Konferenz Über Musik Und Armut
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Konferenz über Musik und Armut 1 Haus der Kulturen der Welt Berlin 6 7 86.— 8. Februar 2009 Pause Hinter den tiefsten Erinnerungen Verwächst die Zeit; Die alten Wege waren frei und breit. Nun hat die Welt sie überdrungen. „O Rauschen tief in mir, Was aber hast du, das ich gerne hörte? Ist denn ein Ton in dir, Der mich nicht störte?“ „Ich habe nichts als Rauschen, Kein Deutliches erwarte dir; Sei dir am Schmerz genug, in dich zu lauschen.“ (Rudolf Borchardt) Eine kurze Ästhetik der postökonomischen Musik die wirtschaftliche Lage neue Lebensentwürfe herausfordert. Man denke an Harry Partch, der jahrelang als Hobo lebte, be- vor er ins bürgerliche Komponistenleben zurückkehrte, und vor allem an Moondog, der sich, in Wikingerkostüm zwischen 52nd und 54th Street als Straßenmusiker verdingte. Moondog war kein Madman, sondern „dead serious“ (Kodwo Eshun) und jemand, dem Charlie Parker ergeben die Hand schüttelte. Wer, wie der Berliner Klarinettist Kai Fagaschinski, in Berliner Hin- terzimmern gegen Klingelbeutelgage spielt, trifft eine bewuss- te Entscheidung gegen andere, wahrscheinlich besser hono- rierte Formen des Musizierens. Auch wer, wie Keith Rowe, die Gitarre vom Bauch schnallt und von Ekkehard Ehlers und Björn Gottstein eine Distanz zu seinem Instrument herstellt, indem er sie auf die Tischplatte verfrachtet, wer wie Hugh Davies die Musique > Was hätte besser zur blanken Geldnot gepasst, als der lee- concrète synthetique in den entfremdeten Schaltkreisen sei- re und hohle C-Dur-Akkord, kommentierte Alban Berg rückbli- ner Alltagselektronik sucht, wer also das Instrument beschä- ckend eine berühmte Stelle des Wozzeck, in der sich die apo- digt und den Lötkolben zum Instrument erhebt, der trifft eine theotische Feststellung der Hoffnungslosigkeit der „armen bewusste Entscheidung gegen das ubiquitäre Funktionieren. Leut“ in einer Handvoll Bares versachlicht. Jene Stelle aber, Als Alvin Curran mit Musica elettronica viva im Rom der Sech- das „Wir arme Leut“, wird von Berg 1921 ins chromatische To- zigerjahre Gebrauchsgegenstände und selbstgebaute Synthe- tal gefasst, ein alle zwölf Töne beinhaltender Akkord, der das sizer mit dem Konzertflügel konfrontierte, wurde dieser Kon- alle Frequenzen umfassende weiße Rauschen mit den Berg zur flikt politisch. Der Mangel wurde zu einer Provokation, die die Verfügung stehenden Mitteln vorwegnimmt. erstarrte musikalische Tradition herausfordert. Warum ist es Das weiße Rauschen ist, gemeinsam mit der Stille, vielleicht je- heute nicht mehr möglich, die technischen Voraussetzungen ner vorläufige Endpunkt, an dem die Musik zum Erliegen kommt. dieser Provokation auszusetzen? Wo bleibt da der emanzipato- Der Kontrabass Werner Dafeldeckers, die Vinylplatten von DJ/ rische Reflex des Künstlers, der sich gegen sein Instrumentari- rupture, Wall of Noise von Hair Police – das sind verfeinerte um auflehnt? — „Musik ist mehr als Musik.“ (Ted Gaier) Stadien jenes Zustands, an dem die musikalischen Informati- onskanäle ihre Funktion versagen. Formate, Erscheinungs- und Distributionsformen unterliegen Das „arme Leben“ und die „arme Kunst“, schrieb der Begrün- nicht dem Musiker allein. Das Publikum entscheidet, wann der des Arte-povera-Gedankens, Germano Celant, verweisen und wo es welche Musik hört. Die Verfügbarkeit des digita- nicht auf etwas. „Sie bieten sich dar.“ Sie sind arm im Sinne ei- len Archivs enthebt Musik ihres Kontextes. Hörer und Kritiker ner politischen und musikhistorischen Tatsache. Bergs C-Dur- sind gleichermaßen von diesem semantischen Verlust betrof- Akkord ist eine Form der musikalischen Verarmung. Helmut La- fen. Das Feuilleton ist im Shuffle-Modus, der MP3-Spieler ver- chenmann hat den Topos der musikalischen Armut zu einem heißt ahnungslose Glückseligkeit. Warum hören wir, über den vorläufigen Höhepunkt geführt, als er in Das Mädchen mit den anthropologischen Trieb hinaus, noch Musik? Schwefelhölzern dem Hunger, der Kälte, kurz: dem Elend ein musikalisches Gewand verlieh. „It does not matter very much if it is folk music or if it is avant- Nun wird die Idee einer Musica povera natürlich nicht nur dem garde as long as it fits the situation. You have it in computer ga- Material nach greifbar, sondern auch im Diskurs, am Markt, in mes and all the kinds of sound illustrations. I think what is co- den Biografien, beim Hörer und der technischen Entwicklung. ming up is a synthesis of everything, where we do not find the Der Reihe nach. Wir haben uns heute daran gewöhnt, ökono- differences very interesting.“ (Jan W. Morthenson) — Das mu- mische Verhältnisse vor allem vom Markt her zu betrachten. sikalische Ereignis des Jahres 2008 hieß Grand Theft Auto IV. Demnach wäre Musik längst die ärmste aller Künste. 85 % aller Mit über 200 Originaltiteln, die das Spektrum von Dancehall online zum Verkauf angebotenen Titel wurden 2008 genau null bis Hardcore abdecken und die in virtuell designten Radiosen- Mal verkauft. Das sind zehn Millionen Karteileichen, die den dungen unter anderem von Karl Lagerfeld und Femi Kuti mo- Niedergang des Musikmarkts hinlänglich abbilden. Die Theo- deriert werden, simuliert Grand Theft Auto IV die Bandbreite rie des Long Tail, dass nämlich die Long- und Little-Seller der der globalen Popkultur. Dieses Computerspiel leistet, worum Archive den Hit als kapitalträchtige Größe ablösen, wäre so- sich das professionelle Musikleben vergeblich bemüht: einen mit widerlegt. ontologischen Blick auf die Musik der Welt. Das bedeutet nicht nur, dass Musiker heute wieder an der Käse- Grand Theft Auto IV verleiht der Musik den Status einer Aus- theke oder als Bademeister arbeiten müssen, sondern dass nahme, indem es sie nach persönlichen, von der Haltung 5 eines guten DJs nicht zu unterscheidenden Kriterien auswählt Dünkel in die Favelas geflüchtet. Wenn sich postökonomische und abbildet. So limitiert der hier praktizierte Genre-Übergriff Musik irgendwo dingfest machen lässt, dann an Orten, an de- bleibt, so befreiend wirkt die Möglichkeit des kanalisierten Ab- nen der ökonomische Wert von Musik dadurch, dass eine wie rufs. Eine Konferenz, die Armut zum ästhetischen Dispositiv er- auch immer zu beziffernde Kaufkraft schlichtweg nicht exis- klärt, muss sich dieser Aufgabe stellen. Die Ästhetik des Pove- tiert, gegen Null tendiert. ren reicht von den bis zu vier Akkorden des Punk bis zur Wie- Nehmen wir Cumbia, das seine Wurzeln in der Akkordeonmu- derholung der Minimal Music, von den Verweigerungsstrate- sik Kolumbiens hat und heute als Mischung aus Folklore, im gien der Musica negativa bis zum Medium der Kassetten, auf Sounddesign westlicher Provenienz und in den Tanzrhythmen denen die von Brian Shimkovitz ausgewählten Awesome Tapes der afrikanischen Diaspora weiterlebt. In den südamerikani- from Africa erscheinen. Es sind nicht der verkümmerte Ton oder schen Metropolen, vor allem in Buenos Aires, mobilisiert Cum- das Bankkonto des Künstlers allein, die musikalische Armut bia buchstäblich Hundertausende. Parties finden in ausran- manifestieren, sondern das Gros der zur Verfügung stehenden gierten Industriehallen statt und dauern, aus Sicherheitsgrün- Strategien und Tatsachen. den, nie länger als drei Stunden, was wiederum zu abendli- Gleichwohl ist der von Jan W. Morthenson beklagte Verlust der chen Partypilgerströmen führt. Der britische DJ Vamanos ist ein Differenzen prekär. Die digitale Revolution hat den Hit, das Reisender, der Musikstile wie Cumbia, Tropical und Dance Hall Werk, das Stück, den Track, die Platte, das Konzept- und Dop- nicht mehr im heimischen Plattenladen, sondern mit ethnologi- pelalbum, und sogar den Autor monadisiert. Musik wird ihrer schem Eifer sucht und sichtet. Und auch Brian Shimkowitz hat Zeit entrissen, ihrer Bedeutung, ihrem Urheber, kurz: ihres Kon- seine Awesome Tapes from Africa im Zuge von langen Reisen textes. Der Kapitalismus hat sich, krude gesagt, nie für musik- und gründlichen Erkundungen zusammengetragen. historische Finessen interessiert. Wer ihm die Musik ausliefert, Mit der Sorgfalt und Liebe, die DJ Vamanos und Brian Shimkovitz muss Verluste hinnehmen, die sich heute nicht durch Verkäufe auf das Repertoire verwenden, wehren sie sich auch gegen die ausgleichen lassen. Das Gesamtwerk von Bach als monopho- Redundanz des Hörens, die die Erinnerung an den ersten Kuss ner Klingelton: Der Kontrapunkt verschwindet im File-Sharing. auf Lebzeiten festhält und die Entwicklung der eigenen Hör- Profitorientiertes Hören geht mit einer Funktionalisierung von gewohnheiten verhindert. Der Terrabyte Musik, der heute auf Musik einher, die uns nicht an ihrem Zweck zweifeln lässt, die meiner Festplatte liegt, ändert nichts daran, dass meine Play- aber nicht darüber hinweg täuschen kann, dass die ewige Party list nicht über den Status eines Fotoalbums hinauskommt. Die keine Verheißung, sondern ein Albtraum ist. Nur der berufene Plattensammlung ist immerhin noch ein musikalischer Finger- DJ löst dieses Dilemma, und zwar mit musikpädagogischem abdruck gewesen, den man sich über Jahre hinweg erarbeiten Ethos: Digging, Pflege des Repertoires und spread the word. musste. Die schiere Verfügbarkeit des musikalischen Archivs Auch dem Albtraum Spielzeug wurde als musikalischer Daten- hingegen verunmöglicht Aneignungsprozesse, die einem die träger bislang zu wenig Beachtung geschenkt. Wer das regres- eigene Biografie schreiben helfen. Terre Thaemlitz’ für den Mu- sive „I am Barbie“ der Barbiepuppe ins dunkle Bassregister legt siker befreiende Erkenntnis, „we don’t have to be unique any- und Speak-and-Spell-Maschinen in warme Schaltkreise ver- more“, gilt als