Magazin für Politik, Der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur

Ausgabe 11 51. Jahrgang / 2015 PeutingerBayerischer Monatsspiegel Einzelpreis EUR 7,50 | Postvertriebsstück 82706 Postvertriebsstück82706

Geburtstag von Konrad Peutinger * 16. Oktober 1465 † 28. Dezember 1547

Jan-Dirk Müller: Das Augsburger Universalgenie Reinhard Laube: Gesammeltes Gedächtnis Helmut Zäh: Hirschkuh und Hexenhammer Rolf Kießling: am Lech Horst Möller: Mensch und Politiker Franz Josef Strauß Hugo Müller-Vogg: Bayern hielt Tor zur Einheit offen Part of your life. Part of tomorrow.

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Unweit des Augsburger Doms hat Konrad Peutinger 1515 für seine Familie und seine Bücher ein Heim, er- worben. Seinen Namen hat er mit eigener Hand auf den Stadtplan geschrieben.

Dreifacher Geburtstag Diese Ausgabe ist das Magazin der drei Geburts- In unserem Interview gibt der Historiker Horst Möller tage: Konrad Peutinger, unser Namensgeber, wurde Eindrücke über den Politiker und Menschen Franz vor 550 Jahren geboren, Franz Josef Strauß vor 100 Josef Strauß, die fundierter sind als die übliche Pole- Jahren. Dazu gesellt sich ein Wiegenfest, das auf mik, die allein die Erwähnung des Namens oft her- wunderbare Weise Geschichte geschrieben hat: Vor vorruft. Seine Sachkunde bezieht Möller aus einem 25 Jahren konnten wir den ersten Tag der Deut- Archivstudium, wie es vor ihm noch kein Strauß-Be- schen Einheit feiern. schreiber sich angetan hat. Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit sind überraschend. Konrad Peutinger ist selbstverständlich der Mit- telpunkt dieses Heftes. Der geniale Jurist, hochge- Und schließlich die wiedergewonnene Einheit. Unser bildete Humanist und leidenschaftliche Sammler Kolumnist Hugo Müller-Vogg erinnert an eine Vor- schwerer Folianten und antiker Kostbarkeiten. Der aussetzung, ohne die es diesen Weg zur Einheit wo- Augsburger Stadtschreiber, der die damals reichste möglich nicht hätte geben können, die aber weithin deutsche Kommune auf den Reichstagen vertrat vergessen ist und die viel mit Bayern zu tun hat. und der Berater gleich zweier deutscher Kaiser war. Allen Lesern wünsche ich viel Freude mit dieser drei- Der Christ, der mit Martin Luther um die dringend fachen Geburtstags-Nummer notwendige Reform der katholischen Kirche rang. Hochkarätige Autoren beleuchten sein Leben und Wirken. Den Geburtstag von Konrad Peutinger feiert das Peutinger-Collegium im würdigen Rah- men gemeinsam mit der Stadt und der Staat- und Stadtsbibliothek im Goldenen Saal des Peter Schmalz Augsburger Rathauses. Chefredakteur

Der Peutinger 11 / 2015 3 INHALT

AKTUELLES Mark Häberlein Bruder-Streit 23

Vorwort 3

Veranstaltungsvorschau 2015 / 2016 38

KONRAD PEUTINGER

Jan-Dirk Müller Mit Kaisers Siegel 5

Bernd Grottel Gelebte Freiheit in sozialer Verantwortung 9 Harald Fuchs Geist und Geld 24 Kurt Gribl Schnittstelle zur Neuzeit 9 POLITIK UND WIRTSCHAFT

Reinhard Laube

Gesammeltes Gedächtnis 10 Peutinger-Gespräch mit Horst Möller zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß Martha Schad Politiker, Mensch, Mythos 28 „Selten und erstaunlich“ 13 Hugo Müller-Vogg Helmut Zäh Nix finita 34 Hirschkuh und Hexenhammer 14 Peter Schmalz Magnus Ulrich Ferber Verwundete Seelen 36 Der Atlas der Legionäre 16

Helmut Zäh Jakobsmuscheln und Topfhelm 18 PEUTINGER-COLLEGIUM

Veranstaltungen des Peutinger-Collegiums:

Gerhard Haszprunar 37

Veranstaltungsvorschau 2015 / 2016 38 Rolf Kießling Luther am Lech 19

4 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER Mit Kaisers Siegel Universalgenie Konrad Peutinger genoss auch das Vertrauen von Maximilian I.

1465: In Augsburg geboren 1485 – 1490: Studium beider Rechte in Bologna und Padua 1493: Zum Syndikus von Augsburg gewählt 1497 – 1534: Stadtschreiber in Augsburg 1498: Heirat mit Margarete Welser 1515: Hauskauf in Dom-Nähe 1518: Diskutiert mit Martin Luther über die 1521: Wohnt der Vernehmung Luthers auf dem Reichstag in Worms bei 1547: Kaiser Karl V. erhebt Peutinger in den erblichen Adelsstand 1547: In Augsburg gestorben

Jan-Dirk Müller onrad Peutinger, vor 550 Jahren am 16. Oktober 1465 in Augsburg geboren, wuchs in Kdie große Umbruchzeit zwischen Mittelalter und Neuzeit hinein. Kolumbus entdeckte Amerika, Gutenberg erfand den Buchdruck, die Osmanen eroberten Konstantinopel und Martin Luther begann die Reformation. In dieser außergewöhnlichen Zeit war Peutinger eine Ausnahmeerscheinung: Jurist und Humanist, Berater zweier Kaiser und Augsburgs höchster Beamter, der das damals wichtigste deutsche Finanzzentrum auf den Reichstagen vertrat. Als Universalgelehrter war er kundig in den wichtigsten Disziplinen seiner Zeit. 

Der Peutinger 11 / 2015 5 KONRAD PEUTINGER

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Augsburgs ältester erhalte- Von Beruf war Dr. Konrad Peutinger Jurist. Das qua- Damals gab es noch keine feste Residenz, und so ner Stadtplan, der sogenann- lifizierte ihn zum Stadtschreiber – wir würden heute war Augsburg ein Zentrum der Reichspolitik. Nicht te Seld-Plan, entstand 1521 sagen: Leiter der städtischen Verwaltung – in seiner nur, weil er mit einer Welser verheiratet war, spielte aufgrund der Vermessungen Vaterstadt Augsburg. Ein Amt, das er in der damals Peutinger damals eine Hauptrolle. Für das Augsbur- von Jörg Seld, einem Augs- ökonomisch fortgeschrittensten Kommune im Reich ger Großkapital organisierte er öffentliche Disputa- burger Goldschmied und seit 1497 innehatte. Sein Ansehen war so groß (und tionen, an denen Johann Eck (der spätere Gegner Sohn eines Brauers. Der Luthers) gegen das Zinsverbot des kanonischen großformatige Holzschnitt Juristen in vergleichbaren Ämtern noch so rar), dass (190 mal 81 Zentimeter) er als Rechtsgutachter auch in anderen Städten ge- Rechts zu Felde zog, das die Geldgeschäfte behinder- bietet ein genaues Bild der fragt war – in Ehesachen und privaten Rechtsstreitig- te und die Financiers juristisch verwundbar machte. Reichsstadt zur Zeit Konrad keiten ebenso wie in öffentlichen Angelegenheiten, Das diente den reichen Verwandten ebenso wie einer Peutingers. Das kolorierte die die Stadt im Verhältnis zu anderen Reichsständen Sicherung der Grundlage der Reichsfinanzen. Exemplar, das heute im Be- betrafen. Als sich mit der Entdeckung Amerikas erstmals an- sitz der Kunstsammlungen und Museen Augsburg ist, Doch war er weit mehr als ein süddeutscher Lokal- deutete, dass sich der ökonomische Schwerpunkt befand sich in Peutingers politiker. Augsburg war Finanzmetropole. Die reichs- Europas an die Peripherie verlagern werde, war Peu- Bibliothek und wurde von ten Familien der Stadt – die Fugger, die Welser und tinger unter den Organisatoren einer Südamerika-Ex- ihm auch eigenhändig mit einige andere – dominierten nicht nur in der ober- pedition der Welser. In den 1520er Jahren trat er mit Hinweisen versehen. So hat deutschen Textilindustrie und im Fernhandel, son- einer Reihe von Denkschriften für das Reichsregi- er „Peutinger“ an sein sechs dern sie waren auch die wichtigsten Financiers der ment hervor, die gegen scholastische und reformato- Jahre zuvor erworbenes Reichsspolitik. Seit den Anfängen seiner Regierung rische Beschränkungen der Geldwirtschaft sowie der Haus geschrieben (1). Links Kapitalkonzentration des Handels gerichtet waren darüber ist der Dom (2),  hatte sich Kaiser Maximilian I. (1459 – 1519) in im- mer stärkere Abhängigkeit von ihnen gebracht, in- und die nach Auskunft der Fachleute zum ersten Mal dem er ihnen gegen Anleihen in bar die Ausbeutung Prinzipien einer liberalistischen Nationalökonomie der landesherrlichen Rechte am Silberbergbau, zu- formulierten und das altständische Wirtschaftsden- ken, das die Reichspolitik prägte, überwanden. mal in Tirol, abgetreten hatte. Mit diesen Anleihen finanzierte er seine Kriege, die Vorbereitungen zu Doch auch sein direkter politischer Einfluss war groß. seinem (gescheiterten) Rom-Zug, aber auch die auf- Maximilian vertraute ihm die Organisation politi- wändigen Projekte, mit denen er sich und seiner Dy- scher wie literarisch-künstlerischer Unternehmungen nastie ein Denkmal für die Nachwelt setzen wollte. an. Peutinger führte das kaiserliche Siegel, so dass er Auch die Wahl seines Nachfolgers Karl V. konnte nur in Maximilians Auftrag Ausschreiben zum Reichstag, mit Augsburger Kapital gesichert werden. kaiserliche Mandate oder auch publizistische Auf­rufe

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an die Reichsöffentlichkeit, derer sich Maximilian Das antike oder an der Antike geschulte Schrifttum  zur Bildmitte hin liegen wie keiner seiner Vorgänger bediente, herausbrachte sollte sprachliche Gewandtheit ebenso wie Maximen das Rathaus (3) und der und in Augsburger Pressen drucken ließ. richtigen Handelns als Privatmann wie bei öffentli- Perlachturm (4). Darüber ist chem Wirken vermitteln. Im Kanon der Disziplinen jenseits der Stadtmauer die Nach dem Tod Maximilians 1519 war Peutinger wei- verschoben sich die Gewichte. Die Poesie (und nicht gerade neu errichtete Fug- gerei (5) zu sehen; sie ist die ter aktiv: Er zog 1520 die Fäden bei der Wahl Kaiser mehr die theologische Summe) galt als Inbegriff nütz- erste Sozialsiedlung der Welt. Karls V., war Bevollmächtigter des Schwäbischen licher Kenntnisse, dazu Geschichte und Geographie, Auf der rechten Bildhälfte Bundes gegenüber dem Kaiser und suchte, die philosophische (vor allem ethische) und politische Auswirkungen der beginnenden Reformation nicht das 1019 gegründete Stift St. Traktate. Nicht Spezialwissen für Kleriker, sondern Moritz (6). Das 1510 von Ja- eskalieren zu lassen. Erst in den 30er Jahren, als umfassende und umfassend einsetzbare, sprachlich kob Fugger erworbene Recht, dieser Versuch gescheitert war, zog er sich zurück. fundierte Bildung war das Ziel. dort eine Predigerstelle zu bestellen, gilt bis heute fort. Peutinger war ein führender reichsstädtischer Poli- Peutinger kam ihm wie kaum ein anderer nördlich Rechts an der Stadtmauer die tiker, der aber zugleich auch ein Humanist war. Sein der Alpen nahe. Allein das Spektrum der Diszipli- 1321 gegründete Kirche St. Interesse für antike Schriftsteller, für die Geschichte nen, in denen er arbeitete, weist ihn als einen „Uomo Anna (7). Hier wohnte Mar- und für die Förderung von Gelehrten und Poeten, die universale“ aus. Der Schweizer Kulturhistoriker Ja- tin Luther, als er 1518 sich sich darum kümmerten, war mehr als die Liebha - cob Burckhardt erhob ihn gar zum Prototypen der weigerte, seine 95 Thesen zu berei eines vielbeschäftigten Mannes. Wissen und europäischen . Mit seinem Namen ver- widerrufen. Und von hier floh Bildung hatten an der Wende zur Neuzeit eine be - bunden ist eine der ältesten Weltkarten, die Tabula er nachts vor der drohenden sondere Bedeutung. Die verschiedenen Formen und Peutingeriana, die im 12. Jahrhundert nach einer Verhaftung. Disziplinen theoretischen und praktischen Wissens antiken Vorlage gezeichnet worden war. Peutinger waren weit enger aufeinander bezogen und von ein- verfasste eine Geschichte der Kaiserherrschaft in ander abhängig als in der modernen funktionsteili- Deutschland und war an der Edition des größten his- gen Gesellschaft. Obendrein waren die Humanisten torischen Epos des mittelalterlichen Kaisertums, des angetreten, um eine ihrer Ansicht nach nur noch lange Zeit Gunther von Pairis zugeschriebenen „Li- mit sich selbst beschäftigte „scholastische“ Wissen- gurinus“ aus der Zeit Barbarossas, beteiligt. schaft durch praktisch relevantes Wissen abzulösen Er beschäftigte sich ebenso mit deutscher Frühge- und statt spekulativer theologischer Dogmatik Ethik, schichte, die Thema seiner „Sermones convivales“ ist: statt Logik (Dialektik) Rhetorik und statt des barba- Weniger eine Wiedergabe von Tischgesprächen eines rischen Lateins der Universitätsleute die elegante illustren Kreises, zu dem auch Maximilians mächtigs- Sprache der römischen Klassik zu fördern. ter Minister gehörte, als eine Abhandlung über das 

Der Peutinger 11 / 2015 7 KONRAD PEUTINGER Ein Heim für Bücher und Familie Das Peutingerhaus in der Peutingerstraße 11 ist noch heute eine Touristenattraktion in Augsburg. 1515 kaufte Konrad Peutinger das dreigeschossige Gebäude unweit des Doms für sich, seine vielköp- fige Familie und vor allem für seine umfangreiche Bibliothek. Hier empfing er Gäste zu anregenden Tischgesprächen und lud 1518 auch Martin Luther zu einem Abendessen ein, bei dem Peutinger ver- suchte, den Reformator abzubringen von seinem Plan, eine neue Kirche zu gründen. Peutingers Nachfahren verkauften das Gebäude 1750 an den Arzt Ignaz Xaver Frank, dreizehn Jahre später wurde es mit einer Rokokofassade versehen. Im Innenhof und in der Tordurchfahrt sind römische Tafeln, Grabmonumente und ein mittelalterlicher Stein mit hebräischer Schrift zu sehen. Sie stammen aus Peutingers umfangrei- cher Antikensammlung. Auf den Seld-Plan (li.) von 1521 hat Peutinger seinen Namen eigenhän- dig auf die Fassade geschrieben Bild: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

antike Deutschland. Er stellte antike Inschriften auf ses Habsburg Ehren in Gang setzte und derentwegen deutschem Boden zusammen. Weil viele von ihnen er eine ganze Anzahl von Gelehrten in Archiven und seit damals verloren gingen, ist dies ein unschätzba- Klöstern, in alten Schriften und auf Grabmonumen- res Quellenwerk, das der Historiker Theodor Momm- ten suchen ließ. sen im 19. Jahrhundert herausgab. Je weiter die Ereignisse zurückreichten in den Ne- Die Liste seiner literarischen Bemühungen ließ sich bel der mittelalterlichen oder gar vorrömischen Ge- lange fortsetzen. Und in seiner Bibliothek (über die schichte, je näher man an die Erschaffung der Welt an anderer Stelle in dieser Ausgabe ausführlich be- herankam, desto mehr war das kritische Gutachten richtet wird) stößt man immer wieder auf neue In - eines Fachmannes gefragt, der die allzu gewagten teressen jenseits seines Hauptfaches der Rechte. Spekulationen, etwa des erfinderischen Abtes Jo - Der Horizont ist nicht, wie dies ein Vorurteil über hannes Trithemius, zurückschneiden konnte. Über den Humanismus will, auf die Antike und das an ihr Peutinger liefen aber auch Aufträge, Kontrolle und inspirierte neuere Schrifttum beschränkt, sondern Bezahlung der bildenden Künstler, zu denen Be - schließt auch das Mittelalter ein. Peutinger und der rühmtheiten wie Albrecht Dürer, Albrecht Altdorfer, Kreis deutscher Humanisten, mit dem er zusammen- Hans Burgkmair und Hans Schäufelein gehörten. Er arbeitete, waren auf der Suche nach verschütteten sollte aber auch an der Redaktion des immer konfu- Bildungstraditionen antiker Provenienz auf dem seren „Weiskunig“, einer ritterlich stilisierten Dar- Boden des Reichs, die die italienische Behauptung stellung der Kriege und politischen Unternehmun- von der Barbarei des Nordens Lügen strafen konnte. gen Maximilians, mitgewirkten. So entstand eine Vorstellung von einer „nationalen“ (nicht nationalistischen) Identität der europäischen Als Vertrauter des Kaisers und einflussreicher Po- Länder, die den mittelalterlichen Universalismus litiker wurde Peutinger von humanistischen Kolle- verabschiedete, weiterhin aber gegründet auf der gen als Mäzen gefeiert. Ein Höhepunkt war es, als Lingua franca des Lateins. während des Augsburger Reichstages 1518 der Dich- ter Ulrich von Hutten in Peutingers Haus durch die Die Beschäftigung mit juristischer Fachliteratur (ein- Hand seiner Tochter den Poetenlorbeer erhielt, den schließlich der ökonomischen Gutachten) steht mit ihm der Kaiser zuerkannt hatte. diesen Interessen in engem Zusammenhang. Das römische Recht bedurfte – gegen mittelalterliche Mit dem Ende des Maximilianeischen Zeitalters trat Adaptionsversuche – philologischer Rekonstruktion Peutingers kulturelle und politische Wirksamkeit des Wortlauts wie der kulturgeschichtlichen Unter- etwas zurück (während er erst jetzt seine Kraft auf suchung der angesprochenen Sachverhalte. Der Ju- die eindrucksvolle Bibliothek konzentriert zu haben Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, scheint). Das hängt auch damit zusammen, dass Peu- 1941 in Köln geboren, rist Peutinger war auf die Kenntnisse des Philologen studierte in Wien, Tübin- und Historikers Peutinger angewiesen. Auch als tinger der Reformation reserviert gegenüberstand gen und Köln. Über die Helfer Maximilians war er in seiner humanistischen und dass er dadurch in Opposition zur Intelligenz Universitäten Münster und der 1520er und 1530er Jahre geriet. Er ist 1547 ge- Hamburg kam er 1991 an Gelehrsamkeit gefordert. Eher skurril ist es noch, die LMU München, wo er wenn der Kaiser ihn um 100 antike Frauennamen storben, mehr als 20 Jahre, nachdem seine große Zeit bis zu seiner Emeritierung zur Taufe von Kanonen aus seinem Geschützpark zu Ende gegangen war, und mehr als 10 Jahre nach 2009 den Lehrstuhl für Äl- tere deutsche Sprache und bittet. Wichtiger sind die historisch-genealogischen der Beendigung seines ausgreifenden politischen Literatur innehatte. Forschungen, die Maximilian zu seinen und des Hau- Wirkens in Augsburg. 

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Gelebte Freiheit in sozialer Verantwortung Peutinger-Collegium feiert 550. Geburtstag seines Namensgebers

Bernd Grottel onrad Peutinger wurde am 16. Oktober vor 550 Jahren in Augsburg geboren. Für Kalle Mitglieder unseres Peutinger-Collegiums ist es eine große Freude, dieses Jubiläum gemeinsam mit der Stadt Augsburg und der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg mit einem Festakt im Goldenen Saal des Rathauses zu feiern und damit an das Leben und Wirken dieses außergewöhnlichen Mannes zu erinnern.

Schon seit Jahrzehnten ehren wir diesen großen weites Spektrum des gesellschaftlichen Lebens. Humanisten und Juristen und sind stolz darauf, Wir organisieren regelmäßig hochwertige Veran- seinen Namen tragen zu dürfen. Das Peutin- staltungen, bei denen anerkannte Experten über ger-Collegium ist eine Vereinigung gesellschaftlich aktuelle Themen von hohem öffentlichen Interesse engagierter und freiheitlich orientierter Bürger, die referieren. Zur Information und Meinungsbildung sich unter dem Motto „Gelebte Freiheit in sozialer trägt auch unser Magazin Der Peutinger bei. Seine Verantwortung“ zusammengefunden haben. Das Leser schätzen die fundierten Analysen und exzel- Collegium sieht sich der weltoffenen Vernunft Peu- lenten Beiträge von hervorragenden Autoren. tingers sowie seinem klugen Gerechtigkeitssinn Das Peutinger-Collegium ist kein elitärer Zirkel, und seinem pragmatischen Instinkt für Chancen der sich der Welt verschließt. Wir wollen traditi- einer neuen Zeit verpflichtet. Wir sind engagiert, onsbewusst und zukunftsorientiert im Geiste von überparteilich, weltoffen und kompetent. Konrad Peutinger unterhaltsam und intellektuell Die Mitglieder des Peutinger-Collegiums reprä- anregend unseren Beitrag für unsere Gesellschaft sentieren mit der Vielfalt ihrer fachlichen Kompe- leisten. Wir laden engagierte Gleichgesinnte ein, Prof. Dr. Bernd Grottel, 47, tenzen und den Positionen, die sie in Wirtschaft, gemeinsam mit uns für diese Werte zu werben und ist seit 2013 Präsident des Politik, Wissenschaft und Kultur einnehmen, ein sich tatkräftig für sie einzusetzen.  Peutinger-Collegiums.

Schnittstelle zur Neuzeit Konrad Peutinger ist ein außerordentlich bedeutender Name, der sich mit der Stadt Augsburg verbindet. Dass es in der Geburtsstadt dieses politischen Gelehrten und Humanisten ein Peutinger-Haus, eine Peutinger- straße und ein Peutinger-Gymnasium gibt, sind selbstverständliche Zeugnisse seines Wirkens bis in unsere moderne Zeit. Peutinger lebte an der Schnittstelle zur Neuzeit und war Teil einer allmählichen Emanzipati- onsentwicklung des städtischen Bürgertums zur modernen Zivilgesellschaft. Er war ein bedeutender Geist und Denker mit Sinn für das Machbare. Augsburg kann mit Stolz den 550. Geburtstag eines Mannes feiern, der klug zwischen den kirchlichen wie staatlichen Mächten zu vermitteln wusste und dabei stets auch lokale Interessen im Auge behielt. Unbestritten ist Konrad Peutinger ein großer Sohn der Stadt Augsburg. Dr. Kurt Gribl, Oberbürgermeister der Stadt Augsburg

Der Peutinger 11 / 2015 9 KONRAD PEUTINGER Gesammeltes Gedächtnis Konrad Peutinger in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

Zur umfassenden Gedächtniskultur gehörte für Peutinger auch die Toten-Erinnerung. Wie hier der Nekrolog des Augsburger Barfüßerklosters. Reinhard Laube eit über 200 Jahren ist die Arbeitsbibliothek von Konrad Peutinger Teil der Sammlungen Sder Staats- und Stadtbibliothek Augsburg und gehört seither zu einer Augsburger Gedächt - niseinrichtung, die 1537 vom Rat der Reichsstadt gegründet und im Jahr 2012 in staatliche Trägerschaft überführt wurde. Im Zeitalter von Säkularisation und Mediatisierung ging eine bis 1547 aufgebaute fulminante Sammlung von Büchern und Handschriften, zu der ursprüng- lich auch weitere Objekte wie steinerne Inschriften, Graphiken und Kuriositäten gehörten, in einer Bibliothek auf, die den Impuls des sammelnden Peutinger institutionell anschaulich macht: Gesammeltes Gedächtnis.

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Gedächtnis, nicht Geschichte; denn es geht um die te die eigene Sprache verloren hat“. Hinter diesem Bewahrung von Erinnerung und ihrem Potential in Urteil darf man getrost Friedrich Nietzsches zweite Mit dem nach Aus- der Eröffnung von auf- und anschlussfähigen Pers- unzeitgemäße Betrachtung „Über den Nutzen und gleich strebenden pektiven, und zwar zunächst durch Sicherung ma- Nachteil der Historie für das Leben“ (1874) vermu- „mittleren Weg“ terieller Überlieferungsträger mit ihren Texten und ten und dessen Aufforderung, dass die Historie prägte Konrad Bildern, denen zugleich Besitz- und Gebrauchszu- entweder monumentalisch, antiquarisch oder kri- Peutinger den Proto- sammenhänge eingeschrieben sein können. Wäh- tisch dem Leben zu dienen habe. Die Folgen dieser typen einer europäi- rend der suggestive Begriff der Geschichte, die im Aufforderung und ihrer Engführungen waren nicht schen Gesellschaft. rhetorischen Ernstfall ihren Geist verströmt, den nur intellektuell verheerend. Wenn Peutinger „mehr Mantel wirft oder ihre Vollstrecker findet, eine ver- Sammler als Kritiker und Schriftsteller“ gewesen gleichsweise junge Erfindung ist, ist das Gedächtnis, sein soll (Ludwig Geiger, 1874), ist der Versuch viel- die Memoria, bereits tief in den Sammlungen von versprechend, die Wertung einmal umzupolen und Konrad Peutinger verankert – von den antiken Grab­ zu prüfen, was dann sichtbar wird. inschriften über die Abendmahlstexte bis hin zu der „Gesammeltes Gedächtnis – Konrad Peutinger und dynastischen Erinnerungspolitik der Habsburger die kulturelle Überlieferung im 16. Jahrhundert“ ist Kaiser Maximilian I. und Karl V., die von dem Augs- genau in diesem Sinne Titel einer Präsentation von burger Gelehrten beraten wurden. Objekten aus Peutingers Arbeitsbibliothek in der Hier wird eine okzidentale Erinnerungskultur greif- Staats- und Stadtbibliothek Augsburg anlässlich sei- bar, die der Kirchenvater Augustin in seinen Con- nes 550. Geburtstags. In dieser Bibliothek wird der fessiones als humanitäre und zukunftsgestaltende größte überlieferte Teil der ursprünglich über 2.200 Kraft der Memoria beschrieb und der Universalge- Bände und 6.000 Titel umfassenden Bibliothek auf- lehrte Gottfried Wilhelm Leibniz in einer vergangen- bewahrt. Weitere Bände sind vor allem in München heitsbeladenen und zugleich zukunftsschwangeren und Dillingen, aber auch in London und New York nachweisbar. Bereits Peutingers Zeitgenossen rühmten seine Sammlung, und heute bewun- dert die Forschung in ihr die damals größte Humanis- tenbibliothek nördlich der Alpen, die mit einem Augs- burger Forschungsprojekt seit 1994 rekonstruiert und mit der Publikation des Nachlassinventars derzeit fortgesetzt wird. Von welterschließender Bedeu- tung für diese Sammlung war zum einen die Leitunterscheidung von juristischer und „in aliis et Diuinis et humanis Studiis“ (nicht-juristischer) Litera- tur: Dazu zählen neben der Theologie, Philosophie und Bilder: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg Rhetorik auch Rubriken wie „Historiae“, „Poetae“ und „Medicina“ sowie zu Für sein „Kaiserbuch“ ließ Gegenwart wirken sah. Die Peutinger-Forschung ver- Thomas Morus und von Rotterdam. Nun Peutinger Holzschnitte der misste häufig bei dem verehrten Humanisten stram- überrascht es nicht, dass der Jurist Peutinger diese Monarchen anfertigen. Die me historische Perspektiven in der Darstellung, ja grundlegende Unterscheidung von Juristischem und Abbildungen zeigen die Habs- „Kritik, Gestaltungskraft und historische Begabung“. Nicht-Juristischem anwendet und sogar dement- burger Herrscher Friedrich III. „Diese drei Eigenschaften, zumal die beiden letzten“, sprechend seine Wissenswelten auf zwei Räume in (li.) und Maximilian I. (r.). so der hochverdiente Peutinger-Forscher Erich Kö- seinem Haus am Dom aufteilte. Hier wird das in der nig im Jahr 1907, „waren nun aber Peutingers starke Bibliothek gesammelte Gedächtnis an einem Erin- Seite nicht.“ Es sei offensichtlich – formuliert König nerungsort anschaulich, der neben seinen Buchbe- drei Jahre später – dass Peutingers „Begabung, seine ständen auch mit zahlreichen Naturalien und Arte- Urteilsfähigkeit und seine schriftstellerischen Talen- fakten wie Münzen, Urkunden, Porträts, Graphiken te seinem Wissen nicht entsprachen“. und Briefen angereichert und profiliert ist. Paul Joachimsen sah 1903 in ihm „ein[en] tro - Sammlung und Gedächtnis haben eine materielle cken[en] Gelehrten, der in seinem Studierzimmer und eine mentale Seite: Peutinger sammelte in gro- die Stimmen vergangener Jahrhunderte um sich ßem Maßstab Überreste der Vergangenheit, um sie versammelt, um sich gegen den Ruf des Lebens zu für die Zukunft zu sichern und zu erschließen. Er betäuben, und der über dem Zitieren fremder Wor- veranschaulicht auf diese Weise die umfassende 

Der Peutinger 11 / 2015 11 KONRAD PEUTINGER

verfälscht zu überliefern. Seine Publikation zu den römischen Inschriften ist in der formalen Anlage ein Passepartout für weitere geplante Memorialprojekte. Dabei sind die historischen Akteure letztlich Zeitge- nossen – wie in der Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer, der zwischen dem Zeitalter Maximilians und dem von Alexander dem Großen keinen tren- Dr. Reinhard Laube ist Bedeutung von „Memoria als Kultur“ (Otto Gerhard nenden Zeitenabstand erkennen ließ. Das auf das seit Ende 2013 Direktor der Oexle), die von der Erinnerung und damit Gegen - Jahr 1529 datierte Historienbild vom Kampf gegen Staats- und Stadtbibliothek wart der Toten bis zu einer umfassenden Gedächt- die von Darius angeführten Perser vermittelt Histo- Augsburg. Als Historiker niskultur reicht. So lässt er eine Handschrift früh- ria als Magistra Vitae im Kampf gegen die Wien be- und wissenschaftlicher mittelalterlicher Fuldaer Totenannalen abschreiben, lagernden Türken. Die „Vergangene Zukunft“ (Rein- Bibliothekar ist er für die deren Listen von Mönchen, Äbten, Bischöfen und Kö- Weiterentwicklung der im hart Koselleck) dokumentierte Konrad Peutinger mit nigen dem liturgischen Totengedenken dienten. Die Jahr 2012 verstaatlichten sammelnder Distanz in eigens angelegten Sammel- Einrichtung als Regional- Forschung hat in diesem Fall eine bemerkenswerte bänden zu Prognostiken. Durch die Aufbewahrung und Forschungsbibliothek Akribie bei der Abschrift der Vorlage festgestellt. Ein der Quellen und den dadurch gesicherten Augen- für Bayerisch-Schwaben Nekrolog des Augsburger Barfüßerklosters findet zeugenbericht wird nicht zuletzt für den Juristen die zuständig. sich ebenfalls in seiner Sammlung. Gegenwart der Vergangenheit und die Wahrheit der Darüber hinaus sind es römische Inschriften, zu Darstellung verbürgt. denen auch Grabsteine gehören, eine in einer mit- Durch das Gesammelte Gedächtnis werden Pers- telalterlichen Handschrift überlieferte Karte des Rö- pektiven sichtbar, die über die historisch bedingten mischen Reichs, historische Berichte in mittelalter- Grenzen Peutingers und seiner Sammlung hinaus- lichen Chroniken und Urkunden sowie historische weisen und heute anschlussfähig bleiben: So wer- Merkwürdigkeiten wie die Zeichnung des Hufs ei- den durch den Impuls der Memoria Materialien ner berühmten Hirschkuh, Flugblätter wie das von gesichert, die nicht einfach das Wissen vermehren, zur Deutung der Syphilis und die sondern Probleme vermitteln, seien es Phänomene berühmt-berüchtigte Rechtfertigung der Hexenver- wie konkurrierende Deutungen von Gegenwart und folgung im sogenannten „Hexenhammer“, die hier Zukunft oder widersprüchliche Überlieferungen. dokumentiert und tradiert werden. Hinzu kommen Mit seinen verschiedenen Katalogisierungspro- Materialien, die er für seine gutachterliche Tätigkeit jekten, die seine Sammlung nach fachlichen und für Reichsstadt und Kaiser, für seine historische Be- mechanischen Kriterien wie Indices und Alphabet ratertätigkeit in Sachen dynastische Memoria der erschließen sollten, sowie dem Versuch einer me- Habsburger und für seine eigenen Publikationspro- chanischen Aufstellung nach Format, Material und jekte wie das „Kaiserbuch“ zusammentrug. laufender Zählung bietet Peutinger bereits früh Entscheidend ist, dass Konrad Peutinger die Integ- Potential für eine überaus moderne Ansicht: Die rität und Überlieferung seiner Sammlung, die auch Sammlung repräsentiert keine gegebene Wissens- eine Genealogie und damit die Memoria seines in ordnung, vielmehr wird die Ordnung durch den Ka- das Augsburger Patriziat und schließlich den Adels- talog und die Fragen des Sammlers und Benutzers stand erhobenen Geschlechts beinhaltete, als Ein- hergestellt. Darüber hinaus vermittelt der Jurist im heit im Familienbesitz testamentarisch zu bewah- Dienste der Reichsstadt Augsburg einen Eindruck ren suchte. Bis zur Abgabe der Sammlung an das davon, wie über das von ihm favorisierte Vertrags- Augsburger Jesuitenkolleg St. Salvator durch Ignaz denken und den sogenannten „mittleren Weg“ im von Peutingen im Jahr 1718 wurde damit auch die Ausgleich städtischer Parteien und Konfessionen zu- Memoria ihres Begründers und seiner Sammlungs- tiefst europäische Werte vermittelt werden: eine Plu- intention aufbewahrt. Sie weist über persönliche ralität von Gruppen, die in der Stadt-Gemeinde, als Interessen und Projekte Konrad Peutingers hinaus, einem eigenen, genuin europäischen Rechtsbereich, der Abschriften mittelalterlicher Texte redigierte ausbalanciert werden müssen – der Prototyp einer und noch einmal ins Reine schreiben ließ, um sie un- europäischen Gesellschaft. 

Schatzkammer Die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek gehört zu den bedeutenden Biblio- theken in Deutschland. Unter ihren über 540.000 Bänden sind mehr als 3.600 wertvolle Handschriften. Mit über 1.000 Titeln wird auch der größte zusammen- hängende Teil der Peutinger-Bibliothek von Direktor Dr. Reinhard Laube und seinem Team betreut. Die Sammlung geht zurück auf eine Stadtbibliothek, die 1537 im Zuge der Reformation gegründet wurde, ihr Grundstock waren die Buch- bestände aufgelöster Klöster. 1893 bezog sie in der Schaezlerstraße ein repräsen- tatives Gebäude (Bild). Wegen der Finanznot der Stadt wurde die Bibliothek 2012 verstaatlicht, der Bau wird in den nächsten Jahren saniert und erweitert.

12 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER „Selten und Bild: hdbg erstaunlich“ Peutingers Ehefrau Margarete Welser verblüffte die Gelehrten

Martha Schad it 33 Jahren heiratete Konrad Peu- Mtinger 1498 die sechzehn Jahre jüngere Welser-Tochter Margarete. Ihr Ehebündnis bestand 49 Jahre bis zum Tod von Konrad Peutinger. Es waren zwei außergewöhnliche Menschen, die sich zum Bund fürs Leben zusammenge- funden hatten, ihre Partnerschaft wurde zum Leitbild einer Humanistenehe.

1543 porträtierte der Augsburger Maler Margarete entstammte der altpatrizischen Familie Christoph Amberger Konrad Peutinger Welser. Ihr Vater Anton war der reiche Handels- und seine Frau. Die damals 62jährige herr und ihre Mutter Katharina Vöhlin stammte Margarete Welser zeigte Amberger aus Memmingen. Margaretes Bruder war Bartho- züchtig mit Haube und Gebetsbuch. lomäus V. Welser, Kolonialherr in Venezuela. Der elternlos aufgewachsene Kaufmannssohn Konrad Peutinger stieg durch seine Heirat mit Margarete Welser in den Stand der „Mehrer der Gesellschaft“ Bei aller gelehrten Tätigkeit brachte Margarete auf. Peutinger, Jurist, Stadtschreiber, kaiserlicher zehn Kinder zur Welt. Die älteste Tochter Juliana Rat und Humanist, rühmte seine Braut Johannes hatte es schon mit vier Jahren in Latein so weit Reuchlin gegenüber als „...züchtig, maßvoll, schön, gebracht, dass sie den in Augsburg einziehenden ehrbar und ziemlich vertraut mit der lateinischen Kaiser Maximilian I. mit einer lateinischen Dekla- Literatur“. mation begrüßen durfte. Die jüngere Constanze, die 1518 beim Augsburger Reichstag den Lorbeer Aus einem Brief Peutingers an Erasmus von Rot- für Ulrich von Hutten zum Dichterkranz wand, terdam geht hervor, dass Margarete Peutinger eine schrieb ihrem Vater 1521 nach Worms eine lustige Evangelienübersetzung aus der spätantiken Vulga- lateinische Epistel. ta ins Deutsche mit der damals erschienenen neu- en lateinischen Übersetzung des Erasmus kritisch Im Jahr 1543 ließen die Peutinger-Kinder ihre verglich. 1512 sandte Peutinger den Entwurf eines Eltern von dem Augsburger Maler Christoph Am- Werkes seiner Frau mit dem Titel „Etistola Marga- berger porträtieren. Margarete war damals 62, rite Velseriae“ an den Theologen und Philologen ihr Mann 78 Jahre alt. Das durch die altdeutsche Michael Hummelberg. Dieser bestätigte, dass eine Haube eng gerahmte Antlitz der Margarete ist be- Dr. Martha Schad promo- lateinisch schreibende Frau im Schwabenland un- sonders eindrucksvoll. Der Psalm 39.6 über ihrem vierte an der Universität gewöhnlich sei: „Nichts, bei Herkules, ist seltener Porträt lautet: „Siehe, meine Tage sind eine Hand- Augsburg mit dem Thema und erstaunlicher, als dass eine Frau, die geboren breit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. „Die Frauen des Hauses Fugger von der Lilie“. Die ist zum Stricken, Wollespinnen, zur Arbeit mit der Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so Historikerin hat zahlreiche Spindel und zur Kunst des Webens, es versucht, sicher leben.“ Das Gemälde hängt in der Altdeut- Bestseller über bedeutende sich mit Männern, sogar mit sehr gelehrten, mit schen Galerie in der ehemaligen Katharinen-Kir- Frauen in der Geschichte geschrieben, die in zwölf eruditio (gelehrter Bildung) und facundia (Redefer- che in Augsburg. Margarete Peutinger starb am 5. Sprachen übersetzt und tigkeit) im offenen Kampf zu messen.“ September 1548, ein Jahr nach ihrem Ehemann.  teils verfilmt wurden.

Der Peutinger 11 / 2015 13 KONRAD PEUTINGER Hirschkuh und Hexenhammer Peutingers Bücher machen Geschichte lebendig

Helmut Zäh eine vielen Bücher dienten Konrad Peutinger nicht nur zur Lektüre und als Arbeits- Sinstrumente, vielmehr verwendete er sie ganz bewusst auch in anderer Weise: Um Gedächtnis zu sammeln und der Nachwelt zu überliefern. So nutzte er die großformati- gen Folianten seiner juristischen Fachbibliothek mit einer Rückenhöhe von über 40 cm, um auf den Innenseiten der stabilen Holzdeckeleinbände Einzelblätter ein­zukleben. Da- bei ging es ihm nur um eine sichere Form der Aufbewahrung, einen Bezug zum Inhalt der Bücher haben die eingeklebten Blätter nicht.

Im Vorderdeckel eines 1490 in Bologna gedruckten Brant verbunden. Vermutlich wurden die Blätter, die Kommentars zum Erbrecht befand sich, bis sie im beide 1496 entstanden, sogar zusammen von Brant vergangenen Jahrhundert herausgelöst wurde, eine an Peutinger geschickt. Bei dem zweiten Blatt han- zunächst überaus merkwürdig anmutende kolorierte delt es sich um einen illustrierten Einblattdruck mit Federzeichnung des Hufs eines Paarhufers. Glückli- einem lateinischen Gedicht Brants auf die Syphilis, cherweise veröffentlichte der Bamberger Humanis- das er seinem Juristen- und Humanistenkollegen Jo- musforscher Dieter Wuttke – ohne das Augsburger hannes Reuchlin widmete. Von diesem Einblattdruck, Blatt zu kennen – 1997 einen Aufsatz mit dem Titel der zusammen mit einem Nürnberger Konkurrenz- „Ex ungula cervam. Sebastian Brant und die Nörd- produkt, zu dem kein Geringerer als Albrecht Dürer linger Hirschkuh“, der eine nähere Bestimmung der den Holzschnitt entwarf, als die erste Schrift über die Federzeichnung erst ermöglichte. Demnach wurde sich damals rasant ausbreitende Seuche überhaupt im Jahr 1496 unweit der Reichsstadt Nördlingen eine gilt, ist nur noch ein weiteres Exemplar bekannt. Dies Hirschkuh von außergewöhnlicher Größe und, wie unterstreicht die eminente Bedeutung des Sammlers man annahm, außerordentlich hohem Alter gefan- Peutinger für die Überlieferung solcher Stücke von gen, weswegen man sie König Maximilian schenkte. höchstem kulturgeschichtlichem Wert, deren Überle- Dieser ließ einen Huf abtrennen und schickte ihn ei- benschancen ansonsten denkbar gering waren. nem burgundischen Prinzen als Geschenk. Aber nicht nur durch das Einkleben von Einzelblät- Auf dem Weg dorthin machte der Bote in Basel Sta- tern sammelte und bewahrte Peutinger Gedächtnis tion, wo Sebastian Brant den Huf zu Gesicht bekam. in seinen Büchern. Neben unzähligen Randglossen Der als Autor des Narrenschiffs bekannte Jurist und trug er bisweilen auch längere Bemerkungen ein, die Humanist verfasste auf dieses Wunderzeichen – wie in keinem unmittelbaren Bezug zu dem jeweiligen auch auf etliche andere – ein Gedicht, das er in einer Text stehen, sondern Episoden wiedergeben, die er deutschen und einer lateinischen Version mit einer selbst erlebt hatte. Dabei ging es ihm weniger darum, Holzschnittillustration als Einblattdruck publizierte. diese Ereignisse für sich selbst aufzuschreiben, als Da von beiden Fassungen des Einblattdrucks kein sie vielmehr für spätere Benutzer seiner Bibliothek, Exemplar überliefert ist, stellt die von Peutinger ein- deren geschlossener Erhalt in Familienbesitz ihm ein geklebte Federzeichnung die einzige Bildquelle zur großes Anliegen war, festzuhalten. Da sein privater Nördlinger Hirschkuh dar. Kuriosität aus Peutinger Nachlass einschließlich der an ihn gerichteten Briefe Bibliothek: Huf einer weißen Auch das ursprünglich im hinteren Deckel dessel- fast komplett verloren ist, kommt solchen Einträgen Hirschkuh. ben Bandes befindliche Blatt ist direkt mit Sebastian in den Büchern ein spezieller Wert zu, indem sie Ge-

14 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER

Himmlische Strafe: Ein Druck von 1496 über die Syphilis, die sich damals rasant verbreitet hatte. Bilder: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg schichte aus erster Hand überliefern und zugleich Wein bringen ließ, um Sibylla Artzt, geb. Sulzer, han- geeignet sind, die Persönlichkeit Peutingers näher delte, deren gleichnamige Tochter 1498 Jakob Fugger zu beleuchten. den Reichen heiratete. Fast stereotypisch wiederholt Peutinger bei weiteren Gelegenheiten den Hinweis In seinem Exemplar des berühmt-berüchtigten auf die Trunksucht des Dominikaners, erkennt aber „Hexen­hammer“ notierte er über dessen nicht min- zugleich dessen Gelehrsamkeit an. Eine Stellungnah- der umstrittenen Verfasser: „Heinrich Institoris, ein me zum „Hexenhammer“, dem folgenreichen Haupt- Dominikaner, der in Augsburg, unserer Vaterstadt, werk des Heinrich Institoris, das über Jahrhunderte wohlhabende Witwen noch und nöcher damit beläs- hinweg die legitimierende Basis für die Hexenverfol- tigte, ihm den besten Wein zu schicken. Schließlich gungen bildete, suchen wir dagegen – und auch das schickte ihm eine, da sie sich von der Belästigung ist charakteristisch für Peutinger – vergeblich. durch ihn befreien wollte, keinen Wein, sondern Was- ser. So entledigte sie sich dieser Unannehmlichkeit.“ Als Peutinger 1520 an der Spitze einer Augsburger Aus einem anderen Eintrag zu derselben Episode Delegation zur Begrüßung Karls V. nach Brügge reis- erfahren wir, dass es sich bei der beherzten Witwe, te, ergab sich für ihn zum einzigen Mal in seinem die dem ewig durstigen Predigermönch Wasser statt Leben die Gelegenheit, die Protagonisten des euro- päischen Humanismus, Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam, persönlich zu treffen. Aus seiner Zusammenkunft mit Morus wählte Peutinger zwei Episoden aus, die er in verschiedene Bücher seiner Bibliothek eintrug. Zum einen berichtete ihm Morus, er habe sich, als er nach dem Tod seiner ersten Ge- mahlin zum zweiten Mal geheiratet habe, bewusst für eine bäurische und ungebildete Frau entschie- den, weil er Zwistigkeiten zwischen der Stiefmutter und seinen Kindern aus erster Ehe vermeiden wollte. Seine neue Frau habe er aufgefordert, sich zusam- men mit ihren Stiefkindern in der Musik zu üben; dadurch seien sie sich nähergekommen und alles sei harmonisch verlaufen. Die zweite von Peutinger festgehaltene Episode han- delt davon, dass Morus ihm seine nach Brügge mitge- brachte Kollektion von 200 römischen Gold- und 600 Silbermünzen gezeigt und ihm angeboten habe, er dürfe sich davon nehmen, was er haben wolle. Unter Dr. Helmut Zäh ist Philo- den 800 Münzen entdeckte Peutinger allerdings nur loge und Historiker. Er be- eine, die er noch nicht besaß und deshalb von Morus schäftigt sich seit über 20 geschenkt bekam. Mit dieser sehr subjektiven Aus- Jahren mit Konrad Peutin- ger und dessen Bibliothek. wahl – Familie und Münzen – erzeugt Peutinger das Zudem ist er Vorsitzender Bild einer vertrauten Humanistenfreundschaft zwi- der „Initiative Staats- und schen ihm und dem späteren Lordkanzler. Worüber Stadtbibliothek Augsburg e.V.“, deren Ziel die Förde- Randbemerkungen von Peutinger: Eine Seite aus dem „Hexen- die beiden sonst noch in Brügge sprachen, überliefert rung dieser bedeutenden hammer“, der die Hexenverfolgung zu legitimieren versuchte. aber weder er noch Morus.  Einrichtung ist.

Der Peutinger 11 / 2015 15 KONRAD PEUTINGER

Der Atlas der Legionäre In Peutingers Bibliothek war die älteste römische Straßenkarte verwahrt

Magnus Ulrich Ferber m Jahre 1507 überließ der Humanist Conrad Celtis, der als Winzersohn Iin Würzburg zur Schule gegangen war und in Köln studiert hatte, sei - nem Freund Konrad Peutinger eine merkwürdige Karte aus Pergament: Die farbig gezeichnete Karte ist 6,80 Meter lang und nur 34 Zentimeter breit und zeigt in verzerrter Form über mehr als 220.000 Kilometer das Noch heute hält die Tabula Peutin- gesamte Straßennetz des Römischen Reichs. 555 Städte und Dörfer sind geriana, also die mit roten Linien miteinander verbunden, wobei auch Angaben über die Peutingersche Tafel, Länge der verzeichneten Wegstrecken gemacht werden. Wichtige geo - bei Historikern welt- weit die Erinnerung graphische Objekte wie Leuchttürme und Heiligtümer sind ebenso ver - an Konrad Peutinger merkt wie Meere, Flüsse und Gebirge. Offensichtlich war der Plan dazu wach. gedacht, auf zwei Rollen aufgezogen zu werden, so dass der Nutzer be - quem den von ihm benötigten Ausschnitt aufrollen konnte.

16 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER

In seinem privaten Bibliothekskatalog bezeichnete die wenigen Skizzen seines Großonkels. 1591 ver- Fast sieben Meter lang ist Peutinger die Tafel noch als Teil des Itinerarium öffentlichte er ein Faksimile dieser Teile zusam- die römische Straßenkarte, Antonini, einem Verzeichnis römischer Straßen men mit einem Kommentar unter dem sperrigen auf dem 220.000 Kilometer vom Beginn des 3. Jahrhunderts. Doch eine Analy- Titel „Fragmenta tabulae antiquae in quis aliquot langen Straßennetz sind se der Ortsnamen auf der Karte ergibt den Befund, per Romanas Provincias itinera ex Peutingerorum 555 Städte und Dörfer sind dass diese einmalige Karte wohl ein Jahrhundert bibliotheca“ bei Aldo Manuzio d. J., einem interna- durch rote Linien miteinan- später angelegt wurde. tional hochrenommierten Verleger aus Venedig. der verbunden. Mit dieser Schrift öffnete sich für Welser der Weg Woher Celtis, der sich auch als Geograph betätigte, in die internationale Gelehrtenwelt. die Tafel hatte, ist nicht eindeutig geklärt. Sie war eine Kopie aus dem 12. Jahrhundert, deren Vorla- 1597 stieß Marx Welser schließlich auf die gesamte ge wiederum eine vermutlich im Bodensee-Kloster Karte und informierte Ortelius über den Fund. Wel- Reichenau in der Karolingerzeit angefertigte Ab- ser ordnete sie bereits zeitlich richtig ein und sandte schrift war, die ihrerseits auf einem antiken Ori- eine Kopie derselben nach Antwerpen. Ortelius be- ginal beruhte. Peutinger besaß damit den einzigen mühte sich um eine umfangreiche Edition der Tabu- Überlieferungsträger dieser spätrömischen Karte. la, konnte allerdings den geplanten Kommentar der Er legte erste Skizzen an und plante, ein Faksimile Ortsnamen vor seinem Tode 1598 nicht abschließen. der Karte drucken zu lassen, verfolgte das Vorha- Sein Verleger Jan Moretus wandte sich daher an Wel- ben aber nicht weiter. Nach seinem Tode 1547 ge- ser, der das Manuskript von Ortelius zügig freigab. langte sie mit der umfangreichen Peutinger-Biblio- Noch 1598 konnte so die erste Faksimile-Ausgabe thek in den Besitz seiner Privaterben. unter dem Titel „Tabula itineraria ex illustri Peutin- gerorum bibliotheca“ in Antwerpen erscheinen. Gut 30 Jahre später bemühte sich der Antwerpener Kartograph , das bedeutendste Sie wurde mehrmals nachgedruckt, zum ersten Dokument der antiken Kartographie einzusehen. Mal 1619 in Pieter de Berts „Theatrum geographiae Da er sich dabei zunächst nach Speyer wandte, veteris“, wo sie auch erstmals verkürzt nach ihren kam die Vermutung auf, dass Celtis dort die Karte Besitzern als (Peutingersche erworben haben könnte. Erst Anfang der 1580er Tafel) vorgestellt wird, wie sie auch heute noch be- Jahre wusste Ortelius, dass er sich an den Augsbur- zeichnet wird. ger Stadtadvokaten Konrad Pius Peutinger, einen Die Vorlage geriet unterdessen wieder in Verges- Enkel des Augsburger Humanisten, zu wenden hat- Dr. Magnus Ulrich Ferber, senheit. Erst 1714 wurde sie von den Peutinger-Er- te, doch seine Augsburger Gewährsleute konnten 1975 in Bobingen geboren, ben wieder hervorgezogen und gelangte in den studierte an der Universität ihm keinen Zugang zur Tafel vermitteln. Besitz von Prinz Eugen („der edle Ritter“). Nach Passau Geschichte und pro- movierte 2004 mit einer Ar- Erst Marx Welser, der mit den Peutingern ver - dessen Tod erwarb sie der Habsburger Kaiser Karl beit über den Briefwechsel schwägerte Späthumanist, der den Niedergang des VI., in dessen Auftrag Prinz Eugen die Türken be- des Augsburger Gelehrten einst mächtigen Augsburger Handelshauses erle- siegt hatte. Noch heute wird die Peutinger-Tafel in Marx Welser. Im Volk Ver- ben musste und kurz vor dessen Pleite starb, hatte Wien in der Österreichischen Nationalbibliothek lag hat Dr. Ferber das Buch „Augsburg im 16. Jahrhun- größeren Erfolg: Er durfte in der Peutinger-Biblio- unter der Signatur Cod. 324 aufbewahrt und zählt dert“ (120 S., 11,90 E) ver- thek nach der Karte suchen und fand dort zunächst zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. öffentlicht.

Der Peutinger 11 / 2015 17 KONRAD PEUTINGER

Dargestellt ist Peutingers Wappen mit den drei Ja- kobsmuscheln, die an die Pilgerfahrt eines seiner Vorfahren nach Santiago de Compostela erinnern. Jakobsmuscheln Die Beischrift nennt den Namen des Eigners „Kon- rad Peutinger, Doktor beider Rechte, etc.“, das Da- tum „1516“ sowie das Motto „Moderantur ipsa et fata leges ac regunt“ („Die Gesetze lenken selbst das und Topfhelm Schicksal und leiten es“). Dabei handelt es sich um ein Zitat aus der Tragödie Hecuba des griechischen Der Maler Hans Burgkmair gestaltete Dramatikers Euripides in der lateinischen Überset- zung des Erasmus von Rotterdam. Das Motto preist, Konrad Peutingers Wappen für Peutinger als Juristen durchaus passend, die Ge- setze als höchste Instanz, der selbst das Schicksal unterworfen ist. Bemerkenswert ist, dass Peutinger sich für einen Wahlspruch ohne jeden Bezug zum christlichen Glauben entschied. Peutinger klebte das Exlibris nur sporadisch in seine Bücher ein, sodass es in weniger als fünf Prozent des erhaltenen Bestands zu finden ist. Vorzugsweise begegnet es in besonders kostbaren oder besonders wichtigen Werken, stets auf die gleiche Weise sorg- fältig koloriert. In der ursprünglichen Version befindet sich über dem Wappenschild ein Topfhelm, wie er ab Mitte des 14. Jahrhunderts aufkam. Als Peutinger vier Wochen vor seinem Tod am 28. Dezember 1547 von Kaiser Karl V. in den erblichen Adelsstand erhoben wurde, war damit eine Besserung des Wappens verbunden, indem der Topfhelm durch einen bekrönten Span- genhelm ersetzt wurde. Deshalb ließen die Söhne Peutingers auch den noch vorhandenen Holzstock für das Exlibris entsprechend abändern. In Bücher eingeklebt wurde diese geänderte Fassung jedoch Bilder: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

Die drei Jakobsmuscheln Helmut Zäh auf dem Schild unter dem nicht mehr, weshalb davon nur unkolorierte Probe- Topfhelm deuten auf eine ls der 50jährige Peutinger 1515 ein drucke existieren. Pilgerreise eines Peutin- Aeigenes Haus erwarb und in das bis Neben der verwendeten Darstellung mit dem alleini- ger-Vorfahren hin. Nach der heute stehende Gebäude in unmittelba- gen Wappen Peutingers hatte Hans Burgkmair 1516 Erhebung in den Adelsstand verwandelte sich der Helm rer Nähe des Augsburger Doms einzog, noch einen Alternativentwurf mit dem Allianzwap- in einen bekrönten Span- bedingte dies auch, seine damals bereits pen Peutingers und seiner Frau Margarete Welser und einem anderen Wahlspruch geliefert. Die Her- genhelm (kl. Bild links). Ein respektable Bibliothek neu zu ordnen sogenanntes Allianzwappen kunft dieses Mottos „Loci temporumque ordo“ („Ord- (kl. Bild rechts) vereint die und wohl erstmalig einen Katalog zu er- nung des Orts und der Zeiten“), das ebenfalls auf die drei Peutinger-Muscheln mit stellen. Zugleich gab er ein Buchzeichen, Gesetze als oberste Instanz abhebt, ist noch nicht ge- der Welser-Lilie. ein sogenanntes Exlibris, in Auftrag, das klärt. Da dieser Entwurf nicht zur Ausführung kam, nach einem Entwurf des mit ihm be- sind auch davon nur Probedrucke überliefert. Doch auch bei diesem Holzstock ließen die Söhne den Topf- freundeten Malers Hans Burgkmair d. Ä. helm durch den Spangenhelm ersetzen und etliche als Holzschnitt ausgeführt wurde. Probedrucke abziehen. 

18 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER Luther am Lech Zu Peutingers Zeit: Augsburg ringt um die Reformation Foto: Regio Augsburg Tourismus GmbH

Rolf Kießling

och im ausgehenden Spätmittelalter hatte sich Augsburg zu einer der deutschen Konflikte zwischen Dom (r.) NMetropolen aufgeschwungen. Ein langfristiger Wirtschaftsboom basierte vor und Rathaus (vorne) prägten das reiche Augsburg zu Be- allem auf dem Exportgewerbe von Leinwand und Barchent, bahnte aber über den Ein - ginn der Reformation. Der stieg in die Montanindustrie und den Metallhandel auch den Weg zu einem zentralen Unmut über das Verhalten Wechselplatz und Kapitalmarkt. 1535 zählte die Stadt etwa 35.000 Einwohner. der Geistlichen nahm drama- tisch zu und der Ruf nach ei- ner Reform der katholischen Der wirtschaftliche Aufstieg warf jedoch auch er - Verfassungspolitisch geprägt war die Reichsstadt Kirche an Haupt und Gliedern hebliche Schatten auf das „Goldene Augsburg“. Die von dem Kompromiss zwischen patrizischer Ober- wurden immer lauter. Polarisierung der städtischen Gesellschaft in kapital- schicht und zünftischer Mitbestimmung, der 1368 kräftige Unternehmer sowie einen grundbesitzenden gefunden worden war. Allerdings konzentrierte sich „Stadtadel“ einerseits und eine breite Unterschicht die Macht in einer Ratsoligarchie, die sich seit Ende von Handwerkern, Taglöhnern und Dienstpersonal des 15. Jahrhunderts als von Gott und dem Kaiser andererseits spitzte sich in dieser Zeit erheblich zu. legitimierte Obrigkeit verstand und sich eigenstän- „Reich und arm“ – die zeitgenössische Formel, die dige Herrschaftsinstrumente schuf, um die gesamte das Bürgertum als Einheit zusammenfasste – waren Bürgerschaft zu kontrollieren. Die Vorstellung, damit in der Realität der Lebensverhältnisse weit ausein- den „gemeinen Nutzen“ zu gewährleisten, verwies andergetreten, und das damit verbundene Unruhepo- die übrige Bürgerschaft auf die Rolle von Untertanen. tential äußerte sich in Krisenlagen mit Vehemenz. Erhebliche Spannungen ergaben sich mit der Amts- Enorm gestiegene Lebensmittelpreise, Pestwellen kirche, die sich mit Bischof samt Domkapitel, Chor- und Epidemien taten das ihre, um das Gefühl der herrenstiften, Klöstern und Pfarrern dem Zugriff der Unsicherheit und der Lebensangst zu erhöhen. Eng Gemeinde entzog. Die kirchlichen Immunitäten bil- damit verbunden war eine gesteigerte Frömmigkeit. deten Sonderbezirke innerhalb der Mauern, und das Die Zahl der Stiftungen, mit denen man sich Fürbitte bedeutete eine Durchlöcherung des bürgerlich-städti- sichern wollte, erreichte ebenso einen Kulminations- schen Rechts. Das Asylrecht der Kirchen, die Privile- punkt wie die Lektüre volkssprachlicher Erbauungs- gien der Steuer- und Abgabenfreiheit für die gesamte literatur. Das Verlangen nach intensiver seelsorgerli- Geistlichkeit und ihr Personal sowie eine eigene Ge- cher Betreuung war unübersehbar. richtsbarkeit sorgten häufig für Konflikte mit der 

Der Peutinger 11 / 2015 19 KONRAD PEUTINGER

Bürgergemeinde. Das Bedürfnis nach einer „eigenen besonders gewichtigen, spiegeln die Bedeutung der Wie Luther haderte Kirche“ war in vorreformatorischer Zeit als zentrales Stadt für die Reichsgeschichte wider und markieren auch Konrad Peutin- Handlungsmotiv sicher von gleich großem Gewicht gleichzeitig die politischen Rahmenbedingungen für ger mit der Kirche. wie die Mängel im alltäglichen Erscheinungsbild der ihre bürgerlichen Entscheidungsträger. Er lud den streitba- Geistlichkeit, das die Zeitgenossen zu einer Reforma- Der reformatorische Prozess setzte in Augsburg, wie ren Mönch zu einem tion an Haupt und Gliedern herausforderte. auch in anderen Städten, zunächst mit der gelehrten Abendessen in sein Ein verbreiteter Antiklerikalismus, der „Pfaffen- Reformdiskussion innerhalb der kirchlichen Tra- Augsburger Haus hass“, entzündete sich nicht nur am weltlichen Trei- dition ein. Der neugewählte Bischof Christoph von ein. Doch anders als ben und an der Missachtung der Gelübde, sondern er Stadion forderte 1517, im Jahr von Luthers Thesen- Luther, wollte Peu- resultierte auch daraus, dass das adelige Domkapitel anschlag, in einer Diözesansynode vom Klerus „ein tinger eine Reform seine geburtsständische Differenz zum Bürgertum von Auswüchsen gereinigtes, biblisch bestimmtes, in der Kirche. Seinen betonte. Der Ablass wurde zwar nur zum Teil gene- einfaches innerliches und gelebtes Christentum“. Zu- Gast konnte er je- rell in Frage gestellt, doch vehemente Äußerungen gleich fiel Luthers Kritik am Ablasswesen in seinen doch nicht überzeu- wandten sich gegen den Missbrauch und die damit 95 Thesen gerade in Augsburg auf fruchtbaren Bo- den, war doch hier in der Fugger-Zentrale ein finan- gen. verbundene Finanzpolitik der Kurie und der hohen Geistlichkeit. Immerhin fanden sich am Vorabend zielles Abwicklungszentrum des Peters-Ablasses. Im der Reformation Mitglieder der bürgerlichen Ober- Jahr darauf wurde Luther, der in Konrad Peutinger schicht und des gebildeten Klerus zusammen in ei- und einigen Ratsmitgliedern Fürsprecher hatte, vor ner „offenen Gesellschaft“, die an einem ehrenhaften den Reichstag nach Augsburg zitiert, doch bei Ver- Leben in Gott und Welt interessiert war und deren handlungen mit dem päpstlichen Legaten Cajetan im Sympathien nicht zufällig auch der grundsätzlichen Fugger-Palais weigerte er sich, seine Thesen zu wi- Stoßrichtung Luthers galten. derrufen. Der drohenden Verhaftung entzog er sich durch nächtliche Flucht. Die Garantie für den verfassungsrechtlichen Status der Stadt aber lag beim Reich und erforderte die Prä- Zuneigung zu Luthers Kritik an der Kirche war in senz auf dieser politischen Ebene; sie wurde über Augsburg deutlich spürbar. Selbst Bischof Christoph viele Jahre von Konrad Peutinger wahrgenommen. verzögerte die Publikation der päpstlichen Bann - Als Reichsstadt hatte Augsburg zwar weitgehende androhungsbulle, Gelehrte und Bürger sympathi- Autonomie erlangt, trotzdem blieb der Kaiser obers- sierten mit Luthers Anliegen. Die 1521 verhängte Der Ablasshandel brachte ter Stadtherr. Diese Verbindung enthielt zudem eine Reichs­acht über Luther und seine Anhänger samt der katholischen Kirche viel Verbot der Schriften verhallte hier ohne Konsequen- Geld, aber auch zunehmend dynastische Komponente, seit die Habsburger enge finanzpolitische Beziehungen mit den führenden zen. Das Franziskanerkloster „bei den Barfüßern“ Kritik ein. Vor allem Martin avancierte zu einem reforamtorischen Zentrum, im Luther stritt heftig gegen Augsburger Familien eingegangen waren. Daraus war eine langfristige Bindung entstanden, denn August 1523 kam es zur ersten öffentlichen Hochzeit den „Peters-Ablass“, der vor eines Priesters. allem in der Fugger-Zentrale auch die Wahl von Karl V. als Maximilians Nachfol- abgewickelt wurde. Das Bild ger finanzierte 1519 das Augsburger Kapital unter Als ein Barfüßer-Mönch 1524 wegen prolutherischer rechts zeigt eine anonyme führender Beteiligung der Fugger. Schon die sieben Äußerungen zum Verlassen der Stadt gezwungen Augsburger Schrift von1521 Reichstage in seinen Mauern zwischen 1500 und werden sollte, entflammte ein Handwerkeraufstand. zum Ablasshandel. 1555, darunter die für die Reformationsgeschichte Die oppositionelle Bewegung zielte zum einen dar-

20 Der Peutinger 11 / 2015 Martin Luther war zweimal in Augsburg und wohnte bei seinem Freund Prior Frosch im Kloster bei St. Anna. Dort gibt es noch heute die Luther-Stube (li.). Rechts ein von Luther übersetztes Neues Testament, 1523 von dem Augsburger Johann Schönsperger gedruckt. auf, die altgläubigen Prediger am Dom und bei den Die religionspolitische Neutralität des Rates war Dominikanern zu entlassen, zum anderen aber auch nicht zuletzt wirtschaftspolitisch bedingt. Zum ei- darauf, die indirekte Steuer auf Waren, die das einfa- nen bedrohte die sogenannte „Monopolien“-Frage, che Bürgertum besonders belastete, aufzuheben und die auf die beherrschende Marktstellung der großen die großen Handelsgesellschaften aufzulösen, die Handelsgesellschaften zielte und die mit Peutingers verantwortlich gemacht wurden für die drückende Hilfe abgewehrt werden konnte, die Machtstellung soziale Spannung in der Stadt. Für den Rat war die der Reichsstadt, zum anderen gebot die enge Verbin- Empörung des gemeinen Mannes eine besorgniserre- dung mit dem habsburgischen Kaiser als oberstem gende Entwicklung, denn eine spezifisch bäuerliche Stadtherrn alles zu unterlassen, was den Status der Reformation und der Bauernkrieg mit einem ihrer Kommune gefährden konnte. Zumal Augsburg mit Zentren in Oberschwaben drohten auszustrahlen in dem Herzogtum Bayern und dem Hochstift Augsburg das innerstädtische Unruhepotential. Man versuchte (samt der von Österreich verpfändeten Markgraf - erfolgreich zu beruhigen, indem neben altgläubigen schaft Burgau) von altgläubigen Territorien umgeben Geistlichen auch Anhänger der Reformation einge- war, die Bürgerschaft aber auf dieses Umland zur setzt wurden. Ein breites Spektrum unterschiedli- Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen an- cher theologischer Orientierungen entfaltete sich, gewiesen war. am Weihnachtstag 1525 wurde in St. Anna das Abendmahl in beiderlei Gestalt gereicht. Diese Koordinaten mündeten in den sogenannten „mittleren Weg“, den Peutinger propagierte und Da Augsburg als Wirtschaftsmetropole auch ein den die Führungsfiguren trugen, auch wenn sie un- Kommunikationszentrum ersten Ranges war, konn- terschiedlichen religiösen Bewegungen zugehörten te sich reformatorisches Gedankengut besonders oder mit ihnen sympathisierten. Deshalb hielt sich gut verbreiten. Nach Wittenberg war Augsburg der Augsburg bei den großen reichspolitischen Entschei- wichtigste Druckort für Luthers Schriften. Zwischen dungen zwischen 1526 und 1530 noch auffallend zu- 1518 und 1530 konnten aus elf Offizinen 457 Drucke rück. Selbst als die Konfrontation auf dem zweiten des Reformators nachgewiesen werden, Schriften zur Speyerer Reichstag 1529 nicht mehr zu vermeiden Verteidigung der römischen Kirche fehlten jedoch war, schloss sich der Rat nicht der Protestation der fast völlig. Der Rat mahnte zwar zur Zurückhaltung, evangelischen Stände an, sondern akzeptierte den behelligte die Drucker jedoch kaum. Die Grenzen zwi- Reichstagsabschied, der die Aufrechterhaltung des schen den Angehörigen der traditionellen Kirche und alten kirchlichen Systems zum Ziel hatte. Der Mittel- den reformatorisch Gesinnten verliefen quer durch weg versuchte habsburgische Interessen, behutsame die Stadtbevölkerung. Die religiöse Orientierung der Änderung der kirchlichen Missstände und reforma­ Führungsschicht folgte aber einem anderen Muster: torische Anliegen zu vereinbaren. Die Lutherstiege, Die Fugger wiesen nicht nur eine betont aristokra- ein kleines Museum tische Verhaltensweise auf, sie bewahrten auch am Konsequent verfolgte der Rat diese Linie auch auf in St. Anna (Fugger- geschlossensten die traditionelle Kirchlichkeit. Dem- dem Augsburger Reichstag von 1530. Zunächst wollte straße 8), erinnert an gegenüber tendierten die sozialen Aufsteiger um die er sich weder der von Melanchthon bewusst zurück- das Verhör Luthers Familie Herbrot und das zünftisch-mittelständische haltend formulierten „Confessio Augustana“ noch Seitz-Netz zum Zwinglianismus, während das lange der katholischen „Confutatio“ anschließen. Da der durch Kardinal Zeit dominierende und zahlenmäßig umfangreichste Kaiser nach dem Reichstagsabschied zugunsten der Cajetan und an seine Netz um die altpatrizischen Welser sich zwar relativ alten Kirche jedoch zu einem klaren Votum drängte, nächtliche Flucht. offen und tolerant verhielt, jedoch insgesamt gegen- verkündeten die Bürgermeister die Abkehr von der Es gibt auch inter- über der Reformation aufgeschlossen war. So war zu- bisherigen Neutralitätspolitik: Man wolle Gehorsam essante Einblicke nächst keine eindeutige Weichenstellung möglich, da gegenüber Kaiser und Reich in allen weltlichen Din- in die Augsburger sich die Kräftefelder gewissermaßen konkurrierend gen zeigen, bezüglich der Glaubensfrage aber könne Stadt- und Kirchen- in Schach hielten. man den Abschied nicht annehmen – ein Signal,  geschichte.

Der Peutinger 11 / 2015 21 Bei seinem zweiten Augs- terstützten, trat Augsburg am 1. Juli 1546 zusammen burg-Besuch 1518 wurde mit seinen Verbündeten in den Schmalkaldischen Martin Luther im Fugger- Krieg ein – als einem Akt der Solidarität, der nicht Palais von Kardinal Cajetan gegen den Kaiser gerichtet sei. (Bild) verhört. Er sollte seine neue Glaubenslehre wider- Nach anfänglichen Erfolgen der Bundestruppen in rufen, blieb aber standhaft Schwaben wendete sich schon im Herbst das Kriegs- und forderte zum ersten Mal glück. Die Niederlage der Schmalkaldener führte im eindeutig: Alle kirchliche Januar 1547 – noch vor dem Tod Konrad Peutingers Autorität muss sich der Bibel im Dezember – zu einem Fußfall einer städtischen De- unterordnen. Nur das Wort legation vor dem Kaiser in Ulm. Monate später vollzog Gottes ist die Quelle echter sich auf dem „Geharnischten Reichstag“ in Augsburg Wahrheit und Freiheit. die politische Neuordnung im Reich. In der Stadt wur- dass die von der Mehrheit in der Stadtbevölkerung de der Bischof 1548 wieder in seine alten Rechte ein- getragene Befürwortung des neuen Glaubens über- gesetzt, der Klerus kehrte aus dem Exil zurück, okku- gesprungen war auf das städtische Regiment. Sie pierte sowie geschlossene Klöster und Stiftskomplexe erfasste auch Führungsfiguren wie die jährlich ge- wurden restituiert. In zähen Verhandlungen wurden wählten Bürgermeister Ulrich Rehlinger, und Anton der evangelischen Bevölkerungsmehrheit wenigstens Bimmel, Hieronymus Imhof und Georg Vetter sowie einige Kirchen zugestanden. Die protestantische Ein- einige einflussreiche Ratskonsulenten. heitlichkeit der Stadt zerbrach, der Weg zur Bikonfes- sionalität bahnte sich an. Die Verfassungsänderung Dem Drängen dieser reformatorisch gesinnten Grup- Karls V. fixierte im neu besetzten Rat die Oligarchie pe wollte der Rat jedoch nur nachgeben, wenn seine des alten Patriziats sowie der potenten Kaufleute und Berechtigung zur Reformation abgesichert war. In stärkte die katholische Fraktion. Die Zünfte wurden einer Reihe von Gutachten ließ er sich seine Kompe- als politische Körperschaften aufgehoben und auf tenz bestätigen – Peutinger sprach sich bezeichnen- rein handwerkliche Innungen reduziert. In die zen- derweise dagegen aus, wurde aber 1534 von seiner tralen Ämter gelangten vorwiegend Repräsentanten Spitzenposition verdrängt. Nachdem Verhandlungen des Fugger- und des Welser-Netzes. Vor allem die mit dem Bischof gescheitert waren, wurden den Ka- Fugger gewannen an politischem Einfluss, die Welser tholiken zunächst Prozessionen und Wallfahrten un- richteten sich deutlich bikonfessionell aus. tersagt, schließlich der katholische Gottesdienst auf acht Kirchen der Stifte und Klöster eingeschränkt, Nach dem zehnjährigen Aufbau eines reformatori- der Besitz der Pfarrzechen aus dem Kirchenvermö- schen Konzepts der städtischen Lebenswelt bedeutete gen ausgeschieden, die Stiftungskapitalien dem Al- diese neue Struktur in Augsburg einen tiefgreifenden mosensäckel zugewiesen, kleinere Nebenkirchen Rückschlag. Das nur kurze Zwischenspiel mit dem und einige Klosterkirchen geschlossen. Am 20. Janu- Fürstenaufstand 1552 schien das Rad noch einmal ar 1536 fand der Rat auch den Weg in den Schmal- zugunsten der Protestanten zurückzudrehen, führ- kaldischen Bund, der politische Rückendeckung ver- te aber im selben Jahr in den Passauer Vertrag und sprach für den noch ausstehenden letzten Schritt, aus damit zum Nebeneinander der Konfessionen, das Augsburg eine rein evangelische Stadt zu machen. Im im Augsburger Religionsfrieden vom 25. September Jahr danach 1537 wurde die „papistischen Abgötte- 1555 realisiert wurde. Er brachte die reichsrechtli- rey“ völlig beseitigt: die meisten noch vorhandenen che Anerkennung der Augsburger Konfession und Klöster wurden aufgelöst und deren Grundbesitz ein- damit auch eine innerstädtische Klärung: Zum einen gezogen; die Stiftsherren und Mönche, die sich der schrieb er die Bikonfessionalität fest, da nach Para- Reformation verweigerten, wurden ins Exil gezwun- graph 27, dem sogenannten „Städteartikel“, Augsburg gen. Die Messe war nun gänzlich untersagt, der Um- zu den Reichsstädten gehörte, in denen beide Kirchen gestaltung der Kirchen unter Beseitigung der Bilder nebeneinander bestehen sollten. Zum anderen erfolg- nahezu freier Lauf gelassen. Zwar konnte sich eine te in der Folgezeit die endgültige Orientierung an der durchaus nicht unbeträchtliche altgläubige Minder- lutherischen Variante der Reformation, da nur die heit im Bürgertum halten, doch ihr Rückhalt in der Augsburger Konfession Anerkennung fand. Melanch- kirchlichen Struktur der Stadt war verloren gegan- thon vermittelte die ersten sächsischen Theologen, gen; lediglich einige Nonnen bei Maria Stern und St. der lutherische Katechismus wurde 1559 bei St. Anna Katharina verweigerten sich dem Ratsgebot. eingeführt. Damit war der Weg zur Parität geebnet, der die Zukunft bestimmen sollte. Düstere Wolken zogen jedoch auf, als 1543 der papst- treue Otto Truchseß von Waldburg Bischof wurde Ein Jahrhundert später, während des Dreißigjährigen und eine betont gegenreformatorische Position ein- Kriegs, wurde die Parität gefährdet, am 8. August nahm. Zudem wurde das Herzogtum Bayern Füh - 1629 untersagte Kaiser Ferdinand II. den protestan- rungsmacht der „Christlichen Einigung“, die auf tischen Bürgern sogar die Ausübung ihres Glaubens. Prof. Dr. Rolf Kießling, umfassende Rekatholisierung zielte. Vorsichtshalber Doch 1632 besetzen die Schweden die Stadt, und 1941 geboren in Augsburg, bemühte sich der Rat um den Festungsbau und stell- 1648 wurde mit dem Westfälischen Frieden die Pari- studierte Geschichte, Ger- manistik und Geographie te militärische Kontingente auf. 1543 begann Papst tät in Augsburg wieder hergestellt. Zwei Jahre danach in München und Erlangen. Paul III. mit dem Trienter Konzil, den Katholizismus dankten die Protestanten am 8. August, dem Jahres- An der Universität Augs- zu erneuern, und Kaiser Karl V. strebte zusehends tag des kaiserlichen Eingriffs, erstmals mit einem burg hatte er bis 2006 den an, den protestantischen Widerstand militärisch zu Friedensfest für die Erhaltung ihres Glaubens. Dieses Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landes- brechen. Obwohl einflussreiche Großkaufleute, dar- Fest wird seither jährlich gefeiert und ist noch heute geschichte inne. unter die Fugger, den Kaiser mit Kriegskrediten un- in der Stadt ein geschützter Feiertag. 

22 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER

Bruder-Streit Peutingers Gutachten zum Kupfersyndikat von 1498

Mark Häberlein m letzten Drittel des 15. Jahrhunderts erlebte der europäische Kupferhandel einen starken Aufschwung. Das Inach den großen Pestwellen des Spätmittelalters wieder einsetzende Bevölkerungswachstum, die zunehmende Monetarisierung der Wirtschaft, Fortschritte in der Militärtechnik (Geschützguss) und die portugiesische Ex- pansion nach Afrika führten zu einer steigenden Nachfrage nach dem Buntmetall. Wichtigstes Abbaugebiet war zunächst Tirol, insbesondere das Schwazer Revier bei Innsbruck, wo die großen Augsburger Handelsgesellschaf- ten der Fugger, Baumgartner, Gossembrot, Herwart und Hoechstetter seit den 1480er Jahren in großem Umfang Kapital investierten. Durch Darlehen an die Tiroler Landesherren sicherten sie sich einen Großteil der Produk- tion, die sie in den europäischen Handelszentren Venedig, Mailand, Nürnberg, Lyon und Antwerpen absetzten.

Wenige Jahre nach ihrem Einstieg in den Tiroler chen. Die Abhängigkeit Maximilians von Fugger- Silber- und Kupferhandel sicherten sich die Fug- schem Kapital war indessen zu diesem Zeitpunkt ger auch die Ausbeute der zweiten großen europä- bereits zu groß, als dass der Herrscher gegen sei- ischen Kupferregion um Neusohl (Banská Bystrica) nen wichtigsten Finanzier in die Auseinanderset- in der heutigen Slowakei: 1494 gründeten sie zu zungen um das Kupfersyndikat eingegriffen hätte. diesem Zweck mit dem Krakauer Bergbauspezialis- Für Kredite an Kaiser Konrad Peutinger verfasste im folgenden Jahr ein und andere finanziell ten Johann Thurzo und dessen Söhnen den „Gemei- Gutachten zu diesem Kupfersyndikat, welches, so klamme Potentaten nen Ungarischen Handel“. In den folgenden Jahren der Historiker Heinrich Lutz, „das erste Dokument errichteten die Fugger-Thurzo Schmelzhütten und seines wirtschaftsrechtlichen und wirtschaftsethi- ließen sich die Fugger Faktoreien und bauten so das Unternehmen ziel- schen Denkens“ darstellt und ihn „in engster Affi- wertvolle Schürf­ strebig aus. Das ungarische Kupfer brachten sie auf nität zu der Gedankenwelt der großen Augsburger rechte übertragen. die europäischen Märkte, zunächst ebenfalls pri- Handelsherren“ zeigt. Darin argumentierte Peutin- Ein einträgliches mär nach Venedig. ger auf der Grundlage des Monopolgesetzes des Geschäft, das auch zu Da der Aufschwung des ungarischen Handels die spätrömischen Kaisers Zeno, dass ein Zusammen- juristischen Händeln Preise auf den internationalen Kupfermärkten un- schluss wie das Kupfersyndikat prinzipiell mit dem führte. ter Druck setzte, bildeten die Fugger im März 1498 Grundsatz des gemeinen Nutzens vereinbar sei. mit drei weiteren Handelsgesellschaften – den Aus seiner Sicht stellte das Syndikat auch keinen Augsburger Gossembrot und Herwart sowie den Versuch dar, den venezianischen Kupfermarkt zu Kufsteiner Baumgartner – ein Syndikat, für das monopolisieren, und führte eher zu einer Senkung der Faktor (Firmenvertreter) der Fugger in Vene- als zu einer Erhöhung der Preise. dig, Hans Keller, den Verkauf vereinbarter Mengen Das offenbar von Jakob Fuggers Konkurrenten in ungarischen und Tiroler Kupfers auf gemeinsame Auftrag gegebene Gutachten kritisierte Fugger Rechnung am Rialto übernahm. Fugger sprengte scharf wegen seiner Verstöße gegen den Wortlaut dieses Syndikat allerdings durch Dumpingverkäufe des Vertrags sowie gegen die Grundsätze von Treu ungarischen Kupfers unter dem Namen der Thurzo und Glauben. Peutinger war der Auffassung, dass bereits im Herbst 1499. In einem Vergleich überließ „solch geselschaft als ain bruderschaft geacht ist Jakob Fugger den anderen Teilhabern des Syndi- und sy sich undereinander mit lieb und treu mai- kats die venezianischen Kupfervorräte gegen einen nen und halten sollen wie geprieder.“ Der Augsbur- Festpreis zum freien Verkauf. ger Stadtschreiber verbindet in seiner Kritik am Dennoch rief sein Geschäftsgebaren naturgemäß Geschäftsgebaren Fuggers juristische Argumente bei den betroffenen Firmen große Verärgerung her- mit ethischen Maximen antiker Autoren (Aristote- vor: Insbesondere Georg Gossembrot, ein Bruder les, Cicero). Mit der Rückbindung wirtschaftlichen des Augsburger Großkaufmanns Sigmund Gossem- Handelns an ethische Normen sprach er ein Thema Prof. Dr. Mark Häberlein brot und einflussreicher Ratgeber König Maximili- an, das ihn selbst wie auch die großen süddeut- ist Lehrstuhlinhaber für ans, versuchte in der Folgezeit, seinen Einfluss am schen Handelsgesellschaften in den folgenden Jahr- Neuere Geschichte an der Innsbrucker Hof gegen die Fugger geltend zu ma- zehnten weiterhin intensiv beschäftigte.  Universität Bamberg.

Der Peutinger 11 / 2015 23 KONRAD PEUTINGER

Jakob Fugger, 1459 und damit sechs Jahre vor Konrad Peutinger gebo- ren, war in seiner Zeit einer der bedeutendsten Kaufherrn und Bankiers Europas. Nicht grundlos trug er den Beinamen und „der Reiche“.

Konrad Peutinger hatte eine Tochter aus der wohlhabenden und Geist Geld einflussreichen Familie Vor 500 Jahren: der Welser geheiratet. Obwohl dies die unmittel- Jakob Fugger und baren Konkurrenten der Konrad Peutinger Fugger waren, schätzte Jakob Fugger den Rat am Finanzplatz seines hochgebildeten Augsburg Zeitgenossen.

24 Der Peutinger 11 / 2015 KONRAD PEUTINGER

Im Zentrum seiner Macht: Harald Fuchs Jakob Fugger legt seine Hand auf den Schreibtisch, or einem halben Jahrtausend war Augsburg neben Nürnberg der be- rings um ihn herum das ge- Vdeutendste Finanz- und Handelsplatz Süddeutschlands. Die Stadt schäftige Treiben in seinem spätgotischen Stadtpalais am Lech lag mitten in Europa und damit zentral in der damals bekann- am Augsburger Rinder- und ten Welt. Hier trafen sich Kaiser und Kardinäle, hier hatten wichtige Heumarkt. Handelsfirmen wie die Fugger ihre Konzernzentrale angesiedelt, und hier rang Martin Luther mit den Mächtigen der katholischen Kirche.

Mittelalterliche Bindungen lösten sich auf, neue revolutionierte das Rechnungswesen. Giroverkehr, Horizonte und Chancen eröffneten sich. Es war die Wechselbrief und Depositenschein beförderten das Zeit der Renaissance. Ein modernes Lebensgefühl Bankwesen. In diesem Umfeld kam der junge Ja- entwickelte sich. Mit der Reformation begann die kob Fugger 1477 nach Venedig in den Fondaco dei Abkehr von althergebrachten Kirchenformen. Der Tedeschi. In dem Haus der deutschen Kaufleute, Buchdruck wurde erfunden, der ganz neue Mög- das Handelskontor und Heimstatt zugleich war, lichkeiten bot. Der Kompass half neue Erdteile zu wurde der Nachwuchs geschult. Hier lernte Jakob entdecken. Mit dem Frühkapitalismus entstand Fugger nicht nur die neuesten Methoden des Bank- eine neue Wirtschaftsform. Die Menschen wurden geschäftes, sondern auch den neuen Zeitgeist, das sich ihrer persönlichen Leistungen bewusst. Streben nach Gewinn. In diese Zeit wurden zwei Augsburger hineingebo- Knapp zwanzigjährig kehrte er nach Augsburg zu- ren, die – jeder auf seine Weise – prägend werden rück, versehen mit den modernsten Erkenntnissen sollten weit über ihre Heimatstadt hinaus: 1459 Ja- aus Handel und Bankwesen. So perfektionierte Mit mächtigen Zweimastern kob Fugger und sechs Jahre später Konrad Peutin- er die Vergabe von Darlehen, indem er sich diese begann die Globalisierung. ger. Davon, ob sie sich schon in ihrer Jugend getrof- durch Bergwerksrechte und Handelsprivilegien „Unsere ersten Handelskon- fen haben, ist nichts bekannt, wohl aber kreuzten besichern ließ. Damit stach er die Konkurrenz aus takte zu Deutschland gehen zurück auf das Jahr 1505, als sich ihre Wege in den kommenden Jahrzehnten auf und half klammen Regenten aus ihren Geldnöten. Schiffe, die von der Augsbur- vielfältige Weise, als der eine der einflussreiche Entscheidend für seinen späteren Erfolg als Banki- Kaufmann und Bankier war und der andere Syndi- ger Fugger-Familie finanziert er und Handelsherr dürfte jedoch Fuggers Begeg- kus und Stadtschreiber. waren, in Goa landeten“, er- nung mit Kaiser Maximilian I. auf dem Frankfurter innerte der frühere indische Viele Neuerungen kamen aus Italien. Die Han- Reichstag von 1489 gewesen sein. In den folgenden Premierminister Mohammed delsherren lernten dort Dinge, die es diesseits der Jahren wurde Jakob zum bedeutendsten Geldgeber Singh. Alpen noch nicht gab. Die doppelte Buchführung des Habsburgers Kaisers. 

Der Peutinger 11 / 2015 25 KONRAD PEUTINGER

Moderne Zeit in historischen Mauern: Die heutige Zentrale Der Aufstieg von Kaiser Maximilian I. (hier das Gemälde von der Fugger-Bank in der Augsburger Maximilianstraße. Albrecht Dürer) wurde von Jakob Fugger finanziert.

In der damaligen Zeit gab es einige Dutzend Kauf- in wenigen Jahren eine Monopolstellung auf dem Die Augsburger Han- leute in Augsburg, die nach heutigen Kriterien europäischen Kupfermarkt. Die hier erwirtschafte- delshäuser der Fug- Bankgeschäfte tätigten, wobei die Kreditgewäh- ten Gewinne wurden zu einem großen Teil thesau- ger und Welser waren rung im Vordergrund stand. Unter ihnen waren die riert und stärkten so das Eigenkapital. im 16. Jahrhundert Welser das ältere und lange Zeit einflussreichere Trotz der Konkurrenz italienischer Bankiersfamili- in Europa die unan- Geschlecht. Der in der zweiten Hälfte des 15. Jahr- en machten die Fugger sogar mit den Päpsten gute gefochtene Nummer hunderts mit dem lukrativen Handel mit Barchent Geschäfte. Durch ihr weitreichendes Handelsnetz Eins. Während die und Baumwolle reich gewordene Bartholomäus waren sie den Italienern überlegen. Das Augsbur- Fugger-Bank noch Welser wurde zum eigentlichen Stammvater des ger Bankhaus wurde daher mit der Abwicklung heute besteht, wur- Handelshauses Welser. Seine Nachfolger vermehr- des Ablasshandels nördlich der Alpen beauftragt. den die Welser 1614 ten ihren Reichtum durch den lukrativen Handel Im ganzen Land wurde der Ablass eingesammelt zahlungs­unfähig. Spa- mit Gewürzen. Mit dem ökonomischen Erfolg voll- und in den nahegelegenen Fuggerschen Faktorei- nien, Frankreich und zog sich auch der politische Aufstieg der Welser. en einbezahlt. Die dort ausgestellten Kreditbriefe die Niederlande als Sie saßen zeitweise in wichtigen Ämtern und lenk- konnten in Rom eingelöst werden. Darin kann man ihre größten Schuld- ten die Geschicke der Stadt Augsburg. In diese Fa- den Beginn des bargeldlosen Zahlungsverkehrs se- ner hatten die einst milie konnte auch Konrad Peutinger einheiraten. hen. Um 1509 betrieben die Fugger auch zeitweise mächtige Handelsge- Zwischen den eingesessenen Welsern die päpstliche Münze, die zecca in Rom. sellschaft in den Ruin und dem aufstrebenden Fugger getrieben. 1519 starb Kaiser Maximilian. Der entspann sich ein harter Kon - Kampf um seine Nachfolge ent- kurrenzkampf. Vor allem um brannte in voller Härte. Nun kam den Handel mit Textilien und es zur ersten gemeinsamen Trans- Metallen wurde gerungen. aktion von Fuggern und Welsern: Doch als global agierende Sie finanzierten die Kaiserwahl Gesellschaften waren Fug- Karls V. Nach den Aufzeichnun- ger und Welser wieder auf gen von Matthäus Schwarz, dem einander angewiesen. Gerade Hauptbuchhalter von Jakob Fug- im aufkommenden Kredit- und ger, kostete die Krone 851.918 Gul- Bankgeschäft bot sich eine Zu- den. 543.585 kamen aus dem Hause sammenarbeit förmlich an. Fugger, 143.000 von den Welsern, den Hier spielte Kaiser Maximilian eine ent- Rest steuerten italienische Bankhäuser bei. Mit scheidende Rolle. Jakob Fugger verband eine der Masse des Geldes wurden die wahlberechtig- enge Beziehung zu dem Habsburger, der oft in ten Kurfürsten wohlwollend gestimmt. Dies bildete Augsburg weilte und der auch gerne und reich- den Auftakt zu einer Reihe weiterer Darlehensge- lich Jakobs Geld in Anspruch nahm. Der in halb schäfte mit den Habsburgern. Fugger und Welser Europa engagierte Herrscher hatte ständig Kre- gewährten in der Zeit zwischen 1522 und 1532 ge- ditbedarf. Zwischen 1487 und 1494 gab Fugger meinsam 14 Kredite. Zur Besicherung dienten die mehr als 620.000 Gulden. Zur gleichen Zeit betrug Kroneinkünfte Spaniens. In dieser Zeit gewährten sein Vermögen nach den Steuerbüchern der Stadt sich auch Bartholomäus Welser und Jakob Fuggers Augsburg lediglich 15.552 Gulden. Diese gewalti- Nachfolger Anton Fugger gegenseitig Einlagen Harald Fuchs ist Persönlich gen Kreditgeschäfte waren nur über verzinsliche und Darlehen. Gemeinsame Interessen wurden haftender Gesellschafter und Mitglied des Vorstands Einlagen zu bewältigen. Hier halfen insbesondere in großer Einmütigkeit verfolgt. Beide Häuser be- der Fürst Fugger Privatbank die reichen Kirchenfürsten, die ihr Vermögen vor teiligten sich an der Erschließung neuer Seewege Kommanditgesellschaft. Er der Kurie verbergen wollten. Der wohl finanzkräf- nach Indien und Amerika. Bei den später immer studierte Wirtschaftswis- senschaften und begann tigste Geldgeber war der Fürstbischof von Brixen. riskanter werdenden Geschäften zeigten sich die nach dem Studium bei der Seine Einlagen überstiegen zeitweise das gesamte Fugger allerdings deutlich flexibler und zogen Bayerischen Vereinsbank. Fugger-Vermögen. Für die gewährten Kredite er- sich rechtzeitig aus Übersee zurück. Die Welser 1990 wechselte Fuchs zur Fugger-Bank und stieg 2008 hielten die Fugger neben Ländereien Zugang zum machten enorme Verluste, was 1614 schließlich in den Vorstand auf. lukrativen Bergbau. Jakob Fugger erarbeitete sich zum Konkurs der Welser führte. 

26 Der Peutinger 11 / 2015 »HERAUSRAGEND« Die Fürst Fugger Privatbank erhält wie in den Vorjahren erneut Bestnoten: Beim großen Bankentest von FOCUS-MONEY und des Nachrichtensenders n-tv sowie im Elite Report 2015 „Elite der Vermögensverwalter im deutsch- sprachigen Raum“ wurden die Spitzenprädikate vergeben. »SUMMA CUM LAUDE«

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Zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß: Peutinger-Gespräch mit dem Historiker und Strauß-Biographen Horst Möller

Sein Namen weckt noch heute Emotionen: Franz Josef Strauß, vor hundert Jahren am 6. Sep- tember in München geboren und am 3. Oktober 1988 in Regens- burg gestorben, war einer der einflussreichsten Politiker der deutschen Nachkriegszeit.

um 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß hat der renommierte Münchner Historiker Pro- Zfessor Horst Möller eine Biographie des früheren Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzen- den vorgelegt, für die er 300 Regalmeter Nachlass gesichtet hat. „Mit dieser Biographie sollten nicht nur alle Klischees wiederholt, sondern aufgrund der Quellenlage bestätigt oder auch widerlegt werden“, begründete Möller im Gespräch mit Peutinger-Chefredakteur Peter Schmalz diese Fleißarbeit. Eines seiner überraschenden Ergebnisse: Bei den von ihm untersuchten

Strauß-Skandale habe er keine Skandale gefunden, wohl aber jedes Mal Skandalisierungen. Hanns-Seidel-Stiftung Foto:

28 Der Peutinger 11 / 2015 POLITIK UND WIRTSCHAFT Karikatur: Horst Haitzinger Horst Karikatur:

Weihrauch vor dem Strauß-Alter: In barocke Pracht hat Karikaturist Horst seinen Erzengeln (um Uhrzeigersinn) Gerold Tandler mit Trompete, Theo Waigel Haitzinger die Regierungserklärung von Ministerpräsident Strauß im Todesjahr hoch im Himmel, Erwin Huber als Generalsekretär und der schwertschwingen- 1988 gehüllt. Der Altar ist prall gefüllt mit dem politischen Leben in Bayern: de Innenminister Edmund Stoiber. Darunter in der Hölle Hans-Jochen Vogel und Vor dem Altar schwingt der Ministrant FJS das Weihrauchfass, auf dem Altar der damalige SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Hiersemann. Den Altar bekränzen steht FJS mit Zepter und weißblauer Weltenkugel im Mittelpunkt, umgeben von oben Finanzminister Max Streibl (li.) und Landtagspräsident Franz Heubl.

Der Peutinger 11 / 2015 29 POLITIK UND WIRTSCHAFT

Der Peutinger: 300 Regalmeter schriftlichen Nachlass zeichnungen zum Milliardenkredit von Schalck-Go- gesichtet, 826 Seiten über Franz Josef Strauß geschrie- lodkowski im Bundesarchiv benutzt. Erschreckend ben. Es soll, so heißt es, „die erste echte Strauß-Biogra- finde ich, dass viele Biografen, egal ob Historiker oder phie“ sein. Welcher Impuls – außer dem 100. Geburts- Journalisten, nicht einmal die gedruckten Quellen ein- tag – hat Sie zu dieser Schwerstarbeit getrieben? gesehen haben. Aber man kommt durch die geronnen Horst Möller: Zunächst einmal das Interesse für ei- Erinnerungen nur hindurch, wenn man sich von der ne bedeutende Persönlichkeit, die die Nachkriegsge- langweiligen Wiederholung von Klischees löst, Fra- schichte maßgeblich mitgeprägt hat. Zweitens die Wi- gen offen stellt und vor allem die Quellen auswertet. dersprüchlichkeit dieser Persönlichkeit. Drittens, dass Diesen sehr aufreibenden Umweg hat vor mir leider Strauß in der Öffentlichkeit wie durch einen Schleier niemand gemacht. erscheint. Der Schleier, der durch die Fernsehbilder DP: Wer heute jünger ist als 30, für den ist Strauß gewoben wurde. Deshalb war ich der Meinung, dass eine Figur aus der Geschichte. Wie würden Sie ihm er als sehr wirkungsmächtiger Politiker eine wissen- das Phänomen FJS in knappen Worten erklären? schaftliche Biografie verdient, in der nicht nur alle Möller: Strauß war eine in sich sehr komplexe, auch Klischees wiederholt, sondern aufgrund der Quellen- sehr widersprüchliche Persönlichkeit. Er war ein arbeit bestätigt oder auch widerlegt werden. Ich wuss- Mann großer Emotionen, gelegentlich auch chole- te vorher nicht, was dabei herauskommt. risch. Andererseits hatte er eine ausgesprochene Ra- DP: Vor 27 Jahren ist Strauß gestorben, dennoch löst tionalität. Er war der intellektuellste unter den wirkli- Horst Möller, 1943 in Breslau das Kürzel FJS heute noch immer Reflexe aus. chen Machtpolitikern der Bundesrepublik. Strauß hat geboren, ist einer der einflus- Möller: Wenn man mit Jüngeren über die ersten Jahr- seine Intellektualität, seine Rationalität, seine hohe sreichsten deutschen Histo- zehnte der Bundesrepublik spricht, stellt man fest, Sachkompetenz und seine Analysefähigkeit mit dem riker. Neben Professuren an verschiedenen Universitäten dass sie neben Konrad Adenauer eigentlich nur Franz politischen Willen verbunden, diese Ziele auch durch- leitete er von 1992 bis 2011 Josef Strauß kennen. Und selbst heute wird fast jede zusetzen. Er besaß diese Kombination wie kein zwei- als Direktor das Institut für Woche in irgendeiner Zeitung auf Strauß verwiesen: ter unter den damaligen Spitzenpolitikern. was hätte er gemacht, wie hätte er reagiert. Strauß Zeitgeschichte in München und DP: An was für einen Menschen erinnern Sie sich? ist auf eine durchaus interessante Weise aktuell ge- Berlin. In der Festschrift zu Möller: Auch das ist etwas widersprüchlich. Das ers- blieben. seinem 65. Geburtstag hieß es: te Mal habe ich ihn bei einer Rede gesehen. Er betrat „Horst Möllers wissenschaftli- DP: Mehr als Willy Brandt? den Saal scheinbar schüchtern mit hochrotem Kopf, che Wurzeln liegen in der Auf- Möller: Nein. Willy Brandt gehört zwar der gleichen begann zögerlich und kam erst nach der ersten Pointe, klärung – als Gegenstand wie Generation an, aber er hatte seine bundespolitische auf die das Publikum geradezu gebrannt hatte, zu sei- als Methode.“ Aufklärung war Zeit erst ab Mitte der 60er Jahre. Strauß dagegen ist ner vollen Form. Er wirkte auf mich wie ein Künstler, auch sein Motiv, als er die um- unmittelbar nach dem Krieg 1945 als Dreißigjähriger der in dem Moment zu großer Form aufläuft, in dem fangreichen Archive zu Franz in die Politik gekommen und über 40 Jahre aktiv ge- er Kontakt zu seinem Publikum aufgenommen hat. Josef Strauß zu durchforsten blieben. Unter seinen Generationsgenossen Helmut begann. Er wollte, so Möller im DP: War er hochmütig? Schmidt, Willy Brandt, Walter Scheel, Richard von Möller: Nein, das finde ich definitiv nicht, ich würde Weizsäcker, Erich Mende ist er der einzige, der schon es sogar ausschließen. Er war aufgrund seiner hohen in der zweiten Hälfte der 40er Jahre beginnt, in der intellektuellen und sachlichen Kapazität oft ungedul- vordersten Reihe zu stehen. Brandt und Schmidt be- dig, aber nicht hochmütig. stimmen die Politik der 70er und frühen 80er Jahren sehr stark, aber da ist Strauß immer noch dabei. DP: Hätten Sie ihn sich vorstellen können, ihn zum Freund zu haben? DP: Sie sprechen von „geronnenen Erinnerungsbil- Möller: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Zwar dern, die sich verselbständigt haben“. Trügt uns die nicht aus eigenem Erleben, sondern aus den Brief- Erinnerung? wechseln. Er hatte sehr viele Freunde von Jugendzeit Möller: Fernsehbilder und Fotos wirken sehr sugges­ Peutinger-Interview, eine Bio- an. Freunde, denen er sehr oft geholfen hat. Hilfsbe- tiv. Wer einen verfilmten Roman erst sieht und dann graphie vorlegen, in der nicht reitschaft ist bei Strauß ein durchgängiges Charakter- liest, sieht das Buch durch die Bilder. Die Interpretati- nur alle Klischees wiederholt, merkmal, wobei er nicht selten auch den Falschen ge- on ist eingeschränkt durch die Bildmächtigkeit. Inso- sondern aufgrund der Quellen- holfen hat. Er hat oft Empfehlungsbriefe geschrieben, fern glaube ich, dass die Bilder über Strauß geronnen arbeit entweder bestätigt oder wenn man ihn darum gebeten hat. Aber da ist auch die sind. Da bleibt immer das gleiche Bild, während die auch widerlegt werden“. In sei- andere Seite. Wie das Beispiel einer Jugendfreundin Arbeit an den Quellen, die deswegen für Historiker nem Buch „Franz Josef Strauß zeigt, die während des Krieges offenbar große famili- unverzichtbar ist, es erlaubt, alte Fragen neu zu stel- – Herrscher und Rebell“ äre Probleme hatte. Strauß lag gerade vor Stalingrad len und auch Bilder zu korrigieren. (Piper Verlag, München, 823 S., – wo er übrigens wegen erfrorener Füße kurz vor der E 39,99 ) hat Möller mehr Kli- DP: Sie konnten Quellen erstmals anschauen? Schlacht wegbeordert wurde – und schreibt an diejeni- schees widerlegt als bestätigt. Möller: Ich hatte kein Exklusivrecht für die Quellen, gen, die der Familie der Jugendfreundin helfen konn- die Familie Strauß hat auch schon anderen Histori- ten. Sie antwortet ausgesprochen rührend: Dass Du kern Einsicht genehmigt, die jedoch nur spezielle selbst an der Ostfront an unsere Probleme denkst und Fragen untersucht haben. Zur Bewertung von Franz hilfst, das werde ich dir nie vergessen. Vergleichbare Josef Strauß aber gehört, die gesamte Persönlichkeit Briefe gibt es ziemlich oft. Man könnte sagen, er hatte und die gesamte politische Breite zu betrachten. Zu- ein ausgesprochenes „Helfersyndrom“, man sollte aber dem habe ich neben dem Nachlass auch die Protokol- eher positiv sagen, er lebte ein Stück christlich-sozia- le der CSU-Landesgruppe, des Landesvorstands, der ler Nächstenliebe. Strauß hat oft ganz privat und per- Bundeskabinette, den Briefwechsel zwischen Helmut sönlich geholfen, aber später in seinen hohen Ämtern Kohl und Franz Josef Strauß und die Gesprächsauf- war er bei seinen Empfehlungen oft zu sorglos.

30 Der Peutinger 11 / 2015 Fotos: Hanns-Seidel-Stiftung Fotos:

DP: Welche Rolle spielte für ihn seine Frau und sich im Stich gelassen. Berührend fand ich auch, dass Für die Zigarre war eigentlich überhaupt seine Familie? er noch als Ministerpräsident Buchbestellung an die der andere bekannt: Strauß Möller: Seine Frau war ihm eine wirkliche Partnerin, wissenschaftliche Buchgesellschaft eigenhändig aus- 1964 mit dem damaligen Bun- die auch für manche Politikbereiche Einfluss auf ihn gefüllt hat. Da ist seine sehr menschliche Seite. Es ist deskanzler Ludwig Erhard. hatte. Zum Beispiel bei seinem starken Engagement diese Bipolarität zwischen Rationalität und Emotio- Der CSU-Chef und sein Gene- für Familienpolitik, das in vielen Briefen an Helmut nalität, die bei ihm in einem wirklich großen Span- ral: Strauß mit Generalsekre- Kohl deutlich wird. Dort weist er regelmäßig auf vor- nungsverhältnis stand. tär Edmund Stoiber 1980 beim herige Vereinbarungen hin und schreibt einmal über Parteitag in München. DP: Und zugleich war er nicht abgehoben? den damaligen FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Möller: Nein, seine große Wirkung nicht nur in Bay- Der Präsident und ein Gast Lambsdorff, der habe wohl keine Ahnung, wie eine aus Bayern: Strauß trifft 1983 Familie mit mehreren Kindern und einem Durch- ern beruhte nicht zuletzt auf seiner Volksnähe. „Ich stamme aus dem Volk und ich gehöre weiter dazu“, in Washington den damaligen schnittseinkommen überhaupt leben könne. Die sozi- US-Vize-Präsidenten George war seine gelebte Einstellung. Eine gewisse intellek- al akzentuierten familienpolitischen Maßnahmen ent- Busch senior. sprachen zwar auch seinem Charakter, gingen aber tuelle Arroganz resultierte aus seiner hohen Sach- wohl eher auf seine Frau zurück. Marianne Strauß kompetenz und der damit verbundenen Ungeduld, war eine starke Persönlichkeit, die im Umgang mit aber das war kein sozialer Hochmut, eher ein über- ihm durchaus eine gewisse Strenge ausstrahlte. Bei bordendes persönliches Selbstwertgefühl. Wenn er zwei so starken Persönlichkeiten war es sicher nicht allerdings auf Dummheit traf, konnte er schon sehr immer eine ganz einfache Ehe. Doch die Familie war drastisch werden. für ihn ein wesentlicher Ruhepunkt im turbulenten DP: Gibt es eine Kluft zwischen dem Menschen und Leben. Im Kern war er ein Familienmensch. Er mach- dem Politiker Strauß? te auch, für heutige Verhältnisse etwas überraschend, Möller: Das glaube ich nicht. Bei Strauß ist Dienstli- im Sommer ausgiebig Urlaub mit der Familie, in der ches und Privates eigentlich nicht aufzulösen. Er hat- Regel mehrere Wochen. te wohl seine Rückzugsgebiete wie die Jagd oder die DP: Haben Sie in den Archiven Persönliches ent- Lektüre. Aber selbst dann blieb er immer zugleich deckt, das Sie bewegt hat? der Politiker. Als die Landtagsfraktion sich beklagt Möller: Die Briefe, von denen ich gesprochen habe, hatte, er schwänze die Sitzungen und kümmere sich dann aber auch die Tatsache, dass er persönliche nicht um die bayerische Politik, gebe sich aber mit Briefwechsel über die ganze Zeit gehalten hatte, da- Helmut Kohl Bergfreuden hin, da war er schwer ge- runter zu vielen professionellen Diplomaten, mit kränkt und meinte: Was kann es wohl Wichtigeres denen er befreundet war. Bewegend für einen knall- geben, als dass ich mit dem Kanzler und CDU-Vor- harten Politiker, der er war, ist auch die tiefe Enttäu- sitzenden Dinge kläre, die für uns Bayern politisch schung über Adenauer in der Spiegel-Krise. Er fühlte wichtig sind.  Foto: Hanns-Seidel-Stiftung Foto: Nach einer Reise durch ver- schiedene Ostblock­staaten besuchte Franz Josef Strauß 1983 mit Ehefrau Marianne und Sohn Max (rechts) die DDR. Es gab offizielle Treffen mit der Staatsführung, aber auch spontane Kontakte mit einfachen Bürgern. Manche übergaben dem Besucher aus dem Westen Briefe mit Hilfsgesuchen. Durch persönliche Interventionen konnte Strauß für viele DDR-Bürger Ausreisegeneh- migungen erreichen.

Der Peutinger 11 / 2015 31 Fotos: Hanns-Seidel-Stiftung Fotos:

Starke Partner: Strauß mit DP: Sie nennen Strauß Herrscher und Rebell zugleich. habe die Entscheidung im Alleingang getroffen, ist Ehefrau Marianne 1982 Das klingt nach einer widersprüchlichen Person. Unsinn. Ein auch noch später von einem ehemaligen beim Filmball in München. Möller: Auf das Spannungsverhältnis zwischen US- Offizier österreichischer Herkunft erhobener Be- Emotionalität und Rationalität habe ich ja schon hin- stechungsvorwurf hatte in der Tat einen realen Hinter- Kunststück mit Ball: Der gewiesen. Das drückt sich auch im Untertitel aus. grund. Doch dieser Vorwurf traf nicht Strauß, sondern Ministerpräsident 1982 bei Strauß war, durch Krieg und Diktatur wesentlich den Prinzen Bernhard der Niederlande und einige der Benefiz-Veranstaltung beeinflusst, ein Mensch mit einem unbändigen Frei- andere. Das vermeintliche Tagebuch dieses Mannes „Stars in der Manege“ im heitsdrang. Er wollte sich durch nichts und nieman- namens Hauser, das als Beweis angeführt wurde, er- Münchner Circus Krone. den einengen lassen. Insofern hat er gegen Zwänge wies sich als Fälschung. Die von dem Ex-Offizier ge- Rechts Hans-Jochen Vogel, ständig rebelliert. Andererseits war er zweifellos eine gen Strauß erhobenen Vorwürfe hat kein Mitglied des dahinter Victor von Bülow, Herrschernatur und hat sich in der Rolle auch selber eigens eingesetzten Bundestags-Untersuchungsaus- (Loriot). gesehen. Aber die Zwänge, die sogar ein Herrscher schusses für glaubwürdig gehalten. Übrigens auch ertragen muss, die wollte er nicht ertragen. So wurde nicht das damals von Hans-Jochen Vogel geleitete er ein Herrscher mit rebellischem Grundzug. Ein Re- Bundesjustizministerium, das in einer großen Exper- gent, der manchmal zum Robin Hood wurde. tise ausdrücklich feststellte, es gebe keine Grundlage für einen Bestechungsverdacht gegenüber Strauß. DP: Was ihm Sympathien bei der Bevölkerung ein- brachte. DP: Der Vorwurf lebt in den geronnen Erinnerung fort. Möller: Ja. Zu seinem Regierungsstil gehörte, dass Möller: Ja, Sie können das kaum einem klarmachen er allem Administrativen misstraut und sich deshalb – und es wird in vielen Artikeln, obwohl es wider- selbst intensiv in Akten eingearbeitet hat. Gerade bei legt ist, bis heute wiederholt, in der SZ, im Spiegel sozialen Entscheidungen war er über vermeintlich un- und manchen Fernsehsendungen beispielsweise menschliches Verhalten der Verwaltung oft empört. noch im August und September. Man kann das nur Sagten ihm Verwaltungsjuristen, es gebe keinen Spiel- als Absicht deuten, die jahrelangen eigenen Falsch- raum, dann konterte er, auch Regierung und Verwal- darstellungen zu kaschieren und aus politischen Mo- tung müssten menschlich handeln, und hat Entschei- tiven weiterhin falsche Strauß-Bilder zu verbreiten. dungen oft konterkariert. Am liebsten hätte er alle Aus den Quellen rekonstruierte Fakten werden be- möglichen Verwaltungsvorgänge selbst kontrolliert, wusst ignoriert, weil sie den Betreffenden nicht in was aber auch einem so hoch befähigten Ministerprä- den Kram passen. Zur Spiegel-Affäre liest man immer sidenten nicht möglich war. Das hatte fast schon einen wieder, er habe den Bundestag belogen. Wertet man Zug zum aufgeklärten Absolutismus. aber die Quellen minutiös aus, kommt man zu dem Schluss: Hat er nicht. Bei den von mir untersuchten DP: War er ein außergewöhnlicher Politiker? Beispielen bleibt also die geschichtspolitisch moti- Möller: Strauß gehört zu den wenigen außergewöhn- vierte Skandalisierung, aber kein bewiesener Skan- lichen Politikern, die die Bundesrepublik gehabt hat. dal. Es bietet Stoff für Karikaturen, in welchem Maße DP: Doch Skandale pflasterten seinen Weg. solche Darstellungen krampfhaft in den Auseinan- Möller: In meiner Biografie habe ich die wichtigsten „Er hatte das Zeug dersetzungen der 1960er bis zu den 1980er Jahren vermeintlichen Skandale untersucht und bin zu dem befangen bleiben und geradezu ängstlich die Kennt- zum Kanzler“, meinte Ergebnis gekommen, dass es keine Skandale waren, nisnahme der Fakten verweigern. Alt-Kanzler Helmut sondern Skandalisierungen. Beispielsweise die soge- DP: Ohne ihn, räumen selbst entschiedene Strauß- Schmidt kürzlich in nannte Starfighter-Affäre, wo behauptet wurde, er ha- Gegner ein, gäbe es den Airbus nicht. Seine größte einem Zeit-Interview, be aus persönlichem Interesse den Ankauf des ameri- Leistung? und Heribert Prantl kanischen Kampfflugzeuges durchgesetzt. Später wur- Möller: Das würde ich nicht sagen. Der Airbus ge- von der gewöhnlich de auch Bestechung behauptet, der Beleg dafür war, hört sicher zu seinen großen Leistungen. Strauß war Strauß-kritischen wie wir heute wissen, ein von der DDR-Staatssicher- für die Luftfahrtindustrie in Deutschland ein Pionier, Süddeutsche Zeitung heit abgehörtes und teilweise gefälschtes Gespräch, wobei er immer darauf bedacht war, die Airbus-In- forderte gar den Ein- das in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. dustrie auf eine breite europäische Basis zu stellen zug in die Walhalla: DP: Aber gekauft hat er den Starfighter. und zugleich Bayern davon profitieren zu lassen. „Es gehört sich, dass Die Akten aber zeigen: Strauß und Adenauer wollten Er galt sozusagen als die personifizierte Airbus-In- dort zum 100. Ge- nicht zuletzt wegen der deutsch-französischen Zusam- dustrie. Doch zu seinen großen Leistungen zählen burtstag auch Franz menarbeit den französischen Mirage-Bomber kaufen. unbestreitbar auch der Aufbau der Bundeswehr, die Josef Strauß aufge- Doch die gesamte Luftwaffenführung empfahl den Arbeit als Finanzminister und das Urteil beim Bun- stellt wird.“ Die Bay- Starfighter. Selbst der sozialdemokratische Vorwärts desverfassungsgericht von 1973 zum Grundlagen- ern-SPD sollte ihre bejubelte ihn als ein Wunderflugzeug. Und der Ver- vertrag, das viel später wichtig wurde, weil es dazu „kleinkarierten Be- teidigungsausschuss entschied sich mit 18 Stimmen beigetragen hat, die deutsche Frage offen zu halten denken“ zurückstel- bei einer Enthaltung für den Starfighter, also auch und damit später den Weg zur deutschen Einheit zu len. mit den Stimmen der Opposition. Zu sagen, Strauß ermöglichen.

32 Der Peutinger 11 / 2015 POLITIK UND WIRTSCHAFT

DP: Kanzler wäre er gerne geworden, bayerischer Möller: Das war meines Ministerpräsident ist er gewesen. War das gut so? Erachtens ein politischer Möller: Natürlich wollte er Kanzler werden, doch Fehler. Auch weil die bevor er 1980 Kanzlerkandidat wurde, hat er lange Aufkündigung der Frak- gezögert, weil er realistisch die Chancen als gering tionsgemeinschaft mit eingeschätzte. der CDU nicht wirklich DP: Strauß war ohnehin keiner, der schnell entschie- durchdacht war. Aber den hat. welcher Politiker macht Möller: Er hatte etwas gegen Leute, die zu komplizier- nicht auch Fehler? Nur ten Fragen schnelle Entscheidungen trafen. Er sagte bei Strauß wurden sie immer: „Verschafft euch doch erst mal Sachkenntnis.“ von den Gegnern über- Eine Messlatte, die er auch an sich selbst anlegte. Bei dimensioniert, während der Kanzlerkandidatur warnte er davor, die Aussich- manche Anhänger sie ten als zu groß einzuschätzen – schon deswegen, weil nicht sehen wollten. die Union gegen SPD und FDP die absolute Mehrheit DP: Man hört oft, ein hätte erringen müssen. Auf der anderen Seite war die Franz Josef Strauß wäre CSU in der Zwickmühle. Hätte sie jetzt nicht zuge- heute nicht mehr mög- griffen, hätte sie damit deutlich gemacht: Wir erheben lich. Ist das gut so oder keinen Anspruch auf die Kanzlerschaft. Ich glaube, ist es eher ein Zeichen Strauß hätte als herausragender Staatsmann, der über für einen heute sterilen den Wahltag hinaus dachte, eine bedeutende Rolle als Politikbetrieb? Kanzler spielen können, was übrigens jüngst sein frü- Möller: Das hat zwei Aspekte. Der politische Stil wur- Handschriftlich legte Strauß herer Antipode Helmut Schmidt betont hat. Doch sind de durch die neuen Medien verändert. Es wird sehr Zeugnis seiner Arbeit ab. solche Überlegungen natürlich hypothetisch, weil es viel mehr über Bilder, über Kurzinformation und über nicht dazu gekommen ist. Talkshows vermittelt. Das Radio aber, das vor 40, 50 DP: War die bayerische Staatskanzlei zu klein für ihn? Jahren noch eine große Rolle spielte, hat den eher ar- Möller: Ich würde nicht sagen, zu klein. Der Minis- gumentativen Stil von Strauß begünstigt. terpräsident eines wirtschaftlich und kulturell so be- DP: Strauß wäre kein geeigneter Talkshowgast? deutendsten Bundeslandes wie Bayern, der zugleich Möller: Nein, sinngemäß hat er das auch selber ge- Parteivorsitzender einer Koalitionspartei ist und der sagt: „Meine Frau weiß viel besser mit dem Fernsehen die Fähigkeiten von Franz Josef Strauß hat, auch auf umzugehen, aber mir liegt das nicht so.“ Das ist die internationaler Ebene zu agieren, der kann auch in eine Seite. Andererseits aber, da stimme ich Ihnen zu, diesem Amt sehr Bedeutendes leisten. Allerdings war ist es auch ein kritisches Urteil über die heutige Po- er 27 Jahre lang primär Bundespolitiker und Außen- litik. Denn was für Strauß charakteristisch war, sollte politiker gewesen. Und trotz ihres Ranges ist die Bay- für eine Demokratie charakteristisch sein - dass die erische Staatskanzlei nicht das Zentrum der Bundes- Kontroverse notwendig ist. Das heißt, politische Al- politik oder der Außenpolitik. ternativen entwickeln, darüber mit Verve diskutieren DP: Zu den Fehlern des FJS zählt wohl der Trennungs­ und schließlich einen Kompromiss finden. Das sollte beschluss von Wildbad Kreuth? der Normalfall sein. Heute steuert man den kleinsten gemeinsamen Nenner an, bevor die Alternativen über- haupt diskutiert worden sind. Kontroversen und Streit sind unpopulär. Strauß aber hat bis zur Kompromiss- findung keine Auseinandersetzung gescheut. DP: Käme er von seiner Wolke herab und würde er Karikatur: Horst Haitzinger Horst Karikatur: sich mit seinem Zorn und seiner Wortgewalt in die „Ich bin weder Heili- Wahlkämpfe einmischen – würden sich die Men- ger noch Dämon, ich schen wieder mehr für Politik begeistern und wie- bin kein ausgeklügelt der in wachsender Zahl zur Wahl gehen? Buch, sondern ein Möller: Ein Strauß würde den Politikbetrieb sicher Mensch in seinem interessanter machen. Einer, der so farbig und so Widerspruch.“ witzig reden kann, hat einen besonderen Unterhal- tungswert. Strauß konnte durch die Macht seiner Franz Josef Strauß 1977 Sprache, die Farbkräftigkeit und die Pointensicher- in einem Interview heit seine Zuhörer unterhalten. Er war auch der Meinung, wir brauchen keine Harmonievereine als Parteien, dann könnten wir gleich dicht machen. Zwischen ihm und dem heutigen Stil zeigt sich ein unterschiedliches Verständnis demokratischer Poli- tik. Dass es Politiker wie Strauß nicht mehr gibt, ist eine Verarmung – nicht nur wegen seiner fesselnden Rhetorik, sondern auch bei der sachlichen Diskussi- Die Störche haben es geahnt: Franz Josef Strauß wurde zum meist karikierten Politiker in der Bundesrepublik. Zum Geburtstag on von Alternativen. Insofern könnte ein Franz Josef hat die Hanns-Seidel-Stiftung in einem Karikaturen-Band zusam- Strauß heute die wahlmüden Deutschen durchaus mengestellt, der gegen eine Gebühr von 5 Euro zu erwerben ist. wieder mehr für die Politik interessieren. 

Der Peutinger 11 / 2015 33 den Grundlagenvertrag. Bonner Palais Schaumburg glied Michael Kohl im (r.) undSED-Politbüro-Mit- dere Aufgaben EgonBahr Bundesminister fürbeson- unterzeichnen derdamalige Am 8.November 1972 25 Jahre deutsche Einheit: Ein Schlüssel Bayern lag in dazu finita Nix 34 25 Jahren. vor Stimmung die an senior Bush George US-Präsident malige da der sich erinnert gegeben, einigung“ Ver die gegen stand Wider viel „sehr es habe Großbritannien und Frankreich ten Verbünde den Bei POLITIK UND WIRTSCHAFT UND POLITIK - - - - F als Geschenk wahrgenommen. Geschenk als verlaufen. gut Selbstverständlichkeitallem eherEinheitals denn die in wird danach Jahre 25 alles Recht sei zu ist Wiedervereinigung Mehrheitdie Meinung, große der Die Erinnerungen. ferne sind Grenze der „neuen Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel Konsequenz automatische wenige oder mehr als gerne Wiedervereinigung die wird Nachhinein Im von Deutschland. Wir reden vom Wetter“. reden „Alle garplakatierten Grünen Die Vogel)ab. Lafon (Oskar Schwachsinn“ „historischen Schröder), (Gerhard einigung als „reaktionär und hochgradig gefährlich“ Wiedervereine Gedankenan Politikerjeden grüne ber 1989 lehnten führende sozialdemokratische und Novem9. am Maueröffnung der Selbstnach leben. eingestellt, für immer in zwei getrennten Staaten zu darauf längst Jahren 25 vor sich hatte Deutschen te, wie Willy Brandt es formulierte. Die Mehrheit der von 1990 an zusammenwuchs, was zusammengehör Dabei war es alles andere als selbstverständlich, dass Müller-Vogg Hugo Mauer, Stacheldraht und tödliche Schüsse an der innerdeutschen innerdeutschen der an Schüsse tödliche und Stacheldraht Mauer, mehr. Thema kein Einheit deutsche die ist Deutschen meisten die ür an) dr ilsoä“ (Hans-Jochen „illusionär“ oder ­taine) - - - zur Entspannung und zu menschlichen Erleichte menschlichen zu und Entspannung zur VerträgeMoskauer die dass ist,dargestellt.Richtig den Grundlagenvertrag mit der DDR von 1972als von DDR der mit Grundlagenvertrag den von Franz Josef Strauß, übersehen.häufig Der hatte Beitrag Bayerns zur deutschen Einheit, genauer: der der Ostverträgenwird den mit Zusammenhang Im chen konnte damals nur, wer die Einheit auch wollte. te sie geschickt. Dabei erwies sich: Die Einheit errei historische Chance zur Wiedervereinigung und nutz sich Helmut Kohl vehement entgegen. Er erkannt die stellteWirtschaft.gelenktenDem einer mit alismus sozusagen als Model für einen demokratischen Sozi gewesen–unsympathisch nicht DDR unabhängige selbständige,TeilenMoskauvoneine Deutschlands 1989/90PolitikernAber beiden vielen ben. in wäre ha beigetragen Deutschland geteilten im rungen Der Peutinger 11 Peutinger / Der 2015 - - - - -

Karikatur: Horst Haitzinger

Foto: REGIERUNGonline/Alfred Henning POLITIK UND WIRTSCHAFT

verfassungswidrig bekämpft, weil er dem Wieder- nicht dem Geist der bayerischen Verfassung. Aber vereinigungsgebot des Grundgesetzes widerspreche. Strauß setzte sich mit der ihm eigenen Härte durch. Der CSU-Vorsitzende und die CSU-Landesgruppe Am Ende stimmten acht Minister für und sechs ge- schafften es jedoch nicht, die CDU/CSU-Bundestags- gen die Klage. Strauß nannte das später beschöni- fraktion zu einem Gang nach Karlsruhe zu bewegen. gend eine „große und klare Mehrheit“. Viele in der CDU fürchteten den medialen Gegen- Die Karlsruher Richter verwarfen den Grundlagen- wind. Auch war Brandts Kurs in der Bevölkerung viel populärer als verfassungsrechtliche Bedenken vertrag nicht als verfassungswidrig, trafen jedoch gegen eine Politik, die faktisch auf das friedliche Ne- wesentliche Feststellungen: Dass das Wiederverei- beneinander zweier deutscher Staaten abzielte. Al- nigungsgebot des Grundgesetzes alle Verfassungs- so versuchte Strauß die bayerische Landesregierung organe – ungeachtet der Moskauer Verträge – binde, für eine Klage zu gewinnen. Doch Ministerpräsident dass „Gesamtdeutschland“ unverändert existiere, Alfons Goppel wollte nicht. Er beschied Strauß, mit dass DDR-Bürger „Deutsche im Sinne des Grund- zwei Ausnahmen wäre das ganze Kabinett gegen ei- gesetzes“ blieben. Gerade der letzte Punkt sollte ne Klage – causa finita. sich in der Wendezeit als ganz wichtig erweisen: Unsere Botschaften in Prag oder Budapest konn- Strauß war damals CSU-Vorsitzender und Bundestags­ ten Menschen mit DDR-Pass nur deshalb Zuflucht abgeordneter; Mitglied des bayerischen Kabinetts und Schutz gewähren, weil sie im rechtlichen Sinn war er nicht. Er bestand dennoch auf einer Kabinett- Staatsangehörige der Bundesrepublik waren. Dass sitzung zum Thema Grundlagenvertrag, an der er als Strauß ein gutes Jahr vor dem Mauerfall starb und CSU-Vorsitzender ganz selbstverständlich teilnahm. somit die Wendezeit nicht mehr mitgestalten konn- Foto: Laurenze Chaperon In seinen Memoiren berichtet Strauß von einer „er- te, war deshalb eine besondere Tragik. bitterten dreistündigen Redeschlacht“. Dabei warnte Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in er die CSU-Minister, durch ein Nein zu einer Klage Nein, die Wiedervereinigung vor 25 Jahren war Berlin. Er hat zahlreiche die Glaubwürdigkeit ihres Parteivorsitzenden „in ge- keine Selbstverständlichkeit. Helmut Kohl ging zu Bücher über prominente fährlicher Weise zu beschädigen“. Die Instrumentali- Recht als „Kanzler der Einheit“ in die Geschichte Politiker geschrieben, darunter auch über Bundes- sierung einer Landesregierung für die Deutschland- ein. Aber der bayerische Beitrag ist mehr als eine kanzlerin Angela Merkel. politik eines Parteivorsitzenden entsprach sicherlich Fußnote.  www.hugo-mueller-vogg.de

Der Peutinger 11 / 2015 35 POLITIK UND WIRTSCHAFT © Bundespolizei

Verwundete Seelen

as Bild hängt an einer Stellwand in einer Halle Die Bilder sind ein Blick in verwundete Kinderseelen. Bilder, von Din Passau, in der Flüchtlinge registriert wer- denen jedes tief berührt. Eines fällt besonders ins Auge, gezeich- den. Kinder, die in den vergangenen Wochen, Mo- net von einem Buben, der auch seinen Namen aufgeschrieben hat: Mohammed Nor. Er hat das Blatt mit einem orangefarbenen naten und Jahren vor und auf der Flucht Bomben, Stift in zwei Hälften geteilt: Links die Verzweiflung mit Toten Leid und Tod erleben mussten, haben während der und Verstümmelten, mit Trümmern und syrischer Flagge. Rechts oft langen Wartezeit ihre Gefühle mit Buntstiften die Hoffnung mit Friedenszweig und heilem Haus, mit drei Her- auf karierte Blätter gemalt. zen um das Wort „Polizi“ und um die deutsche Flagge. Die rechte Seite macht warm ums Herz und lässt erahnen, wie wichtig gerade für Kinder die Willkommenskultur der letzten Wochen war. Mohammed und viele tausend weitere junge Men- schen sind in Sicherheit. Haben wieder eine Chance für ein fried- liches Leben. Das Bild macht zugleich aber auch beklommen, weil es auch unsere Beschränktheit zeigt: Alle diese Kinder und ihre Eltern, die vor Fassbomben und blutrünstigen Islamisten fliehen, wünschen wir Sicherheit und Geborgenheit. Aber wir wissen zugleich: Sie alle bei uns aufzunehmen, würde uns über- lasten, würde unsere Gesellschaft zerreißen. Es hilft nichts: Wir müssen den Zuzug beschränken und darauf hinwirken, die Ursachen der modernen Völkerwanderung zu be- seitigen; was hoffentlich eher eine Herkules- als eine Sisyphus- arbeit sein wird. Und wir müssen unsere Kraft darauf konzen- trieren, die Hunderttausende, die schon zu uns geströmt sind, aufzunehmen als neue Mitbürger. Damit das Bild mit den drei roten Herzen mehr wird als nur eine Hoffnung.  Peter Schmalz

36 Der Peutinger 11 / 2015 Bild: tiny.cc/SyriaFreedom Bild: PEUTINGER-COLLEGIUM

1 Neues Heim für Mensch und Natur as Museum „Mensch und Natur“ in einem Nebengebäude des DNymphenburger Schlosses ist eines der am meisten Museen in Bayern. Eine der Attraktionen ist der lebensnah als Honigräuber präsentierte Bär Bruno, der als „Problembär“ Schlagzeilen machte und der 2006 in den bayerischen Alpen erschossen wurde. Der Er- folg seines vor allem bei Schulkindern beliebten Museums erfreut Direktor Professor Dr. Gerhard Haszprunar, doch der Zoologie- Pro- fessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direk- tor der Zoologischen Staatssammlung München und Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns hat noch viel größere Pläne, wie er dem Peutinger-Collegium bei einem außergewöhnlichen Museums-Abend erläuterte: Das Museum soll mehr als verdoppelt und zu dem großen bayerischen Naturkunde- museum erweitert werden. 87 Millionen hat der Freistaat dafür zur Verfügung gestellt, 2017 soll mit dem Bau begonnen und drei Jahre später das neue Museum eröffnet werden. Statt der heute 200.000 Besucher erwartet Professor Haszprunar dann über 600.000 im Jahr.

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Fördern und spenden Dreigroschenoper verbindet „Eine Museumsattraktion für und in ganz Bayern, die auch international konkurrenz- Herzlicher Empfang in Salzburg: In der Pause von fähig ist“, erhofft sich Dr. Auguste von Bayern, Prinzessin zur Lippe, vom künftigen Brechts „Dreigroschenoper“, die in der Felsenreitschu- Naturkundemuseum in München, zu dem das bisherige Museum „Mensch und Natur“ le in einer Neufassung aufgeführt wurde, begrüßte ausgebaut werden soll. Zu diesem Zweck hat die wittelsbacher Adelige gemeinsam Kommerzialrat Heinrich Spängler (Bild li.) die Peutin- mit Professor Randolf Rodenstock den Vorstand des „Förderkreises NaMu Bayern e.V. ger-Mitglieder. „Ich hoffe, wir können unseren guten übernommen. Er wolle mithelfen, dass das Neu- Kontakt künftig noch intensivieren“, meinte der Prä- bauprojekt in Öffentlichkeit und Politik nichts sident der Freunde und Förderer der Salzburger Fest- an Dynamik verliert, erklärte ihr Ehemann spiele. Peutin- Ferdinand Prinz zur Lippe (Bild links mit ger-Chefredakteur Prof. Dr. Bernd Grottel) beim Peutinger-Abend Peter Schmalz die Ziele des Fördervereins, der bereits über dankte und lud 250 Mitglieder zählt. Spenden ab 1 Euro sind Präsident Späng- willkommen, Fördermitglieder spenden ab ler zu einem Be- 100 Euro jährlich. such nach Mün- Weitere Informationen unter: www.namu-bayern.de chen ein.

Der Peutinger 11 / 2015 37 PEUTINGER-COLLEGIUM Veranstaltungen Vorschau 2015 Mittwoch, 11. Mai 2016 Mittwoch 28. Oktober 2015 Dr. rer. pol. Ralf P. Thomas Energiekonferenz Finanzvorstand der Siemens AG

Donnerstag, 9. Juni 2016 Mittwoch, 21. Oktober 2015 Dr. Frank-Jürgen Weise Prof. Rupert Stadler Vorstandsvorsitzender der Vorstandsvorsitzender Bundesagentur für Arbeit AUDI AG

Dienstag, 12. Juli 2016 Dr. Christian Franckenstein Vorsitzender der Geschäftsführung Vorschau 2016 der Bavaria Film GmbH

Donnerstag, 21. Januar 2016 Mittwoch, 14. September 2016 Professor Dr. Ulrich Herbert Ulrike Scharf, MdL Lehrstuhl für Neuere und Neuste Geschichte, Bayerische Staatsministerin für Umwelt Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Verbraucherschutz

Donnerstag, 4. Februar 2016 Donnerstag, 13. Oktober 2016 Dr. Rüdiger Grube Dr. Johannes-Jörg Riegler Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Vorsitzender des Vorstandes Bahn AG und der DB Mobility Logistics AG der Bayern LB

Mittwoch, 2. März 2016 Donnerstag, 10. November 2016 Raimund Thomas Dieter Reiter Galerist Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München

Mittwoch, 6. April 2016 Donnerstag, 15. Dezember 2016 Prof. Dr. Ulrich Walter Wolfgang Kubicki Astro­naut, Ordinarius für Raumfahrttechnik an stv. FDP-Bundes­vorsitzender und FDP-Fraktions­ der Technischen Elite-Universität München chef im Landtag von Schleswig-Holstein

Terminänderungen vorbehalten. Bitte zeitnahe Ankündigungen auf der Homepage www.peutinger-collegium.de beachten!

Impressum

Der Magazin für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft Peutinger und Kultur Bayerischer Monatsspiegel

Redaktion Herausgeber Gestaltung/Realisierung/ Druck Peter Schmalz (Chefredakteur) Peutinger-Collegium e.V. Anzeigen/Druckunterlagen REPRODUKT digital GmbH Thomas Breitenfellner Geschäftsstelle Herbert Schmid Stahlgruberring 20 Michael Weiser c/o MERKUR BANK KGaA HS Grafik- und 81829 München Farchanter Straße 35 Bayerstr. 33 Kommunikationsdesign 81377 München 80335 München Vierkirchener Straße 2 [email protected] [email protected] 85256 Vierkirchen / Giebing Bezugspreis ist im Leserbriefe an die Redaktion www.peutinger-collegium.de [email protected] Mitgliedsbeitrag enthalten

38 Der Peutinger 11 / 2015 1964 – 2014

…alles andere, als allgemein…

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