprechen noch laufen konnte, lernte er dort endlich die Vorteile eines minutiösen Stundenplans Einblick in das frühkindliche aus Kunstunterricht, Englischunterricht, Sport-, Kultur- und Bildungssystem Koreas Alltagsunterricht kennen. Ich wiederum erhielt jeden Tag auf mein Handy über eine spezielle App einen umfassen- Von Katrin Nam den Bericht mit vielen Fotos darüber, was Chase an diesem Fotos: Katrin Nam Fotos: Tag gegessen und gelernt hatte, ob und wie viel er in seine Windeln gemacht hatte und anderes mehr. Ich war sehr beeindruckt.

Anders als in Deutschland beginnt das koreanische Schuljahr im Frühling. Nach zweieinhalb Jahren an der Kita (orin-i-jib) wurde Chase dementsprechend im März 2016 in die erste Kindergartenklasse eingeschult. Er hatte das Glück gehabt, per Losverfahren einen Platz an einem der besten Kindergärten (yuchiwon) unseres Viertels erhalten zu haben. Dem Sohn einer Freundin hingegen erging es anders. Frisch in unsere Gegend gezogen, fand er alle Kindergartenplätze belegt vor, und die Warteliste war lang. Statt in einen städtischen Kindergarten geht er daher nun bis zum kommenden Frühling in eine Kita, die Kinder bis 7 Jahre aufnimmt. Ich hatte selbst letztes Jahr ein Beratungs- gespräch an dieser Kita. Das Personal schien mir kompetent zu sein, und der Stundenplan entsprach meiner Meinung nach dem Standard. Doch viele koreanische Mütter in

KULTUR KOREA / 17 unserer Gemeinde denken offenbar anders: „Wie können Sie Mein persönliches Ziel wird es sein, eine Balance zwischen Ihren Sohn in diesem Alter in eine orin-i-jib schicken?“, fragen der deutschen und der koreanischen Bildungsphilosophie zu sie meine Freundin voller Unglauben. „Da lernt er doch gar finden. Ich schicke meinen inzwischen fast vierjährigen Sohn nicht genug. Er muss sich doch auf die Einschulung vorberei- an vier Tagen in der Woche zum 40-minütigen Nachmittags- ten!“ Die dortigen Lehrer versichern, dass sie demselben Stun- unterricht in Basteln, Kunst und Lego. Außerdem geht er an denplan folgen wie die Kindergärten. Doch nur der Gedanke drei Tagen in der Woche zum Sportunterricht, wo mit leichter daran, dass der Unterricht einer Kita dem eines Kindergartens Hand neben sportlichem Spiel auch Höflichkeit und Disziplin nicht ebenbürtig sein könnte, lässt viele Mütter vor Angst vermittelt werden. In den Augen einiger meiner deutschen erschaudern. Freundinnen macht mich dies bereits zur „Tigermutter“. Meine Freundinnen hier finden allerdings, ich sei nicht anspruchsvoll Die Furcht, dass Kinder nicht genügend in der Schule oder genug. Eine von ihnen lachte mich gutmeinend aus: „Deutsche Vorschule lernen, hat auch einem anderen Zweig der Bildungs- Tigermütter haben keine Zähne,“ kicherte sie. industrie zum Erfolg verholfen: dem professionellen Nach- hilfeunterricht. Um dem gefühlten Mangel an Vorbereitung Wer weiß? Vielleicht bedeutet die Kritik von beiden Seiten unserer Kinder für den Eintritt in die erste Grundschulklasse letztendlich, dass mein Balanceakt erfolgreich ist. entgegenzuwirken, plagte ich mich gemeinsam mit zwei Freundinnen durch drei jeweils 90-minütige Präsentationen von Privatfirmen, die beeindruckend umfassendes Material zum Selbststudium und für Nachhilfestunden für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter anbieten. So soll sicher- gestellt werden, dass kein Schüler beim Lernen zurückfällt. Schulunterricht allein sei nicht ausreichend, wurde mir erklärt. Selbststudium und Nachhilfe seien der einzige Weg zum Erfolg. Und ich käme genau zur richtigen Zeit, denn ab Herbst 2016 sei endlich auch Material zum Studium für Kinder ab 24 Monaten erhältlich. Wie passend das sei, da meine Tochter Leah doch im Oktober zwei Jahre alt werde!

Ich sehe äußere Anzeichen des hohen Leistungswillens überall in unserer Nachbarschaft. Die Fenster vieler Gebäude sind gepflastert mit Bannern, die private Nachmittagsschulen aller Art anpreisen. Zusätzlich brausen zahllose gelbe Schulbusse durch die Straßen, um Kinder morgens zum Kindergarten oder zur Schule und später zum Nachmittagsunterricht zu fahren. Die Mehrzahl der koreanischen Kinder hat volle Arbeitstage. Mathe-, Kunst-, Musikinstitute, Taekwondo, Ballett, Schwim- men; selbst Einrichtungen, die versprechen, aus Kleinkindern Kinderstars für‘s Fernsehen und für die Musikindustrie zu machen, finden reichlich Zulauf. Bereits ab dem ersten Jahr wird in Kindergärten Englisch durch muttersprachliche Engli- schlehrer gelehrt, welche gezielt aus dem Ausland angewor- ben werden. Ziel ist es, dass Kinder bereits im Kindergarten Koreanisch schreiben und lesen lernen sowie in der Lage sind, einfache Matheaufgaben zu lösen.

Nach über drei Jahren hier in Korea hat die koreanische Erziehungskultur durchaus beeinflusst, wie ich meine eigenen Kinder erziehe. Ich werde Chase und seiner kleinen Schwester Leah sicherlich wesentlich mehr Disziplin und Leistung abver- langen, als es meine antiautoritär eingestellte Mutter mit mir getan hat.

Ich habe mich aber mit meinem Mann darauf geeinigt, dass Regine Choi Foto: unsere Kinder höchstens bis zum Ende des Kindergartens im Katrin Nam (* 1979) wuchs in Berlin-Kreuzberg auf. Sie absol- koreanischen Schulsystem bleiben werden. Ab der ersten Klas- »vierte einen Magister in Japanologie mit den Nebenfächern Politik- se sollen sie dann auf eine internationale Schule gehen. Ich bin wissenschaft und Neuere Geschichte an der Freien Universität und nach wie vor überzeugt, dass Selbstdisziplin und Beharrlichkeit der Humboldt-Universität Berlin. Von 2009 bis 2013 lebte sie in den ein unentbehrlicher Bestandteil von Erfolg und Selbstverwirkli- USA. 2013 zog sie mit ihrem Mann, einem Amerikaner koreanischer chung jeder Art sind. Abstammung, und ihrem Sohn Chase aus beruflichen Gründen nach Korea. Dort wurde 2014 ihre Tochter Leah geboren.

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Bis ins hohe Alter fleißig Senioren im Park (Foto: Joachim Dirauf) (Foto: Stefanie Grote) Alt, älter, am ältesten Senioren in Korea Von Anne Stern-Ko ie Weltbevölkerung altert: Wer weiß das nicht? So auch 58, spätestens 60 in Rente gehen (bzw. es werden Angestellte die koreanische Bevölkerung. Und wie in vielen anderen manchmal aus Kostengründen in den vorzeitigen Ruhestand, DBereichen gilt auch hier in Korea die Devise: „Be the die sog. „ehrenvolle Pensionierung“, gedrängt). Die meisten best! Immer eine Nasenlänge voraus!“ Nicht, dass die korea- fühlen sich zu fit für den Ruhestand oder können sich das nische Regierung je auf die Idee gekommen wäre, diesen auf Rentendasein wegen laufender Kosten schlichtweg noch nicht allen anderen Gebieten wirklich sehr koreanischen Slogan nun leisten. Hauptproblem: Die Kinder stehen finanziell noch nicht auch noch auf die Alterung der Gesellschaft anzuwenden! ... (alle) auf soliden Beinen bzw. sind noch nicht verheiratet; erst auch wenn ein hohes Alter schon immer der Wunschtraum der nach der Hochzeit des letzten Sprösslings kann der verheirate- koreanischen Weisen war und man nicht nur in Korea, sondern te koreanische Senior endlich aufatmen und sich halbwegs zur in ganz Nordostasien seit alters her auf der Suche nach dem Ruhe setzen. Das durchschnittliche Heiratsalter liegt in Korea „Elixier des ewigen Lebens“ war. derzeit allerdings erst bei 35,8 Jahren bei Männern und 32,7 Jahren bei Frauen… . Aber nun ist es halt so gekommen, dass die Republik Korea auch in Sachen Alterung dabei ist, weltweit Rekorde zu Unabhängig davon fühlen sich viele koreanische Senioren knacken: 2014 betrug der Anteil der Senioren über 65 rund aber einfach noch zu jung, um ihre Freizeit mit Go-Spielen im 12,7%, d.h. eine von zehn Personen war Senior. 2040 sollen Park zu verbringen. In den koreanischen Bergen tummeln sich laut Prognosen auf zehn Junge drei Alte kommen. Lag 1980 stets Scharen von Damen und Herren über 60, bei denen kein die durchschnittliche Lebenserwartung in Korea nur bei 66 graues Haar Aufschluss über das Alter gibt, da jeder, der über Jahren, so waren 2013 schon 82 Jahre erreicht. War 1980 die 60 ist und etwas auf sich hält, sich alle paar Wochen die Haare koreanische Bevölkerung noch 25,9 Jahre jung, lag das Durch- schwarz nachfärbt oder nachfärben lässt (leuchtendes Beispiel schnittsalter 2014 bereits bei 40,3, Jahren; für 2040 werden u.a. meine 82-jährige Schwiegermutter) - von wegen silber- 49,7 prognostiziert. 1 grau mit lila Strähnchen… .

Gründe für die schon zahlenmäßig spürbare Alterung sind der Was also tun, wenn man statistisch gesehen alt ist, sprich 60 medizinische Fortschritt und die bessere Gesundheitsversor- oder gar 65, sich aber noch nicht alt fühlt und es bis zur Be- gung, das generelle Interesse an Gesundheit – Hauptwerbe- treuung von Enkeln – in der Regel Omasache – noch weit ist? slogan in Korea: „DAS ist guuut für die Gesundheit!“ –, und die Ein Ausweg: Taxifahren! Das bringt Geld, soziale Kontakte und niedrige Geburtenrate, denn trotz strotzender Gesundheit Bewegung! Immerhin gibt es allein in Seoul 70.000 Taxifahrer. sind die jungen Koreaner im weltweiten Vergleich statistisch Und ich möchte nicht wissen, wie viele im ganzen Lande über gesehen extrem fortpflanzungsunwillig: Laut dem „World Fact 60 sind und sich aus den genannten Gründen mit Taxifahren Book“ lag 2015 die geschätzte Fruchtbarkeitsrate unter den die Zeit vertreiben und die Rente aufbessern oder einfach nur 224 erfassten Ländern der Welt bei 1,25 Kindern pro Frau im aus Spaß fahren. 2016 sollen jedenfalls allein in Seoul 43,7% al- gebärfähigen Alter, da wird Südkorea nur noch von Hong- ler Taxifahrer über 60 sein. Einer meiner Lieblingstaxifahrer ist kong, Taiwan, Macau und Spitzenreiter Singapur (2015: 0,81) über 80 und putzmunter, der älteste in Seoul soll über 90 sein, getoppt. In Deutschland registriert die Statistik immerhin noch fährt aber nur zwei Stunden am Tag; ich hatte bislang aber 1,44 ... ein Thema für sich und ein weites Feld, das hier nicht noch nicht die Ehre, von ihm chauffiert zu werden. Übrigens weiter beackert werden soll. sind auch nicht wenige Frauen über 60 unter den Taxifahrern; die Begegnung mit der ersten Taxifahrerin in Korea, die mir Das Problem der Alterung der Gesellschaft ist umso gravieren- erzählte, dass sie gegen Ende der 1960er Jahre mit diesem Job der, als dass in Korea Beamte und Angestellte meist schon mit ihre Familie durchgebracht habe, ist mir heute noch in Erinne-

KULTUR KOREA / 19 Li: Marktverkäuferin im Seniorenalter (Foto: Joachim Dirauf) Re: Ein älterer Herr verkauft Zuckerwatte (Foto: Stefanie Grote)

rung. Taxifahren ist auf jeden Fall eine sehr koreatypische Wer als Senior seine Freizeit sinnvoll gestalten möchte, der Art, die reichliche Freizeit im Alter zu füllen, sich nützlich zu kann das u.a. auch in einem der zahlreichen Kulturzentren fühlen und nebenher noch etwas zu verdienen. Übrigens ist tun, die sich in Korea eigentlich in jedem Kaufhaus oder jeder das hohe Alter vieler Taxifahrer derzeit auch Diskussionsge- volkshochschulähnlichen Einrichtung finden. Solche Zentren genstand, und es gibt Bestrebungen, die Regelungen für die bieten zu günstigen Preisen regelmäßig Kurse an, sei es in Erneuerung der Fahrlizenz zu verschärfen. Sprachen, Malen, Singen, Tanzen, Literatur, Dichtkunst, Yoga, Meditation oder Kalligrafie. Diese in der Regel dreimonatigen Ansonsten ist Reisen ein großer Sport der koreanischen Senio- Kurse erfreuen sich großer Beliebtheit, da sie es Senioren ren über 60. Es ist ja die Generation, die während der Wirt- erlauben, regelmäßig mit Gleichgesinnten zusammenzukom- schaftsaufbaujahre kaum mal eine Gelegenheit hatte, Urlaub men und ihren Horizont zu erweitern. Nur im Sommer und im zu machen, und wenn überhaupt, dann maximal im Inland auf Winter gibt es rund vier bis sechs Wochen Ferien, ansonsten der Ferieninsel Jeju-do oder im Nachbarland Japan; zu China läuft der Betrieb ununterbrochen weiter. bestanden damals ja noch keine Kontakte. Auslandsreisen waren bis einige Jahre nach den Olympischen Sommerspielen Aber auch von staatlicher Seite hat man längst erkannt, dass in Seoul 1988 auch von koreanischer Seite aus Devisengrün- man die Senioren nicht einfach sich selbst überlassen kann. den mit zahlreichen Beschränkungen behaftet. Man konnte Es wurden landesweit auf Kommunalebene vermehrt sog. nicht so einfach raus aus dem Land. Entsprechend groß ist Sahoe Bokjigwan-Zentren eingerichtet; das sind kommunal wohl bis heute der Nachholfbedarf der älteren Generation. betriebene Kultur- und Sozialeinrichtungen speziell für Se- Das wurde mir auch erst so richtig klar, als die Imo, die jüngere nioren. Dort wird an den einzelnen Wochentagen eine Reihe Schwester meiner Schwiegermutter, die vor der Millenniums- von Veranstaltungen für Senioren angeboten, von denen wende nie einen Fuß außerhalb Koreas gesetzt hatte, begann, einige kostenpflichtig, die meisten aber kostenlos sind. Zu Gruppenreisen in alle Ecken und Enden der Welt zu unterneh- den kostenpflichtigen Veranstaltungen, für die allerdings men: Japan, China, Europa, Südostasien – wahrscheinlich war für zwölf Wochen nur umgerechnet knapp 12 bis 25 Euro sie mittlerweile in mehr Ländern der Welt als ich. Und meine berechnet werden, gehören z.B. Altkoreanisch, Fertigkeiten Schwägerin (58) unterhält mit guten Freundinnen eine Art in der Anwendung von Smartphones, Reigentanz, therapeu- privaten Sparfonds: Da zahlt dann jedes Mitglied der Grup- tisches Yoga, Tischtennis und traditionelle Malerei. Umsonst pe pro Monat einen bestimmten Betrag ein, von dem dann sind Handakupunktur, Chinesisch-, Japanisch-, Englischkurse, zusammen eine Gruppenreise organisiert wird. In Zeiten von Schicksalsdeutung nach der chinesischen Astrologie, Compu- 10% Bankzinsen hat sich dieses koreaweit verbreitete System terkurse, Internetnutzung, Multimedia-Anwendungen, tradi- wirklich gelohnt, ausgestorben ist es aber trotz mickriger 1,2% tionelle koreanische Tänze, Gymnastik, Aerobic, das Erlernen Zinsen heutzutage noch immer nicht; die Masse macht es halt der Kugelflöte Okarina, der gitarrenähnlichen Ukulele sowie noch halbwegs lukrativ. Zuletzt hat meine Schwägerin auf der Mundharmonika, traditioneller koreanischer Bauerntanz diese Weise jedenfalls eine Kroatien-Reise finanziert. Übrigens und traditioneller epischer Sologesang Pansori. eine reine Damenreise. Koreatypisch ist eben auch, dass die Senioren oft in reinen Herren- oder Damengruppen auf die Die meisten Stadtbezirke unterhalten mittlerweile solche Reise gehen oder aber in Gruppen befreundeter Ehepaare. Treffpunkte für Senioren, in denen ausgebildete Fachkräfte Meist sind das die Oberschulfreunde der Männer. Doch ist zu unterrichten. Für ein, zwei Euro gibt es ein Mittagessen, so- beobachten, dass spätestens seit dem Jahr 2000 auch unter dass auch für die Verpflegung gesorgt ist. Das Unterrichts- den älteren Koreanern Individualreisen beliebter geworden programm, das von Montag bis Freitag angeboten wird, läuft sind. in der Regel von 9.00 bis 16.00 Uhr, d.h. das Angebot ist

20 / KULTUR KOREA durchaus tagfüllend.

Ansonsten haben v.a. die Herren in der Stadt so ihre Treff- punkte. In Seoul ist z.B. der Tapgol-Park in der Seouler Innen- stadt zu nennen, wo man eigentlich zu jeder Jahreszeit Go spielende Senioren antreffen kann. Auch der Han-Fluss bietet Freizeitmöglichkeiten, wie ich bei meinen Spaziergängen dort beobachten kann: Dort finden sich eigentlich immer ältere Herren, die angeln. Andere Senioren nutzen die Sportgeräte, die den ganzen Fluss entlang in regelmäßigen Abständen zu finden sind, um sich fit zu halten. Unter der Mapo-Brücke probt regelmäßig und lautstark eine Rentner-Samulnori 2 - Band ihre traditionellen Percussion-Stücke, an einem ande- ren Rastplatz treffe ich immer eine Seniorin, die Arirang auf der Okarina (derzeit sehr beliebt in Korea) übt, und einen Kilometer weiter spielen Senioren bei gutem Wetter auf einem öffentlichen Platz oft Croquet, was wesentlich billiger als Golf ist, die Sportart der betuchteren Koreaner.

Allerdings sollte man die Augen nicht davor verschließen, dass trotz aller Bemühungen von Regierungsseite, den Senioren ei- nen erfüllten Lebensabend zu bieten, Altersarmut ein Problem in Korea ist, da die jetzige Generation der Senioren zu einer Zeit mit der Erwerbstätigkeit begann, als nur Militärangehöri- ge und Beamte in den Genuss des Sozialversicherungssystems Foto: privat Foto: kamen. War es früher selbstverständlich, dass die Kinder die alten Eltern unterstützten, so ist das heute nicht mehr unein- Anneliese Stern-Ko ist verhei- geschränkt der Fall. Die koreanische Gesellschaft sieht sich » ratet mit einem Koreaner und wohnt seit 1985 in Seoul. Sie ist daher enormen Herausforderungen gegenüber. Lektorin an der Graduate School of Interpretation and Translation der Hankuk University of Foreign 1 http://news.jtbc.joins.com/article/article.aspx?news_id=N- Studies und übt verschiedene B10813708&pDate=20150319 freiberufliche Tätigkeiten aus: 2 Koreanische Perkussionsmusik (Anm. d. Red.) Lehrbuch- und Wörterbuchent- wicklung für DaF, Mitarbeit bei EBS-TV und EBS-Radio, KBS World Radio (world.kbs.co.kr/german) und der Vierteljahreszeitschrift KOREANA (www.koreana.or.kr).

KULTUR KOREA / 21 GESELLSCHAFT

LEDERFISCH ZUM FEIERABEND

Die koreanische Küche ist süß und scharf, meist harmonisch, manchmal schrill und immer wieder für eine Überraschung gut. Wo könnte man sie besser kennenlernen als in Seoul?

Von Franz Lerchenmüller

ie Reise in Koreas Küche beginnt mit einem Pauken- schlag, gefolgt von einem Trommel-Gewitter der Dheftigsten Art. Es findet statt auf der Bühne des Nanta- Theaters in Seoul, wo vier Köche gerade gewaltig unter Zeit- druck geraten. In einer Stunde sollen zehn Hochzeitsmenüs stehen, und noch haben die vier nicht mal angefangen. Denn den Anarchisten in Weiß kommt immer wieder etwas dazwi- schen: ein heißer Flirt, ein tumber Küchenjunge, vor allem aber die Lust an der möglichst lauten Zweckentfremdung unschuldigen Küchengeräts. Dann hacken Messer gnadenlose Rhythmen auf die Schneidbretter, der Kimchi-Topf donnert Bässe, es regnet Chinakohl ins Publikum - kein Wunder, dass die Küche sich schließlich in den größten Saustall verwandelt, den ein Chef je zu Gesicht bekommen hat. Das berühmte Theater bildet genau die passende Begleitung für eine Exkursion in die Küche der Zehn-Millionen-Metropole. Jener Stadt, in der handgemalte Werbetafeln sich neben lastwagenbreiten Videowänden behaupten und kleine Zie- gelbauten mit großen Schriftzeichen sich in den Schatten der verspiegelten Hochhäuser ducken. Noch existiert Alt neben Brandneu in Seoul – auch in der kulinarischen Landschaft. Harmonie ist seit Urzeiten das oberste Gebot der Küche Ko- reas: Immer sollen alle Geschmacksrichtungen in einem Essen versammelt sein. Deshalb gruppieren sich bei jeder Mahlzeit sche Wunderwaffe ist es obendrein. verschiedene Schüsselchen um das Hauptgericht: Chilipaste, Für den Besucher von heute hat Seoul zu jedem Anlass das Sesamöl, gepickelte Fischchen. Und deshalb hat auch fast passende Essen parat. Den Tag, an dem er den „Schrein der jedes Gericht eine süße Note und, oft erst im Abgang, eine königlichen Ahnen“ und das „Tor der erhabenen Zeremonie“ gewisse Schärfe. besichtigt hat, schließt ein Essen im Korea-Haus am stilvollsten Der für Koreaner wichtigste Geschmack dabei aber ist „sauer“. ab. Dort wird ihm in einem im Stil der Joseon-Zeit (1392-1910) Es ist nicht alles Kohl in Koreas Küche, aber eine Mahlzeit erbauten Haus Essen aus jener goldenen Epoche Koreas ser- ohne Kimchi, das fermentierte Gemüse, ist aus koreanischer viert. Damen in traditioneller Tracht servieren das traditionelle Sicht nicht komplett. Auf dem Gwangjang-Markt kann man Menü: Rippchen mit Kastanie, Aal auf Wasserkresse, Sesam- zwischen Geschäften mit Reiskochern und Sportschuhen die blatt-Suppe mit Thunfisch. Der Raum ist nüchtern, der Ablauf verschiedenen Zubereitungen kennenlernen. 16 Varianten wirkt formell. Aber genau so vermittelt er einen Eindruck der präsentiert etwa „Kimchi-Halme“ - die Kimchi-Oma - in ihren früheren, strengen Etikette in besseren Häusern. Cromargan-Schüsseln: Chinakohl, Rettich, Gurke, Löwenzahn, Das quirlige Leben im Stadtteil Hongdae ist genau das Gegen- Rüben, Lotuswurzel... Der Leib- und Magenspeise ist sogar teil davon. Hier tobt das junge, feierwütige Seoul durch die ein eigenes Museum gewidmet. Schon Konfuzius, erfährt Neonnächte und feiert bei dröhnender Musik Eumjugamu, die man dort, wusste im 6. Jahrhundert v.Chr. in Salz eingelegtes Einheit von Tanzen, Trinken und Singen. Aufgestylte Studen- Gemüse zu schätzen. Erst durch die Kunst des Fermentierens tinnen himmeln Boy-Groups an, die im Park auftreten, und auf konnte man Kohl & Co. als Vitaminquelle für den Winter erhal- den Straßen huldigt man den allerletzten kulinarischen Trends: ten. Kimchi beugt angeblich Krebs vor, stärkt das Immunsys- Lange Schlangen stehen vor den Ständen mit Tiramisu-Eis und tem, reduziert Stress und hält generell in Form – eine medizini- spanischen Churros. Kein Platz findet sich in den Chimaek-Re-

22 / KULTUR KOREA staurants – die Kombination von Hühnchen (Chicken) und Bier weizen, mit Birne und Rindfleisch gemischt, wie sie seit 1946 (Maekju) zieht das Feiervolk derzeit magisch an. im Restaurant „Wooraeok“ serviert wird, der Renner ist. Oder Märkte zu besuchen, ist stets eines der größten Vergnügen ob doch die bissfestere Variante aus Süßkartoffeln, mit Gurke, in einem unbekannten Land. Im Jungbu-Markt decken sich Ei und Schweinebraten, wie sie das Ojangdong Heungsonjib auf Einzelhändler und Restaurantchefs mit Trockenfisch, Algen den Tisch bringt, vorzuziehen sei. Grundsätzlich, da sind sich und eingelegten Meeresfrüchten ein. Gedorrte Anchovis beide Parteien einig, ist die Suppe, die einst geflüchtete Nord- rascheln in Körben, kleine Rochen-Mumien blicken den koreaner in den Süden mitgebracht haben, eine Köstlichkeit, Kunden vorwurfsvoll an. Stolz präsentieren die Verkäufer Gulbi für die man gern auch mal etwas mehr Geld hinlegt. – getrocknete, barschähnliche Fische, die mit Bast zu pittores- Selbst auf der 1400 Meter langen Brücke Mapodaegyo, die ken Ketten verknüpft sind. Früher, erzählen sie lachend, hatte als Absprungsort für Selbstmörder verschrien ist, finden sich jeder Geizkragen zuhause einen Gulbi an der Wand hängen: kulinarische Hinweise. Zwischen einem Sorgentelefon und Zu jedem Bissen Reis gönnte er sich einen appetitanregenden tröstender Lyrik -„Rote Kamelien blühen im Schneesturm, Blick auf den Fisch – angerührt wurde der nie. deshalb sind sie so rot. Hier stehst du, gegen den Wind, und Ganz in der Nähe des Marktes erstreckt sich Sindangdong, die wirst blühen wie ein Kamelie“ – sind Fotos von geröstetem berühmte Straße der Tteokbokki-Restaurants. Grandma Ma Schweinebauch, einem bunten Meeresfrüchte-Eintopf und Bok Rim betrieb hier vor über 30 Jahren einen kleinen Imbiss, einem Huhn in Brühe auf das Geländer geklebt. „Schmeckt es der so gut lief, dass heute die ganze Nachbarschaft das gleiche nicht köstlich?“ steht daneben. Zumindest die Feinschmecker Gericht anbietet. Auf den Gasherd, der in der Mitte eines jeden unter den Seoulern sind überzeugt, dass die Aussicht auf einen Tisches eingelassen ist, kommt ein Topf mit Zwiebeln, Nudeln leckeren Abendimbiss auch noch den entschlossensten Selbst- und Lauch sowie Reiskuchen- und Fischkuchenstücken. Lang- mörder vom Sturz in die Tiefe abhalten müsste. sam beginnt die scharfe, rote Brühe zu brodeln, Abzugsstutzen hängen über jedem Tisch von der Decke wie kupferne Rüssel. Und dann wird gemeinsam gefuttert... Koreaner und Koreanerinnen arbeiten hart, oft elf, zwölf Stunden am Tag. Was anschließend geschieht, wenn sich ganze Bürogemeinschaften in Kneipen wie der „Bier Halle“ treffen, lässt sich am ehesten mit dem Wort „Druckbetankung“ umschreiben. Die Zeit ist kurz, ein, zwei Stunden, in denen es gilt, sich möglichst viel Cass- oder Hite-Bier, Makgeolli, einen leichten, milchigen Reiswein, oder Soju, den billigen Reis- schnaps, einzuverleiben. Dazu gibt es Snacks wie flachgepress- ten „Lederfisch“, der wie Tiffany-Glas schimmert, getrockneten

Oktopus oder rohe Scheiben von der Seescheide. Foto: Kaija Wosnitza Die Stimmung steigt im Minutentakt, die Minen hellen sich auf. Wenn es um zehn Uhr nach Hause geht, ist die Verabschie- Franz Lerchenmüller dung überschwänglich – der Druckausgleich hat funktioniert. » berichtet als freier Reise- journalist aus aller Welt für Essen ist für die meisten Koreaner ein enorm wichtiger Teil des verschiedene deutsch- Alltags, für manche gar der halbe Lebensinhalt. Stundenlang sprachige Zeitungen und können sie streiten, ob denn die kalte Nudelsuppe aus Buch- Radiostationen. Fotos: Stefanie Grote Fotos:

KULTUR KOREA / 23 GESELLSCHAFT KOREA - ein Paradies zum Geldausgeben Über die koreanische Konsum- und Dienstleistungskultur

Von Bettina Dirauf

eoul. Es ist acht Uhr abends. Durch Konsumkultur in Südkorea? die engen Häusergassen der Milli- Sonenmetropole schieben sich die Younghee Jung versucht in ihrer Doktor- Menschenmassen. Frauen und Männer arbeit „Die südkoreanischen Medien im mit großen, prall gefüllten Einkaufs- Zeitalter der Globalisierung“ eine Erklä- taschen drängen sich durch die Türen des rung zu finden. Eng mit der konfuzianisch „Times Square“, eines großen Einkaufs- geprägten südkoreanischen Gesellschaft zentrums im Stadtteil Yeongdeungpo. Vor verbunden sei der sogenannte „Geltungs- einem Café sitzt eine Gruppe junger Män- konsum“, der im heutigen Südkorea das ner in Marken-Sportkleidung und gönnt Konsumverhalten kennzeichne. 3„Dies sich nach ihrem Fitnessstudiobesuch ein äußert sich in der boomenden Nachfrage Erfrischungsgetränk. Ein paar Meter wei- und dem großen Angebot westlicher ter versucht ein junges Pärchen, Kinokar- Luxusmarken, die im Alltag – sei es als ten zu kaufen. Vergeblich. Die Abendvor- Original oder Fälschung – allgegenwär- stellungen sind bereits alle ausverkauft. tig sind“. 4 Tatsächlich prägen bei den Auf der anderen Seite des Han-Flusses Studenten Marken wie Adidas, Nike oder liegt das Stadtviertel Sinchon. Dort Lacoste das Kleidungsbild, unter den äl- gibt es drei große Universitäten, und teren Koreanern steht The North Face vor nach Ende der Vorlesungen gehen die allem für Wanderbekleidung ganz oben Studenten zum Essen und Trinken in das auf der Einkaufsliste. Aber auch Chanel, angrenzende Ausgeh- und Vergnügungs- Gucci, Ferragamo oder Louis Vuitton sind viertel Hongdae. Auf den Tischgrillen beliebte Luxusmarken. Der Wunsch, sich der unzähligen Restaurants wird Fleisch als „reich“ bzw. als Angehörige(r) einer gebraten, daneben sammeln sich immer höheren Gesellschaftsschicht zu präsen- mehr leere, grüne Soju-Flaschen. tieren, ist ein Grund für die Beliebtheit von Statussymbolen. Auch im Straßenbild Einkaufen, Essen, Trinken, Karaoke. An von Korea finden sich viele westliche, fast jeder Straßenecke werden potenzielle hauptsächlich deutsche Automarken. Kunden in Seoul in Versuchung geführt, Einen Audi, BMW, Volkswagen oder Geld auszugeben - stets angeregt durch Mercedes Benz zu fahren, ist ein Zeichen engagierte Verkäufer, die manchmal be- für Wohlstand. reits vor dem eigenen Laden versuchen, die Passanten zum Kauf ihrer Waren zu Doch nicht nur auf Kleidung und Autos, überreden. In Südkorea gehen Konsum- auch auf gutes Essen legen Koreaner viel Oben: Dichte Menschenmassen drängen sich und Dienstleistungskultur Hand in Hand. Wert. In Korea sind sogenannte Mat- durch die engen Straßen des Einkaufsviertels jip (맛집) sehr angesagt. Das Wort setzt Myeongdong. Zeit Online schrieb bereits 2005, dass sich aus masitda (맛있다), was „lecker“ Unten: Schlange vor einem Restaurant „Korea sich von einer globalisierten bedeutet, und Jip (집), dem koreanischen Konsumkultur überrollen lassen“ hat. Eine Wort für „Haus“, zusammen. Das ist also Statistik der Bank of Korea aus dem Juni ein Restaurant, in dem das Essen beson- 2016 zeigt, dass der Wert der koreani- ders lecker schmeckt. Da die Menschen schen Wirtschaft stetig wächst. Von 2014 in Korea aufgrund langer Schul- und bis 2015 ist ihr Nettowert um circa 5,7 Arbeitszeiten sowieso täglich auswärts Prozent gestiegen.1 Im Jahr 2016 beträgt essen, ist die Essenskultur und der damit das Bruttoinlandsprodukt in Südkorea verbundene Konsum viel ausgeprägter geschätzt 1,32 Billionen US-Dollar.2 Geld als in Deutschland. Einige Restaurants zum Ausgeben scheint in der koreani- sind durch Blogs und Tweets der Besu- schen Gesellschaft also vorhanden zu cher im Internet so bekannt, dass viele sein. Doch wie kam es zu der heutigen Kunden lange Wege auf sich nehmen, um Fotos: Bettina Dirauf Fotos:

24 / KULTUR KOREA Ein junger Mann wirbt in koreanischer und japanischer Sprache für die Produkte eines Kosmetikgeschäfts.

das gute Essen zu genießen.

Das ist nämlich ein weiterer wichtiger Bestandteil der korea- nischen Konsumkultur: das Internet. Der koreanische Inter- netdienst Naver spielt dabei eine Hauptrolle. Naver bietet eine kostenlose Plattform für das Schreiben von Internetblogs an. Die Blog-Kultur in Korea unterscheidet sich ganz wesentlich von der in Deutschland. So werden Internetblogs von Korea- nerinnen und Koreanern als Ratgeber bzw. Entscheidungshilfe für jede Lebenslage genutzt. Freunde treffen sich, wollen es- sen gehen und wissen nicht wohin: Schnell auf Naver suchen und von Bloggern empfohlene, gute Restaurants ausfindig machen. Eine neue Tasche muss her: Etliche Fashion-Blogs geben Auskunft über die neuesten Modelle. Oder Informatio- Tageszeit einige hundert wartende Besucher, die von Shake nen über ein Computerspiel gefällig? Game-Blogger berichten Shack mit Sonnenschirmen und Ventilatoren versorgt wurden. über die angesagtesten Spiele. In Korea werden die Kunden nicht in der Sommerhitze stehen gelassen, sondern der Service des Restaurants beginnt bereits Trends haben ebenfalls einen hohen Stellenwert in der vor der Tür. koreanischen Konsumkultur. „Up to date“ zu sein ist vor allem für die junge Generation enorm wichtig. Im Gegensatz zu Es herrscht eine besonders rücksichtsvolle und durchdachte Deutschland, wo meist individuelle Kleidungsstile bevorzugt Dienstleistungskultur. Das beginnt bei den sehr kurzen War- werden, kleiden sich besonders junge Koreaner passend zu tezeiten. Im Restaurant kommt das Essen innerhalb weniger den neuesten Modetrends. Auffallen wegen teurer Kleidung? Minuten nach der Bestellung. Manchmal ermöglichen Klin- Ja. Auffallen, weil man anders aussieht, als die Masse? Nein. gelknöpfe auf dem Tisch, die Bedienung schnell und bequem zu rufen. Die vielen verschiedenen Beilagen, die essenzieller Konsumentenfreundlich sind auch die Öffnungszeiten Bestandteil der koreanischen Küche sind, gibt es ohne Aufpreis koreanischer Geschäfte. Supermärkte haben sieben Tage die dazu, und sie werden kostenlos mehrmals nachgefüllt. Vor Woche teils bis Mitternacht geöffnet, Kleidungs- und Kosme- allem in Restaurants, die Samgyeopsal (gebratener Schweine- tikgeschäfte gern noch länger. 24-Stunden-Shops verkaufen bauch) anbieten, werden Suppen- oder Nudelgerichte als Ser- rund um die Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen, das Nötigste vice dazugegeben. Wenn eine Gruppe Freunde lange in einem für den Alltag. Außerdem gibt es verschiedene „Feiertage“, die Lokal ist und schon viele Speisen und Getränke bestellt hat, dem Konsum bestimmter Produkte gewidmet sind. Am „Black wird als „Dankeschön“ auch oft kostenloses Essen gebracht. Day“ zum Beispiel essen Frauen und Männer ohne Partner/in Doch nicht nur in Restaurants wird Service großgeschrieben, Jjajangmyeon, das sind Nudeln in einer Soße aus schwarzer So- auch in Krankenhäusern, Banken oder anderen öffentli- jabohnenpaste. Am „Pepero Day“ werden „Pepero“, ein Produkt chen Einrichtungen sind die Wartezeiten ohne vorherige Ter- der Lotte-Süßwarenabteilung, verschenkt. Dabei handelt es minabsprache im Vergleich zu Deutschland wesentlich kürzer. sich um Kekse, in Deutschland als „Mikado-Sticks” bekannt, die Während man in Deutschland auf eine EC-Karte schon einmal mit Schokolade in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen zwei Wochen warten muss, kann sie in einer koreanischen überzogen sind. Bank nach zwei Werktagen abgeholt werden.

Um in die beliebtesten Geschäfte oder Restaurants zu kom- Vor den unzähligen Kosmetikgeschäften, die es in Korea gibt, men, nehmen Koreaner auch lange Wartezeiten in Kauf. Am sieht man manchmal junge Frauen in knappen Kostümchen, 22. Jui 2016 hat die amerikanische Burger-Kette Shake Shack die versuchen, mit kostenlosen Proben oder kleinen Präsenten ihre erste Niederlassung im Seouler Luxusviertel Gangnam, potenzielle Käufer/innen in ihre Geschäfte zu locken. In den die zweite in ganz Asien, eröffnet. Bereits in der Nacht zuvor Kosmetikgeschäften werden die Kunden individuell, ausgie- bildete sich vor dem Restaurant eine Schlange. The Korea big und sehr freundlich beraten, bei Bedarf manchmal auch Times berichtet von bis zu 1.500 Menschen, die an diesem Tag in einer anderen Sprache. Für die enorm vielen chinesischen Wartezeiten von zwei bis drei Stunden in Kauf nahmen. Auch Besucher wird in größeren Geschäften häufig eigens chinesi- zwei Wochen später reihten sich vor dem Gebäude zu jeder sches Personal eingestellt. Auch auf Englisch ist in größeren

KULTUR KOREA / 25 26

/ KULTUR KOREA rung. Siegen,August 2011.S.105ff. landsprodukt-in-suedkorea/ » 4 3 2 1 klingeln. gefülltsindunddieKassen die Geschäfte Kein Wunder also, zujeder dassinSeoul Tages- undNachtzeit auchein nen Geltungskonsum „Wohlfühlkonsum“ inKorea. de Atmosphäre. herrschtnebendemoben angesproche So ten oder Restaurants liegteineangenehme,- vertrauensbilden Kennzeichen. Kunde Der istKönig,- undüberfastallenGeschäf ist fürdiekoreanische einbesonderes Dienstleistungskultur Dass inKorea imPreis exzellenter Service mitinbegriffen ist, anderer Picknicker findet. inmitten hundert mit dergroßen Essensbox seineKunden Park ineinemriesigen Esistimmerwiedereinkleines bringt. Wunder, wenn derHerr sogar biszurPicknickstelle aufdie Wiese oderandenStrand dasEssen in kürzesterZeitist esmöglich,dassderLieferservice durchschlängeln undauchaufGehsteigen fahren können.So dieden dern, Vorteil haben,dasssiesichdurch jedenStau hin- fahren wird Motorrä dasEssenmeistvon- Herren aufkleinen gehören: HühnchenundJjajangmyeon Pizza,. Ausge frittiertes sein Fastfood aus. Zu denam häufigsten bestelltenGerichten Telefon bestellt werden. McDonald‘s Sogar inKorea liefert beinaheallesper istderLieferservice. Generellkultur kann Eine weitere derkoreanischen Besonderheit Dienstleistungs - gibt esdarüberhinauseineausgiebige Kopfmassage. Föhnen durchschnittlich weniger als20Euro. Beim Waschen rechnet. zahltderKunde Insgesamt für Waschen, Schneiden, Waschen, Föhnen werden oderStyling be meistnicht extra tig. nur, Nicht dassesquasikeine Wartezeiten gibt: Dienste wie Auch beimkoreanischen wich- Friseur enorm istguter Service oderKosmetiktaschen. Make-up-Pinsel wie Lippenstift, bis 50Euro erreicht, dazu, Geschenke kommenhochwertige den etlicheProben mitgegeben. Wird von 40 einEinkaufswert von ProduktenLäden eineBeratung Kauf möglich.Beim wer Wie Jung, Younghee: südkoreanischen Die MedienimZeitalter derGlobalisie https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14404/umfrage/bruttoin- http://kostat.go.kr/portal/eng/pressReleases/10/1/index.board 3 Bettina DiraufBettina Radio zuhören. in Südkorea regelmäßig imdeutschenProgramm von KBSWorld OktoberSeoul. Seit 2015sindihre Beiträge überihre Erlebnisse die 24-Jährige einAustauschjahr anderSogang-Universität in sität Bochum. Von August 2015bisAugust 2016verbrachte und Koreanistik alsZwei-Fächer-Bachelor anderRuhr-Univer . studiert seitOktober 2013Medienwissenschaft , studiert Foto: privat ------GESELLSCHAFT

„Gutes Aussehen [ist] wichtiger als Individualität“

Vom Streben nach dem perfekten Äußeren Interview mit Cheolsu

Schon seit Längerem gehört Korea welt- hatten. weit zu den Top 10 der Länder mit den meisten plastischen Operationen. Eine KK: Was ist denn das typische Alter, in Lidfalte zum Abitur? Eine Nasenkorrektur, dem sich Koreaner/innen in die Hände bevor man sich auf Jobsuche begibt? In plastischer Chirurgen begeben? Korea ist das nichts Außergewöhnliches. Was es mit dem Schönheitswahn auf sich C: Manche lassen schon in der Mittel- hat, erklärt uns Cheolsu (Deckname), ein oder Oberstufe etwas machen, aber junger Koreaner, der sich vor Kurzem zum normalerweise haben die meisten ihre ersten Mal unters Messer legte. erste Schönheitsoperation kurz vor Reklame für plastische Operationen: vorher – nachher Eintritt in eine Universität oder Hoch- Kultur Korea (KK): Du hast eine plas- schule. tische Operation bei dir durchführen lassen. Um welche Operation hat es sich KK: Welche Art von Operation ist bei da genau gehandelt? Schülerinnen und Schülern der weiter- führenden Schule besonders beliebt? Cheolsu (C): Ich hatte schon immer leicht unterschiedlich große Augen. Als C: Viele lassen sich eine Lidfalte operie- ich klein war, fiel es kaum auf, aber je ren. älter ich wurde, desto extremer wurde der Unterschied. Andere Leute fingen KK: Erkennen viele Leute, dass du eine auch an, es wahrzunehmen. Manchmal Lidfalten-Operation hattest? sagten sie, dass es so aussieht, als wür- de mein eines Auge nicht richtig fokus- C: Lidfalten hatte ich schon vorher; bei sieren. Das hat mich ziemlich gestresst. meiner Operation ging es mehr darum, Deshalb habe ich mich dazu entschlos- die Ungleichheit meiner Augen zu kor- sen, mich vor einer Nasen-Operation rigieren, und vielen Leuten fällt es nicht zunächst einer Augen-Operation zu auf, bevor ich etwas sage. unterziehen. KK: Möchtest du denn, dass die Leute KK: Also planst du auch, deine Nase erkennen, dass du eine OP hattest? Oder korrigieren zu lassen? ist es dir angenehmer, wenn sie es nicht erkennen? C: Ja, genau. C: Ich sage es nur denen, die mich KK: Die Operation scheint gut verlaufen fragen; ansonsten behalte ich es lieber zu sein, deine Augen sehen sehr natür- für mich. lich aus. KK: Glaubst du, dass eine Schön- C: Es ist noch gar nicht so lange her. heits-Operation zu einer Veränderung der eigenen Identität führen kann? Oder KK: Würdest du sagen, dass viele deiner hängen Aussehen und Charakter nicht Freunde bereits eine Schönheitskorrek- zusammen? tur haben machen lassen? C: Es gibt schon Menschen, die sich C: Von meinen männlichen Freunden auch innerlich nach einer solchen fast niemand, aber ich würde sagen, Operation verändern. Viele wollen aber dass ca. 80 % der Mädchen, die ich einfach nur einen mit dem Aussehen

Foto: Bettina Dirauf Foto: kenne, schon eine Schönheitsoperation verbundenen Minderwertigkeitskom-

KULTUR KOREA / 27 plex überwinden (...). Ich weiß nicht, wie C: Ehrlich gesagt ist für mich und viele C: Eine Nasen-Operation hatte ich ja es in anderen Ländern ist, aber in Korea Koreaner gutes Aussehen wichtiger schon länger geplant, und an den Plänen ist das Konzept des Lookism (abgeleitet als Individualität. Wenn jemand durch hat sich auch nichts geändert. von engl. look: Aussehen, Anm. d. Red.) besonderes Aussehen auffällt, kann das sehr verbreitet. Wer gut aussieht, hinter- in anderen Ländern attraktiv wirken. Das Interview führte Nele Becker lässt einen besseren ersten Eindruck, In Korea gilt man aber oft als unschön, (Mitarbeit Redaktion „Kultur Korea“). und das kann in vielen Situationen sehr wenn man die allgemeinen Schönheits- vorteilhaft sein (...). kriterien nicht erfüllt.

KK: Du denkst also, dass eine Schön- KK: Also würdest du zustimmen, dass heits-Operation nicht unbedingt mit aufgrund des Schönheitsideals und einer Veränderung oder Entfernung von der vielen plastischen Operationen die der eigenen Identität einhergeht? Menschen in Korea immer ähnlicher aussehen? C: Ja, genau! C: Kennst du zufällig das Wort Gang- KK: Hast du ein persönliches Schönheits- nam-Onni? ideal? Wie sollte jemand aussehen, damit du denkst: „Diese Person ist hübsch, diese KK: Nein, das sagt mir nichts. Person sieht gut aus!“? Ich habe zum Beispiel gehört, dass viele Koreaner gro- C: Die meisten Schönheitskliniken liegen ße Augen und eine hohe Nase als schön in dem Viertel Gangnam. Viele Frauen empfinden. gehen zu den selben Kliniken und sehen dementsprechend ähnlich aus. Diese C: Ich glaube, das stimmt. Beim koreani- Frauen nennt man deshalb spaßeshalber schen Schönheitsideal geht die Tendenz Gangnam-Onni (,Gangnam-Schwester‘) zu großen Augen, einer hohen Nase oder auch Gangnam-Seonggoe (,Gang- und heller Haut, dem typischen Erschei- nam-Schönheits-OP-Monster‘). nungsbild von Europäern also sehr ähnlich. KK: Spielt das Aussehen auch im Alltag eine große Rolle? Könnte es beispiels- KK: Gilt das nur für Frauen oder auch für weise ein Auswahlkriterium bei einem Männer? Bewerbungsgespräch sein?

C: Die Augen sind bei Männern, glaube C: Erst einmal ist es wichtig zu sagen, ich, weniger wichtig als die Nase. Die dass zu viele Schönheits-Operationen Nase ist genau in der Mitte des Gesichtes. und ein daraus resultierendes, unna- Ein Mann gilt deshalb als attraktiv, wenn türliches Aussehen nicht unbedingt er eine schöne und hohe Nase hat. All- gut ankommen. Aber es stimmt: Bei gemein scheinen die Schönheitskriterien einem Bewerbungsgespräch kann das für Männer aber weniger streng als die Aussehen eine große Rolle spielen. Ich für Frauen zu sein. habe schon von Leuten gehört, die bei Bewerbungsgesprächen immer wieder KK: Viele deutsche Männer finden asiati- erfolglos sind, weil ihre Gesichtszüge zu sche Frauen, die keine Lidfalte, also eher hart sind. kleinere Augen haben, hübsch. In Korea scheint das nicht der Fall zu sein. KK: Gibt es dementsprechend viele, die sich nach Hochschulabschluss bzw. vor C: Ich glaube, dass man oft das schön Eintritt in die Arbeitswelt einer Schön- findet, was im eigenen Land eher unge- heitsoperation unterziehen? Grimm Felix Foto: wöhnlich ist (...). Nele Becker besuchte C: In meinem Freundeskreis ist das eher » nach ihrem Abitur 2014 KK: Denkst du nicht, dass ein negativer unüblich. Viele Kliniken werben aber für ein Jahr die Sprach- Nebeneffekt eines allgemeinen Schön- mit dem Slogan „Schönheits-OPs für die schule der Yonsei-Uni- heitsideals und von Schönheitsoperati- Jobsuche“. versität in Seoul, um die onen darin besteht, dass die Menschen koreanische Sprache zunehmend gleich aussehen? Oder dass KK: Bist du nach der Operation mit dei- zu erlernen. Seit Herbst das Aussehen mehr Bedeutung gewinnt nem jetzigen Aussehen zufrieden? 2015 studiert sie Euro- pawissenschaften in als die Persönlichkeit? Maastricht.

28 / KULTUR KOREA Foto: Alexander Krex I Koreaner sindsehrstolz KECLAermöglicht aufihre Herkunft, Warum gibtesdasKECLA? hat. gekauft ausderGegend nern reanischen Regierung, dieesmitUnterstützung von US-Korea- Wilshire derko Place gehört sindwirseit2002. DasGebäude Das Center am wurde 1980 gegründet, andiesem Standort on Center inLos schon? Angeles HerrGwon, gibtesdasKorean wielange geehrter Sehr Educati- nach Seoul zurückkehren. nach Seoul lang alsLehrer inSüdkorea, bevor erinsBildungsministerium wechselte. ernachLos August Angeles, Im 2013kam 2017wird er Einheimischen indenjeweiligen Ländern. Young Gwon istder Min Vorsitzende 52-Jährige desKECLA.Der arbeitete neunJahre richtet sichdasBildungsangeboteheranExil-Koreaner alsandie wichtigsten. Anders alsbei dendeutschenGoethe-Instituten unddiekalifornische. koreanische, dieUS-amerikanische Weltweit gibt es 39 Zentren dasinLos Angeles zähltzuden dieserArt, das Korean Education Center Gebäude, Los überdessenEingangdrei, einvierstöckiges Fahnen (KECLA) Angeles hängen:Diesüd- rants, und voller undrotem mitGläsern Märkte Kimchi Ginseng,Werbeplakate Karaoke-Bars fürK-Pop-Bands. liegt Mittendrin Los Angeles. An manchenEcken fühltmansichwieinSüdkorea: Esgibt koreanische Cafés- Kohlegrill-Restau mitReisgebäck, inderwestlichen schen Gemeinschaft Welt. vieleKoreaner Besonders lebeninKorea Town, einemStadtteil imZentrum von m Großraum koreanischen Los 340.000Menschen Ursprungs. Angeles DieStadt lebenknapp istHeimat dergrößten koreani - ZEITMASCHINE LOS ANGELES Über diekoreanische amPazifik Gemeinde Von Alexander Krex - Koreanischer Herrenschneider aufdem Wilshire Boulevard der koreanischen Sprache. unterstützen wir Wochenend- zumErlernen undAbendkurse steigt dieZahlderSchüler, diesichdafürentscheiden. Zudem die Koreanisch Fremdsprache alszweite anbieten. Jahrfür len zuetablieren. gibt indenUSA, Derzeit esrund120Schulen Angebot versuchen wirdaherauch,Koreanischkurse- anSchu Sprache zufördern istunserwichtigstes Ziel. Nebenunserem oderdieKenntnisse Diekoreanischezu lernen zuvertiefen. ihnen, diekoreanische Kultur wach zuhalten, dieSprache KULTUR KOREA KALEIDOSKOP / 29

Foto: Jeon Han, Fotograf Korea.net Perspektive zu haben. In den Jahrzehnten danach folgten weitere Auswanderungswellen, etwa Anfang der 1960er Jahre. Ein Motiv war auch, bereits ausgewanderten Verwandten zu folgen. Heute gehen die Leute aus ganz anderen Gründen in die USA, sie wollen hier studieren, haben eine Geschäftsidee oder bevorzugen einen anderen Lebensstil. Die koreanische Gesellschaft ist sehr wettbe- werbsorientiert.

Anders als die Menschen in Korea leben die US-Koreaner nicht in einem geteilten Land. Ist das Bewusstsein für die Teilung hier Young Min Gwon, Vorsitzender des geringer? Korean Education Center Los Angeles (KECLA) Die Leute hier haben verschiedene Meinungen zu Nordkorea. Was aber alle denken, ist, dass Süd- und Nordkorea ein Land bilden, Wer kommt zum KECLA? das dieselbe Kultur und Geschichte teilt. Es kommen vor allem US-Koreaner der zweiten und dritten Ge- neration, ganz unabhängig von Alter und Beruf. Das Center steht Wie erfolgreich sind die Koreaner hier? aber auch Nichtkoreanern offen, die sich für die koreanische Kultur Ich habe keine Daten, aber meine persönliche Erfahrung ist, dass und Sprache interessieren. Wir haben verschiedene Programme manche hier mehr Schwierigkeiten haben, als sie in Korea hatten. für die jeweiligen Altersstufen und Kenntnisse. Die Lehrgänge Andere sind geschäftlich sehr erfolgreich, schicken ihre Kinder auf kosten Geld, aber Bücher und Materialien werden zum Großteil gute Universitäten und leben in einer begehrten Nachbarschaft. kostenlos zur Verfügung gestellt. Was ist der größte Unterschied im Alltag? Was bieten Sie neben Sprachkursen noch an? Der größte Vorteil hier ist, mehr Freizeit zu haben. Ich kann mehr Wir haben ein vielfältiges Kulturangebot, das von Taekwondo über Zeit mit meiner Familie verbringen. In Korea arbeitet man beinahe Kalligrafie und Baduk bis zu traditionellem Tanz reicht. Außerdem sieben Tage für sein Unternehmen, hier hat man eine klar geregel- feiern wir den koreanisch-amerikanischen Tag am 13. Januar, an te Fünf-Tage-Woche. Aber langsam ändert sich etwas in Korea. Ich dem wir einen landesweiten Kunstwettbewerb veranstalten. sehe das an meinem eigenen Job im Bildungsministerium: Nach- dem ich jahrelang sehr viele Stunden im Büro verbracht habe, ist Sie sind seit knapp drei Jahren in Los Angeles. Wie sehen Sie die es in letzter Zeit etwas flexibler geworden. hier lebenden jungen US-Koreaner im Vergleich zu ihren Altersge- nossen in Südkorea? Sie haben zwei Kinder, wie haben Sie den Umzug auf die andere Was mich überrascht hat, war die Tatsache, dass viele so gut Korea- Seite des Pazifik erlebt? nisch sprechen, als wären sie in Korea aufgewachsen. Das liegt Ganz unterschiedlich. Meine ältere Tochter hatte großes Heimweh, daran, dass in ihrem Elternhaus Koreanisch gesprochen wird. Die in den letzten drei Jahren vermisste sie ihre Freunde und ihre jungen Leute wissen auch sehr viel über die Geschichte unseres Schule sehr. Sie hat dieses Jahr die Highschool abgeschlossen und Landes, obwohl die mit 5000 Jahren viel länger zurückreicht als ist zurück nach Korea gegangen, wo sie Kunst studiert. Sie wollte die amerikanische, über die sie in der Schule unterrichtet werden. das unbedingt zu Hause tun, weil ihr die Art des Lernens dort besser gefällt. Mein jüngerer Sohn hingegen, der in der Mittelstufe Das KECLA liegt mitten in Korea Town, dem am dichtesten besie- ist, liebt Los Angeles. Er hat viele Freunde gefunden und kann sich delten Stadtteil in Los Angeles, der als beliebter Wohnort gilt. Wie gut vorstellen, hier aufs College zu gehen. empfinden Sie die Gegend? Anfangs war ich beinahe schockiert, wie unmodern der Stadtteil im Vergleich zu Seoul wirkte, das sich rasend schnell verändert und sehr trendy ist. Es war, als wäre ich mit einer Zeitmaschine 20 Jahre in die Vergangenheit gereist. Schnell verstand ich aber, dass es hier um mehr geht, als um moderne Architektur. Korea Town hat seinen ganz eigenen Charme, den die Bewohner sehr schätzen. Natürlich kann man auch alles bekommen, was man braucht, es gibt viele koreanische Märkte und gute koreanische Restaurants. Foto: privat Foto: Warum leben so viele Koreaner in den USA? Nach dem Ende des Koreakriegs (1950-1953) war das Land am Bo- Alexander Krex ist Journalist und Autor. Er arbeitet als Redakteur den, es musste von Grund auf wieder aufgebaut werden. Damals » bei Zeit Online, schreibt Reisereportagen sowie über Kultur und verließen viele Koreaner ihre Heimat, um überhaupt irgendeine Gesellschaft.

30 / KULTUR KOREA KALEIDOSKOP YOUTUBE AUF DER ÜBERHOLSPUR Fernsehen war gestern

Von Nele Becker (Mitarbeit Redaktion „Kultur Korea“) Ganz schön ungezogen: Das kanadische Paar Simon und Martina hat dank seines Charmes Fans auf der ganzen Welt

ie Jugend von heute ist auf Youtube unterwegs. Und Land mit den fortgeschrittensten Beauty-Produkten und den nein, hier gibt es längst nicht mehr nur schlecht ge- meisten plastischen Operationen sind besagte Make-Up-Tuto- Ddrehte Clips und Katzenvideos. Seit der Gründung des rials nicht mehr wegzudenken: In Korea hat sich besonders die Videoportals 2005 hat sich Youtube kontinuierlich qualitativ Youtuberin Pony in dem Bereich einen Namen gemacht. Sie verbessert, und auch das Angebot an Videos wird von Tag zu beherrscht alles vom einfachen Tagesmake-up bis hin zu einer Tag vielfältiger. Von im Sprechgesang vorgetragenen Nachrich- Verwandlung in Taylor Swift und ist nicht umsonst die Visagistin ten über die neusten Musikvideos bis hin zu Online-Mathe- der berühmten Sängerin CL. unterricht ist hier wirklich für jeden etwas dabei. Die Vorteile im Wer sich schon immer gefragt hat, warum viele Koreaner die Vergleich zum Fernsehen liegen auf der Hand: Es gibt keine fes- Tanzchoreografien ihrer Lieblings-K-Pop-Stars perfekt beherr- ten Sendezeiten und jeder, der ein internetfähiges Smartphone schen, findet ebenfalls auf Youtube Antworten. Viele Künstler/ besitzt, kann immer und überall auf die Videos zugreifen, sei innen veröffentlichen dort Clips neuer Choreografien, die jeder es auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem stillen Örtchen. Da zu Hause nachtanzen – oder es zumindest versuchen kann. würde es doch naheliegen, dass Youtube in dem Land mit der Auch das Tanzstudio 1MILLION, das für die Choreografien von weltweit schnellsten Internetverbindung und einem Hang zu „Idols“ – so werden die in Talentagenturen ausgebildeten immer größeren Handys, die längst in keine Hosentasche mehr Künstler genannt – wie Girls Generation, Jay Park und 2NE1 passen, besonders viel Aufmerksamkeit genießt, oder etwa verantwortlich ist, ist sehr aktiv auf Youtube, und das hat einen nicht? Immerhin stellte ja auch der koreanische Sänger Psy mit Grund: „Vor Youtube waren die einzigen Orte, an denen Tänzer seinem Musikvideo zu „Gangnam Style“ einen neuen Weltre- ihr Können unter Beweis stellen konnten, Tanzshows und Clubs. kord für das meistgeschaute Youtube-Video auf. Aber welche Youtube gibt ihnen die Freiheit, ihre Freude am Tanz mit jedem Arten von Videos kommen eigentlich bei den koreanischen auf der Welt zu teilen, unabhängig davon, wer und wo sie sind.“ Zuschauern besonders gut an? Und hat Youtube wirklich das Das Posten von Videos auf Youtube hat für 1MILLION aber einen Potenzial, das Fernsehen als meistgenutztes Medium abzulö- großen Nachteil: „Tänzer haben auf Youtube keinen Anspruch sen? Um diesen Fragen und derzeit beliebten Youtube-Trends auf die Geltendmachung von Urheberrechten. Obwohl Tanzen auf den Grund zu gehen, habe ich mit einigen bekannten ebenfalls eine kreative Tätigkeit ist, deren Urheberschaft res- koreanischen und in Korea lebenden Youtubern gesprochen pektiert werden sollte, gibt es keine diesbezüglichen Regelun- und teilweise überraschende Antworten erhalten. gen, wie es beispielsweise im Bereich des Musikvertriebs der Fall ist.“ Learning by watching – Tutorials Tutorials – filmische „Gebrauchsanweisungen“ – sind momen- Auch Hyunwoo Sun, Gründer von Talk to me in Korean, kurz tan der absolute Renner. Zwar kann man hier bestimmt auch TTMIK, weiß um die Schwächen des Videoportals. Er und sein lernen, einen Ikea-Schrank zusammenzubauen, ohne an der Team helfen mit kurzen, unterhaltsamen Videos , das Erlernen unverständlichen Aufbauanleitung zu verzweifeln, wirklich der nicht gerade einfachen koreanischen Sprache etwas zu populär sind aber Tutorials zu anderen Themen. erleichtern. Doch Youtube ist nun mal nicht bloß ein Lern-, Beim weiblichen Publikum erfreuen sich insbesondere sondern in erster Linie ein Unterhaltungsportal. Hyunwoos Schminkvideos großer Beliebtheit. Wem sein Geld für teure Abonnenten werden oft von Videovorschlägen am rechten Schminkkurse zu schade ist, schaut sich einfach auf Youtube Bildschirmrand mit neugierig machenden Titeln abgelenkt. an, wie man den perfekten Lidstrich hinbekommt. Aus dem Trotzdem scheinen für Hyunwoo die positiven Aspekte des Por- Foto: EatYourKimchi Foto:

KULTUR KOREA / 31 tals deutlich zu überwiegen, und er erklärt, warum das Konzept „You- tube“ so erfolgreich ist: „Durch den lebendigen Kommentarbereich bei Youtube ist es für Künstler und Publikum sehr leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das ganze Konzept ist deshalb deutlich interaktiver als das Fernsehen (...).“ Er fügt hinzu, dass wir uns auf You- tube frei aussuchen können, was wir sehen möchten, während wir beim Fernsehen an das Programm gebunden sind. Er ist deshalb da- von überzeugt, dass Youtube und ähnliche Formate das Fernsehen auf die Dauer ablösen werden. Und was für Videos bevorzugen Kore- aner? „Der Hype um Youtube ist „Tanzen ist das, was mich noch geringer in Korea als in vielen wirklich glücklich macht. Wir Teilen der westlichen Welt. Auch haben das Tanzstudio 1MILLION wenn mehr und mehr Menschen genannt, weil wir wollten, dass von Youtube erfahren, nutzen es eine Million Menschen kommen und die Freude erfahren, die viele lediglich, um sich Ausschnitte ich beim Tanzen empfinde.“ (Lia ihrer Lieblingsfernsehshows anzu- Kim, Choreografin, vorne links) schauen (...)“, sagt Hyunwoo. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Nutzung von Youtube anfänglich Phänomen Mok-Bang in Korea durch vielzählige Vorschriften begrenzt war. Diese Re- Du wolltest schon immer deine Leidenschaft für das Essen gulierungen wurden 2012 komplett aufgehoben, und seitdem zum Beruf machen? Immer mehr Koreaner und Koreanerinnen betreten immer mehr aufstrebende, koreanische Künstler die erfüllen sich jetzt diesen Traum. Koreas neuester Trend nennt Youtube-Bühne. sich Mok-Bang und erobert die Welt im Sturm. Mok steht hier- bei für Essen, und Bang ist ein Teil des koreanischen Wortes Ausländer in Korea für „senden“ oder „übertragen“. Vor laufender Kamera ver- Das kanadische Paar Simon und Martina interessierte sich schlingen sogenannte „Food-Blogger“ übergroße Portionen in schon lange vor „Gangnam Style“ für das Land Korea und traf rasender Geschwindigkeit, und die erfolgreichsten von ihnen 2008 die Entscheidung, nach Bucheon, eine Stadt in der Nähe verdienen damit fünfstellige Summen im Monat. Ein großer von Seoul, auszuwandern. Das einzige Problem: Im Internet Teil dieses Geldes wird in Essen reinvestiert. So gibt „The Diva“ gab es kaum Informationen über Korea, geschweige denn – eine der bekanntesten Mok-Bang-Stars – an, im Monat bis über Bucheon. Deshalb entschlossen sich die beiden, diese zu 3000 Dollar für Essen auszugeben. Schaut man sich an, was Lücke zu füllen, und dokumentieren seitdem ihr Leben in die junge Frau jeden Tag beim ausgedehnten Abendessen, Korea. In ihren Videos zeigen sie, wie man einen koreanischen das manchmal bis zu vier Stunden dauert, so verdrückt, ist Reiskocher benutzt, erklären das etwas komplizierte Bus- das kaum verwunderlich. Wer hier pummelige Teenager system oder be- und verurteilen die neusten K-Pop-Hits. Ihr erwartet, die sich auf unappetitliche Weise vollstopfen, liegt Publikum besteht hauptsächlich aus Ausländern, die sich für – abgesehen von wenigen Ausnahmen – falsch. Die meisten das Leben in Korea interessieren. „Koreaner machen nur 1 % Food-Blogger treiben täglich mehrere Stunden Sport und unserer Zuschauer aus. Allerdings hören wir immer wieder von essen hauptsächlich Obst, wenn die Kamera aus ist. „The Diva“ koreanischstämmigen Amerikanern, dass wir ihnen geholfen ist außerdem dafür bekannt, ihre Mahlzeiten so ästhetisch wie haben, zu ihren Wurzeln zurückzufinden.“ Auch sie habe ich möglich zu sich zu nehmen. Eine Frage bleibt: Warum schauen gefragt, was am Format Youtube so erfolgsversprechend ist. sich junge Leute diese Videos überhaupt an? Viele behaupten, Ihre Antwort klingt plausibel: „Fernsehen wird oft von älteren dass es den Appetit anregt, während andere angeben, einfach Menschen gestaltet, die nicht wissen, was junge Leute inter- lieber in Gesellschaft zu essen. Ach so. Ob sich der Trend auch essant finden. Auf Youtube hingegen kann man anhand der in Europa durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Kommentare direkt sehen, was den Zuschauern gefällt und was nicht. Auf Youtube gibt es direktes Feedback, das von den Youtube ist also weiterhin auf dem Vormarsch und wird wohl Künstlern berücksichtigt wird, während das Fernsehen eher langfristig über das Fernsehen triumphieren. Ich bin jedenfalls isoliert existiert.“ gespannt, welcher verrückte Youtube-Trend aus Korea uns nach Mok-Bang als nächstes überraschen wird.

Foto: 1MILLION Foto:

32 / KULTUR KOREA Foto: TalkToMeInKorean Foto: Hyunwoo (Mitte), Gründer von ,,Talk to me in Korean“, und Mitstreiterinnen DAS ONLINE-LERNPORTAL TALK TO ME IN KOREAN Lerntipps von Hyunwoo Von Nele Becker (Mitarbeit Redaktion „Kultur Korea“)

Eine neue Sprache zu lernen ist nie leicht. Hyunwoo Sun, Lebenskünstler und Gründer des Online-Lernportals Talk to me in Korean, verriet mir im Interview sein persönliches Erfolgsrezept für effektives Sprachenlernen. „Es gibt viele Methoden und Hilfsmittel zum Erlernen einer Sprache. Welche davon ihr anwendet, ist euch überlassen. Das Wichtigste ist, sich vorzunehmen, jeden Tag ein bisschen besser zu sein als am Vortag. Dazu müsst ihr euch bei jeder Lerneinheit fragen: ,Lerne ich gerade wirklich etwas Neues?‘ “ Es ist also wichtig, bei einer Sprache am Ball zu bleiben. Doch wer behauptet, er hätte dazu keine Zeit, stößt bei Hyunwoo auf taube Ohren: „Zeit ist ein sehr vages Konzept, deshalb setze ich auf Energiemanagement anstelle von Zeitma- nagement. Wenn ich morgens aufwache, kontrolliere ich meinen Energievorrat, ähnlich wie den Akku eines Handys. Wenn ich bei 60 % aufwache, weiß ich, dass ich heute nicht zu viel machen kann [...]. Außerdem nutze ich, wie viele andere auch, das Konzept von Zeitblöcken. In manchen Zeitblöcken bin ich nicht er- reichbar, E-Mails und SMS werden ignoriert. So kann ich mich voll und ganz auf meine Tätigkeit konzentrieren.“ Doch warum sollte man überhaupt noch weitere Fremdsprachen lernen, wo mittlerweile doch fast jeder Englisch kann? „Bilinguale oder trilinguale Menschen sind aufgeschlossener, führen im Allgemeinen ein besseres Leben, und außer- dem macht es Spaß, eine neue Sprache zu lernen!“, erklärt Hyunwoo. Wenn das keine überzeugende Argumente sind.

www.talktomeinkorean.com www. youtube.com/user/talktomeinkorean

KULTUR KOREA / 33 KALEIDOSKOP

DIE VIELEN GESICHTER DER DOKKAEBI Eine Einführung

Von Alexander Reisenbichler

Das Dorf Changwon in den Jiri-Bergen

ie Geschichte dieses Fabelwesens zu hören. Dokkaebi würden Menschen schiedenen chinesischen und koreani- ist eine sehr bewegte. Heute sind verzaubern, in die Irre führen und sogar schen Quellen des Mittelalters unter- Dsie so gut wie allen Südkoreanern töten. „Aber…solche Geschichten habe schiedliche Namen hat) beginnt seine als bunte, gehörnte, in Lendenschurze ich noch nie gelesen… Ich dachte, Dok- Geschichte als göttliches Wesen (unter gekleidete Trolle bekannt, die gern Scha- kaebi würden Glück und Reichtum brin- anderem als Baumgottheit oder als Gott, bernack treiben, den Menschen zumeist gen”, entgegnete ich gänzlich verwirrt. der den Menschen Fische in die Netze unterlegen sind und uns Erdlinge oft „Ja, in Märchenbüchern vielleicht”, lachte treibt). Im 13. Jahrhundert tritt Dokkaebi zu Reichtum verhelfen. In koreanischen Kim Chang-yeol, unser Nachbar. Meine in einer Sammlung von volkstümlichen Bücherläden findet man unzählige Neugier war geweckt, und ich beschloss, Geschichten und historischen Darstel- Werke der Kinder- und Jugendliteratur der Sache auf den Grund zu gehen. lungen des buddhistischen Mönchs über diese haarigen Wesen, es gibt viele Il-yeon („Samguk yusa“: ,Legenden und Verfilmungen und Kinderspiele, Dokkae- Eine historische Einführung Geschichte der Drei Reiche des alten bi-Parks und Dokkaebi-Museen, in denen Korea‘) als ein Wesen mit übernatürli- sie uns quietschvergnügt entgegenla- Die früheste Dokkaebi-Geschichte chen Fähigkeiten auf, wie auch in der chen. stammt aus dem 9. Jahrhundert, aus Bangi-Legende. der Zeit der Vereinigten Silla-Dynastie Doch als ich in dem Bergdorf in den Ji- (645-935). In der „Legende von Bangi” In der folgenden Goryeo-Dynastie ri-Bergen, in dem ich mit meiner Familie helfen Kinder in roten Kleidern mit (918-1392) gibt es Belege des Duduri seit sieben Jahren lebe, die alten Leute einem Zauberknüppel dem „Guten” in (ein anderer Name für Dokkaebi) als nach diesen Waldbewohnern fragte, der Geschichte. Haushaltsgott und Baumgeist (Mokrang) bekam ich ganz andere Geschichten Das Phänomen Dokkaebi (das in ver- in der Region Gyeongju, der von den

34 / KULTUR KOREA Bewohnern angerufen und verehrt Das heute so populäre Erschei- bringen, wie sie eben zumeist in wurde und von dem man sich Glück nungsbild der Dokkaebi geht auf das den Volksgeschichten dargestellt und die Vertreibung von bösen Geis- japanische Fabelwesen Oni zurück werden (in meinem Buch habe ich tern erhofft hat. und hat sich erst in der japanischen 32 Dokkaebi-Volksgeschichten aus Kolonialzeit (1910-1945) etabliert. Ein dem Koreanischen ins Deutsche Mit Beginn der Joseon-Dynastie japanisches topografisches Werk aus übersetzt). Doch die Feldforschung (1392-1910) tritt der göttliche dem 8. Jahrhundert beschreibt den in den Jiri-Bergen Südkoreas hat Charakter immer mehr in den Hin- Oni als einäugigen Menschenfresser, ganz andere Ergebnisse gebracht. tergrund. In einem 1472 verfassten der ursprünglich ein Geister- oder Die häufigste Erscheinungsform sind Text wird eine Geschichte wieder- Totendämon war. Bilderrollen aus Dokkaebi-Lichter, blau oder bläulich, gegeben, in der das Dokkaebi als dem 11. und 12. Jahrhundert decken die manchmal auch ihre Größe ver- bösartiges Monster auftritt, das viele sich dann mit dem äußeren Erschei- ändern. Dokkaebi wohnen zumeist Beamte tötet. Kim An-lo (1481-1537) nungsbild der Dokkaebi (Hörner im Wald an Orten mit dichtem beschreibt es ebenfalls als Monster, auf dem Kopf, Tigerzähne, Schurz Gestrüpp und auf Bergpässen. Bei vor dem man sich fürchten muss. aus Tigerfell mit nacktem blau, Schlechtwetter gehen sie oft in leer- Auch in dem Werk von Lee Gyu- rot oder grün gefärbtem Körper). stehende Häuser. Ganz in der Nähe gyeong (1788-1857) tritt das Dokkae- Dieses Aussehen verdankt der Oni des Changwon-Dorfes haben mir die bi als Dämon und Teufel auf. indisch-buddhistischen und chine- Dorfbewohner eine Stelle gezeigt, sischen Dämonen- und Höllenvor- wo früher Dokkaebi gelebt haben. Die oben erwähnte Literatur wurde stellungen (der Buddhismus breitete meist von konfuzianistischen sich langsam von Indien über China Heute ist der Glaube an Dokkaebi Aristokraten und Angehörigen der [1. Jhdt. n.Chr.] nach Korea [3. Jhdt.] stark zurückgegangen, obwohl es Oberschicht verfasst, noch dazu in und Japan [5. Jhdt.] aus). Der Oni hat noch Leute gibt, die meinen, dass chinesischen Schriftzeichen, die das also im Laufe der Zeit durch Kultur- sie heutzutage einfach viel tiefer „gemeine Volk” nicht lesen konnte. kontakt sein Aussehen verändert, im Wald leben und es deswegen wie eben auch das Dokkaebi. Die keine Sichtungen mehr gibt. „Seit In starkem Gegensatz zu der negati- Charaktereigenschaften jedoch sind unser Dorf in den 1970er Jahren ven Haltung gegenüber Dokkaebi in laut dem Dokkaebi-Spezialisten Prof. an das Stromnetz angeschlossen den konfuzianistischen Schriften, die Kim Jong-dae koreanischer Herkunft. wurde, haben wir auch fast keine Buddhismus und Schamanismus als Dokkaebi mehr gesehen,” erzählt mir Aberglauben abwerteten, standen Feldforschung in den Jiri-Bergen ein Dorfbewohner, obwohl einige die Texte vor allem aus der späten Dokkaebi-Geschichten nur fünf oder Joseon-Dynastie wie z.B. die von Ich habe diese Feldforschung in der zehn Jahre zurückliegen. Professor Choe Nam-son (1890-1957), die die Region und dem Dorf durchgeführt, Kim Jong-dae ist der Meinung, dass Vorstellungswelt der nicht-aristokra- in dem ich schon seit Jahren mit das Christentum starken Einfluss auf tischen Gesellschaft widerspiegelten. meiner südkoreanischen Frau und das Verschwinden dieses Fabelwe- In der „Legende vom Fensterchen” unseren beiden Töchtern Lea und sens hatte. treten Dokkaebi als dem Menschen Maya lebe. Die Dorfbewohner waren Reichtum verschaffende Wesen sehr froh, dass ich mich für ihre Kul- Hier einige Berichte der Dorfbewoh- auf, die ihm gleichzeitig moralische tur interessiere, und es war deshalb ner: Kim Hak-ju wurde vor Jahren Lehren mit auf den Weg geben. Die kein Problem, Informanten zu finden. einmal von Dokkaebis in der Nähe Vorstellungen von Dokkaebi hingen Wir trafen uns oft bei ihnen zu von Changwon zusammengeschla- also stark von der eigenen sozialen Hause, bei Freunden, die dann noch gen. Yu Yeong-jongs Mutter wurde Stellung ab. Heute verlaufen die andere Dorfbewohner einluden, von Dokkaebis entführt, wurde dann Grenzziehungen zwischen den und im Holzpavillon im Dorf, in dem ohnmächtig am Feld gefunden und verschiedenen Generationen bzw. sich im Sommer immer viele Leute ins Krankenhaus eingeliefert. Sie war zwischen Stadt und Land. einfinden. Eine Frau jedoch meinte, blutüberströmt und sehr verwirrt, ich solle nicht „über solche Sachen“ als sie wieder zu sich kam, typische Erscheinungsformen der Dokkaebi schreiben. Sie war Christin, und Anzeichen einer Dokkaebi-Ent- Dokkaebi gehörten ihrer Meinung führung, wie mir erklärt wurde. Yu Die Erscheinungsformen der Dokkae- nach ins Reich des Aberglaubens, der Yeong-jongs Vater erfror auf dem bi variieren aufgrund der vielfältigen Vergangenheit Koreas: „Jetzt sind wir Deunggu-Pass unweit unseres Dorfs. Identitäten von unsichtbaren Wesen ja zivilisiert”. Sein Tod wurde mit Dokkaebi in Ver- bis hin zu solchen in menschlicher bindung gebracht, da es dort viele Gestalt; oft erscheinen sie auch nur Feldforschung in Südkorea Dokkaebi-Sichtungen gegeben hat, als Licht oder Lichter. Die meisten doch andere Dorfbewohner hatten meiner Informanten gaben an, Jetzt wissen wir, dass Dokkaebi andere Erklärungsmuster. „Früher

Alexander Reisenbichler Dokkaebi als Licht wahrgenommen bunte Trolle mit Hörnern sind und waren wir oft sehr hungrig, da hat zu haben. den Menschen Glück und Reichtum man dann Halluzinationen und Fotos: Fotos:

KULTUR KOREA / 35 Alexander Reisenbichler (oben re.) im Gespräch mit den Dorfbewohnern

glaubt, Dinge zu sehen, die es gar nicht 1200 Jahren viele Veränderungen durch- gibt.” Oder „Die Knochen von Tieren im gemacht hat und sich auch heute noch Wald und von menschlichen Skeletten weiter verändert. Derzeit sieht es so aus, nach dem Koreakrieg sind für diese Lich- als ob die bunten, gehörnten Trolle den tererscheinungen verantwortlich.” Ton angeben. Dank ihrer magischen Fähigkeiten können sie sich durch Junge KoreanerInnen, denen ich diese verschiedene Objekte wie Knüppel oder Geschichten erzählt habe, glaubten mir Mäntel unsichtbar machen. Mordende nicht. „Da hast du sicher etwas falsch Dokkaebi sind vom Aussterben bedroht; verstanden”, meinten sie, „Dokkaebis der Pazifismus ist also zumindest in der bringen keine Leute um oder entführen Welt der Mythologie realisiert worden. sie.”

Kut – Dokkaebi-Rituale

Bei meinen Reisen auf den Inselwelten im Südwesten Südkoreas haben mir Leute von Dokkaebi-Ritualen erzählt Der aus Österreich (In den Jiri-Bergen hat keiner meiner » stammende Ethnologe Informanten je etwas von solchen Alexander Reisenbich- Ritualen gehört), in denen Dokkaebi als ler (*1977) lebt und forscht seit 15 Jahren in Südkorea Krankheitsdämonen auftreten. Die Gött- und Indien. Derzeit schreibt lichkeit der Dokkaebi ist also nicht ganz er seine Dissertation über verlorengegegangen. Professor Chun indische Christen im Bun- Kyung-soo erzählte mir: „An langen Bam- desstaat Goa und arbeitet busstangen waren weiße, mit Menstru- an einem Reisebericht über ationsblut befleckte Frauenunterhosen Südkorea und das Leben aufgehängt. Mit lauten Trommeln und in einer südkoreanischen den Unterhosen sollten Seuchen und Community. Mit seiner ko- Krankheitsdämonen vertrieben werden.” reanischen Frau und seinen beiden Töchtern hat er sein Basecamp in einem kleinen Man kann hier die Vielschichtigkeit die- Dorf in den Jiri-Bergen in ses Kulturphänomens erkennen, das seit

Südkorea aufgeschlagen. Lea Lee Reisenbichler Foto:

36 / KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

Von Super Junior und der Kunst des Kaffeebrauens EIN TREFFEN MIT „MOUSE RABBIT”-INHABER UND BARISTA JONGJIN KIM

Von Bettina Dirauf

üdkorea ist ein Land des Kaffees. In den vergangenen Latte berichtet er, wann und warum er sich entschlossen hat, fünf Jahren ist laut „Coffee Expo Seoul“ die koreanische ein Café aufzumachen. „Ich habe das Café ,Mouse Rabbit‘ am SKaffeeindustrie um das Zweifache gewachsen. Sowohl 11. November 2012 eröffnet. Davor betrieben meine Eltern ein der Import als auch der Konsum von Kaffee sind so rasant ge- kleines Restaurant in Hongdae“, erzählt der junge Unterneh- stiegen, dass Korea inzwischen der elftgrößte Markt für Kaffee mer. Dabei seien sie allerdings mit vielen Problemen kon- ist.1 Dass die Koreaner zu begeisterten Kaffee-Konsumenten frontiert gewesen, sodass er gemeinsam mit seinem älteren zählen, zeigt sich auch an den über 12.300 Cafés, die es in Bruder über eine Alternative nachdachte. Den Wunsch nach Korea gibt. Das Bedürfnis nach dem schwarzen Wachmacher, einem eigenen Café hegte Jongjin Kim bereits, seitdem er der im stressigen, langen Studiums- und Arbeitsalltag auf der die Kunst des Kaffeebrauens lernte. Daran fand er so großen Halbinsel Überlebenselixier zu sein scheint, ist inzwischen Gefallen, dass er sich schließlich zur Eröffnung eines Cafés größer als nach dem traditionellen Kimchi. Aus einer Statistik entschloss. aus dem Jahr 2014, in der der wöchentliche Nahrungsmittel- konsum der Südkoreaner untersucht wurde, ging hervor, dass Seit mehr als drei Jahren leitet Jongjin Kim nun das „Mouse Koreaner in einer Woche durchschnittlich 12,2 Tassen Kaffee Rabbit“ . Das zweistöckige Gebäude befindet sich in der Nähe trinken. Kimchi dagegen essen sie nur 11,9 Mal pro Woche. 2 der Konkuk-Universität, in einem Bezirk, der sich in letzter Zeit zu einem angesagten Ausgehviertel entwickelt hat. Einzigartig Neben den großen Kaffeehausketten in Korea sind vor allem sind die verschiedenen Designkonzepte, die Jongjin Kim in Besuche in den kleinen Ein-Mann-Betrieben ein Erlebnis diesem Café umgesetzt hat. Das Untergeschoss ist wie eine für sich. Die individuell eingerichteten Cafés mit liebevoll Höhle gestaltet, das Erdgeschoss und der erste Stock gleichen zubereiteten Getränken sind zu jeder Tages- und Nachtzeit einer Terrasse. Das rühre daher, dass er, während er das Kon- ein beliebter Ort, um Freunde zu treffen, zu lernen oder sich zept für das Café festlegte, auf keinen Fall eine seiner Ideen im koreanischen Alltagstrubel eine kurze Auszeit zu gönnen. aufgeben wollte, meint Jongjin Kim, und daher einfach jeden Eines dieser Cafés trägt den Namen „Mouse Rabbit“ und wird einzelnen Gedanken umgesetzt habe. von dem 29-jährigen Jongjin Kim in Seoul betrieben. Ich treffe ihn an einem regnerischen Freitag in seinem zweiten Café Seit Oktober 2015 leitet er noch ein zweites Café, das „Mouse „Mouse Rabbit Underground“. Bei einer großen Tasse Café Rabbit Underground“ in der Nähe des Palastes Gyeong- Fotos: Bettina Dirauf Fotos:

KULTUR KOREA / 37 Spaß, dass er als Barista das alles selbst in der Hand hat.

Es gibt noch etwas, was „Mouse Rabbit“ von anderen Cafés und Jongjin Kim von anderen Barista unterschei- det: Es ist die Tatsache, dass er einen älteren Bruder hat. Was der Bruder damit zu tun hat? Zunächst einmal wäre da der Name „Mouse Rabbit“, der sich aus den Tierkreiszeichen – Maus und Hase – der beiden Brüder zusammensetzt. Darüber hinaus ist der Bruder mit dem Namen Jong-woon Kim ein koreanischer Superstar. Auch bekannt unter seinem Künstlernamen , ist Das „Mouse Rabbit Underground“ in Seoul er Mitglied von Super Junior, einer der berühmtesten K-Pop-Bands Südkoreas. bok-gung. Durch einen grauen Hauseingang, der zwischen Natürlich kommen so auch viele Fans in das Café, um ihrem den beiden Nachbargebäuden regelrecht eingequetscht Idol näherzukommen. Zunächst seien sie sehr schüchtern und zu sein scheint, geht man eine Treppe hinab und gelangt in erstaunt, wenn sie ihn, den Bruder ihres Idols, zum ersten Mal dieses wesentlich kleinere Café, in dem auch verschiedene sehen, aber zwischen einigen Gästen, die regelmäßig kom- Speisen verkauft werden. men, herrsche eine freundschaftliche Atmosphäre. „Ich freue mich immer, wenn Leute wiederkommen“, versichert Jongjin Bis zur Eröffnung seiner Läden war es für Jongjin Kim ein Kim. langer Weg. Zunächst musste er die Kunst der Kaffeezuberei- tung lernen: Er benötigte eine Ausbildung als Barista. Nach Da K-Pop und somit auch Yesung mittlerweile weltweit einem dreimonatigen Kurs erwarb er ein entsprechendes erfolgreich sind, lassen sich im „Mouse Rabbit“ immer auch Zertifikat. „Außerdem habe ich über einen Zeitraum von einem einige ausländische Gäste antreffen. Besonders aus Japan, Jahr in vielen verschiedenen Cafés gearbeitet. Dann betrieb China, Indonesien und Europa kämen sie, meint Jongjin Kim. ich die Filiale einer Caféhauskette auf Yeuido, und das circa Mittlerweile hat er anlässlich der vielen japanischen Fans eine anderthalb Jahre. Während dieser Zeit habe ich die Eröffnung kleine „Mouse Rabbit Tour“ durch Japan gemacht, wobei er meines eigenen Cafés vorbereitet“, erzählt der junge Barista im seinen Kaffee und Fanartikel in sogenannten „pop-up stores“ Rückblick. verkaufte. Dass die Berühmtheit seines Bruders solch enorme Auswirkungen auf den Betrieb von Jongjin Kim hat, ist kein Dazu reiste er sogar ins Ausland, um nach geeigneten Kaffee- Wunder. Der 32-jährige Jong-woon Kim alias Yesung debütier- sorten zu suchen, und nahm in Japan an einer Fortbildungsrei- te im November 2005 als eines von 12 Mitgliedern der Band se teil, die dem Thema Kaffee gewidmet war. Seine Vorberei- Super Junior. Als sie 2009 mit der Single „Sorry, Sorry“ einen tungen zahlen sich aus, denn seine „Mouse Rabbit“-Cafés sind Megahit landeten, wurden die Mitglieder der Gruppe auch unter Ausländern und Koreanern beliebt und gut besucht. Die außerhalb von Korea zu gefeierten Stars. Super Junior war vier „Mouse Rabbit“-Facebookseite hat weit über 73.000 „Gefällt Jahre in Folge die K-Pop-Band mit den meisten Plattenverkäu- mir“-Angaben und sogar einen eigenen Fanclub. Aber was fen. Zu ihren zahlreichen Preisen gehören unter anderem 13 ist es, das Jongjin Kim an seiner Arbeit als Barista fasziniert? Mnet Asian Music Awards und zwei Auszeichnungen bei den „Ich sage ungern von mir selbst, dass ich Barista bin. Dazu bin Teen Choice Awards 2015. Im April 2016 machte Yesung sein ich noch nicht gut genug“, antwortet er beinahe ein wenig Solodebüt mit dem Album „Here I am“ und ging anschließend verlegen. Aber schon von klein auf faszinierte es ihn, aus quasi in Japan auf Konzert-Tour. Neben seiner Tätigkeit als Sänger nichts etwas herzustellen. Er mag es, kreativ zu sein, und Kre- war und ist er auch Schauspieler und Moderator. Aus diesem ativität ist schließlich auch für die Arbeit eines Baristas nötig. Grund, sagt Jongjin Kim, kommen natürlich viele Fans, um bei Als Beispiel fügt er hinzu, dass ein Kaffee zwar immer den ihm, dem Bruder ihres Idols, einen Kaffee zu trinken. gleichen Namen wie „Americano“ oder „Café Latte“ trägt. Aber je nachdem, welche Kaffeebohnen man wählt und welche 1 http://coffeeexposeoul.com/coffee-industry-trends/ Methode des Röstens und Filterns angewendet wird, variiert 2 http://koreajoongangdaily.joins.com/news/article/article.as- der Geschmack jedes Mal ein bisschen. Jongjin Kim macht es px?aid=2999775

38 / KULTUR KOREA Fotos: privat Nach den Anweisungen ihres Meisters stelltHyesung Kwakbereits eigenständig Holzspielzeuge her. Hyesung KwakaneinerHolzbearbeitungsmaschineinder Werkstatt Beim BemaleneinesHolzmotivs Im Gespräch mitHyesung Kwak, angehendeHolzspielzeugmacherin VON KOREA INS ERZGEBIRGE KULTUR KOREA KALEIDOSKOP / 39 as Erzgebirge mit seinen abgeschiedenen Tälern die Schulbank drücken. Seit Einführung der Verbundausbil- und harten Wintern war lange Zeit ein Ort, der seine dung 1995 haben 325 Holzspielzeugmacher/innen die Lehre DBewohner mehr recht als schlecht ernähren konnte. erfolgreich abgeschlossen.1 Zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert war der Erzbergbau eine wichtige Erwerbsquelle, aber irgendwann gingen die Er- Bislang haben sich Hyesung Kwaks Erwartungen, was ihre träge zurück, und viele Gruben mussten wieder geschlossen Ausbildung angeht, voll und ganz erfüllt. Im ersten Lehrjahr werden. Da griffen die Menschen auf ihr handwerkliches Ge- hat sie sich Grundwissen angeeignet, und in ihrem jetzigen schick und den Holzreichtum ihrer Wälder zurück, um etwas zweiten Jahr kann sie das erworbene Wissen weiter vertiefen. zu erschaffen, was heute weit über die Grenzen der Region Nach den Anweisungen ihres Meisters stellt sie bereits eigen- hinaus berühmt ist: erzgebirgisches Kunsthandwerk in Form ständig Holzspielzeuge her. „Am Anfang sind mir verschie- von Räuchermännchen, Flügelpyramiden und Schwibbögen. dene Arbeiten wie der Umgang mit Hammer und Nagel sehr Schon zu DDR-Zeiten wurde die Holzkunst auch im Westen schwergefallen“, gesteht sie, aber inzwischen habe sie sich Deutschlands hoch geschätzt und gegen harte Währung daran gewöhnt. importiert. Heute ist sie am Weihnachtsabend aus vielen deutschen Wohnzimmern nicht mehr wegzudenken. Im Sommer 2018 wird sie ihre Lehre abschließen. Wenn möglich, möchte sie danach für ihren jetzigen Ausbilder, die Wer das liebevoll gestaltete erzgebirgische Kunsthandwerk Drechslerei Kuhnert, weiterarbeiten. Da es weniger Anwärter professionell herstellen möchte, muss eine Ausbildung als offene Stellen gibt und sie mit großem Engagement auf zum Holzspielzeugmacher durchlaufen. Die einzige Schule ihr Ziel hinarbeitet, hofft sie auf gute Chancen. Nur eines deutschlandweit, die eine solche staatlich anerkannte Qualifi- findet sie bedauerlich: „Dass sich so wenige junge Leute für kation anbietet, ist das Berufliche Schulzentrum für Technik in diesen schönen Beruf entscheiden.“ Wie in vielen anderen Zschopau mit seiner Außenstelle, der Holzspielzeug- Handwerksbereichen auch besteht ein Mangel an qualifizier- macher- und Drechslerschule in Seiffen. tem Nachwuchs.

Seit 2015 lernt dort auch die Koreanerin Hyesung Kwak. Ihre Seitdem Hyesung Kwak 2013 ihr erstes Weihnachtsfest in Faszination für die erzgebirgische Holzkunst geht auf eine Deutschland feierte, hat sie viele deutsche Weihnachtsbräu- Deutschlandreise im Jahr 2008 zurück, bei der sie erstmalig che schätzen gelernt, darunter Glühwein, Stollen und den damit in Berührung kam. Nach ihrer Heirat wanderte sie 2012 frischen grünen Tannenbaum, der, anders als in Korea, nicht von Korea nach Deutschland aus, wo sie in der Wohnung ih- aus Plastik ist. An ihrem Arbeitsplatz herrscht nicht nur im res Schwiegervaters auf eine fast 100-jährige Pyramide, Räu- Dezember, sondern das ganze Jahr über eine weihnachtli- chermännchen in Gestalt der Heiligen Drei Könige und bunte che Atmosphäre: Im Sommer wie im Winter bearbeitet und Engel aus dem Erzgebirge stieß, die ihr Interesse für diese alte gestaltet sie Kunsthandwerk für die Advents- und Weih- Handwerkstradition neu entfachten. So reifte ihr Entschluss, nachtszeit. Darüber hinaus werden in Seiffen und Umgebung sich um einen Ausbildungsplatz als Holzspielzeugmacherin Osterdekorationen und Objekte gefertigt, die Bezug auf zu bewerben. aktuelle Ereignisse nehmen. Derzeit ist der 500. Jahrestag der Reformation ein großes Thema. In Korea studierte sie traditionelle koreanische Malerei und arbeitete mit Tusche, asiatischen Farben und Pinsel. Schon Noch ist das erzgebirgische Kunsthandwerk innerhalb Asiens damals fühlte sie sich stärker zur traditionellen als zur mo- vor allem in Japan bekannt, aber die angehende Holzspiel- dernen Kunst hingezogen. Insofern verspürte sie eine große zeugmacherin hofft, künftig mehr Menschen in Korea für Affinität zur Erzgebirgskunst - ein traditionelles Handwerk, diese alte Tradition begeistern zu können. das ähnlich wie die asiatische Malerei filigranes Arbeiten erfordert. Das Interview führte Gesine Stoyke Redaktion „Kultur Korea“ Nach erfolgreichem Bewerbungsgespräch folgte die Übersie- delung in das erzgebirgische Seiffen, das mit den umliegen- den Orten das Zentrum für die Herstellung erzgebirgischen Holzkunsthandwerks bildet und auch als „Spielzeugwinkel“ bekannt ist. Dort arbeitet Hyesung Kwak nun im Rahmen des dualen Systems in einem Betrieb und besucht parallel die Be- rufsschule. Zu den Lehrinhalten der dreijährigen Ausbildung gehören die Bereiche Drechseln, kleinteilige Holzverarbei- tung, dekoratives Spanen und Schnitzen, Malen und dekora- tive Oberflächenbearbeitung. Im ersten und zweiten Lehrjahr liegt der Schwerpunkt auf der so genannten Verbundausbil- dung (die praktische Ausbildung, die an der Holzspielzeug- macher- und Drechslerschule Seiffen erfolgt), und das dritte Lehrjahr verbringen die Auszubildenden größtenteils an ihrer 1 https://www.bsz1-erzgebirgskreis.de/html/standort-seiffen.html, Arbeitsstelle. 21 Lehrlinge sind es insgesamt, die derzeit dort Abruf am 13.11.16

40 / KULTUR KOREA KUNST, THEATER, FILM

Szene aus dem Film „Reach For The SKY“ (R: Choi Woo-young, Steven Dhoedt)

DOKOREA 2016 Eindringliche Bildwelten in neuen Dokumentarfilmen Von Jörg Krömer

Für Korea-Interessierte und die fast 4000 in Berlin lebenden Koreaner/innen bzw. Deutschen koreanischer Herkunft gibt es ein neues Filmfestival. Vom 16. bis zum 19. September 2016 fand DOKOREA statt, welches schon im Titel an- deutet, dass hier nur Dokumentarfilme zu sehen sind. Doch was heißt hier „nur“? Diese Dokumentarfilme gaben auf ihre ganz eigene Weise einen Einblick in ein Land, dessen Kultur eine erstaunliche Vielfalt aufweist.

Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

KULTUR KOREA / 41 MY LOVE, DON’T CROSS THAT RIVER Frau ihrem Mann das Essen zubereitet. Selbst wenn es ihm Regie: Jin Moyoung, Republik Korea 2014, 86 Minuten, OmeU einmal nicht schmeckt, isst er trotzdem etwas davon, nur weni- ger. Dies ist nicht nur Ausdruck seiner tief empfundenen Liebe Zu Recht wurde dieser Film mit mehreren Filmpreisen aus- zu ihr, sondern zeugt auch von der Etikette der koreanischen gezeichnet, dessen Regisseur Jin Moyoung auch in Berlin zu Kultur. Von einem Koreaner wird man nie ein ablehnendes Gast war und für ein Publikumsgespräch zur Verfügung stand. „Nein“ zu hören bekommen. Porträtiert wird ein altes Ehepaar, welches in einer Bergregion nahe der Grenze zu Nordkorea lebt. Die fünfzehn Monate dau- Mit viel Sensibilität gelingt dem Regisseur ein anrührendes ernden Dreharbeiten begann der Regisseur noch mit seinem Porträt des alten Paares, welches die universellen Werte der kompletten Team, welches er aber später bis auf sich selbst Liebe ganz unaufdringlich in kleinen Gesten und Neckereien reduzierte, sodass er mit den beiden in ihrem Haus ganz allein abbildet. Eine wunderschöne Liebeserklärung an die Liebe, die war. Wir erfahren während des Films, dass Byeong-man Jo kein Alter kennt. 98 Jahre alt ist und seine Frau Kang Gye-Yeol 89 Jahre. Diese lange Ehe (bei der Eheschließung war Kang Gye-Yeol erst REACH FOR THE SKY 14 Jahre alt) böte sicherlich Stoff für mehrere Filme, denn die Regie: Choi Woo-young, Steven Dhoedt, Republik Korea/ Belgien beiden haben natürlich auch die Teilung Koreas nach dem 2015, 90 Minuten, OmeU Zweiten Weltkrieg und den Koreakrieg (1950-53) miterlebt. Auch die traurige Wahrheit, dass von zwölf Kindern nur sechs Der Regisseur von „My Love, Don’t Cross That River“, Jin überlebt haben, wird uns mitgeteilt. Doch das eigentliche The- Moyoung, sagte im Publikumsgespräch auch, dass Südkorea ma des Films ist die lebenslange Liebesgeschichte zwischen das Land mit der höchsten Selbstmordrate der Welt sei. Einer dem alten Pärchen. Die beiden leben zwar ganz allein, haben der Gründe hierfür ist der hohe Leistungsdruck, dem Schüler aber zwei Hunde und erhalten regelmäßig Besuch von ihrer und Studenten durch das wettbewerbsorientierte Bildungs- Familie. Für westliche Zuschauer mag das Haus einfach wirken, system ausgesetzt sind. Die südkoreanisch-belgische Kopro- der Filmemacher erklärte jedoch die traditionelle Lebensweise: duktion „Reach For The SKY“ der Regisseure Choi Woo-young Geschlafen wird auf dem beheizten Fußboden, der natürlich und Steven Dhoedt zeigt, wie bereits ab der Grundschule bis nicht mit Schuhen betreten wird. Fließendes Wasser und Elek- zum Ende der Oberschule alle Anstrengungen auf den Tag trizität sind ebenfalls vorhanden, und so sehen wir, wie die der Universitätsaufnahmeprüfungen hinauslaufen. Jedes Jahr

Der Regisseur Jin Moyoung (Mitte) im Gespräch mit Dr. Stefanie Grote (re.) über seinen Film „My Love, Dont‘t Cross That River“. An seiner Seite übersetzt die Dolmetscherin Christina Youn-Arnoldi (li.)

S.E. Lee Kyung-soo, Botschafter der Republik Korea, eröffnet am 16.09.2016 mit DOKOREA das erste koreanische Dokumentarfilmfestival in Berlin

42 / KULTUR KOREA am 2. November findet in ganz Südkorea der sogenannte Su- Fernsehen, dass sie keinerlei Berührungsängste hat und auch neung-Test statt. Mehr als eine halbe Million Schüler nehmen keine Kommerzialisierung fürchtet. In zahlreichen Spielszenen daran teil. Das Testergebnis entscheidet, zu welcher Universität wird noch einmal ihr Weg gezeigt, der zwar nicht immer leicht, man zugelassen wird, und damit über Ansehen und Status der doch der einzig mögliche war, den sie beschreiten konnte. Schüler und ihrer Familien. Nur ein Prozent der Schüler wird Vom Schamanismus gibt es keinen Rücktritt. in eine der drei so genannten SKY-Universitäten (ein Akronym Zu Gast im Kino Babylon war eine ihrer ehemaligen Schülerin- aus den Anfangsbuchstaben von Seoul National University, nen, die deutsche Schamanin Andrea Kalff-Cordero, welche und Yonsei Unversity) aufgenommen, auf die auch im Film zu sehen ist. Sie konnte aus eigener Erfahrung alle, die hohes Ansehen anstreben, unbedingt gehen wollen. schildern, was es bedeutet, mit der Geisterwelt in Kontakt zu Diejenigen, die durchgefallen sind, können den Test im darauf- stehen. Durch Kims Anleitung und durch die Initiation zur folgenden Jahr wiederholen. Dies hat eine riesige, millionen- Schamanin wurde Kalff-Corderos Leben praktisch auf den Kopf schwere Industrie geschaffen. Der Film beleuchtet alle Aspekte gestellt, aber sie geht nun den für sie bestimmten Weg. Selbst dieses Systems und begleitet einige Akteure des Tages. für den außenstehenden kritischen Betrachter strahlen die Ri- Da gibt es Hyunha, die eine fleißige, gute Schülerin ist, aber ten der Schamanen eine gewisse Faszination aus, und wer sich trotzdem wiederholt, um eine höhere Punktzahl für den völlig darauf einlässt, wird ganz neue Erfahrungen machen. Zugang zur Prestigeuniversität zu erzielen. Hyein war bis zur Der Regisseur Park Chan-kyong bietet keine Erklärungen an Mittelstufe eine gute Schülerin, hat dann aber die Lust am und überlässt dem Zuschauer die Interpretation. Zum Schluss Lernen verloren und will es nun doch noch schaffen. Und da ist überwindet die Inszenierung sogar die Grenze zwischen dem Minjun, der auf ein Internat für Wiederholer geht, um den Test Dargestellten und den Filmemachern, und die Kamera ent- irgendwie zu bestehen. Das Internat ähnelt eher einer Militär- schwebt in den unendlichen Himmel. kaserne als einer Lehranstalt. Lernen die Schüler in Südkorea gewöhnlich ohnehin schon von früh morgens bis 23 Uhr in Das Kino Babylon in Berlin-Mitte erwies sich als ideale der Nacht, so verlängern sie ihre Lernzeit vor der Prüfung noch Spiel- und Begegnungsstätte für das Festival, denn natürlich weiter. Da bleibt kaum Zeit für irgendetwas anderes, geschwei- führten die gezeigten Filme auch zu angeregten Diskussio- ge denn Zeit für Freunde oder Familie. nen zwischen den Gästen. Und die Koreaner waren sogar in Gezeigt wird auch der Star-„Nachhilfelehrer“ von Megastudy, der Minderheit. Die zumeist höchst interessierten deutschen eine der Firmen, die vom Schulsystem leben. Der beschwert Zuschauer folgten aufmerksam dem Geschehen und beteilig- sich, dass nur 80 Schüler in einen Raum passen, und ist ten sich rege an den Publikumsgesprächen. Gern hätte man ohnehin eher ein Motivationsanpeitscher, der wie ein Popstar dem Festival sogar noch mehr Zuschauer gewünscht, denn behandelt wird, und nach der Schulung sein Buch signiert. nur dann kommt eine richtige Festivalatmosphäre auf. Aber Die Regierung will den Trend stoppen, der zu einer Vereinfa- bereits jetzt zeichnete sich ab, dass wohl viele der Anwesen- chung des Tests führen soll, da sonst zu viele Schüler für die den bei einer Neuauflage wieder dabei sein werden und – sie Eliteuniversitäten in Frage kämen und das Zulassungssystem werden dank Mund-zu-Mund-Propaganda weitere Zuschauer aufgeweicht würde. mitbringen. Am Tag der Universitätsaufnahmeprüfungen gleichen die Städte Hochsicherheitszonen, in denen zu bestimmten Zeiten * Der Text umfasst eine beispielhafte Auswahl von drei Filmen, welche die selbst Flugzeuge nicht landen oder starten dürfen, um die Themenvielfalt, aber auch die unterschiedlichen Ansätze der Filmemacher Ruhe nicht zu stören. Polizisten bringen Schüler rechtzeitig aufzeigen. zum Testgebäude, und Eltern gehen zum Beten in die Kirche oder in den buddhistischen Tempel. Selbst nach erfolgreichem Aufnahmetest, egal, ob beim ersten oder wiederholten Mal bestanden, müssen die Schüler sich trotzdem noch möglichst schnell bei ihrer Wunschuniversität bewerben. Ein hochinteressanter Film, der facettenreich das Thema beleuchtet und anhand der dargestellten Personen auch mög- liche Konsequenzen aufzeigt.

MANSHIN: TEN THOUSAND SPIRITS Regie: Park Chan-kyong, Republik Korea 2013, 104 Minuten,

OmeU privat Foto:

Mit 17 Jahren wurde Kim Keum-hwa zur Schamanin geweiht, Jörg Krömer lebt in Berlin nachdem sie schon als Kind von Geistern heimgesucht wurde. » und schreibt seit über 25 Jah- ren Rezensionen über Filme, Die 1931 geborene Kim musste zwar auch Repressionen Soundtracks, Bücher und Neue erdulden, doch heute, im modernen Korea, hat sie ihren Platz Medien, hauptsächlich für die und die ihr zustehende Anerkennung gefunden. Es fällt den ANDROMEDA NACHRICHTEN. Koreanern, die sie um Rat bitten, leicht, an sie zu glauben und Besonders interessiert ist er gleichzeitig der westlichen Konsumgesellschaft anzugehö- an sozialen, kulturellen und ren. Und auch Kim selbst zeigt durch zahlreiche Auftritte im technischen Entwicklungen.

KULTUR KOREA / 43 KUNST, THEATER, FILM

„RIGHT NOW, WRONG THEN“ Kultregisseur Hong Sangsoo erstmalig im deutschen Kino Im Gespräch mit Mikosch Horn, Mitbegründer des Filmverleihs Grandfilm

44 / KULTUR KOREA Filmstills aus „Right Now, Wrong Then“ (R: Hong Sangsoo, Republik Korea 2015)

er Film- und Theaterwissenschaftler Mikosch Horn ist im großartige Filme hervorbringt, die am normalen Kinogänger Filmhaus Nürnberg für die Programmauswahl mitver- vorbeigehen, war immer die Motivation zum Weitermachen Dantwortlich. Schon seit Jahren besucht er regelmäßig da. Es sei gerade diese Nichtsichtbarkeit, die es so schwer für internationale Filmfestivals, um dort in den Genuss von Filmen viele Filme mache: Nur, wer zum richtigen Zeitpunkt auf dem zu kommen, die kaum im regulären Kinoprogramm zu finden richtigen Festival sei, könne bestimmte Werke sehen – eine sind. Besonders begeisterte ihn der Film „Norte“ des philippi- Situation, die die drei ändern wollten. nischen Regisseurs Lav Diaz, der 2013 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet wurde. Der koreanische Regisseur Hong Sangsoo gilt als der koreani- sche Woody Allen. Seine intellektuellen Filme über neurotische Die Suche nach einem Verleih in Deutschland, der sich zur Ver- (meist) männliche Helden, die sich in komplizierte Beziehun- marktung dieses Films – der zwar auf Festivals gefeiert wird, gen verstricken und von Selbstzweifeln geplagt sind, gehören aber dessen kommerzieller Erfolg eher ungewiss ist - bereiter- schon längst zum festen Repertoire internationaler Filmfesti- klärt und die Erkenntnis, wie schwierig es ist, einen solchen vals. Das Markenzeichen des Regisseurs sind szenische Wieder- Verleih zu finden, veranlassten Horn 2014, seinen eigenen holungen, wobei er es versteht, durch kleine Variationen dem Filmverleih Grandfilm zu gründen – zusammen mit dem Nach- Geschehen eine völlig neue Wendung zu geben. wuchsregisseur Stefan Butzmühlen und seinem Bruder Patrick Horn, ebenfalls Filmemacher. Hong Sangsoo hatten die drei Filmenthusiasten schon lange im Visier und sich stets gewundert, dass seine Produktionen Zunächst war unklar, ob die drei Cineasten ihr gemeinsames noch nie außerhalb von Retrospektiven oder Festivals in deut- Projekt nach „Norte“ fortsetzen, aber da das Weltkino ständig schen Kinos zu sehen waren. „Es sind anspruchsvolle Komö- Fotos: © Grandfilm Fotos:

KULTUR KOREA / 45 dien, die das Leben, die Liebe, alltägliche Dinge verhandeln, noch mehr Zuschauer dazu veranlassen wird, von den vertrau- und das auf unterhaltsame, spannende und zum Nachdenken ten Pfaden abzuweichen und sich auf cineastisches Neuland zu anregende Art“, erklärt Mikosch Horn deren Faszination. So begeben. lag es nahe, dass Grandfilm sich entschied, Hong Sangsoos „Right Now, Wrong Then“ herauszubringen, der 2015 in Locarno Das Interview führte Gesine Stoyke mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde und auf Redaktion „Kultur Korea“ ungewöhnliche Weise die Möglichkeit einer Liebesbeziehung zwischen einem verheirateten Filmregisseur und einer jungen Malerin auslotet. Weitere Informationen zu Spielstätten und Terminen finden Sie unter grandfilm.de Während Hong Sangsoos Filme in Deutschland nahezu unbekannt sind, haben sie bei französischen Kinogängern längst Kultstatus und ziehen dort regelmäßig um die 100.000 Zuschauer an. Horn sieht dies in der Tradition der Franzosen als cinephile Nation begründet, die insgesamt ein großes Interesse am asiatischen Kino zeigt.

Die Erwartungen an den deutschen Filmstart von „Right Now, Wrong Then“, der dank Grandfilm ab dem 8. Dezember in 15 Kinos startete, waren da schon bescheidener. Der Film- und Theaterwissenschaftler sagte im Vorfeld, dass er sich über 5000- 10.000 Zuschauer freuen würde, wenn die Zahl der Spielstätten, die gewillt seien, sich auf dieses Experiment einzulassen, auf 30- 40 steigen könnte. Denn gerade kommunale Kinos oder solche, die ihr Programm sehr sorgfältig auswählen, spielen Filme nicht immer gleich vom Start, sondern oft erst Wochen später. Natür- lich sei klar, dass sich das deutsche Interesse für den asiatischen Film nicht mit einem einzigen Schlag erzeugen lasse, aber es sei dennoch wichtig, Hongs Werk ins Kino zu bringen.

Horn verweist darauf, dass die Themen, die Hong Sangsoo in seinen Filmen behandelt, auch für Zuschauer in Deutschland relevant sind. Zunächst gelte es aber, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen: „Natürlich würde ich mir wünschen, dass man vielen Menschen klarmachen kann, dass hier jemand ist, der auf unterhaltsame und intelligente Weise mit Beziehungen, mit der Liebe, mit den kleinen Handlungen im Leben umgeht, die dann für verschiedene Enden der Geschichte sorgen: Wie sich eine Beziehung entwickelt, wie sich Mann und Frau im Leben begeg- nen, ob dann am Ende eine Beziehung oder keine Beziehung steht, ob auf die Nacht, in der man sich kennengelernt hat, noch weitere Tage folgen.“

Mikosch Horn könnte sich vorstellen, auch in Zukunft Filme von Hong Sangsoo in Deutschland zu zeigen; im September 2016 hat der Regisseur beim Toronto International Film Festival

für „Yourself and Yours“ sehr gute Kritiken erhalten. Interessant Grandfilm Foto: findet er aber auch Werke von anderen koreanischen Filmema- Mikosch Horn studierte Film- und chern wie Park Chan-wook, der im Mai 2016 in Cannes mit „The » Theaterwissenschaften in Erlangen Wailing“ vertreten war, oder von Kim Ki-duk. und Wien. Er ist wissenschaftlicher Mit- arbeiter beim Filmhaus Nürnberg und Die Anzahl der Produktionen, die Grandfilm jedes Jahr ins Kino für das Programm mitverantwortlich. bringen kann, ist begrenzt, aber es wird sicher noch das eine Daneben ist er seit der Gründung 1998 oder andere asiatische Epos darunter sein, denn das Spannende Vorsitzender des Trägerverein des In- an diesen Werken seien gerade „die Erzähltraditionen und die ternationalen Nürnberg Filmfestivals der Filmsprache, die ganz anders als die klassischen europäischen Menschenrechte und seit 2012 Lehr- oder amerikanischen sind“. beauftragter am Institut für Theater und Medien, Erlangen. 2014 gründete er zusammen mit den Filmemachern Zunächst einmal erwartet das deutsche Publikum aber mit Stefan Butzmühlen und Patrick Horn „Right Now, Wrong Then“ ein filmisches Highlight, das vielleicht den Filmverleih Grandfilm.

46 / KULTUR KOREA KUNST, THEATER, FILM

POLITISCH KORREKTE TURNSCHUHE Über das koreanisch-deutsche Theaterprojekt „Walls - Iphigenia in Exile“

Von Dr. Stefanie Grote Redaktion „Kultur Korea“

„Es gab auch schöne Tage“ von Mario Salazar (Video) Regie: Jungung Yang, Video: Daniel Hengst. Auf dem Bild: Katharina Matz

as vor vier Jahren als „simpler Austausch“ von korea- tischen Land komme, dachte ich, ich würde hier gut reinpas- nischen und deutschen Regisseur/innen und als Pro- sen.“ Da gibt es in der Gestalt der Dolmetscherin (Kotti Yun) Wjekt mit vagen Konturen begann, ist zu einer auf- und gewissermaßen eine Landsmännin und mit ihr die Hoffnung anregenden Szenenfolge und kunstvollen Themensetzung auf Solidarität und Unterstützung. Sie ist einem deutschen von bilateraler Relevanz herangewachsen. „Walls - Iphigenia Behördenbeamten und Entscheider (Helmut Mooshammer) in Exile“ wurde am 14. Oktober 2016 im südkoreanischen an die Seite gestellt. Übereifrig errät sie den Betrug des Asyl- Gwangju und am 23. Oktober in den Kammerspielen des begehrens, verrät den Betrug - die Hoffnung stirbt. „Wo ist er Deutschen Theaters in Berlin uraufgeführt. Der Titel verrät denn hin, der Humanismus?“, fragt Iphigenie, die eigentlich die Richtung. Innerdeutsche und innerkoreanische Teilung, Ihigyen heißt und deren Namen der Behördenbürokrat trotz Grenzerfahrung, der Umgang mit Fremdem, Verunsicherung. mehrfacher Korrekturhinweise partout nicht richtig auszuspre- Goethes Drama Iphigenie auf Tauris „ist die Folie, auf der sich chen weiß - weil das Anliegen den Aufwand wohl nicht lohnt, ‚grenzüberschreitend‘ Theatermacher_innen und Texte aus es können zu wollen oder zu müssen. Die Brüche verlaufen Korea und Deutschland begegnen und zu einer Inszenierung zwischen Fremden. in zwei Sprachen kulminieren“, ist im Programmheft zu lesen. Iphigenie, die typische Vertreterin des klassischen Humani- Die Brüche verlaufen zwischen Entfremdeten. Der einst tätsideals, wird im Hier und Heute, in ungewissen Zeiten wie Geliebte hat sich nach der innerdeutschen Wende gen Westen diesen, zur Vorlage, zum Sinnbild, zur Mahnerin. orientiert, zunächst zögerlich, dann weniger zögerlich, dann mit Entschlusskraft. Vermutlich hat er eine Familie gegründet Sie, Iphigenie (Dakyung Yoon), tritt aus dem Dunkel in das dort. Eine zufällige Wiederbegegnung mit „ihr“ ist auch eine Licht des Grenzscheinwerfers, überwindet Mauern und Hür- Wiederbegegnung mit dem Osten, er weicht dem Blick aus. den, um auf neue zu treffen. In der Szene „Asyl“ (Regie: ZinA „Ich denke, er wollte mit dem Osten nichts mehr zu tun haben, Choi) ist sie die aus Nordkorea Geflüchtete, die in Deutschland und ich war ja auch irgendwie der Osten.“ Heute lebt „sie“ als Asyl beantragt und aus Angst vor Ablehnung des Antrags Familienanwältin ohne Familie, allein, immer noch dort, in verschweigt, bereits in Südkorea als Flüchtling anerkannt einer schönen großen Wohnung. „Wahrscheinlich gehör ich zu zu sein. „In Deutschland leben Menschen mit Menschen aus den Gewinnern der Wende; es fühlt sich aber anders an. Mein

© Arno Declair Ostdeutschland zusammen, und weil ich aus einem sozialis- Land, meine Gesellschaft ist weg. … Ich habe mich früher

KULTUR KOREA / 47 In „Mail-Order-Bride“ von Kon Yi (Regie) spielt Kotti Yun die Vietnamesin Eun-hye. „Asyl“ von ZinA Choi (Regie) V. li.: Ihigyen (Dakyung Yoon), Dolmetscherin (Kotti Yun), Entscheider (Helmut Mooshammer)

nicht so allein gefühlt.“ Ja, „Es gab auch schöne Tage“ (Regie: zur Prostituierten. Ein Freier (Hyun Jun Ji) möchte ihr mensch- Jungung Yang) betitelt Mario Salazar eben diese Video-Ein- lich begegnen, eine Liebesgeschichte könnte beginnen. Ein spieler, in der drei Frauen zu Wort kommen. Drei Frauen Luftballon platzt. drei Perspektiven - auf die eigene Vergangenheit im Osten Deutschlands, das historische Ereignis des Mauerfalls und die Auf der Suche nach der romantischen Liebe und nicht zuletzt Zeit danach. „Die DDR war nicht nur schlecht“, erzählt Gabriele inspiriert durch koreanische Seifenopfern heiratet die Viet- Heinz, eine ältere Dame mit dunklen Haaren, „Wir sind auch in namesin Eun-hye (Kotti Yun) einen Koreaner, den sie nicht den Urlaub an die Ostsee gefahren.“ Leinwandfüllend erinnert kennt. Ihre Eltern sind Bauern und haben kein Geld, allen vier die filmische Aufmachung ihrer Porträts an verstaubte Su- Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Zu Gunsten ihrer per-8-Filme aus vergangenen Tagen. Zeitversetzt, authentisch, Geschwister verzichtet Eun-hye auf den Besuch einer Univer- auch im Heute. Katharina Matz, eine ältere Dame mit grau-wei- sität und sucht ihr Glück in der Ehe. Ihren Mann lernt sie über ßen Haaren, rechnet mit der DDR ab, mit der „Machtmaschi- eine Heiratsagentur kennen. Sie geben sich das Ja-Wort nach ne, die den Sozialismus missbrauchte für ihre Legitimation“. nur einem Tag. „Mail-Order-Bride“ (Regie: Kon Yi) erzählt vom Sie war schon vor dem Mauerfall ausgereist, lebte mit ihrer Scheitern eines Traums durch das Scheitern einer Liebe, die kleinen Tochter im Flüchtlingslager in Berlin-Marienfelde. „Ich gar nicht erst erblühte. Die Brüche verlaufen zwischen Frem- gönne den Menschen in der DDR den Mauerfall nicht – Heuch- den. In der romantischen Verklärung liegt der Grund, dass lern und Ja-Sagern wurde die Freiheit vor die Füße geworfen.“ Eun-hye „ihr Leben nicht mit dem nötigen Abstand betrachtet Heute lebt sie in Köln. „Ich kann im Osten nicht wohnen. Ich – würde sie es tun, würde es noch härter sein“, resümiert ein habe im Osten so viel Scheiße erlebt.“ Die Betonung liegt auf Professor (Helmut Mooshammer) im Ergebnis seiner For- „Scheiße“… schung über diverse Liebeskonzepte und einem Interview mit ihr. Eun-hye spielt ihr Leben mit zwei Holzpuppen nach, die sie Iphigenie ist auch eine Priesterin, gefangen in einem fremden springen, stehen und … fallen lässt. In Anlehnung an Goethe Land. Sie findet ein Stück Heimat in den Ritualen ihres Landes, wird Iphigenies Idee von der romantischen Liebe aufgegriffen die sie in der Fremde praktiziert. Der Regisseur Jungung Yang und in dieser Szene zu Grabe getragen. unterlegt das Stück „Ritual“ mit Texten von Goethe. Es ist eine Art Meditation. Rezitationen bei Kerzenlicht, übertönt von Sabine Waibel kommt aus Österreich, ist Schauspielerin, lebt urschreiartigen Lauten und wilder Gestik, die auf Iphigenies in Berlin und macht Yoga – weil sie Schauspielerin sei, in Berlin Trauma hindeuten, aber auch ihre Hoffnung sichtbar ma- lebe und eine Frau sei, wie sie sagt. In heiterem Ton plaudert chen. – Iphigenie, das ist auch die aus Nordkorea Geflüchtete, Sabine Waibel in „Sabine Waibel – Just for one Day“ (Regie: die sich in der vorletzten Szene „Iphi-genie“ (Mario Salazar) Kyungsung Lee) über Sabine Waibel, über ihr Leben. Über ihr in Seoul als junge Prostituierte verdingt, um ihre Familie in mangelndes Zugehörigkeitsgefühl hier wie dort. „Wo meine der Heimat zu unterstützen. Beschwerte Luftballons können Heimat ist, das weiß ich eigentlich nicht mehr so ganz genau, nicht fliegen. Am Ende der Leine hängen Gewichte. Iphi-genie denn, wenn ich in Österreich bin, heißt es: ‚Du klingst ja wie platziert sie wie Setzlinge auf dem Boden - freudig, leichtfüßig, eine Deutsche, und wenn ich in Deutschland bin, heißt es: singend, beschwingt. Derart fixiert werden sie bleiben. Wer Du mit deinem Ösi-Akzent!‘ “ Über ihre Urgroßmutter, die aus unterstellte, sie sollten gen Himmel fliegen? Unter der Regie Italien nach Österreich kam - als Gastarbeiterin, Seidensticke- von Tilmann Köhler wird eine Puppe zu ihrem zweiten Ich, rin. Über ihre Ängste. „Im Leben fühl ich mich nie sicher. Da

48 / KULTUR KOREA „Iphi-genie“ von Mario Salazar, Regie: Tilmann Köhler V. li.: Iphi-genie (Kotti Yun) und Park (Hyun Jun Ji)

weiß ich ja gar nicht, was auf mich zukommt, also, ich hab ja gar nix unter Kontrolle.“ Über ihr Vorhaben, nicht immer nur nett, sondern konsequent zu sein, ihrem Gewissen zu folgen, „Schritte zu setzen“, woraufhin sie sich die zwar „unglaublich hässlichen“, aber politisch korrekten Turnschuhe in einem Fair-Trade-Geschäft gekauft habe, um einmal „alles richtig“ zu machen. Über die Illusion, als sie nach dem Kauf erfährt, dass die Realisierung eines solchen Luxussegments nur möglich sei, weil das Geschäft nebenher Billigschuhe in China produzieren lasse. Darüber, Held sein zu wollen, nur für einen Tag. Über David Bowie, der 1987 am Brandenburger Tor ein Konzert gab, damit seine Fans in West und Ost ihn hören konnten. Bowie, der „Heroes“ spielte – „We can be heroes just for one day!“ - und nach dem Konzert sagte: „Das war das Emotionalste, was ich jemals erlebt habe. Ich war so gerührt, man hat sie auf der anderen Seite der Mauer mitsingen hören … es war wie ein Gebet.“

Sabine Waibel schaut hinter der Mauer hervor, erzählt im Rückblick auf dieses Ereignis von einem Freund, der damals dabei war, in Ostberlin, weil er von dem Gerücht gehört hatte, dass Bowie am Abend spielen würde – nein, sie schreit es über die Mauer, schreit zu der Musik von „Heroes“, schreit sich in Ekstase, „ und dann standen alle da, in der Nähe der Mauer, und dann wehte der Wind (schreit!), und dann trug der Wind tatsächlich ein paar Töne rüber über die Mauer (schreit!), und dann hörte man Bowie (schreit!), und dann hörte man sogar vielleicht ein paar Töne aus ‚Heroes‘ (schreit!) …!“ … just for one day. Fotos: © Arno Declair © Fotos:

KULTUR KOREA / 49 KUNST, THEATER, FILM

FRANZÖSISCHE HAUTE COUTURE TRIFFT HANBOK Robes - Variation VII (30.06-25.08.16) Die Entwürfe der Designerin Saena Chun im Koreanischen Kulturzentrum

Von Gesine Stoyke Redaktion „Kultur Korea“

Foto: Koreanisches Kulturzentrum 50 / KULTUR KOREA ei der Vernissage der Ausstel- zehn Gebäudekomplexe erstre- lung „Robes – Variation VII“ cken. Es gibt dort 50.000 Hersteller Bam 30. Juni im Koreanischen und 30.000 Spezialgeschäfte. Hier Kulturzentrum bildeten die Mo- lässt sich alles erwerben - von delle der Designerin Saena Chun, Seide und Stoffen bis zu Kleidung, die in der Mitte des Raumes zu Schuhen, Leder- und Sportartikeln. schweben schienen, den Fokus. Es Auf dem Markt fand sie, was sie wurden zehn Kleider (französisch: suchte: Geschäfte, in denen tradi- robes) ausgestellt, die dem tradi- tionelle Stoffe verkauft werden, tionellen koreanischen Gewand viele davon noch per Hand Hanbok (한복) nachempfunden gewebt. Besonders beeindruckte waren. Der Hanbok für Frauen be- sie die Oksa-Seide (옥사), die von steht gewöhnlich aus zwei Teilen fester Qualität ist und an Organza – einer kurzen, boleroähnlichen erinnert. Nachdem Saena Chun Jacke (저고리, Jeogori) und einem bisher nur mit glatten, fließenden weiten, geschwungenen Rock Seidenstoffen wie Chiffon gearbei- (치마, Chima). Im Koreanischen tet hatte, entschied sie sich, das Ex- Kulturzentrum wurden jedoch periment zu wagen und ihre neue Einteiler gezeigt, die sich an einem Kollektion aus Oksa anzufertigen. Übermantel (철릭, Cheollik) orien- Dies erforderte auch die Aneig- Saena Chun tierten, der einen geraden Kragen nung einer ihr völlig unbekannten und einen Rock mit Faltenwurf Nähmethode in Korea. besitzt.1 Da die Designerin in Deutschland „Ich durfte viel über die Schönheit niemanden finden konnte, der sich des Einfachen und gleichzeitig mit traditionellen koreanischen über die Perfektion lernen. Es war Nähtechniken auskennt, musste ein Genuss, diese wunderschönen sie alle Arbeiten eigenhändig Stoffe zu sehen, zu fühlen und ausführen. Die gesamte Kollekti- daraus, mit einfachen und einzig- on entstand innerhalb von sechs artigen Techniken, inspiriert durch Wochen. Eine Vorstellung von die traditionellen koreanischen ihrem Arbeitsaufwand gaben die Gewänder, diese wunderbaren makellos gearbeiteten Säume und Kleider zu designen und herzu- Nähte, die mit einer komplizierten stellen“, sagte die Designerin in Doppelstichmethode namens einer kurzen Ansprache, in der sie Kkaekki-Nähmethode (깨끼 바느질) ihren Freunden und Unterstützern jeweils drei Mal ausgeführt werden dankte. mussten. Gerade bei dünnen und transparenten traditionellen ko- Saena Chun präsentierte an reanischen Stoffen wie Mosi (모시, diesem Abend das Ergebnis eines Ramie) kommt sie zum Einsatz. Projekts, für das sie von der Pla- nung bis zur Realisierung fast fünf Um die spezifischen Merkmale Monate benötigt hatte. Für sie, die von Material und Stoff und die an der Modeschule ESMOD Paris aufwendigen Fertigungstechni- studiert und in der französischen ken ihrer neuen Kollektion in den Hauptstadt für Sonia Rykiel und Mittelpunkt zu rücken, hatte die Chloé gearbeitet hatte, war dies Designerin die Idee, ihre Kleider die erste Auseinandersetzung mit nicht an Modellen, sondern eigen- der traditionellen Kleidung ihres ständig fotografieren zu lassen. Heimatlandes. Um mehr über den Die Umsetzung dieses Gedankens Hanbok und seine Herstellungs- war dem Fotografen Torben Geeck techniken zu erfahren, war sie perfekt gelungen, wie die Fotos Anfang 2016 nach Seoul gereist an den Wänden zeigten. Trotz des und hatte den berühmten Dong- festen Materials wirkten Saenas daemun-Markt im Seouler Bezirk Kleider auf den Bildern transparent Jongno-gu besucht. Der Markt hat und schwerelos zugleich. gigantische Ausmaße und besteht aus 26 Einkaufsmalls, die sich über

Foto: Torben Geeck Torben Foto: KULTUR KOREA / 51 In ihrem Vortrag stellte die Wissenschaft- lerin diverse Dokumente aus den Berliner Museumssammlungen vor, die einen Bezug zur Geschichte der koreanischen Kleidung haben, darunter ein Kapitel über Männer- und Frauenkleidung im „Korea-Reisebericht“ (1909) von Emma Kroebel, die mit ihrem Mann fünf Jahre lang in Korea, China und Japan lebte, sowie bislang unveröffentlichte Ama- teuraufnahmen von Adolf und Frieda Fischer, die das Ehepaar während einer Forschungs- und Sammlungsreise durch Korea im Herbst 1905 im Auftrag der Vortrag von Dr. Adelheid Rasche (am Rednerpult) bei der Finissage am 25. August Königlichen Museen zu Berlin machte.

Wer bei dieser Vernissage einen Blick auf Schnittmuster wählten sie geometrische Die Historikerin verwies auch auf Farb- den Fußboden warf, konnte eine weitere Bewegungsabläufe und eine statische aufnahmen koreanischer Kleidung in Besonderheit von Saenas Kollektion aus- Kameraführung, spielten mit Sound und den 1914 erschienenen Reiseerinnerun- machen: Abbildungen der Schnittmuster, Bewegungen. Am Abend der Vernissage gen des Benediktinermönches Norbert die in ihrer Einfachheit verblüfften – so wurde das Video von Alexander Geor- Weber aus der Erzabtei St. Ottilien in weit das Auge reichte, nur Rechtecke ghiu (Schnitt: Peter Scholl, Ton: Jens Oberbayern, die 1923 in zweiter Auflage unterschiedlicher Größe. Mancher Bogedain) vorgestellt, das die Perfor- erschienen. Mit diesen und weiteren Besucher mag sich gefragt haben, wie mance von Peter Kisur (Begründer der Beispielen aus ihrer Sammlung lud Dr. dies möglich sei, wo der Hanbok, welcher Honey-Suckle Company) und Chiaki Fujii Rasche die Gäste dazu ein, selbst einmal der Modemacherin als Vorbild diente, in Saenas Entwürfen zeigte. Darin wurde den Studiensaal der Kostümbibliothek zu sich doch gerade durch die Ästhetik der Prozess von der Entstehung der Rau- besuchen und dort verschiedene Publi- seiner geschwungenen Linien auszeich- pe im Seidenkokon über das Weben und kationen einzusehen. net. Da müssten doch eigentlich auch Zuschneiden bis zum Nähen und Bügeln die Schnittmuster Kurven aufweisen. des Stoffes gezeigt. Entsprechende Sym- Der Hanbok war über Jahrhunderte Saena Chun war selbst überrascht, als bole, Geräusche und Tanzbewegungen Alltagskleidung der Koreaner und wurde sie feststellte, wie einfach die Grundele- veranschaulichten diesen Prozess. in früheren Jahrhunderten von auslän- mente des Hanboks sind. „Um Kurven zu dischen Beobachtern als Merkmal der erzielen, muss man bei einem rechtecki- Auch das Foto- und Video-Shooting koreanischen Identität dokumentiert. gen Stück Stoff lediglich den Anfangs- musste die Designerin in den eng ge- Auch wenn er inzwischen durch westli- und Endpunkt markieren und den Stoff steckten Zeitrahmen des sechswöchigen che Kleidung aus dem Alltag verdrängt entsprechend nähen“, erklärte sie. Diese Herstellungsprozesses integrieren. Trotz wurde, gibt es immer wieder Bemü- Herstellungsmethode ist sehr effizient, der kurzen Zeitspanne war allen Beteilig- hungen, ihn zu modernisieren und aus was Material und Zeitaufwand angeht, ten Großartiges gelungen, wie an diesem seinem Nischendasein hervorzuholen. In da kaum Verschnitt entsteht und das Abend deutlich wurde. dieser Ausstellung zeigte eine Designerin Zuschneiden relativ einfach ist. Heute einmal mehr, wie ihm neue Aktualität zu würde man von Zero Waste- oder Lesser Den erfolgreichen Abschluss der Ausstel- verleihen ist. Waste-Mode sprechen, einem neuen lung bildete am 25. August eine Finissa- Trend der Nachhaltigkeit 2. ge in Anwesenheit der Designerin. Als Rednerin war die Kunst- und Modehisto- 1 Alle diese Kleidungsstücke fallen unter den Professionelle Modekollektionen gehen rikerin Dr. Adelheid Rasche, Leiterin der Oberbegriff „Hanbok“. stets mit einem Foto-Shooting einher. Sammlung Modebild - Lipperheidesche 2 „Zero Waste“/ „Lesser Waste“ (wörtlich über- In jüngster Zeit sind viele Labels dazu Kostümbibliothek im Kulturforum (der setzt: ,Null Abfall‘/ ,Weniger Abfall‘): Modebewe- übergegangen, Filme anzufertigen, weltweit größten grafischen Sammlung gung zur Vermeidung von Abfall. Anders als bei um einen Eindruck von den Kleidern in und Fachbibliothek zur Kulturgeschich- der Zero Waste- oder Lesser Waste-Mode gehen Bewegung zu vermitteln. Auch Saena te von Kleidung und Mode), Staatliche bei der traditionellen Kleiderherstellung gewöhn- wollte dieses Mal ein Video produzieren Museen zu Berlin, geladen. lich 20 % der Materialien durch Garnherstellung, lassen. Sie setzte sich mit befreundeten Weben und vor allem Zuschnitt verloren (Quelle: Künstlern zusammen und erzählte ihnen Dr. Rasche lobte Saenas Entwürfe als http://www.hessnatur.com/de/zerowaste). von dem Konzept hinter ihrer Kollektion. zeitlos-modern und als Kollektion, die Die Filmemacher teilten Saenas Vorliebe „ihre Ursprünge in der Kleidungstradition für Bauhaus und die 1920er Jahre. In An- Koreas deutlich zeigt und doch keinerlei lehnung an die geraden, schnörkellosen folkloristische Anspielungen sucht“.

52 / KULTUR KOREA KUNST, THEATER, FILM BLUMEN DER FREUNDSCHAFT

Ein Festival in Potsdam entfaltet sich zu einem Treffpunkt für Korea-Fans

Von Gesine Stoyke Redaktion „Kultur Korea“

etreten Sie vom Potsdamer Hauptbahnhof kommend die Lange Brücke und laufen Sie fast bis zur Mitte. Dann stoßen BSie rechter Hand auf einen Fußweg. Folgen Sie ihm, und schon befinden Sie sich unvermutet in einer Anlage wieder, die jeder Gartenschau zur Ehre gereichen würde. Hier, in Sichtweite von Stadtschloss und Nikolaikirche, wurde auf der Freundschafts- insel Potsdam nach der Idee des berühmten Gartenphilosophen und Staudenzüchters Karl Foerster (1874-1970) auf einer Fläche von 6,5 ha ein Schau- und Sichtungsgarten angelegt, in dem sich heute über 100.000 Stauden sowie seltene Baum- und Strauchar- ten befinden. Nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde der Garten in den 1950er Jahren rekultiviert und Ende der 1970er Jahre zum Flächendenkmal erklärt.

Am 6. August 2016 gegen 15.00 Uhr herrscht auf dem kleinen Eiland geschäftiges Treiben: Angestellte sind dabei, die Gehwe- Oben: Dayoung (li.) und Yoo Hong ge mit Lampions und Teelichtern zu dekorieren, Gärtner legen Unten: Taekwondo-Vorführung letzte Hand an die Beete an, Leute schleppen Kartons herbei und bereiten die über das Gelände verteilten Stände vor; dazwischen Jogger, Paare und Fahrradfahrer, die das Grün genießen. In drei Stunden soll hier das Festival Feuer & Wasser steigen, das in die- sem Jahr dem Land Korea gewidmet ist.

Initiiert wurde es von dem 2003 gegründeten Verein Freunde der Freundschaftsinsel e.V., der über 100 Mitglieder zählt. Ko-Veran- stalter sind die Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea (Koreanisches Kulturzentrum) und die Deutsch-Koreanische Ge- sellschaft (DKG) e.V. An diesem Tag sind die Freunde der Freund- schaftsinsel zahlreich vertreten, erkennbar an den Plaketten mit dem Emblem ihres Vereins. Bereits zum neunten Mal führen sie das Festival Feuer & Wasser durch, das immer dem asiatischen Kulturkreis gewidmet ist. „Viele Pflanzen auf der Insel stammen aus Korea, China oder Japan, angefangen mit dem Flieder und der Forsythie. Insofern lag der Bezug zu Asien nahe“, erklärt Jörg Nähte, ehemaliger leitender Inselgärtner und Vorsitzender des Vereins Freunde der Freundschaftsinsel. Nachdem bei dem Festival fünf Mal China, ein Mal Vietnam und zwei Mal Japan die Rolle des Gastlands übernahm, fehlte als Kernland, aus dem viele Pflanzen auf der Insel stammen, nur noch Korea, so Nähte. Das Anliegen des Festivals sei es, nicht nur die authentische Kultur aus dem jeweiligen asiatischen Fokusland vorzustellen, sondern auch diejenigen Elemente der asiatischen Kultur zu präsentieren, die in Europa schon längst Tradition sind und sich an die hiesige Kultur assimiliert haben.

Unter die Passanten mischen sich nach und nach in koreanische Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

KULTUR KOREA / 53 Yoon Dayoung spielt auf der zwölfsaitigen Zither Gayageum.

Tracht gewandete asiatische und europäische Besucher. Denn koreanische Sprache anhört. Festivalsteilnehmer zwängen sich wer heute in koreanischer Nationalkleidung erscheint, zahlt für ein Foto in die koreanische Nationaltracht. keinen Eintritt. Was war der Anlass für den Besuch des heutigen Festivals? Auf Gegen 18.00 Uhr wird das Festival lautstark von dem – vom Nachfrage erhält man die unterschiedlichsten Antworten. Eine Koreanischen Kulturzentrum gegründeten - Samulnori-En- junge blonde Frau mit Brille will bald gemeinsam mit ihrem semble eingeläutet. Es moderiert Brigitte Faber-Schmidt, Partner in dessen Heimatstadt nach Südkorea reisen. Ein an- Geschäftsführerin von Kulturland Brandenburg e.V. Durch deres Paar Ende zwanzig hat über koreanische Fernsehserien das Bühnenprogramm führt Eberhard Mohr. Er ist der Ehe- ein Faible für Korea entwickelt und plant für das kommende mann der koreanischen Sängerin Ducksoon Park-Mohr, die Jahr eine Reise dorthin. Eine Frau mittleren Alters war schon an diesem Abend noch mit eigenen Gesangsbeiträgen und zehn Mal in Korea, immer zu K-Pop-Konzerten. Ihre Freundin, ihrem Chor Doraji auftreten wird; das Gesangsensemble, das die mehrmals mitgefahren ist, fügt hinzu, dass sie am liebsten ausschließlich aus Nichtkoreanern besteht, singt koreanische gleich dort geblieben wäre. Sie schwärmt von der Seouler Lieder. Es folgen Reden von Jörg Nähte und dem Leiter des U-Bahn: so sauber und gut organisiert, und die Menschen Koreanischen Kulturzentrums, dem Gesandten-Botschaftsrat seien so respektvoll. Eine Ethnologin führt Kinder an fremde Dr. Kwon Sehoon. Letzterer verweist in seiner Rede auf den Lebenswelten heran - vielleicht auch bald an die Koreas. Sie Bezug zwischen Karl Foerster und der Suncheon Bay Garden berichtet, dass sie zur heutigen Veranstaltung eine Koreanerin Expo 2013 in Südkorea: Der dort vertretene „Deutsche Garten“ eingeladen habe. Die sei tief bewegt davon gewesen, dass ihr sei nämlich als Hommage an Karl Foerster gestaltet worden. Land bei diesem Fest im Mittelpunkt steht.

Vor der Bühne haben sich inzwischen viele Besucher ein- Eine andere Besucherin hat als „begleitende Ehefrau“ in Korea gefunden. Interessiert verfolgen sie den Fächer- und den gelebt, da ihr Mann dort eine Stelle angenommen hatte. Da Trommeltanz der Kaya-Tanzgruppe, den musikalischen Beitrag sie selbst dort keiner beruflichen Tätigkeit nachging, habe „Chimhyangmu“ von Yoon Dayoung auf der zwölfsaitigen sie viele ehrenamtliche Aufgaben übernommen. Sie hält ein Zither Gayageum, den Gesangsvortrag von Ducksoon Park- Pappschälchen mit Kimchi und Schweinefleisch in der Hand Mohr und ihrem Chor, den Auftritt des Samulnori-Ensembles und freut sich, wieder einmal Koreanisch essen und an die und vieles mehr. koreanische Kultur anknüpfen zu können. Eine rothaarige junge Frau hofft, dass Korea für mindestens ein Jahr ihre neue Aufmerksamkeit erzielen auch die koreanisch-deutsche Heimat werden wird. Sie hat ein Working-Holiday-Visum bean- Gemeinschaftsausstellung „Zwischen den Welten“ im Pavillon tragt und ist gespannt auf die Zeit, die vor ihr liegt. Eine Mutter – wo der koreanische Musiker Yoo Hong ein Solo auf der Flöte und Tochter kommen in Begleitung eines jungen Koreaners. Er Daegeum vorträgt - und die Stände des Koreanischen Kultur- stammt aus Seoul und lebt zurzeit als Gastschüler in ihrer Fa- zentrums für Kalligrafie, Takbon (Holzplattendruck), Hanbok milie. Eine ältere Japanerin möchte mehr über die koreanische und traditionelle koreanische Spiele. Am Kalligrafiestand ste- Bedeutung der Farben Rot und Blau erfahren. Sie bedauert es, hen Besucher geduldig an, um ihren Namen von Zen-Meister dass die Leute in Japan generell so wenig über ihren Nachbarn Byung-Oh Sunim in der koreanischen Alphabetschrift Hangeul Korea wissen. schreiben zu lassen. Vor dem Stand für Takbon hat sich eine

Menschentrauben gebildet, die sich eine Erklärung über die Das Interesse an Informationen über Korea ist groß. Immer Kulturzentrum Koreanisches Fotos:

54 / KULTUR KOREA Am Kalligrafiestand werden die Namen der Besucher in der koreanischen Alphabetschrift Hangeul geschrieben. wieder kommt die überraschte Frage: „Was, am Potsdamer vielfältige neue Eindrücke, bei anderen ist es die Bestätigung Platz gibt es einen koreanischen Pavillon?“ (Seit Herbst 2015 von bereits Vertrautem, und bei vielen ist es der Wunsch, in steht dort der vom Koreanischen Kulturzentrum errichtete Zukunft noch mehr über Korea zu erfahren. Das nordost- „Pavillon der Einheit“). Eine Frau, die den Pavillon täglich von asiatische Land sei „neu und geheimnisvoll“, „immer eine Reise ihrem Arbeitsplatz aus sieht, nimmt gleich die ausgelegten wert“ und zeichne sich durch „weise Bescheidenheit“ aus, Informationsbroschüren für ihre Kollegen mit. Auch die Hefte lautet denn auch das positive Fazit einzelner Besucher. über die koreanische Küche finden reißenden Absatz. „Ist da auch Bibimbap drin?“, fragt ein älterer Herr. Erst gestern war er Bis zum nächsten Mal beim Festival Feuer & Wasser auf der mit seiner Frau in einem Restaurant in Berlin-Steglitz Korea- Freundschaftsinsel Potsdam im Jahr 2017! – vielleicht ja wieder nisch essen. Kennengelernt hat er die koreanische Küche in mit dem Fokusland Korea. einem kleinen Lokal im Neuköllner Schillerkiez, und seitdem ist er riesiger Fan.

Dann eilen die Besucher weiter zu den nächsten Programm- punkten. Im Schwanen-Torhaus wartet eine koreanische Teezeremonie, im Märchenzelt werden koreanische Ge- schichten erzählt, auf der Torhauswiese zeigt Meister Rak-Sun Pyo von der Berliner Taekwondo Akademie Pyo mit seinen Schülern koreanische Kampfkunst. Im Ausstellungspavillon gibt es spannende Lesungen und Vorträge: Jan Janowski liest aus seinem „Fettnäpfchenführer Korea“, Prof. Klaus Klopfer nimmt Interessierte mit auf „Eine botanische Reise nach Korea“ und Dr. Go Jeong-hi stellt Auszüge ihrer deutschen Überset- zung der „Wildblumenbriefe aus dem Gefängnis“ von Hwang Dae-Kwon vor - die Briefe eines politischen Gefangenen an seine Schwester über die Wildblumen, die er während seiner Haftzeit züchtete.

Mit Einbruch der Dunkelheit entfalten die Lampions, die illuminierten asiatischen Gehölze und die rund 1000 Teelich- ter ihren eigenen Zauber und tauchen das Gelände in ein magisches Licht. Getreu dem Namen des Festivals - Feuer & Wasser - findet zum Abschluss vor der Kulisse des Wassers eine Feuerschau statt. Mit einem letzten Feuerspeien geht das Fes- tival 2016 zu Ende, und die rund 1000 Gäste treten zufrieden ihren Heimweg an.

Und was bleibt von diesem Abend? Bei manchen sind es

KULTUR KOREA / 55 MUSIK

AZZKOREA 2016 Ein Spiegel in weiter Ferne J Von Matthias R. Entreß

Eröffnung des JazzKorea Festivals 2016 im Kesselhaus/ Kulturbrauerei Berlin am 17. November

as Festival JazzKorea eröffnete im November 2016 zeug auf, die typische personality-show für Jazz-Pianisten seit bereits zum vierten Mal die koreanische Perspektive dem legendären Bill-Evans-Trio der späten 1950er Jahre. Lee Dauf Jazz, und das Rätsel, das über dem Begriff „Jazz aus Han-Earl (der sich mit der witzigen Fehltranskription seines Korea“ hängt, wurde nicht kleiner. Die erste Irritation, die der Namens vielleicht in eine Reihe mit Duke Ellington und Count deutsche Jazz-Kenner und -Genießer bereits 2013 und jetzt Basie setzen wollte) spielt schöne, unproblematische Themen, nicht minder empfindet, ist die unbestrittene Tatsache, dass baut sie in sensibelstem Zusammenspiel mit Kim Hoo am die Jazzer aus Korea mehrheitlich die nicht-avantgardistischen Kontrabass aus, der für sein Solo zum Bogen greift und das Modern-Jazz-Stile aus Amerika und Europa bevorzugen. große Instrument so gelenkig spielt, als wär‘s eine Cellosonate von Brahms. Perfekt balanciert auch die lebhafte, aber nie Mich beeindruckt noch immer das Wort des ehemaligen Lei- dominierende Schlagzeugerin Seo Soo-jin. Perfekter Cool Jazz, ters des Berliner Jazzfests, Nils Landgren: Jazz müsse nicht ame- von äußerster Präzision, ohne Extravaganz – aber ohne jeden rikanisch oder schwarz sein. Jazz nenne er eine improvisierte Ehrgeiz, wie es scheint, über das „Normale“ hinauszusteigen. Musik auf der Basis der jeweiligen Volkstraditionen. Dass der koreanische Jazz vor allem (nicht ausschließlich) den Westen Weiteres Beispiel: Davor trat das EungMin Cho Quartet auf; kopiert, wird ihm hier gern zum Vorwurf gemacht. Cho EungMin ist Gitarrist, die Begleitung ist wieder Pia- Im Eröffnungskonzert am 17. November im Berliner Kessel- no-Bass-Schlagzeug. Es ist dieselbe zeitlose Jazz-Stilistik, die haus der Kulturbrauerei wurden unter verbesserungsfähigen nirgends auftrumpft, alles in glatter Harmonie belässt. Alles akustischen Bedingungen und einer ungleichmäßigen elektri- wäre „gut, Note 2“, wenn da nicht der Schlagzeuger Shin Dong- schen Verstärkung alle vier Bands vorgestellt, die das diesjäh- jin wäre, der mit seiner unruhigen, aufmerksamen Spielweise rige „Line-up“ bildeten. Glücklich die Hörer, die die Gruppen jede Phrase interessant konterkariert, sich mit Off-Beats einzeln und ausgiebiger im Berliner Koreanischen Kulturzent- querstellt, oder jeden Takt mit einer anderen Zahl unterteilt. rum und an diversen Spielstätten in Hamburg, Frankfurt a. M. Man kann seinen Blick nicht von ihm lassen, hier sprengt die und sechs weiteren europäischen Städten erleben konnten. Virtuosität die Perfektion und steigert sie zum Erlebnis. Dabei Das Lee Han-Earl-Trio (이한얼 트리오) trat in der klassischsten läßt Shin niemals seinen Chef aus dem Auge, und der lässt sich aller Modern-Jazz-Besetzungen mit Piano, Bass und Schlag- auch nicht durcheinanderbringen. Dessen niemals akkordi-

56 / KULTUR KOREA sches Spiel fließt in schlichten Bahnen dahin, perlend und gelassen. Müsste er Shin Dongjin nicht feuern, da er ihm die Schau stiehlt?

Was ist an diesen beiden Bands koreanisch? Zur Antwort muss man etwas ausholen: In der koreanischen Tradition galten von jeher zwei Prinzipien: 1. Die Suche nach der idealen Form - deswegen ist die Zahl von musikalischen Werken sowohl in der aristokratischen wie in der volks- tümlichen Musik sehr gering. 2. Der Schüler übernimmt das Werk vom Meister. Ein Sanjo – die Solosuiten mit Electric Band ,OFUS‘ Trommelbegleitung, ein Pansori – die gesungenen Roma- ne, werden in jahrelangem Studium Ton für Ton, Wort für Wort, in jedem Detail in mündlicher Überlieferung vom Meister übernommen. Auch die Noten der aristokrati- schen Musik sind nichts ohne diese Art der mündlichen Überlieferung.

Analog dazu stellt der „koreanische Jazz“ das gefilterte, perfektionierte Substrat des amerikanischen und europä- ischen Jazz dar, sozusagen gefriergetrocknet. Ist das nicht eine schätzenswerte Eigenschaft, ist das Hören dieser Version von Jazz nicht auf völlig neue Art und Weise auf- regend? Dass der melancholische Ton vorherrscht, mag eine Mode sein. Aber dass immer wieder (auch in vorigen Jahren) einzelne Virtuosen nicht Stilkopien, sondern gi- gantische Vergrößerungen dessen zeigen, was sozusagen kanonisiert ist, deutet auf ein anderes Potenzial hin, auf eine wirklich andere Perspektive. Asian Scholars

Aber es ist sehr erstaunlich, dass ausgerechnet der Jazz in Korea sich so schwer tut, sich auf die eigenen Volkstraditi- onen zu beziehen! Wer je ein Sinawi, die schamanistische Improvisationsmusik, gehört hat, wird die Nähe zum Free Jazz bzw. zum ebenfalls turbulenten New-Orle- ans-Jazz nicht verkennen, und in Konzerten mit Sanjos, den erwähnten Solosuiten, die aus derselben Quelle wie das Sinawi schöpfen, hört man deutsche Hörer eben- falls gelegentlich ausrufen: „Das ist ja der reinste Jazz!!“ Vielleicht liegt es daran, dass die Musiker einfach nicht die entsprechenden Lehrer haben. Aber natürlich gibt es Jazz-Musiker, die sich darauf beziehen, wie z.B. der Free-Jazz-Saxofonist Kang Tae-hwan, Jahrgang 1944, der die Erregung der Europäischen Free Music in eine tiefe asiatische Meditation überführt hat; er fehlte bisher in den auf jugendliches Alter beschränkten Line-ups.

Andererseits kam die diesjährige Auswahl nicht durch EungMin Cho Quartet Recherche vor Ort, sondern durch eine Ausschreibung zustande. Von den 70 perfekten Jazzgruppen wählte das Komitee um Nabil Atassi und Martin Zenker die besten aus, auch mit Blick auf ein möglichst breites Stil-Spek- trum. Vielleicht hielten sich die echten Avantgardisten des koreanischen Jazz für chancenlos und haben sich gar nicht erst beworben. Man weiß es nicht.

Diesmal waren es die Asian Scholars, die ,asiatischen Gelehrten‘, die die traditionelle Musik bemühten. Diese Gruppe um den Piri (Bambus-Oboe)-Spieler Kim Yechan bringt zwar koreanische Instrumente ein, modifiziert Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos: Lee Han-Earl-Trio KULTUR KOREA / 57 sie aber beinahe zur Unkenntlichkeit, um sie ebenfalls einer melancholischen Form des West-Jazz zugänglich zu machen. Kims Piri – eine Einzelanfertigung – hat fast die doppelte Länge der normalen Piri und eine an die westliche Oboe erinnernde Klappenmechanik, die es erlaubt, alle 12 Töne der westlichen Chromatik zu greifen. Mit dem breiten Doppelrohrblatt und der eher zylindrischen statt konischen Bohrung klingt sie wie eine etwas näselnde Klarinette und ist traditionell nur da, wo ein weitgreifendes Vibrato intoniert wird. Kim Hong-gie, der Schlagzeuger, spielt ein „Samul-Set“, das sich erst bei näherem Hinsehen als koreanisch erweist. Neben der normalen Snare-Drum gibt es die Sanduhrtrommel Janggu, Fasstrommel Buk, das scheppernde Becken Gg- waengari und den Gong Jing, aber statt der ekstatischen Rhythmen der Bauernmusik Nong-ak und Samulnori, mit denen diese Instrumente verbunden sind, ist es auch hier der Viervierteltakt, der dominiert. Die Asian Scholars sind sehr unterwürfige Diplomaten und bringen den Gastgebern, was sie bereits haben, mit nur einem Hauch von exotischem Gewürz…

Der Eröffnungsabend endete dann doch noch recht munter und etwas „moderner“ mit der Electric Band ‚OFUS’. Wer unbedingt Parallelen zur Jazzgeschichte suchte, mochte vielleicht an Miles Davis, den unerschöpf- lichen Impulsgeber für Cool-Jazz, Hard Bop, Electric-Jazz in seinen späten Jahren denken, wo freie Improvisatio- nen über einem dichten Rhythmusteppich schwebten, aber OFUS’ Repertoire aus elektrischen Quietschtönen erinnerte eher an Lärm aus Seouler Computerspielhallen. Gitarre und E-Piano scheuten sich nicht vor krassen Dis- sonanzen, wohingegen die Läufe des Tenorsaxofonisten dem Rockjazz der 70er Jahre entlehnt schienen. Das nun war eine wahrlich weitwinklige Perspektive auf das, was Jazz in der Welt war und ist; mit ganz ungezwungenen, kreativen Spielimpulsen.

Oben: Happear aus NRW Unten: Obscure aus Berlin

Matthias R. Entreß, geb.1957 in Hamburg, » lebt und arbeitet in Berlin als freier Autor, Mu- sikjournalist und -kurator. Er studierte Theater- wissenschaft, Germanistik und Kunstgeschich- te an der FU Berlin, kuratierte 2004 in Berlin und 2007 in Italien Festivals mit koreanischer Musik sowie Konzerttourneen mit Pansori (2009/2013/2015) und Volksmusik (2011). 2005 initiierte er die ersten deutschen Übersetzun- gen von Pansori, an denen er auch mitarbei- tete. Musikjournalistische Schwerpunkte sind Neue Musik und Außereuropäische Musik für

DLR, BR, DLF. Gabriele Förster Foto:

58 / KULTUR KOREA MUSIK AUDITION FÜR DAS K-POP WORLD FESTIVAL 2016 IM BERLINER TEMPODROM Deutsche K-Pop-Acts konkurrierten um die Teilnahme am Finale im koreanischen Changwon

Von Lauren Fleischer

ie koreanische Popmusik (offizielle Bezeichnung: bietet K-Pop-Fans die Möglichkeit, ihre Träume zu verwirkli- „K-Pop“) wird in Deutschland immer beliebter – restlos chen. 2016 fanden jedoch nicht nur Auditions, sondern auch Dausverkaufte Konzerte, Fantreffen und Tanzgruppen, eine „K-Pop Akademie“ statt, um noch mehr begeisterte Ju- welche die Tänze ihrer „Idole“ [Bezeichnung für professio- gendliche mit einzubinden. Nicht nur in Berlin, sondern auch nelle K-Pop-Stars, Anm. d. Red.] lernen, sind keine Seltenheit an anderen Standorten Koreanischer Kulturzentren weltweit mehr. Um den Jugendlichen in Deutschland die Möglichkeit fanden Tanz- und Gesangsworkshops mit professionellen zu geben, selbst einmal wie ihre Vorbilder auf der Bühne zu Coaches aus Korea statt, die dort „echte“ K-Pop-Stars unterrich- stehen, fand am 25. Juni 2016 im Berliner Tempodrom die ten - um den Fans das Erlebnis zu bieten, einmal von Profis zu Audition für das K-Pop World Festival statt, das alljährlich in lernen und wie ihre Idole zu trainieren und zu performen.* Changwon, Korea, stattfindet. Das Koreanische Kulturzentrum (Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea) und K-BASE Innerhalb von zwei Wochen vermittelten die beiden professi- Germany, ein Commmunity-Projekt für K-Pop-Tänzer aus ganz onellen Trainer, Herr Shim und Herr Ahn, die Choreografien zu Deutschland, organisierten ein großes Event rund um diesen den Songs von Girl’s Generation, BTS, Infinite und EXO (beliebte deutschen Vorentscheid und luden Tänzer und Sänger aus K-Pop-Bands). Das Resultat ihrer Arbeit wurde in einem großen allen Regionen des Landes zu sich ein. Über 150 angemeldete Flashmob vor dem Brandenburger Tor vorgestellt, der im In- Teilnehmer, 38 Gruppen und elf Sänger/Rapper heizten dem ternet sehr erfolgreich ist: Bis Ende November hatte das Video Publikum ein und kämpften um den Sieg und somit um die 12.972 Aufrufe (Stand: 30. November 2016). Qualifikation für das große K-Pop World Festival-Finale im kore- anischen Changwon. In den letzten beiden Wochen der K-Pop Akademie haben die professionellen Gesangstrainer Herr und Frau Choi motivierten Moonsuk Choi (ein professioneller Tänzer aus Korea), die Sängern die Songs von MAMAMOO, Lee Hi und 10cm beige- G-Breaker (Breakdance-Brüder aus der Nähe von Hamburg) bracht, um diese anschließend bei einem kleinen Konzert im und Jamie-Lee Kriewitz (Gewinnerin der Staffel 2016 von Koreanischen Kulturzentrum der Familie, den Freunden und The Voice of Germany und deutsche Vertreterin für den interessierten Besuchern zu präsentieren. Ein paar der teilneh- European Song Contest in Stockholm 2016) kürten als Jury menden Kleingruppen, bestehend aus bis zu fünf Personen, die Gewinner/in des Tages: J-Ah und Obscure. haben sich sogar eigene Choreografien ausgedacht, die sie zu dem Gesang auf der Bühne aufführten, ganz nach dem Motto: Die Sängerin J-Ah aus München hob sich von allen ande- „Einmal wie mein Idol sein!“ ren Kandidaten ab und performte den Rap-Titel „Puss“ von Jimin. Gemeinsam mit zwei Backgroundtänzerinnen aus ihrer Das K-Pop World Festival mit seiner Eventreihe 2016 bot nicht Tanzgruppe Hal0Queens setzte sie sich gegen die Konkurrenz nur den Teilnehmern der Auditions, sondern auch 80 weiteren durch. Fans die Möglichkeit, richtig in die Welt des K-Pop einzutau- chen. Wir hoffen, in diesem Bereich auch in Zukunft viel von Obscure ist eine Tanzgruppe aus Berlin, die am 25. Juni 2016 jungen Talenten aus Deutschland zu hören! ihren vierten Sieg in Folge feierte. Die fünfköpfige Gruppe prä- sentierte zu Got7’s „Fly“ und BTS’ „Bulletproof“ eine herausra- * Vom 28.05. bis zum 19.06.16 veranstaltete das Koreanische Kulturzen- gende Leistung. In der Finalrunde erreichte sie die volle Punkt- trum in Berlin an vier aufeinanderfolgenden Wochenenden Tanz- und zahl und somit auch den verdienten Sieg in ihrer Kategorie. Gesangsworkshops im Rahmen einer „K-Pop Akademie“.

Beide Sieger hatten die Chance, es mit den Gewinnern der Vorrunden aus aller Welt auf die begehrten Plätze im Fina- le in Korea zu schaffen. Eine professionelle Jury wählte aus den über 70 Gewinnern der Vorentscheide in den einzelnen Ländern die 12 bis 14 Teams aus, die mit ihren Idolen auf einer

Bühne stehen und um den Sieg des K-Pop World Festivals 2016 privat Foto: in Korea kämpfen durften. Die deutschen Finalisten waren leider nicht darunter. Lauren Fleischer (20) ist die Gründerin und Leiterin des gro- » ßen K-Pop-Tanzcommunity-Projekts K-BASE Germany. Sie selbst Das K-Pop World Festival gibt es nun schon seit 2011, und es stand bereits als Tänzerin bei Contests auf dem Treppchen und

Fotos: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Fotos: studiert an der TU Dresden.

KULTUR KOREA / 59 MUSIK

DieHAHA zwei Gesichter eines Entertainers

Von Ute Fendler

it dem Namen Haha assoziiert jeder Südkoreaner sofort die populäre Un- Mterhaltungsshow Running Man, die sich sogar weit über die Grenzen Südkoreas hinaus größter Beliebtheit erfreut. Denn Stars aus Film und Fernsehen sowie K-Pop-Idole treten hier zu einem Wettbewerb an, der ihnen sportliche Höchstleistungen abverlangt oder zu komi- schen Situationen führt. Haha, Entertainer und Musiker

Haha, mit bürgerlichem Namen Ha Dong-hoon, Vietnamesisch etc.) und an den Gastauftritten im asiatischen wurde 1979 in Stuttgart geboren, kehrte aber mit seinen Ausland. Die Sendung baut mit den prominenten Gästen aus Eltern noch als Kleinkind nach Korea zurück. Nach einem der K-Pop-Welt auf internationale Attraktivität, darunter z.B. Master-Studium in Drama und Kunst startete er seine Karriere Girls Generation oder Big Bang. Sie waren 2015 zu Gast in der 2001 mit der Boygroup Jikiri, die jedoch keinen Erfolg hatte, Show, sodass die weltweite Fangemeinde den Episoden an- und wechselte dann in die Fernsehbranche. Von 2002 bis haltend hohe Quoten auf Youtube beschert. Für seine Arbeit 2008 war er Moderator der Show What’s up Yo!, spielte in der bei Running Man erhielt er 2011 bei den SBS Entertainment Sitcom Nonstop und übernahm Rollen in einigen Spielfilmen. Awards die Auszeichnung als bester Entertainer. Es ist müßig Es folgten eine Radio-Show und die erste und beliebteste Rea- zu sagen, dass er einer der erfolgreichsten und beliebtesten lity-Show Südkoreas, Inifinite Challenge (MBC), die jeden Sams- Moderatoren und Entertainer Südkoreas ist und sein Konterfei tagabend zur besten Sendezeit seit zehn Jahren die höchsten sehr häufig Zeitschriftencover schmückt und im Fernsehen Einschaltquoten erzielt. Seit 2005 ist Haha Mitglied des immerzu präsent ist. siebenköpfigen Teams, das für seine Improvisation in Spiel- und Gesangvorführungen ebenso wie für seine komischen bis Aber da ist noch das andere Gesicht von Haha, das weniger hin zu satirischen Einlagen beliebt ist. Nach der Zwangspause bekannt ist. Trotz seiner enormen Fernseherfolge hat er sich für den Wehrdienst (2008-2010) kehrte Haha zur Show zurück mit der Gründung seiner eigenen Produktionsfirma wieder der und gründete ungefähr zeitgleich seine eigene Produktions- Musik zugewandt, mit der er eigentlich - wenn auch zunächst firma Quan Entertainment. Trotz der Unterbrechung konnte er erfolglos - begonnen hatte. Während der Zeremonie der SBS an seine alten Erfolge anknüpfen: Er war regelmäßig Gast bei Entertainment Awards präsentierte er seine neue Single „Rosa“, Yoo Jae-Suks Talkshow Come to play und wurde neben Yoo die relativ erfolgreich wurde. Eine neue Karriere startete er Jae-Suk der Hauptmoderator des Sonntagabendprogramms aber als Reggae-Musiker zusammen mit Skull, der als Haupt- Running Man. Die Spieleshow feiert große Erfolge, was sich vertreter des Reggae in Korea gilt. Unter Quan Entertainment auch an den vielen, von Fans untertitelten Folgen im Internet gab er 2012 die CD Ya Man heraus. Die ausgekoppelte Single zeigt (Englisch, Arabisch, Brasilianisch, Türkisch, Indonesisch, „Busan Vacance“ wurde mit dem dazugehörigen Musikvideo

60 / KULTUR KOREA zum Sommerhit 2012. Im Folgejahr kam die CD „Reggaerilla“ gefilmt wurden. Wir wandten uns dem Video „Raggamuffin“ zu heraus mit zwei Singles, „Reggaerilla“ und „Raggamuffin“. Letz- und fragten nach dem für ein breites Publikum eher überra- terer wurde zu einem Partyhit, nicht zuletzt wegen des von schenden Interesse für Reggae. Haha setzte seine Sonnen- Zanybros - die Firma, die für 70% der Musikvideos in Südkorea brille ab, schaute einzelne Passagen gesprächsbegleitend an verantwortlich zeichnet - produzierten Videos, das Reggae und erläuterte dann sehr ernst, dass er bemüht sei, sich dem als die Musik vorführt, die Farbe ins Leben bringt. So gaben echten Geist dieser Musik zu nähern, wobei Skull ihn anleite Haha und Skull beispielsweise im Dezember 2012 Konzerte in und begleite. Diese Musik sei zunächst eine, die Lebensfreude Malaysia, waren aber auch in Jamaika unterwegs. Von 2012 bis zum Ausdruck bringe, was sich in den Songs ausdrücken solle heute traten sie in allen großen TV-Shows auf und erläutern und das Publikum einlade, sich den Reggae-Spirit zu eigen zu unermüdlich ihr erklärtes Ziel, Reggae nach Korea zu bringen. machen. Nach vierzig Minuten intensiver Diskussion entschul- Im März 2016 kam der neue Song „Love Inside“ heraus, für das digte sich Haha, da er ins Studio für Fernsehaufnahmen muss- te, setzte seine dunkle Sonnenbrille für die Fotos wieder auf und eilte davon - im SUV mit dunklen Scheiben. Am Wochenende unterhielt er dann wieder landesweit ein breites Publikum - mit viel Wortwitz, Ironie und Offenheit für Neues. Mit dem neues- ten Song zusammen mit Stephen Marley ist Haha seinem Ziel sicher einen Schritt nähergekommen. Auch sind kürzlich zwei weitere Reggae-Musiker zu Quan Enter- tainment dazugestoßen, sodass auch von dieser Seite noch mehr zu erwarten sein wird.

Skull, Hauptvertreter des Reggae in Korea

Haha und Skull den Jamaikaner Stephen Marley, einen der Söhne Bob Marleys, in Los Angeles gewinnen konnten. Dieser akzeptierte die Zusammenarbeit, weil er von der Passion der koreanischen Musiker für Reggae beeindruckt war und sie bei ihrer Mission „Korea to Jamaica“ unterstützen wollte. In der Sendung „Vlive“ wiederholten die Musiker mehrfach, wie wichtig diese Anerkennung für sie war. Haha betonte dabei, dass Reggae noch eine relativ kleine Fangemeinde in Korea

habe, aber dass diese Musik aufgrund ihrer Philosophie ihr privat Foto: Publikum sicher noch finden werde. Reggae sei eine Berufung, Prof. Dr. Ute Fendler, Lehrstuhl beteuerten beide Musiker. » für Romanische und Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaf- Bei einem Interview mit Haha und Skull im Februar 2015 in ten an der Universität Bayreuth, den Büros von Quan Entertainment, deren Wände mit Bildern Forschungsschwerpunkte u.a. von Bob Marley, Fahnen und ikonischen Zeichen, die auf Intermedialität, Interkulturalität, Reggae und Jamaika verweisen, geschmückt sind, konnten Ästhetik, Populärkulturen, Perfor- wir einen Eindruck von dieser anderen Seite gewinnen. Haha mance/Tanz. Seit ihrem ersten Be- stieß nach einer halben Stunde dazu, nachdem wir mit Skull such in Seoul im September 2013 bereits über die zahlreichen Verweise auf Äthiopien und die mehrere Forschungsaufenthalte in Seoul zu Musikvideos und Interme- Rastafari-Bewegung in seinem Musikvideo zu „deh pon top“ dialität ebenso wie zu HipHop und diskutiert hatten. Skull hatte ebenfalls nach seiner Militärzeit Reggae. Seit April 2014 Beauftrag- 2012 ein Comeback mit der CD „King of Irie“ und einer Reihe te der World Association of Hallyu von Musikvideos, die unter anderem in Jamaika und Kuba

Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Quan Entertainment Genehmigung von Mit freundlicher Fotos: Studies (WAHS) in Deutschland.

KULTUR KOREA / 61 MUSIK DER TRAUM VON EINER GEMEINSCHAFT DER VERSCHIEDENEN Im Gespräch mit Angelika Sarrazin über das „Pyeongchang Special Music & Art Festival 2016“

as Pyeongchang Special Music & Art Festival in Südkorea Musik und Kultur, diese Wertschätzung und „liebevolle Fürsor- ist das einzige Festival der Welt, das von Musikerinnen ge“, die ihr vor Augen führten, wie anders sich der Umgang mit D und Musikern mit geistigen Beeinträchtigungen, ihrer Behinderung im Gegensatz zu ihrem Lebensalltag in ih- Autismus oder dem Down-Syndrom gestaltet wird. Angelika rem Heimatland gestaltete. „Als Mensch mit Beeinträchtigung Sarrazin lebt mit dem Asperger-Syndrom und ist in diesem Jahr lebt man in Deutschland eher am Rande der Gesellschaft. Vor als Komponistin und Pianistin nach Pyeongchang eingeladen allem Menschen mit psychischen und autistischen Handicaps worden. Im Anschluss an ihre Reise Mitte August hat sie ihre haben mit der Überwindung vieler sozialer Barrieren zu kämp- Eindrücke geschildert. fen, die ich in Korea nicht gespürt habe.“ Sicher, schränkt sie ein, sei eine Festivalatmosphäre ein Ausnahmezustand und der „Echt überwältigend“ seien das Festival, das Land und die Men- Umgang mit beeinträchtigten Menschen in Korea auch nicht schen gewesen, „beeindruckend“ die technische Entwicklung immer „rosig“, wie die befreundete Koreanerin zu bedenken und „angenehm“ die Sauberkeit. „Vor allem die Freundlichkeit gab. Dennoch: „Für mich war die Atmosphäre ungetrübt. Ich der Menschen, der Respekt und die Achtsamkeit anderen konnte etwas Koreanisch lernen, Kontakte nach Malaysia und gegenüber“ habe sie als sehr positiv erlebt. Das Wort „uri“ (dt. Russland, nach Italien und in die Mongolei knüpfen, meinen ‚wir‘/ ‚unser/e‘) gehört zu dem kleinen Grundwortschatz, den Traum von einer Gemeinschaft der Verschiedenen leben.“ sich Angelika Sarrazin in den wenigen Tagen ihres Aufenthaltes angeeignet hat. Sie wird es wohl auch nicht mehr vergessen, Sie hat Worte dafür gefunden, nach ihrer Rückkehr ein Gedicht dieses Wort, das sich in dem Festivalsong „Together“ mehrfach geschrieben: wiederholte und dessen Bedeutung in dem spürbaren Zusam- My journey to the Pyeongchang Special Music & Art Festival menhalt der Koreaner so lebendig wurde, dass sie wünschte, was a journey diese Sinnhaftigkeit wäre auch auf Deutschland übertragbar. from dark to colourful light, from narrowness to width, Seit vielen Jahren ist sie mit einer Koreanerin befreundet und from sadness to happiness, fühlte sich im Vorfeld ihrer Reise somit schon ein wenig ge- from fear to courage to live my personality and creativity, wappnet. Sie wusste um die Schärfe von Kimchi, um Fischsup- from loneliness to friendships all over the world. pe auf der Frühstückskarte und den harten Alltag koreanischer Like Martin Luther King I had a dream of solidarity and com- Gastronomen, die aufgrund der kulturellen Bedeutung des munity of different people. Essens und der Vorliebe ihrer Landsleute für drei warme Mahl- zeiten pro Tag stark beansprucht sind. Als sie die „Gimbap“ „Später, im Rentenalter, möchte ich Koreanisch lernen!“, genannte Algen-Reis-Gemüse-Rolle jedoch halbierte, statt sie antwortet sie auf die Frage nach dem Nachklang, den die Festi- als Ganzes zu verspeisen, war der Fauxpas geschehen. Das ist val-Teilnahme womöglich hinterlassen hat. „Ich möchte wieder in einem weitgehend fremden Land wohl unvermeidbar - un- nach Korea reisen, mir zwei Tempel in Pyeongchang ansehen, verzeihlich war das nicht. Höflich wies der Dolmetscher darauf möchte die Kultur näher kennenlernen - auch die Religionskul- hin, dass dieser beliebte koreanische Imbiss nicht häppchen- tur. Die Architektur wäre ein weiterer Punkt und die Königspa- weise gegessen werde – aha! Also, auf zu neuen Ufern und rein läste in Seoul.“ Das allerdings möchte sie vorher tun - im Jetzt ins Festivalgetümmel! und Hier, mittendrin, in der Gemeinschaft der Verschiedenen.

Auffallend und sehr erfreulich sei zudem das Interesse an der Das Gespräch führte Dr. Stefanie Grote deutschen Klassik, ja, an der gesamten deutschen Kultur ge- Redaktion „Kultur Korea“ wesen. Am Ende einer Unterrichtsstunde zur Vorbereitung der Auftritte hatte die Lehrerin gesagt: „It was not a lesson, it was a Die sich für Komposition und Improvisation discussion“ – kein Unterricht, sondern Austausch. Zwei Mal hat » am Klavier begeisternde Angelika Sarrazin Angelika Sarrazin ihr musikalisches Talent unter Beweis stellen lebt mit dem Asperger-Syndrom. Während und können. Die Reaktionen auf ihre selbst komponierten Klavier- im Anschluss an ihr Studium der Diplom-(Heil-) stücke mit den Titeln „Himmelsvögel“ & „Kleine Rhapsodie“ Pädagogik an der TU-Dortmund widmete sie sich einige Jahre der Arbeit mit Menschen mit waren derart positiv, dass sie für nächstes Jahr zum Musizieren Behinderungen. Anschließend absolvierte sie nach Moskau eingeladen wurde. Wie gut, dass der Dolmet- das Aufbaustudium Lehramt Sonderpädagogik scher die ihrerseits erteilte Absage des ersten Auftritts nicht (1. Staatsexamen) an der Universität Köln. Zurzeit mehr übermitteln und das Lampenfieber eine Russlandreise promoviert sie an der Universität Hamburg zum

also nicht verhindern konnte. Es waren dieser Austausch über Thema „Autismus und Studium“. privat Foto:

62 / KULTUR KOREA MUSIK

DAS DAEGU SYMPHONY ORCHESTRA Die moderne Kulturdelegation Koreas

Von Matthias R. Entreß

n früheren Jahrhunderten bereisten riesige Kulturdelegatio- in eine Konkurrenz-Situation, die durchaus heikel sein kann. nen koreanischer Musiker Japan und andere asiatische Länder, Eine mittelmäßige Interpretation abzuliefern, die bloß gefällig Ium vom friedlichen Wesen des koreanischen Volkes zu künden ist, wäre fatal. Aber schon das Klavierkonzert mit einem der und Vertrauen zu schaffen. Dieses fröhliche Sendungsbewusst- berühmtesten Anfangsmotive der musikalischen Romantik sein lebt weiter, nur das Mittel der Botschaft hat gewechselt, signalisierte: „Wir machen es anders! Und zwar nicht leicht.“ denn heute sind es nicht die martialische Daechwita, die alte Denn die Wucht dieses Beginns und die schweren steinernen Militärmusik oder die sanfteren Prozessionsmusiken, die Korea Akkorde setzten einen Widerstand in den Raum, der erst einmal repräsentieren sollen, sondern – die westliche Klassik. Am 26. überwunden werden musste. Nicht die nonchalante Eleganz September gastierte anlässlich des anstehenden Nationalfeier- russischer Salons, sondern einen tragischen Weltschmerz rief das tages der Republik Korea (3. Oktober) in der Berliner Philhar- hervor! Aber aus dem Erschlagensein erwachte die Musik schnell monie das Sinfonieorchester von Daegu, der drittgrößten Stadt und fand zu sagenhaften Kontrasten, Nachdenklichkeiten und von Südkorea, und auf dem Programm standen zwei „große romantischen Anwandlungen, wobei die Solistin am Klavier, Brocken“, nämlich das berühmte 1. Konzert für Klavier und Haesun Paik, die ganze Bandbreite von haarsträubender Virtuo- Orchester in b-Moll von Peter Iljitsch Tschaikowsky und dessen sität bis hin zu stillen Empfindungen beherrschte. Die Heraus- nicht weniger stürmische und mitreißende 4. Sinfonie in f-Moll. forderungen der Partitur für das Orchester sind nicht geringer! Es muss brüllen und dann, in vielverzweigten Klangspielen dem Das sind immerhin Werke, die bei uns genauso beliebt sind wie Klavier aufmerksam antworten, es einbetten und es, bildlich

Foto: Daegu Symphony Orchestra Daegu Symphony Foto: in Korea, und man begibt sich mit so oft gespielten Werken gesprochen, auf Fingerspitzen balancieren. Die Strategie von

KULTUR KOREA / 63 Julian Kovatchev, dem aus Sofia/Bulgarien gebürtigen Chefdiri- Ende seiner großen Kriege befindet. genten des Orchesters, sinfonische Größe, virtuose Brillanz und intime Sensibilität in ein spannendes Wechselspiel zu lenken, Ich sprach mit der Managerin des 1964 gegründeten Orchesters, ging dabei auf und entfaltete einen musikalischen Roman, der Frau Seong Ji-hae, und sie erklärte mir: „Es ist ein sehr zwiespäl- vom ersten bis zum letzten Takt fesselte. tiges Gefühl, wenn wir westliche Musik als Teil unserer Kultur präsentieren und dann zum Ursprung der klassischen Musik Es ist immer wieder verwunderlich und staunenswert, in wel- reisen, d.h. nach Berlin in Deutschland, und sie dort spielen. Wir chem Maße asiatische Musiker mit der Musik einer fremden Tra- sind stolz darauf, stolz, weil wir diese Kultur als unsere eigene dition weltweit Anerkennung gewinnen. Die Pianistin Haesun neu erfunden haben, und dass wir sie nicht als Nachahmung Paik lebt derzeit in New York und verfügt über reiche internati- präsentieren. Sondern wir rekultivieren sie, wir haben unsere onale Erfahrung. Die westliche Musik, die Welt der Klassik und ganze Seele da hineingegeben und verwandeln sie zu einem Romantik von Bach bis Mahler und darüber hinaus, schert sich Teil unserer Kultur.“ Dass die beiden Hauptwerke des Abends nicht um Nationalität. Frau Paiks zahlreiche Stationen umfassen beide von Tschaikowsky stammen, sei die Entscheidung des ganz Europa, beide Amerikas und natürlich Asien. Das Ziel vieler Chefdirigenten Julian Kovatchev gewesen. „Wir spielen auch koreanischer, im Ausland ausgebildeter Musiker, Professor an Beethoven und Mozart und modernere Musik, aber ein Grund einer großen koreanischen Universität zu werden, hatte sie früh mag gewesen sein, dass der Maestro diese Stücke auswählte, erreicht als Professorin an der Seoul National University, hat aber weil Russland das Bindeglied zwischen Ost und West ist.“ Zu den den Posten zugunsten ihrer Solistenkarriere bereits 2005 wieder Vorlieben des Publikums zu Hause in Daegu: „Ein Teil unserer aufgegeben. Aufgabe besteht darin, westliche Musik einem asiatischen Publikum nahezubringen. Und wir bringen nun unsere Interpre- Und dann kommt sie nach dem lauten Beifall zurück auf die tation zurück in den Westen!“ Und wie steht es mit der Moder- Bühne und spielt ein kleines Stück als Zugabe, das den virtuo- ne, Bartók, Schönberg…? „Wir beginnen gerade, weiter in die sen Übermut mit schlichtester Lyrik vereint: Liszts Bearbeitung Moderne vorzustoßen.“ des zu Herzen gehenden Schubertliedes „Du bist die Ruh“, das so bekannt ist, dass einige Hörer im Publikum die Melodie Für den Dirigenten Julian Kovatchev war das Gastspiel eine mitsummten. Rückkehr zu seinen Wurzeln, denn nach seinem Studium in Salz- burg wurde er Stipendiat der Herbert-von-Karajan-Stiftung, saß Die kompositorischen Beiträge aber, die Korea an der Erwei- als Geiger im Berliner Philharmonischen Orchester und ließ sich terung des Orchester-Repertoires leistet, sind rar und selten als Dirigent vom Maestro Karajan persönlich unterweisen. Er überzeugend. Natürlich, in der Zeit, wo in Europa die Klassik und ist weltweit als Opern- und Konzertdirigent unterwegs und seit die Romantik blühte, waren Geigen und Klaviere in Korea so gut 2014 mit Riesenerfolg beim Publikum Chefdirigent in Daegu. wie unbekannt. So bleibt das koreanische Komponieren auf die Moderne beschränkt. Nur den bedeutendsten koreanischen Bei der das Konzert abschließenden Aufführung der 4. Sinfonie Komponisten – es gab und gibt durchaus einige! – gelingt es, Tschaikowskys setzte er seine Daegu-Sinfoniker als virtuoses Or- im Bereich der Avantgarde einen persönlichen Standpunkt zu chester ins beste Licht. Virtuosität ist heute verschrien als leere entwickeln und nicht nur berühmten Vorbildern nachzueifern. technische Brillanz, ihr innerster Kern aber ist ein anderer, näm- Allzu viele bedienen sich leicht erkennbarer koreanischer Exo- lich Bewältigung durch Bewusstheit, kurz durch bemerkenswer- tismen, was mitunter recht peinlich wirkt. Seltener geschieht es, te Tugenden. Wie es ihm gelingt, Gewicht und hohe Schwierig- dass aus der gespaltenen kulturellen Erfahrung eine individuelle keitsgrade so zu inszenieren, dass sie sich dem Hörer mitteilen Stimme hervortritt. Der aus Daegu stammende Komponist Jin und dann eben auch die Leichtigkeit als erlösend und belebend Youngmin, mit dessen kurzem Orchesterstück „Emergence“ das erfahrbar zu machen, das Tragische schmerzhaft, das Fröhliche Konzert begann, steht da noch am Anfang. Er hat am Bruck- kindhaft, machte die Aufführung zu jener großen musikalischen ner-Konservatorium in Linz, Österreich, studiert und ist jetzt Erzählung, die Tschaikowsky bekenntnishaft komponiert hatte. Professor an der Kyungpook National University in Daegu. Sein Die „Vierte“ ist voller Geschenke fürs Orchester, seine einzelnen Stück, das zwar reich an großartigen Orchesterklängen ist, Sektionen und die Solostimmen, wahrhaft dankbar und effekt- erweist sich als wirres Konglomerat von musikalischen Floskeln voll. Wie sich nach dem majestätischen Aufbrausen des Blechs und Klangzitaten aus Spätromantik und früher Moderne – von ein einzelnes Fagott herausschält, die Oboe antwortet und die Bruckner bis Strawinsky. Seine theoretisch hochtrabenden Geigen in himmlischem Unisono selbstvergessen wie an einem Programmheft-Erläuterungen zum Stück schaffen es nicht, die Frühlingstag im Margeritenfeld hüpfen, um dann wieder einge- Aufmerksamkeit auf ein übergeordnetes Prinzip zu lenken. trübt und problematisch verändert zu werden – alles erhält die Wäre es als Karikatur der Sucht nach schönen Stellen, dramati- absolute Zuwendung und Förderung des Dirigenten. Wer immer schen Schlusswendungen und misterioso-Einschüben gemeint Tschaikowskys Vierte – im Vergleich zur Fünften und Sechsten – gewesen, hätte es als Kritik am musikalischen Eurozentrismus in als seicht angesehen hatte, hier wird er eines Besseren belehrt. Korea und anderswo verstanden und begrüßt werden können… Sinfonik in ihrer ganzen schillernden Vielfalt! Kommen Sie nach So wirkte das Stück wie die kurze Zusammenfassung einer musi- Daegu, besuchen Sie den neuen Konzertsaal und dieses wun- kalischen Epoche des Aufbruchs, was „Emergence“ im weiteren derbare Orchester! Sinne ja bedeutet. Trotz des zwiespältigen Eindrucks war die Wahl gut getroffen, denn es reflektiert den tatsächlich stattfin- denden kulturellen Aufbruch, in welchem Korea sich seit dem

64 / KULTUR KOREA MUSIK SEOUL TRIFFT BERLIN–TRADITION UND MODERNE Deutsch-koreanisches Gemeinschaftskonzert an renommiertem Ort in Berlin

Von Patrick Becker

Gemeinschaftskonzert des Seoul Tutti Ensemble und der Kammersymphonie Berlin unter dem Dirigat von Jürgen Bruns im Konzerthaus Berlin am 10. September

«Seoul trifft Berlin» hieß es am 10. September im Kleinen Saal die über den Tellerrand schauen und Musik mit Tanz, Video, des Konzerthauses Berlin am Gendarmenmarkt. Die Kammer- Theater und Literatur verbinden. Seinen Ruf als herausragen- symphonie Berlin und das Seoul Tutti Ensemble spielten sich der Interpret neuer Musik konnte er auch an diesem Abend durch ein Programm, das vielfältiger nicht hätte sein können: unter Beweis stellen: Sein ausdrucksstarkes Dirigat führte Neue Musik aus Südkorea und Großbritannien traf auf deut- die MusikerInnen so sicher durch den Abend, dass man fast sche Klassik und traditionelle Volkslieder, deren Expressivität hätte meinen können, diese Ensembles hätten immer schon über alle Grenzen hinweg Gültigkeit haben. In Zeiten des zusammengespielt. zunehmenden Fremdenhasses und des Erstarkens natio- nalistischer Bewegungen ist ein solches Konzert viel mehr, Treffen beide Orchester zwar zum ersten Mal aufeinander, als nur eine abendliche Veranstaltung: Es setzt ein Zeichen. verbindet sie doch ihre ähnliche Herangehensweise an die Eines, das musikalisch nicht auf einem höheren Niveau hätte Musik unterschiedlicher Epochen. Die Kammersymphonie Ber- sein können. Unter der Leitung des Dirigenten Jürgen Bruns lin, von Jürgen Bruns noch während seiner Studienjahre 1991 bewegten sich die Musiker sicher zwischen allen Stühlen. gegründet, ist in der musikalischen Tradition genauso zu Hau- Bruns ist bekannt für seine innovativen Konzertformate, se wie in der Musik der klassischen Moderne. Sie setzt sich für Foto: Koreanisches Kulturzentrum Koreanisches Foto:

KULTUR KOREA / 65 Der Violinist Phillippe Graffin

vergessene und verfemte Komponisten des 20. Jahrhunderts In einem krassen Gegensatz zu diesem auf ruhige und lange ein und konnte bisher ZuhörerInnen im In- und Ausland mit Phrasen angelegten Werk stand Peter Fribbins‘ Violinenkon- ihren Interpretationen begeistern. Das Seoul Tutti Ensemble zert. Es steckte voller Dramatik, lotete die Extreme von Laut wiederum, ebenfalls in Deutschland – 1988 in Frankfurt am und Leise genauso wie die Kontraste schroffer Klänge und me- Main – von der Pianistin Ok-hee Lee gegründet, hat in ganz Ko- lancholischer Melodien aus. Kein Wunder, wenn man bedenkt, rea überzeugende Konzerte gespielt und untersteht seit 2009 dass Fribbins sein Violinkonzert für den energetischen franzö- dem Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus der Republik sischen Geiger Phillippe Graffin schrieb, der es nach Abschluss Korea. Mit seinem Projekt «Das Konzert kommt zu mir» ver- der Komposition im Jahr 2014 uraufführte. Die avantgardis- sucht es, nicht nur das typische Publikum anzusprechen, son- tische Tonsprache Fribbins‘ ist jedoch keinesfalls aus der Luft dern mit Hausbesuchen bei Randgruppen der Gesellschaft für gegriffen. Lange haderte der Komponist mit sich, ob er – vor das klassisch-romantische Repertoire zu werben. Spätestens dem Hintergrund der erschreckenden Vielzahl an virtuosen seit seinem Mozart-Zyklus und der koreanischen Uraufführung Violinkonzerten aus dem 19. und 20. Jahrhundert – selbst dazu der «Posthorn-Serenade» in den Jahren 2005 bis 2008 ist es im in der Lage sei, seinen Beitrag zu dieser Gattung zu leisten. Land als Institution der klassischen Musik anerkannt. Inspiration fand er letztlich in einer Sonate des englischen Renaissance-Komponisten Henry Purcell, dessen harmonischer Eröffnet wurde der Abend mit Young Eun Paiks «Wild Flowers Plan zum Grundgerüst des fulminanten ersten Satzes und Teil on the Sky» für Daegum – der koreanischen Bambusflöte – und des Finales von Fribbins‘ Konzert wurde. Die expressive und Orchester. Paik, die in Seoul und an der University of Indiana anspruchsvolle Partie der Solo-Violine übernahm der Auftrag- in den USA studierte, gilt als Expertin für die Instrumente der geber Phillippe Graffin höchstselbst. Zwar bekannt für seine klassisch-koreanischen Musik und hat mit ihrem Lehrbuch Aufnahmen der Violinkonzerte von Benjamin Britten, Frederick «Einführung in die Perkussionsinstrumentenlehre für Kompo- Delius und Camille Saint-Saëns, hatte Graffin doch sichtliche nisten» eine längst zum Standardwerk avancierte Publikation Probleme mit dem Werk. Bedauerlicherweise zerstörte er viel vorgelegt. Zwar spielte «Wild Flowers in the Sky» nicht mit von dieser Musik, indem er durchgängig mit seinem Fuß auf komplexen Schlagwerkpartien, indes konnte Paik ihre Meister- den Boden trampelte, ohne dass dieser Versuch irgendetwas schaft in der Instrumentierung unter Beweis stellen. Mit den zu seiner rhythmischen Genauigkeit hinzugetan hätte. Nur ruhig fließenden – beinahe schon mystischen – Klängen des Jürgen Bruns‘ präzises Dirigat und die aufmerksamen Musike- Orchesters, zu denen die Harfe ihre sanften Töne anschlug, rinnen und Musiker der beiden Ensembles konnten Schlimme- entfaltete sich das Bild einer idyllischen, ursprünglichen res verhindern. Landschaft, die vom wilden Flug bunter Schmetterlinge erfüllt war. In den sechs Bildern ihres Werkes verarbeitet Paik diese Nachdem in der Pause der deutsch-koreanische Kulturaus- Kindheitserinnerungen an eine koreanische Landschaft in der tausch bei einem Glas Sekt und Brezeln vom Publikum fortge- ganzen Eindringlichkeit ihrer musikalischen Sprache: Lebhaft setzt wurde, traten die Kammersymphonie Berlin und das Seoul entstanden vor den Augen und Ohren der Zuhörerinnen und Tutti Ensemble für Wolfgang Amadeus Mozarts 40. Symphonie Zuhörer die Bilder eines vereisten Winterhügels, warmer Früh- in g-Moll an. Üblicherweise agieren die beiden Klangkörper lingstage und erhabener Sonnenuntergänge, zu denen der unabhängig voneinander – ihre gemeinsame Leistung in die- Solist Yoo Hong zarte Melodien auf der Daegum spielte. sem Konzert ist deswegen noch bewundernswerter. Mozarts

66 / KULTUR KOREA Jürgen Bruns dirigiert das Seoul Tutti Ensemble und die Kammersymphonie Berlin.

40. Symphonie – diesem Evergreen der Musik – konnten sie freilich nicht viel hinzufügen. Zu viele Interpretationen dieses Werks gibt es, die 40. Symphonie ist Bestandteil jeder Best- of-Klassik-CD, wird in Werbungen und Supermärkten gespielt und ist so tief ins kollektive Bewusstsein eingedrungen wie kaum ein zweites Werk dieser Epoche. Jeder Aufnahme zum Trotz war es ein besonderes Ereignis, diese Symphonie wieder einmal im Konzertsaal zu hören. Besser als jede Aufnahme arbeitete Jürgen Bruns mit den beiden Ensembles die vielfäl- tigen Facetten dieses Werks heraus. Neben den bekannten und dramatischen Klängen waren besonders der lichte zweite und dritte Satz überzeugend interpretiert. Die ausgefuchsten Kontraste des Finalsatzes waren klar herausgearbeitet, und der behutsame Umgang mit den bedeutungsvollen Pausen und Momenten der Ruhe zeugte von der sorgsamen Probenarbeit der beiden Orchester.

Beschlossen wurde das Konzert mit einem Medley des bekannten koreanischen Volkslieds „Arirang“, das der Kom- ponist Jeong-kyu Park zusammenstellte. Der 1981 geborene Künstler wurde 2008 vom Koreanischen Kultur- und Kunstrat zum Jugendkünstler ernannt, und seine Musik wurde bereits auf Festivals in ganz Europa und Asien aufgeführt. Mit seinem Medley schuf Park eine Zusammensetzung der verschiedenen Versionen dieses Stücks aus allen Teilen Koreas und drückt so den Wunsch nach Frieden und Wiedervereinigung aus. Die Verschränkung der verschiedenen Arten des „Arirang“ münde-

te in eine strahlende Apotheose, mit der das Konzert zu Ende privat Foto: ging. Dem Publikum des fast ausverkauften Kleinen Saals des Konzerthauses Berlin am Gendarmenmarkt gefiel das sichtlich Patrick Becker studiert Musikwissenschaft an der Hum- – es applaudierte kräftig. » boldt-Universität zu Berlin und konzentriert sich auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, die Musikgeschichte des Kalten Krieges und musiksoziologische Fragestellungen. Seine Forschungen stellte er bisher auf Kongressen in Asien und Europa vor. Er schreibt Artikel, Rezensionen und Berich- te für die Berliner Zeitung, den Blog der Berliner Festspiele und die Zeitschrift Positionen. Texte zur aktuellen Musik.

KULTUR KOREA / 67 KOREA IM SUCHER DER KAMERA - FOTOREPORTAGE

KOMMUNIKATION UND VERSENKUNG

Fotos von Markus Kirchgessner

Wenn es Nacht wird in Seoul, hält es viele Angestellte nicht mehr in ihren Büros. Es zieht sie in Straßenrestaurants, wo an einfachen Tischen im Freien bei reichlichem Genuss von Makgeolli die Mühen des Tages langsam in Vergessenheit geraten.

68 / KULTUR KOREA In einem der Ausgehviertel . Ein Büroangestellter hat sich von seinen essenden und trinkenden Kollegen verabschiedet. Ganz in sich versunken sitzt er vor einer Indoor-Golfanlage und schreibt Kurznachrichten.

KULTUR KOREA / 69 Im Rahmen einer Fotoreportage über Radfahren am Ufer des Flusses Hangang in Seoul besuchte ich im Stadtteil Gangnam, den ich mir eher als szeniges Viertel vorgestellt hatte, den buddhistischen Tempel Bongeunsa. Eine wunderbare Oase der Ruhe inmitten der brodelnden Stadt.

70 / KULTUR KOREA Korea ist das Land der Selfie-Sticks. Sie begegnen dem Besucher allerorten. Im „Künstlerstadtteil“ Gamcheon der Hafenstadt Busan begegneten mir Besucherinnen in traditioneller Kleidung, die sich vor verschiedensten Hintergründen selbst fotografierten. Spannend mitzuerleben, wie sich Tradition und Moderne treffen.

KULTUR KOREA / 71 KOREA IM SUCHER DER KAMERA

TÖCHTER DER MEERE UND SELFIESTICKS Im Gespräch mit dem Fotodesigner Markus Kirchgessner

arkus Kirchgessner ist ein Vielreisender; er hat die Welt käuferinnen in Busan sind aufgrund der Touristenschwemme gesehen und in Bildern festgehalten - von Neusee- ohnehin begehrte Fotoobjekte und dürften die Fotografen Mland über Mauretanien bis Brasilien. Er spricht sechs noch schneller vergessen haben… Fremdsprachen und hat sich die meiste Zeit seines beruflichen Lebens mit dem „Alltag in der islamischen Welt“ beschäftigt, Und wer nicht von anderen geknipst wird, knipst sich eben wie er seine kurz vor dem Abschluss stehende Reportage selbst. „Seoul und Busan waren für mich die Hauptstädte der betitelt. Auch Aleppo hat er noch gesehen, bevor die Stadt Selfiesticks. In ganz China habe ich nicht so viele Sticks gese- zum Kriegsschauplatz wurde, und den Jemen und Libyen. Die hen wie in diesen beiden koreanischen Städten.“ Ein Foto, das Reise nach Korea hingegen sollte 10 Jahre auf sich warten Markus Kirchgessner besonders am Herzen liegt, zeigt zwei lassen, bis er einen befreundeten Autor zur Bebilderung einer junge Frauen in traditioneller Kleidung (Hanbok), vertieft in die Reportage in diesem Jahr in das ferne Land begleitete und sich Anfertigung und Betrachtung ihrer Selbstporträts (siehe S. 71). damit einen lang gehegten Wunsch erfüllte. 2005 war Korea „Sie vereinen in einer Person den Kontrast zwischen Tradition als Gastland der Frankfurter Buchmesse zugleich Inspiration und Moderne.“ Korea auf der Zeitleiste zwischen Altem und für den kulturbegeisterten Fotografen, das Land und die Men- Neuem, zwischen Fischverkäuferinnen in Busan oder Tau- schen eines Tages durch den Sucher der Kamera betrachten zu cherinnen (Haenyeo) auf der Insel Jeju und den Bewohnern wollen. der Hauptstadt. „Die Menschen dort hatten eine ganz andere Ausstrahlung als die Menschen in Seoul“, sagt er. „Sie haben Es sind nämlich in erster Linie Menschen, die Markus Kirch- eher von ihrer Hände Arbeit gelebt, während die Seouler vor- gessner als Motiv interessieren - und ihr unmittelbares nehmlich Geschäftsleute waren.“ Da ist sie wieder, die besagte Lebensumfeld, das sie prägt und zeichnet. „Diese kleinen Prägung der Menschen durch ihr unmittelbares Lebensum- Alltagsmomente, die einem Außenstehenden einen Einblick feld, und da sind sie, die „unterschiedlichen Welten“ eines in ihre Privatheit gewähren“. Wie das Foto von dem koreani- Landes. „Seoul ist das Geschäftszentrum und sehr modern. schen Restaurantbesitzer (siehe Editorial), der am Ende seines Die Menschen übernehmen hier andere Rollen als Koreaner Arbeitstages vor dem Fernseher sitzt, zwischen Tischen, Töpfen andernorts.“ Über den Dächern der Metropole trinken junge und aufgestapelten Tellern, unter Neonröhren und freiliegen- Frauen in stilvoller Atmosphäre einen Aperitif am Pool – Amü- den Deckenleitungsrohren, umgeben von welligen Tapeten, sement, Luxus, Moderne (siehe S. 73). Der Blick bleibt hängen einem Menükarten-Wanddruck und einem hängenden an diesem Foto, an dieser Ästhetik, an diesen Farben „Seoul Kofferradio, das eher an einen Koffer als an ein Radio erinnert. hat spannende Designelemente zu bieten. Die Architektur hat Alltagsmoment, Einblick in Privatheit. Kirchgessners Lieblings- mich sehr beeindruckt, vor allem das Dongdaemun Design foto übrigens. Während seiner zehntägigen Reise fuhr er auch Plaza der Architektin Zaha Hadid.“ nach Busan und besuchte den Fischmarkt, den alle Touristen dort besuchen. Was ihn jedoch von den meisten Touristen un- Mit „archaischen Mitteln“ wiederum suchen die Taucherfrauen terscheiden dürfte, ist sein Interesse an den Nebenschauplät- der Insel Jeju die als Jeonbok begehrten Schnecken in den zen. Wo essen die Fischverkäuferinnen selbst zu Mittag? Wie Tiefen des Meeres, schrieb einst eine deutsche Zeitung über bereiten sie die Speisen zu? Er wurde eingeladen, aß, was die die letzten, heute zumeist zwischen 60 und 80 Jahre alten Fischverkäuferinnen aßen, und verständigte sich mit Händen „Töchter der Meere“. Sie tauchen ohne Sauerstoffflaschen nach und Füßen, denn Koreanisch spricht er ausnahmsweise nicht. Meeresfrüchten und können bis zu drei Minuten unter Wasser bleiben. Wer die Haenyeo erleben will, muss sich beeilen - der Markus Kirchgessners Fotos sind so authentisch, als sei er Beruf ist hart und der Nachwuchs fehlt. Endstation Jeju-do: für die Porträtierten unsichtbar gewesen. Er gehört nicht zu Markus Kirchgessner hat die Frauen aufgesucht und ihre Arbeit denen, die ungefragt auf den Auslöser drücken, „das finde ich dokumentiert. Der Himmel ist grau, das Meer wirkt düster. ethisch nicht vertretbar, und es passt auch einfach nicht zu Der Betrachter möchte ihre Geschichte hören, möchte wissen, mir:“ Wenn eine sprachliche Verständigung nicht möglich ist, wie sie es zu einer Jahreszeit, in der andere gefütterte Jacken, macht er sein Anliegen mit Gesten deutlich. „In Korea habe Regenkleidung und Gummistiefeln tragen, in dem eiskalten ich diesbezüglich nur positive Erfahrungen gemacht.“ Wenn Wasser aushalten. Ihre Gesichter erzählen von Anmut und er Zustimmung spürt, wird er in aller Regel zunächst zum Würde und auch von Mühsal und Routine. Manche lächeln. stillen Beobachter der jeweiligen Szenerie, bis er uninteres- sant und schlicht vergessen wird. „Die Betreffenden blenden Das Gespräch führte Dr. Stefanie Grote mich irgendwann aus und wenden sich ihrer eigentlichen Redaktion „Kultur Korea“ Aufgabe zu. In diesen Situationen können sehr spannende Weitere Informationen unter: Bilder entstehen. Das sind für mich viel interessantere Motive, http://www.markuskirchgessner.de/ als wenn die Personen für die Kamera posieren.“ Die Fischver- Fotos: Markus Kirchgessner Fotos: 72 / KULTUR KOREA Foto: privat Foto:

Markus Kirchgessner lebt in Frankfurt am Main. Er arbeitet als » selbstständiger Fotograf schwerpunktmäßig in Italien, dem Nahen Osten und in Asien. Seine Porträts und Reportagen erscheinen in zahlreichen in- und ausländischen Zeitschriften. Haenyo auf der Insel Jeju

Über den Dächern von Seoul

KULTUR KOREA / 73 RÜCKBLICK IM BILD Neulich im Koreanischen Kulturzentrum & anderswo... Juli bis Dezember2016

14. JULI TREFFEN FÜR IN BERLIN LEBENDE KOREANISCHE KÜNSTLER/INNEN IN ANWESENHEIT VON S.E. LEE KYUNG-SOO, BOTSCHAFTER DER REPUBLIK KOREA

SEIT AUGUST NEUE DAUERAUSSTELLUNG IM EMPFANGS- BEREICH DES KOREANISCHEN KULTURZENTRUMS: CONVERGENCE LINE – KOREA CRAFT & DESIGN PRODUCTS

6. AUGUST FESTIVAL FEUER & WASSER AUF DER FREUND- SCHAFTSINSEL POTSDAM: FOKUSLAND KOREA

74 / KULTUR KOREA MONATLICHER LESEKREIS FÜR LIEBHABER DER KOREANISCHEN LITERATUR: JEDEN ERSTEN MITTWOCH IM MONAT IN DEUTSCHER SPRACHE

7. SEPTEMBER LESEKREIS IM SEPTEMBER IN ANWESENHEIT DER AUTORIN HAN EUN-HYOUNG (li) MIT DER DOLMETSCHERIN MINA ARNOLDI

9. SEPTEMBER internationales literaturfestival berlin: LESUNG MIT HAN KANG (v. re.), AUTORIN VON „DIE VEGETARIERIN“, IM THEATER AN DER PARK- AUE - JUNGES STAATSTHEATER BERLIN - PRATER

KULTUR KOREA / 75 10. SEPTEMBER SEOUL TRIFFT BERLIN – TRADITION UND MODERNE. GEMEIN- SCHAFTSKONZERT DES SEOUL TUTTI ENSEMBLE UND DER KAMMERSYMPHONIE BERLIN IM KONZERTHAUS BERLIN AM GENDARMENMARKT

16.-19. SEPTEMBER DOKUMENTARFILMFESTIVAL DOKOREA 2016 – TEN THOUSAND SPIRITS IM KINO BABYLON IN BERLIN

23. SEPTEMBER MITTAGSKONZERT IM „PAVILLON DER EINHEIT“ AM POTSDAMER PLATZ, BERLIN - IN DEN SOMMERMONATEN IMMER MITTWOCHS UND FREITAGS

76 / KULTUR KOREA 29. SEPTEMBER SOLO-REZITAL MIT DER PIANISTIN SHIN-HEAE KANG

7. OKTOBER KONZERT PARK KYUNGSO: THE MOST BEAUTIFUL CONNECTION MIT DEN GAYAGEUM- SPIELERINNEN PARK KYUNGSO (li) UND LIM JIHYE

13. OKTOBER VERNISSAGE DER FOTODOKUMENTARAUSSTELLUNG IMAGING KOREA - BEYOND THE PEOPLE, LAND AND TIME IN ANWESENHEIT DES KURATORS SEOK JAEHYUN

24. OKTOBER LESUNG & GESPRÄCH MIT DEM KOREANISCHEN AUTOR SONG SOKZE ÜBER SEINEN ROMAN „DAS DORF AM FLUSS“ IM HAUS FÜR POESIE

KULTUR KOREA / 77 31. OKTOBER „KIM KOCHT“ MIT UNS! SCHAUKOCHEN UND VORTRAG MIT DER INTERNATIONAL RENOMMIERTEN CHEFKÖCHIN SOHYI KIM

8. NOVEMBER AUFTRITT DES SAMULNORI-ENSEMBLES DES KOREANISCHEN KULTURZENTRUMS IM MAUERPARK BERLIN

17.-27. NOVEMBER JAZZKOREA 2016 - ERÖFFNUNG DES FESTIVALS IM KESSELHAUS / KULTURBRAUEREI BERLIN

24. NOVEMBER VERNISSAGE DER FOTOAUSSTELLUNG DANK NACH 62 JAHREN – DEUTSCHE HUMANITÄRE HILFE IN KOREA IN ANWESENHEIT DES BOTSCHAFTERS DER REPUBLIK KOREA, S.E. LEE KYUNG-SOO

78 / KULTUR KOREA 30. NOVEMBER MONATLICHER FILMKREIS KOREAN MOVIES ON SCREEN -FÜR KENNER, FANS UND INTERESSIERTE! MIT ANSCHLIEßENDER DISKUSSION

7. DEZEMBER PROBE DES GYEONGGI PROVINCIAL TRADITIONAL MUSIC ORCHESTRA IM VORFELD DES YOUNGHI PAGH-PAAN INTERNATIONAL COMPOSITION PRIZE 2016 AM 9. DEZEMBER IN DER BERLINER PHILHARMONIE

9. DEZEMBER 2016 - 28. JANUAR 2017 AUSSTELLUNG VON ACHIM FREYER (MITTE): WHO IS MR. RABBIT VERNISSAGE AM 8. DEZEMBER 2016

* Ort sämtlicher Veranstaltungen (wenn nicht gesondert genannt): Koreanisches Kulturzentrum in Berlin Alle Fotos: Koreanisches Kulturzentrum

KULTUR KOREA / 79 IMPRESSUM

HERAUSGEBER Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea Leipziger Platz 3, 10117 Berlin www.kulturkorea.org

LEITER Gesandter-Botschaftsrat Dr. Kwon Sehoon

REDAKTION Dr. Stefanie Grote Gesine Stoyke

GESTALTUNG Setbyol Oh

KONTAKT Tel: (030) 269 52-0 Fax: (030) 269 52-134 E-Mail: [email protected]

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DRUCK Concept Medienhaus GmbH

VERTRIEB Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea

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80 / KULTUR KOREA

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