<<

A Service of

Leibniz-Informationszentrum econstor Wirtschaft Leibniz Information Centre Make Your Publications Visible. zbw for Economics

Konrad, Kai A. et al.

Article — Published Version Steuerflucht und Steueroasen

Wirtschaftsdienst

Suggested Citation: Konrad, Kai A. et al. (2013) : Steuerflucht und Steueroasen, Wirtschaftsdienst, ISSN 1613-978X, Springer, Heidelberg, Vol. 93, Iss. 6, pp. 359-376, http://dx.doi.org/10.1007/s10273-013-1536-y

This Version is available at: http://hdl.handle.net/10419/113709

Standard-Nutzungsbedingungen: Terms of use:

Die Dokumente auf EconStor dürfen zu eigenen wissenschaftlichen Documents in EconStor may be saved and copied for your Zwecken und zum Privatgebrauch gespeichert und kopiert werden. personal and scholarly purposes.

Sie dürfen die Dokumente nicht für öffentliche oder kommerzielle You are not to copy documents for public or commercial Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, öffentlich zugänglich purposes, to exhibit the documents publicly, to make them machen, vertreiben oder anderweitig nutzen. publicly available on the internet, or to distribute or otherwise use the documents in public. Sofern die Verfasser die Dokumente unter Open-Content-Lizenzen (insbesondere CC-Lizenzen) zur Verfügung gestellt haben sollten, If the documents have been made available under an Open gelten abweichend von diesen Nutzungsbedingungen die in der dort Content Licence (especially Creative Commons Licences), you genannten Lizenz gewährten Nutzungsrechte. may exercise further usage rights as specified in the indicated licence. www.econstor.eu DOI: 10.1007/s10273-013-1536-y Zeitgespräch

Steuerfl ucht und Steueroasen

Die Debatte über Offshore-Leaks und die sehr geringen Steuerzahlungen großer multinationaler Konzerne haben das öffentliche Interesse auf das Problem „Steueroasen“ gelenkt. Wenn Konzerne Steuersatzunterschiede zwischen verschiedenen Ländern ausnutzen, kann Steuergestaltung durchaus legal sein. Werden aber steuerpfl ichtige Einkommen von Privatpersonen nicht deklariert, ist das illegal. Maßnahmen dagegen können neben der Aufdeckung von Straftaten an verschiedenen Stellen ansetzen: bei den Steuersätzen, der Regulierungsintensität, der Bemessungsgrundlage und den Informationspfl ichten. Werden die bestehenden Steueroasen ausgetrocknet, kann dies allerdings dazu führen, dass sich in großen Staaten neue Steueroasen herausbilden.

Kai A. Konrad Lässt sich der Kampf gegen die Steueroasen gewinnen?

Der Kampf gegen Steueroasen macht Fortschritte. dem Zugriff des Fiskus in ihren Hauptsitzländern auszu- Das jedenfalls ist der Eindruck, den der Leser der Wirt- setzen, stehen am öffentlichen Pranger. schaftspresse derzeit gewinnen könnte. Bollwerke bre- chen ein. Die USA „knackt“ das Schweizer Bankgeheim- Indes, ein Blick zurück macht weniger zuversichtlich. nis, jedenfalls für amerikanische Steuerbürger. Mit dem Steuerfl üchtlinge gibt es nicht erst seit gestern, und der „Agreement between the United States of America and „Kampf gegen die Steuerfl ucht“ ist alt. Gegen Ende des Switzerland for Cooperation to Facilitate the Implemen- Ersten Weltkriegs beispielsweise war für Vermögende die tation of FATCA“ scheint man jedenfalls auf dem Wege Versuchung noch größer als heute, aus Deutschland ab- zu sein. Luxemburg hat sich jüngst bewegt und signa- zuwandern. Die Politik hat damals mit dem „Gesetz gegen lisiert, das Bankgeheimnis bis 2015 zu lockern. Öster- die Steuerfl ucht“ reagiert.3 Steuerskandale stehen seit reich knickt ein. Eine Einigung über den Informationsaus- Jahrzehnten im Fokus der öffentlichen Debatte. Nur die tausch innerhalb der gesamten EU scheint gar für 2014 Methoden, die zur Anwendung kommen, verändern sich. im Rahmen des Möglichen.1 Man liest, dass die britische Die sogenannte Flick-Affäre hatte ihren Ausgangspunkt in Regierung auf ihre Überseegebiete und Kronbesitzungen einer drohenden Steuerschuld für den Konzern, die aus einwirken möchte. Die Transparenz der Steuerdaten soll einem Aktienverkauf im Jahre 1975 resultierte. Pressebe- verbessert und die Besitzverhältnisse von Unternehmen richten zufolge gelang es der Konzernführung, die Steu- oder Stiftungen offengelegt werden.2 CDs mit den Da- erschuld durch politische Einfl ussnahme abzuwenden.4 ten von Steuerfl üchtlingen oder große Datenpakete mit Der Kaufhauskönig Helmut Horten verkaufte vor vielen brisanten Dossiers werden von Finanzämtern erworben Jahrzehnten seinen Konzern, wanderte in die Schweiz oder kursieren unter investigativen Journalisten. Nach- aus, und – Dank einer Lücke in der Steuergesetzgebung – dem die OECD eine Reihe von Staaten auf eine „schwar- blieb der 1,2 Mrd. DM schwere Erlös steuerfrei.5 ze Liste“ gesetzt hat, bemühen sich viele dieser Staaten durch entsprechende Abkommen, von diesen Listen zu Was wir heute beobachten, ist so gesehen nicht so ein- verschwinden. Große Unternehmen, die Milliardengewin- malig. Es ist vielmehr eine neue Runde in einem Wett- ne aus Hochsteuerländern ganz legal in Steueroasen ver- streit, der seit vielen Jahrzehnten andauert. Die moderne lagern und dort erst einmal parken, statt sie unmittelbar Informationsgesellschaft schafft bekanntlich eine neue

3 Vgl. K. A. Konrad, H. Zschäpitz: Schulden ohne Sühne? Warum der Absturz der Staatsfi nanzen uns alle trifft, München 2010, S. 159. 1 Vgl. DW-online, http://www.dw.de/bankgeheimnis-in-der-eu-soll- 4 Vgl. SZ-Online, http://www.sueddeutsche.de/politik/fl ick-affaere-die- endg%C3%BCltig-fallen/a-16827886 (21.5.2013). gekaufte-republik-1.804859 (21.5.2013). 2 Vgl. SZ-Online, http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1453326 5 Vgl. Spiegel Online, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13525455. (21.5.2013). html (21.5.2013).

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 359 Zeitgespräch

Situation. Der moderne internationale Zahlungsver- re Möglichkeiten der Steuergestaltung zu eröffnen.7 Sie kehr, Veränderungen in den internationalen Waren- und können beispielsweise die Besitzverhältnisse von Kapi- Dienstleistungsbeziehungen, die internationale Handels- talanlagen von Privatpersonen gegenüber deren Wohn- verfl echtung, aber auch Finanzmarktinnovationen und sitzländern verschleiern. So bleiben Kapitaleinkünfte die digitale Revolution in der Kommunikationstechnologie dem Finanzamt im Wohnsitzland verborgen. verändern die Spielregeln. Das Informationsmanagement steht vor neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Fantasievollere und zudem lukrative und legale Geschäf- „Privacy“ wird schwieriger, und das gilt auch im Bereich te eröffnen sich in Steueroasen für Unternehmen. Ein Un- der Kapitalanlagen und Finanzmarkttransaktionen. Beide ternehmen beispielsweise, das in einem Hochsteuerland Seiten, also die Steuervermeider wie auch die Steuer- mit einem patentrechtlich geschützten Produkt seine behörden, werden auf die neue Situation reagieren. Auf Umsätze erzielt, kann in einer Steueroase eine Tochter Dauer wird wohl keine Seite gewinnen, weder die Hoch- gründen und dieser Tochter die Rechte an dem Patent steuerstaaten, deren Regierungen großen Finanzhunger übertragen. Das Unternehmen kann dann in gewissem haben, noch die internationalen Unternehmen oder die Umfang darüber entscheiden, welche Gebühren dieses Reichen oder Superreichen unter den Steuerbürgern. Tochterunternehmen dem im Hochsteuerland tätigen Un- ternehmen für die Nutzung dieses Patents in Rechnung Die Natur des Phänomens stellt. So kann das Unternehmen seine Gewinne aus dem Hochsteuerland in die Steueroase verlagern. Dort fallen „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleis- erst einmal keine oder fast keine Körperschaftsteuern tung für eine besondere Leistung darstellen“, so legt es an. Erst wenn die Gewinne in ferner Zukunft einmal an § 3 der Abgabenordnung in Deutschland fest. Insgesamt die Anteilseigner ausgeschüttet werden sollten, müssten mag der Staat mit den Steuereinnahmen mehr oder we- diese Gewinne versteuert werden. niger nützliche Dinge anstellen. Wir besteuern uns doch letztlich selbst – wie und Jon Bakija mit ih- Für die Verlagerung von steuerlichen Gewinnen gibt es rem Buchtitel „Taxing Ourselves“ den Sachverhalt zutref- eine Reihe von Methoden. Nicht nur Patente und Marken- fend beschreiben.6 Aber für den einzelnen Bürger steht rechte, auch die Finanzierungsstruktur von Konzernen seinen Steuern nun einmal keine konkret messbare Ge- lässt sich zur Gewinnverlagerung in Steueroasen nutzen. genleistung gegenüber, die direkt und erkennbar mit sei- Für diese Steuersparmodelle benötigt man Steueroasen, ner eigenen Steuerzahlung korrespondiert und die ihm also Orte, in denen die Unternehmen ihre Gewinne un- ein direktes Gefühl der Kompensation für das Zahlen von ter sehr günstigen steuerlichen Bedingungen viele Jahre Steuern geben könnte. Er empfi ndet seine Steuerzahlung thesaurieren können. deshalb als Last. Kein Wunder, dass er Phantasie entwi- ckelt und versucht, Steuern zu vermeiden. Für Kapital- Anders als das Hinterziehen von Kapitaleinkommen- gesellschaften ist das Steuern-Sparen als Teilaspekt der steuern sind viele Formen der Gewinnverlagerung ganz Gewinnmaximierung sogar geradezu eine Komponente legal. Die Finanzminister von Hochsteuerländern versu- des primären Unternehmensziels. chen seit Jahren, durch ein immer dichteres Netz an Vor- schriften und Beschränkungen die legalen Möglichkeiten Hilfestellung erhalten Steuerzahler wie Unternehmen von einzudämmen. Gewinnverlagerung durch interne Ver- vielen Seiten. Ratgeberbücher offenbaren dem einfachen rechnungspreise, bei denen Konzernteile sich bestimm- Steuerbürger „Steuertricks“. Steuerberater helfen dem te Zwischenprodukte zu Fantasiepreisen in Rechnung Steuerzahler ebenfalls. Sie können z.B. auf Korrespon- gestellt haben, war früher beliebt. Dem „Kampf“ gegen denzlücken im Steuerrecht aufmerksam machen und auf solche Machenschaften verdankt man heute ein dichtes steuerlich besonders günstige Gestaltungsformen der Regelwerk, dessen Einhaltung viel Fachwissen erfordert, Unternehmensfi nanzierung oder der juristischen Unter- das Unternehmen aber Rechtssicherheit verschafft und nehmensstruktur hinweisen. vor Doppelbesteuerung schützt. Für die Gewinnverlage- rung spielen Transferpreise heute vermutlich eine gerin- Auf den Plan treten aber auch andere Helfer: die „Steuer- oasen“. Es handelt sich dabei zumeist um kleine Staaten 7 Vgl. hierzu beispielsweise die Arbeiten von J. R. Hines Jr.: Treasure oder Territorien, die ihre Souveränität oder ihren regula- Islands, in: Journal of Economic Perspectives, 24. Jg. (2010), H. 4, S. 103-125; oder J. Slemrod: Why Is Elvis on Burkina Faso Postage tiven Sonderstatus nutzen, um Steuerpfl ichtigen weite- Stamps? Cross-Country Evidence on the Commercialization of State Sovereignty, in: Journal of Empirical Legal Studies, 5. Jg. (2008), H. 4, S. 683-712. Die Arbeiten zeigen, dass Steueroasen typischerweise klein sind, im Verhältnis zum Finanzsektor, den sie beheimaten, wenig 6 Vgl. J. Slemrod, J. M. Bakija: Taxing Ourselves: A Citizen’s Guide to weitere wirtschaftliche Aktivität aufweisen, und über ein gutes und the Debate Over , Cambridge MA 1996. funktionsfähiges Rechtssystem verfügen.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 360 Zeitgespräch

Prof. Dr. Christoph Spengel ist gere Rolle: Die Gewinnverlagerung erfolgt durch andere Professor für Allgemeine Betriebswirt- Methoden. schaftslehre und Betriebswirtschaft- liche Steuerlehre an der Universität Die Steueroase lässt sich ihre Dienste bezahlen. Die Mannheim und Research Associate Staatspräsidenten von Steueroasen oder deren Behör- am ZEW. den sind selten die direkten Dienstleistenden. Vielmehr siedeln sich in den Steueroasen privatwirtschaftlich or- ganisierte Helfer an. Banken öffnen den Steuerhinterzie- hern mit ihren Geldkoffern ihre Türen. Notare, Anwälte und andere Dienstleister helfen bei der Gründung und PD Dr. Markus Leibrecht ist Referent Verwaltung von Tochterunternehmen oder Konzernhol- für Öffentliche Finanzen am Österrei- dings, zu denen die Gewinne aus Hochsteuerländern chischen Institut für Wirtschaftsfor- verlagert werden sollen, oder sie bieten Konstruktionen schung (WIFO) in Wien. an, mit denen sich steuerlich relevante Sachverhalte in der vom Auftraggeber gewünschten Weise verschleiern lassen. Die gesamte Branche schafft viele gute Arbeits- plätze in der Steueroase. So profi tiert die Steueroase di- rekt in Form von Gehältern, Provisionen und Büromieten sowie in Form von Verwaltungsgebühren und geringfügi- Dr. Margit Schratzenstaller ist gen Steuern. Referentin für Öffentliche Finanzen am Österreichischen Institut für Wirt- schaftsforschung (WIFO) in Wien.

Prof. Dr. Manfred Gärtner lehrt Volkswirtschaftslehre an der Univer- sität St. Gallen und ist Direktor der Forschungsgemeinschaft für National- ökonomie.

Die Autoren des Zeitgesprächs

Prof. Dr. Kai A. Konrad ist Prof. Dr. Thiess Büttner ist Inhaber Direktor am Max-Planck-Institut des Lehrstuhls für Volkswirtschaftsleh- für Steuerrecht und Öffentliche re, insbesondere Finanzwissenschaft, Finanzen in München. an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. ©David Ausserhofer ©David

Dr. Jost H. Heckemeyer ist Aka- Carolin Holzmann, Dipl.-Volkswirtin, demischer Rat am Lehrstuhl für ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Allgemeine Betriebswirtschafts- Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, lehre und Betriebswirtschaftliche insbesondere Finanzwissenschaft, an Steuerlehre II an der Universität der Friedrich-Alexander-Universität Mannheim und zudem Research Erlangen-Nürnberg. Fellow am ZEW.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 361 Zeitgespräch

Die Rolle der Marktstruktur gig und erfolgversprechend voran. Vielleicht ist das die Phase, die wir momentan gerade beobachten. Steueroasen stehen in Konkurrenz zueinander.8 Wenn es verschiedene Anbieter gibt, die letztlich ähnliche Pro- Schreitet der Prozess aber hinreichend weit voran, wird dukte offerieren, drückt das die Preise. Das gilt auch für für die Oasen, die noch übrig sind, das Geschäft mit der Steueroasen. Gibt es viele Steueroasen, dann hat jede Steuerfl ucht immer lukrativer. Sie gewinnen nicht nur die Steueroase einen kleinen Anteil am Gesamtgeschäft. Zu- Marktanteile der Oasen, die ausgestiegen sind. Wichti- dem sind dann die Margen klein, die sich im Preiskampf ger noch: Die Wettbewerbssituation zwischen den Oasen mit anderen Anbietern herausbilden. Im Extremfall sind entschärft sich. Die Margen, die sie in der neuen Situ- einzelne Steueroasen perfekte Substitute füreinander, ation durchsetzen können, werden höher. Jede verblei- haben keine Kapazitätsgrenzen und stehen im Bertrand- bende Steueroase hat mehr Kunden, und jeder muss hö- wettbewerb zueinander. Die Gewinne, die aus ihrem Ge- here Verwaltungsgebühren und Steuern in Kauf nehmen. schäft resultieren, sind dann fast null. In der Diskussion Steigt der Druck auf die Oasen nicht immer weiter an, so um die Abschaffung des Bankgeheimnisses in Europa kommt der Prozess des Marktaustritts deshalb irgend- wird gelegentlich auf den Wettbewerbsaspekt im Ver- wann zum Halten. Dies ist eine Situation, in der die Zahl hältnis zwischen der Schweiz, Österreich und Luxem- der Steueroasen kleiner ist als heute. Die Möglichkeiten, burg verwiesen.9 die Steueroasen bieten, bleiben aber im Kern erhalten. Ob diese Situation für alle Beteiligten eine Verbesserung Steueroasen versuchen, dieses Wettbewerbsproblem bringt, ist nicht klar. Die Steuervermeidung bzw. Steuer- zu umschiffen. So ist zu beobachten, dass sich Steuer- fl ucht wird kostspieliger, denn die Steueroasen können oasen herausbilden, die mit besonderen Geschäftsmo- für ihre Leistungen höhere Gebühren durchsetzen. Das dellen werben, auf bestimmte Aktivitäten spezialisiert mag auch das Ausmaß reduzieren, in dem die Dienste sind, oder die sich auf Kunden aus bestimmten Ländern von Steueroasen in Anspruch genommen werden. Die oder Ländergruppen konzentrieren. Dem Wettbewerb verbleibenden Steueroasen jedenfalls erzielen höhere zu entkommen, ist ein schönes Ziel, aber schwierig zu Profi te, und für diese höheren Profi te zahlen letztlich die erreichen. Angesichts der Vielzahl der Anbieter gibt es Ansässigen in den Hochsteuerländern. trotz solcher Versuche der Produktdifferenzierung Über- lappungen in den Produkten oder Produktbereichen, so Wenn die Dienstleistungen von Steueroasen im Zuge dass Konkurrenz entsteht. Diese Konkurrenz drückt die des Konsolidierungsprozesses immer lukrativer werden, Margen der Steueroasen. könnte man sich auch vorstellen, dass sich neue Steu- eroasen herausbilden, die mitverdienen möchten. Zur In dieser Welt treten die OECD und andere multilaterale Steueroase zu werden, ist indes nicht ganz einfach. Eine oder internationale Organisationen als Interessengrup- Steueroase benötigt ein geschäftsfreundliches und gut pen im Kampf gegen Steueroasen auf. Sie üben politi- funktionierendes Rechtssystem. Und sie muss vor allem schen oder wirtschaftlichen Druck auf die Steueroasen über die nötige Reputation verfügen, dass sie den Infor- aus und wirken darauf hin, dass die Steueroasen ihr Ge- mationsschutz, den sie den Flüchtlingen gewährt, nicht schäftsmodell aufgeben oder anpassen. In einer Situati- wenig später aufgibt. Der Einstieg ins Geschäft der Steu- on, in der sich das Geschäft auf viele Steueroasen aufteilt eroasen ist deshalb schwierig. So ist es eher die Frage, und die Konkurrenz zudem die Margen verdirbt, geben welche Steueroasen letztlich übrig bleiben werden. Die einzelne Steueroasen diesem Druck schnell nach. Das Vermutung liegt nahe, dass es sich um die Geschäfts- Geschäft wirft angesichts der Konkurrenz ohnehin nicht plätze handelt, die dem Druck gut standhalten können. viel ab. Wenig Druck genügt deshalb, einige Steueroa- sen zur Geschäftsaufgabe zu bewegen, oder zumindest Natürliche Kandidaten sind deshalb Steueroasen, die ei- solche Geschäftsmodelle einzustellen, auf denen der öf- ne große souveräne Staatsmacht hinter sich wissen, und fentliche Druck besonders lastet. Für die verbleibenden die sich mit ihrem Geschäft auf Kunden konzentrieren, Steueroasen verändert sich erst einmal nur wenig, und die nicht in dem Gebiet der betreffenden Staatsmacht so schreitet der Prozess der Austrocknung zunächst zü- ansässig sind. Hongkong beispielsweise ist so betrach- tet ein guter Kandidat, als Steueroase für die nicht-chine- sische Welt zu dienen und den derzeitigen Sturm gut zu

8 Vgl. hierzu die theoretische Analyse von M. Elsayyad, K. A. Konrad: überstehen. Ähnliche Gebietskörperschaften könnte es Fighting Multiple Havens, in: Journal of International Economics, unter der Schirmherrschaft der USA oder Russlands ge- 86. Jg. (2012), H. 2, S. 295-305. ben, oder sie könnten sich dort herausbilden. Wer heute 9 Vgl. beispielsweise Spiegel Online, http://www.spiegel.de/wirtschaft/ soziales/eu-gipfel-europaeer-vertagen-kampf-gegen-steuerfl ucht- das Ende der Steueroasen ausruft, ist deshalb zu opti- a-901350.html (22.5.2013). mistisch.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 362 Zeitgespräch

Jost H. Heckemeyer, Christoph Spengel Maßnahmen gegen Steuervermeidung: Steuerhinterziehung versus aggressive Steuerplanung

Die Bekämpfung von Steuervermeidung ist derzeit ein lerdings mit einem strikten Bankgeheimnis, das von vielen zentraler Aspekt der nationalen und internationalen Steu- Finanzplätzen herangezogen wird, um sich dem Informa- erpolitik. So treten neben der EU die OECD sowie die tionsaustausch mit dem Wohnsitzstaat zu entziehen. Eine G20-Staaten mit Nachdruck für entsprechende Schritte Alternative ist die anonyme Besteuerung der Vermögens- ein. Bei der Steuervermeidung ist zwischen Steuerhinter- erträge unmittelbar an der Quelle mit anschließendem ziehung und sogenannter aggressiver Steuerplanung zu Transfer des Aufkommens an den Wohnsitzstaat. unterscheiden.

Steuerhinterziehung umfasst die Nichtdeklaration steu- Die Politik auf der Ebene der Europäischen Union erpfl ichtiger Einkünfte, die durch im Ausland gehaltenes Vermögen erzielt werden. Bei diesen eindeutig illegalen Diese Lösung wurde so auch bei der Implementierung der Praktiken kommen die Steuerpfl ichtigen ihrer gesetzli- EU-Zinsrichtlinie im Jahr 2005 mit Belgien, Luxemburg chen Verpfl ichtung zur Steuerentrichtung nicht dem ei- und Österreich sowie den Nicht-EU-Staaten Schweiz, gentlichen Tatbestand entsprechend nach, indem sie Andorra, Liechtenstein, Monaco und San Marino über- Einkünfte vor den zuständigen Behörden des Wohnsitz- gangsweise vereinbart.2 Für alle anderen Staaten der EU staates verbergen. In Deutschland und anderen Ländern bedeutete die Zinsrichtlinie hingegen unmittelbar den haben die Behörden den Fahndungsdruck auf ausländi- Einstieg in einen automatisierten Informationsaustausch sches Schwarzgeld mittels aufsehenerregender Ankäufe über Zinserträge. Die Ausweitung des Anwendungsbe- geheimer Datenbestände aus Ländern wie der Schweiz reichs der Zinsrichtlinie unter anderem auf Stiftungen und oder Liechtenstein zuletzt deutlich erhöht. Treuhandfonds wartet seit Jahren auf ihre Annahme. Die Blockadehaltung insbesondere Luxemburgs und Öster- Aggressive Steuerplanung wird im Gegensatz zur Steuer- reichs gegenüber einem (erweiterten) automatisierten In- hinterziehung nicht von Privatpersonen, sondern von gro- formationsaustausch scheint sich nun jedoch zu lockern.3 ßen multinationalen Unternehmen betrieben. Diese kön- Zudem hat die EU mit einer weiteren Richtlinie den auto- nen das bestehende Recht nutzen, um ihre Steuerschuld matisierten Informationsaustausch mit Wirkung ab 2015 in bestimmten Regionen auf nahezu null zu reduzieren. Im auf weitere Bereiche der direkten Besteuerung ausge- Gegensatz zur Steuerhinterziehung geht sogenannte ag- dehnt.4 Darüber hinaus arbeitet die EU-Kommission an gressive Steuerplanung also in der Regel nicht mit Geset- einem Vorschlag zur Aufnahme von Dividenden und Ver- zesverstößen einher. Darüber hinaus gibt es keine strin- äußerungsgewinnen in den automatisierten Informations- gente Defi nition, wo genau die Grenze zwischen einer üb- austausch.5 lichen und einer aggressiven Steuerplanung verläuft. So kann die Ausnutzung des internationalen Steuergefälles bei der Finanzierung von Auslandsinvestitionen nicht per Die Politik auf globaler Ebene se als aggressiv bezeichnet werden. Sie ist über Struk- turierungen zu erreichen, die wirtschaftlich motiviert und Die auf globaler Ebene agilste Kraft ist die OECD. Sie nicht künstlich sind.1 erstellte Standards, die im Kern einen Informationsaus- tausch auf Anfrage vorsehen. Dieser wird durch bilatera- Generell ist das Interesse an einer soliden Steuerbasis le Vereinbarungen implementiert, entweder im Rahmen und der Eindämmung vor allem der illegalen Steuerhin- von Doppelbesteuerungsabkommen oder, wenn ein sol- terziehung nachvollziehbar und richtig. Zu klären bleibt in- ches nicht besteht, durch sogenannte Tax Information des, wie dies zu erreichen ist. Recht klar ist das geeignete Gegenmittel bei der Bekämpfung der Steuerhinterzie- 2 Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3.6.2003 sowie entsprechende hung. Wo Informationen rechtswidrig kaschiert werden, Zinsabkommen der EU mit den fünf genannten Nicht-EU-Staaten. 3 So hat Luxemburg im April 2013 konkret angekündigt, ab 2015 am au- muss Transparenz hergestellt werden. Dies kollidiert al- tomatisierten Informationsaustausch über Zinserträge teilzunehmen. 4 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammen- arbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung. 1 Grundlegend zur Legitimation internationaler Steuerplanung O. H. Ja- 5 Europäische Kommission: Bekämpfung von Steuerbetrug und Steu- cobs, D. Endres, C. Spengel: Internationale Unternehmensbesteue- erhinterziehung, Beitrag der Kommission zur Tagung des Europäi- rung, 7. Aufl ., München 2011, S. 911 ff. schen Rates am 22.5.2013, S. 7.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 363 Zeitgespräch

Exchange Agreements (TIEA).6 Seitdem sich die G20- austausches auf globaler Ebene zu erwarten. Dennoch ist Staaten in London 2009 vehement für den Informations- der Hinweis auf die potenziellen Kosten des sequentiellen austausch ausgesprochen haben,7 ist die Zahl dieser Ab- bilateralen Ansatzes wertvoll. kommen von etwa 100 auf über 900 gestiegen.8 Über den Implementierungsprozess hinaus stellt sich die Auch auf globaler Ebene besteht ein Trend zum automati- Frage, wie der Informationsaustausch effektiv und effi zi- sierten Informationsaustausch. Voran schreiten die USA, ent organisiert wird. Während in der EU die Institutionen die den umfassenden Informationszugang durch bilatera- zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vorhanden le Abkommen im Rahmen des Foreign Account Tax Com- sind, muss eine Kontrollinstanz vor allem auf globaler pliance Act (FACTA) implementieren. Selbst mit Staaten, Ebene noch etabliert werden. Zentraler Mechanismus zur die sich bisher widersetzt haben, z.B. der Schweiz, wer- Überwachung der Verpfl ichtungen aus den TIEA-Abkom- den FACTA-Abkommen geschlossen.9 Die OECD, ermu- men ist ein bei der OECD angesiedelter Review-Prozess, tigt und angetrieben durch die G8- und G20-Staaten, der zunächst die rechtliche Implementierung der Abkom- arbeitet ebenfalls an der Etablierung des automatisierten men, in einem zweiten Schritt aber auch die praktische Informationsaustausches.10 Letztlich stellt sich aus heu- Umsetzung der eingegangenen Verpfl ichtungen bewer- tiger Sicht somit nicht die Frage, ob es diesen Standard tet. Noch sind jedoch nicht alle Reviews abgeschlossen.12 geben wird, sondern nur in welcher Form er umgesetzt Daher lässt sich derzeit wenig über ihre disziplinierende wird. Wirkung sagen.

Die Effektivität des Informationsaustausches hängt zu- Implementierung und Umsetzung des dem von den zur Verfügung stehenden Daten ab. So sind automatisierten Informationsaustausches die wirtschaftlich Berechtigten von Offshore-Firmen und -Stiftungen oftmals anonym und daher selbst nach na- Vergleicht man die Durchsetzung des Informationsaus- tionalem Recht unbekannt. Dies gilt auch für Aktienge- tausches auf globaler Ebene mit der Vorgehensweise in- sellschaften mit Inhaberaktien. Zur Behebung derartiger nerhalb der EU, so besteht ein wesentlicher Unterschied Datenlücken erscheinen Reformen auch des nationalen darin, dass die EU grundsätzlich einen multilateralen Gesellschaftsrechts notwendig. Inwieweit dies realistisch Ansatz verfolgt, während auf weltweiter Ebene bilatera- und durchsetzbar ist, bleibt zumindest fraglich. les Vorgehen dominiert. Eine interessante Überlegung hierzu fi ndet sich bei Elsayyad und Konrad.11 Letztlich, Schließlich gilt es, für einen effi zienten Informationsaus- so die theoretische Analyse, sei ein sequentielles, bilate- tausch die EDV-technischen Standards zu etablieren. rales Vorgehen gegenüber multilateralen Abkommen mit Bei der derzeitigen Dynamik und Geschwindigkeit der erhöhten Kosten verbunden. Da der „Markt“ der Steuer- Entwicklungen, die nicht zuletzt durch einzelne große Ak- oasen bei einer schrittweisen Strategie nur langsam aus- teure wie die USA und die EU vorangetrieben werden, ist trocknet, wird es nach anfänglichen Erfolgen im Kampf dies eine nicht unwesentliche Herausforderung. Derzeit gegen die Intransparenz für die verbleibenden nicht- zumindest existieren diverse Auskunftsformate, deren kooperierenden Staaten immer rentabler, sich einer Ko- parallele Anwendung für die Finanzbranche mit erhebli- operation auch in Zukunft zu widersetzen. Zwar erscheint chen Kosten verbunden ist. Auch hier plant die OECD die es in der Tat unrealistisch, eine simultane multilaterale notwendigen globalen Standards zu etablieren.13 Lösung zur Einführung des automatisierten Informations-

Eindämmung aggressiver Steuerplanung: 6 R. T. Kuderle: The OECD’s harmful initiative and the Keine einfachen Lösungen tax havens: from bombshell to damp squip, in: Global Economy Jour- nal, 8. Jg. (2008), S. 1-23. 7 G20 declaration on strengthening the fi nancial system, London Während der Informationsaustausch und die damit ver- 2.4.2013. bundene Herstellung von Transparenz als konsequente 8 A. Gurría: Kampf gegen Steuerhinterziehung ist globale Aufgabe, Gastbeitrag in: Süddeutsche Zeitung vom 20.4.2013. Gurría ist Gene- Maßnahmen gegen rechtswidrige Steuerhinterziehung er- ralsekretär der OECD. scheinen, lässt sich aggressive Steuerplanung hierdurch 9 Die Schweiz und die USA unterzeichneten das bilaterale FACTA-Ab- nicht eindämmen. Steuerplanung erfolgt regelmäßig un- kommen am 14.2.2013. 10 P. Saint-Amans: Der automatische Datenaustausch ist in einigen Mo- ter Ausnutzung geltenden Rechts, sodass Gestaltungen naten Standard, Interview geführt von S. Israel, A. Valda, in: Tages- Anzeiger vom 10.5.2013. Saint-Amans ist Direktor der Anti-Steuer- fl ucht-Abteilung der OECD. 12 A. Gurría, a.a.O. 11 M. Elsayyad, K. Konrad: Fighting multiple tax havens, in: Journal of 13 Siehe zu den aufgeführten Herausforderungen auf dem Weg zu einem International Economics, 86. Jg. (2012), S. 295-305. effektiven Informationsaustausch auch P. Saint-Amans, a.a.O.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 364 Zeitgespräch

nicht per se im Verborgenen liegen, sondern Fachleuten lematik offenbar: Regeln der internationalen Besteuerung bekannt sind und auch publiziert werden.14 koordinieren die zwischenstaatliche Aufteilung von Be- steuerungsbefugnissen und des sich hieraus ergebenden Wenn also keine Informationsdefi zite bestehen und ag- Steueraufkommens. Damit stellt sich in letzter Instanz gressive Steuerplanung legal ist, bleibt zu fragen, welche immer die Verteilungsfrage. Eine an den Umsätzen an- Maßnahmen gegen unerwünschte Modelle zu ergreifen knüpfende Besteuerung würde kleine Volkswirtschaften sind. Hier sind deswegen die Gesetzgeber aufgefordert, mit stark internationalisierten Unternehmen, z.B. die Nie- den Rechtsrahmen zu ändern. derlande, im Vergleich zum Status quo schlechter stellen. Aber auch deutlich größere Länder wie Deutschland wür- Führt man sich die Funktionsweise der einzudämmenden den mit Blick auf Auslandsinvestitionen verzichten. Strukturen vor Augen, so zeigt sich, dass einige Staa- ten offenkundig auf ihre Besteuerungsrechte verzichten. Aus heutiger Sicht erscheint eine koordinierte, tiefgreifen- Prominentestes Beispiel sind hier die USA. US-Konzerne de Reform der internationalen Besteuerung wenig wahr- greifen regelmäßig auf Gestaltungen zurück, bei denen im scheinlich. Zudem herrscht kein Konsens darüber, wel- Ausland generierte Erträge nicht in die USA transferiert, ches der denkbaren idealtypischen Besteuerungsprinzi- sondern in steuergünstige Standorte, häufi g in der Kari- pien – Wohnsitz,- Quellen- oder sogar Bestimmungsland- bik, umgeleitet werden. Die Repatriierung der Gewinne prinzip – denn zur internationalen Wohlfahrtsmaximierung wird auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben, um die in führt und damit etwaige Reformüberlegungen leiten soll- diesem Fall ausgelöste Besteuerung der Dividenden mit te. dem US-Steuersatz von 35% zu vermeiden. Um einem solchen „Lock out“ von Gewinnen zu entgegnen, kennt Daher macht es Sinn, die tradierte Ausgestaltung der in- das US-Steuersystem, wie viele andere Länder auch, Re- ternationalen Besteuerung zunächst zu akzeptieren und geln zur sogenannten Hinzurechnungsbesteuerung, die als Ausgangspunkt zur Verhinderung von Null- und Dop- unter bestimmten Voraussetzungen dazu führen, dass pelbesteuerung heranzuziehen. In diese Logik wird sich die in ausländischen Tochtergesellschaften aufl aufenden wohl auch der für Juli 2013 angekündigte „Aktionsplan“ Erträge nicht mehr von der US-Besteuerung abgeschirmt der OECD einordnen.15 Er umfasst voraussichtlich zahl- sind, sondern unmittelbar beim US-Gesellschafter be- reiche Einzelvorschläge. So ist der OECD die Möglichkeit steuert werden. Die Voraussetzungen für das Greifen eines doppelten Zinsabzugs im Rahmen hybrider Gestal- der Hinzurechnungsbesteuerung sind jedoch dergestalt, tungen ein Dorn im Auge. Darüber hinaus werden unter dass sie durch steuerplanerische Maßnahmen billigend anderem auch Fragen der Quellenbesteuerung, aber auch außer Kraft gesetzt werden können. Die USA könnten den der Betriebsstättenabgrenzung eine Rolle spielen.16 Dies Zugriff auf die in Steueroasen verlagerten Gewinne durch alles erscheint insgesamt ebenfalls sehr ambitioniert. eine Reform ihrer Hinzurechnungsbesteuerung relativ leicht wiederherstellen. Warum dies bisher nicht gesche- hen ist, lässt sich damit erklären, dass die US-Regierung Ein Blick auf die Quellenbesteuerung lohnt ihren Konzernen mit einer De-Facto-Nullbesteuerung ih- rer Auslandsgewinne einen Wettbewerbsvorteil verschaf- Einfache Lösungen gibt es also in keinem Fall. Worauf fen will. aber sollte der Fokus liegen? Interessant erscheint hier ein Blick auf die Quellenbesteuerung. In nahezu sämtli- chen internationalen Steuergestaltungen fl ießen grenz- Am Bestimmungsland anknüpfende Steuer? überschreitende Zahlungsströme in Form von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen den involvierten Konzern- Man könnte grundlegende Maßnahmen vorsehen. Am einheiten. Innerhalb der EU geschieht dies aufgrund der weitreichendsten wäre eine international koordinierte Zins-Lizenzgebühren-Richtlinie17 in nahezu allen relevan- Systemumstellung auf eine am Bestimmungsland an- ten Fällen quellensteuerfrei. Für Zahlungen aus der EU knüpfende Steuer. Steuerbemessungsgrundlage wären heraus gilt dies zwar zumeist nicht. Es gibt jedoch Aus- nicht mehr die ausgewiesenen Gewinne der Unterneh- nahmen: So haben insbesondere die Niederlande äußerst men, sondern ihre Umsätze als ein – eventuell geeigne- teres – Maß für ihre ökonomische Aktivität. Damit würde 15 A. Gurría, a.a.O. auch das entsprechende Steueraufkommen durch In- 16 Finanzausschuss: Protokoll der 132. Sitzung des Finanzausschusses landsumsätze getrieben. Hier wird bereits eine Kernprob- am 20.3.2013 (Protokoll 17/132). Mündliche Stellungnahme von A. Pross, dem Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung am Zentrum für Steuerpolitik und Steuerver- 14 R. Pinkernell: Ein Musterfall zur internationalen Steuerminimierung waltung der OECD. durch US-Konzerne, in: Steuer und Wirtschaft, 2012, S. 369-374. 17 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 365 Zeitgespräch

günstige, d.h. keine oder niedrige Quellensteuern vorse- ken“, ist die Gefahr einer Doppelbesteuerung bei Wieder- hende Doppelbesteuerungsabkommen mit zahlreichen einführung von Quellensteuern unmittelbar gebannt: Die Nicht-EU-Staaten, durchaus auch einigen sogenannten internationalen Doppelbesteuerungsabkommen sehen Steueroasen, abgeschlossen. Nach nationalem Recht vor, dass im Ausland abgeführte Quellensteuern auf eine wird auf Lizenzzahlungen überhaupt keine Quellensteu- etwaige Steuerschuld des Empfängers angerechnet wer- er erhoben. Entsprechend bedeutsam ist ihre Rolle in den. Steueroasen lassen sich somit wirksam austrock- den Steuergestaltungen zur Verlagerung von Gewinnen nen. aus Europa heraus. Nahezu alle Zahlungsabfl üsse ins nichteuropäische Ausland erfolgen deshalb über Kon- Im Vergleich zu einem weniger fokussierten „OECD-Akti- zerneinheiten in den Niederlanden. Vor dem Hintergrund onsplan“ oder auch einer auf EU-Ebene derzeit diskutier- der aktuellen Diskussion ist die Quellensteuerbefreiung ten „allgemeinen Missbrauchsnorm“,18 die diffus an aus von Zinsen und Lizenzgebühren zu hinterfragen. Denn steuerplanerischer Sicht oftmals wenig kritischen, einfach die internationale Verschachtelung und das Verschieben zu entsprechenden Substanzmerkmalen anknüpfen, er- von Gewinnen über Grenzen hinweg ist der Kern interna- scheint eine Forcierung der Quellenbesteuerung der kon- tionaler Steuergestaltung. Sobald die Besteuerung hier kreteste, konzentrierteste und wirksamste Schritt zur Ein- ansetzt, dürften die meisten Strukturierungen obsolet dämmung komplexer internationaler Steuergestaltungen. werden. Hierzu bedarf es allerdings eines internationalen Konsen- ses, der den Willen der EU-Mitgliedstaaten zur Änderung Die Quellenbesteuerung ist somit ein mächtiger Hebel, der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie einschließt. an dem angesetzt werden kann. Im Gegensatz zu den in einigen Staaten in nationalen Alleingängen eingeführ-

ten Zinsabzugsbeschränkungen, wie z.B. der deutschen 18 Europäische Kommission: Empfehlung betreffend aggressive Steuer- Zinsschranke oder etwaigen angedachten „Lizenzschran- planung, C(2012) 8806, Brüssel, 6.12.2012.

Markus Leibrecht, Margit Schratzenstaller Steuerfl ucht in Krisenzeiten: Gestaltung, Volumen und Maßnahmen

Wettbewerb zwischen in der Steuerpolitik weitgehend verschiebung und Nicht-Deklaration von Einkünften, was souveränen Staaten um mobiles Kapital ist als Begleit- als schädlich eingestuft werden kann.3 erscheinung der Globalisierung der Weltwirtschaft nicht neu. Steuerwettbewerb muss aus normativer Perspek- Aus mehreren Gründen ist die inzwischen jahrzehntealte tive nicht unbedingt volkswirtschaftlich schädlich sein. Problematik von Steuerfl ucht und Steueroasen jüngst auf Sind aber Steueroasen mit im Spiel, dann fällt die Klas- der politischen Agenda wieder ganz nach oben gerückt. sifi zierung des Steuerwettbewerbs um mobiles Kapital Unmittelbar lassen die knappen öffentlichen Haushalte auch durch supra- und internationale Organisationen als und die Konsolidierungsmaßnahmen, die vielfach brei- „schädlich“ eindeutiger aus.1 Steueroasen sind Hoheits- te Bevölkerungsschichten belasten, die Frage nach dem gebiete, die mit niedriger oder Null-Besteuerung mobiles Beitrag der Vermögenden und der international tätigen Kapital anlocken und dabei nicht mit ausländischen Steu- Konzerne laut werden. Die Offshore-Leaks-Daten zu den erbehörden kooperieren, intransparente Besteuerungsre- in Steueroasen angelegten Vermögen von Privatperso- geln aufweisen oder die niedrige Besteuerung auch dann nen und die jüngst bekannt gewordenen Beispielfälle zu gewähren, wenn keine reale Aktivität von der ausländi- äußerst geringen Steuerzahlungen großer multinationa- schen juristischen oder natürlichen Person vorliegt.2 Sie ler Konzerne (Amazon, Google IKEA, etc.) erhärten die bieten also starke Anreize und Möglichkeiten zu Gewinn- Vermutung, dass vielfältige Möglichkeiten der Steuer- fl ucht die effektive Durchsetzung der Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen sowie von Gewinnen multi- nationaler Unternehmen erheblich erschweren. Damit 1 OECD: Harmful Tax Competition – an Emerging Global Issue, Paris 1998; Primarolo Group: Report of the Code of Conduct Group on Business Taxation, Press Release, Nr. 4901/99, Brüssel 2000. 3 Vgl. J. R. Hines: Tax Havens, Offi ce of Research, Working 2 Vgl. ebenda. Paper, Nr. WP 2007-3.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 366 Zeitgespräch

entziehen sich die beteiligten Steuerpfl ichtigen einem Im Privatbereich nimmt Steuerfl ucht oft die Form illega- adäquaten Finanzierungsbeitrag für von ihnen genutzte ler Steuerhinterziehung an. Der Existenz von Steueroasen öffentliche Leistungen. Gleichzeitig zeigen einige neue- kommt daher für die Möglichkeiten der Steuerhinterzie- re akademische Studien4 sowie Analysen der OECD und hung durch natürliche Personen eine besondere Bedeu- jüngst der Household Finance and Consumption Survey tung zu. der Europäischen Zentralbank die längerfristig steigen- de Konzentration von Einkommen und Vermögen in der Im betrieblichen Bereich dürfte Steuerhinterziehung auf- OECD bzw. Eurozone. Auch mehren sich die empirischen grund der hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit kaum Hinweise, dass die erschwerte Besteuerung von Kapital eine Rolle spielen, zumal multinationale Unternehmen sich und dessen Erträgen auch zu der vielfach zu beobach- Steuerhinterziehungsskandale kaum leisten können. Hier tenden, wachstums- und beschäftigungspolitisch proble- dominiert wohl die Steuervermeidung: durch die Verla- matischen Verschiebung der gesamten Abgabenlast hin gerung von Unternehmens- bzw. Investitionsstandorten, zum wesentlich weniger mobilen und steuerlich besser mehr aber noch durch die Verschiebung von steuerpfl ich- erfassbaren Faktor Arbeit beiträgt.5 Zudem impliziert die tigen Gewinnen. Dabei geht es im Prinzip immer darum, mangelhafte Durchsetzung der Besteuerung multinatio- möglichst große Teile des steuerpfl ichtigen Gewinns in naler Unternehmen die Diskriminierung binnenorientierter niedrig oder nicht besteuernden Ländern anfallen zu las- kleiner und mittlerer Unternehmen und entsprechende sen, um so die konzernweite Steuerlast zu minimieren. Wettbewerbsnachteile. Nicht zuletzt kann die Verfügbar- Instrumente sind Transferpreise für konzerninterne Wa- keit vielfältiger Möglichkeiten zur legalen Steuervermei- renlieferungen, Zinszahlungen für konzerninterne Darle- dung für multinationale Unternehmen die Steuermoral hensgewährungen, Leasing- oder Lizenzzahlungen.7 Die sämtlicher Steuerzahler unterminieren. Grenze zur Steuerumgehung ist dann überschritten, wenn etwa Transferpreise unangemessen hoch angesetzt oder Viele Facetten der Gestaltung Briefkastengesellschaften in Steueroasenländern einge- schaltet werden, zu denen Leistungsbeziehungen (etwa in Eine differenzierte Debatte über Ausmaß und Konsequen- Form von Provisionszahlungen) dargestellt werden, hinter zen der Steuerfl ucht und geeignete Gegenmaßnahmen denen aber keine realen Aktivitäten stehen. muss die vielen Facetten der Steuerfl ucht hinsichtlich der beteiligten Akteure, Erscheinungsformen und Instrumen- Da Anreize zur Gewinnverschiebung insbesondere von te berücksichtigen. Zunächst ist zwischen natürlichen nominellen Steuersatzunterschieden ausgehen, ist Steu- Personen und deren Vermögen(serträgen) einerseits so- erfl ucht durch Gewinnverlagerungen nicht unbedingt von wie juristischen Personen (Unternehmen, aber auch Stif- der Existenz von Steueroasen abhängig. Die Vermeidung tungen und sonstige Vermögensmassen) und deren Ge- von Gewinnverlagerungen bedarf daher einer breiter an- winnen andererseits zu unterscheiden. Sie können Steu- gelegten Vorgehensweise als die Vermeidung von Steuer- erfl ucht in Form von legaler Steuervermeidung, illegaler hinterziehung durch natürliche Personen via Steueroasen. und daher strafbarer Steuerhinterziehung oder rechtswid- riger Steuerumgehung durch rechtsmissbräuchliche Ge- Volumen staltungen begehen.6 Es liegt in der Natur des Phänomens der Steuerfl ucht, Dabei sind die einzelnen Formen der Steuerfl ucht für die dass das Ausmaß der betroffenen steuerlichen Bemes- unterschiedlichen Akteure nicht gleichermaßen relevant. sungsgrundlage und der resultierende Steuerentgang Für natürliche Personen ist Steuervermeidung insofern nicht exakt quantifi zierbar sind. Entsprechend groß sind von eher geringerer Bedeutung, als sie in der Regel eine die Bandbreiten der vorliegenden Schätzungen, die sich Wohnsitzverlagerung erfordert. Jedoch ist auch hier via durch Schätzansatz, verwendete Daten, analysierte Zeit- Zwischenschaltung von Stiftungen und der geschickten punkte bzw. -räume sowie Abgrenzung von Steuerfl ucht- Ausnutzung internationaler Besteuerungsregeln legale und Steuerzufl uchtländern unterscheiden. Auch wenn die Steuervermeidung ohne Wohnsitzverlagerung möglich. existierenden Schätzungen mit erheblichen Unsicher- heiten behaftet und die ermittelten konkreten Zahlen mit entsprechender Vorsicht zu behandeln sind,8 steht jeden- 4 Vgl. z.B. T. Atkinson, T. Piketty, E. Saez: Top Incomes in the Long Run of History, in: Journal of Economic Literature, 49. Jg. (2011), H. 1, S. 3- 71. 7 Vgl. für einen einführenden Überblick etwa OECD: Addressing Base 5 Vgl. P. Genschel, P. Schwarz: Tax Competition and Fiscal Democracy, Erosion and Profi t Shifting, Paris 2013. TranState Working Paper, Nr. 161, 2012, und die hier zitierte Literatur. 8 Vgl. für eine ausführliche Kritik an Methodik und Datengrundlagen et- 6 Diese im einschlägigen Schrifttum nicht einheitlich gehandhabte Ab- wa C. Fuest, N. Riedel: and in Developing grenzung orientiert sich an K. Tipke, J. Lang: Steuerrecht, 21. Aufl ., Countries: the Role of International Profi t Shifting, Oxford University, Köln 2013. Centre for Business Taxation, Working Paper, Nr. 10/12, 2010.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 367 Zeitgespräch

falls fest, dass die Volumina privater Vermögenserträge sich schon seit eineinhalb Jahrzehnten vorwiegend Un- und Gewinne von multinationalen Konzernen, die durch ternehmens- und Investmentberatungsgesellschaften Steuerfl ucht nicht oder unterbesteuert werden, beacht- sowie Nichtregierungsorganisationen. Die in den promi- lich sind und sich sowohl für Industrie- als auch Entwick- nentesten Studien ermittelten Volumina beziehen sich auf lungsländer erhebliche Steuerausfälle ergeben. einzelne Jahre zwischen 1997 und 2008 und rangieren zwischen 1,7 Mrd. und 11,5 Mrd. US-$.15 In einer vor ei- Für Deutschland ermittelte jüngst das Deutsche Institut nem Jahr veröffentlichten Studie im Auftrag der Nichtre- für Wirtschaftsforschung eine Besteuerungslücke zwi- gierungsorganisation nimmt der frü- schen den gesamtwirtschaftlichen und den steuerlich er- here McKinsey-Chefökonom James S. Henry ausgehend fassten Unternehmensgewinnen von knapp 92 Mrd. Euro von einer gründlichen methodischen Kritik an diesen frü- für das Jahr 2008, die zum Teil auch durch Gewinnverla- heren Schätzungen eigene Schätzungen für das Volumen gerung durch international tätige Unternehmen in niedri- der an Offshore-Plätzen weitestgehend steuerfrei gehal- ger oder nicht besteuernde Länder zu erklären sei.9 Frü- tenen privaten Finanzvermögen vor: Dieses beläuft sich here Schätzungen kommen auf Gewinnverschiebungsvo- seinen Berechnungen nach auf 21 Billionen bis 32 Billio- lumina zwischen gut 2 Mrd. US-$ und 65 Mrd. Euro.10 Für nen US-$, woraus ein Steuerausfall von bis zu 280 Mrd. 25 EU-Länder schätzen Dharmapala und Riedel für den US-$ resultiert, davon bis zu 160 Mrd. US-$ für Entwick- Zeitraum 1995 bis 2005, dass durchschnittlich 2% der lungsländer (Stand 2010).16 zusätzlichen Gewinne von Konzernmüttern zu Töchtern in niedriger besteuernden Ländern innerhalb der EU verla- Maßnahmen gert werden.11 Die gewinnverschiebungsbedingten Min- dereinnahmen an Unternehmensteuer für 1999 erreichen Angesichts der skizzierten beträchtlichen fi skalischen laut Huizinga und Laeven für Deutschland knapp 3,2 Mrd. und nicht-fi skalischen Effekte von Steuerfl ucht stellt sich US-$, für die EU insgesamt knapp 2,8 Mrd. US-$.12 Nach die Frage, wer anhand welcher Instrumente auf welcher Clausing entgehen dem US-amerikanischen Fiskus durch Ebene dagegen vorgehen sollte. Maßnahmen können uni- Gewinnverlagerung US-amerikanischer Konzerne Steuer- lateraler, bilateraler oder multilateraler Natur sein. Die ge- einnahmen von 90 Mrd. US-$.13 eigneten Maßnahmen unterscheiden sich teilweise auch nach den unterschiedlichen Akteuren (natürliche versus Unabhängig von den konkreten Werten wird die Schluss- juristische Personen) und dem Ansatzpunkt (bei den Ak- folgerung, dass die grenzüberschreitende Gewinnverla- teuren selbst, bei Finanzintermediären oder bei Staaten). gerung der international aktiven Unternehmen ein signi- fi kantes Ausmaß haben dürfte, durch empirische Studien Einzelne Staaten können unilaterale steuerrechtliche gestützt, die zeigen, dass multinationale Unternehmen Maßnahmen gepaart mit strengen Kontrollen und Prüfun- eine unterdurchschnittliche oder sinkende effektive Steu- gen umsetzen, um Anreize und Möglichkeiten zur Steuer- erbelastung aufweisen und dass internationale Steuer- fl ucht zu senken bzw. zu reduzieren. Beispiele für solche satzdifferentiale ihre ausgewiesenen Gewinne stark be- Maßnahmen, die bei den Akteuren selbst ansetzen, sind einfl ussen.14 die Defi nition einer erweiterten beschränkten Steuer- pfl icht für natürliche Personen oder die Anwendung des Der Schätzung des offshore, also außerhalb des Wohn- Fremdvergleichsgrundsatzes und der Hinzurechnungs- sitzes, angelegten privaten (Finanz-)Vermögens widmen besteuerung im Rahmen eines „Außensteuergesetzes“, die Senkung der nominellen Steuersätze auf Kapitalein-

9 S. Bach: Unternehmensbesteuerung: Hohe Gewinne – mäßige Steuer- kommen oder die Einführung einer Zinsschranke (wie sie einnahmen, in: DIW Wochenbericht, 80. Jg. (2013), Nr. 22/23, S. 3-12. in Deutschland seit 2008 praktiziert wird). Mit Blick auf 10 J. H. Heckemeyer, C. Spengel: Ausmaß der Gewinnverlagerung mul- Steueroasen kann Druck auf heimische Finanzinstitu- tinationaler Unternehmen – empirische Evidenz und Implikationen für die deutsche Steuerpolitik, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, te und Großkonzerne ausgeübt werden, die mit Steuer- 9. Jg. (2008), H. 1, S. 37-61. Aufgrund von unterschiedlichen regio- oasen Geschäfte machen. Oder die Steueroasen selbst nalen Abgrenzungen und/oder verwendeten Datenquellen geben die können durch politischen und wirtschaftlichen Druck zu Autoren der einzelnen Studien die geschätzten Volumina jeweils in unterschiedlichen Währungen an. Abschluss und Einhaltung von bilateralen Abkommen mit 11 D. Dharmapala, N. Riedel: Earnings Shocks and Tax-Motivated In- nationalen Finanzbehörden bewogen werden. Mögliche come Shifting: Evidence from European Multinationals, in: Journal of Maßnahmen dabei sind die Kappung der Geschäftsbe- Public Economics, 97. Jg. (2013), H. 1, S. 95-107. 12 H. Huizinga, L. Laeven: International Profi t Shifting within European ziehungen mit Steueroasen (Import- und Exportverbote), Multinationals, CEPR Discussion Paper, Nr. 6048, 2007. die Genehmigung des Marktzutritts für ausländische Un- 13 K. A. Clausing: The Revenue Effects of Multinational Firm Income Shifting, Tax Notes, 28.3.2011, S. 1580-1586. 14 Vgl. für einen ausführlichen Überblick über aktuelle Studien OECD: 15 OECD: The OECD’s Current Tax Agenda 2009, Paris 2009. Addressing Base Erosion ..., a.a.O. 16 J. S. Henry: The Price of Offshore Revisited, London 2012.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 368 Zeitgespräch

ternehmen nur unter der Aufl age steuerlicher Kooperation austauschs auf Nachfrage bzw. eines AIA in zwischen- durch deren Sitzländer oder die Auferlegung von erhöh- staatliche Abkommen19 sind Beispiele dafür. ten Mitwirkungs- und Nachweispfl ichten für Finanzinsti- tute und Großunternehmen, die Geschäftsbeziehung mit Jedenfalls sollte die Europäische Union eine zentrale gelisteten Steueroasen pfl egen. Auch die generelle Offen- Rolle in der Bekämpfung von Steuerfl ucht einnehmen. legungspfl icht von Gewinnen und Steuerleistungen nach Sie kann durch eine aktive Vorreiterrolle Signale setzen, Ländern (Country-to-Country-Reporting) ist eine mög- die einen Stillstand im Kampf gegen Steuerfl ucht verhin- liche unilaterale Vorgehensweise, die die Transparenz in dern. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil bedeu- der Unternehmensbesteuerung erhöht. tende Steueroasen und Niedrigsteuerländer mitten in Europa liegen und/oder im direkten Einfl ussbereich von Auf bilateraler Ebene sind etwa Steuerabkommen mög- EU-Ländern stehen. Die wirtschaftlichen und politischen lich, die Steuerfl ucht, insbesondere Steuerhinterziehung, Verfl echtungen mit diesen Ländern bzw. Hoheitsgebieten erschweren bzw. Anreize dazu verringern. Zu nennen sollten daher genutzt werden, um sie zur steuerlichen Ko- sind hier zwischenstaatliche Vereinbarungen, die unter operation zu bewegen. Innerhalb der EU existiert mit dem Mitwirkung der betroffenen Finanzintermediäre einen au- Europäischen Gerichtshof eine Instanz, die die Einhaltung tomatischen Informationsaustausch (AIA) bezüglich der des supranationalen Rechtsbestandes überwacht und Kapitaleinkommen natürlicher Personen vorsehen (wie deren Entscheidungen bindend sind. Dies ist ein wesent- die US-amerikanischen FATCA-Abkommen oder die EU- licher Vorteil gegenüber internationalen Koordinierungs- Zinssteuerrichtlinie). Der AIA hat den Vorteil, dass das maßnahmen, bei denen eine solche Instanz fehlt und wohl Wohnsitzlandprinzip der internationalen Besteuerung auch in naher Zukunft nicht errichtet werden wird. Zudem auch dann verwirklicht werden kann, wenn das Wohnsitz- kann die EU auf schon vorhandene Vorarbeiten im Bereich land ausländische Kapitalerträge progressiv besteuert. der Steuerkoordinierung zurückgreifen. Insbesondere Mit bilateralen Abkommen, die eine anonyme Quellen- sind mit dem Konzept einer Gemeinsamen Konsolidierten steuer vorsehen, gegebenenfalls gepaart mit einer einma- Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, das die Ge- ligen Abschlagszahlung auf den Vermögensbestand und winnverlagerungen zumindest innerhalb der EU erschwe- einer Steueramnestie zur Legalisierung von Schwarzgeld, ren würde, mit der Zinsertragsrichtlinie einschließlich AIA ist das nicht möglich.17 Ein wesentlicher Nachteil einer sowie mit der Richtlinie über die Verwaltungszusammen- Quellensteuer gegenüber dem AIA im Kampf gegen Steu- arbeit im Bereich direkter Steuern, die ebenfalls einen AIA erhinterziehung ist die Aufrechterhaltung der Anonymität, bei bestimmten Einkunftsarten vorsieht,20 wichtige Instru- während beim AIA das Wohnsitzland Informationen über mente für eine Eindämmung von Steuerfl ucht schon vor- den Vermögensbestand des Anlegers im Anlageland er- handen oder zumindest als Konzepte ausgearbeitet. Die hält, die gegebenenfalls Rückschlüsse auf Steuerhinter- Vereinbarung supranationaler Abkommen impliziert auch, ziehung in der Vergangenheit oder eine dubiose Herkunft dass weniger weitreichende und daher weniger effektive des betreffenden Vermögens erlauben. Bei Vorliegen von bilaterale Abkommen zwischen einzelnen EU-Ländern Steuerunehrlichkeit ist ein umfassender AIA wohl das ef- und Steueroasen ihre Gültigkeit verlieren. Schließlich hat fektivste Mittel, um Steuerhinterziehung zu vermeiden.18 die EU selbst steuerliche Maßnahmen (wie etwa die Zin- sen-Lizenzgebührenrichtlinie) umgesetzt, die Anreize zu Gewinnverlagerungen erhöhten. Die EU ist daher auch die geeignete Ebene, um diese Maßnahmen zu entschärfen. Die Rolle der EU Die steigenden Schulden öffentlicher Haushalte aufgrund Da Steuerfl ucht meist multilateraler Natur ist, erscheinen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben dem Engagement koordinierte Vorgehensweisen von Ländergruppen als gegen schädliche Formen des Steuerwettbewerbs auch besonders Erfolg versprechend. Schon länger verfolgte auf politischer Ebene wieder neues Leben eingehaucht. Initiativen der OECD zur Aufnahme eines Informations- Die EU muss dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, nicht zuletzt um zu verhindern, dass nach Normalisierung der budgetären Lage wieder Normalität im Kampf gegen die Steuerfl ucht eintritt.

17 Siehe etwa die Abkommen der Schweiz und Liechtenstein mit Ös- terreich. Diese Abkommen sollen Österreich einmalig 1,5 Mrd. Euro bringen (Abschlagszahlung) und jährlich dann rund 75 Mio. Euro an Quellensteuer auf die künftig anfallenden Kapitalerträge. 19 Vgl. OECD: Automatic Exchange of Information. What It Is, How It 18 Vgl. auch T. Rixen: Der Kampf gegen Steuerwettbewerb und Steuer- Works, Benefi ts, What Remains To Be Done, Paris 2012. fl ucht: Entwicklungslinien der internationalen Steuerpolitik, in: Vier- 20 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union, Richtlinie 2011/16/EU des telsjahrshefte für Wirtschaftsforschung, 82. Jg. (2013), H. 1, S. 61-75. EU-Rates, L 64/1, 11.3.2011.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 369 Zeitgespräch

Manfred Gärtner Das Ende der Steueroasen?

Auf einem langen Weg von der Steinzeit in die Gegenwart dite von 7%,2 so resultieren aus diesen Vermögen jährliche sind große Teile der Menschheit zur Einsicht gelangt, dass Kapitaleinkommen in Höhe von 420 Mrd. bis 2660 Mrd. Euro. es zu ihren selbstverständlichen Aufgaben gehört, den auf Diese würden bei einem Grenzsteuersatz von 50% zu einem die Schattenseite des Lebens geratenen Mitmenschen und Steueraufkommen von 210 Mrd. bis 1330 Mrd. Euro füh- Ländern unter die Arme zu greifen. Dies geschieht einer- ren, das den Heimatländern der Anleger entgeht. Bei einem seits durch die Bereitstellung öffentlicher Angebote, etwa Anteil von etwa 8%3 an den versteckten Vermögen erleidet im Bildungsbereich, die sich die Betroffenen selbst nicht in Deutschland damit jedes Jahr Ausfälle in Höhe von 10% bis vergleichbarer Qualität leisten könnten, zum anderen durch 60% seiner tatsächlich eingenommenen Einkommensteuern. Transfers von den Einkommensstarken zu den Schwächeren. Und die Steueroasen scheinen weiter zu boomen. Während Illegale Steueroasen müssen sich dafür verantworten, dass Luxemburg und die Schweiz von einer gewissen Beruhigung sie beides sabotieren: Indem sie von anderen Ländern Steu- dieses „Geschäftsfelds“ berichten, geht die Boston Consul- ereinnahmen absaugen, was auf die angebotenen öffentli- ting Group von einem globalen Wachstum dieser Branche chen Leistungen drückt. Und indem sie die Umverteilungsan- von 6,5% im letzten Jahr aus. strengungen dieser Länder massiv behindern. Diese Verant- wortung tragen aber andere Länder mit, weil sie das Treiben Eine Einschätzung des durch die Steueroptimierung globaler der Steueroasen über Jahrzehnte mit unverständlicher Nach- Unternehmen entstehenden „Schadens“ ist noch schwie- sicht toleriert haben. riger, weil hier weniger eindeutig ist als bei der Einkommen- steuer, an welcher Referenzgröße die Einbußen gemessen Von den Aktivitäten und Verlockungen der Steueroasen sind werden sollen. Das Problem für die Finanzminister besteht hauptsächlich die Einkommensteuer und die Unternehmen- hier darin, dass es gerade großen Konzernen regelmäßig steuer betroffen, die in Deutschland ein Drittel respektive ein gelingt, ihre Gewinne dorthin zu verschieben, wo die Steu- Fünftel des Steueraufkommens ausmachen. Ein wichtiger ersätze am tiefsten sind; also z.B. im Falle von Apple nach Unterschied, der auch eine unterschiedliche Aufarbeitung Irland. Und zusätzlich besitzen diese Konzerne offensicht- verlangt, liegt darin, dass es bei den Unternehmensteuern oft lich die Macht, noch Sonderkonditionen auszuhandeln. Von „nur“ um vielleicht als anrüchig empfundene, aber letztlich Apple wird berichtet, dass es seine internationalen Gewinne legale Steuervermeidung geht. Bei den Einkommensteuern nicht nach dem in Irland offi ziell geltenden Satz von 12,5% geht es dagegen meist um Steuerhinterziehung, also einen versteuert, sondern zu einem Satz von 2%. Dafür, wo und zu Straftatbestand. welchen Sätzen Apple seine Gewinne bei einem Verzicht auf Steuertricks hätte versteuern sollen, gibt es aber noch keinen konsensfähigen Schlüssel. Die errechneten Steuereinbußen Schäden durch Steueroasen werden deshalb immer szenarienabhängig sein.

Die Verschwiegenheit der Branche erlaubt es selbstredend Immerhin klafft gemäß einer Studie des Deutschen Instituts nicht, verlässliche Aussagen über die entstandenen Schäden für Wirtschaftsforschung Jahr für Jahr eine Lücke von 100 zu machen. Immerhin signalisieren aber einige nach persön- Mrd. Euro zwischen den in der Volkswirtschaftlichen Gesamt- lichen Einschätzungen abänderbare Zahlenspiele doch die rechnung aufgeführten Gewinnen deutscher Unternehmen Größenordnungen und die Relevanz des Problems: Eine vom und den in der Steuerrechnung aufgeführten Gewinnen.4 Le- Tax Justice Network in Auftrag gegebene Studie kommt zu gal oder nicht, damit entgehen dem Fiskus fast 30 Mrd. Euro dem Schluss, dass sich in den über 80 Steueroasen der Welt, Steuereinnahmen. konservativ geschätzt, ausländische Privatvermögen im Wert von 25 bis 38 Billionen Euro verstecken.1 Die Boston Consul- 2 Dies mag als Momentaufnahme abenteuerlich klingen, liegt aber ting Group kommt zu einem deutlich tieferen Wert von annä- zwischen der in den Jahrzehnten vor der Finanzkrise vom Standard hernd 7 Billionen Euro. Unterstellt man nun eine jährliche Ren- & Poor’s-500-Index und von deutschen oder US-amerikanischen Staatsanleihen erwirtschafteten Rendite. 3 Gemäß einer an der United Nations University durchgeführten Studie kommen 8% der Reichsten der Welt aus Deutschland. Siehe J. B. Da- vies et al.: The World Distribution of Household Wealth, UNI-WIDER, Discussion Paper, Nr. 2008/03. 1 Siehe J. S. Henry: The price of offshore revisited: New estimates for 4 Vgl. S. Bach: Has German Business Income Taxation Raised Too Little „missing“ global private wealth, income, inequality, and lost taxes, Revenue Over the Last Decades?, DIW Diskussionspapier, Nr. 1303, Tax Justice Network, Juli 2012. 2013.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 370 Zeitgespräch

Die durch Steueroasen in anderen Ländern verursachten dass die Einkommensteuer dem Land zusteht, in dem die be- Schäden gehen natürlich weit über die angesprochenen Pri- troffene Person ihren Wohnsitz hat und öffentliche Leistungen märeffekte auf staatliche Budgets und öffentliche Leistungen bezieht. Es folgt weiter, dass dieses Land in der Art der Be- hinaus. Wenn die Steuern auf Kapitaleinkommen ausfallen steuerung privater Einkommen völlig frei sein muss. Es muss und man öffentliche Leistungen nicht einfach proportional die Steuersätze frei festlegen können, die Progression, ob es kürzen will, müssen andere Steuern, wie die Lohnsteuer, er- eine synthetische, Arbeits- und Kapitaleinkommen gleich be- höht werden. Dies treibt die Löhne nach oben, macht Arbeit handelnde Steuer einführt oder einen dualen Ansatz vorzieht, am Standort Deutschland teurer. Parallel schrumpfen aber der beide Einkommensarten unterschiedlich besteuert. die Nettolöhne, mit negativen Auswirkungen auf die Einkom- mens- und Vermögensverteilung und neuen Anforderungen Eine Quellensteuer oder , wie sie etwa die an den Sozialstaat. Darüber hinaus bastelt Deutschland im Schweiz bisher in bilateralen Verträgen anbietet, kann dies Kampf gegen den Sog der Steueroasen am Steuersystem, nicht leisten: nutzte ein Verfassungsgerichtsurteil, um die Vermögensteu- er auszusetzen, und gab 2009 die synthetische Besteuerung • Zum einen deckelt sie den Steuersatz, den andere Länder unterschiedlicher Einkommen zu Gunsten einer Privilegierung auf Kapitaleinkünfte erheben können. der Kapitaleinkommen durch die Einführung der Abgeltung- • Zum anderen, und dies ist ein angesichts einer in vielen steuer auf.5 Steueroasen haben also in anderen Volkswirt- Ländern zunehmenden Ungleichheit der Einkommens- schaften Spuren hinterlassen, die weit über reine Budgetwir- und Vermögensverteilung zentraler Punkt, bleiben Kapital- kungen hinausgehen, und die es nach Abschaffung der Steu- einkommen weiterhin anonym und können nicht getrennt eroasen aufzuarbeiten und neu zu diskutieren gilt. oder kombiniert mit den Arbeitseinkommen progressiven Steuertarifen unterworfen werden. Vertragspartnern wür- Was ist zu tun? de es paradoxerweise unmöglich gemacht, eine synthe- tische Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen Maßnahmen zur Beendigung der durch Steueroasen möglich einzuführen, obwohl sich die Schweiz selbst konsequent gemachten und oft aktiv geförderten Steuerhinterziehung dazu bekennt. und Steueroptimierung sollten auf der Basis international • Ein dritter Vorbehalt gegen eine Quellensteuer lautet, dass konsensfähiger Grundsätze eingeleitet werden, in deren Zen- man damit die Steuererhebung an diejenigen delegiert, die trum vorbehaltslose Transparenz stehen muss. bisher Steuerhinterziehung aktiv gefördert und dies gar in vielen Fällen als gute Tat gerechtfertigt hatten. Bezüglich der Einkommensteuern besteht ein solcher Kon- sens in Form des Wohnsitzprinzips.6 Aus diesem Prinzip folgt, Die Aufgaben bei den Gewinnsteuern der Unternehmen sind völlig anderer Natur. Hier geht es darum, zum Teil historisch 5 Eine ausführliche Diskussion der volkswirtschaftlichen, über die Pri- gewachsene Schlupfl öcher zu schließen, die es Unterneh- märeffekte hinausgehenden Auswirkungen von Steueroasen fi ndet men durch geschickte Konstruktionen erlauben, quasi nir- sich in F. Brevik, M. Gärtner: Welfare and Distribution Effects of Bank Secrecy Laws, Universität St. Gallen, Volkswirtschaftliche Abteilung, gends steuerpfl ichtig zu sein oder Gewinne in Länder zu ver- Diskussionspapier, Nr. 2005-07. schieben, in denen sie zwar nicht wirklich operieren, in denen 6 Versuche, den Steuerkonfl ikt zwischen EU-Ländern und der Schweiz aber die Steuersätze am attraktivsten sind. als einen Systemkonfl ikt zwischen Territorialprinzip und Wohnsitz- prinzip darzustellen, sind Augenwischerei. Die Schweiz hat das Wohnsitzprinzip nicht nur explizit anerkannt, wie sich in Verlautba- Ein Ansatz wäre das, was man heute unter einer „unitary tax“ rungen der Regierung nachlesen lässt. Sie praktiziert es auch ohne versteht. Von multinationalen Unternehmen verlangt dieses wenn und aber selbst. Blankart beugt die Wirklichkeit in schon aben- teuerlicher Weise, wenn er in seiner Verteidigung des Bankgeheimnis- Modell zwei Dinge: ses behauptet, die Schweiz verbleibe „nicht gänzlich, aber doch teil- weise beim Territorialprinzip“ (S. 4). Deshalb hätten sich Länder wie 1. Die Konsolidierung ihrer Gewinne. Steuertechnisch Deutschland die durch das Bankgeheimnis entstandene Steuerhin- terziehung selbst zuzuschreiben. Sie hätten ja durch den Übergang interessant wäre dann nur der gesamte Gewinn von zum Wohnortprinzip den Status quo einseitig verlassen und es sei in- Apple. Es geht nicht mehr darum, welcher Tochter in folgedessen ihr Problem, wenn ihnen die anderen Staaten nicht oder welchem Land Gewinne durch interne Verrechnungen nur teilweise folgen. Vgl. C. B. Blankart: Der Steuerstreit Deutsch- land – Schweiz aus ökonomischer Sicht, in: Ifo Schnelldienst, 65. Jg. zugeschoben wurden. (2012), H. 18, S. 3-6. Richtig ist stattdessen, dass die Schweiz zwar in 2. Die Offenlegung ihrer Aktivitäten an ihren verschie- der Tat eine von der Bank einbehaltene anonyme Verrechnungssteuer denen Standorten. Denkbare Messgrößen wären etwa in Höhe von 35% auf bestimmte Kapitaleinkommen erhebt. Aber dies dient lediglich als Daumenschraube zur Förderung der Steuerehrlich- die Lohnsumme, der Wert der Infrastruktur und der ge- keit trotz Bankgeheimnis. Die Einbehaltung entbindet Betroffene ex- tätigte Umsatz. plizit nicht von der Angabe ihrer Kapitalerträge in der Steuererklärung und deren Versteuerung am Wohnort. Kanton und Wohnort wiederum bestimmen den sich aus der Addition von Arbeits- und Kapitalein- Aus einem all diese Faktoren gewichtenden Schlüssel ergibt kommen ergebenden Einkommensteuersatz. sich dann der im jeweiligen Land zu versteuernde Anteil des

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 371 Zeitgespräch

Gewinns.7 Dies würde Scheinwettbewerb zwischen Staaten Dieses Arrangement ist aus zwei Gründen problematisch: dämpfen und global das Unternehmensteueraufkommen Reiche Ausländer werden massiv anders besteuert als Inlän- erhöhen, nicht zuletzt auch in den unter den Steueroasen der, weshalb wir es mit einem Angebot zu tun haben, dass speziell leidenden Entwicklungsländern. Der Vorschlag der man im Handel als Dumping bezeichnen würde.10 Außerdem EU-Kommission, eine Gemeinsame Konsolidierte Körper- gilt das Angebot nur für reiche Ausländer. Die Schweiz hätte schaftsteuer-Bemessungsgrundlage einzurichten, geht in die Schumacher mit Sicherheit keinen Steuerdeal angeboten, ihn richtige Richtung, bleibt zunächst nur auf die EU beschränkt vermutlich 1996 nicht einmal in der Schweiz Wohnsitz nehmen und stößt bei der OECD bisher auf taube Ohren. lassen, wenn er nicht als bereits zweimaliger Weltmeister an- geklopft hätte, sondern als stellensuchender Kraftfahrzeug- Steuerwettbewerb und Steuerdumping mechaniker. Und wenn Schumacher auf dem Weg vom Kart- Fahrer zur Formel 1 verunfallt und arbeitsunfähig geworden Eine wichtige und durchaus komplexe Frage in diesem Zu- wäre, wäre er natürlich dem deutschen Staat und nicht der sammenhang ist der Steuerwettbewerb, also die Simulation Schweiz zur Last gefallen. eines Marktes auch im öffentlichen Bereich. Manche sehen darin die einzige Möglichkeit, Leviathan im Zaum zu halten Nach dem gleichen Prinzip lebten im letzten Jahr 5634 pau- und erkennen in diesem Zusammenhang sogar einen positi- schalbesteuerte Ausländer in der Schweiz und spülten dort ven Beitrag der Steueroasen.8 695 Mio. Schweizer Franken (550 Mio. Euro) in die Steuerkas- sen. Für diesen Dumpingpreis ersparten sie sich Einkommen- Märkte funktionieren aber in der Regel nur dort gut, wo es steuern in Höhe 10 Mrd. bis 20 Mrd. Euro in ihren Heimatlän- Konkurrenz auf der Angebots- und der Nachfrageseite gibt. dern, deren Schulen, öffentliche Leistungen und soziale Absi- Sie setzen Transparenz voraus, in dem Sinne dass nur derje- cherung sie in Anspruch genommen hatten, bis sie auf Gold nige das Gut erhält, der bezahlt hat. Dieses Ausschlussprinzip stießen. fehlt im öffentlichen Bereich oftmals. Deshalb ist viel von dem, was unter der Flagge des Steuerwettbewerbs fährt, irrefüh- Ausblick rend und ein Schutzmantel für Steuerdumping. Die durch Steuer-CDs, Offshore-Leaks und prominente Ein- Wenn man den Medien glauben darf, haben Michael Schuma- zelfälle ausgelöste Dynamik lässt hoffen, dass die lange Jahre cher und Apple gemeinsam, dass sie auf ihr Einkommen bzw. sehr nonchalante Haltung vieler Länder gegenüber dem Trei- ihren Gewinn nur etwa 2% Steuern abführen. Das ist in beiden ben der Steueroasen ein Ende hat. Innerhalb der EU scheint Fällen legal, deutet aber auf das eben genannte Problem des der Damm gebrochen und ist der automatische Informations- Steuerdumpings und das Rosinenpicken hin, Themen, die im austausch wohl nicht mehr aufzuhalten. Den fordern nun in- Zuge einer möglichen Schließung der Steueroasen ebenfalls nerhalb der Schweiz auch viele Kantone, was die mit Deutsch- aufgearbeitet werden sollten. Im Falle von Michael Schuma- land paraphierten, mit Österreich und Großbritannien gerade cher resultiert sein Steuersatz aus der in weiten Teilen der abgeschlossenen bilateralen Verträge schon jetzt zum Ana- Schweiz nach wie vor üblichen Praxis der Pauschalbesteue- chronismus macht. Jede Lösung, die hinter einem automati- rung reicher Ausländer.9 Ist man reich genug, bieten die meis- schen Informationsaustausch zurückbleibt, ist letztlich auch ten Kantone in der Schweiz nicht erwerbstätigen Ausländern in hohem Maße undemokratisch, weil sie die Umsetzung der die Möglichkeit, sich „nach Aufwand“ besteuern zu lassen Umverteilungswünsche des Wählers, die Revision von durch und nicht nach ihrem Einkommen. Der Aufwand berechnet Steueroasen provozierte Strukturen, blockiert. Die Lösung im sich dann als das Fünffache des Mietwerts der vom Steuer- Bereich der Unternehmensteuern wird komplizierter sein und pfl ichtigen bewohnten Liegenschaft. Dieser Betrag tritt dann länger dauern, weil Vorhandenes zwar moralisch zweifelhaft an die Stelle des tatsächlichen Einkommens. aber letztlich legal ist. Wichtig ist hier ein radikaler Neuanfang und der Verzicht auf Flickwerk an den gegenwärtigen, ganz

7 Erfahrungen mit diesem System sind durchaus vorhanden. So fi ndet offensichtlich versagenden Strukturen. es beispielsweise in den meisten Bundesstaaten der USA Anwen- dung und hilft zu vermeiden, dass die meisten „State taxes“ der Steu- eroase Delaware zufl ießen. 8 Wenn man dabei auch die Hinterziehung von Steuern einschließt, wie 10 Welches Ausmaß diese Diskriminierung bzw. Bevorzugung erreichen dies am 9.4.2013 eine Journalistin der Tageszeitung „Die Welt“ bei kann, mit der Reiche und Superreiche in die Schweiz gelockt werden, Günther Jauch tat, dann müsste man allerdings auch Ladendieben illustriert das Beispiel Michael Schumachers. Er wohnt im Waadt, und Hehlern eine wichtige Funktion im Preiswettbewerb zusprechen. dem Kanton mit den höchsten Steuersätzen der Schweiz und müss- 9 Allerdings wird die Pauschalbesteuerung und damit die Privilegierung te, wenn er Schweizer wäre, fast 50% seines Nettoeinkommens ver- reicher Ausländer inzwischen auch in der Schweiz sehr kritisch dis- steuern. In Wirklichkeit versteuert er etwa 2%. Eine Übersicht über kutiert. In sechs Kantonen wurde sie bereits abgeschafft, darunter die Grenzsteuersätze der Kantone der Schweiz fi ndet sich in M. Gärt- Zürich und die beiden Basel. Im nächsten Jahr wird es voraussichtlich ner: Bankgeheimnis und Verrechnungssteuer: Konsequenzen für die eine landesweite Abstimmung über die generelle Abschaffung der Steuerehrlichkeit in den Kantonen der Schweiz, in: Perspektiven der Pauschalbesteuerung geben. Wirtschaftspolitik, 12. Jg. (2012), H. 3, S. 258-279.

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 372 Zeitgespräch

Thiess Büttner, Carolin Holzmann Entwicklung und Determinanten des Engagements deutscher Unternehmen in Steueroasen

Steueroasen spielen im Kontext der Steuerhinterziehung sich die Forschung weltweit um ein umfassendes Bild der eine wichtige Rolle, indem sie es ermöglichen, im Heimat- Steuerplanung multinationaler Unternehmen und ihrer De- land unversteuerte Einnahmen zu verschleiern und Zins- terminanten. Dies ist jedoch schon von der Datenlage her und Vermögenseinkommen unversteuert zu erzielen. Die nicht einfach. Denn ebenso wie das Steuerrecht sind auch günstigen steuerlichen Bedingungen der Steueroasen Statistiken über Konzernaktivitäten weitgehend national schaffen aber auch Möglichkeiten für die legale Steuerge- ausgerichtet und erfassen grenzüberschreitende Sachver- staltung. Insbesondere multinationale Unternehmen se- halte nur sehr eingeschränkt. Selbst wenn man feststellen hen sich international einem komplexen Netz von steuerli- kann, ob und in welchem Umfang Aktivitäten im Ausland chen Regelungen gegenüber, das nur in sehr begrenztem durchgeführt werden, ist zu klären, welche Aktivitäten tat- Umfang aufeinander abgestimmt ist, und so Situationen sächlich steuerplanerisch motiviert sind. Ein beobachtba- schafft, in denen Doppelbesteuerung ebenso wie Nicht- res Indiz steuerlicher Gestaltungen ist die Gründung einer besteuerung von Gewinnen möglich wird. Ihre Steuerpla- Tochtergesellschaft in einer Steueroase, verstanden als nung hat das Ziel, ungünstige Effekte abzuwenden, die ein Land mit besonders günstigen steuerlichen Bedingun- durch Inkonsistenzen in der internationalen Besteuerung gen. Dabei ist zunächst festzulegen, wann die steuerlichen entstehen können, und durch die Ausgestaltung der Ge- Regelungen eines Landes als besonders günstig gelten, schäftstätigkeit die Steuerlast des Konzerns insgesamt zu so dass das Land als Steueroase einzuordnen ist. senken. In der internationalen Literatur kursieren verschiedene Lis- Die Begrenzung der internationalen Steuerplanung multi- ten von Ländern, die als Steueroasen gelten können. Hier nationaler Unternehmen ist seit vielen Jahren Gegenstand ist beispielsweise die Liste von Hines und Rice1 zu nennen. einer regen gesetzgeberischen Aktivität sowie von Ver- Sie ist aus deutscher Sicht insoweit unbefriedigend, als handlungen auf nationaler und supranationaler Ebene. So Karibikstaaten stark im Vordergrund stehen und die jün- gibt es in den Industrieländern zahlreiche Regelungen, die geren steuerlichen Entwicklungen in Osteuropa nicht hin- steuerliche Gestaltungen, die aus internationalen Unter- reichend berücksichtigt sind. Eine alternative Steueroa- schieden in der Besteuerung Vorteile ziehen, unattraktiv senklassifi zierung wird von der OECD2 vorgenommen. Die machen oder unterbinden sollen. In Deutschland gibt es Unterteilung der OECD in kooperierende und nicht koope- Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, zu Funkti- rierende Länder basiert allerdings primär auf politischen onsverlagerungen, zur Fremdfi nanzierung und zur Trans- Festlegungen, also darauf, international steuerliche Infor- ferpreissetzung, um nur besonders prominente Beispiele mationen auszutauschen und Transparenzstandards bei anzusprechen. der Ausgestaltung des Steuersystems der Länder einzu- halten. Ohnehin sind diese Listen nicht spezifi sch auf die Wie erfolgreich die Bestrebungen zur Eindämmung der Steuerplanung multinationaler Unternehmen ausgerichtet, Steuerplanung bislang gewesen sind, ist nicht einfach zu sondern beinhalten auch Aspekte, die eher bei Steuerhin- beurteilen. Fest steht, dass es trotz der gesetzgeberischen terziehung eine Rolle spielen. Anstrengungen seit vielen Jahren in den Industrieländern immer wieder spektakuläre Fälle gibt, in denen internatio- Nutzung von Steueroasen nal operierende Großunternehmen, trotz hoher Gewinne, in den Sitzländern von Mutter- oder Tochtergesellschaf- Aus deutscher Sicht ist die implizite Legaldefi nition aus ten kaum Steuern zahlen. Auch in dem kürzlich durch den dem Außensteuerrecht (§ 8 (3) AStG) interessant, wonach US-Kongress aufgegriffenen Fall des Unternehmens App- eine niedrige Besteuerung vorliegt, wenn die Einkünfte le wurde deutlich, dass durch eine Steueroasentochter, einem Ertragsteuersatz von weniger als 30% bzw. 25% in diesem Fall in Irland, die Gesamtsteuerbelastung des (seit 2001) unterliegen. Allerdings sind die Schwellenwerte Konzerns erheblich reduziert werden konnte. recht restriktiv gesetzt. Im Vergleich zu dem fast völligen

Schwierige Datenlage 1 J. R. Hines, E. M Rice: Fiscal Paradise: Foreign Tax Havens and Ame- rican Business, in: The Quarterly Journal of Economics, 109. Jg. (1994), H. 1, S. 149-182. Neben der Auseinandersetzung mit spektakulären Fällen, 2 OECD: Towards Global Tax Cooperation: Progress in Identifying and die allerdings jeder für sich anders gelagert sind, bemüht Eliminating Harmful Tax Practices, Paris 2000.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 373 Zeitgespräch

Tabelle 1a Tabelle 1b Nutzung von Steueroasen durch deutsche Konzerne Nutzung von Steueroasen durch deutsche Konzerne 1996 und 2000 2004 und 2008

1996 Tochter- 2000 Tochter- 2004 Tochter- 2008 Tochter- anzahl anzahl anzahl anzahl Niederlande 132 Niederlande 192 Polen 336 Niederlande 827 Singapur 99 Singapur 174 Ungarn 236 Polen 543 Hongkong 95 Ungarn 171 Niederlande 219 Singapur 221 Ungarn 81 Hongkong 148 Singapur 153 Hongkong 202 Irland 72 Irland 94 Hongkong 141 Slowakei 180 Schweiz 54 Schweiz 64 Irland 116 Rumänien 166 Belgien 17 Chile 37 Slowakei 105 Irland 141 Chile 17 Verein. Arabische Emirate 21 Schweiz 65 Chile 70 Luxemburg 12 Belgien 19 Chile 37 Schweiz 70 Bahamas k.A. Luxemburg 14 Bulgarien 25 Bulgarien 67 Bermuda k.A. Bahamas k.A. Belgien 24 Verein. Arabische Emirate 44 Britische Jungferninseln k.A. Bahrain k.A. Luxemburg 24 Litauen 28 Bulgarien k.A. Bermuda k.A. Verein. Arabische Emirate 22 Luxemburg 27 Cayman Inseln k.A. Britische Jungferninseln k.A. Litauen 17 Belgien 24 Libanon k.A. Bulgarien k.A. Insel Man 14 Serbien 24 Liechtenstein k.A. Cayman Inseln k.A. Zypern 11 Malta 24 Mazedonien k.A. Libanon k.A. Lettland 10 Lettland 20 Verein. Arabische Emirate k.A. Bahamas k.A. Bahrain k.A. Bahrain k.A. Bahamas k.A. Anmerkungen zu Tabelle 1a und 1b: Als Steueroasen gelten Länder, de- Bermuda k.A. Bermuda k.A. ren tarifl icher Steuersatz bei der Unternehmensbesteuerung so gering Britische Jungferninseln k.A. Britische Jungferninseln k.A. ist, dass 80% der 189 betrachteten Länder in dem Zeitraum einen hö- heren Steuersatz hatten. In Fällen, in denen keine Angabe (k.A.) in der Cayman Inseln k.A. Cayman Inseln k.A. Tabelle über die Tochterzahl gemacht wird, handelt es sich um statisti- Island k.A. Insel Man k.A. sche Einzelwerte, die aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht wer- Libanon k.A. Island k.A. den dürfen. Liechtenstein k.A. Libanon k.A. Quelle: eigene Berechnungen anhand der Microdatabase Direct Invest- Macao k.A. Liechtenstein k.A. ment. Mazedonien k.A. Macao k.A. Oman k.A. Marshallinseln k.A. Mazedonien k.A. Moldawien k.A. Paraguay k.A. Verzicht auf eine Besteuerung in einigen der bekannten Zypern k.A. Steueroasen liegen sie relativ nah an der Steuerbelastung in Hochsteuerländern.

Für eine unvoreingenommene Analyse der Aktivitäten aber auch bekannt, dass der tarifl iche Steuersatz aus der multinationaler Unternehmen in Steueroasen verwenden Unternehmensbesteuerung für bestimmte Einkunftsarten Büttner, Holzmann, Overesch und Schreiber3 demgegen- und Gesellschaften vielerorts gar nicht zur Anwendung über die tatsächliche Verteilung der tarifl ichen Steuersätze kommt. So gibt es gerade in europäischen Standorten wie weltweit. Steueroasen werden hier als Länder mit tarifl i- Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz chen Steuersätzen unterhalb eines bestimmten Perzen- besondere steuerliche Vergünstigungen für Holdings, die tils der empirischen Verteilung defi niert. Eine sinnvolle den Bedingungen in Steueroasen nahe kommen. Unterscheidung ergibt sich anhand des 20%-Perzentils. Entsprechend gelten alle Länder als Steueroasen, deren Deutsche Konzerne mit Tochterunternehmen Steuersatz so gering ist, dass vier Fünftel der berücksich- tigten 189 Länder im Zeitraum von 1996 bis 2009 einen Unter Berücksichtigung von Holdings und Finanzierungs- höheren Steuersatz veranschlagen. Konkret entspricht gesellschaften in Ländern mit besonderen Vergünstigun- das einem Steuersatz von 20% als Schwellenwert. Es ist gen listen Tabelle 1a und 1b die von deutschen Konzernen am häufi gsten gewählten Steueroasen nach der Häufi gkeit

3 T. Büttner, C. Holzmann, M. Overesch, U. Schreiber: Anti-tax avoi- der dort gemeldeten Tochterunternehmen für vier Refe- dance rules and multinationals’ demand for tax havens, mimeo 2013. renzjahre auf. Als Datenbasis dient die Microdatabase

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 374 Zeitgespräch

Abbildung 1 Abbildung 2 Deutsche Konzerne mit und ohne Anteil deutscher Konzerne mit Tochtergesellschaften Tochtergesellschaften in Steueroasen in Steueroasen

Zahl in % 50 4000 gesamt 45 3500 40 3000 35 2500 30 2000 25 1500 20 mit Töchtern nach § 8 (3) Außensteuergesetz 1000 15 mit Steueroasentöchtern 500 10

0 5 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 0

001 006 Quelle: eigene Berechnungen anhand der Microdatabase Direct Invest- 1996 1997 1998 1999 2000 2 2002 2003 2004 2005 2 2007 2008 2009 ment. mit Töchtern nach § 8 (3) Außensteuergesetz mit Steueroasentöchtern

Direct Investment, die die Deutsche Bundesbank zu For- Quelle: eigene Berechnungen anhand der Microdatabase Direct Invest- ment. schungszwecken zugänglich macht. Die Datenbank ent- hält Informationen über die im Ausland gehaltenen Toch- tergesellschaften deutscher Konzerne.4 zeigt, dass 1996 knapp 2300 deutsche Konzerne Tochter- unternehmen mit Sitz im Ausland hatten. Bis 2009 stieg Tabelle 1a und 1b zeigen, dass sich die Aktivitäten deut- die Zahl der multinationalen Unternehmen um knapp 56% scher Konzerne vielfach auf Steueroasen und Niedrig- auf rund 3500 an. Im gleichen Zeitraum nahmen auch die steuerländer erstrecken, die in den international üblichen Steueroasenaktivitäten der Unternehmen zu. Hatten 1996 Steueroasenlisten nicht vorkommen und oft gar nicht als rund 340 Konzerne Töchter mit Sitz in Steueroasen, wa- Steueroasen angesehen werden. In den letzten Jahren ren es 2009 fast 1100 Konzerne (vgl. Abbildung 1). Dies waren es vor allem osteuropäische Staaten, die unter an- entspricht einem Zuwachs von mehr als 325%. Demnach derem durch eine Senkung ihrer Unternehmensteuersätze zeigt sich hier nicht nur der allgemeine Trend in Richtung an Attraktivität als Standorte für Töchter deutscher Kon- Internationalisierung. Deutsche Unternehmen intensivier- zerne gewannen. Bemerkenswert ist, dass Länder, wie ten ihre Oasenaktivitäten. Abbildung 2 zeigt, dass rund beispielsweise die Bahamas, Bermuda oder die Cayman 30% der Unternehmen 2009 in Steueroasen aktiv sind, Inseln, die international als wichtige Steueroasen angese- 1996 waren es nur etwa 15%. hen werden, für die Steuerplanung deutscher Konzerne kaum eine Rolle spielen – die Anzahl der Gesellschaften Weitergehende Analysen zeigen, dass auch die Zahl von ist in diesen Ländern so gering, dass sie aus Datenschutz- Tochtergesellschaften in Steueroasen innerhalb der Kon- gründen nicht angegeben werden darf. zerne zugenommen hat. Hielten die in Steueroasen aktiven Konzerne 1996 durchschnittlich 1,8 Steueroasentöchter, In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist eine stetige In- stieg diese Zahl 2009 auf 2,5. Dies legt nahe, dass Steuer- ternationalisierung der deutschen Unternehmen zu beob- planung zunehmend durch ein Gefl echt von ausländischen achten, die mit einer Ausweitung des Engagements deut- (Steueroasen-)Töchtern erfolgt und nicht nur durch Nut- scher Konzerne in Steueroasen einherging. Abbildung 1 zung einer einzigen Gesellschaft. Die Auswertung der Bun- desbankdaten zeigt im Übrigen, dass Tochterunternehmen

4 Die im Folgenden dargestellten empirischen Ergebnisse basieren auf mit Sitz in Steueroasen im Durchschnitt eine geringere Informationen zu ausländischen Tochterfi rmen deutscher Konzerne, wirtschaftliche Aktivität aufweisen. Im Mittel beträgt das wobei nur Beteiligungen in Höhe von 100% berücksichtigt wurden. Sachanlagevermögen von Tochterunternehmen in Steuer- Aus der Stichprobe ausgenommen wurden die Finanzbranche, der Agrarsektor, der Bergbau, Regierungsorganisationen und sonstige oasen etwas weniger als 9 Mio. Euro. Im Vergleich dazu ist private Gesellschaften. das mittlere Sachanlagevermögen der Töchter an Nichtoa-

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 375 Zeitgespräch

senstandorten mit fast 20 Mio. Euro mehr als doppelt so sierungsregeln, die Fremdfi nanzierungen beschränken sol- hoch. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl der Steueroa- len, führen nach den Ergebnissen der empirischen Analyse sentöchter ist mit 151 Mitarbeitern, also rund 40% des ge- dazu, dass sich die deutschen Konzerne eher in Steueroa- samten Durchschnitts, deutlich geringer als in den anderen sen engagieren. Gesellschaften. Die geringere wirtschaftliche Aktivität in diesen Konzerneinheiten weist darauf hin, dass Tochterun- Eine mögliche Erklärung dieses empirischen Befunds ist, ternehmen in Steueroasen nicht primär zur Produktion von dass multinationale Unternehmen eine Vielzahl von Mög- Gütern und Dienstleistungen genutzt werden, sondern vor lichkeiten zur Gewinnverlagerung haben, die nicht notwen- allem Vehikel der konzerninternen Steuerplanung sind. digerweise Gesellschaften in Steueroasen voraussetzen. So können Belastungsunterschiede durch Finanzierungs- Der Trend in Richtung einer verstärkten Nutzung von modelle für die Steuerplanung genutzt werden, oder man Steueroasen steht in einem gewissen Widerspruch zu der kann durch die Verrechnung konzerninterner Lieferungen steuerpolitischen Entwicklung, der sich die Unternehmen und Leistungen Gewinne in weniger stark besteuernde gegenübersehen. So sind in den letzten Jahren in vielen Länder verschieben. Infrage kommen auch komplexere Ländern Europas, die für multinationale Unternehmen aus Modelle, die ein Engagement in Steueroasen erforderlich Deutschland besonders wichtige Standorte sind, die tarif- machen. Wenn die Steuerplanung in all diesen Fällen mit lichen Steuerbelastungen auf Unternehmensgewinne ge- direkten oder indirekten Kosten verbunden ist, und wenn senkt worden. Dies sollte für sich genommen den Druck zur die Kosten einer Steuerplanung unter Zuhilfenahme von Steuerplanung reduzieren und auch die Volumina der Ein- Tochtergesellschaften in Steueroasen besonders hoch sparungen senken, die aus den Steuerplanungsstrategien sind, werden Unternehmen den Schritt zu einem Enga- erzielt werden können. In der Tat zeigen Gumpert, Hines, gement in Steueroasen erst unternehmen, wenn andere und Schnitzer,5 dass die Neigung deutscher multinationa- Steuerplanungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, bzw. der ler Konzerne, Tochtergesellschaften in Steueroasenlän- Gesetzgeber diese alternativen Möglichkeiten beschränkt. dern zu gründen und zu halten, mit der durchschnittlichen tarifl ichen Belastung ansteigt. Büttner et al.6 bestätigen Die Ergebnisse von Büttner et al.7 legen indessen auch diesen Befund, zeigen aber, dass sich ein anderes Bild nahe, dass international koordinierte Anstrengungen, An- ergibt, wenn man Regelungen in den Heimatländern der reize zur Steuerplanung zu reduzieren, durchaus die Nei- Auslandstöchter deutscher Konzerne berücksichtigt, die gung senken können, in Steueroasen ansässig zu sein. Für darauf abzielen, die Attraktivität einer internationalen Steu- die Steuerpolitik impliziert dies, dass sich die grundsätzli- erplanung zu reduzieren. Demnach steigt die Neigung, sich che Problematik der internationalen Steuerplanung allein in Steueroasen zu engagieren, wenn die Möglichkeiten zur durch gesetzgeberische Gegenmaßnahmen einzelner Län- Steuerplanung der Tochtergesellschaften stärker begrenzt der nicht lösen lässt. Die Eindämmung von Steuergestal- werden. Insbesondere die weitverbreiteten Unterkapitali- tungen unter Ausnutzung von Steueroasen erfordert dem- nach ein international koordiniertes Vorgehen.

5 A. Gumpert, J. R. Hines, M. Schnitzer: The use of tax havens in exemp- tion regimes, Bundesbank Discussion Paper, Series 1, Nr. 30/2011. 6 T. Büttner et al., a.a.O. 7 Ebenda.

Title: Tax Evasion and Tax Havens Abstract: The current debate on tax planning has to distinguish between tax evasion and aggressive tax planning. While tax evasion is ille- gal and requires the enhanced exchange of information, measures against aggressive tax planning seem to be very complex and complica- ted. Tax havens’ benefi ts from activities are inversely related to the intensity of competition among tax havens. Once the set of tax havens narrows, each havens’ share of the business increases and its margins go up. This competition aspect makes initial successes easy but fi nal success very diffi cult. Nevertheless, some authors argue that action against tax fl ight is inevitable. As tax fl ight is a multilateral phe- nomenon, coordinated initiatives by country groups appear particularly promising. Here the EU should be in the vanguard. Only automatic information exchange generates the transparency and leeway needed to eliminate evasion and to permit countries to devise tax codes at their own discretion. Despite the European trend towards lower corporate taxes, an empirical analysis shows that German mul- tinationals have increased their tax haven activities. Recent research suggests that this development might be explained by the increased usage of anti-tax avoidance measures by high-tax countries. The substitutive nature of different tax-avoidance schemes indicates that only a coordinated closing of loopholes for profi t shifting would reduce the demand for tax-haven operations signifi cantly. JEL Classifi cation: H21, H24, H26, K42

Wirtschaftsdienst 2013 | 6 376