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KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 extra Seite 1

Nr.22 Do., 02. Februar 2012

BURJAN - SELIGSPRECHUNG

2 Hildegard Burjan ist selig Mit Verlesung des päpstlichen Seligsprechungsdekretes durch Kardinal Amato ist Caritas Socialis-Gründerin "zur Ehre der Altäre" erhoben - Papst setzt 12. Juni als Gedenktag fest 3 Benedikt XVI. würdigt neue Selige Hildegard Burjan Ihr Leben und Wirken ist "ein schönes Zeugnis für das Evangelium" 4 Seligsprechung Burjans "großes Geschenk für Kirche und Land" Predigt Kardinal Schönborns bei Seligsprechungsfeier im Wiener Stephansdom 5 Schönborn: "Heilige und Selige sind nie ein Schlussstrich" Wiener Erzbischof im Anschluss an Burjan-Seligsprechung im "Kathpress"-Gespräch 5 Wien: Burjan-Reliquien in "Caritas Socialis"-Stammhaus übertragen 6 Neue Selige soll österreichweit bekannt gemacht werden Vizepostulatorin des Seligsprechungsverfahrens, Ingeborg Schödl, im "Kathpress"-Interview 7 Politischer Einfluss auch nach Ausscheiden aus Parlament Historikerin Kronthaler-Sohn: Geistiges "gegenseitiges Geben und Nehmen" zwischen Burjan und Seipel, jedoch keine Quellenbelege für politische Beratungsfunktion Burjans 8 Vorbild auch für junge Menschen Sacre Coeur-Schulsprecherin Schaffer sieht Beispielwirkung der künftigen Seligen 8 Badelt: "Brauchen die Hildegard Burjans des 21. Jahrhunderts" Rektor der Wiener WU appelliert an sozial Engagierte, sich auch politisch einzubringen 10 Die "Frau des Tuns" als Vorbild auch für Frauen von heute

HINTERGRUNDBERICHTE

11 Kurze Biografie der neuen Seligen Sozialpionierin und prägende Gestalt der christlichen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert wird am 29. Jänner seliggesprochen 11 Kämpferin gegen soziale Armut Die Gründerin der Wiener Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis" gehört zu den großen Gestalten der christlichen Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 13 Reliquien verdeutlichen spannungsreiches Leben 14 Seligsprechungsprozess stand mehrmals auf der Kippe 15 Caritas Socialis: Vielfältiger sozialer und pastoraler Einsatz 16 "Hildegard Burjan ist Beispiel neuzeitlicher Spiritualität" Theologe Greshake ortet spezifische "burjanische Spiritualität" in den "jüdischen Wurzeln" und im Umgang mit "unaufgelösten Spannungen" 17 Rund 100 Heilige und Selige stammen aus Österreich 20 Stichwort: Seligsprechung

DOKUMENTATION

20 "Ein großes Geschenk für die Kirche und für unser Land" Wortlaut Predigt von Kardinal Christoph Schönborn beim Gottesdienst zur Seligsprechung von Hildegard Burjan am 29. Jänner im Stephansdom KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 2

BURJAN - SELIGSPRECHUNG

Hildegard Burjan ist selig

Mit Verlesung des päpstlichen Seligsprechungsdekretes durch Kardinal Amato ist Caritas Socialis-Gründerin "zur Ehre der Altäre" erhoben - Papst setzt 12. Juni als Gedenktag fest

Wien, 02.02.12 (KAP) Hildegard Burjan, die Gründe- von einer schweren Krankheit konvertierte sie zur rin der Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis" katholischen Kirche und ließ sich taufen. (CS), ist seliggesprochen. Bei der Seligsprechungsfei- Burjan setzte sich entschieden für die Gleich- er am 29. Jänner im Wiener Stephansdom verlas der berechtigung der Frau, für die Bekämpfung der Kin- Präfekt der vatikanischen Kongregation für die Selig- derarbeit und für die Überwindung sozialer Miss- und Heiligsprechungen, Kurienkardinal Angelo stände ein. Viele soziale Rechte für Frauen und Kin- Amato, das Seligsprechungsdekret des Papstes. Mit der, die heute selbstverständlich sind, gehen auf ihre Hildegard Burjan hat die katholische Kirche weltweit Initiative zurück. Zu ihren wichtigsten politischen erstmals eine Parlamentarierin seliggesprochen. Forderungen zählte schon damals "gleicher Lohn für Im Seligsprechungsdekret erteilt Benedikt XVI. gleiche Arbeit" für Frauen. "die Erlaubnis, dass die ehrwürdige Dienerin Gottes 1912 gründete Burjan den "Verband der Hildegard Burjan, Ehefrau und Mutter, Gründerin christlichen Heimarbeiterinnen" und 1918 den Ver- der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis, die im ein "Soziale Hilfe". Als Frauen 1919 erstmals das öffentlichen Leben auf christliche Weise eifrig da- aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten, zog nach strebte, dass das Evangelium als Sauerteig der Burjan als erste christlich-soziale Abgeordnete in das irdischen Gesellschaft wirke, und dass die Würde der österreichische Parlament ein. Am 4. Oktober 1919 Frau, der Wert der Familie, der menschliche Zu- gründete sie die religiöse Schwesterngemeinschaft sammenhalt sowie das Gemeinwohl gefördert wer- "Caritas Socialis", mit dem Auftrag, soziale Not der den, künftighin als Selige verehrt" wird. Ihren Ge- Zeit zu erkennen und zu lindern. denktag setzte der Papst auf den 12. Juni, den Tag Als große Ausnahme in der neueren Ordens- nach ihrem Todestag, eines jeden Jahres fest. geschichte war Hildegard Burjan zugleich Oberin Nach der Verlesung des Dekretes wurde im Al- ihrer Gemeinschaft, Ehefrau (eines der führenden tarraum des Stephansdomes ein rund 5,5 mal 4 Me- Industriellen seiner Zeit) und Mutter einer Tochter. ter großes Porträt Hildegard Burjans aufgezogen. Zugleich war sie die Beraterin führender Politiker der Dann wurde eine einfach gehaltene Glasstele mit der Ersten Republik, so von Bundeskanzler Prälat Ignaz Reliquie Hildegard Burjans in einer Prozession zum Seipel. Altar gebracht und davor abgestellt. Neben einem Obwohl sie nur kurze Zeit dem Parlament an- Knochensplitter der Seligen enthält das Reliquiar gehörte, galt sie schon bald als dessen "Gewissen". auch ihren Ehering sowie jene Caritas-Socialis- Die tief religiöse Hildegard Burjan stellte sich dem Brosche, die bei der Öffnung ihres Sarges 2005 ge- Elend großer gesellschaftlicher Schichten und ver- funden wurde. An der Prozession nahmen neben Sr. schloss vor Jugendkriminalität, Verwahrlosung und Judith Maria Tappeiner, der Leiterin der Caritas Prostitution nie die Augen. Dadurch erwarb sie sich Socialis (CS), u.a. auch einige Kinder aus dem CS- auch den Respekt sozialdemokratischer Politiker. Kindergarten Pramergasse teil. Als im Jahr 1920 Neuwahlen anstanden, zog sich Burjan aus Rücksicht auf ihre stark angeschla- Frau, Politikerin, Gründerin der "Caritas Socialis" gene Gesundheit und wegen der zunehmenden anti- Zum Auftakt des Seligsprechungsaktes hatte die semitischen Strömungen auch innerhalb ihrer Partei Vizepostulatorin des Seligsprechungsverfahrens, aus dem Parlament zurück, blieb aber weiter poli- Prof. Ingeborg Schödl, die Lebens- und Glaubensge- tisch aktiv. Hildegard Burjan starb am 11. Juni 1933 schichte Hildegard Bujans verlesen. Am 30. Jänner an einem schweren Nierenleiden. 1883 als Hildegard Freund im sächsischen Görlitz in eine liberale jüdische Familie geboren, studierte sie Hohe Repräsentanten aus Kirche und Politik in Zürich Literatur und Philosophie und in Berlin An der von Kurienkardinal Angelo Amato geleiteten Sozialwissenschaft. Im Jahr 1907 heiratete sie den Seligsprechungsfeier nahm Österreichs Episkopat gebürtigen Ungarn Alexander Burjan. Nach Heilung fast vollzählig teil: Kardinal Christoph Schönborn, KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 3

Erzbischof Alois Kothgasser, die Bischöfe Egon Ka- Erste Seligsprechung im Stephansdom pellari, Klaus Küng, Alois Schwarz, Manfred Scheuer, Die Seligsprechung Hildegard Burjans war die erste Ägidius Zsifkovics, Ludwig Schwarz und Christian Seligsprechung überhaupt im Wiener Wahrzeichen. Werner, die Weihbischöfe Helmut Krätzl, Franz Bis vor wenigen Jahren fanden Seligsprechungen in Scharl, Stephan Turnovszky, Anton Leichtfried und der Regel in Rom statt und wurden vom Papst per- Andreas Laun, Diözesanadministrator Benno Elbs sönlich vorgenommen. Johannes Paul II. führte zu- sowie die Altbischöfe Maximilian Aichern und Paul dem auch gerne Seligsprechungen im Rahmen sei- Iby. ner mehr als hundert Auslandsreisen durch. So Aus Burjans deutscher Heimatstadt Görlitz sprach er beispielsweise 1998 bei seinem Besuch in nahm eine große Abordnung mit Bischof Wolfgang Wien Sr. Restituta Kafka, P. Anton Maria Schwarz Ipolt und Altbischof Rudolf Müller an der Spitze teil, und Jakob Kern selig. Die Feier fand am 21. Juni auf ebenso der Apostolische Nuntius in Wien, Erzbischof dem Wiener Heldenplatz statt. Peter Stephan Zurbriggen. An der Spitze zahlreicher Papst Benedikt XVI. änderte die diesbezüg- Ordensvertreter kamen Prälat Maximilian Fürnsinn, lichen Normen und die Praxis wieder: Demnach Vorsitzender der Superiorenkonferenz der männ- werden Seligsprechungen durch einen bevollmäch- lichen Ordensgemeinschaften, und Sr. Kunigunde tigten Vertreter des Papstes, in der Regel den Präfek- Fürst, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden. ten der Heiligsprechungskongregation, geleitet. Sie Von politischer Seite waren Nationalratspräsi- sollen in den jeweiligen Diözesen "oder an einem dentin Barbara Prammer, der zweite Nationalrats- anderen geeigneten Ort" erfolgen. (Auf Antrag des präsident Fritz Neugebauer, Vizekanzler zuständigen Bischofs können sie aber auch nach Spindelegger, Finanzministerin Maria Fekter, Klub- Rom verlegt werden.) Heiligsprechungen - und in obmann Karlheinz Kopf und Volksanwältin Terezija Ausnahmen Seligsprechungen wie jene von Johan- Stoisits zugegen. nes Paul II. - hat sich der Papst weiter selbst vorbe- halten.

Benedikt XVI. würdigt neue Selige Hildegard Burjan

Ihr Leben und Wirken ist "ein schönes Zeugnis für das Evangelium"

Vatikanstadt, 02.02.12 (KAP) Papst Benedikt XVI. hat Wörtlich sagte der Papst in seinem Grußwort: Hildegard Burjan als Vorbild für alle Gläubigen ge- "Ganz herzlich grüße ich die Pilger und Besucher würdigt. Das Leben der aus Görlitz stammenden deutscher Sprache und verbinde mich in besonderer Gründerin der Schwesterngemeinschaft "Caritas Weise mit allen Gläubigen, die heute nachmittag im Socialis" sei ein "schönes Zeugnis für das Evangeli- Wiener Stephansdom an der Seligsprechung von um", sagte der Papst am 29. Jänner nach dem Ange- Hildegard Burjan teilnehmen. Sie sagte: 'Ich weiß lus-Gebet auf dem Petersplatz. Burjan habe Frauen sicher, dass es nur ein wahres Glück gibt, und das ist um sich geschart, die bis heute notleidenden Men- die Liebe Gottes! Alles andere kann erfreuen, aber schen Trost und Hilfe geben. Er rief die Gläubigen Wert hat es nur, wenn es aus dieser Liebe stammt, in auf, dem Vorbild der neuen Seligen nachzueifern. ihr begründet ist.' "Nach dem Beispiel von Hildegard Burjan lasst auch Aus dieser Liebe hat Hildegard Burjan gelebt. uns Boten der helfenden Liebe Gottes sein." Und als Gründerin der Schwesterngemeinschaft Die vatikanische Tageszeitung "Osservatore Caritas Socialis hat sie Frauen um sich geschart, die Romano" veröffentlichte eine Würdigung Burjans bis heute Quelle dieser Liebe sein wollen, um den durch die Generalleiterin der Schwesterngemein- notleidenden Menschen Hilfe und Trost zukommen schaft "Caritas Socialis", Maria Judith Tappeiner. zu lassen. Nach dem Beispiel von Hildegard Burjan Burjan sei "ein Modell für eine besonnene Ausdau- versuchen auch wir Boten der helfenden Liebe Got- er", die vor Hindernissen und Schwierigkeiten nicht tes zu sein. Einen guten Sonntag euch allen!" zurückschrecke, heißt es darin.

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Seligsprechung Burjans "großes Geschenk für Kirche und Land"

Predigt Kardinal Schönborns bei Seligsprechungsfeier im Wiener Stephansdom

Wien, 02.02.12 (KAP) Die Seligsprechung Hildegard Das "Mehr", das sich im Blick auf die selige Burjans ist "ein großes Geschenk für die Kirche und Hildegard Burjan zeige, sei "eine innere Quelle, ein für unser Land". Das unterstrich der Wiener Erz- Feuer, eine Kraft, da ist eine Dynamik, die aus einer bischof, Kardinal Christoph Schönborn, in seiner innersten Mitte heraus ein Leben verändert, umge- Predigt zur Seligsprechung der Sozialpionierin und staltet, im Guten radikalisiert, ein nicht mehr erlah- Gründerin der Caritas Socialis am Sonntagnachmit- mender Impuls, der allem im Leben der Seligen eine tag im Wiener Stephansdom. Burjan habe in sozial neue Marke gegeben hat". schwerer Zeit Großes geleistet. "Nichts Frömmeln- des, keine Schaustellung ihres Inneren, sondern das "Eine andere Kraft am Werk" Sehen der Not, das Hinschauen, das Zupacken, das Der Wendepunkt in Burjans Leben sei gewesen, als vernünftige soziale Handeln: das hat ihr über Partei- sie am 2. Oktober 1908 als 25-Jährige, jung Verheira- grenzen hinweg hohe Anerkennung eingebracht", tete in Berlin ins katholische St. Hedwigs- hob Schönborn hervor. Krankenhaus eingeliefert wurde. Nach sieben Mona- "Gott gibt uns den Verstand, damit wir die Not ten vergeblicher Operationen und schrecklicher einer Zeit, die Ursachen der Not, die Mittel, die zur Schmerzen sei am Karsamstag der baldige Tod der Abhilfe führen, erkennen", zitierte der Kardinal die Schwerkranken für alle gewiss gewesen. "Am nächs- neue Selige. Das sei auch der Grund für ihr politi- ten Tag, am Ostermorgen, ist sie geheilt. Die Ärzte sches Engagement gewesen. Volles Interesse für die und sie selber sehen es als Wunder. Ihr langes Su- Politik und entsprechendes Handeln gehörten für chen nach Sinn, ihr Sehnen nach Gott, hat das Ziel Burjan zum praktischen Christentum. erreicht: Sie kann glauben. Gott hat sie geführt." Die Kirche stelle sie als Selige ausdrück- Sie habe auch die geistlichen Schwerstern des lich als Vorbild hin. Ihrem Vorbild nachzueifern, Krankenhauses erlebt, die sie monatelang gepflegt heiße "in die Schule Jesu" zu gehen. Genau das sei haben. "So etwas wie diese Schwestern kann der auch das "Reformprogramm" für die Erzdiözese natürliche, sich selbst überlassene Mensch nicht Wien. "Die selige Hildegard Burjan hat gezeigt, dass vollbringen. Ich habe die Wirkung der Gnade erlebt, dieser Weg in der Lebensschule wirklich die so kann mich auch nichts mehr zurückhalten", zi- Welt verändern kann", hob der Wiener Erzbischof tierte der Kardinal die neue Selige. hervor. Schönborn: "Es war nicht eine reine mensch- liche Energie, die sie von jetzt an bewegte, unermüd- "Hildegard Bujan, bitte für uns!" lich für Menschen in Not dazu sein, eine Ehe zu füh- Seligsprechung heißt nach kirchlicher Überzeugung ren, und gleichzeitig eine Schwestergemeinschaft zu aber auch, die Selige um Hilfe zu bitten, sie anzuru- gründen. Da war eine andere Kraft am Werk." So fen und ihre Fürsprache zu suchen. "Heute dürfen habe sie auch das Wort des Apostels Paulus "Die wir sie um ihre Fürsprache bitten, diese große Frau Liebe Christi drängt uns" als Motto für die Caritas der sozialen Tat, der ohne viele Worte gelebten Cari- Socialis gewählt. tas Socialis! Selige Hildegard Burjan! Bitte für uns!", so der Kardinal. "Predigt der Tat" Schönborn betonte in seiner Predigt, dass zu Die selige Hildegard Burjan habe nicht viel über die- "Heiligkeit" aber mehr gehöre als soziales Engage- sen innersten Antrieb in ihrem Leben geredet. Sie ment. "Es gibt viele großartige Menschen. Sozial habe ihn durch ihr Leben sichtbar gemacht, ohne Engagierte. Vorbildliche Eheleute und Eltern. Beruf- viele Worte. Die "Predigt der Tat" sei ihr wichtiger. lich Bewundernswerte. Politisch ehrlich und gerade "Wir brauchen Menschen, die nicht zu anderen pre- Handelnde. Es gibt gute Christen, glaubwürdige digen gehen", so ein Ausspruch von ihr. Gläubige. Und es gibt von ihnen allen mehr als man Burjan habe gewusst, dass Gott ihr zu Ostern von den täglichen Medienberichten her vermuten 1908 das Leben neu geschenkt hat, sagte der Wiener würde. Es gibt in unserem Land viele beeindrucken- Erzbischof weiter. So sehe sie von da an ihr Leben bis de, gerade, hochanständige Menschen. Und dafür in die Todesstunde, 25 Jahre später, am Dreifaltig- dürfen wir dankbar sein", hielt der Kardinal fest. keitssonntag 1933. Von ihrer Todesstunde ist folgen- de Aussage überliefert: "Mein Sterben ist ein einziges KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 5

großes Deo Gratias! Vor 25 Jahren hat mich Gott aus Kind, und jetzt führt er mich aus dieser Krankheit dieser Krankheit herausgezogen und berufen, dann heraus zu sich!" hat er mich 25 Jahre auf den Armen getragen wie ein

Schönborn: "Heilige und Selige sind nie ein Schlussstrich"

Wiener Erzbischof im Anschluss an Burjan-Seligsprechung im "Kathpress"-Gespräch: "Es geht um gelebtes Christentum"

Wien, 02.02.12 (KAP) "Heilige und Selige sind nie Laut Ingeborg Schödl, Vizepostulatorin des ein Schlussstrich sondern eine offene Tür mit der Seligsprechungsprozesses, wolle man in Zukunft vor Einladung auch hineinzugehen." Das hat Kardinal allem verstärkt die Jugend ansprechen. Es gelte, Hil- Christoph Schönborn unmittelbar nach der Selig- degard Burjan noch viel mehr bekannt zu machen. sprechungsfeier von Hildegard Burjan im Wiener Sie sei Beispiel dafür, "wie man als Christ leben und Stephansdom gegenüber "Kathpress" gesagt. Die sich in der Politik engagieren kann", so Schödl: "Je- lang erwartete Feier habe er persönlich mit großer der jammert über die Politik, aber niemand will sich Freude erlebt, so der Kardinal: "Die Botschaft Hilde- engagieren." Dagegen gelte es aufzutreten. gard Burjans ist klar: Es geht nicht ums Reden son- Der Apostolische Nuntius, Erzbischof Peter dern ums Tun, um gelebtes Christentum." Stephan Zurbriggen, erhofft sich von Hildegard Bur- Dass Hildegard Burjan mit ihrem Lebensbei- jan wichtige Impulse für die Kirche in Österreich. spiel weite Kreise der Bevölkerung anspricht, betonte "Bei der Erneuerung des kirchliche Lebens kann ihr Sr. Judith Maria Tappeiner, Generalleiterin der Cari- Lebensbeispiel und ihre Fürbitte sicher hilfreich tas Socialis, im Anschluss an die Seligsprechung. Sie sein", so der Nuntius wörtlich. zeigte sich vor allem von den vielen Menschen be- Vizekanzler Michael Spindelegger schließlich eindruckt, die zur Seligsprechungsfeier gekommen zeigte sich überzeugt, "dass es in der Politik immer waren. Auch für Tappeiner war klar: "Die Seligspre- wieder Anlässe gibt, sich Hildegard Burjan zum Vor- chung war kein Schlusspunkt, wir gehen weiter." bild zu nehmen".

Wien: Burjan-Reliquien in "Caritas Socialis"-Stammhaus übertragen

Feierlicher Gottesdienst in Servitenkirche mit Kardinal Schönborn - Prozession zur Hildegard-Burjan-Kapelle in Pramergasse

Wien, 02.02.12 (KAP) Die Reliquien der seligen Hil- bischöfen Helmut Krätzl und Franz Scharl vorstand. degard Burjan sind am 30. Jänner – einen Tag nach In seiner Predigt bezeichnete Krätzl die neue Selige der Seligsprechung - im Rahmen einer feierlichen als "Schlüsselfigur im ganzen Prozess der Neuevan- Prozession von der Wiener Servitenkirche in das gelisierung in Österreich". Stammhaus der Schwesterngemeinschaft der Caritas Vielfach werde geklagt, dass der Glaube er- Socialis in die Pramergasse übertragen worden. Dort schreckend geschwunden sei, vor allem auch das haben sie nun in der Hildegard-Burjan-Kapelle über Glaubenswissen, so Krätzl: "Glaubenswissen aufzu- der Grablege der Seligen ihren festen Platz. Das Reli- frischen ist sehr wertvoll. Für das Evangelium ge- quiar, eine schlicht gehaltene Glasstele, beinhaltet winnen wird man aber Menschen kaum dadurch, neben einem Knochensplitter der Seligen, deren sondern durch Zeugen des Glaubens." Im vom Papst Ehering sowie jene Caritas-Socialis-Brosche, die man ausgerufenen "Jahr des Glaubens" werde es nicht bei der Exhumierung im Jahr 2005 im Sarg Burjans genügen, sich eingehend mit dem Weltkatechismus gefunden hatte. zu befassen, so wichtig dies auch sei, betonte der Vor der Prozession fand in der überfüllten Ser- Weihbischof. Es gelte bewusst zu machen, "dass der vitenkirche ein feierlicher Gottesdienst statt, dem Glaube erst lebendig wird, wenn er sich in Werken Kardinal Christoph Schönborn gemeinsam mit dem der Liebe erweist" und sich aus dem Glauben heraus Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt und den Weih- in Welt und Gesellschaft zu engagieren. KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 6

Krätzl wörtlich: "Es ist gut, dass wir in so kur- Der Bischof erinnerte an die von Burjan for- zer Zeit zwei bedeutende Glaubenszeugen in Öster- mulierte Weiheformel für die Schwestern der Caritas reich haben, die seliggesprochen worden sind. Carl Socialis. Darin sei vom "Werkzeug der Liebe Gottes" Lampert, den ehemaligen Provikar der Aposto- die Rede. Burjan habe gezeigt, dass milde Gaben lischen Administratur Innsbruck-Feldkirch, und allein nicht genügten, um diesem Anspruch gerecht Hildegard Burjan; Lampert als 'Zeuge seines Glau- zu sein. Es gelte vielmehr alle Fähigkeiten einzuset- bens gegen das menschenverachtende Naziregime', zen zur Linderung der Not. Deshalb sei sie sogar in Burjan als 'Zeugin gelebten Glaubens für Arme und die Politik gegangen. Denn sozialer Einsatz bedeute, Entrechtete in unserer Heimat'." die Not an der Wurzel zu fassen und Strukturen zu Hildegard Burjan würde die Kirche heute - 50 ändern. So habe Burjan neue Gesetze gefordert, aber Jahre nach dem Beginn des Zweiten Vatikanischen auch eine Gemeinschaft gegründet, die neue Institu- Konzils - aufrufen, sich "ohne Zaudern" den Men- tionen der Hilfe fortan schaffte. schen zuzuwenden auf ihre Lebenswirklichkeiten Im Anschluss an den Gottesdienst führte die hin, mit ihren Freuden und Hoffnungen, aber auch Prozession durch einige Gassen des neunten Bezirks Niederlagen und Brüchen", zeigte sich der Weih- zum Stammhaus der Caritas Socialis in der Pramer- bischof überzeugt: "Sie würde uns ermutigen, alle gasse. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass Schätze der Kirche auszupacken, um Menschen zum im Servitenviertel bis zu ihrer Deportation durch das Gelingen des Lebens zu verhelfen." NS-Regime viele jüdische Menschen lebten. Men- Das Konzil habe sich deutlich gegen eine welt- schen, die die gleiche Abstammung hatten wie Hil- fremde Frömmigkeit oder ein Zurückziehen "in die degard Burjan. Sakristei" ausgesprochen. Gleichzeitig habe es vor Die Kapelle im Caritas-Socialis-Haus in der zwei Verirrungen gemahnt. "Ein Irrtum wäre, im Pramergasse ist werktags von 8 bis 13 Uhr geöffnet. Bewusstsein, hier keine bleibende Stätte zu haben, Die Schwesterngemeinschaft lädt alle Gläubigen irdische Pflichten zu vernachlässigen, ein anderer zum Gebet und zur Stille ein. Irrtum aber, im Irdischen aufzugehen, völlig ge- trennt vom Religiösen", mahnte Krätzl.

Burjan: Neue Selige soll österreichweit bekannt gemacht werden

Vizepostulatorin des Seligsprechungsverfahrens, Ingeborg Schödl, im "Kathpress"-Interview über künftige "Burjan-PR", Höhen und Tiefen des Prozesses

Wien, 02.02.12 (KAP) Der Abschluss des Seligspre- tin zufolge etwa der Schulunterricht sein. Es gebe chungsprozesses von Hildegard Burjan bedeutet bereits einiges Material wie etwa einen eigens für nicht das Ende der Arbeit für und mit der neuen den pädagogischen Einsatz produziertes Video über Seligen: So kündigte die Vizepostulatorin des Selig- die Sozialpionierin Hildegard Burjan. Insgesamt sprechungsverfahrens, die Publizistin Ingeborg stelle sie - nicht zuletzt durch die von Seiten der Schödl, im "Kathpress"-Interview an, dass das seit "Caritas Socialis" intensiv betriebene Medienarbeit - 1992 bestehende Hildegard-Burjan-Komitee auch ein "deutlich gewachsenes Interesse der Öffentlich- nach der Seligsprechung weiter an der Bekanntma- keit an der Seligsprechung und an der Person Hilde- chung der neuen Seligen arbeiten werde. Durch eine gard Burjans", so Schödl. Vielzahl an Vorträgen, aber auch durch eine Presse- In einem persönlichen Rückblick berichtete reise im April nach Görlitz - der Heimatstadt Burjans die Publizistin und Burjan-Komitee-Vorsitzende - und die Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien Schödl von "Höhen und Tiefen" des seit 1963 lau- soll die Selige österreichweit bekannt gemacht wer- fenden Seligsprechungsprozesses. In den 1990er den. Jahren sei das Verfahren deutlich ins Stocken gera- Es sei "immer das Anliegen des Komitees ge- ten, bei den zuständigen vatikanischen Behörden sei wesen, die Person Burjan einer breiten Öffentlichkeit "nichts weitergegangen". Einen weiteren "Tief- bekannt zu machen", daher könne man auch nach schlag" habe 2008 die Ablehnung der Anerkennung der Seligsprechung "nicht einfach zur Tagesordnung des Wunders durch die Theologen-Kommission übergehen", so Schödl. Ein möglicher Bereich einer dargestellt. Erst am 7. Juni 2011, als die Kommission weiterführenden "Burjan-PR" könnten der Publizis- KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 7

ein einstimmig positives Votum abgab, hieß es Auf- manistischen Ablehnung der befürchteten Barbarei atmen, so Schödl. der Nazis" heraus. Mit dem katholischen Glauben sei sie vor al- Keine Parallele zu lem durch ihre Züricher Hochschullehrer in Berüh- Eine Verbindung zwischen der Hl. Edith Stein und rung geraten, so Schödl weiter. Sie sei immer eine Hildegard Burjan aufgrund ihrer jüdischen Herkunft "Suchende" gewesen und habe im Zuge ihrer Ausei- könne im Übrigen nicht gezogen werden, so Schödl nandersetzung mit dem Christentum schließlich weiter. So stamme Stein aus einem religiös gepräg- einen gegenüber ihrer wissenschaftlichen Ausbil- ten jüdischen Elternhaus; Hildegard Burjan habe dung fast "kindlichen Glauben" entwickelt. Diese zwar jüdische familiäre Wurzeln, ihr Elternhaus habe Spannung einer tiefen Spiritualität und einer prak- jedoch Religion in keiner Weise gelebt. Zwar habe sie tisch-politischen Veranlagung und einem "visionä- bereits früh als Politikerin vor den Folgen einer ren politischen Denken" habe sie schließlich ausge- Machtübernahme durch die Nazis gewarnt, dies zeichnet - und dies mache auch "den Reiz aus, sich jedoch weniger vor dem Hintergrund ihrer jüdischen heute mit Hildegard Burjan zu befassen", so Schödl. Herkunft als vielmehr "aus einer grundsätzlich hu-

Burjan: Politischer Einfluss auch nach Ausscheiden aus Parlament

Historikerin Kronthaler-Sohn: Geistiges "gegenseitiges Geben und Nehmen" zwischen Burjan und Seipel, jedoch keine Quellenbelege für politische Beratungsfunktion Burjans

Wien, 02.02.12 (KAP) Hildegard Burjan blieb nach Dass Burjan dem Universitätsprofessor Seipel ihrem kurzen, aber ergebnisreichen politischen Wir- intellektuell die Stirn bieten konnte, sei durch eine ken im Parlament in sozialpolitischen Fragen ein- Episode bei einer katholischen Frauenkonferenz flussreich. Das ist die übereinstimmende Meinung 1917 in Linz bekannt, wo sie "Seipels theoretische der Burjan-Biografen, die in diesem Zusammenhang Ausführungen korrigiert hat". Dieser Vorfall sei auf die historisch belegten politischen Berührungs- gleichzeitig der Beginn für eine "lebenslange punkte und die starke Freundschaft mit dem christ- Freundschaft zwischen den beiden großen Persön- lich-sozialen Spitzenpolitiker Prälat Ignaz Seipel lichkeiten der Zwischenkriegszeit" gewesen. Von verweisen. "Hildegard Burjan als wichtigste Berate- daher sei es vorstellbar, dass Seipel als Politiker rin von Seipel in sozialen Fragen zu bezeichnen, durchaus mit Burjan soziale Themen und Fragen halte ich aber prinzipiell für überzogen", schränkt besprochen hat. "Allerdings fehlen dafür die Quel- die Grazer Historikerin Michaela Kronthaler-Sohn in lenbelege", so Kronthaler-Sohn. Klarheit darüber einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber "Kath- könnten die Seipel-Tagebücher geben, die allerdings press" ein und verweist dabei auf fehlende Quellen- dahingehend noch ausgewertet werden müssten, so belege. Es sei "durchaus anzunehmen", dass Seipel die Historikerin, die im Rahmen ihrer Forschungen als bedeutender Weggefährte Hildegard Burjans und bisher auch auf keine schriftlichen Konzepte von geistlicher Berater ihrer Schwesterngemeinschaft Burjan für Seipels sozialpolitische Aktivitäten gesto- Caritas Socialis "in ständigem Austausch auch zu ßen ist. sozialen Themen mit der neuen Seligen stand", so Für Kronthaler-Sohn erklärt sich das daraus, die Historikerin, die sich intensiv wissenschaftlich dass Seipel selbst ein "Experte in sozialen Fragen" mit Burjan befasst hat. Das Verhältnis sei sicherlich war. Dieser hatte beim bedeutenden katholischen ein "gegenseitiges Nehmen und Geben" gewesen. So Sozialdenker Franz Martin Schindler promoviert. habe der "Sozialtheoretiker" Seipel gar nicht so we- Auch habe sich Seipel im Rahmen seiner Tätigkeit als nige Vorträge bei der Caritas Socialis gehalten, die Universitätsprofessor bzw. in seiner wissenschaft- auch gedruckt erschienen sind. Demgegenüber sei lichen Tätigkeit "ständig mit sozialen Themen ausei- Hildegard Burjan die "Sozialpraktikerin" gewesen, nandergesetzt". Politische Erfahrungen machen die neue soziale Ideen in ihren Projekten mit der konnte der spätere christlichsoziale Bundeskanzler Caritas Socialis verwirklicht hat. zudem schon als Minister für soziale Fürsorge im letzten kaiserlichen Kabinett.

KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 8

Hildegard Burjan: Vorbild auch für junge Menschen

Sacre Coeur-Schulsprecherin Schaffer sieht Beispielwirkung der künftigen Seligen: "Sich selbst engagieren, eigene Stimme erheben und sich einsetzen"

Wien, 02.02.12 (KAP) Die selige Hildegard Burjan ist Die junge Frau ist im Zuge des Schulprojekts auch für Jugendliche ein Vorbild. "Hildegard Burjan "Compassion" für zwei Wochen in der Altenpflege war eine bewundernswerte Frau. Sie hat sich nicht bei der "Caritas Socialis" tätig. "Es ist ein tolles Pro- nur in der Politik, sondern auch sozial engagiert", jekt", so Schaffer mit Blick auf den generationen- erklärt Therese Schaffer, Schulsprecherin des Gym- übergreifenden Austausch. Von der Beziehung zu nasiums Sacre Coeur in Wien, im "Kathpress"- den älteren Menschen habe sie bereits "viel profitiert Gespräch. Besonders anzuerkennen sei etwa, dass und neue Sichtweisen gesammelt von einer Genera- Burjan in der männerdominierten Politik eine laute tion, die eine ganz andere Jugend hatte als wir". Stimme für die Frauen gewesen sei. Auch sei es da- Im Zuge des Projekts habe sie erfahren, dass mals nicht selbstverständlich gewesen, "dass Frauen man andere Menschen auch ohne Ausbildung unter- aus ihrem geschützten Zuhause heraustreten und stützen kann. "Manchmal reicht es einfach schon, da sagen, was sie sagen wollen und dafür auch einste- zu sein und zuzuhören", sagte Schaffer zur "Kath- hen", betonte Schaffer. press". Im CS Hospiz Rennweg der Schwesternge- Burjans Ehemann Alexander sei zwar der Wis- meinschaft habe sie auch erfahren, wie wichtig ein senschaft zugewandt gewesen, sie selbst habe sich würdevolles Leben bis zuletzt sei: "Hier ist es wichtig, aber trotzdem mit Spiritualität und vor allem Gott Betroffene und auch Angehörige zu unterstützen." beschäftigt und so "einen großen Horizont" be- Das Schulprojekt ist laut Schaffer auch eine kommen. Wenn man nur einen kleinen Teil dieses Bereicherung für sich selbst: "Man lernt, mit den Horizonts habe, könnte man schon vieles für be- anderen zu leben und in andere hineinzufühlen", nachteiligte Menschen erreichen, meinte Schaffer. betonte sie. Auch lerne man, sich selbst nicht über "Für mich selbst kann ich ableiten, dass man jene Menschen zu stellen, denen man hilft. das, was man sagt, auch selbst umsetzen soll", sagte Im Rahmen von "Compassion" engagieren die Schulsprecherin zur "Kathpress". Nach wie vor sich die Sacre Coeur-Schüler der 7. Klasse zwei Wo- sei es auch in der heutigen Zeit wichtig, in der Politik chen lang in verschiedenen sozialen Einrichtungen. eine Frauenstimme zu haben. Und die Jugend solle "Solidarität ist kein Instinkt, sondern ein lebenslan- sich Hildegard Burjans Engagement zum Vorbild ger Lernprozess", erklärte Schaffer und betonte, die- nehmen: "sich selbst engagieren, die eigene Stimme ser solle bereits in der Schule angeregt und mit ent- erheben und sich einsetzen", appellierte Schaffer. sprechenden Projekten unterstützt werden.

Badelt: "Brauchen die Hildegard Burjans des 21. Jahrhunderts"

Rektor der Wiener WU appelliert an sozial Engagierte, sich auch politisch einzubringen - Podiumsdiskussion im Wiener Rathaus

Wien, 02.02.12 (KAP) Angesichts der sozialökonomi- "Sozial engagiert - woraus motiviert?" am 24. Jänner schen Herausforderungen der heutigen Zeit "brau- im Wiener Rathaus hervor. chen wir mehr Hildegard Burjans des 21. Jahrhun- An der Diskussion nahmen u.a. die Politike- derts": Mit diesen Worten appellierte der Christoph rinnen Sonja Wehsely und Terezija Stojsits teil. Hil- Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, da- degard Burjan (1883-1933), Gründerin der Wiener für, dass sich Menschen, die soziale Arbeit leisten, Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis", hatte auch stärker bei Sozialreformen einbringen sollten. sich politisch engagiert und für benachteiligte Frau- Politik könne nur dann sozial sein, wenn "diejeni- en eingesetzt. gen, die etwas von sozialer Arbeit verstehen", sich Badelt plädierte für ein neues Verständnis von auch in die Politik einbrächten, wie Burjan dies ge- Solidarität: "Jeder Mensch müsste sich in seiner ei- macht habe, hob Badelt bei der Podiumsdiskussion genen Lebenssituation fragen: Was bedeutet gelebte Solidarität für mich?" Generell zeige sich die soziale KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 9

Kompetenz einer Gesellschaft in Krisenzeiten. Denn dieser glaubensorientierten Motivation her meine die Benachteiligung von Gesellschaftsgruppen, die ich, es ist spannend, soziale Verantwortung zu über- bereits vor einer Krise benachteiligt gewesen seien, nehmen." verstärke sich in der Krise noch. Politik müsse sich daher in Krisenzeiten besonders um diese Gruppen Solidarität "kein Instinkt" kümmern. Therese Schaffer, Schulsprecherin des Gymnasiums Gesundheitsstadträtin Wehsely betonte, eine Sacre Coeur in Wien, betonte, Solidarität sei "kein Diskussion "entweder Wohlfahrtsstaat oder soziales Instinkt", sondern ein lebenslanger Lernprozess. Engagement" sei "vollkommener Humbug". Eine Dieser solle bereits in der Schule angeregt und mit Situation, in der soziales Engagement und Ehrenamt entsprechenden Projekten unterstützt werden, wie funktionierten, "bedingt einen sehr dicht geknüpften etwa im Sacre Coeur mit dem Schulprojekt "Com- Wohlfahrtsstaat". Wehsely: "Ein Wohlfahrtsstaat passion". In diesem Rahmen engagieren sich die kann und soll Ehrenamtlichkeit nicht ersetzen. Die Schüler der 7. Klasse zwei Wochen lang in verschie- Umsetzung von Sozialpolitik muss so organisiert denen sozialen Einrichtungen, z. B. in der Altenpfle- sein, dass Ehrenamtlichkeit gewünscht und möglich ge bei der "Caritas Socialis". "Es ist ein tolles Pro- ist." jekt", erklärte die junge Frau mit Blick auf den gene- Mit Blick auf den Appell Badelts für ein stärke- rationenübergreifenden Austausch. res politisches Engagement erklärte Volksanwältin Auf die Frage nach der Motivation für ihr sozi- Stojsits, es gebe eine klare Aufgabenverteilung auf ales Engagement betonte Cecily Corti, Leiterin der diesem Gebiet: "Politiker, die Rahmenbedingungen "VinziRast" und des "CortiHauses" in Wien, sie habe für Sozialpolitik schaffen, können Experten auf dem lange Zeit eine Art Ohnmacht angesichts des Leides Gebiet sein und sind es vielfach auch, aber sie müs- in der Welt empfunden. Die Sehnsucht, etwas dage- sen es nicht sein." Gleichzeitig hob Stojsits den "Er- gen zu tun und selbst gestalten zu wollen, sei immer fahrungsschatz und den Wert jener" hervor, die deutlicher geworden. Eine Begegnung mit dem "entweder Erfahrung durch ihre Arbeit auf einem Grazer "Vinzi-Pfarrer" Wolfgang Pucher sei schließ- Gebiet haben oder selbst betroffen" seien. Generell lich auch mit ausschlaggebend gewesen, sich für appellierte sie, für Anliegen "lästig" zu sein: "Es ist Obdachlose einzusetzen. Von ihrer Arbeit berichtete nicht einfach, etwas an die Entscheidungsträger zu Corti, sie konfrontiere "mit einer Wirklichkeit, die wir bringen. Aber mit einem bestimmten Ausmaß an in der Welt zu vermeiden suchen". Dies stelle auch Beharrlichkeit kommt man irgendwann zu einem eine tiefe Verbindung zu einem selbst her, "die ich Ziel, und meistens auch zum Erfolg." als sehr heilsam empfunden habe". Der Leiter der Katholischen Sozialakademie Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen- Österreichs, P. Alois Riedlsperger, berichtete, in der Komitees, machte mit verschiedenen Beispielen Akademie werde z. B. über bewusste Perspektiven- darauf aufmerksam, dass soziales Engagement und wechsel versucht, Menschen dazu zu befähigen, bei Zivilcourage nicht immer einfach seien und zum Teil Problemen die Schuld nicht auf andere abzuwälzen. großen Einsatz notwendig machten. Umso bewun- Stattdessen solle ein wechselseitiges Verständnis dernswerter sei "beharrliches Engagement gegen entwickelt werden, um "gemeinsam kreativ- den Widerstand eines Establishments", sagte innovativ Lösungen zu finden". P. Riedlsperger: "Das Mernyi. bedeutet in jedem Fall soziale Verantwortung zu Die Podiumsdiskussion "Sozial engagiert - wo- übernehmen und selbst mitzuwirken an einer hu- raus motiviert?" wurde in Kooperation der Stadt manen zukunftsfähigen Welt." Wien und der "Caritas Socialis" im Gedenken an die Mit Blick auf den Appell Stojsits', beharrlich "Repräsentantin sozialen Engagements Hildegard für ein Anliegen einzutreten, betonte P. Riedlsperger, Burjans" veranstaltet, wie es in der Einladung hieß. ein "langer Atem" werde von Gott geschenkt: "Von

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Burjan: Die "Frau des Tuns" als Vorbild auch für Frauen von heute

"Kathpress"-Umfrage zeigt Beispielwirkung der Seligen für Gesellschaft von heute - P. Riedlsperger betont "große soziale Sensibilität und organisatorisch-politisches Gespür" Burjans

Wien, 02.02.12 (KAP) Hildegard Burjan beeindruckt, Blick auf das Motto der Seligsprechung. "Sie ist keine "weil es in ihrer Zeit ungewöhnlich war als Frau mit Frau, die abgehoben und glatt durchs Leben kommt, einem Engagement so in den Vordergrund zu kom- sondern sie musste diese Spannungen etwa zwi- men und dass sie damals so viel Zustande gebracht schen politischem Engagement und Familie, Politik hat". Mit diesen Worten hat "VinziRast-CortiHaus"- und Ordensgemeinschaft bzw. Kirche aushalten." So Leiterin Cecily Corti die Selige gewürdigt. Corti im könne sie auch heute Vorbild sein, um mit Schwie- Gespräch mit "Kathpress": "Es kann auch heute rigkeiten und Spannungen zu leben. Dass Burjan in nicht genug Frauen geben, die zum Ausdruck brin- ihrer Sichtweise von der Katholischen Soziallehre gen, woran sie glauben und was ihnen wichtig ist, die geprägt gewesen sei, "ist mir eine Bestätigung, wie sich dafür einsetzen - auch mit allen Angriffen, de- wichtig politisch soziale Bildungsarbeit ist". nen man dabei vielleicht ausgesetzt ist." Gerade Frauen müssten "sich trauen, dafür Badelt: "Braucht Sozialpolitik und soziale Arbeit" einzustehen, was einem wichtig ist". Jeder Mensch Burjan habe "auf vorbildliche Weise gezeigt, dass es habe eine Aufgabe, eine Begabung und Stärke. Bur- sowohl Sozialpolitik als auch soziale Arbeit braucht, jan habe ihre Kraft auch aus dem Glauben erhalten: um die Gesellschaft weiterzubringen", erklärte der "Ein sehr persönlicher Glaube, eine sehr persönliche Rektor der Wiener Wirtschaftsuniversität, Christoph Überzeugung, kann sehr viel bewirken", sagte Corti. Badelt, gegenüber "Kathpress": "Auf eines zu ver- Es gehe darum, sich nicht einem Mainstream anzu- zichten ist nicht nachhaltig. Burjan hat in ihrem Le- schließen, sondern jener Sehnsucht zu folgen, die ben beides gemacht und daran sollten wir uns ein jeder Mensch "ganz tief in sich" habe. Beispiel nehmen."

Mernyi: "Eine Frau des Tuns" Greshake: "Prophetische Vorreiter-Rolle" "Hildegard Burjan kann kein Vorbild für heute sein, In der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" betonte sondern sie muss eines sein", betonte Willi Mernyi, der Dogmatiker em.Prof. Gisbert Greshake die "ge- Vorsitzender des "Mauthausen-Komitees", gegen- radezu prophetische Vorreiter-Rolle" Burjans. In über "Kathpress": "Sie war eine Frau des Redens und einer Zeit "himmelschreiender Ungerechtigkeiten" des Verhandelns, aber vor allem war sie eine Frau habe sie Initiativen für eine "neue Weise sozialen des Tuns. Und das imponiert." Engagements" gesetzt: Sie habe statt Mildtätigkeit in Einzelfällen "strukturelle Hilfe, strukturelle Erneue- Riedlsperger: "Mit Sensibilität und Gespür" rung des Sozialwesens" urgiert. "Hildegard Burjan hat es verstanden, mit einer gro- "Dabei griff sie u. a. zu einem Mittel, dass erst ßen sozialen Sensibilität und organisatorisch- 40, 50 Jahre später üblich wurde: zum Boykott-Aufruf politischem Gespür in schwierigen Situationen initi- für Waren, die unter ungerechten Bedingungen her- ativ zu werden." Das erklärte der Leiter der Katholi- gestellt wurden", so Greshake. "Als eine der ersten schen Sozialakademie, P. Alois Riedlsperger, im "Ka- im kirchlichen Raum entdeckte sie die globale Ver- thpress"-Gespräch. Sie habe nicht nur das hehre antwortung für die Welt." Die Aussage Burjans, sie Anliegen gehabt zu helfen, sondern sie hatte auch tue alles, "weil ich mich jeden Augenblick irgendwie "den Realitätssinn, entsprechende Initiativen in für das viele Traurige verantwortlich fühle, das auf Kooperationen mit unterschiedlichen Personen und der Welt geschieht", sei eine wegweisende Aussage Einrichtungen zu entwickeln". So habe sie im Parla- gewesen. Greshake kritisierte, dass politisches Enga- ment über Parteigrenzen hinweg Verständnis für gement unter aktiven Katholiken nach wie vor eine gemeinsame Anliegen geweckt: "Das finde ich sehr Ausnahme sei: "Das Feld von Glaube und Kirche beachtlich." umfasst nicht nur 'kirchliche Berufe'." Greshake lebt Burjan sei auch eine "überzeugende Persön- inzwischen im Pflege- und Sozialzentrum Kalksburg lichkeit, weil an ihrem Leben ganze Spannungsfelder der "Caritas Socialis". deutlich werden", erklärte P. Riedlsperger auch mit

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HINTERGRUNDBERICHTE

Hildegard Burjan: Kurze Biografie der neuen Seligen

Sozialpionierin und prägende Gestalt der christlichen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert wird am 29. Jänner seliggesprochen

Wien, 02.02.12 (KAP) Hildegard Burjan war eine der gründete sie die religiöse Schwesterngemeinschaft großen Gestalten der christlichen Frauenbewegung "Caritas Socialis", mit dem Auftrag, soziale Not der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am 30. Zeit zu erkennen und zu lindern. Jänner 1883 als Hildegard Freund im sächsischen Als große Ausnahme in der neueren Ordens- Görlitz in eine liberale jüdische Familie geboren, geschichte war Hildegard Burjan zugleich Oberin studierte sie in Zürich Literatur und Philosophie und ihrer Gemeinschaft, Ehefrau (eines der führenden in Berlin Sozialwissenschaft. Im Jahr 1907 heiratete Industriellen seiner Zeit) und Mutter einer Tochter. sie den gebürtigen Ungarn Alexander Burjan. Nach Zugleich war sie die Beraterin führender Politiker der Heilung von einer schweren Krankheit konvertierte Ersten Republik, so von Bundeskanzler Prälat Ignaz sie zur katholischen Kirche. Seipel. Burjan setzte sich entschieden für die Gleich- Obwohl sie nur kurze Zeit dem Parlament an- berechtigung der Frau, für die Bekämpfung der Kin- gehörte, galt sie schon bald als dessen "Gewissen". derarbeit und für die Überwindung sozialer Miss- Die tief religiöse Hildegard Burjan stellte sich dem stände ein. Viele soziale Rechte für Frauen und Kin- Elend großer gesellschaftlicher Schichten und ver- der, die heute selbstverständlich sind, gehen auf ihre schloss vor Jugendkriminalität, Verwahrlosung und Initiative zurück. Zu ihren wichtigsten politischen Prostitution nie die Augen. Dadurch erwarb sie sich Forderungen zählte schon damals "gleicher Lohn für auch den Respekt sozialdemokratischer Politiker. gleiche Arbeit" für Frauen. Als im Jahr 1920 Neuwahlen anstanden, zog 1912 gründete Burjan den "Verband der sich Burjan aus Rücksicht auf ihre stark angeschla- christlichen Heimarbeiterinnen" und 1918 den Ver- gene Gesundheit und wegen der zunehmenden anti- ein "Soziale Hilfe". Als Frauen 1919 erstmals das semitischen Strömungen auch innerhalb ihrer Partei aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten, zog aus dem Parlament zurück, blieb aber weiter poli- Burjan als erste christlich-soziale Abgeordnete in das tisch aktiv. Hildegard Burjan starb am 11. Juni 1933 österreichische Parlament ein. Am 4. Oktober 1919 an einem schweren Nierenleiden.

Kämpferin gegen soziale Armut

Die Gründerin der Wiener Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis" gehört zu den großen Gestalten der christlichen Frauenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Wien, 02.02.12 (KAP) "Sozialpionierin", "Anwältin Tagebuchaufzeichnungen zeugten davon, der Unterdrückten und Entrechteten", "Kämpferin dass sie "sehr stark suchend" gewesen sei und dass gegen soziale Armut und für Gleichberechtigung": sie sich zu einem Menschen entwickeln wollte, "der Hildegard Burjan war eine der großen Gestalten der für die Gesellschaft etwas bedeuten kann", so Sr. christlichen Frauenbewegung in der ersten Hälfte Weiler. Berufliche Gründe führen die Familie 1895 des 20. Jahrhunderts. Sie wird am 30. Jänner 1883 als nach Berlin und 1899 in die Schweiz. zweite Tochter des liberalen, jüdischen Ehepaares Nach der Matura beginnt Hildegard ein Studi- und Berta Freund in Görlitz an der Neisse um der Germanistik in Zürich und besucht auch geboren. "Ihre Eltern waren religiös nicht praktizie- Philosophie-Vorlesungen. Über den Philosophen rend, sie hat den Glauben aus dem Elternhaus nicht Robert Saitschik und den Friedensforscher Friedrich mitgenommen", erläutert Sr. Karin Weiler von der Foerster kommt sie mit christlichem Gedankengut in "Caritas Socialis" im "Kathpress"-Gespräch: "Aber Kontakt. Während der Studienzeit lernt sie den sie hat früh begonnen, sich für den Glauben zu inte- Technikstudenten Alexander Burjan kennen. Er ist ressieren." Ungar und ebenfalls jüdischer Abstammung. Am 2. KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 12

Mai 1907 heiratet das Paar und übersiedelt nach und Mühen begegnet, aber sie hat sich immer an Berlin. Gott orientiert." Dann kommt es zum einschneidenden Erleb- nis. Am 9. Oktober 1908 wird Hildegard mit einer "Heimarbeiterinnenmutter von Wien" Nierenkolik in das katholische St. Hedwig-Spital in "Hildegard Burjan ist ihrer Zeit weit voraus", erläu- Berlin eingeliefert. Ihr Zustand verschlechtert sich tert Sr. Weiler: "Einige ihrer Anliegen sind bis heute zusehends, sie muss mehrmals operiert werden. In geblieben, etwa gleicher Lohn für gleiche Arbeit." der Karwoche 1909 ist sie dem Tode nah. "Die Ärzte Ausgangspunkt und Motivation für ihr Handeln ist raten ihrem Ehemann, sich zu verabschieden. Doch tiefe Gottverbundenheit. Seit ihrer Ankunft in Wien wie durch ein Wunder sinkt am nächsten Tag das 1910 beginnt sie, sich mit der "Sozialen Frage" zu Fieber", so Sr. Weiler. Burjans Zustand bessert sich beschäftigen, entwickelt ein Konzept, das von einem zusehends, die offene Wunde beginnt zu heilen. neuen Ansatzpunkt ausgeht. So kümmert sie sich um Schließlich wird sie aus dem Krankenhaus entlassen; Heimarbeiterinnen, die einzeln dem Druck und der an den Folgen leidet sie ein Leben lang. Willkür von Fabrikanten ausgeliefert sind. Hildegard "Das ist eine Wende in ihrem Leben, an der sie macht sie auf ihre Rechte aufmerksam, gründet am sagt, dieses neu geschenkte Leben muss ganz Gott 13. Dezember 1912 den "Verein der christlichen und den Menschen gehören", so Sr. Weiler. Hilde- Heimarbeiterinnen". Sie organisiert für die Frauen u. gard verspürt nun die Kraft, glauben zu können. a. Großaufträge, schaltet damit Zwischenhändler aus Mitunter ein Vorbild sind ihr sicherlich die Ordens- und erreicht dadurch bessere Löhne. Nach einem schwestern - Borromäerinnen -, die sie im Spital Vortrag im April 1914 im Zuge des "2. Österreichi- gepflegt haben. Sr. Weiler: "Sie sagt, was diese schen Katholischen Frauentags" wird sie zur "Heim- Schwestern leisten, das kann nur jemand leisten, der arbeiterinnenmutter von Wien" proklamiert. eine tiefere Beziehung zu Gott hat. Ich glaube, das "Sie hat nicht jeder Heimarbeiterin ein biss- prägte sie auch in diese Richtung, dass sie später chen Geld gegeben, sondern hat den Verein gegrün- eine religiöse Schwesterngemeinschaft gründet." Am det, damit diese Frauen gemeinsam für ihre Rechte 11. August 1909 empfängt Hildegard die Taufe. eintreten können. Das zeigt ihr strukturverändern- Noch im selben Jahr übersiedelt das Ehepaar des Denken", betont Sr. Weiler gegenüber "Kath- Burjan nach Wien, wo Ehemann Alexander eine lei- press" mit Blick darauf, dass eine Geldspende ledig- tende Position erhält. Hier findet Hildegard bald lich ein paar Tage geholfen, nicht aber die Situation Anschluss an katholische Kreise, die sich auch mit der Frauen an sich geändert hätte. der ersten Sozialenzyklika "Rerum Novarum" (1891) Auch im Zuge des Ersten Weltkriegs kümmert von Papst Leo XII. auseinandersetzen. sich Hildegard um die Frauen, richtet u. a. Nähstu- Hildegard wird schwanger, was für ihre ange- ben und zentrale Arbeitsbeschaffungsstellen ein und griffene Gesundheit Lebensgefahr bedeutet. Eine stellt 1917 eine Hilfsaktion für die Not leidende Be- Abtreibung lehnt sie ab. Am 27. August 1910 kommt völkerung des Erzgebirges auf die Beine. Tochter Elisabeth zur Welt. Hildegard setzt sich auch mit der Situation der Ihr soziales Engagement verstärkt sich. Sie Frauen nach dem Krieg - in einer neuen Staatsform - versucht, ihren Aufgaben als Mutter gleichermaßen auseinander. Bei einem Vortrag vor christlichen Ar- wie den öffentlichen gerecht zu werden. "Die Bur- beiterinnen 1917 weist Hildegard auf die veränderte jans sind beide engagierte Personen", berichtet Sr. Position der Frauen hin, weil diese im Krieg "ihren Weiler. Alexander erreicht die Position eines Gene- Mann" stehen hätten müssen. Hildegard fordert: raldirektors in einem großen Industrieunternehmen, gleicher Lohn für gleiche Leistung. Hildegards Name wird durch ihre Tätigkeit in der "Das Gewissen des Parlaments" Öffentlichkeit ein Begriff. In ihr verbinden sich zwei Welten: Hildegard als Ehefrau eines Generaldirektors Schließlich wird die Christlich-Soziale Partei auf Hildegard Burjan aufmerksam. Nach der neuen und Hildegard als "Anwältin der Unterdrückten und Wahlordnung, mit der auch Frauen das aktive und Entrechteten". "Sie hat in vielen Spannungen gelebt", erklärt passive Wahlrecht erhalten, zieht sie am 3. Dezem- ber 1918 in den Wiener Gemeinderat ein und wird Sr. Weiler - auch mit Blick auf das Motto der Selig- Stellvertreterin des Obmannes der Christlich- sprechung "Mit Spannungen leben" - und hebt eine Aussage Burjans hervor: "Vor keiner Schwierigkeit Sozialen Partei, Leopold Kunschak. Sie ist auch Kandidatin für die ersten Wahlen und Mühe zurückzuweichen": "Das sagt viel über sie der neuen Republik zur "konstituierenden deutsch- aus. Sie ist vielen Widerständen, Schwierigkeiten österreichischen Nationalversammlung": Als einzige KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 13

Frau unter den Christlich-Sozialen Abgeordneten Ausland aktiv. Die Anforderungen zehren an Hilde- steht sie am 12. März 1919 zum ersten Mal am Red- gards Kräften. Zur Nierenerkrankung kommt Diabe- nerpult im Parlament. Die einzige Frau in dieser tes hinzu. "Es ist überliefert, dass sie Schmerzen Männerwelt - das dürfte Hildegard "als große Span- hatte, sie sich diese aber nicht anmerken lassen woll- nung" erlebt haben, meint Sr. Weiler. Dass sie bereits te und dass sie ihr Engagement ungebrochen fortge- an ihrem ersten Tag im Parlament eine Rede gehal- setzt hat, bis zur Einlieferung ins Spital, als ihr Ster- ten habe, sei sehr mutig gewesen. ben bevorstand", berichtet Sr. Weiler. Der damalige Wiener Erzbischof, Kardinal , nennt Hildegard "das Gewis- Letzte Worte: "Gott schön" sen des Parlaments". "Hildegard Burjan war auch Bereits vom Tod gezeichnet beginnt Hildegard, zum eine, die über Parteigrenzen hinweg Anträge, z.B. Andenken an ihren Freund und Wegbegleiter, Prälat mit den Sozialdemokratinnen, durchgesetzt hat. Inganz Seipel, den Bau einer Kirche in Wien- Etwas, "was heute vielleicht auch ungewöhnlich ist, Neufünfhaus in die Wege zu leiten. "Es war ihr wich- aber gut täte", meint Sr. Weiler. tig, dass die Kirche in einem Arbeiterviertel gegrün- Während ihrer knapp zweijährigen parlamen- det wird und die Menschen erleben, dass der Glaube tarischen Tätigkeit setzt Hildegard Burjan viele Initi- mit einer tatsächlichen Verbesserung der sozialen ativen: So stellt sie z. B. Anträge auf Ausweitung des Umstände zu tun hat", betont Sr. Weiler. staatlichen Mutter- und Säuglingsschutzes, fordert Die Grundsteinlegung erlebt sie nicht mehr: die Anstellung von "Hauspflegerinnen" für Wöchne- Hildegard stirbt mit nur 50 Jahren am 11. Juni 1933, rinnen durch die Krankenkasse und die Gleichstel- dem Dreifaltigkeitssonntag - für Burjan stets ein lung von Mann und Frau im Staatsdienst. Wesent- wichtiges Kirchenfest. Sr. Weiler: "Sie hat sich ge- liches Verdienst ist die Verabschiedung eines "Haus- freut, an diesem Tag zu sterben. Sie muss sehr be- gehilfinnengesetzes". Aufgrund des wachsenden wusst auf ihren Tod zugegangen sein. Ihre letzten Antisemitismus auch innerhalb der eigenen Partei Worte waren 'Gott schön'. Diese Verbindung mit steht Hildegard bei den Neuwahlen 1920 nicht mehr Gott war ihr sehr wichtig, bis zum Tod konnte sie das als Kandidatin zur Verfügung. Sie zieht sich aus der erleben." Politik zurück. Drei Jahre nach Hildegards Tod wird die "Caritas Socialis" als "Gemeinschaft diözesanen Anfänge der "Caritas Socialis" Rechts" errichtet und 1960 unter Papst Paul VI. zur 1919 gründet Burjan die Schwesterngemeinschaft "Gemeinschaft päpstlichen Rechts" erklärt. Am 6. "Caritas Socialis" (CS). Die Schwestern legen bei Juni 1963 wird das Seligsprechungsverfahren für Aufnahme das Versprechen ab, nach den Evangeli- Hildegard Burjan eingeleitet. Ihre sterbliche Hülle schen Räten in Gehorsam, Armut und Ehelosigkeit wird seit 2005 in der Hildegard-Burjan-Kapelle in der zu leben. Die Gemeinschaft findet rasch Zuspruch. Zentrale der "Caritas Socialis" in der Wiener Pramer- Ab 1926 wird die Schwesterngemeinschaft auch im gasse aufbewahrt. (Infos: www.cs.or.at)

Reliquien verdeutlichen spannungsreiches Leben

Reliquiar beinhaltet neben einem Knochensplitter Burjans auch deren Ehering sowie ihre Caritas Socialis- Brosche - Sr. Tappeiner: "Als Ehefrau, Mutter, Politikerin und Gründerin einer Schwesterngemeinschaft musste Burjan mit vielen Spannungen leben"

Wien, 02.02.12 (KAP) Als bei der Seligsprechung von Burjan-Gedächtniskapelle in der Pramergasse in Hildegard Burjan im Wiener Stephansdom die Reli- Wien 9 geöffnet worden). quie der neuen Seligen präsentiert wurde, sollte da- Als Ehefrau, Mutter, Politikerin und Gründerin mit vor allem auch das Thema der Feier "Mit Span- einer Schwesterngemeinschaft habe Burjan mit vie- nungen leben" verdeutlicht werden: Eine einfach len Spannungen leben müssen, erläutert dazu Sr. gehaltenen Glasstele beinhaltet neben einem Kno- Maria Judith Tappeiner, Leiterin der Caritas Socialis, chensplitter Burjans auch deren Ehering sowie jene im "Kathpress"-Gespräch. Burjan sei eine "höchst "Caritas Socialis"-Brosche, mit der Burjan auf vielen ungewöhnliche Selige", was sich etwa schon daran Fotos zu sehen ist und die in ihrem Sarg gefunden zeige, dass sie als eine verheiratete Frau und Mutter wurde (der Sarg war 2005 im Rahmen ihrer Exhumie- nicht nur eine Schwesterngemeinschaft gründete rung und Umbettung vom Zentralfriedhof in die sondern dieser auch bis zu ihrem Tod vorstand. KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 14

Die Vizepostulatorin des Seligsprechungsver- peramente und gelegentlicher Stürme am Ehehim- fahrens, die Publizistin Prof. Ingeborg Schödl, mel." schreibt dazu in ihrer jüngsten Burjan-Biografie: Schwieriger sei hingegen die Beziehung zu ih- "Hie und da erwähnte sie (Burjan, Anmk.) zwar rer einzigen Tochter Elisabeth gewesen. Ihre Ver- schon, dass sie auch ganz gern das einfache Schwes- pflichtungen als Politikerin und Industriellengattin ternkleid tragen würde und es doch bedauerlich sei, hätten sich kaum mit ihren Aufgaben als Mutter dass sie nicht mit ihren Schwestern zusammenleben vereinbaren lassen, erläutert Sr. Tappeiner. In dieser könne. Das war aber schon alles, mehr gab sie dazu Spannung zwischen Beruf und Familie würden aber nicht von sich." Burjans Leben sei weder von Armut auch heute unzählige Mütter bzw. Eltern stehen. noch Gehorsam geprägt gewesen, und ehelos, wie Tappeiner: "Burjan wollte sicher das Beste für ihre von den Schwestern gefordert, habe sie auch nicht Tochter." gelebt, so Schödl. Im konkreten Fall sah dies so aus, dass sie Eli- Diese und viele andere Spannungen in ihrem sabeth bereits mit sechs Jahren in ein Internat der Leben habe Burjan aus dem Glauben heraus zu le- Dominikanerinnen in Wien-Hütteldorf gab. Wie ben versucht, auch und gerade wenn es keine einfa- Prof. Schödl feststellte, habe die Tochter stets unter chen Lösungen gab, bekräftigt Sr. Tappeiner. Prof. dem Gefühl des Abgeschobenseins gelitten; zuerst Schödl schreibt dazu: "Tagsüber war sie die Vorste- abgeschoben ins Internat, dann in eine (kurze und herin einer Schwesterngemeinschaft, die sich der unglückliche) Ehe, die Burjan für Elisabeth arran- Armut und Ehelosigkeit verschrieben hatte, und gierte. Das Mutter-Tochter-Verhältnis war zeitlebens abends ging sie heim zu ihrer Familie in die Hietzin- sehr schwierig. ger Nobelvilla. In ihrem Büro in der Pramergasse Tappeiner: "Hildegard Burjan hat gesucht und gaben sich die Außenseiter der Gesellschaft die Tür- gerungen und manches sicher auch nicht richtig klinke in die Hand, und an der Seite ihres Gatten gemacht". Das sei ihr auch bewusst gewesen. "Selige empfing sie oft nur wenige Stunden später die Spit- sind nicht fehlerlos. Entscheidend ist ihr Versuch, zen aus Politik und Wirtschaft zu exklusiven gesell- mit den Fehlern umzugehen, Bei Hildegard Burjan schaftlichen Veranstaltungen." kommt hinzu, wie sie aus dem Glauben heraus ver- Spannungsreich habe sich auch das Familien- suchte, mit den Spannungen zu leben", so die Leite- leben gestaltet. Was die Beziehung Hildegard Bur- rin der Caritas Socialis. In diesem Sinne könne sie jans zu ihrem Mann Alexander betrifft, bilanziert Vorbild für viele Menschen sein. Schödl trotz aller Probleme positiv: "Es war eine (Buchtipp: Ingeborg Schödl: Hildegard Burjan. glückliche Ehe, trotz aller Verschiedenheit der Tem- Frau zwischen Politik und Kirche. Wiener Dom- Verlag 2008)

Seligsprechungsprozess stand mehrmals auf der Kippe

Langer und umfangreicher Prozess für die Anerkennung einer "ungewöhnlichen Seligen"

Wien, 02.02.12 (KAP) 1953, 20 Jahre nach dem Tod rin sowie Ehefrau und Mutter sei sie nur schwer ein- Hildegard Burjans, beschloss der Generalrat der zuordnen. Tappeiner: "Immer wieder wurden neue Caritas Socialis in Rom, einen Seligsprechungspro- Gutachten eingefordert, weil Burjan eine so unge- zess einzuleiten. Zehn Jahre später, am 6. Juni, 1963 wöhnliche Frau war." wurde der Prozess auf diözesaner Ebene vom dama- Zwischenzeitlich habe es innerhalb der ligen Wiener Erzbischof Kardinal Franz König eröff- Schwestergemeinschaft gravierende "Ermüdungser- net. Doch es sollte noch fast 50 Jahre dauern, bis der scheinungen" gegeben. Zwei Mal habe man sich Prozess erfolgreich abgeschlossen werden konnte. ganz konkret die Frage gestellt, ob der Prozess über- Wie die Leiterin der Caritas Socialis (CS), Sr. Maria haupt noch Sinn mache. Burjans Vorbildfunktion für Judith Tappeiner, im "Kathpress"-Gespräch sagte, die Schwestern sei schließlich sowieso gegeben, un- sei der Prozess mehrmals auf der Kippe gestanden. abhängig von einer etwaigen Seligsprechung. Die Tatsache, dass es sich bei Hildegard Bur- Die Schwestern seien aber jedes Mal von der jan um eine "ungewöhnliche Selige" handelt, dürfte Bevölkerung ermutigt worden, den Prozess weiter zur langen Dauer des Prozesses maßgeblich beige- anzustrengen. "Wir hätten sonst wohl nicht weiter- tragen, so Tappeiner. Als Politikerin, Ordensgründe- gemacht", zeigte sich Tappeiner dankbar. Die CS- KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 15

Leiterin hob dabei die vielen Ermutigungen aus Bur- Einer der Gutachter war der Wiener Mediziner jans Heimatstadt Görlitz sowie das 1992 in Wien (und Theologe) Prof. Johannes Huber. Es sei um die gegründete Hildegard Burjan-Komitee hervor. Der Frage gegangen, "ob die Ereignisse, die damals statt- Tenor aller Ermutigungen: "Diese ungewöhnliche fanden, mit den Gesetzen von Natur, Wissenschaft Frau, die in so vielen Aspekten Vorbild ist, dürfen wir und Medizin zu interpretieren und zu erklären sind", Kirche und Gesellschaft nicht vorenthalten." so Huber in einem schon im vergangenen April aus- Der diözesane Seligsprechungsprozess wurde gestrahlten Beitrag in der ORF-Sendung "Orientie- im Juni 2001 positiv abgeschlossen. Die Akten gingen rung": Die Antwort: "Es sind Ereignisse gewesen, die daraufhin zur nochmaligen Prüfung in die zuständi- man nicht interpretieren kann." Nachsatz: "Das ge vatikanische Kongregation für Selig- und Heilig- heißt aber noch lange nicht, dass sie nicht eines sprechungen. Tages interpretiert werden können." Mehrmals traten Bischofs-, Theologen- und Aufwendiger Wunderprozess Ärztekommissionen zusammen und zahlreiche Gut- Sehr aufwendig gestaltete sich die endgültige Aner- achten wurden erstellt, bevor am 7. Juni 2011 die kennung des auf die Fürsprache Burjans eingetrete- Kardinalsversammlung der vatikanischen Selig- und nen medizinischen Wunders, das laut Kirchenrecht Heiligsprechungskongregation dem Papst empfahl, für eine Seligsprechung notwendig ist. Das Wunder die österreichische Sozialpionierin selig zu sprechen. betrifft eine heute noch lebende Frau, die infolge Benedikt XVI. unterzeichnete schließlich am 27. Juni mehrerer Operationen aus medizinischer Sicht kein das entsprechende Dekret. Kind zur Welt hätte bringen können. Die Frau suchte in ihrer Not "Zuflucht" bei Burjan, die selbst ihre Wunderbegriff weiterentwickeln Tochter Elisabeth unter Lebensgefahr zur Welt ge- Persönlich sei sie davon überzeugt, so Sr. Tappeiner bracht hatte. Schließlich konnte die Frau noch drei im "Kathpress"-Gespräch, dass der Wunderbegriff gesunden Kindern das Leben schenken - eine Tatsa- im Selig- und Heiligsprechungsverfahren weiterent- che, die für die den Fall begutachtenden Ärzte nach wickelt werden müsse. Die Fixierung auf medizini- medizinischem Standpunkt unerklärlich blieb. sche Aspekte sei nicht mehr zeitgemäß. Tappeiner: Sr. Karin Weiler, in der Caritas Socialis u.a. für "Für mich ist Burjans Leben selbst ein Wunder." Sie pastorale Dienste und die Vermittlung von Werten verwies u.a. auf deren langen und suchenden Weg an mehr als 1.200 haupt- und ehrenamtliche Mitar- hin zum christlichen Glauben, und wie sie - immer beiteri zuständig, betont dazu: "Die Gebetserhörung wieder von Krankheiten beeinträchtigt - trotzdem und der Lebenseinsatz von Hildegard Burjan sollen mutig und innovativ neue Wege gegangen sei. zeigen, welche Würde der Mensch, auch der Unge- Wie ein Wunder mute es auch an, dass Hilde- borene wie der Kranke, hat." Der Wert eines Men- gard Burjan trotz aller Widerstände als verheiratete schen werde heute oftmals "leichtfertig nach dem Frau und Mutter und unter Aufrechterhaltung ihrer Nutzen für die Gesellschaft bemessen und über den Ehe und Familie eine Schwesterngemeinschaft hatte Eintritt ins Leben wird oft aus sehr durchsichtigem gründen können und dieser auch noch bis an ihr egoistischem Kalkül entschieden". Lebensende vorstand.

Caritas Socialis: Vielfältiger sozialer und pastoraler Einsatz

Die von Hildegard Burjan gegründete Schwesterngemeinschaft ist derzeit in Österreich, Deutschland, Süd- tirol, Ungarn und Brasilien aktiv

Wien, 02.02.12 (KAP) Die von Hildegard Burjan tern sowie vier Frauen im Säkularkreis der Gemein- (1883-1933) gegründete Schwesterngemeinschaft der schaft an. Sie sind in Österreich, Südtirol, Deutsch- Caritas Socialis (CS) unterstützt mit ihren Einrich- land, Ungarn und Brasilien aktiv. In drei Pflege- und tungen heute Menschen vom Beginn bis zum Ende Sozialzentren in Wien (Rennweg, Pramergasse, des Lebens. Das hat die Generalleiterin der Schwes- Kalksburg) wird auf vielfältige Weise professionelle terngemeinschaft, Sr. Maria Judith Tappeiner, in Pflege und Betreuung für alte und chronisch kranke einem Kathpress-Gespräch im Vorfeld der Seligspre- Menschen angeboten. Die CS führt darüber hinaus chung der CS-Gründerin am 29. Jänner hervorgeho- Kindergärten und Horte, ein Wohnheim für Mütter ben. Der Gemeinschaft gehören derzeit 83 Schwes- und Kinder und eine Sozialberatungsstelle. KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 16

In Österreich beschäftigt die 2003 ins Leben richtet werden, die aussteigen wollen und bereit gerufene CS-Stiftung rund 900 Mitarbeiter. Dazu sind, gegen Zuhälter und Menschenhändler auszu- kommen 300 ehrenamtliche Mitarbeiter und zahlrei- sagen. che Praktikanten. Die Einrichtungen der Gemein- schaft sind heute als GmbHs organisiert und befin- Internationale Präsenz den sich seit 2003 in der "Caritas Socialis Gemein- Ein zentraler Leitgedanke Hildegard Burjans habe nützige Privatstiftung". darin bestanden, dass die Caritas Socialis niemals Das auch von Papst Johannes Paul II. bei sei- etwas Abgeschlossenes sondern stets etwas Werden- nem dritten Österreich-Besuch im Jahr 1998 besuch- des sein solle, so Sr. Tappeiner. In diesem Sinne ver- te Hospiz am Rennweg besteht beispielsweise aus suchten die Schwestern und Mitarbeiter die Ideen den fünf Einrichtungen "Mobiles Palliativteam Burjans weiterzuentwickeln. Daher rühre beispiels- Rennweg", "Palliativstation des CS Hospiz Renn- weise auch das große Engagement im Hospiz- und weg", "Hospizteam der Ehrenamtlichen", "Bera- Demenzbereich, so die Leiterin der Schwesternge- tungsstelle" und "Der Rote Anker". Letzterer bietet meinschaft im "Kathpress"-Gespräch. psychotherapeutische Beratung und Begleitung für In München ist eine Schwester der Caritas Kinder und Jugendliche im Todesfällen. Im Vorjahr Socialis u.a. in der Obdachlosenhilfe im Einsatz. In wurden laut Caritas Socialis in den fünf Einrichtun- Görlitz, der Geburtsstadt Burjans, leben zwei gen insgesamt 1.113 Personen begleitet und 3.816 Schwestern in der ehemaligen Wohnung Burjans. Sie Beratungsgespräche geführt. sind u.a. in der Krankenhausseelsorge tätig. Auch in Im Wohnheim für Mutter und Kind in der Bozen leben drei Schwestern der Gemeinschaft. Sie Pramergasse in Wien-Alsergrund wohnen Frauen wirken u.a. in der Pfarrpastoral. In Ungarn ist eine aus mehr als zehn Ländern, die auch unterschiedli- Mitschwester beim Aufbau der Caritas-Strukturen chen Kulturen und Religionen angehören. Sr. Maria engagiert. Judith Tappeiner, Leiterin der Gemeinschaft: "Hilde- Wie viele andere Ordensgemeinschaften, so gard Burjan wollte Kluften innerhalb der Gesellschaft habe auch die Caritas Socialis Nachwuchsprobleme, überwinden. Sie würde heute sicher auf der Seite räumte Sr. Tappeiner ein. Das betreffe allerdings in jener stehen, die durch ihre 'andere Herkunft' Ab- erster Linie Europa. Während die Zahl der Schwes- lehnung erfahren." tern hier zurückgeht, sei in Brasilien ein Anstieg zu Seit kurzem ist die Caritas Socialis auch im verzeichnen. Dort leben und wirken aktuell 13 Kampf gegen den Menschenhandel engagiert. Im Schwestern in der Diözese Guarapuava im Bundes- Rahmen der Initiative "Ordensfrauen gegen Men- staat Parana. Sie setzen beispielsweise seit 25 Jahren schenhandel", zu der neben der Caritas Socialis noch Hilfsprogramme für Familien und Frauenbeschäfti- fünf andere Ordensgemeinschaften gehören, soll gungsprojekte um. eine Schutzwohnung für zwei bis drei Frauen einge-

"Hildegard Burjan ist Beispiel neuzeitlicher Spiritualität"

Theologe Greshake ortet spezifische "burjanische Spiritualität" in den "jüdischen Wurzel" und im Umgang mit "unaufgelösten Spannungen"

Wien, 02.02.12 (KAP) Die spirituelle Gestalt Hilde- Reihe von "unaufgelösten Spannungen, die sie gard Burjans ist ein Paradebeispiel für neuzeitliche schmerzlich in ihrem Leben durchzustehen hatte." Spiritualität. Zu dieser Einschätzung kommt der Auch wenn im säkular-jüdischen Elternhaus renommierte Theologe Gisbert Greshake nach inten- von Hildegard Burjan Gott und Glaube keine Rolle siver Beschäftigung mit Leben, Werk und Spirituali- bei der Erziehung spielten, sei "die jüdische Prägung tät der Sozialpionierin und Gründerin der Schwes- ihres Lebens und ihrer Spiritualität unverkennbar", terngemeinschaft "Caritas Socialis". Ausgangspunkt so Greshake. Grund dafür sei der "säkularisiert mes- für das 2008 veröffentlichte Buch über die bald Selige sianische Gedanken" eines "Reiches der Gerechtig- war für Greshake die Frage, ob es so etwas wie eine keit hier auf Erden", der nicht nur für Burjan, son- spezifische "burjanische Spiritualität" gibt und er dern auch für viele andere jüdische Sozialreformer findet sie in den "jüdischen Wurzel" und in einer maßgeblich war. Das "Jüdische" bei Burjan zeige sich demnach in ihrer pointierten und bleibenden KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 17

"Erdung". Damit sei auch der bei Burjan vorfindbare Gottesbeziehung" einerseits und ihrer "Weise "Primat der Praxis" eng verbunden. selbstbewussten Denkens und Auftretens" anderer- Greshake betont, dass Burjans weltzugewand- seits. Schließlich sei die Ehefrau, Mutter und Dame te Grundhaltung "schon damals Impulse des Zwei- der höheren Wiener Gesellschaft immer im Span- ten Vatikanischen Konzils vorweggenommen" habe. nungsfeld "Leben nach dem Evangelium und/oder Er verweist dabei sowohl auf die Konzilskonstitution Leben in der Welt" gestanden. Hildegard Burjan über die Kirche ("Lumen gentium", Kapitel 35) als habe diese tiefgreifenden Spannungen "im ständi- auch auf das Dokument "Gaudium et spes" (Kapitel gen Hören auf den Ruf Gottes durchlebt und durch- 43). Was in diesen Texten "lehrmäßig zum Ausdruck litten" bis hin zu Erfahrungen der "Gottesfinsternis". gebracht wird, hat Hildegard Burjan gelebt und in Für den Theologen seien solche Spannungen eine spirituelle Lebensgestalt gebracht", urteilt "zusammenzuhalten im Glauben, dass Gott selbst es Greshake. ist, der in der ganzen zerreißenden Pluralität unseres Ein "helfendes Vorbild" gerade für heute sei Lebens die Einheit garantiert, und in der Hoffnung, Burjan in der Weise, wie man als Christ in den "ver- dass Gott selbst die Auflösung der Ecken und Kan- schiedenen Welten" leben und bestehen könne. Es ten, der Spannungen und Widersprüche unseres gelte, "den vorgegebenen Pluralismus und die damit Lebens herbeiführen wird." Diese Haltung zeige sich gegebenen Spannungen auszuhalten, vielleicht so- beispielhaft bei Hildegard Burjan, die damit "Leitge- gar auszuleiden", schreibt Greshake mit Blick auf die stalt einer spezifisch heutigen Spiritualität" sein Biografie Burjans. könne. Der Theologe ortet drei wichtige Spannungs- Das Buch von Gisbert Greshake über Leben, felder, die für Burjans Spiritualität bedeutsam sind: Werk und Spiritualität von Hildegard Burjan ist unter Der Wunsch, den Menschen Christus zu bringen dem Titel "Selig, die nach der Gerechtigkeit dürsten" und/oder der Einsatz in der Sozialarbeit. Eine auffal- bei "Tyrolia" erschienen. lende Spannung zwischen "der Kindlichkeit ihrer

Rund 100 Heilige und Selige stammen aus Österreich

Knapp 20 weitere Seligsprechungsverfahren der katholischen Kirche für (Alt-)Österreicher sind derzeit im Gange

Wien, 02.02.12 (KAP) Am 29. Jänner hat Kardinal (1825-1909) und den Sozialethiker Johannes Messner Angelo Amato, Präfekt der vatikanischen Selig- und (1891-1984). Heiligsprechungskongregation, im Wiener Stephans- "Kathpress" bietet im Folgenden einen Über- dom Hildegard Burjan, die Gründerin der Schwes- blick mit Kurz-Porträts zu ausgewählten "österrei- terngemeinschaft "Caritas Socialis", seliggespro- chischen" Heiligen und Seligen, die in den Pontifika- chen. Sie zählt damit zu jenen rund 100 Katholikin- ten von Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. nen und Katholiken aus Österreich, die vom Papst zu zur "Ehre der Altäre" kamen: Heiligen oder Seligen ernannt worden sind. Zudem Hildegard Burjan (1883-1933): Am 30. Jänner sind derzeit knapp 20 weitere Seligsprechungsver- 1883 als Hildegard Freund im sächsischen Görlitz fahren der katholischen Kirche für (Alt-) Österreicher geboren, trat sie 1909 vom Judentum zum Katholi- im Gange, darunter viele Ordensan-gehörige. zismus über und zog 1919 als erste weibliche Abge- So laufen Seligsprechungsprozesse etwa für ordnete der christlichsozialen Partei in das österrei- den Linzer Bischof Franz Rudigier (1811- chische Parlament ein. Burjan setzte sich entschie- 1884), den Heiligenkreuzer Abt Karl Braunstorfer den für die Gleichberechtigung der Frau und die (1895-1978), den Initiator der Friedensgebetsbewe- Bekämpfung von Kinderarbeit und sozialen Miss- gung "Rosenkranz-Sühnekreuzzug", P. Petrus Pavli- stände ein. Als Ehefrau und Mutter gründete sie die cek (1902-1982), sowie die Ordensgründer Sr. Fran- religiöse Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis", ziska Lechner (1833-1894) und Abbe Victor Braun mit dem Auftrag, soziale Not der Zeit zu lindern. Ihre (1825-1882). Weitere Verfahren gibt es u.a. für die Seligsprechung erfolgt am 29. Jänner 2012 im Wiener letzte österreichische Kaiserin und Königin von Un- Stephansdom. garn, Zita von Bourbon-Parma (1892-1989), die als Carl Lampert (1894-1944): Der aus Göfis in "Engel von Auschwitz" bekannte Trinitarierin Angela Vorarlberg stammende Innsbrucker Provikar ist der Autsch (1900-1944), den Missions-Abt Franz Pfanner ranghöchste Priester Österreichs, der von den Natio- KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 18

nalsozialisten ermordet wurde. Er setzte sich mutig chung gelte nicht der Habsburgermonarchie, son- gegen kirchenfeindliche Handlungen von NS- dern allein der Person Karls und der von ihm geleb- Gauleiter Franz Hofer zur Wehr. Nach seinem Ein- ten "Heiligkeit eines Christgläubigen". treten für den ermordeten Pfarrer Otto Neururer Ladislaus Batthyany-Strattmann (1870-1931): begann für Lampert 1940 ein Leidensweg durch die Der im ungarischen Dunakiliti geborene Arzt grün- Konzentrationslager Dachau und Sachsenhausen. dete 1898 mit eigenen Mitteln das noch heute beste- 1941 wurde er wurde er nach Stettin verbannt, wo hende Spital im burgenländischen Kittsee, in dem ihn ein Gestapo-Spitzel in eine angebliche Spionage- Arme kostenlos behandelt wurden. Nach dem Ersten Affäre verwickelte. Am 13. November 1944 wurde der Weltkrieg gründete er in Körmend bei Szombathely Provikar in Halle an der Saale enthauptet. Lampert ein weiteres Krankenhaus. Batthyany-Strattmann wurde als Märtyrer am 13. November 2011 in Dorn- starb am 22. Jänner 1931 und liegt in Güssing begra- birn seliggesprochen. ben. Er wurde 2003 seliggesprochen. Sr. Maria Berchmana Leidenix (1865-1941): Sr. Restituta (Helene) Kafka (1894-1942): Die Die aus Enzersdorf an der Fischa stammende Or- gebürtige Brünnerin gehörte den "Hartmann- densfrau wirkte 58 Jahre lang für ihre "Kongregation Schwestern" an und war die einzige Ordensfrau im der Töchter der göttlichen Liebe" in Bosnien. Zu- sogenannten "Großdeutschen Reich", die hingerich- sammen mit vier Mitschwestern wurde sie im De- tet wurde. Ab 1919 war sie als Operationsschwester zember 1941 von serbischen Tschetniks in Pale bei im Krankenhaus Mödling tätig. Nach 1938 scheute Sarajevo ermordet. Die "Drina-Märtyrerinnen" wur- sich Sr. Restituta nicht, ihre Ablehnung des neuen den am 24. September 2011 in Sarajewo seliggespro- Regimes zu äußern. Am Aschermittwoch, 18. Februar chen. 1942, wurde sie von den Nationalsozialisten wegen Barbara Maix (1818-1873): Die gebürtige Ös- "Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hoch- terreicherin gründete 1849 in Rio de Janeiro die Kon- verrat" verhaftet und am 30. März 1943 im Wiener gregation "Irmas do Imaculada Coracao de Maria". Landesgericht hingerichtet. Sr. Restituta wurde 1998 Der Orden widmete sich der Arbeit mit Straßen- und während des Papstbesuchs in Österreich von Johan- Waisenkindern und dem Kampf gegen die Sklaverei. nes Paul II. seliggesprochen. Die Schwestern setzten sich auch als Pflegerinnen P. Anton Maria Schwartz (1852-1929): Der für verwundete Soldaten während des Paraguay- "Arbeiterapostel von Wien" gründete 1882 gemein- Kriegs von 1864 bis 1870 ein. Seliggesprochen wurde sam mit einigen Gesellen und Meistern einen "Ka- Sr. Maix vor einem Jahr, am 6. November 2010, in tholischen Lehrlingsverein". Betroffen von der sozia- Porto Alegre. len Not seiner Zeit wollte Schwartz die Arbeiter und Franz Jägerstätter (1907-1943): Der Landwirt Lehrlinge nicht ihrem Schicksal überlassen. aus St. Radegund in Oberösterreich weigerte sich aus Schwartz wurde zum Ordensgründer und Sozial- Glaubensgründen, für das NS-Regime in den Krieg revolutionär. Gegen Widerstände aus der Kirchenlei- zu ziehen. Daraufhin wurde er zum Tod verurteilt tung gründete er 1889 mit fünf Brüdern die Kongre- und am 9. August 1943 in Brandenburg hingerichtet. gation für die christlichen Arbeiter, kurz Kalasan- Er wurde am 26. Oktober 2007 in Linz seliggespro- tiner. Er wurde 1998 in Wien seliggesprochen. chen. Jakob (Franz Alexander) Kern (1897-1924): Der Karl I. von Österreich (1887-1922): Die Selig- gebürtige Wiener war Soldat im Ersten Weltkrieg, sprechung des letzten Habsburger-Monarchen am 3. rang dabei jedoch stets um die Vereinbarkeit von Oktober 2004 in Rom sorgte für Debatten. Kritiker christlichem Glaube und Dienst mit der Waffe. 1916 verwiesen auf den Einsatz von Giftgas durch öster- wurde Kern schwer verwundet und schwebte mona- reichische Truppen im Ersten Weltkrieg. Angelastet telang zwischen Leben und Tod. Nach dem Krieg trat wurde Karl zudem, nach 1918 versucht zu haben, in er in das Prämonstratenser-Chorherrenstift Geras Ungarn die Monarchie auch mit militärischen Mit- ein. 1922 wurde er zum Priester geweiht. Am 20. Ok- teln zu restaurieren. Die Befürworter der Seligspre- tober 1924 starb er an den Folgen der nicht ausge- chung argumentierten, dass der friedliebende Habs- heilten Kriegsverletzung; Seligsprechung 1998 in burger versuchte, für Österreich einen Separatfrie- Wien. den ohne Deutschland auszuhandeln, wenn auch Otto Neururer (1882-1940): Dem Pfarrer von ohne Erfolg. Innenpolitisch versuchte sich Karl I. als Götzens wurde das Bemühen um die religiöse Er- Reformer, er berief den Reichsrat erstmals seit 1914 neuerung seiner Pfarrgemeinde zum Verhängnis, als wieder ein und verkündete eine Amnestie für politi- er einer jungen Frau davon abriet, einen fanatischen sche Verbrechen. Der Vatikan betonte, die Seligspre- SA-Mann zu heiraten. 1938 wurde er verhaftet, in das KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 19

KZ Dachau eingeliefert und von dort in das KZ Bu- aus Loosdorf bei Melk. Mit 21 Jahren trat sie in das chenwald überstellt. Weil er einem als "Taufwerber" Ursulinenkloster Krakau ein, danach wirkte sie in getarnten Spion Glaubensunterricht erteilte, kam der Russland und Skandinavien. Nach ihrer Rückkehr Märtyrer-Priester in den gefürchteten Todesbunker, gründete sie in Polen die Kongregation der "Ursu- wo er am 30. Mai 1940 - mit dem Kopf nach unten linen vom Herzen Jesu im Todeskampf" ("graue Ur- hängend - einen qualvollen Tod erlitt. Die Seligspre- sulinen"), die sich verstärkt um arme Familien und chung erfolgte 1996. vernachlässigte Kindern kümmerten. Ledochowska Jakob Gapp (1897-1943): Überzeugt, dass wurde 1983 selig- und 2003 heiliggesprochen. Christentum und Nationalsozialismus grundsätzlich Johann Nepomuk Tschiderer (1777-1860): Der unvereinbar sind, geriet der Tiroler Marianistenpater Trienter Bischof wurde 1995 zur Ehre der Altäre er- ins Visier der Gestapo. Er erhielt Unterrichtsverbot hoben. In Bozen geboren, studierte er u.a. in Inns- und ging nach Spanien, wo er jedoch weiterhin öf- bruck und war von 1832 bis 1834 Weihbischof für fentlich gegen den Nationalsozialismus auftrat. 1942 Brixen und Generalvikar für Vorarlberg. Anschlie- wurde er über die Grenze ins deutsch besetzte ßend wurde er zum Fürstbischof von Trient ernannt. Frankreich gelockt und verhaftet, 1943 wegen Hoch- Kaspar Stanggassinger (1871-1899): Im bayeri- verrates zum Tode verurteilt und in Berlin- schen Gars am Inn befindet sich das Grab des aus Plötzensee enthauptet. Gapp wurde 1996 seligge- Hallein/Dürrnberg stammenden, 1988 seliggespro- sprochen. chenen Redemptoristenpaters Kaspar Stanggassin- Joseph Freinademetz (1852-1908): Der Süd- ger, der zum Patron des Priesterseminars der Erz- tiroler Missionar aus dem Orden der "Steyler Missio- diözese erwählt wurde. Der jungverstorbe- nare" bemühte sich in China um Heranbildung eines ne Pater verkörpert mit seinem Leben für viele Men- einheimischen Klerus. Während des Boxer-Auf- schen eine Ausrichtung, die gerade durch die Be- stands nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an, scheidenheit, das Leben so anzunehmen wie es ist, da Berlin die Missionare unter seinen militärischen anziehend wirkt. Schutz nahm. Freinademetz war bei den Missiona- Marco d'Aviano (1631-1699): Der italienische ren und Christen sehr geschätzt und stand auch bei Kapuziner zog als charismatischer Prediger durch den chinesischen Behörden in hohem Ansehen. Er Mitteleuropa, rüttelte Hunderttausende lau gewor- starb 1908 in Taikia bei Tsining. 1975 wurde er selig-, dene Christen auf und bewirkte zahlreiche Bekeh- 2003 heiliggesprochen. rungen und Heilungen. Als Berater Kaiser Leopolds I. Arnold Janssen (1837-1909): Er gründete 1875 und päpstlicher Legat wirkte er entscheidend an der im niederländischen Steyl mit dem "Missionshaus Befreiung Wiens von der Belagerung durch die Tür- zum heiligen Erzengel Michael" das Mutterhaus der ken 1683 mit. D'Aviano starb am 13. August 1699 im "Steyler Missionare", die zu einem der bedeutends- Wiener Kapuzinerkloster. Sein Grab befindet sich in ten Missionsorden der katholischen Kirche werden der Kapuzinerkirche. Der Seligsprechung 1912 folgte sollten. Um in Österreich ein weiteres Missionshaus 2003 die Heiligsprechung. errichten zu können, nahm Janssen die österreichi- Klemens Maria Hofbauer (1751-1820): Der in sche Staatsbürgerschaft an. Im Herbst 1889 gründete Südmähren geborene Redemptorist gilt als maßgeb- der Neo-Österreicher in Mödling das Missionshaus licher Erneuerer des kirchlichen Lebens in Wien zu St. , das danach zum zentralen Missionspries- Beginn des 19. Jahrhunderts. Der gelernte Bäcker terseminar ausgebaut wurde. Nach seiner Seligspre- schloss sich nach dem Philosophie- und Theologie- chung 1975 wurde Janssen 2003 heiliggesprochen. studium der damals neuen Ordensgemeinschaft der Daniele Comboni (1831-1881): Der große Afri- Redemptoristen in Rom an. Danach wirkte er als kamissionar und Gründer des Säkularinstituts der Seelsorger in Warschau und flüchtete nach der Klos- "Comboni Missionare" wurde in Limone sul Garda teraufhebung durch Napoleon im Jahr 1808 nach geboren, das mit der Lombardei damals noch öster- Wien, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1820 als Seel- reichisch war. Er wurde 1996 seliggesprochen, die sorger tätig war. Hofbauer, der in der Wiener Innen- Heiligsprechung erfolgte 2003. stadtkirche Maria am Gestade beigesetzt ist, wurde Ursula (Julia) Ledochowska (1865-1939): Die 1888 selig- und 1909 heiliggesprochen. polnisch-österreichische Ordensgründerin stammte

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Stichwort: Seligsprechung

Wien, 02.02.12 (KAP) Bei der Seligsprechung oder sowie Tugendhaftigkeit und den "Ruf der Heiligkeit" Beatifikation stellt die katholische Kirche durch das nachweisen. Urteil des Papstes fest, dass eine verstorbene Person Nach Abschluss dieses diözesanen Seligspre- vorbildlich aus dem Glauben gelebt hat und Christus chungsverfahrens werden die Akten der vatikani- in besonderer Weise nachgefolgt ist. Daraus ergibt schen Kongregation für die Selig- und Heiligspre- sich die offizielle Empfehlung, diesen Mensch als chungen zugeleitet. Diese prüft in einem eigenen Vorbild und als Fürsprecher bei Gott anzunehmen. Verfahren die Echtheit der Dokumente und Zeugen- Mit der Seligsprechung wird erlaubt, dass der aussagen und holt gegebenenfalls Gutachten über Seliggesprochene in einer bestimmten Region öf- Wunder ein. Die Kongregation legt ihre Ergebnisse fentlich verehrt werden darf. Der Seligsprechung dem Papst vor, dem letztlich die Entscheidung für kann eine Heiligsprechung folgen. Erst dann darf die eine Seligsprechung obliegt. betreffende Person offiziell weltweit verehrt werden. Das Kirchenrecht schreibt normalerweise eine Der Seligsprechung geht ein kirchliches Un- Fünfjahresfrist zwischen dem Tod und dem Auftakt tersuchungsverfahren ("Seligsprechungsprozess") des Seligsprechungsverfahrens vor. voraus, in dem das Leben des Verstorbenen geprüft Der Ritus der Seligsprechung beginnt in der wird. Dazu muss die jeweilige Ortskirche Informati- Regel damit, dass der zuständige Diözesanbischof onen über Leben und Sterben der betreffenden Per- die Lebensdaten des Dieners Gottes den Versammel- son sammeln und ein Wunder oder den Märtyrertod ten vorstellt. Die liturgische Feier wird zumeist in der betreffenden Diözese abgehalten.

DOKUMENTATION

"Ein großes Geschenk für die Kirche und für unser Land"

Wortlaut Predigt von Kardinal Christoph Schönborn beim Gottesdienst zur Seligsprechung von Hildegard Burjan am 29. Jänner im Stephansdom

Wien, 02.02.12 (KAP) Die Seligsprechung Hildegard ehrlich und gerade Handelnde. Es gibt gute Christen, Burjans ist "ein großes Geschenk für die Kirche und glaubwürdige Gläubige. Und es gibt von ihnen allen für unser Land". Das unterstrich der Wiener Erz- mehr als man vielleicht durch die mediale Öffent- bischof, Kardinal Christoph Schönborn, in seiner lichkeit den Eindruck hat. Es gibt in unserem Land Predigt zur Seligsprechung der Sozialpionierin und viele beeindruckende, gerade, hochanständige Men- Gründerin der Caritas Socialis am 29. Jänner im schen. Und dafür dürfen wir dankbar sein. Wiener Stephansdom. Burjan habe in sozial schwe- Aber was ist dieses "Mehr", dieses besondere rer Zeit Großes geleistet. "Nichts Frömmelndes, kei- "Etwas" , das einen Heiligen, eine Selige ausmacht? ne Schaustellung ihres Inneren, sondern das Sehen Eben durften wir die bewegende Feier der Seligspre- der Not, das Hinschauen, das Zupacken, das ver- chung von Hildegard Burjan erleben, ein großes nünftige soziale Handeln: das hat ihr über Partei- Ereignis nicht nur für die Caritas Socialis, sondern grenzen hinweg hohe Anerkennung eingebracht", auch für die Kirche, die Erzdiözese Wien und, ich hob Schönborn hervor. wage das zu sagen, für unser Land. Was macht "Hei- Im Folgenden dokumentiert "Kathpress" die ligkeit" aus? Was ist der Stoff, aus dem Heilige beste- Predigt von Kardinal Schönborn im Wortlaut: hen? Im Blick auf die selige Hildegard Burjan komme

ich zur Überzeugung: Da ist eine innere Quelle, da ist Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Brüder und eine Kraft, da ist eine Dynamik, die aus einer inners- Schwestern! ten Mitte heraus ein Leben verändert, umgestaltet, Heiligkeit ist mehr! Es gibt viele großartige im Guten radikalisiert, ein nicht mehr erlahmender Menschen. Sozial Engagierte. Vorbildliche Eheleute Impuls, der allem im Leben der Seligen eine neue und Eltern. Beruflich Bewundernswerte. Politisch KATHPRESS-Sonderpublikation Nr.22, 02. Februar 2012 Seite 21

Marke gegeben hat. Wo ist bei Hildegard dieser sie. " Die Liebe Christi drängt uns", sagt Paulus. Hil- Wendepunkt? degard wählt dieses Wort als Motto für die Caritas Ich glaube, nach all den Zeugnissen über sie, Socialis. die ich lesen und hören konnte, gab es ein ganz be- Was macht also "Heiligkeit" aus? Eben dieses stimmtes Ereignis in ihrem Leben, das diese Mitte "Mehr", dieses Drängen der Liebe Christi. Die selige bedeutete. Am 2. Oktober 1908 wird die 25-jährige, Hildegard Burjan hat nicht viel über diese innere jung verheiratete Hildegard in Berlin ins katholische Welt gesprochen - sie hat aus diesem inneren An- St. Hedwigs-Krankenhaus eingeliefert. Nach sieben trieb gelebt. Sie hat ihn durch ihr Leben sichtbar Monaten vergeblicher Operationen und Behandlun- gemacht, ohne viele Worte. Die "Predigt der Tat" war gen ist sie am Karsamstag dem Tod nahe. Am nächs- ihr wichtiger: "Wir brauchen Menschen, die nicht zu ten Tag, am Ostermorgen, tritt die Heilung ein. Die anderen predigen gehen." Ihr Ideal war viel mehr: Ärzte und sie selber sehen es als Wunder. Ihr langes "bei tiefster Frömmigkeit im wirklichen Leben wur- Suchen nach Sinn, ihr Sehnen nach Gott, hat das Ziel zelndes Handeln." Nichts Frömmelndes, keine erreicht: Sie kann glauben. Gott hat sie geführt. Und: Schaustellung ihres Inneren, sondern das Sehen der Sie hat die geistlichen Schwerstern des Krankenhau- Not, das Zupacken, das vernünftige soziale Handeln: ses erlebt, die sie monatelang selbstlos gepflegt ha- das hat ihr über Parteigrenzen hinweg hohe Aner- ben: "So etwas wie diese Schwestern kann der natür- kennung eingebracht. "Gott gibt uns den Verstand, liche, sich selbst überlassene Mensch nicht vollbrin- damit wir die Not einer Zeit, die Ursachen der Not, gen (...) Ich habe die Wirkung der Gnade erlebt, so die Mittel, die zur Abhilfe führen, erkennen." Das kann mich auch nichts mehr zurückhalten." Und war auch der Grund für ihr politisches Engagement: tatsächlich: Nichts kann mehr diese Frau zurückhal- "Volles Interesse für die Politik gehört zum prakti- ten, sie weiß, dass Gott ihr - zu Ostern! - das Leben schen Christentum," sagt sie, und handelte danach! neu geschenkt hat. Sie sieht von jetzt an ihr Leben, Zwei Hinweise zum Schluss: Hildegard Burjan bis in die Todesstunde, 25 Jahre später, als sie am ist seliggesprochen. Die Kirche stellt sie uns damit als Dreifaltigkeitssonntag 1933 zu Gott heimging, als ein Vorbild vor Augen. Mit einem schlichten Wort sagt einziges Geschenk. ("Was für ein Tag zu sterben - sie uns, wie wir ihrem Vorbild nacheifern sollen. Sie ausruhen bei Gott" - sagte sie): "Mein Sterben ist ein meint, wir sollten "in die Schule Jesu" gehen: "Es einziges großes Deo Gratias! Vor 25 Jahren hat mich wäre doch so einfach, sich wirklich einmal von Jesus Gott aus dieser Krankheit herausgezogen und beru- an der Hand nehmen zu lassen, auf ihn zu schauen, fen, dann hat er mich 25 Jahre auf den Armen getra- und sich ruhig und still von ihm führen zu lassen gen wie ein Kind, und jetzt führt er mich aus dieser und abzuwarten, welche Absichten er hat." Genau Krankheit heraus zu sich!" das ist das "Reformprogramm", das wir für die Kir- Nichts konnte sie mehr zurückhalten. Es war che in unserem Land und in der Erzdiözese Wien nicht eine rein menschliche Energie, die sie von jetzt sehen. Die selige Hildegard Burjan hat gezeigt, dass an bewegte, unermüdlich dort zu sein, wo die Not dieser Weg in der Lebensschule Jesus wirklich Kirche der Menschen ist, eine Ehe zu führen, und gleichzei- und Welt verändert. Die Seligsprechung heißt aber tig eine Schwestergemeinschaft zu gründen. Da war nicht nur: Hier ist ein echtes Vorbild! Die Kirche sagt die andere Kraft am Werk, die innere Kraft, die Pau- auch: ihr dürft sie um Hilfe bitten, sie anrufen, ihre lus in der heutigen Lesung beschreibt: "Durch den Fürsprache suchen! Hildegard Burjan hat in sozial Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der schwerer Zeit Großes geleistet. Trotz ständiger Liebe verwurzelt und auf sie gegründet (...), werdet Schmerzen hat sie ihre Sache sehr gut gemacht. Heu- ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes er- te dürfen wir sie um ihre Fürsprache bitten, diese füllt. Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, große Frau der sozialen Tat, der ohne viele Worte unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder gelebten Caritas socialis! uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch Selige Hildegard Burjan! Bitte für uns! die Kirche und durch Christus." Diese Macht erfüllt

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