Eine „Vergangenheit, Die Nicht Vergehen Will“
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Kapitel 7 Eine „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ Der Tod des „Führers“ Adolf Hitler bedeutete das unwiderrufliche Ende der Attraktion des bewaffneten Arms der SS. Zwischen 400.000 und 500.000 dieser Männer hatten den Weltkrieg überlebt. Die Mehrheit assimilierte und integrierte sich so geräuschlos, dass von diesem Anpassungsprozess kaum Papierspuren zeugen. Die von den Alliierten zunächst befürchtete Bildung einer „fünfte Kolonne“ blieb aus. Die Angehörigen der Waffen-SS, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurück- kehrten, verstanden sich mehrheitlich nicht als Teil der Allgemeinen SS, sondern machten geltend, als „vierter Wehrmachtsteil“ neben Heer, Luft- waffe und Marine für Deutschland gedient zu haben. Seit Anfang der 1950er Jahre fand sich unter dem Namen „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit für Soldaten der Waffen-SS“ (HIAG) eine beachtliche Minderheit ehemaliger An- gehöriger zusammen.1 Trotz ihres Anspruchs repräsentierte die HIAG keines- wegs die ganze ehemalige Waffen-SS und zählte in den späten 1950er Jahren kaum mehr als 20.000 Ehemalige in ihren Reihen.2 An ihrer Spitze standen ehemalige Generale der Waffen-SS wie Felix Steiner und Paul Hausser,3 die sich öffentlich wortgewaltig für ihre Schützlinge einsetzten. Die HIAG ver- blieb in einer Grauzone: Sie beharrte fortwährend auf ihrer Rolle als Sozial- und Rechtsinstitution für die Männer der Waffen-SS, während sich ihre Angehörigen immer wieder mit ihrer Zugehörigkeit zu Hitlers Vorzeigetruppe brüsteten. So legitim ihr Ansinnen sein mochte, mit demokratischen Mitteln für eine rechtliche und soziale Anerkennung der Waffen-SS als eine der Wehr- macht gleichartigen Kampftruppe zu werben, ließ die Zusammensetzung ihrer Führungsgremien doch erkennen, dass die HIAG auch eine politische Agenda hatte. 1 Karsten Wilke, Die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG) 1950-1990. Veteranen der Waffen-SS in der Bundesrepublik, Paderborn u. a.. 2011; ders., Veteranen der Waffen-SS in der frühen Bundesrepublik. Aufbau, gesellschaftliche Einbindung und Netzwerke der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“, in: Schulte/Wildt (Hrsg.), Die SS nach 1945, S. 75-97; ders., Die Truppenkameradschaft der Waffen-SS 1950-1990. Organisationsgeschichte, Ent- wicklung und innerer Zusammenhalt, in: Schulte/Lieb/Wegner (Hrsg.), Die Waffen-SS. Neue Forschungen, S. 421-435. 2 Eichmüller, Die SS in der Bundesrepublik, S. 37. 3 Ebd., S. 24 f. © Verlag Ferdinand Schöningh, 2020 | doi:10.30965/9783657704293_009 176 7 „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ Der Anspruch, „Soldaten wie andere auch“ gewesen zu sein, stieß im Nach- kriegsdeutschland durchaus auf Verständnis. Selbst bei Widerstandskämpfern und manchen Hitlergegnern gab es eine Bereitschaft zur Differenzierung. Der Publizist Eugen Kogon, der jahrelang im KZ Buchenwald inhaftiert ge- wesen war, bemerkte 1947, es gebe selbstverständlich gerade bei der Waffen-SS „riesige Unterschiede nach Schuld, Verantwortung, Aktivität, Anteilnahme, Duldung und Unschuld“.4 Der SPD-Parteivorsitzende Kurt Schumacher schrieb am 30. Oktober 1951 an seinen Parteifreund Liebmann Hersch von der jüdischen Organisation „Der Bund“ in Genf, Hunderttausende seien „ohne ihr Zutun für die SS als Wehrmachtsteil eingezogen worden oder von anderen Formationen (…) gegen ihr Wollen zur Waffen-SS abkommandiert worden“. Sie seien inzwischen in eine „ausgesprochene Pariarolle“ geraten und würden „kollektiv haftbar“ gemacht für die „Verbrechen des SD und die Menschen- vernichtungsaktionen“, obwohl sie „als Waffen-SS kaum nähere Berührung damit hatten als andere Wehrmachtsteile“. Schumacher ging es weniger um Exkulpation als darum, diese ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, von denen er annahm, dass sie in ihrer überwiegenden Mehrheit der Ideologie ab- geschworen hatten, in die Demokratie zu integrieren: „Zu jedem totalitären System hat es gehört, mit allen Methoden der Verstrickung ein Ergebnis der Mitschuld aller zu erzeugen.“5 Wie anschlussfähig eine solche Haltung selbst im linken Parteispektrum in diesen Jahren war, zeigte ein Treffen zwischen Schumacher und dem letzten Kommandeur der LSSAH, Otto Kumm (1909- 2004), im Oktober 1951, an dem sogar Herbert Wehner teilnahm.6 Die Nach- sicht war umso verständlicher, als die Interessenvertreter der Waffen-SS und die HIAG-Funktionäre öffentlich versicherten, dem Nationalsozialismus ab- geschworen zu haben und der bundesrepublikanischen Demokratie loyal gegenüberzustehen: Es gehe, so lautete der Tenor ihrer Argumentation, in allererster Linie um die soziale und juristische Rehabilitierung ihrer Schutz- befohlenen. In ähnliche Richtung wie die SPD-Parlamentarier argumentierte zwei Jahre später Bundeskanzler Adenauer, obwohl es in der CDU zunächst sogar größere Vorbehalte gegen die Waffen-SS gegeben hatte als bei der SPD. Adenauer gab am 3. Dezember 1952 im Bundestag im Namen der Bundes- regierung eine Ehrenerklärung ab, „dass wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft (…) gekämpft 4 Kogon, Der Kampf um Gerechtigkeit, S. 375-377. 5 Der Brief Kurt Schumachers ist vielfach abgedruckt worden und wird hier zitiert nach dem Faksimile in: Heinrich Springer, Stationen eines Lebens in Krieg und Frieden, Rosenheim 1996, S. 185-187. Zur Haltung der SPD gegenüber der Waffen-SS vgl. auch Wilke, Die „Hilfs- gemeinschaft auf Gegenseitigkeit“, S. 328-363. 6 Eichmüller, Die SS in der Bundesrepublik, S. 26 f..