Von Der Druckschrift Zur Persönlichen Handschrift *
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Rundschau Aus der Forschung: kurzer Überblick über die aktuelle Diskussion und den Forschungsstand Von der Druckschrift zur persönlichen Handschrift * icht nur mit der Orthographie, Handschrift (Grundschrift-Konzept)tung des Schreibens mit der Hand für sondern auch mit der Hand- Kinder neuerdings zum Opfer eines die Entwicklung kognitiver Fähigkei- schrift scheint es nicht zum Großversuchs macht – ohne jede Absi- ten ins Spiel gebracht (z. B. bei Dehae- NBesten zu stehen. So berichtet die IHK cherung durch empirische Befunde zu ne 2009; Tan u. a. 2013; Mueller-Oppen- Saarbrücken: den Wirkungen. Dazu ist als erstes zu heimer 2014). Diese bzw. ihre viel zitier- »Nach einmütiger Auffassung der sagen: Die seit den 1950er Jahren prak- te Zusammenfassung durch Konnikova Prüfungsämter und Prüfungsausschüs- tizierte lateinische Ausgangsschrift ist (2014) werden in Bezug auf die Kont- se sind die … Elementarkenntnisse der damals ohne jede empirische Basis ein- roversen über den Schreibunterricht in Prüflinge in Deutsch und Rechnen im geführt worden, und bis heute gibt es deutschen Schulen allerdings oft über- allgemeinen wenig befriedigend, zum keine Studien, die ihre Tragfähigkeit interpretiert werden (vgl. etwa Spitzer Teil sogar ausgesprochen mangelhaft. für die Entwicklung einer flüssig zu 2013; 2015; Schmoll 2015). In dem Elementarfach Deutsch findet schreibenden und formklaren Erwach- International unbestritten ist, den dies – wie die schriftlichen Arbeiten zei- senenschrift belegen. Im Gegenteil wird Lese- und Schreibunterricht mit der gen – vor allem seinen Ausdruck in dem seit Jahrzehnten über einen Schriftver- Druckschrift zubeginnen (vgl. schon schwer lesbaren Schriftbild, in der Aus- fall geklagt. die Studie von Long u. a. 1931). Vier Ar- drucksform und in der oft bodenlosen Dabei gehen verschiedene Fragen gumente sprechen dafür: Orthographie.« durcheinander (vgl. Brinkmann 2015): ●● Es ist die Schrift, die Schulanfänger Diese Klage, der sicher viele nach ih- 1. Ist das Schreiben mit der Hand heute aus ihrer Umwelt kennen und bei ihren ren Alltagserfahrungen spontan zu- überhaupt noch wichtig – oder sollen ersten Schreibversuchen spontan selber stimmen werden, stammt allerdings die Kinder stattdessen lernen, wie man nutzen. aus dem Jahre 1938 (vgl. Ingenkamp rasch und fehlerarm auf einer Tastatur ●● Es entlastet die noch wenig entwi- 1967, 17). Also aus einer Zeit, in der tippt? ckelte Feinmotorik, Wörter Buchstabe »Zucht und Ordnung« allgemein ei- 2. Wenn das Schreiben mit der Hand für Buchstabe zu konstruieren statt sie nen hohen Stellenwert hatten und in weiterhin als bedeutsam angesehen in einem Zug zu schreiben; zudem kön- der Schönschreib-Übungen noch viel wird: Muss dies eine auf dem Papier nen auch die Druckbuchstaben selbst Raum und Zeit in der Schule einnah- durchgängig verbundene Spur – oder einfacher aus wenigen wiederkehren- men. Trotzdem ähnelt die damalige kann/ sollte es eine (teilverbundene) den Elementen gebaut werden. Kritik den heutigen Klagen. In der Tat Druckschrift sein? ●● Die graphische Gliederung in Einzel- wurde ein Schriftverfall nach Abschluss 3. Unabhängig von der Form der per- buchstaben korrespondiert mit der des Schreibunterrichts immer wieder sönlichen Handschrift: Sollte diese an akustischen und artikulatorischen beklagt: Mit diesem Argument wurde einer Standardschreibschrift geübt – Gliederung der gesprochenen Sprache 1911 die deutsche Kurrent in die Sütter- oder individuell aus den Druckbuchsta- in Phoneme, so dass die Kinder leichter lin-Schrift überführt, wurde 1953 aus ben entwickelt werden? das Lautprinzip unserer alphabetischen der Deutschen Normalschrift, die die 4. Zum Anfangsunterricht: Ist es besser, Schrift begreifen und somit Wörter Nationalsozialisten 1941 verordnet hat- den Lese- und Schreibunterricht mit auch leichter erlesen können. ten, die lateinische Ausgangsschrift ent- der Druckschrift zu beginnen – oder ●● Anders als bei einer Trennung von wickelt und Ende der 1960er bzw. der mit einer verbundenen Schreibschrift? Lese- und Schreibschrift müssen die 1970er Jahre die Schulausgangsschrift Kinder nur zwei statt vier Alphabete in der DDR und die vereinfachte Aus- Ob Kinder überhaupt noch lernen sol- lernen – beginnt man mit der Block- gangsschrift in mehreren westlichen len, mit der Hand zu schreiben, oder ob schrift am Anfang sogar nur eines. Bundesländern eingeführt. sie zukünftig nur noch auf Tastaturen So viel zu der These, dass heutige Re- tippen und man ihnen deshalb früh- Umstritten ist allerdings, wie es nach formversuche eine erfolgreiche Praxis zeitig das 10-Finger-System beibringt dem Anfangsunterricht mit dem in Frage stellten und sich deshalb erst – oder ob auch dieses bald überflüssig Schrei ben weitergehen soll. In letzter empirisch zu bewähren hätten. Im Ge- werden wird, weil die Diktierprogram- Zeit sind dazu in der Tagespresse mehr- genteil: Die vielfältigen Wechsel der me immer besser werden, diese Vor- fach Kommentare erschienen. Dabei Schreibschrift-Norm sind ein Hinweis frage kann hier nicht geklärt werden. geht es vor allem um den Vorschlag des auf grundsätzliche Probleme mit der Prognosen über die Veränderung der Grundschulverbands, die persönliche Vorgabe einer standardisierten Form Schreibanforderungen sind unsicher. Handschrift der Kinder direkt aus der der verbundenen Schrift. Neben gesellschaftskritischen Hin- Druckschrift zu entwickeln – ohne Um- Aus der Lektüre der Tagespresse weisen zur Verdrängung der Hand- weg über eine genormte Schreibschrift könnte man allerdings den Eindruck schrift durch digitale Medien (vgl. wie LA, SAS oder VA (ähnlich die Kon- gewinnen, dass ein direkter Übergang Füller 2015) werden auch Befunde der zepte »handgeschriebene Druckschrift« von der Druckschrift zur persönlichen Lern- und Hirnforschung zur Bedeu- von Andresen o. J. und der Schweizer * berichtigte und ergänzte Fassung v. 14. 6. 2015 1 Rundschau »Basisschrift«, s. Hurschler Lichtsteiner/ rer Vermittlung) zusammengefasst und nahmen nicht direkt aus allgemeinen Jurt Betschart 2011). Die gewonnene auch die »Flüssigkeit« oder »Lesbarkeit« Theorien oder empirischen Studien ab- Zeit solle stattdessen in die Begleitung so unterschiedlich erfasst, dass ein di- leiten lassen und dass über Alternativen der Kinder auf dem Weg zu einer flüs- rekter Vergleich sehr problematisch ist. nicht mit Hilfe von kontrollierten Ex- sigen und formklaren Handschrift, also Wer dennoch diese Studien zur Kritik perimenten entschieden werden kann bei ihrer Suche nach individuell pas- des Grundschrift-Konzepts heranzieht, (ausführlicher: Wittmann 1995; Brügel- senden Verbindungen gesteckt werden, muss ihre Anlage und Ergebnisse aber mann 2015; Neuweg 2015). statt sie (wie bisher) bei der Entwick- auch im Detail zur Kenntnis zu neh- Mit diesem Vorbehalt sind im folgen- lung ihrer persönlichen Schrift allein men. Zusammenfassende Kennwerte den Überblick (s. Tab. 1) die wichtigs- zu lassen (ähnlich schon Lockowandt/ aus den statistischen Analysen sprechen ten empirischen Befunde einerseits aus Honegger-Kaufmann 1981; Spitta 1988). nicht für sich – sie müssen im Blick auf Laborstudien zum Schreiben mit der Gegen solche Vorschläge wird mit ihre jeweiligen Entstehungsbedingun- Hand, zum anderen von Feldstudien Verweis auf »empirische Studien« Stim- gen interpretiert werden. Da die verfüg- zur Formklarheit und Flüssigkeit von mung gemacht, die angeblich die Über- baren empirischen Befunde alle unter Handschriften, die von den Betroffe- legenheit von »Schreibschrift« gegen- forschungsmethodischen Einschrän- nen auf unterschiedlichem Wege entwi- über »Druckschrift« belegen (z. B. Fül- kungen leiden (s. die Hinweise unten ckelt wurden, kurz zusammengefasst (s. ler 2014; Schmoll 2015). Unter diesen und Taubert 2015), müssen sie gewich- ausführlicher den Anhang). Dabei wur- Etiketten werden in den Studien aller- tet und argumentativ bewertet werden. den die Ergebnisse nach unterschiedli- dings ganz unterschiedliche Schriftfor- Ganz generell gilt für die Didaktik, dass che Kriterien aufgegliedert (s. Legende men (bzw. Unterrichtskonzepte zu ih- sich Konzepte oder gar konkrete Maß- zu Tab. 1): Lesbarkeit Schnellig- Schreib- Recht- Text-Sprach- Studie keit druck schreibung qualität + Kimmins (1916) + Meis (1963) (+) + Jackson (1971) +/– + Mai (1991); Mai/ Marquardt (1998) o Groff (1995) Graham u. a. (1998): o o Druck- vs. Schreib-Schrift (+) + gemischt (= teilverbunden) vs Schreibschrift (–) (+) Mahrhofer-Bernt (2004; 2011) + + Hurschler-Lichtsteiner (2008) + + o Hurschler Lichtsteiner u. a. (2010) + o o Wicki/ Hurschler-Lichtsteiner (2014) Morin u. a. (2012): o + – ~ Druck- vs. Schreib-Schrift o + o ~ gemischte (= teilverbundene) vs. Schreibschrift o (+) Speck-Hamdan (2014) Tab. 1: Untersuchungen zum Schreiben mit der Hand + mit Vorteilen für das (teilverbundene) Handdrucken / Grundschrift / Basisschrift o ohne Unterschied zum Schreiben einer Norm-Schreibschrift (z. B. der lateinischen, vereinfachten oder Schul-Ausgangsschrift), die von Anfang an praktiziert oder im Anschluss an das Druckschreiben eingeführt wurde – mit Nachteilen für das (teilverbundene) Handdrucken / Grundschrift / Basisschrift ~ je nach Dimension unterschiedlich Vorteile für Nachteile für Entgegen den oben erwähnten Einwän- gleichwertig / Kriterium un-/ un-/ den zeigen sich dabei in den meisten teils – teils teilverbunden teilverbunden Studien Vorteile für das Schreiben einer Lesbarkeit 4 (–6) 4 0 (–1) Druck- statt einer Schreibschrift bzw. für das teilverbundene Schreiben von Schnelligkeit 7 (–9) 3 0 Druckbuchstaben (siehe