collinaDas Magazin vom Comer See

Preis 6 Euro ISBN 978-3-940955-12-8  E d i t o r i a l

Liebe Leserinnen, liebe Leser, er ist vielleicht der geheimnisvollste Unsere Autoren, 16 Stipendiaten der und sind in Flugzeug und Schnellboot der oberitalienischen Seen: Der Co- Journalistischen Nachwuchsförderung über die Wellen des Comer Sees geflo- mer See. Namenlose Besucher wie be- der Konrad-Adenauer-Stiftung, haben gen. rühmte Persönlichkeiten sind seinem sich für Sie unter die Menschen am Herausgekommen sind heitere und Charme erlegen. Sie schwärmten und Comer See gemischt. Sie erzählen Ge- nachdenkliche Reportagen und Fea- schwärmen vom Zauber des „Lago di schichten vom Leben in vergessenen tures, Essays und Berichte über eine “, an dem viele sich selbst gefun- Bergdörfern, schauen den Fischern am Region, deren Reiz die 16 jungen Jour- den haben. Comer See in die Netze, machen sich nalisten, das Team der Seminarleitung Dazu gehört auch Altbundeskanzler auf die Suche nach Film-Stars und Dreh- sowie Fotograf Steffen Leiprecht und Konrad Adenauer, der am Comer See orten von Hollywood-Produktionen. Art Director Frieder Bertele schnell noch lebendig ist. Rund ein halbes Jahr- Fangen Sie in diesem Magazin voller verfallen sind. Wir würden uns freuen, hundert, nachdem Adenauer Caden- einzigartiger Impressionen und Foto- wenn wir Sie neugierig auf den Comer abbia für sich als ständigen Urlaubsort grafien die Magie des Sees und seiner See gemacht haben! entdeckt hatte, finden sich noch immer Landschaft ein. Folgen Sie unseren Menschen, die „den Alten“ erlebt ha- Autoren beim Versuch, den Comer See ben: von Nahem, wie der singende Fri- an einem einzigen Tag zu umrunden. seur Renzo Toscani, oder aus der Ferne, Spüren Sie dem Fluch der Insel Co- wie der Wirt des berühmten Restaurants macina nach, lernen Sie die Sagen und auf der , Benvenuto Pu- literarischen Beschreibungen des Sees ricelli. Adenauer ist längst nicht nur als kennen. Für abenteuerlustige Besucher Bronzestatue in Cadenabbia präsent, haben sich unsere jungen Autoren auf Marcus Nicolini Peter Linden sondern in der Erinnerung Vieler. dem Fahrradsattel in die Berge gewagt Konrad-Adenauer-Stiftung Chefredakteur Journalisten-Akademie

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 Inhaltsverzeichnis

Cavargna: Das Sterben der Bergdörfer Seite 44

Piona: Der Comer See als spiritueller Ort. Dem Zauber des Sees auf der Spur Seite 14

Menaggio: Das harte Leben der Fischer Seite 48

Hirngespinste: Cadenabbia: Das Seeungeheuer „Lariosaurus“ und Dossier Konrad Adenauer – seine Freunde, seine Gäste, der Pirat „John der Verrückte“ seine Leidenschaften und sein Erbe Seite 11 Seite 27

Villa del Balbianello: Como - Bellagio - Cadenabbia: Der Lieblingsdrehort Hollywoods Mit Auto und Fähre einmal rund um den See Seite 12 Seite 38

Isola Comaccina: Der Fluch der Restaurantinsel Menaglio: Seite 52 Mit Mountainbike, Motorboot und Wasserflugzeug den Comer See erkunden Seite 22 : Auf der Suche nach George Clooney Literatur: Seite 10 Der Comer See als Schauplatz der Weltliteratur (Seiten 21, 32, 33, 43, 55)

Service: Hotels, Einkaufen, Kultur, Sport und Rezepte Seite 56

Kommentar: Seite 60

Impressum: Seite 61

Como: Glosse: Wo die Geschichte der Seide lebendig wird Von Italienern und Deutschen Seite 13 und ihren Sprachen Seite 62  Beschaulich Der Comer See ist ein Refugium für Erholungssuchende

  Ordentlich Der Comer See ist ein Dorado für Gartenliebhaber

  Sportlich Der Comer See ist ein Tummelplatz für Extremsportler

  G a l l e r i a

O Clooney mio!

Nur vor seiner Villa herumlungern reicht nicht. Wer George Clooney erleben möchte, braucht eine gute Taktik.

Es ist gefährlich, auf George Clooney In Laglio merke ich, dass ich nicht die toller Kerl. Natürlich wäre es ein Traum zu warten. Eng gepresst an eine hohe, Erste bin, die nach George fragt. Ein von mir, ihm mal die Haare zu schnei- bemooste Steinmauer, blicke ich auf anderer Lebensmittelhändler begegnet den“, sagt Acchile, der in seiner Schub- zwei Engelskulpturen am Eingang der mir abweisend und genervt. Er kenne lade Artikel über George sammelt. Villa Oleandra. Autos schießen aus der George persönlich und fordert mich engen Straßenkurve und rasen an mir auf, dessen Privatsphäre nicht zu verlet- Detektivarbeit ist kraftraubend. Er- vorbei. Die Mission George ist gefähr- zen. Ich verlasse den Laden, sogar ohne schöpft sacke ich auf einer Steinmauer lich. Aber voller Leidenschaft. jegliche Information über Georges am Rand der Via Regina zusammmen. Lieblingsbrötchen. Sommerliche Nachmittagsruhe. Plötz- Via Regina, Hausnummer 20, ziemlich lich ertönen hinter mir Motorenge- am Ende von Laglio. Genau vier hohe Doch ich lasse mich nicht abwimmeln. räusche, die lauter werden. Zu meiner Gitterzäune trennen mich von George. Der Kanuclub-Besitzer Moretti Amadeo Rechten rast eine Harley Davidson vor- Meine Hoffnung ist, dass der Holly- ist hilfsbereiter und verrät immerhin, bei, dicht gefolgt von einer zweiten. woodstar über die Torschwelle schrei- dass George stets freundlich lächelt und Der Fahrer der ersten trägt eine blaue tet und mir wenigstens fünf Minuten jeden auf der Straße mit einem sympa- Jeans, ein schwarzes T-Shirt und einen seines Lebens schenkt. Doch auch nach thischen „Ciao“ begrüßt. 100 Meter roten Helm. Trotz des hohen Tempos einer guten Stunde geduldigen Wartens weiter treffe ich auf den gesprächigen bemerke ich, wie der Fahrer mir über kommt er nicht. Eine andere Taktik Tanzclubbesitzer Signore Pier. „George den Rückspiegel einen Blick zuwirft. muss her, um an meinen Herzensbre- spielt manchmal Golf in . Und cher ran zu kommen. Ich werde mich er trägt gerne Jeans und T-Shirt. Wie Da weiß ich: Das ist George. In dieser ihm von außen nach innen nähern. ein ganz normaler Mensch“, sagt Signo- Sekunde, die nur mir gehört, ist Missi- Über Nachbarn, Ladenbesitzer, Clubbe- re Pier. Außerdem habe er beobachtet, on George erfolgreich beendet. sitzer. wie George einer Frau beim Tragen von Einkaufstaschen geholfen habe. Im Nachbarort treffe ich Mario Romussi. Der arbeitet im kleinen Mein Herz schlägt höher. George spielt Lebensmittelladen „La vecchia droge- nicht nur den Gentleman im Film, er ist Yaena Kwon, Jg 1988: ria“. Er habe schon des öfteren gese- auch einer in der Wirklichkeit. Im klei- Sehnsüchtig blickte Yaena hen, wie George auf seiner schwarzen nen Salon des Herrenfriseurs Acchile Kwon auf den Comer See und Harley Davidson die Kurven am Comer Toroni hängt ein Foto von ihm selbst malte sich im Kopf eine roman- See entlang fuhr, begleitet von einem und George an der Wand, das nach tische Szene aus: Ja, sie würde George Cloo- Bodyguard. Ein Hoffnungsschimmer. den Dreharbeiten für einen Werbespot ney persönlich antreffen. Der Beginn einer spannenden und einzigartigen Mission... Ich beschließe, auf Motorräder zu achten. entstanden ist. „George ist ein wirklich

10 G a l l e r i a Piraten und andere Monster Der Comer See ist reich an Legenden. Für manche sind es Hirngespinste im Suff, für andere unheimliche Begegnungen der dritten Art.

Zwei bis drei Meter ist er lang, starrer Städte und Händler her, raubten sie Blick, der Kopf von einer Halskrau- aus, metzelten jeden nieder, der sich se umrahmt. Oder auch so: Knapp 80 ihnen in den Weg stellte. Schließlich Zentimeter ist er kurz, das Hin- ächzte der See so sehr unter Johns har- terteil gleich dem eines ter Hand, dass die Händler sich nicht Schweins und Füße mehr aufs Wasser wagten. mit Schwimmhäu- ten wie bei einer Bis schließlich beim Versuch, Como Ente. zu entern, alle seine Männer betrun- Beides ist der ken gemacht wurden und John im „Lariosaurus“ – Kampf plötzlich ohne Rückendeckung das Nessie vom dastand. Er sprang vom Schiff, rettete Comer See. Das Un- sich an Land und rannte, rannte, die geheuer, das niemand rachsüchtigen Verfolger auf seinen Fer- gesehen hat und von dem sen. Er suchte im Schloss von doch ungezählte Beschrei- Zuflucht, eine Fehlentscheidung, die bungen kursieren. Im Frem- ihn auf der Stelle seinen Kopf kostete. denverkehrsbüro von Como Die Verfolger konnten ihn dort mühe- wird mit einem ungläubigen los fangen. Mit diesem letzten Piraten Blick bedacht, wer Fragen verschwand die letzte Totenkopfflagge zum wohl ungewöhnlichs- für immer vom Comer See. ten Bewohner des Comer Sees stellt. Kopfschütteln Bleibt der Lariosaurus: In den vergan- und hämisches Grinsen in- gen Jahren ist er sogar noch gewach- klusive. sen. Verschiedene Augenzeugen wollen das Monster 2003 am nördlichen Ufer Den ersten Kontakt mit den An- des Comer Sees gesehen haben. Im wohnern des Comer Sees soll das Sonnenuntergang soll ein sechs Meter Ungetüm im Jahr 1946 hergestellt ha- langes Tier mit ungeheurem Kopf in ben. Fünfmal wurde der Lariosaurus dreieckiger Form und mit grün leucht- oder etwas, was ihm sehr nahe kommt, enden Augen aufgetaucht sein. Giorgio seither gesehen. Den Namen Lariosau- Tosi, Fischer aus Menaggio, hält das al- rus trugen ursprünglich die Überreste les für einen Schwindel: Noch nie habe eines vor 100 Jahren gefundenen Rep- ein Fischer den Lariosaurus gesehen, tils. Doch dieses geriet in Vergessen- sagt Tosi, „außer er ist betrunken aus heit. Nicht so das Monster: Selbst lite- der Kneipe getaumelt“. rarischer Beachtung erfreute es sich: Giovanni Galli schrieb 2000 den Roman „Il Lariosauro“, und Gregor von Laufens Stefanie Söhnchen, Jg 1987: fragt in seinem Buch „Lariosauro – Cé Dem Erbe von echten Piraten- un monstro nel lago?“, ob alles nicht schurken auf den Grund zu gehen, ihre blutige Spur zu ver- doch nur ein großer Schwindel sei. folgen, bis schließlich Köpfe rollen — unge- heuer spannend. Aber nur durch die Gewiss- Ein anderes Ungeheuer trieb im 16. heit, dass die Verrückten allesamt längst die Jahrhundert sein Unwesen auf dem See: Totenkopfsegel gestrichen haben. „John der Verrückte“, den Namen hatte er von seinem noch verrückteren Vater Johannes Jolmes, Jg 1984: Mag es gern ungewöhnlich. Ge- geerbt, hinterließ mit seiner Freibeuter- funden hat er den Lariosaurus sippe an den Ufern des Sees eine Spur nicht — selbst nicht beim Tau- der Verwüstung. Nach allen Regeln der chen im Comer See. Aber das heißt nicht, Piratenkunst fielen Johns Männer über dass es das Ungeheuer nicht gibt...

11 G a l l e r i a Rückkehr in die Fiktion

Sechs Sekunden ist Walter Gatti in „Star Wars: Episode II“ zu sehen. Sechs Sekunden, die ihn noch sechs Jahre später bewegen.

Die Rolle seines rungen als Theaterschauspieler und im Lebens: Walter Kanufahren. So war garantiert, dass die Gatti spielte den Schauspieler nicht von der Gondola in Gondoliere in George den See fallen würden. Lucas‘ „Star Wars: Episode II“. An der Die besten Momente erlebte Gatti in den Pausen, da er die Chance hatte, mit erinnert er sich an den Schauspielern zu sprechen und vor die aufregende Zeit allem sein großes Idol George Lucas am Set und hinter näher kennenzulernen. „Ich erinnere den Kulissen. mich daran, wie er sich ganz hinten in die Buffetschlange gestellt hat, ob- wohl er der mächtigste Mann am Set war. Jeder andere Regisseur hätte sich wahrscheinlich vorgedrängelt“, erzählt Gatti. Seine Bewunderung für die Re- gielegende ist noch immer groß: Nicht einmal sei Lucas ungeduldig geworden oder habe geschrien, stets sei er auch zu den Komparsen freundlich gewesen.

„George Lucas ist nicht nur ein groß- er Regisseur, sondern in erster Linie Der Höhepunkt von Walter Gattis Doch für ihn verbirgt sich eine einzig- unwahrscheinlich menschlich“, sagt Schauspielerkarriere war ein sonniger artige und unvergessliche Erfahrung Walter Gatti. Dies ist sein Tag der Erin- Nachmittag auf der Villa del Balbianel- dahinter. nerungen an die Villa del Balbianello. Das zweite lo. Fertig kostümiert und geschminkt, Seine kleine Rückkehr in die Vergan- Hollywood: Die stand er um 12 Uhr mittags bereit, um Die Villa del Balbianello, die ursprüng- genheit. Villa del Balbianello kurz darauf seine Gondola ans Ufer zu lich nur aus einem kleinen Franziska- war Schauplatz lenken. Während Jedi-Ritter Anakin nerkloster bestand und im 18. Jahrhun- zahlreicher Filme. Skywalker der Prinzessin Padmé Amida- dert ausgeweitet wurde, war Schauplatz Filmfans aller Welt la aus dem Boot half, ergriff Gatti die zahlreicher Hollywoodfilme. 1995 erinnern sich an die zwei Gepäckstücke der Prinzessin, und wurde dort „A month by the lake“ mit berühmte Kussszene sie alle stiegen die Treppe hinauf zur Vanessa Redgrave und Uma Thurman auf der Terrasse und Yaena Kwon, Jg 1988: Villa, in der sich Anakin und Padmé vor- gedreht. Der öffentliche Garten diente die romantische Wie im Film: Am Originalschau- sichtig küssten. Cut. „Ok!“, rief George als Drehort für den jüngsten James Hochzeit am Ende platz von „Star Wars: Episode II“ Lucas und beendete so die fünftägigen Bond „Casino Royale“ mit Daniel Craig. erlebte Yaena Kwon ihr persön- des Films „Star Wars: Dreharbeiten auf der Spitze der Halb­ George Lucas‘ Science-Fiction-Film ist liches Wunder. Episode II“. insel Lavedo in . jedoch der berühmteste Streifen auf dieser beeindruckenden Liste. Der Re- Sechs Jahre später steht Walter Gatti gisseur hatte 1999 mit seiner Familie im wieder an diesem Ort, an dem er als Hotel „Villa d‘Este“ in Cernobbio resi- Komparse im Film „Star Wars: Episode diert. Dort gefiel es ihm so gut, dass er II“ mitgewirkt hat. Sehnsüchtig und das Drehbuch zu „Star Wars: Episode II“ stolz zugleich blickt er auf den Comer auf die Villa del Balbianello abstimmte. See und ruft in seinem Gedächtnis die Erinnerungen an die Szene hervor, die Aus insgesamt 370 Bewerbern wurde vier Mal zuvor geprobt worden war. Im Walter Gatti für die Rolle des Gondo- Film sind es nur sechs Sekunden, in de- lieres ausgewählt. Ausschlaggebend nen Gatti als Gondoliere zu sehen ist. für George Lucas waren Gattis Erfah-

12 G a l l e r i a Textile Tradition

Vor 500 Jahren fand die Seide den Weg von China nach Como. So mancher asiatische Besucher des Seidenmuseums würde sie am liebsten zurückholen.

Langsam fährt die Hand des Besuchers nau die Seide nach Como kam, ist nicht über die wuchtige Metallrolle. Sein Zei- belegt. Schon in der Antike könnten gefinger gleitet nach unten, berührt den Eier der Seidenraupe nach Europa ge- feinen, weichen Stoff, der in der Rolle schmuggelt worden sein. Annalisa Leo eingespannt ist. Dann spaziert er wei- meint jedoch, der Seidenhandel habe ter, begutachtet die hölzerne Maschine erst nach Marco Polo richtig einge- mit ihren Rollen und Zahnrädern, inspi- setzt. ziert jedes Detail. Sucht Blickkontakt mit einem Kollegen und nickt anerken- Im Gebiet des Comer Sees entstanden nend. Am Ende zieht der Besucher den große Felder mit Maulbeerbäumen, von Fotoapparat aus der Tasche. denen sich die Raupen ernähren. In Fa- milienbetrieben wurden in heimischer Annalisa Leo vom Seidenmuseum in Küche die Kokons eingeweicht, die Como kennt diese Besucher. Männer, Seidenfäden ineinander gedreht, ein- die ihre „Palmer“ allzu genau begut- gefärbt und an fußbetriebenen Web- achten. Die „Palmer“, eine Art Bügel- stühlen zu Stoffen verwoben. Im 18. maschine von 1932, die Seidenstoff Jahrhundert entstanden die ersten geschmeidiger und glänzender machte. hydraulisch angetriebenen Webmaschi- Meist sind die Besucher aus Asien. Und nen. Noch bis zum Zweiten Weltkrieg manchmal beabsichtigen sie, die „Pal- wurden rund um den Comer See Sei- mer“ nachzubauen, in China, in dem denraupen gezüchtet. Land, aus dem die Seide ursprünglich kommt. Heute kommt die Seide wieder aus Chi- na. In Como findet nur noch die „Ver- Como ist für hochwertige Seide welt- edlung“ statt, wie Annalisa Leo sagt: weit bekannt. „Made in Como“ steht Weben, Drucken, Designen. „Die Rau- für gute Qualität und exklusive Muster. penzucht ist harte Arbeit, das möchte Von Como beziehen große Designer hier keiner mehr machen. Außerdem und Staatsmänner ihre Ware. Das Wei- haben wir nicht mehr den Platz und ße Haus hat schon bestellt, auch der die gute Luft für die Maulbeerfelder.“ Vatikan. Der Ursprung der Seide liegt Die Seide ist dennoch das wichtigste jedoch in China: Einer Legende nach Produkt der Region. Traditionsreiche soll der chinesischen Kaiserin Si-Ling Firmen wie die Tantoria Pessina und im Jahr 2640 vor Christus ein Seiden- ihre Kunden Braghenti oder Campi kokon in ihre Teetasse gefallen sein. existieren nach wie vor. Die alten Pro- Als sie versuchte, den Kokon herauszu- duzenten sind heute auf Import und fischen, hielt sie eine tote Raupe und Export spezialisierte Verarbeiter. schimmernde Fäden zwischen den Fin- gern. Si-Ling bat darum, derlei Fäden zu Stoff zu verweben, und tatsächlich ließen sich die Seidenfäden, die den Kokon der Raupe bilden und bis zu einem Kilometer lang werden können, in warmem Wasser auflösen.

Der ganze Weg der Seidenproduktion, Sina Müller, Jg 1986: vom Gewinnen des Fadens, über das Auf der Suche nach schönen Kleidern verirrte sich Sina Mül- Spinnen, Färben, Weben, bis hin zum ler ins Seidenmuseum, wo sie Verfeinern des Stoffs, ist in Annalisa gelernt hat, dass Seide nicht gleich Seide ist. Leos Museum nachzuerleben. Wann ge-

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Der Segen des Sees

Priester und Mönche, Künstler und Reisende – am Comer See treffen sich Menschen aus allen Welten. Und viele erliegen seinem Zauber.

Jeffrey Green, Pfarrer der anglika- am Ufer des Comer Sees trauen lassen bensbrüdern. Jeden Tag um die Mittags- nischen Kirche von Cadenabbia, sah die wollen. Oder dort ihr Heiratsverspre- zeit sitzt er im viereckigen Kreuzgang, Anspannung und Aufgewühltheit in den chen erneuern. Andere kommen nicht umrahmt von römischen Säulen. Es ist Augen der jungen Frau, die in seiner Sa- zum Heiraten. Sie suchen einfach nur der Mittelpunkt der ganzen Anlage und kristei unruhig auf und ab ging. Er sah, den besonderen Segen am See. Etwas, der Mittelpunkt seines Tages. Er sitzt wie verloren sie wirkte an diesem ihr was Jeffrey Green als spirituelle Heilkraft still, die Augen geschlossen und die fremden Ort. bezeichnet; eine scheinbar magische Hände zusammengefaltet. Hier fühlt er Mischung aus Ruhe und Natur, aus dem sich umgeben von völliger Ruhe und Dabei sollte es der schönste Tag im malerischen Bild der Siedlungen und Einsamkeit, im zarten Blütenduft der Leben der Jodie Grey werden. Die 28- des funkelnden Wassers, aus der Wucht Luft und unter dem wärmenden Son- jährige Britin aus London war extra der Berge, die ihm Schutz, Stärke und nenlicht, das in den Innenhof fällt. In angereist, um hier zu heiraten: Hier, Frieden bedeuten. diesen Momenten ist er Gott besonders wo Berge, See, Natur, Architektur und nah. Menschen eine Einheit bilden, die ver- Was Jodie Grey an ihrem Hochzeitstag zaubert – so hatte sie es jedenfalls in suchte, haben viele Menschen am Co- Eine halbe Stunde lang nimmt Inno- Büchern und Reiseführern gelesen. mer See längst gefunden. Zu Füßen der cenzo Barbiero diese Energie auf, dann Mit dem Segen des Sees hinein in den Berge Legnone und Legnoncino, auf macht er sich wieder an die Arbeit im neuen Lebensabschnitt. Eine Hochzeit einem Hügel umgeben von Wald und Kräutergarten und in den Olivenhainen jenseits des lauten, hektischen, re- wilden Bächen, liegt das Kloster von rund um das Kloster. Für den Bene- alen Stadtlebens der Metropole. Eine Piona. Seit dem siebten Jahrhundert diktinermönch ist der Comer See der Hochzeit in der ruhigen, besinnlichen, schätzen die Benediktinermönche die Alte Baukunst perfekte Ort zur Kontemplation: „Die traumhaften Welt des Sees. Jetzt war sie Gegend als Quelle ihrer Spiritualität. spiegelt sich in äußere Ruhe hilft mir, meine innere hier, nur der vermeintlich zeitlose Zau- Pater Innocenzo Barbiero lebt seit 40 modernen Bildern im Ruhe zu finden, und Gott intensiver ber nicht. Jahren hier, zusammen mit 14 Glau- Kloster von Piona. zu spüren“, sagt Pater Innocenzo. Alle

In ihr kamen Ängste und Zweifel hoch: Was, wenn Patrick doch nicht der Rich- tige wäre? Aus der Kirche drang bereits Gemurmel. Die Hochzeitsgesellschaft, Damen mit eleganten Hüten und Herren in maßgeschneiderten Dreitei- lern, nahm Platz in den 300 Jahre alten Holzbänken. Zwei Hochzeitsplaner liefen von einer Ecke zur anderen, be- festigten Blumensträuße, nahmen sie wieder ab, platzierten sie woanders. Gleichzeitig wiesen sie den Gästen die Plätze zu. Der Bräutigam wartete am Al- tar und schaute nervös auf die Uhr. Als wolle er, dass es endlich vorbei ist.

Pfarrer Green blieb ruhig, wie er immer ruhig bleibt in solchen Situationen. Jede Woche aufs Neue zieht seine Kir- che Menschen aus Großbritannien an, Angehörige der Anglikanischen Kirche, die sich in seiner Church of Ascension

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Am Comer See fühlt sich Pater Innocenzo Barbiero dem Himmel nah. 17 M a g a z i n

zwei Wochen kommen Gruppen nach Der Weg zur Heiligen Jungfrau des Bei- Viele hat Pater Floriano hier hochstei- Piona, um mit ihm zu meditieren und stands ist steinig. Er führt vorbei an gen sehen; Jugendliche, die nur zum seine Erfahrungen zu teilen. Plantagen und Olivenhainen, am Berg- Verweilen kommen, Kardinäle, die zum hang rauscht ein Wildbach. Vorbei an Gebet kommen, ganze Pilgerströme, Nicht nur für die Benediktinermönche Kapellen, die längs des Aufstiegs der die am 8. September das Fest der Hei- von heute ist der See ein außergewöhn- Allee liegen, wie kleine Tempel aus ligen Jungfrau des Beistands begehen. licher Rückzugsort. Seit Jahrhunderten spätbarocker Zeit. Vorbei an einem Frauen kommen und beten um Frucht- ist die Gegend religiös aufgeladen, ein alten Mann in T-Shirt, Jeans und Base- barkeit. Sie wollen den Geist der heili- Anziehungspunkt für Geistliche und ballkappe, der in einer Plantage den gen Mutter Gottes empfangen. Pilger aus aller Welt. Die aus römischen Boden pflügt. Zwischenzeitlich lässt er Zeiten stammende „Via Regina“, einst den Blick schweifen, über das Tal, den Wie eine Besucherin, an die sich Pa- Hauptstraße am Comer See, war längst See, die Berge, die teilweise noch mit ter Floriano ganz besonders erinnert. mehr als nur Handelsstraße zwischen Schnee bedeckt sind. Es ist Pater Floria- Es war ein heißer Julitag im Jahr 1995, Italien und Nordeuropa. Sie war auch no, ein Kapuziner-Bruder. als er einen Anruf bekam – er solle ein eine der bedeutendsten Verbindungs- paar Amerikanern die Abteikirche zei- straßen für die Evangelisierung Euro- Für Pater Floriano ist der Comer See gen. Kurz darauf erschien eine blonde pas und ein Glaubenspfad für Pilger auf der Schlüssel zur Einkehr. „Es ist die- Frau mit Strohhut und schwarzer Son- dem Weg nach Rom. Viele Pilger haben se Kombination aus alten Bauten, der nenbrille, begleitet von zwei Männern. sich hier niedergelassen, Kirchen und Ruhe, den Menschen, der unberührten Die neugierigen Blicke der anderen Abteien rund um den See erbaut. Dar- Natur, die ich einzigartig finde. Der Besucher auf die Begleiter und die unter die Wallfahrtskirche der Heiligen tägliche Aufstieg hinauf zur Abtei ist Frau ignorierte er. Die Frau wollte alles Jungfrau des Beistands in . anstrengend, aber er stimuliert meine wissen, über die Kirche, vor allem über Der Komplex besteht aus 14 Kapellen Kontemplation und hilft mir, zu mir die heilige Madonna. Er erklärte es ihr und einer Abtei der Kapuzinermönche. Enrico Biacchi lässt selbst zu finden.“ in gebrochenem Englisch, führte die Die UNESCO erhob ihn 2003 zum Welt­ sich für seine Kunst- Frau herum, bis hin zur anliegenden kulturerbe. werke inspirieren. Klostertaverne. Es war Gemurmel an

18 Stille und Ehrfurcht folgen dem Blick in die Wallfahrtskapelle San Martino ober- halb von Cadenabbia. 19 den Tischen, als er sich mit der Frau alten Steinhäusern ist mehrere Kilome- Bilder, Skulpturen und Gedichte: „Die hinsetzte. „Das ist doch Madonna“, rief ter entfernt. Vor Enrico Biacchi liegt ein Gegend sieht nie gleich aus, je nach ein junger Mann. „Erst später sagte man Blatt Papier auf dem er mit seinem Pin- Wetterlage zeigt der See verschiedene mir, dass es sich um eine Künstlerin na- sel seine Inspiration in ein paar grüne Stimmungen, Farbenspiele und unend- mens Madonna handelte“, erzählt Pater Striche verwandelt. Biacchi kneift die lich viele Perspektiven. Das gibt mir Floriano und lächelt, „doch ich hatte Augen zusammen, fokussiert den Berg- Energie.“ meine eigene Madonna und habe den wald auf der anderen Seite des Sees, Rummel gar nicht verstanden.“ so als würde er jeden einzelnen Baum Was Biacchi künstlerisch verarbeitet, und jeden einzelnen Farbton studieren. suchen die meisten Touristen in Form Auch Künstler strömten aus allen Rich- Blick, Strich, Blick, Strich – allmählich von Fotos oder Videos einzufangen und tungen an den See, Komponisten wie werden Konturen einer Berglandschaft mitzunehmen. Rund 800.000 Menschen Giuseppe Verdi oder Franz Liszt, Maler sichtbar. aus aller Welt sind im vergangenen Jahr wie Mario Radice, Wissenschaftler wie an den Comer See gereist. Die meis- Alessandro Volta oder Schriftsteller wie Jeder Strich ein anderer Grünton. Nach ten Gäste kamen aus Deutschland und Plinius oder Stendhal. Letzterer hat in jedem neuen Grünton schmunzelt Biac- Großbritannien. Wie Mary Kings aus der Villa Melzi in Bellagio den See und chi kurz, so als würde er sich freuen, Cornwall. Die 55-Jährige steht im Gar- seine Wirkung auf sich verarbeitet: dass er noch immer neue Facetten des ten der prächtigen und „Dieses Schloss, ehemals eine Burgfes- Grüns und der Landschaft entdeckt. kann sich an der Pflanzenpracht nicht te, in einer Lage, wie sie vielleicht auf Schließlich formiert sich auf seinem satt sehen. „Klar kenne ich schöne eng- der ganzen Welt einzigartig ist“, schreibt Blatt eine Berglandschaft in Form eines lische Gärten, aber was ich hier sehe, er in der „Karthause von Parma“. Weiter Fußes, der auf den Boden aufsetzt. Der übersteigt alles, was ich kannte.“ Rot- heißt es: „Alles ist edel und zart, alles Fuß ist Enrico Biacchis Fuß, der Boden blühende Hortensien, Lorbeerbäume, spricht von Liebe und nichts gemahnt ist der Comer See. Es ist eine Allegorie all die üppigen Tropenpflanzen. „Alles an die hässlichen Dinge, die unsere Zi- auf seine Geburt am Comer See vor 65 zusammen, auf so engem Raum, faszi- vilisation mit sich bringt.“ Der Comer Jahren und seine Wiederkehr vor 20 Jah- nierend“, sagt Mary Kings und fühlt sich See ist für viele Prominente auch ein ren. Als Künstler hatte er in vielen Städ- versetzt in ihren Lieblingsroman „Gar- Rückzugsort für die Seele. ten der Welt gelebt, zuweilen in großem dens of Delight“, der in den Gärten und Luxus. Dann zog er sich bewusst an den Villen rund um den Comer See spielt. Enrico Biacchi hat ihn in Naro gefun- Comer See zurück. In seiner Kunst spie- den, mitten im Wald, 600 Meter über gelt sich, wovon er überzeugt ist: Dass Ab und an bleibt die Touristin ste- dem See. Er sitzt auf einem Holzstamm, nur diese Gegend ihm hilft, sich selbst hen, um Pflanzen zu berühren und so direkt neben seiner Waldhütte. Das zu finden und zu artikulieren. Wie ein ein Stück des Gefühls mit nach Hau- letzte Dorf auf dieser Höhe mit seinen Leitmotiv zieht sich der See durch seine se zu nehmen. Zum vierten Mal ist

20 M a g a z i n sie bereits am Comer See, der für sie cher in den Mauern lassen ahnen, wie wie ein natürlicher Ratgeber ist, eine viele Leben und welche Geschichten Hilfe, Entscheidungen zu treffen oder sich dort abgespielt haben. Vergangen- nachzudenken. Vergangenes Jahr kam heit, die in die Gegenwart und die Zu- sie hier zum Entschluss, einen beruf- kunft strahlt. lichen Neustart zu wagen: „Das Meer ist zu offen, die Gedanken ufern schnell Sie kann jeden ergreifen, der sich auf aus. Aber der Comer See hat die rich- sie einlässt; Mönche, die seit Jahrhun- tige Größe; durch die Form des Sees derten da sind, Künstler, die nach lan- fühlt man sich geborgen. Die Berge gen Reisen zurückgekehrt sind, Touris- geben einen überschaubaren Rahmen ten, die nur kurz vorbeikommen. Es ist vor, in dem sich Gedanken entwickeln die Vielfalt von Gegensätzen, die den können.“ Charme des Comer Sees ausmacht, we- nige Kilometer trennen das hohe Ge- Dass viele Touristen die magischen birge vom See, das urwüchsige Alpental Kräfte des Sees zur schnellen Seelenkur von industrialisierten Hügelzonen, grö- nutzen, bekommt Mathilde Zuijdwegt ßere Städte von kleinen Gemeinden, jeden Tag mit. Sie arbeitet im Touris- Oasen der Tierwelt von Tempeln der teninformationszentrum von Menaggio Kultur. Wer den Zauber sucht, kann und berät dort Gäste aus aller Welt. Sie ihn finden, wenn auch nicht immer so- selbst hat sich vom See verzaubern las- fort. Mancher wird einfach vom Zauber sen und ist vor rund 20 Jahren aus den überrascht. Niederlanden hierher gezogen. Für sie liegt die Magie in der Einheit zweier Fünf Minuten vor Beginn von Jodie völlig verschiedener Welten, die beide Die Wallfahrtskapelle Greys Hochzeit winkte Pater Green da- ihren Rhythmus und ihre Atmosphäre San Martino liegt mals die Hochzeitsplaner noch einmal haben: „In den Orten am Ufer ist das in 475 Meter Höhe herbei, er bat sie, doch ihre Arbeit ein- Leben aufbrausend und lebendig, nicht wie ein Vogelnest zustellen. Dann bat er die Hochzeitsge- zuletzt wegen der Touristen. Wenige Ki- am Fels. sellschaft um Ruhe, rief das Brautpaar lometer weiter oben in den Bergen der zu sich und schlug vor, kurz an den Kontrast: Steinerne, teilweise verlas- See zu spazieren, diesen einfach nur sene Häuser aus dem 15. Jahrhundert auf sich wirken zu lassen. Jodie und ihr und das Gefühl, jemand hätte einfach Verlobter waren irritiert, folgten aber die Zeit angehalten.“ den Worten des Pfarrers. Dann bat Jef- Eva Kopytto, Jg 1983: frey Green auch die Gäste innezuhalten Hat nach dem Zauber des Co- Im Bergdorf San Martino zum Beispiel. – und ebenfalls an das Ufer zu treten. mer Sees gesucht. Gefunden Da stehen viele solcher Häuser. Viele Eine halbe Stunde später hatten sich hat sie ihn an ganz unterschied- wurden von Deutschen gekauft, die alle gesammelt. Sie saßen ruhig in der lichen Orten. Ihr Fazit: Der Comer See ist ma- gisch. Er verzaubert die Menschen, die hier hier ihre besondere Ruhe finden wol- Kirche. Ein überzeugtes „Ja, ich will“ wohnen und macht die Region deswegen so len – umgeben von einem Schleier der hallte durch den Raum. Es war Jodies einzigartig für Touristen. Ewigkeit und der Zeitlosigkeit. Die Lö- Stimme.

Literatur (1) Ein Sommer am Comer See, was könnte Stimmung des Comer Sees. Wie Giacomo Alberto Vigevani: schöner sein? Vielleicht ein Sommer am sein Liebesleben, eine Welt unbekannter Sommer am See See, in dem man die zarte Erzählung ge- Gefühle entdeckt, so entdeckt er auch nießen kann, die der italienische Autor Al- das Klima, das Wetter, die Umgebung: berto Vigevani (1918 bis 1999) vor 50 Jah- „Der See war hell, zarte Lichter strei- ren schrieb. Die Erzählung spielt in den chelten die Gärten, die in Girlanden Jade-Yasmin Tänzler, Jg 1985: Autorin Jade-Yasmin Tänzler 30er Jahren, in denen der vierzehnjährige endenden Markisen der Villen [und] kommt ins Schwärmen, wenn Giacomo seine Sommerferien am Comer drangen zwischen den Schirmen der Pi- sie an die Ruhe denkt, die vor See verbringt. Er ist melancholisch und nien vor auf die terassierten Abhänge.“ Tagesanbruch über dem Comer See liegt. Für unsicher, so kurz vor dem Eintritt in die Vigevani erschließt den Comer See genau ihre Literaturtipps durfte sie Bücher lesen, Welt der Erwachsenen. so, wie er die Ängste, Probleme und ero- in denen der See vorkommt. Die schönsten Bücher und Textpassagen stellt sie Ihnen auf Vigevani verwebt die Gemütslage des tischen Entdeckungen des literarischen den nächsten Seiten in fünf Rubriken vor. Protagonisten mit der atmosphärischen Helden skizziert.

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Ruckeln, Gleiten, Schweben

Der Comer See ist ein Magnet für Extremsportler. Unsere Autoren suchten und fanden ihre Grenzen an Land, zu Wasser und in der Luft.

Das Mountainbike Auf dem Aufstieg nach und Hundegebell und das Knattern eines auf der Abfahrt nach Bellagio ist der Motorrollers kündigen endlich die ge- Der Pfad vor mir ist gerade mal drei Weg geteert. Dazwischen fahre ich teerte Straße an. Ich rolle den Berg hin- oder vier handbreit. Rechts und links über Stock und Stein, über Waldwege, unter nach Menaglio, etwa 10 Kilometer wächst Gras, das mir bis zu den Knien Trampelpfade und alte Militärstraßen. oberhalb von Bellagio – acht Minuten reicht. Keine Chance, den tellergroßen, Im Ersten Weltkrieg waren die Berge für drei Kilometer, nach sechs Stunden spitzen Steinen oder den Wurzeln aus- um den Comer See Frontgebiet. Die im Sattel. In Menaglio steht die Wall- zuweichen, die aus dem Boden wach- Straßen sind inzwischen größtenteils fahrtskirche Madonna del Ghisallo. Sie sen. Es geht bergab, doch der Weg ist verfallen. Besonders da, wo sie von ist seit 1949 die Schutzpatronin der so steil, dass selbst im Sattel nicht mehr der Almwirtschaft nicht mehr genutzt Radfahrer. Die Kirche gleicht einem als Schritttempo möglich ist. Mit ange- werden. Teilweise sind die Wege breit Schrein für Radfans. An den Wänden zogenen Bremsen ruckle ich den Hang genug für ein Auto, manchmal reicht es hängen Rennräder der großen Stars hinunter. Meine Hände schmerzen. gerade für einen Fahrradreifen. Manche des italienischen Radsports wie Mar- Doch wenn ich die Bremsen loslassen Steigungen sind nur schiebend zu über- co Pantani und Mario Cipollini. In der würde, wäre mein Bike innerhalb von winden. Mitte brennt eine ewige Flamme für Sekunden außer Kontrolle. alle verstorbenen Radler, und über dem Ich schiebe – mal wieder. Die Ab- Eingang hängt unter vielen anderen das Plötzlich taucht eine Stufe vor mir auf – schnitte, in denen ich im Sattel sitze, Gelbe Trikot des mehrmaligen Tour-de- Vollbremsung. Das Vorderrad blockiert, werden kürzer. Genauso die Abstände France-Siegers Miguel Indurain. das Hinterrad steigt auf Höhe meines zwischen den Pausen, in denen ich mich Kopfes. Ich schaffe es gerade noch, frustriert auf den Lenker stütze. Meine Meine Waden zittern, als ich in der Kir- meine Füße von den Pedalen zu neh- Beine sind von Schlamm bedeckt. Mei- che stehe. Mein Körper verlangt nach men, verliere aber das Gleichgewicht. ne rechte Wade ziert eine daumenlange einem Ausgleich für die verbrauchte Dann liegen wir beide auf dem Boden. Schramme. Um meinen Kopf herum Energie. Ich muss mich setzen. Mein Ich auf dem Hintern, das Fahrrad auf summt ein Schwarm Fliegen. Als ob sie Helm liegt neben mir, meine Arme stüt- der Seite. Der Berg hat gesiegt. wie Aasgeier nur darauf warteten, dass zen den Kopf. Im Sekundenrhythmus ich aufgebe und umfalle. setze ich die Wasserflasche an, um mich Mehr als 40 Kilometer lang ist die Stre- für die letzten Kilometer nach Bellagio cke von Como über Menaglio nach Irgendwann kann ich keine Steigung fit zu machen. Gott sei Dank geht es Bellagio. Über den Triangolo Lariano, mehr sehen, geschweige denn hoch- nur noch bergab. Fünf oder sechs Ki- das dreieckige Landstück, das den süd- fahren. Zwei Drittel des Weges habe ich lometer ohne treten zu müssen. Der lichen Teil des Comer Sees vom Lago di hinter mir, doch mit dem Monte Ponciv Lohn für all die Leiden. trennt. Der Weg ist auf Landkar- läge der höchste Berg der Tour noch vor ten und in Mountainbike-Führern als of- mir. Es geht nicht mehr. Die Karte zeigt fizielle Route eingezeichnet. Allerdings einen Ausweg. Ein kleiner Wanderweg immer mit dem Hinweis: „Schwierig soll direkt ins Tal führen. Tatsächlich – hohe Kondition und Fahrtechnik er- zeigt ein Schild in die richtige Richtung, forderlich“. Mehr als 1500 Höhenmeter doch wo der Weg sein soll, erstreckt und mehrere Berge gilt es zu überwin- sich nur eine Schafswiese, die irgend- Thomas Schöneich, Jg 1981: Thomas Schöneich war ziem- den. Der höchste Punkt der Route ist wann an einem Zaun endet. Ich rate, lich erstaunt, dass Mountain- der Monte Ponciv mit 1453 Metern. Das wo der Pfad sein könnte. Auf dem Weg bike-Trails so steil sein können klingt harmlos, aber Como und Bellagio durch das Gras piept irgendwann mein und verbrachte deshalb auf seiner Tour von liegen nur 200 Meter über dem Meeres- Handy. Eine Nachricht meiner Mutter: Como nach Bellagio mehr Zeit damit, das spiegel. „Lieber Thomas, wie geht es Dir?“ Ich Fahrrad zu schieben anstatt wirklich Fahrrad zu fahren. beschließe, nicht zu antworten.

22 Am Ende der Kräfte in der Wallfahrts- kirche Madonna del Ghisallo in Menaglio.

23 M a g a z i n

Das Motorboot nach dem Städtchen benannt wurde? Molinari, Primatist und Cranchi sind Motorboote, Fähren, Surfbretter kreu- hier ansässig. Mein Körper vibriert. Ich gebe trotzdem zen meinen Weg. Gas. Hinaus auf den Comer See, das Mitten auf dem See drossle ich den Abenteuer leben. Die Wellen brechen, Vor 150 Jahren wären es Transport- Motor. Vor mir thronen die schneebe- Wassertropfen spritzen auf meine Haut. schiffe, Gondeln und Ruderboote ge- deckten Gipfel im Norden des Sees. Ich will mehr: Die totale Beschleuni- wesen. Um Kühe, Seide oder Mehl über Neben mir schmiegt sich eine Abtei an gung! Ich umklammere das Steuerrad. den See zu bringen, nutzten die Händ- den Berghang. Hinter mir breitet sich Jetzt nur keinen Fehler. 25.000 Euro ler die wechselnden Winde. Morgens der See in seiner ganzen Größe aus. Die kostet so ein Motorboot. Warum sich aus dem Norden in den Süden nach Sonnenstrahlen brechen sich an und der Feuerlöscher wohl unter dem Steu- Como. Nachmittags beladen aus dem auf den Wellen. Um mich herum ein Di- er versteckt? Mit aller Kraft ziehe ich Süden zurück in den Norden. Nachts amantenmeer. Und absolute Ruhe. Das den Schubhebel zu mir. Die Tempo- kamen die Schmuggler. In Ruderbooten Boot wiegt sich im Wind. So muss sich anzeige rast nach oben. 25, 30, 40, 45 brachten sie ihre Ware auf die andere Freiheit anfühlen. Kilometer pro Stunde. Aus Gleiten wird Seite des Sees. Jedes Geräusch, das die Rasen. Schnell wie der Weiße Hai, wenn Polizei auf sie aufmerksam gemacht hät- Mein Begleiter Dragan vom Bootsver- er einen Fischschwarm jagt. In einer te, musste vermieden werden. In der leih übernimmt das Steuer und nimmt Nussschale, so groß wie drei Badewan- Hochsaison strömten reiche Händler wieder Kurs auf das Ufer. Wieder spüre nen. Ich kreische vor Vergnügen. Bum, und Unternehmer an den See. Ihre fein ich das Vibrieren unter mir. „Jede Welle bum, das Boot hebt ab, landet unsanft verzierten Gondeln aus Venedig waren erzählt ihre eigene Geschichte“, sagt auf der nächsten Welle. die Pracht des Sees. Dragan.

Mein Blick fixiert den Horizont. Ich Heute sind es die Motorboote. Die Fer- könnte den Comer See erobern. Ich raris unter ihnen sind die Riva-Boote, Charlotte Potts, Jg 1986: Den Blick von der Mitte des Co- könnte an George Clooneys Villa vor- deren Geschichte mit dem Schiffsbau- mer Sees wird Autorin Charlotte beisausen. Mein Haar tanzt im Wind. er Pietro Riva 1842 am Comer See be- Potts soll schnell nicht verges- Ob es ihm auffallen würde? Ich könnte gann. Wer was auf sich hält, hat eines sen. Bisher hatte sie noch nie in einem Mo- zum Hafen in Como fahren. Ob die Mil- – der Rumpf aus Mahagoni, die Sitze torboot gesessen. Hier in Italien durfte sie es sogar auf dem Comer See fahren. Wer weiß? So fühlt sich Freiheit lionäre am Anleger schon auf mich war- aus Leder. Wem die Luxusboote zu teu- Wenn das Geld reicht, wird sie sich vielleicht an: Im Motorboot ten? Ich könnte den Touristen in Bella- er sind, der hat Auswahl. Auch andere bald eine Luxusyacht kaufen. über den Comer See. gio zuwinken. Ob das Hotel in Las Vegas berühmte Schiffsbauer wie Colombo,

24 H i s t o r i e

25 Das Wasserflugzeug war es anders. Er war zehn Jahre lang Weit geht der Blick Armee, die es vor einigen Jahren an den Wasserflugzeug-Pilot, ehe er zum ersten aus dem Wasserflug- Aero Club weitergab. Doch die amerika- Die kleine Cessna hört sich an wie ein Mal auf einer Asphaltbahn landete. zeug über den Comer nische Vergangenheit ist noch deutlich Staubsauger — ein sehr, sehr lauter See. erkennbar. Neben Baj an der Tür hängt Staubsauger. Und da der Pilot Cesare Baj wuchs in Como auf und fuhr als klei- die olivgrüne „Map-And-Flight-Report- Baj oft in diesem Staubsauger sitzt, ner Junge mit seinem Fahrrad immer Case“. Ein Sticker auf Bajs massivem setzt er sich erst einmal seine dunkel- am Hangar des Clubs vorbei. Er staunte Gurt zeigt den Herstellungsort: Long blauen Kopfhörer auf. Als das Staubsau- und beschloss, eines Tages selbst ein Island City, New York. Doch selbst nach gergeräusch verstummt, wird es abge- Wasserflugzeug zu fliegen. Mit 19 Jah- mehr als fünf Jahrzehnten fliegt die löst durch das immer lauter werdende ren war es so weit. „In der Luft verhält Cessna noch. Noch nie ist eines der Knattern des rotierenden Propellers. sich ein Wasserflugzeug wie jedes ande- Flugzeuge des Aero Club verunglückt. Allerdings fehlt jetzt ein für den Start re Fluzeug auch“, sagt Baj heute. „Doch eines Flugzeugs typischer Klang. Es jede Landung ist eine neue Herausfor- Baj drosselt das Tempo und beginnt mit rollen keine Reifen über Asphalt, statt- derung. Niemals sind die Wind- und dem Landeanflug auf das Wasser. Nä- dessen schlagen Wellen gegen das Flug- Wasserverhältnisse gleich.“ her und näher kommt die Oberfläche, zeug. Baj zieht den Gashebel zu sich, dann setzen die Schwimmtanks auf. die Maschine berührt nur noch die Wel- Bajs Blick schweift über den See und Gischt spritzt und innerhalb weniger lenkämme und hebt ab. dann auf die Instrumente vor ihm. Die Augenblicke ist aus dem Flugzeug ein Tanknadel flattert irgendwo zwischen überdimensionales Motorboot gewor- Seit mehr als 40 Jahren ist Cesare Baj halb voll und dem rot gekennzeichne- den. Die Fahrt zum Hangar gleicht ei- Wasserflug-Pilot und seit 2001 Präsi- ten Bereich „no take-off“ hin und her. ner Schiffseinfahrt in den Hafen. Dann dent des 1930 gegründeten „Aero Club Bajs rechte Hand greift nach hinten heult auf einmal wieder der Staubsau- Como“, der ältesten und einzigen Was- und legt den roten Hebel für den zwei- ger. Es ist der kleine Motor, der die Flü- serflugschule Europas. Der Hangar des ten Tank um. Die Nadel beruhigt sich. gelklappen für Start und Landung in die Clubs steht direkt am Hafen von Como. Vierhundert Meter unter Baj erstreckt richtige Stellung bringt. Über 300 Piloten sind eingetragene sich die Stadt Como, glitzert der nach Mitglieder des „Aero Club“. Die Hälfte ihr benannte See. In der Ferne lassen kommt aus Italien, der Rest überwie- sich die Gipfel der Alpen erahnen. Thomas Schöneich, Jg 1981: Extremsport ist der falsche gend aus Europa, aber selbst in Aust­ Ausdruck, dachte Thomas Schön­ ralien oder USA schätzen Piloten die 53 Jahre ist Bajs Cessna alt. Eines von eich, als er in einem Wasserflug- Ausbildung in Como. Oft sind es mit acht Flugzeugen, die der Club besitzt. zeug über dem Comer See schwebte. Extrem terrestrischen Flügen erfahrene Piloten, Das US-Militär setzte es im Korea- ist nur die Aussicht. Extrem weit kann man die in Como ihre Lizenz für Wasserflug- und später im Vietnamkrieg ein und blicken und extrem schön ist es darüber hin- aus. zeuge erwerben. Bei Cesare Baj aber verkaufte es dann an die italienische

26 Konraddossier Adenauers italienisches Erbe

Die Tücken der Bocciabahn

Der Gesang Die Geheimnisse des Figaro des Gästebuchs

Die Anwesen der Stiftungen

27 D o s s i e r Die Bahn lügt nicht

Dank Bundeskanzler Adenauer genossen die Deutschen als Bocciaspieler am Comer See einen ausgezeichneten Ruf. Bis unser Autor auszog, ihn zu ruinieren.

Die Statue lügt. So kann kein Mensch Jahren durchgehen. Einige Anekdoten aus dem Spiel. 9:12 heißt es am Ende. Boccia spielen. Oder doch? Konrad habe ich gelesen und die Statue am „Für Anfänger bist nicht schlecht“, trös- Adenauer steht breitbeinig, leicht in die Ufer des Sees eingehend studiert. tet Vittorio mich. Mein Entschluss steht Knie gebeugt, den Oberkörper aufge- fest: richtet. In seiner rechten Hand hält er Jetzt muss ich mir nur noch die passende die Kugel. Der Blick ist starr nach vorne Technik aneignen. Vittorio, graues Polo- gerichtet. ‚Hat er wirklich so gespielt?’ Hemd auf sonnengebräunter Haut, frage ich mich, als ich neben der Statue geht auf die Bahn und nimmt eine in Cadenabbia stehe, die Adenauer bei dunkelgrüne Kugel in die Hand: seiner Lieblingsbeschäftigung zeigt. „Musst die Knie locker ma- chen, einmal Gewicht nach Boccia – dieser Nationalsport der Itali- hinten verlagern, dann ener wurde in Deutschland erst durch nach vorne, und aus Konrad Adenauer bekannt. Er hat das der Bewegung werfen. Spiel von Italien nach Deutschland Ganz einfach“, fährt importiert. In seinen Urlauben stand er fort. Ich bringe jeden Tag vor dem Abendessen ein meinen Adenauer- Spielchen auf dem Programm. Doch die Hut in die richtige Bocciabahn, auf der er von 1959 an in Position, denke an der Nähe seiner Sommer-Residenz Villa die Statue, mache die La Collina spielte, ist heute nur noch Knie locker, verlagere Lagerplatz für Kunststoff-Blumentöp- das Gewicht erst nach fe. Man kann den Sandbelag nur noch hinten, dann nach vor- erahnen, auf dem der Kanzler seinem ne, werfe die Kugel aus Hobby nachging. Adenauer-Nachahmer der Bewegung. Von wegen müssen sich mit der neu gebauten einfach! Vittorios frühes Fa- Bahn auf dem Gelände zit: „Gute Technik, wird aber der Villa La Collina Scheiß-Wurf“. zufrieden geben. Meine Kugel rollt noch immer, über „Bundeskanz- zwei Meter hinter dem Ziel hört sie erst ler Adenauer auf zu rollen. Vittorio macht es besser, Für die nächsten Spiel-Versuche als hatte spe- er spielt seine Erfahrung gegen mich junger Adenauer brauche ich einen zielle Tech- aus und gewinnt den ersten Durchgang schlechteren Gegner. nik, musst 2:0. Das kann ja heiter werden. Hätte du auch ich nur nicht um eine Flasche Wein ge- Boccia war Adenauers Passion. „Er woll- machen“, er- wettet! In den nächsten beiden Runden te immer gewinnen und war sehr unzu- klärt mir Vit- habe ich mehr Glück, gewinne jeweils frieden, wenn er verlor“, erzählt Renzo torio Pagliarulo mit der letzten Kugel. Vittorios logische Toscani, der Adenauer häufig beim Boc- gleich zu Beginn. Erklärung dafür: „Liegt an den Löchern ciaspiel beobachten durfte. Adenauers In seiner Aussprache im Platz, da braucht man ein bisschen ehemaliger Friseur erzählt, dass der klingt „Bundeskanzler“ Glück.“ Diese Italiener mit ihren Aus- Bundeskanzler auch bei der Aus- wie „Bunzkanzla“. 38 Jahre reden. Kennt man vom Fußball. Habe wahl seiner Gegner überaus an- Arbeit in der Villa La Collina haben ich doch eine Chance? Die Antwort gibt spruchsvoll war: Wer für ihn keine Vittorio Pagliarulo zu einem Adenauer- Vittorio auf dem Platz – als es darauf Herausforderung mehr war, durf- und Boccia-Experten gemacht. Genau ankommt, lässt er keine Zweifel daran, te nicht mehr gegen ihn spielen. deshalb habe ich ihn auch zu einem wer heute Abend der Boccia-König von Im heimischen Rhöndorf ließ der Spiel herausgefordert. Natürlich bin Cadenabbia ist. Alle wichtigen Punkte Kanzler sogar eine Anlage bauen, ich gut vorbereitet: Mit meinem weißen gehen an ihn, im Zweifelsfall kickt er damit er auch zu Hause die Kugel Hut könnte ich als Adenauer in jungen meine Kugeln mit einem Gewaltwurf werfen konnte.

28 In meiner jetzigen Form, so viel ist si- Gegners, cher, hätte auch ich niemals gegen ihn gibt es ei- spielen dürfen. Die Suche nach einem nen Punkt. schi- Aufbau-Gegner treibt mich nach Me- Wer zuerst cken naggio. Hunderte von Treppenstufen zwölf Punkte sie den muss ich hochsteigen, bevor ich im hat, gewinnt. Häuptling Ortsteil Loveno zwei Boccia-Bahnen Soviel zur Theorie. ins Rennen. finde. Sie liegen gut versteckt neben Die Praxis sieht anders Auch nach 50 einem Parkplatz. Die Bahnen sind mit aus. Komplizierter. Jahren löst der Name of- Blättern übersät, die Anzeigetafeln sind fenbar Erinnerungen an schmachvolle verrostet, der Blick auf den 200 Meter Früher Abend in Lenno. Auch hier muss Niederlagen aus. tiefer liegenden Comer See ist durch ich erst einige Höhenmeter überwin- Wildwuchs versperrt. Das viel größere den, um ans Ziel zu gelangen. Scheint Am nächsten Tag treffe ich in Lenno Problem: Keine Boccia-Spieler weit und eine Zermürbungstaktik der Einheimi- Rava Giancarlo, den Präsidenten des breit. Gegen wen soll ich hier gewin- schen zu sein: Ich bin schon aus der Boccia-Vereins. Er ist Anfang siebzig, in nen? Puste, bevor ich auch nur eine Kugel seinem Gesicht sticht ein kleiner grau- geworfen habe. Als ich ankomme, er- er Schnauzer hervor. Er trägt ein weißes Die Besitzerin des nahe gelegenen Res- wartet mich die nächste Enttäuschung: T-Shirt und eine kurze blaue Hose. So taurants „La Vecchia Magniolia“ kommt Gähnende Leere auf der vielleicht sieht also der Goliath aus, gegen den mir entgegen, eine typische italienische schönsten Boccia-Anlage der Gegend. ich mich gleich als David beweisen ‚Mamma’. Sie mustert mich streng, als Normalerweise werden hier Spiele un- muss. Im normalen Leben ist Rava Gi- ich mich vorstelle und sie über die Boc- ter Flutlicht ausgetragen. Normalerweise. ancarlo Bäcker: „Als Lehrling habe ich cia-Bahn ausfrage. „Ab und zu spielen Brötchen in die Villa La Collina ge- ein paar Kinder, aber ansonsten kommt Heute ist nur der Wirt der liefert.“ Jeden Morgen musste niemand mehr hierher.“ Boccia sei Vereins-Gaststätte zu er an den Carabinieri vorbei. nicht mehr so populär wie früher, in sehen. Ich gebe mich Adenauer hat er dabei nie ihrer Jugend sei das noch ganz anders als Deutscher zu er- gesehen, aber er erweist gewesen. Adenauer ist der ‚Mamma’ na- kennen, der Adenau- sich als Experte: „Auf den türlich ein Begriff: „Hier in der Gegend ers Begeisterung für Bildern trägt er einen weiß jeder, dass er ein sehr guter Boc- Boccia ergrün- ähnlichen Hut wie cia-Spieler war.“ Anscheinend war er so den will. du.“ gut, dass die Italiener ihre Begeisterung Wa r u m für den Sport verloren haben. Ich muss h i e r Rava führt woanders fündig werden. k e i - mich auf die n e r Bahn. Der Die Boccia-Regeln sind nicht spielt, Untergrund ist schwer: Jeder Spie- k a n n nicht aus Sand, ler hat vier Kugeln, mir der sondern aus einem die er möglichst Wirt nicht blauen synthetischen nahe an einen erklären. Auch Stoff. „Das ist eine professi- kleineren Ball, als Gegner steht er onelle Anlage, die verzeiht dir keinen das „Schwein- nicht zur Verfügung: „Ich muss mich um Fehler“, warnt mich Rava. Wird schon chen“, wer- die Kneipe und die Gäste kümmern.“ schief gehen, denke ich – und werfe fen muss. Welche Gäste? So langsam glaube ich an vor Übermut die erste Kugel gegen die Für jede eine Verschwörung. Haben die Italiener Bande – das ist natürlich verboten. Rava Kugel, die so große Angst vor deutschen Boccia- lächelt, nimmt zwei Schritte Anlauf und näher am Künsten? „Kommen Sie morgen Mittag wirft die Kugel sanft und treffsicher in S c h w e i n - noch einmal, unser Präsident hat sicher- Richtung Schweinchen. chen liegt als lich für eine kleine Runde Zeit.“ So ist die beste des das also. Gegen den jungen Adenauer

29 Die Partie lockt die ersten einheimi- die Kugeln mit zu viel Schwung, oder Daniel Blatt, Jg 1986: schen Zuschauer an. Wirtin Anna erklärt sie verhungern auf dem Weg zum Als junger Adenauer musste den Leuten die Situation: Ich sei so ein Schweinchen. Daniel Blatt schnell feststellen, Tedesco, der Boccia lernen will. Meine dass die passende Mütze und ersten Würfe sorgen für Heiterkeit im Das richtige Mittelmaß finde ich nicht Boccia-Kugeln allein nicht ausreichen. Bis Publikum. Nach null Punkten aus drei mehr. Die Partie entwickelt sich zu er, wie Adenauer, die Italiener blass ausseh- en lässt, muss er noch einige Boccia-Kugeln Runden bekommen die Einheimischen einem Desaster, nach nur fünf Runden schmeißen. Mitleid. Sie feuern mich an, klatschen ist der Spuk vorbei. 0:12. Nicht einen bei jedem Wurf. In der dritten Runde einzigen Punkt konnte ich holen, kei- hole ich fast einen Punkt: Zwei meiner ne Runde ging an mich. Innerhalb Kugeln liegen dem Schweinchen am von dreißig Minuten habe ich meine nächsten. Rava hat noch einen Versuch. Zukunft als junger Adenauer verspielt. Diesmal nimmt er keinen Anlauf, er Anscheinend brauche ich noch ein biss- wirft die Kugel einfach aus der Handbe- chen Übung, bevor ich mich mit den wegung heraus. Natürlich: mit seinem Italienern messen kann. Meine Groß- letzten Wurf schafft er es, meine beiden eltern haben in ihrem Garten eine Kugeln aus dem Spiel zu kicken. Meine Boccia-Bahn stehen. Opa soll sich verzweifelten Wurfversuche kommen- schon mal warm anziehen. tiert Rava mit einem trockenen „Trop- po“ oder „Poco“ – entweder werfe ich

30 D o s s i e r Erinnerungen, seitenweise In den Gästebüchern der Villa La Collina lebt der Geist Konrad Adenauers weiter. Dazwischen wird gedichtet, gezeichnet, geküsst – und zuweilen sogar getadelt.

Zehn Zeitzeugen liegen in einem dun- berin. Andere kehren nach langer Zeit schon in der KAS-Außenstelle am Comer klen Holzschrank. Aus dem Jahr 1978 zurück. Wie Monika Wester, geborene See wohlgefühlt – seine Unterschrift ist stammt das älteste der Gästebücher der Werkmeister, als Adenauers Sektretärin immer wieder in den Gästebüchern zu Villa La Collina – zwölf Jahre nach dem von 1964 bis 1966 im Frühling wie im finden. Nicht alle Gäste signieren so letztem Aufenthalt Konrad Adenauers Herbst mit ihrem Chef in Cadenabbia. deutlich wie Bernhard Vogel. Viele ver- in Cadenabbia. Und doch weht der Am 5. Juni 2007 trägt sie ein: „Nach 40 bergen ihre Identität hinter krakeligen Geist des Altbundeskanzlers durch fast Jahren hat sich einiges verändert – aber Linien. alle Seiten der Lederbände. „Lieber vieles ist auch so schön geblieben, wie Konnie, Bundeskanzler muss ja ein gei- es zu Adenauers Zeiten war.“ Nicht nur die deutsche Wiederverei- ler Job gewesen sein: Von Cadenabbia nigung, auch das Zusammenwachsen aus Deutschland regieren: Das würde Nicht nur der Geist Adenauers und der Europas ist in den Gästebüchern der uns auch gefallen“ – so schrieben 2004 Geist des Hauses wehen kräftig durch Villa La Collina dokumentiert. 1993 ver- junge Seminarteilnehmer in eines der die Seiten, auch die jüngere deutsche fassten Teilnehmer eines deutsch-pol- Gästebücher. Geschichte spiegelt sich wider. „Am nischen Regierungstreffens eine „Pres- 3. Oktober 1991 trafen sich am Urlaubs­ seerklärung“ für das Gästebuch: „Unter Gästebücher sind Geschichtsbücher an- ort Konrad Adenauers Speyerer, thü- blühenden Azaleen, Rhododendren, derer Art. In denen der Villa La Collina ringische und sächsische Journalisten Kamelien […] in dem Geiste des Bun- verewigten sich über genau 30 Jahre – am ersten Jahrestag der deutschen Ei- deskanzlers Konrad Adenauer vereinigt Besucher nicht nur mit ihren Unter- nigung. Wir wollen uns näher kommen; sich Europa besonders schnell.“ An schriften, sondern mit ihren Gedanken, wir haben noch einen mühevollen Weg anderer Stelle steht: „Lieber Konrad Gedichten, Bildern, Fotos, eingeklebten vor uns.“ Kurz zuvor, im August 1991, Adenauer, jetzt kennen wir Dich noch Blüten und Collagen. Sogar die Noten wurden hier die „Probleme beim Auf- genauer, denn hier umflattert uns für einen „Cadenabbia-Akkord“, einen bau neuer Verwaltungen in den neuen Dein Geist, der nach wie vor ‚Europa’ Fingerabdruck und einen Kussmund Bundesländern und ihren Gemeinden“ heißt.“ aus Lippenstift haben Gäste hinterlas- erörtert. sen. Sie zitieren Heine, Goethe und Shakespeare, schreiben auf Chinesisch, Italienisch und Polnisch.

„Beeindruckt, verzaubert, ehrfurchts- Angela Merkel kam 1991 mit Joachim voll“ – nur mit Schlagworten bannt ein Sauer, Edmund Stoiber unterschrieb Besucher seine Begeisterung auf das 1992 mit dem Zusatz „Alt-Jung-Unionler Papier. Für viele ist es das erste Mal in Bayern“. Bernhard Vogel, langjähriger Cadenabbia. „Immer wollte ich dieses Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stif- Domizil sehen“, schreibt eine Urlau- tung (KAS), hat sich wohl auch früher

31 D o s s i e r

Bei einer Schiffstour Im selben Jahr klebten Studenten nach Kultur und Sport Stuttgart (1990), Die Villa La Collina ist jährlich Ort der auf dem Comer See einer „Klausurtagung der „radikal Christ- Vertreter der Sand- und Kiesindustrie, Autorenwerkstatt der KAS, dient als Re- entspannte sich auch Demokratischen Speerspitze (RCDS)“ Mitarbeiter der Sparkasse und der Ke- fugium für private Geburtstagsfeiern, Konrad Adenauer. das Titelblatt für den Entwurf zu einem gelclub Herne (2001) zu Gast. Flitterwochen, Gespräche zwischen Po- neuen CDU-Grundsatzprogramm in das litikern, zwischen Deutschen, Israelis Gästebuch, durchkreuzten es rot und „Mir hat es hier gefallen, das Lachen und und Palästinensern. Sie inspiriert Or- kommentierten mit Konrad Adenauer: das Lallen“, dichtete ein Inspirierter ins chestermusiker, Maler, Dichter. Zuwei- „Keine Experimente.“ Gästebuch. Etliche der Fotos in den Bü- len verwechseln Gäste allerdings Dich- chern zeigen abendliche Weinrunden. tung mit schlichtem Paarreim: „Der Die Villa La Collina ist einer der Orte, an Einige haben sogar bei den hochoffi- Hauch der Geschichte kräftig weht / denen sich Arbeit und Entspannung of- ziellen Gruppenfotos vergessen, das wenn man auf der Terrasse steht“. fenbar leicht abwechseln konnten. Wer Glas aus der Hand zu stellen. „Mond 2001 wurde hier der 125. Geburtstag diese Mischung zu schätzen wusste, ist scheint, Wein trinkt, Adenauer war, ich des „großen Alten“ gefeiert, sogar eine auch in den Gästebüchern zu finden. bin!“ schreibt ein gewisser B. Becker „Pilgerreise“ haben Besucher zu diesem Abgesehen von politischen Planungs- am 8. Oktober 1996. Doch auch Profis Anlass nach Cadenabbia gemacht. ausschüssen, Seminaren „Auf den Spu- zum Thema treffen sich in Cadenabbia ren Konrad Adenauers“ und dem Bun- wie 2005 der „Freundeskreis Kultur und Einen haben die Gäste in all den Jahren desvorstand der Jungen Union waren Wein“ oder Teilnehmer der Arbeitsta- nach dem Tod Konrad Adenauers be- hier auch die Fußballmannschaft des gung „Treue zum europäischen Wein- sonders ins Herz geschlossen: Vittorio Ministeriums für Wissenschaft, Kunst/ recht“. Pagliarulo, langjähriger Mitarbeiter in

Literatur (2) Como mit seinem See sei der schöns- Reisetagebücher und Skizzen, die auf Hermann Hesse: te Eintritt ins italienische Land, so seinen Wegen entstanden, schildern Spaziergang am Comer See schreibt Hermann Hesse – und was anschaulich und poetisch seine Reise- für Como gilt, trifft auch auf all die an- abenteuer. Sie ermöglichen dem Leser deren Orte zu, die das Ufer des Sees seiner Zeit ganz neue Einblicke in das säumen. Italien – was für ein Land! viel beschriebe Land. In seiner kurzen Der Zauber zog Hermann Hesse in Reisebetrachtung ‚Spaziergang am Co- seinen Bann. „Man holt sich dort eine mer See‘ sagt Hesse: „Man ist den Ber- Frische und Freiheit und zugleich gen noch nahe und spürt doch schon einen inneren Besitz an Freude und mit ahnendem Verlangen Ebene und Schönheit, der alles aufwiegt“, schrieb weite, stille Fruchtbarkeit.“ 1919 kam er fasziniert. 1901 bereiste er Italien Hermann Hesse nach Montagnola am das erste Mal, bis 1914 entdeckte nahen Luganer See, wo er lange ver- und erwanderte er auf untouristisch- weilte und arbeitete. eigenwillige Weise das Land. Hesses

32 D o s s i e r

Cadenabbia — für der Villa La Collina. Außerordentlicher der Krebsforschung, für Studientage, Konrad Adenauer Dank, Liebesgeständnisse und kleine Seminare kommunalpolitischer Verei- und seine Gäste Zeichnungen hinterlassen Gäste dem nigungen. Und noch immer ist Platz in hielt der Ort unbe- „guten Geist“ des Hauses in den Bü- dem dunklen Holzschrank im Foyer der schwerte Momente chern. Villa. Neue Gästebücher warten auf Ein- bereit. träge. Einträge, welche die Geschichte Doch auch weniger gute Erlebnisse der Villa weiterschreiben. werden zwischen den Ledereinbänden verarbeitet. Auf eine Seite voller Un- terschriften der Jungen Union Baden- Württembergs folgt der Eintrag eines Ehepaars. Nach dem Dank an die Mit- Julika Meinert, Jg 1985: arbeiter der Villa: „Und an die JU BW Wenn Julika Meinert sich ir- gendwann mal wieder in einem einen guten Rat: Veranstalten Sie drin- Gästebuch verewigen sollte, gend ein Benimm-Seminar, bevor Sie weiß sie schon jetzt, wie man es ganz be- hier wieder auftauchen!“ stimmt nicht macht: keine Prügelreime à la ‚Reim dich oder ich fress’ dich’. Aber Moment! Noch immer ist die Villa La Collina ein Was würde sie denn schreiben, wenn sie dürfte? „Meinen Namen. Aber so, dass man Ort für Tagungen der Stiftung, Veranstal- ihn in 30 Jahren noch entziffern kann!“ tungen von (Alt-)Stipendiaten, Treffen

Literatur (3) Gegenüber von Cadenabbia, am ande- ließ sie in seinen Roman einfließen. Der Stendhal: ren Ufer des Comer Sees, liegt der Ort Protagonist Fabrizio del Dongo, ein le- Die Kartause von Parma Bellagio. Dort befindet sich die Villa bensfroher junger Mann, ersticht in der Melzi, umgeben von grünen Terrassen, Nähe von Parma wegen einer hübschen auf denen Azaleen und Rhododendren Frau im Eifer seinen Gegenspieler und wuchern. Hier schrieb der französische wird verhaftet. Auf abenteuerliche Wei- Schriftsteller Stendhal (1783 bis 1842) se entflieht er dem Kerker, der Zitadelle sein Reisebuch ‚Rom, Neapel und Flo- von Parma. renz‘ - in seinem Roman ‚Die Kartause Der Roman nutzt eindrucksvoll die Land- von Parma‘ (1839) verarbeitete er auch schaft als Kulisse – vor allem den Comer seine Eindrücke vom See. See. Dort sei, so der Dichter „alles (…) Die Schauplätze der ‚Kartause von Par- edel und zart, alles spricht von Liebe ma‘ sind Mailand, Paris, Genf, Como und und nichts gemahnt an die hässlichen Grianta. Stendhal entnahm Motive und Dinge, die unsere Zivilisation mit sich Erinnerungen aus alten Chroniken und bringt“.

33 D o s s i e r Des Kanzlers Figaro

Wie ein reservierter Rheinländer aus Bonn und ein lebensfroher Italiener aus Cadenabbia beinahe sehr gute Freunde geworden wären.

Es ist der 5. Januar 1966, Altbundes- Die Freundschaft zwischen den so Der Friseur Toscani und einen Konkurrenten aus kanzler Konrad Adenauer feiert in ungleichen Männern hatte acht Jahre und der Gegend. Um ganz sicher zu gehen, Bonn seinen 90. Geburtstag. Auf einmal zuvor ihren Anfang genommen. Der be- Sänger entsandte „der Alte“ schließlich zwei erklingt, als ein Höhepunkt des Tages, geisterte Hobbysänger Renzo Toscani Renzo Toscani. seiner Sekretärinnen als verdeckte Er- Robert Schumanns Lied „Die Grena- hatte vorgeschlagen, dem regelmäßigen mittler. Als sie zurückkehrten, war sei- diere“. Gebannt lauschen 200 Gäste Kirchgänger Adenauer eine besondere ne Entscheidung getroffen: Die, deren aus Politik, Wirtschaft und Kultur dem Sonntagsmesse zu gestalten. Zwischen Frisur ihm besser gefiel, kam aus Renzo traurigen, vaterlandsverliebten Gesang, Gebeten und Predigten in der Kirche Toscanis Salon. der in dem Satz gipfelt: „Dann steig ich San Nabore e Felice von Griante sang gewappnet hervor aus dem Grab, den er Georg Friedrich Händels berühmtes „Adenauer hatte eine sehr spezielle Art, Kaiser, den Kaiser zu schützen!“ Und „Largo“, dessen einziger Satz auch wie Menschen kennenzulernen“, erzählt niemand stört sich an dem starken ita- eine Beschreibung des Comer Sees der heute 85-jährige Figaro. „Jeder, lienischen Akzent des Sängers. Lange, wirkt: der sich ihm vorstellte, wurde in ein nachdem die letzten Silben verklungen „Niemals zuvor war der Schatten eines Gespräch verwickelt, damit Adenauer sind, verneigt Renzo Toscani sich vor geliebten Baumes lieblicher.“ Adenauers herausfinden konnte, mit wem er es zu dem Geburtstagspublikum und den Reaktion blieb nicht aus: Der Gesang tun hatte.“ Auch Renzo Toscani wurde Fernsehkameras der ARD, die diese Be- habe ihm gefallen, so ließ er Toscani bei seinem ersten Besuch eine Vier- gegnung verewigen: Auf der einen Seite durch seine Dolmetscher ausrichten. telstunde lang mit Fragen über Krieg Konrad Adenauer, auf der anderen sein und Politik gelöchert und fühlte sich singender Friseur aus Cadenabbia. Weil Die erste persönliche Begegnung ließ dabei wie bei einer Art Intelligenztest. der Altbundeskanzler sich in dem Lied derweil noch auf sich warten. Wegen „Konrad Adenauer fotografierte die von den Grenadieren als großer Polit- seiner langen Aufenthalte in Cadenab- Menschen allein mit Worten“, charakte- ker wiedererkennt, bittet er Toscani, das bia brauchte Konrad Adenauer auch risiert Toscani den Altkanzler. Und fügt Stück auch bei seinem bevorstehenden einen Friseur. Und selbstverständlich hinzu, dass natürlich allein Adenauer Osterbesuch am Comer See für ihn zu nicht irgendeinen, sondern den besten das Recht hatte, so zu fotografieren: singen. Nicht ahnend, dass ihm Renzo der Region. Also ließ er die örtlichen Toscani eine letzte große Überraschung Polizisten befragen, welchen Figaro sie bereiten würde. aufsuchten. Die bevorzugten allesamt

34 „Immer hat Adenauer gefragt, mir blieb auf einer Schreibmaschine. Doch jedes verliebte Schumannstück. Adenauer es nur zu antworten.“ Mal ein paar Worte mehr. spürt, dass das gesamte Konzert im überfüllten Saal nur ihm gewidmet ist. Als Toscani alle Prüfungen zur Zufrie- Schließlich der Moment, als der Kanz- Er spürt, dass Toscani mit dem letzten, denheit des Kanzlers gemeistert hatte, ler den Friseur zu seinem neunzigsten leidenschaftlichen Treueschwur des wurde er immer öfter während dessen Geburtstag nach Bonn einlädt. Und Grenadiers ihn, Adenauer, meint. Aufenthalten in die Villa La Collina in dort jener Moment, als er Renzo Tosca- Cadenabbia bestellt. Die beiden begeg- ni bittet, das Schumann-Lied von den Lange, nachdem die letzten Silben ver- neten sich beim Haareschneiden, aber Grenadieren noch einmal zu singen, bei klungen sind, steht der Kanzler auf, auch durch Renzo Toscanis Gesang be- seinem bevorstehenden Osterurlaub in sieht Toscani an, schreitet auf ihn zu gegneten sich die Männer immer wie- Cadenabbia. Renzo Toscani ist gerührt. und bedankt sich mit einem sehr festen der. Ein weltliches Konzert hier, eine Er ist sich der Ehre bewusst. Und be- Händedruck. „Das war der schönste heilige Messe dort – der Kanzler schätze schließt, Adenauer ein musikalisches Moment unserer Freundschaft“, sagt den italienischen Bariton in allen Situa- Erlebnis zu bereiten, das es so noch nie Toscani heute und umklammert ein tionen. Und ließ ihn dies durch Briefe gegeben hat. altes schwarz-weißes Foto, das diesen wissen: „Mit Ihrem Gesang während der Moment dokumentiert. Dann schiebt Ostermesse haben Sie mir eine beson- Toscani aktiviert alle seine alten Kon- er es langsam zurück in sein vergilbtes dere Freude bereitet. Ich danke Ihnen takte aus seiner Studienzeit am Kurato- Couvert mit den schreibmaschine- herzlich dafür. Mit freundlichen Grüßen rium und trommelt Musiker und Profes- schwarzen Briefen. Adenauer.“ Oder, zwei Briefe und zwei soren der Mailänder Scala zusammen. Jahre später: „Wie in den vergangenen Gemeinsam mit ihnen kreiert er in wo- Jahren haben Sie mir auch bei dem jetzt chenlanger Arbeit eine Orchersterversi- Stefanie Söhnchen, Jg 1987: Auge in Auge mit einem Zeit- zuende gehenden Urlaubsaufenthalt on der Schumannschen Grenadiere. Als zeugen: Stefanie Söhnchen war in Cadenabbia mit Ihrem Gesang wäh- Konrad Adenauer schließlich im Kon- die Glückliche in der Redaktion, rend des Sonntagsgottesdienstes große zertsaal der Villa Carlotta eintrifft, er- die jemanden traf, der leibhaftig Adenauer Freude bereitet. Ich danke Ihnen sehr wartet ihn Renzo Toscani mit einem fast gegenüberstand. Diese Begegnung hat ihr dafür und wünsche Ihnen alles Gute. zwanzigköpfigen Ensemble. Und singt Bild vom Altkanzler um ein weiteres Puzzle- teil ergänzt. Ihr Adenauer.“ Immer akkurat getippt doch wieder das traurige, vaterlands-

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Rund um den Comer See haben Stiftungen und Vereine exklusive Domizile gefunden, in denen auch Weltpolitik gemacht wird. Schuld sind wie immer die Gärtner.

RäumeSeit 1959 für Offenheit Vorsichtig neigt sich Roberto Monti, der einstigen Kriegsgegners zusammentref- dienaufenthalte zu ermöglichen. Auf Gärtner der Villa La Collina, über einen fen sollte. Adenauer nutzte die Ruhe dem 15 Hektar großen Gelände stehen Feriendomizil von Konrad Adenauer gepflanzten Ro- und die Abgeschiedenheit Cadenabbi- 20 kleine Pavillons, jeweils mit Schreib- von Konrad senstamm, die Gartenschere in seiner as, ließ den Blick auf den See und die tisch und Seeblick. „Die sind extra für Adenauer: Rechten. Gründlich inspiziert er die Natur auf sich wirken. Er gewann den die Gäste. Hier sollen sie inspiriert vom die Villa La Collina Knospen, liest jeden abgeschnittenen nötigen Abstand, um sich auf das Tref- Comer See gut arbeiten können“, sagt in Cadenabbia. Zweig sorgfältig auf und legt ihn in ei- fen vorzubereiten. Schließlich reiste er Rita Annunziata, die anderthalbstündige nen Weidenkorb. Zusammen mit einem vom Comer See über Baden-Baden di- Führungen durch das Gartengelände Kollegen pflegt er 30.000 Quadratmeter rekt nach Frankreich, wo er den Grund- der Stiftung leitet. Die Villa Serbelloni Gartenlandschaft, sieben Stunden am stein für den deutsch-französischen selbst kann nicht besichtigt werden, Tag verbringt er an der frischen Luft. Freundschaftsvertrag von 1963 legte. auch Fotografieren ist nicht erlaubt. Alles muss perfekt sein, wenn die Gäs- Man legt Wert auf die Abgeschiedenheit te kommen. Eine Tagung ist für den In Cadenabbia des Ortes, auf den Erhalt des Geheim- Abend ankündigt. Sobald die Wagen die traf sich Adenauer nisvollen. Einfahrt heraufrollen, muss seine Arbeit mit in- und aus- Ruhig liegt auch der Garten der Vil- getan sein. ländischen Ge- la Mylius-Vigoni da, eine Grille zirpt Die Gäste, die in Roberto Montis Villa sprächspartnern gleichmäßig ihr Lied. Eine große Zeder La Collina erwartet werden, sind nicht auch zu inoffizi- spendet Schatten, Olivenbäume wiegen irgendwelche Gäste. Es sind Herr- ellen Treffen, bei denen er abseits von Pro- sich im Wind, weiße Statuen leuchten schaften aus Politik, Wirtschaft und tokoll und Journalisten offen sprechen in der Sonne. In der Villa oberhalb von Kunst, die die Konrad-Adenauer-Stiftung konnte. In einem einzigen Sommer Menaggio hat das Deutsch-Italienische in ihrer 1977 erworbenen Villa bewirtet. standen 22 Besucher in seinem Ter- Zentrum seinen Sitz. Ignazio Vigo- Anfang der 90er Jahre wurde sie durch minkalender. Darunter der italienische ni, der 1983 verstarb, hinterließ Villa ein zweites Gebäude unterhalb der Villa Ministerpräsident Amintore Fanfani, und Grundstück der Bundesrepublik erweitert, um die Wirtschaftlichkeit des Außenminister von Brentano und Gi- Deutschland – mit der Bedingung, ein Anwesens zu erhöhen. „Heute ist die ovanni Battista Montini, der 1963 zum Zentrum zur Förderung der kulturellen Villa teils politische Bildungsstätte, teils Papst Paul VI. gewählt wurde. Die Kon- und politischen Beziehung zu schaffen. nationales Denkmal“, sagt der ehema- rad-Adenauer-Stiftung ist am Comer Seitdem organisiert der Verein Villa Vi- lige ‚Direttore Generale‘ Manfred Przy- See längst nicht mehr allein. Rund um goni e.V. Tagungen, Seminare und Kul- bylski, der die Villa La Collina 14 Jahre den See finden sich ein halbes Dutzend turveranstaltungen. Im April 2002 be- lang geleitet hat. Es seien die Stille, die schicker Anwesen nationaler und inter- suchten der italienische Staatspräsident Abgeschiedenheit, die Schönheit des nationaler Stiftungen oder Vereine. Ciampi und Bundespräsident Johannes Gartens, die einfach faszinierten. „Egal Während Roberto Monti in der Villa La Rau gemeinsam das Zentrum. ob Kardinäle der römischen Kurie, Collina langsam die Pflege des Rosen- Der in der Romantik angelegte Park angesehene Meinungsforscher, italie- busches beendet, ertönt in Bellagio, am der Villa Mylius-Vigoni ist picobello nische Minister oder deutsche Politiker, anderen Ufer des Comer Sees, das Ge- gepflegt, auch hier haben die Gärtner hier kann gut gearbeitet werden – wie töse von Laubstaubsaugern. Gleich 20 ganze Arbeit geleistet. Die Villen der es schon Adenauer tat.“ Gärtner der „Rockefeller-Foundation“ Stiftungen und Vereine am Comer See 1957 verbrachte Konrad Adenauer befreien die Wege des Geländes von sind eben nicht nur für ihre Gäste Orte erstmals seinen Urlaub in Cadenabbia, Blüten, Blättern und Staub. Ab und zu friedlichen, konzentrierten Arbeitens. spazierte durch die Gärten, genoss das rufen sie sich Anweisungen zu, dann Sondern auch für die Gärtner. italienische Ambiente. Frei von seiner wuseln sie weiter über das Gelände. Arbeit war er jedoch nie, stets beschäf- Nach einer Weile erlischt das Maschi- tigte er sich auch mit politischen Fragen. nengebrumm, plötzlich singen die Vö- Jade-Yasmin Tänzler, Jg 1985: Zu Gast in den Gärten der Großen: So 1958, als er sich auf sein erstes Tref- gel wieder, die Idylle kehrt zurück in Jade-Yasmin Tänzler hat Stif- fen mit dem französischen Präsidenten den Gartenpark. tungen in ihren Villen besucht. Charles de Gaulle vorbereitete. Ein be- Seit 1959 nutzt die amerikanische Ro- Auf ihrem Weg erhielt sie typisch italienische deutender Termin: Es war das erste Mal ckefeller-Stiftung die Villa Serbelloni Wegbeschreibungen: „Bei die nächst’ Zypres- nach dem Zweiten Weltkrieg, dass ein in Bellagio, um Wissenschaftlern, Poli- se rechts rein, bis Wiese und gradaus.“ Ganz einfach. Franzose mit dem Regierungschef des tikern und Künstlern vierwöchige Stu- 36 Räume für Offenheit

37 38 M a g a z i n Mission impossible Ein Mann, eine Frau, ein Opel Corsa. Und 171 Kilometer hochromantischer Küstenstraßen. Unsere Autoren wollten den Comer See an einem Tag umrunden. Und kapitulierten am Ende auf der Fähre.

11:00 Uhr, Kilometer 0, Como Johannes: Der Start läuft nicht gut. Noch nie Opel Corsa gefahren. Gleich zweimal Julia: Kulturbewusst möchte ich Johannes murkse ich den Wagen ab. Schadenfro- die lombardische Frührenaissance mit hes Lächeln von rechts. Ich versuche zu einer Lesung aus dem Reiseführer näher tricksen, verwickle Julia in ein technisches bringen, da läuft er schon Richtung Ha- Fachgespräch: „Die Kupplung kommt fen. Ich tappe hinterher. Vorbei an Schau- sehr spät. Typisch Opel“. Sie schweigt fenstern mit Jacken in lackiger Regen- und lächelt weiter. Verkehrschaos. Vespas manteloptik. Die Sonne knallt, als wolle fahren Zickzack. Fahrradfahrer führen ei- sie niemals auch nur eine Regenwolke in nen Überlebenskampf. Ich biege links ab. ihr Revier lassen. Das Dreckwasser im Ha- Keine gute Idee. Gelb umrandet bedeutet fenbecken lässt mich doch noch einmal in Italien Busspur. Schlimmer: Ich stehe kurz an die Lackjacken denken. Für nur plötzlich in einer Einbahnstraße. Jetzt 18 Euro könnte ich in dieser Brühe Tret- bloß keine Diskussion. Lieber schweigen boot fahren. Das ist zu teuer, findet auch und das Radio andrehen. Johannes, der hat schon kehrt gemacht und läuft Richtung Auto. 11:42 Uhr, Kilometer 5,9 km, Stadtrand von Como

Johannes: Die Plazza del Duomo. Wäh- Julia: Johannes schaltet das Radio wieder rend Julia versucht, mir irgendetwas über ein. Im Kreisverkehr ertönt ein Warn- den Dom zu erzählen, beobachte ich zwei piepen – er hat sich wieder nicht ange- alte Männer. Sie haben sich nicht viel zu schnallt. Endlich sind wir aus Como raus. erzählen. Sie beobachten auch. Die sie- Wie ein Band windet sich die Straße am ben Häuser links, sechs Fenster in einer Westufer entlang. Nach wenigen Kilome- Reihe, jedes mit einem Balkon. Und die tern öffnet sich in einer Kurve der Blick Menschen, die vor ihnen über den Platz auf Como. Aus der Entfernung sieht sogar strömen. Sonnenbrillen werden verkauft. der Hafen sehr hübsch aus. Ich möchte Wer sie trägt, sieht weniger von den Ab- ein Foto machen, doch Johannes hält fällen, die im Hafenbecken dümpeln. Ab- nicht. Schon ist Como hinter einer Bie- fahrt! gung verschwunden. Aus dem Augenwin- kel erkenne ich ein Tempo-30-Schild. Der 11:39 Uhr, Kilometer 0,1, Como, Via Rodari Tacho zeigt 60.

Julia: Kaum unterwegs, schon führt Jo- 12:10 Uhr, Kilometer 7,9, Villa d’Este hannes im Abwürgen des Motors: 2:0. Betont cool versucht er, den graublauen Julia: Einmal bremst er doch: Norma- Miet-Opel durch Como zu lenken. Fährt lerweise dürfen nur Gäste des Fünf- durch eine Anliegerstraße, biegt ab, fährt Sterne-Luxushotels in die Villa d’Este, verbotswidrig gegen die Einbahnstraße ich verspreche, den jungen Pförtner zu und auf der Busspur (!) und nimmt zum überreden uns rein zu lassen. Es klappt. Glück davon Abstand, in die Fußgänger- Ich verbinde das Angenehme mit dem zone zu brettern. Durch seine Fahrkünste Nützlichen und inspiziere die Toilette. bekäme ich die beste aller Stadtbesichti- Als ich die Tür öffne, bin ich umgeben gungen, sagt Johannes. Ich schalte das von Hunderten Julias. Der Boden des Radio aus, damit er sich besser konzent- verspiegelten Vorraums ist aus rosafar- rieren kann. benem Marmor, die Armaturen glänzen golden. Auf dem Rückweg nehme ich den Ausgang über die Terrasse.

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Neidisch schaue ich auf die Gäste, die 12:39 Uhr, Kilometer 14,4, Nazario et Celco sich in der Sonne räkeln. Etwas entfernt wartet Johannes und zeigt auf seine Johannes: Stopp an der Kapelle Nazario Armbanduhr. et Celco am Seeufer. 25 Stufen runter zur Kapelle. Julia erfasst die Kapelle Johannes: Ich parke hinter einem Bus. fotografisch. Klick. Klick. Alles wirkt Etwas abseits der Rezeption. Während perfekt: die verputzte, graue Wand, der Julia losrennt, spaziere ich mit der Ka- Glockenturm, durch den die Sonnen- bewaffnet los wie ein Paparazzo. strahlen scheinen, die hölzerne Kir- So eine Villa kann auch ein Paradies für chentür. Hundebellen stört die Idylle. Männer sein: BMW X5, Audi A8, Ferra- So etwas wie ein Startschuss für mich. ri Testarossa. Knips. Und ich habe nur Ich lasse schon mal den Motor an. Non- einen Corsa. Julia kommt und kommt verbale Kommunikation wirkt. Julia nicht. Anruf oder SMS? Später, im Auto, klickt nicht mehr weiter. wird mir Julia von den tollen Gärten, dem wunderschönen Seeblick, den 12:48 Uhr, Kilometer 15,3, Laglio freundlichen Kellnern und der rosafar- benen Marmortoilette vorschwärmen. Julia: Wir fahren an der Villa von George Clooney vorbei. GEORGE CLOONEY!!! 12:26 Uhr, 9,9 Kilometer, kurz vor Vielleicht ist er da. Ich will auf jeden Fall ein Foto mit George, oder zumin- Johannes: Auf der Uferpromenade ver- dest mit seiner Villa! ICH WILL MEIN folgt uns ein Fiat Panda. Ich versuche, FOTO! Doch bevor ich aussteigen kann, mich an die erlaubte Geschwindigkeit zu drückt Johannes fies aufs Gas und wir halten. Autofahren macht hier trotzdem lassen George hinter uns. „Ganz schön Spaß. Überall Gassen und Hügel – eine schäbig seine Villa“, frotzelt Johannes. Herauforderung. Gern würde ich mir ein Gar nicht schäbig! So eine alte Villa hat Wettrennen mit der brünetten Schönheit Stil. Ganz wie George eben auch. im Fiat Panda liefern. Doch Pustekuchen. Ich spüre Julias Blicke auf den Tacho. Je- Johannes: Wo ist nur diese Star Wars der Regelverstoß wird notiert. Ein Blick Villa? Irgendwo muss die Villa del Bal- rechts aus dem Fenster: Blauer See, grü- bianello doch sein. Star Wars haben ne Berge, weiße Segelschiffe. Postkarten- sie hier gedreht und den letzten James motive. Schneebedeckte Bergspitzen vor Bond Casino Royale. Das ehemalige der Brust. Erst jetzt schafft es die Brünette Franziskanerkloster ist ein Muss für im Fiat Panda an uns vorbei. jeden Film-Fan. Julia hat den Reisefüh- rer in der Hand. Mehrmals frage ich sie 12:31 Uhr, Kilometer 14,1, Moltrasio nach der Villa, aber sie findet nichts. Das Haus ihres geliebten George Cloo- Julia: Für Fotos halten wir an einer Piaz- ney findet sie dagegen ohne Probleme. za, auf der ein Erobererdenkmal steht. Dafür kriegt sie nun die Retourkutsche. Ein Mann mit erhobener Faust. Leider Radio lauter, Ohren auf Durchzug und kann ich die italienische Inschrift nicht vorbeigebraust. Außer grauen, moosbe- verstehen. Der Ort ist meinem Rei- deckten Steinwänden ist hier sowieso seführer gänzlich unbekannt und die nichts zu sehen. Kein Star Wars, also Piazza Luigi Minoletti hat außer dieser auch kein Clooney. protzigen Männer-Statue nichts zu bie- ten. Johannes findet eine kleine Treppe 13:20 Uhr, Kilometer 27,3, Ossuccio an den See und hält die Füße ins Was- ser. Doch anstatt nach den Badesachen Julia: Der Außenspiegel auf meiner im Kofferraum zu wühlen, denke ich, Seite kommt der Hauswand gefährlich dass wir bestimmt noch viel schönere nah, als wir uns am Gegenverkehr vor- Stellen finden. Also dränge ich zum bei durch eine Straßenenge drücken. Aufbruch. Schließlich sind wir erst am Die Wand weist eindeutig Kerben und Anfang unserer Tour. Spuren diverser Autolacke auf. Wir ha- ben Glück, Johannes schafft es, nicht auch noch das Graublau unseres Corsa hinzuzufügen. Durch das offene Fenster

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brennt die Sonne auf meinen rechten älteren Herrn ein Bier über die Straße. Arm. Ich würde gerne auch den Rest Ich möchte mit dem Herrn tauschen. meines Körpers in der Sonne bräunen. Und die Füße ins Wasser halten. Und die Ich schlage vor, die Tour mit dem Boot Sonne genießen – ja ich würde sogar fortzusetzen. Johannes lehnt ab. Wann einen Sonnenbrand in Kauf nehmen. denn endlich die Villa aus Star Wars Diese Suche nach Postkartenmotiven, kommt? Die Villa del Balbianello ist in das Aufsaugen von immer gleichen meiner Karte nicht eingezeichnet. Au- Villen-Bildern scheint nichts für mich. ßerdem: Warum soll ein Schauplatz aus Fahrerwechsel in Menaggio. Julias erste Star Wars spannender sein als Georges Amtshandlung: Radio aus. Zweitwohnsitz?

13:37 Uhr, Kilometer 32,6, 14:05 Uhr, Kilometer 47, hinter Menaggio

Johannes: Julia glaubt, die Villa Carlot- Julia: Keiner kann mich nun hindern, ta im Reiseführer entdeckt zu haben. ausgedehnte Stopps einzulegen. Doch Der Anlaufpunkt für viele Besucher des kaum bin ich die ersten Meter gefahren, Comer Sees. Selbstverständlich halten kommt ein Tunnel nach dem anderen, wir. Gärten mit allerlei Blumen, deren und der See taucht nur noch gelegent- Namen ich nicht kenne. Postkartenmo- lich zu unserer Rechten auf. Das ist tive, die schon tausendmal verschickt nicht fair. Als wir endlich durch einen wurden. Aber irgendetwas fehlt: Der Ort kommen, sind die Gassen enger Garten ist zu klein, zu wenig protzig. als zuvor. Dann zwingt mich Johannes, Sie ist es nicht, schießt mir durch den rechts in einen noch kleineren Ort ab- Kopf. Ich bin überzeugt, dass das nicht zubiegen. Die Straße hat ein Gefälle die Villa Carlotta ist. Julia meint ja. Wir von 45 Grad, und es passen niemals fahren weiter. Nach fünf Kurven ein rie- zwei Wagen aneinander vorbei. Plötz- siges Schild: Villa Carlotta. Ich genieße lich geht es nicht weiter und ich muss still. auf einem Quadratmeter wenden. Bei der Weiterfahrt sehe ich schneebedeck- 13:49 Uhr, Kilometer 34, immer noch Tremezzo te Gipfel im Norden. Ich möchte anhal- ten, um zu fotografieren, doch ich finde Julia: Wir fahren an der echten Villa keine Nische zum Halten. So drängt die Carlotta vorbei. Diesmal lassen Beschil- Straße mich weiter. derung und Touristenschlangen keinen Zweifel. Weil Johannes stur aufs Gas 14:08 Uhr, Kilometer 48, zwischen Menaggio und Musso drückt, kann ich nur einen schnellen Blick aus dem Fenster erhaschen und Johannes: Ich vertiefe mich in den Rei- einen Springbrunnen und steinerne Sta- seführer — das gedruckte Rückzugs- tuen vor dem Haus erkennen. Könnten gebiet für vom Comer See gestresste wir nicht wenigstens vor der Villa ein Urlauber. Ich will keine Klischees über Foto schießen, wenn wir schon keinen Frauen bedienen, die mit dem Auto auf Spaziergang durch den Garten machen? Kriegsfuß stehen. Beim Wendemanöver Johannes fährt wortlos weiter. Ich kann gibt Julia zu: „Ich bin bei der Fahrprü- es kaum erwarten, selbst das Steuer zu fung beim Ausparken durchgefallen“. übernehmen. Ich mache ihr den Rückwärtsgang rein. Auf dem Weg Richtung Musso sind wir 13:35 Uhr, Kilometer 38,1, Menaggio eingekesselt. Vor uns zwei Radfahrer, hinter uns ein LKW, der so nah auffährt, Johannes: Was am Morgen noch nach dass er das Ablaufdatum unserer TÜV- einem Abenteuer roch, ist jetzt Stress. Plakette lesen könnte. Beim Autoab- Die Jagd nach der nächsten Villa, der murksen hat Julia längst ausgeglichen nächsten Anhöhe, der nächsten foto- und geht bald 4:2 in Führung. grafischen Vermessung der nächsten Kapelle. Eine Kellnerin bringt einem

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14:27 Uhr, Kilometer 50, Musso sich hierhin niemals ein Tourist verirrt? Geschätzte 300 Meter trennen Ost und Johannes: Pause an einer Kapelle in West. Trennen Casino Royale und George Musso – wo auch sonst? Julia guckt Clooney von der Industrieanlage mit sich die Kapelle an, ich gehe auf den Seeblick und zerfallenden Häusern. Friedhof. Weiße Kiesel umrahmen die Ein weiteres Indiz: Im Westen sind die Gräber. Auf den Denkmälern Fotos der Tunnel verputzt, im Osten einfach nur Verstorbenen, die anonymen Grabstei- große Löcher im Berg. Quellwasser ne haben Gesichter. Manzi gestorben tropft auf die Straße. mit 44, Alberto mit 45. Obwohl mir bei- de unbekannt sind, verspüre ich Trauer. 15:25 Uhr, Kilometer 71, Ich bin von Bildern eingerahmt. Rechts in der Wand eingelassene Urnengrä- Julia: In Colico haben die Stadtplaner ber, vor mir kleine Familiengruften in versucht, etwas von dem Charme der Kapellenform von den Familien Bonvi- älteren Dörfer auf der anderen Seesei- ni, Daco, Redailli. Links sind Särge in te zu kopieren. Mit mäßigem Erfolg. Wänden in den Berg eingelassen. Die Colico wirkt verlassen. Vielleicht liegt nächsten Kilometer Richtung Dongo das daran, dass alle hier im und am See und Gravedonna schweige ich. sind. Kite-Surfer tummeln sich mit ih- ren bunten Fallschirmdrachen auf dem 14:51 Uhr, Kilometer 58,1, Wasser. Das restliche Dorf liegt auf einer großen Wiese am Ufer. Der ideale Ort, Johannes: Am Ufer kann man nicht um ins Wasser zu springen. Johannes mehr fahren. Der Norden des Comer schüttelt den Kopf. Sees ist das Arbeiterviertel des Comer Sees. Industrieanlagen am Ufer oder 16:10 Uhr, Kilometer 82,3, Dorio Hochspannungswerke mit Seeblick. Bars oder Cafés sind verschwunden, die Julia: Wir beginnen einzusehen, dass Straße ist breit, Bauern machen Heu. wir den Rest der Strecke um den See Ich freue mich, dass wir vorhin nicht unmöglich bis zum Abend schaffen. Ich umgedreht sind. Der Norden zeigt mir beschließe, dass wir in mit dem ein anderes, ehrliches Gesicht des Co- Schiff nach Bellagio und nach Cadenab- mer Sees: Makelhaft — das Negativ der bia übersetzen. Johannes stimmt zu. Postkartenmotive des Südens. Johannes: Wir sind seit gut fünf Stunden 15:14 Uhr, Kilometer 66,6, im tiefsten Norden unterwegs und auf dem Kilometerzeiger stehen 82,3 Kilometer. Ich beschließe, Julia: Wir sind fast am nördlichen Ende, dass wir in Varenna mit dem Schiff nach als eine unglaublich hässliche Brücke Bellagio und nach Cadenabbia überset- vor uns auftaucht, die ans östliche Ufer zen. Julia stimmt zu. führt. Als hätten die Berge kalte Füße bekommen, sind sie erschrocken ein 16:26 Uhr, Kilometer 94,2 km, Hafen Varenna Stück vom See gewichen und machen Weizenfeldern Platz. Wir fahren von der Julia: Im Radio läuft Mr. Bombastic von Straße ab und über einen Feldweg. Es Shaggy. Passt zu Johannes. Die Fähre fängt in meinen Augen an, sie tränen, legt erst in einer Dreiviertelstunde ab dann kratzt es in der Kehle, schließlich und verordnet uns eine Zwangspause. läuft die Nase: Heuschnupfen. Hätten Ich schlendere an der Anlegestelle auf wir nicht auf der Straße bleiben können und ab. In der Nähe haben Einheimische anstatt durch Wiesen zu preschen? einen kleinen Trödelmarkt aufgebaut. Ein älterer Italiener mit einem Strohhut Johannes: Die Hälfte ist geschafft. In bietet ein Klavier an. Er setzt sich an die , dem nördlichsten Punkt des Tastatur und fängt eine leichte Melodie Comer Sees, fahren wir über eine archi- an. Die Akkorde tänzeln über den See. tektonische Sünde auf vier Pfeilern. Auf unserer Karte aus dem Tourismusbüro fehlen die Ortsnamen. Vielleicht, weil

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Johannes: „Nach Bellagio?“, fragt die Frau an der Fähre. „Si“, sage ich. Drei Kilometer sind es mit der Fähre nach 18:44 Uhr, Kilometer 94,3 plus 5 über den See, Cadenabbia Bellagio. Knapp eineinhalb Stunden Aufenthalt dort. Nach 29 Minuten habe Julia und Johannes: Die letzten zwei Ki- Tag. Unser Tipp nach 285 Zebrastreifen, ich alles von Bellagio gesehen – zumin- lometer. Mit der Fähre von Bellagio nach drei Hupen-Verbotsschildern und gerade dest glaube ich das. Enge, in den Berg Cadenabbia. Wir haben uns zuviel vorge- einmal zwei Stoppschildern: Teilt den See gebaute Steingassen mit kleinen Ge- nommen, sind zu spät losgefahren. Nur in Etappen auf! Nutzt die Fähren! Haltet schäften. Lacoste- und Hilfigger-Träger der Vollständigkeit halber: Lecco wäre nicht an jeder Kapelle! Knipst nicht jedes schlendern Händchen haltend an Dolce noch gekommen, Onno, Sankt Giovanni, Postkartenmotiv! Und überlegt, ob ihr & Gabana vorbei. , , Careno. Zu viel für einen nicht doch lieber zwei Autos mieten wollt.

17:40 Uhr, Kilometer 94,3, Bellagio

Julia: Im Ort geht ein Lüftchen. Das Licht ist weicher, die Sonne hat den Ze- nit überschritten. Als ich ein Foto knip- se, kommt einer der Kellner und drückt mir lächelnd eine Postkarte in die Hand. Darauf ein Foto aus derselben Perspek- tive von 1919. Ich kaufe Kirschen, die ersten dieses Jahr. Ach, ist das schön hier, ich könnte noch Stunden blei- Julia Schappert, Jg 1984: Johannes Jolmes, Jg 1984: Eigentlich wollten sie beide Italiener fahren gar nicht so ben. Später, auf dem Schiff, spucke ich lieber Pause machen. Aber Ju- schlimm Auto. Zumindest Kirschkerne in die Wellen, während der lia Schappert merkte auf ihrer nicht so schlimm wie Johannes Wind in den Haaren zaust. Johannes hat Tour um den Comer See, dass das gar nicht Jolmes. Besonders fasziniert war er vom Nor- kurze Haare, darin kann der Wind nicht so einfach ist. Ob es an der Kommunikation den des Comer Sees. „Dort oben“ spiegelte zausen. zwischen Mann und Frau lag? sich eine ganz andere Mentalität wider. Ohne Villen und mit weniger Tourismus.

Literatur (4) Am schönsten aller Seen freie Stunden aufhielt, doch am 23. Mai 1788 schrieb Henry Wadsworth Longfellow: verbringen – auch Henry Wadsworth er an Herzog Carl August: „Ich sah die Cadenabbia Longfellow, populärer amerikanischer Hügel um den Comer See, die hohen Dichter des 19. Jahrhunderts, wusste Bündtner und Schweizer Gebirge vor dies zu schätzen. Inspiriert vom Co- mir wie ein Ufer liegen, an dem ich mer See, schrieb er 1855 das Gedicht nach einer wunderlichen Fahrt wieder ‚Cadenabbia‘. Wie viele Dichter und landen werde.“ Goethes Verhältnis zum Künstler fing er den italienischen Comer See wird ein Geheimnis bleiben. Charme des Sees mit liebevollen Wor- Sicher ist: D•er Comer See ist ein Dich- ten ein, war inspiriert von Sonne, Ve- tergarten. Oder, in Longfellows Worten: getation und Ausblick. Vergil bezeich- nete den Comer See im zweiten Buch Sweet vision! Do not fade away; seiner ‚Georgica‘ als lacus amoenus, als Linger until my heart shall take lieblichen See. Bis heute ist nicht klar, Into itself the summer day, ob sich Goethe jemals am Comer See And all the beauty of the lake.

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Am Ende der Straße

Das Bergdorf über dem Comer See scheint vergessen. Die letzten Einwohner leben von der Erinnerung. Und von den wenigen Momenten, in denen sie alte Zeiten aufleben lassen.

Die Vasen sind mit bunten Plastikblu- der letzten Zählung ermittelt. Das war Für Touristen sehen die Berge von men gefüllt. Liebevoll gepflegt erschei- Ende 2007. Danach sind schon wieder Cavargna noch heute archaisch aus nen die Parzellen rund um die Granit- zwei gestorben und umgezogen auf den – einer ähnelt der Kulisse von Machu blöcke der Gräber auf dem Friedhof von Friedhof, den lebhaftesten, farbenfro- Picchu in Peru. In seinen Felswänden Cavargna. Die Bilder der Verstorbenen hesten Platz von Cavargna. Und keine könnten Höhlenwohnungen verborgen sind auf ihnen zu sehen. Ihre Verwand- Frau, die schwanger wäre. Mazza Fio- sein. Darunter reihen sich die Nach- ten kommen oft hierher. rella, die im Rathaus das Register führt, bardörfer von Cavargna aneinander. In Grau und nackt sind die Häuser, rostig hätte das längst bemerkt. einer Höhe von 1000 Metern liegen sie, und abgestumpft wirken die Garagen- Über dem höchstgelegenen Dorf der zwischen dem Luganer und dem Comer tore. Dazwischen Backsteinbauten, of- Provinz Como thront der Pizzo di Gino, See, knapp unterhalb eines Gürtels aus fene Baustellen und verstaubte Beton- 2245 Meter hoch. Ihm entspringt der Kiefern. Auch Unbekannte werden hier mischer. Sie zeugen von einem letzten Bach Cuccio, welcher die Bewohner freundlich gegrüßt. Aufbäumen. Doch viele der Häuser ste- noch immer mit frischem Wasser ver- Nur wenige Menschen besitzen einen hen leer. Die meisten Fensterläden sind sorgt. Doch früher wurde hier Strom Jeep. Ein paar fahren mit Kleinwagen: geschlossen. generiert, der heute aus der Leitung Seicento, Panda, Punto, so billig wie In den Fünfzigern prägten noch Häu- kommt. Lange war das Tal von Cavar- möglich eben, um durch die engen und ser aus Schiefer das Dorfbild Cavargnas gna wild und sich selbst überlassen. Die kurvigen Bergstraßen zu kommen. Am und mehr als 800 Menschen lebten Außenwelt erreichten die Bewohner, Donna Franca führt Nachmittag schieben Omas stolz ihre hier. Heute ist Cavargna ein Randge- wenn überhaupt, per Esel. Sie kamen die einzige Pension Enkel durchs Dorf, andere verharren biet der Lombardei, hart an der Grenze mit sich allein zurecht. im Ort. Eine Herberge hinter Stickgardinen und beobachten, zum Tessin. 262 Menschen wurden bei mit einem Stern. was auf der Straße passiert. Viel passiert nicht, in Cavargna. Ein alter Mann mit Stock und Hut schaut fast sehnsüchtig ins Tal hinab. Wo sie geblieben sind, die Kinder? Was waren das für Zeiten, als man noch autark lebte. Damals kamen Lehrer in den Ort, und wenn es im Winter zu stark schnei- te, mussten sie ein paar Wochen hier übernachten. Heute holt ein Schulbus die Kinder hinunter nach San Bartolo- meo zur Grundschule, es sind zu wenig geworden. Viermal am Tag kommt der Linienbus, eine Stunde dauert die Fahrt in die nächste Stadt, viele Passagiere transportiert er nicht. Die Bank macht jeden zweiten Tag für ein paar Stunden auf, die Post einmal pro Woche. Denn ihre Arbeit ist nach wenigen Stunden bereits getan. Kuriere beschweren sich, wenn sie wegen zwei Kisten Pasta die vielen Serpentinen nach Cavargna fahren müssen, bei so wenig Kundschaft. Die Bar della Piazza wurde vor zwei Jahren geschlossen. Wer

45 kann, wandert ins benachbarte Tessin mit Schießbüchse zog er los, wenn es Die Vergänglichkeit 76-Jährige führt die einzige Pension im aus, um mehr Lohn fürs Handwerk zu klingelte. Doch immer nur ertappte der Zeit im Blick. Ort, einen Stern hat die Herberge. Doch bekommen. Früher war das nicht nötig, er streunende Füchse. Die Schmugg- Wehmut und Gäste gibt es kaum. Eine Stunde vorher die Dorfgemeinschaft lebte autark und ler benutzten Zeitungspapier, um die Hoffnung begegnen muss Bescheid geben, wer in Donna unterstützte sich gegenseitig. Schlosser, Glöckchen zum Schweigen zu bringen. sich in Cavargna Francas Restaurant essen möchte. Auf Schmied und Holzfäller waren genauso Wenn er doch einmal einen erwischte, täglich. den Tisch kommt, was Donna Franca gefragt wie Kastanienbrotbäcker, ande- sperrte Lionello ihn nicht länger als im Kühlschrank hat. re konnten nähen oder Haare schnei- zwei Tage ein. Und immer blieb das Im Restaurant läuft der Fernseher. Die den. Ein Erzbergwerk gab es auch, aber Gewehr ungenutzt auf seinem Rücken. Tische sind leer, der kleine, pinkfarbene das war noch früher. Ob Staatsdiener oder Schmuggler, das Stuhl und ein Bobbycar zeugen von sel- Der Herr Pfarrer fehlte natürlich auch sei doch egal gewesen: „Wir waren arm, tenem Kinderglück. Donna Franca hät- nicht. Die Kirche mit ihrem großzü- die waren auch arm“, sagt der Muse- te gerne mehr Kinder in der Gemeinde. gigen Gemeindehaus wirkt heute wie umswärter. Schmuggel war das einzige Doch im Dorf gibt es kaum noch Hoch- ein verlassenes Raumschiff. Rund drei- Auskommen, das die Bewohner hatten. zeiten. Die Liebe bleibt den Dorfkatzen, ßig Gottesdienstbesucher haben darin Und man kannte sich. Erst die Straße Hunden und Eidechsen überlassen, die mehr Platz als ihnen lieb ist. Im Tauf- veränderte alles. Man konnte zu Wohl- sich am Brunnen sonnen. stein dümpelt abgestandenes Weihwas- stand kommen, und wer konnte, ging Nebenan, im Rathaus, steht Mazza ser. Es gibt wenige Kinder und viele alte weg. Fiorella (58) am Schalter. Sie ist ver- Menschen, der Mittelbau von 16 bis 60 Über die Straße kam auch die technische antwortlich dafür, dass die Bürokratie ist weggebrochen, der Rest stirbt. Versuchung. Zuerst war das Fernsehen auch in diesem entlegenen Winkel der Die Erinnerungen an frühere Zeiten nur ein Nebel, ein schwaches schwarz- Lombardei funktioniert. Es gibt einen bewahren sich die Bewohner in ihren weißes Bild, das viel Strom von den Grabsteinen. Für die Außenwelt gibt wenigen Generatoren fraß. Der Pfarrer es im Dorfmuseum ein paar liebevoll besaß als erster ein Gerät, und wenn bestückte Vitrinen. Lionello Bertossi, er Fernsehen wollte, dann mussten die 63, hütet als letzter zugezogener Dorf- Menschen im Dorf für ein paar Stunden bewohner das Museum. Ursprünglich mit weniger Strom auskommen. Trotz- kommt er aus dem schrillen Mailand. dem legte der Herr Pfarrer Wert auf Seiner Frau zuliebe ist er vor zwei Jah- Tradition, auf die guten Sitten und Tu- ren im Rentenalter auf den Berg gekom- genden christlichen Glaubens. Immer men. wieder erinnerte er die Dorfbewohner Früher arbeitete Lionello Bertossi als daran, wie man sich selbst ernähren Zollbeamter, ein paar Monate lang sogar kann, ohne die Waren aus den Städten. in Cavargna. Er bewachte die Schweizer Die Augen von Donna Franca leuchten, Grenze, sollte die Dorfbewohner am wenn sie daran denkt, wie sie sich frü- Schmuggeln von Reis, Kaffee und Le- her die Haare in Zeitungspapier wickel- bensmitteln hindern. Er patroullierte te, um dann mit einer heißen Schere am Zaun, in den seine Kollegen Glöck- ihre blonden Locken zu drehen. Heute chen gehängt hatten, die Schmugg- muss sie einige Kilometer fahren, um ler verraten sollten. In Uniform und sich die Haare machen zu lassen. Die

46 behindertengerechten Fahrstuhl. Wenn ker gewesen sein, der heilige Lucio, ein sche Margeriten und Silberdisteln auf das Büro nicht besetzt ist, kümmert Segen für die arme Bevölkerung. Auf der Kommode. Darüber thront eine sich Mazza um ihre Theatergruppe. das religiöse und kulinarische Volksfest Schweizer Kuhglocke. Bonbonpapier, Ein Mal im Jahr spielen zwölf Bewoh- freut sich Mazza besonders. Auch Don- Papstbilder und Madonnen schmücken ner eine Art Dorf-Soap. Ehekrisen und na Franca ist dann dabei; Servietten die Wand. fremde Liebschaften sind in den Dreh- und Tischdecken schleppt sie mit ihren Ab und zu hilft Rosetta ihrem jungen büchern nicht vorgesehen. Das eigene Kindern hinauf auf den Berg. Schwere Nachbarn oben auf der Alm. Sonst sam- Drama vor Augen, holt Mazza Fiorella Getränke kommen heute nur noch per melt sie draußen Gras für die Hühner, mit ihren Stücken lieber die gute alte Jeep. kämmt den Hund, trocknet Kräuter für Zeit zurück. Ein neues Stück heißt: „Am Noch ein Stück oberhalb von Cavar- Tee im Winter. Mario hackt Holz für den Dorfbrunnen“. Dort begegnen sie sich gna, dort, wo die Autostraße zu Ende Kamin oder flickt das Dach, wenn er und plaudern über dies und das, so wie ist, wohnen Mario Cassinelli, 60, und nicht seinem Hobby, dem Jagen, nach- früher. geht. Seine Frau ist hier groß geworden, Einmal im Jahr ist es wirklich noch Bei Mario ging in Cavargna zur Schule. 36 Kinder wie früher. Immer Mitte Juli kommen Cassionelli hängt waren es damals, sagt Rosetta, 13 in der oben am Monti Marda 4000 Menschen die vierten und fünften Klasse und 23 in zusammen, Einheimische und Freunde Schrotflinte den ersten drei. und Gäste aus der Umgebung. Das Fest schussbereit an Bei einem Rundgang durchs Dorf zwi- ist dem Heiligen Lucio gewidmet, dem der Wand. schen grauen und nackten Häusern, Schutzpatron der Viehhirten und der rostigen und abgestumpft wirkenden Almwirte. Er muss ein großzügiger Mol- Garagentoren, zwischen Backsteinbau- ten, offenen Baustellen und verstaubten Rosetta Capra, 56. Abgeschieden durch Betonmischern sagt Museumswärter hohes Gras und einen Zaun. Am Ein- Lionello Bertossi plötzlich: „Du kannst gang hängt eine geladene Schrotflinte. hier nackt durchs Dorf laufen – und Er will endlich den Fuchs erwischen, niemand sieht dich“. der gelegentlich eines seiner Hühner reißt. In der Jagdsaison wandert er in den Bergen umher, um Wildschweine fürs jährliche Festessen zu jagen, und vielleicht auch, um zu sich selbst zu finden. Nach Bellagio am Ufer des Comer Sees, Jan Thomas Otte, Jg 1983: wo Mario ein Haus von seinen Eltern Entlegene Winkel, hoch oben geerbt hat, fahren er und Rosetta nur auf den Bergen, da wo der Mas- im Winter, wenn es oben im alten Ge- sentourismus nicht hinkommt. mäuer trotz Kamin zu kalt wird. Doch Das waren die Orte, an denen Jan Thomas Otte sich am wohlsten gefühlt hat. Mit vie- zu Hause fühlen sich beide zwischen len Erinnerungen im Rucksack ging die Reise den kargen Bergen und den bunten für ihn zurück nach Deutschland. Blumen. Im Wohnzimmer stehen fri-

47 Luigi Tosi bereitet seine Netze für die nächste Ausfahrt vor.

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Gefangen vom See

Die Fischerei ist ein hartes Handwerk. Doch eine Familie in Menaggio hält an ihrer Tradition fest. Für Giorgio Tosi eine Frage der Liebe.

Es ist Mitternacht, der Vollmond steht Trocknen der Missoltini-Fische zeigen. über dem Comer See. Leichter Wind Auch heute noch wird der Fisch wie auf kräuselt die Wasseroberfläche zwi- den Fotos auf Holzständern getrocknet. schen den dunklen Bergen. Ein kleines Manchmal scheint es, als sei im Leben graues Boot wiegt auf dem See im Takt der Tosis die Zeit stehen geblieben. nach links und nach rechts. Im Bug ein Mann. Er greift mit der Linken über Der 66-jährige Giorgio Tosi weiß, wor- Bord, zieht ein Gewirr von Fäden und auf ein Fischer verzichten muss. Wenn Leinen heran, Schlaufe für Schlaufe. seine Freunde früher die Nacht durch- An der Bordwand klemmt eine kleine feierten, war er auf dem Boot unter- Neonröhre und spendet kaltes Licht. wegs, um die Netze im Gleichtakt ein Immer wieder legt der Mann mit der zu holen. Das Einkommen reichte zum wasserdichten, orangefarbenen Latzho- Überleben, nicht zum Urlaub machen. se die Schlaufen auf einer Metallstange Aber Giorgio Tosi beschwerte sich ab, die er unter den Sitz geklemmt hat. nicht, wie sich auch sein Sohn Luigi nicht beschwert. Luigi Tosi ist 34. Nacht für Nacht fährt der Fischer hinaus auf den See. Luigi ist Bevor Luigi jeden Abend ausfährt, einer der letzten Fischer in der Gegend. schiebt er die Schubkarre mit den auf- Etwa 40 gibt es noch am Lago di Como. gereihten Netzen über die Via Mazzini Luigi Tosi ist als Fischer geboren worden, in den Hafen von Menaggio. Dort liegen denn auch sein Vater Giorgio war als Fi- 20 Boote, darunter das kleine, graue Fi- scher auf die Welt gekommen. Seit vielen scherboot der Tosis, gleich am Eingang. Generationen führt die Familie Tosi den Luigi belädt es, startet den Motor und kleinen Fischladen an der Via Mazzini fährt knatternd hinaus auf den See, um in Menaggio. Auf dem Balkon der drit- die Netze auszuwerfen. Auf der Westsei- ten Etage ihres Hauses weht Wäsche, te, knapp oberhalb von Menaggio, dros- im Erdgeschoss ist das kleine Geschäft. selt er den Motor, knotet das erste Netz „Casa e lavoro“, sagt Giorgio in tiefstem an eine Leuchtboje und tuckert hinü- Bass, „Haus und Arbeit in einem“. ber auf die östliche Seite. Während das Boot über das Wasser treibt, knotet er Der Laden misst acht Quadratmeter, Netz an Netz und lässt eines nach dem ist weiß gekachelt, und wenn Giorgios anderen ins Wasser sinken. Schließlich Frau Orselle hinter der Ladentheke befestigt er am anderen Ende der Netz- steht, kann sie über die Via Mazzini auf kette die zweite Leuchtboje und steuert den Comer See blicken. In der Glas- das Boot zurück in den Hafen. Giorgio theke vor ihr Metallschalen mit rohem Tosi ist sich sicher, dass genau hier am Fisch und zwei zylindergroße Dosen mit Knotenpunkt der drei Arme des Sees Missoltini, eingelegtem Fisch. Im Regal die beste Stelle zum Fischen ist. An hinter ihr ein paar Packungen Reis, ein guten Tagen bringt sein Sohn 50 Kilo- paar Packungen Nudeln. An der Wand gramm Fisch mit. Rotbarsche, Felchen verblichene Fotos, die das traditionelle und Schleihen.

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Am Morgen filetiert Giorgio mit einem fäden gewickelt sind. Die Netze müssen schmalen Messer den Fang der Nacht. von den Spuren der letzten Nacht be- Es knackt, wenn er den Kopf eines Fi- freit werden. Giorgio lässt sich in einen sches abtrennt. Eine rote Blase quillt weißen Plastikstuhl fallen und beginnt, In seinem Laden aus dem Rumpf, bevor Giorgio das Mes- die Schlaufen vor sich von rechts nach nimmt Giorgio Tosi ser in die offene Stelle schiebt und mit links zu schieben. Er zupft grüne Algen den Fang der letzten einem Handgriff die Bauchhöhle auf- heraus, er flickt löchrige Stellen. Bis Nacht aus. trennt, die Gedärme herauskratzt und zum Sonnenuntergang müssen seine vom Schneidebrett in einen Eimer fallen Netze präpariert sein. Dann wird Luigi lässt. Die Wasserqualität sei schlechter wieder den Motor anwerfen und mit geworden, sagt er. Früher, als es noch dem Boot wieder auf den See fahren, kein fließendes Wasser im Haus gab, sei um die Netze auszubringen. er mit einem Stück Seife ans Ufer ge- gangen, um sich zu waschen, so sauber Vor drei Jahren erst hat Familie Tosi sei es gewesen. Ein Schnitt vom Vorder- einen Motor für ihr graues Fischerboot teil bis zum Schwanz, und das Filet ist gekauft. Davor musste der Alte das abgetrennt. Er dreht den Fisch um und Boot mit den zwei blauen Paddeln auf trennt mit einem Schnitt die Gräten den See rudern, Nacht für Nacht. Wie vom zweiten Filet. sein Sohn war auch er schon als Schüler hinausgefahren, um Fische zu fangen. Die filetierten Fische liefern die Tosis Auf Kosten vieler Schulstunden lernte an die Restaurants der Umgebung. Lu- er von seinem Onkel das Fischerhand- igi fährt auch kleinere Geschäfte an, die werk. Auf seinen selbst geschriebenen den Fisch der Tosis verkaufen. Vor allem Entschuldigungen stand dann, dass die Touristen, die Fisch aus dem Comer ein Onkel oder eine Tante gestorben See essen wollen, sind wichtig für das sei und er leider nicht am Unterricht Geschäft. Sobald Einheimische in den teilnehmen konnte. Am Ende hatte er Laden der Tosis kommen, begrüßen sie 40 Onkel und Tanten totgeschrieben, einander wie gute Freunde. Wenn alle erinnert er sich und lacht brummend Fische ausgenommen sind und kein vor sich hin. Man wird eben als Fischer Kunde kommt, setzt Giorgio sich unter geboren. Und Giorgio Tosi weiß, was den Mauerbogen, der das Vordach sei- ihn mit dem Comer See verbindet: nes Hauses stützt. Dort bereitet er die „Amore.“ Netze für den nächsten Fang vor. Frü- her, als er noch selbst hinausfuhr, hat er mit Baumwollnetzen gefischt, doch die Anne Huschka, Jg 1981: gingen bei Sonneneinstrahlung schnel- Der Fischer aus Anne Huschkas ler kaputt. Geschichte konnte kein Wort Deutsch. Anne kann kein Itali- enisch. Um zu erkennen, welche Bedeutung Der alte Giorgio Tosi zieht einen Holz- der See für die Fischer hat, bedurfte es am bock heran und legt eine Metallstange Ende auch keiner Worte. darauf, auf die wirre Büschel von Nylon-

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Die verwunschene Insel

Wer auf der Isola Comacina speist, erhält dasselbe Menü wie vor 60 Jahren. Und muss einen Fluch bannen, der seit 800 Jahren über dem Comer See liegt.

Ein leichtes, kurzes Knistern. Dann cken läuten, niemand wird mehr einen ter hatte kein Mensch mehr die Insel schießen plötzlich leuchtende, orange- Stein auf den anderen setzen, niemand betreten, ohne sein Leben zu lassen. farbene Flammen in die kühle Sommer- wird jemals mehr Wirt sein unter Strafe Erst 1947 wagten drei Italiener das Un- abendluft. Und während es lodert und eines qualvollen Todes.“ terfangen, die Isola Comacina wieder züngelt, erzählt Benvenuto Puricelli mit zu besiedeln. All das erzählt Benvenuto summender Stimme die Geschichte sei- Die Isola Comacina ist die einzige Insel Puricelli, immer noch zwischen zün- ner kleinen Isola Comacina. im Comer See. Seit 1947 ist dort die gelnden Flammen, seinen Gästen. Locanda dell’Isola Comacina zu Hau- Benvenuto Puricelli trägt eine Fischer- se, seit 1976 führt Benvenuto Puricelli In einem kleinen Boot von Sala Coma- mütze und eine Weste mit Schottenkaro dieses traditionelle italienische Gast- cina aus erreichen Benvenuto Puricellis über seinem strahlend weißen Hemd. haus. Neben der Locanda ragen noch Besucher die 600 mal 200 Meter große Das Hemd leuchtet in der Dunkelheit, heute die Überreste der Basilika San Insel. Über einen hölzernen Steg und fast so hell wie die leuchtende Flamme Eufemia und der Kirche San Giovanni eine unebene Steintreppe, die unten des Feuers. Wie eine festliche Liturgie zwischen dem Grün der Insel empor. nass von den schwappenden Wellen ist, erklingen seine kurzen italienischen Im Krieg zwischen Mailand und Como gelangen sie in wenigen Augenblicken Sätze, ehe er, immer noch fast sum- waren die Kirchen und die gesamte In- zum Eingang. Benvenuto Puricelli, der mend, auf das Unheil zusteuert, das der sel 1169 fast komplett zerstört worden. das Lokal von Lino Nessi, dem letzten Bischof von Como der Legende nach im Diejenigen Menschen, die damals nicht lebenden Gründer, übernommen hat, 12. Jahrhundert über die Insel brachte: getötet worden waren, flüchteten auf begrüßt seine Gäste persönlich und „Hier werden niemals mehr die Glo- das Festland. Noch fast 800 Jahre spä- führt sie an die Tische, von denen je-

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der einen un- Gast und hat diesmal ihre Eltern mit- baren auf ihren Raubzügen die Gegend Schinken und frische vergesslichen gebracht. „Es ist wie bei einem guten plünderten, flüchteten die reichen Bür- Forelle gehören zum Postkarten- Freund eingeladen zu sein und gemein- ger Comos auf die Isola Comacina und Traditionsmenü. ausblick auf sam ein gutes Essen zu genießen“, hört machten sie zu einer Festung des Chris- den Comer Benvenuto sie sagen, während er sich tentums. Sie erhielt den Namen Cris- See genießt. vergewissert, dass auch seine anderen topolis – „Stadt Christi“. Während des Und jeder Gäste zufrieden sind. „Ich schätze die zehnjährigen Krieges zwischen Mailand wird spä- Atmosphäre, die Vögel, das Wasser. So und Como verbündete sich die Isola ter das seit einen Ort gibt es nicht noch einmal“, Comacina mit Mailand, was ihr zum 1947 unver- sagt Melissa DeFalco zu ihren Eltern, Verhängnis wurde. König Barbarossa änderte, ein- die ihre erste Europareise zu ihrem 40. verbot 1175 einen Wiederaufbau, und zige Menü mit Hochzeitstag angetreten haben. Der Bischof Vidulfo, der Bischof von Como den fünf Gängen Zitronentomate folgt Gemüse: Sellerie, war, verfluchte die Insel. und dem feurigen Karotten, im Ofen gebackene Zwiebeln, Finale erleben. Peperoni, Zucchini, Blumenkohl, rote Benvenutos Mitarbeiter filettieren fri- Beete und grüne Bohnen. Benvenuto sche Forellen vom Holzgrill vor den Als ersten Gang servieren die und seine Mitarbeiter servieren an- Augen der Gäste und garnieren sie Kellner Antipasti. Eine Scheibe Toma- schließend Prager Schinken, der eigens mit Zitrone, Salz und Pfeffer. Auch das te mit einer Scheibe Zitrone in Öl und aus Como geliefert wird, und Bündner- Hähnchen, das als dritter Gang serviert mit Oregano. Der Kellner informiert die fleisch. wird, und der Salat werden erst am Gäste, dass diese Tomate zusammen mit Tisch garniert. Zwischen den Gängen der Zitrone gegessen werden muss. Wer An den Ufern des Comer Sees machten werfen die Besucher einen gespannten nun verwundert aufblickt, bei dem ist schon vor über 2000 Jahren die Römer Blick in die dreisprachige Speisekarte Benvenuto sofort persönlich zur Stelle Station. Als spä- oder sehen sich um. Der Steinboden und besteht auf dem Ritus. Das dazu ter Bar- und die Holzmöbel erinnern an ein ein- gereichte Freundschaftsbrot faches Fischrestaurant. Jeden Moment dürfe im Übrigen nicht könnte ein Fischer mit seinem frischen geschnitten werden, Fang vorbeikommen. sondern müsse mit den Händen ge- An den Wänden des Restaurants teilt werden. zeugen Fotos von Besuchen Pro- Melissa DeFal- minenter, die seit vielen Jahren co, eine jun- den Weg über den See zur Iso- ge Frau aus la Comacina auf sich nehmen. New Jersey, Fußballlegenden wie Jürgen ist bereits Klinsmann, Lothar Matthäus zum dritten und Karl-Heinz Rummenigge, Mal in der Musiklegenden wie Billy Joel, Locanda zu Joe Cocker und Elton John,

53 Benvenuto Puricelli Schauspieler wie Matt Damon, Brad Pitt Bundeskanzler Konrad Adenauer war lich auf der kleinen Insel gegenüber ist seit über und George Clooney – sie alle haben gekommen, um mit dem kleinen Mo- seinem Geburtsort niederließ, zurück- 30 Jahren der Herr dieses eine traditionelle Menü probiert. torboot auf die Isola Comacina überzu- gekehrt und angekommen am Aus- des Ritus auf der Haben auf den einfachen Holzstühlen setzen und in der Locanda zu speisen. gangspunkt seiner Reise in die Welt: Isola Comacina. gesessen, haben von der Terrasse auf „Im Sommer bin ich drei Monate auf der den blauen Comer See und die hohen, Zu Anfangszeiten war das Lokal klein, Insel und verlasse sie nicht ein einziges mächtigen, grün bewaldeten Berge ge- und Restaurantgründer Lino Nessi Mal.“ Dann esse natürlich auch er das blickt. Haben gemeinsam mit Benvenu- kochte Speisen, die man immer kochen Essen, das er seinen Gästen serviere, to in die Kamera gelächelt. Einmal, an kann, wenn überraschend Gäste kom- nur nicht alles auf einmal: „An einem einem Ruhetag, habe er das Lokal nur men. Daraus entstand über die Jahre Tag esse ich Fisch, am nächsten Hähn- für George Clooney und die 120-köpfige die Speisenfolge, die bis heute unver- chen, manchmal den Salat.“ Filmcrew von Ocean’s Eleven geöffnet, ändert geblieben ist. „Wir wechseln berichtet Benvenuto Puricelli. „George nicht das Essen, sondern die Gäste“, Angst vor dem Fluch, der auf der Insel Clooney ist ganz sympathisch und ganz sagt Benvenuto, wenn Gäste fragen, ob lasten soll, hat er nicht. „Die Insel hat normal, überhaupt nicht abgehoben“, es ihm nicht langweilig werde, immer sagt der Wirt, als sei es das Alltäglichste wieder das Gleiche zu kochen. auf der Welt, Hollywoodstars in seinem Und dabei lacht er herzlich. Gasthaus zu begrüßen. In St. Moritz, im per- sischen Persepolis An einen ganz besonderen Besuch aus und in London der Zeit, als er noch als kleiner Junge hat Benvenu- am Festland in lebte, to Puricelli kann sich Benvenuto Puricelli noch gut gekocht, erinnern. Er stand auf der Straße, als bis er ein großes schwarzes Auto und eine Po- s i c h lizeikolonne angefahren kamen. „Hier end- gab es nicht so viele Autos“, sagt er. Die Menschen versammelten sich auf der Straße und der kleine Benvenuto sah, wie ein großer Mann aus dem schwar- zen Auto stieg. Der damalige deutsche

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mich akzeptiert“, glaubt Benvenuto Pu- Nach den Hauptgängen nähert sich ein Zauber, dann ist die geheimnisvolle Ge- ricelli, nachdem ihm ein Schicksal, wie Kellner mit einem großen Käserad den schichte der Isola Comacina erzählt. es zwei der drei Gründer des Restau- Tischen. Er gibt jedem Gast ein Stück rants widerfuhr, bislang erspart blieb. Parmesan direkt in die Hand. Danach Benvenuto Puricelli füllt den Brandy Carlo Sacchi, ein Seidenhändler aus bereiten Benvenutos Mitarbeiter Vanil- mit Kaffee auf und gibt jedem Gast ein Como, wurde kurz vor der Eröffnung leeis mit Orangen und Orangenlikör Glas. Wer ein Glas dieses Trankes trinkt, des Restaurants in der Villa d’Este von zu. Mit dem fünften Gang ist die Sonne der bleibt vor dem Fluch der Insel be- der Gräfin Bellentani ermordet. Sandro untergegangen. Dann gehen auch die wahrt, so sagt die Legende – und wird De Col, ein leidenschaftlicher Anhän- Lichter aus, es wird ganz dunkel. Eine wieder sicher am Festland ankommen. ger des Motorbootsports, verunglückte Glocke läutet. Leises Zischen ist zu Selbst in der Finsternis des Comer Sees wenig später in Frankreich bei einem hören. Plötzlich schießt eine Flamme so kurz vor Mitternacht. Rennen. Ob das mit dem Fluch zu tun empor. Benvenuto Puricelli steht hinter hatte? „Vielleicht“, antwortet Benvenu- einem kleinen mit Zucker und Brandy to und lächelt wissend. Eine englische gefüllten Kessel, der inmitten der Gäs- Journalistin, Frances Dale, empfahl te platziert ist. Er murmelt und summt, dem letzten Überlebenden Lino Nessi während er den Brandy mit einer Kel- Insa Winter, Jg 1985: schließlich einen Feuerexorzismus, um le aus dem Kessel holt und ihn einen Eigentlich mag Insa Winter kei- den Fluch zu bannen. Ihr zuliebe trug halben Meter darüber zurück gießt. Der nen Kaffee. Beim Feuerexorzis- Lino Nessi dabei eine Weste aus Schot- bläulich glühende Brandy bahnt sich mus auf der verfluchten Isola tenkaro, die Benvenuto Puricelli heute seinen Weg durch die orangefarbene Comacina musste sie ihn trotzdem trinken, um dem Fluch der Insel zu entgehen. noch trägt. Flamme. Zehn Minuten dauert der

Literatur (5) „Jener Arm des Comer Sees, der sich heiraten. Doch die Schergen des Don : zwischen zwei ununterbrochenen Rodrigo, der die Hochzeit verhindern Die Verlobten Bergketten südwärts wendet und, ih- will, stellen sich dem Liebesglück in rem Vorspringen oder Zurückweichen den Weg. Die beiden jungen Menschen folgend, lauter Busen und Buchten fliehen, Lucia findet Zuflucht in einem bildet, verengt sich fast plötzlich und Kloster, Renzo zieht nach Mailand. Ihr nimmt zwischen einem Vorgebirge Glück finden sie auch dort nicht mehr. zur Rechten und einem ausgedehnten Alessandro Manzoni wuchs in Lecco Gestade zur Linken Lauf und Gestalt auf, wo er 1827 auch den Roman ver- eines Flusses an.“ So beschreibt der fasste. Noch heute ist die Villa Manzoni, italienische Schriftsteller Alessandro das Wohnhaus des Schriftstellers, gut Manzoni (1785 bis 1873) die Lage der erhalten und kann besichtigt werden. Provinz Lecco am Comer See. Wer will, kann sich auf die Suche nach In seinem Roman ‚Die Verlobten‘ wol- Spuren der Romanfiguren begeben – er len im Lecco des 17. Jahrhunderts die wird garantiert fündig. beiden Verliebten Lucia und Renzo

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Die Küche am Comer See

Tiziano Valentini, der Bruscìtt Miascia Koch des Restaurants La 600 g Schinkenfleisch 500 g altes Weißbrot Cucina della Marianna, 50 g ungeräucherter einige zerbröselte Mandel- gibt es selbst zu: „Es ist Bauchspeck makronen (Amaretti) schwer, hier am Lago 1/2 Glas Rotwein 1/2 l Milch wirklich schlechtes Essen 30 g Butter 2 Eier zu bekommen, aber noch 20 g Pinienkerne schwerer, etwas wirklich Den Schinken fein würfeln 50 g Zucker Gutes zu erhalten.“ und in eine Pfanne geben, geriebene Zitronenschale In seinem Restaurant zusammen mit Butter, 2 Äpfel serviert er traditionelle Speck, Salz und Pfeffer 2 Pfirsiche Gerichte der Region – erwärmen. Abdecken und 50 g Rosinen einfach und deftig. auf kleiner Flamme weiter 1 Schnapsglas Der See liefert frischen braten. Den Wein hinzu- Amarettolikör Fisch, die Täler beeinflus- geben, kurz aufkochen Butter und Mehl, um die sen die hiesige Küche mit lassen und anschließend Springform zu fetten und Speisen aus Schweine- die Flamme wieder zu bestäuben fleisch und Polenta. Und herunterdrehen. Bruscìtt von Miascia, der traditio- (kleine Fleischwürfel- Das Brot und die nellen Süßspeise, kennt chen) wird mit Polenta Makronen einige Stunden jedes Tal eine andere serviert, die mit Butter in der Milch einweichen. Variante. Tiziano Valen- verfeinert ist. Den Backofen auf 200 tini hat drei Rezepte aus Grad vorheizen. In der seiner Küche verraten: Die Butter in einem Zwischenzeit die Rosinen weiten Topf zerlassen in Wasser einweichen. Risotto und die fein gehackte Das aufgeweichte Brot mit Flussbarschfilets Zwiebel andünsten. Wenn verquirlen, bis es eine Für das Risotto: die Zwiebel glasig ist, homogene Masse gewor- 50 g Butter den Reis zufügen und den ist. Eier, Pinienkerne, 1 kleine Zwiebel unter ständigem Rühren Zitronenschale und Rosi- 350 g Risottoreis ebenfalls andünsten. Mit nen, feingehackte Äpfel (z.B. Carnaroli) dem Wein ablöschen, und und Pfirsiche unterrühren. 1/2 Glas wenn er aufgesogen ist, Den Zucker zugeben und trockener Weißwein schöpflöffelweise warme die Masse mit dem Ama- 1 Liter warme Brühe Brühe hinzugeben, bis rettolikör aromatisieren. Parmesan die komplette Brühe vom In eine Springform geben Reis aufgenommen wurde. und in den vorgeheizten Außerdem: Ständig rühren. Schließ- Ofen schieben. Nach 20 pro Person lich mit Salz und Pfeffer Minuten die Temperatur 4 Flussbarschfilets abschmecken – und auf 160 Grad absenken Paniermehl nach Geschmack frisch und weitere 40 Minuten etwa 50 g Butter geriebenen Parmesan backen. zum Braten unterheben. In einer frische Salbeiblätter Pfanne Butter zerlassen, Es gibt rund um den mit Salbei aromatisieren Comer See zahlreiche und die in Paniermehl Variationen der Miascia, gewendeten Fischfilets etwa mit getrockneten kross anbraten. Die Filets Feigen, Kakaopulver oder auf den Risottoportionen Rosmarin statt Äpfeln und anrichten und garnieren. Pfirsichen.

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Restauranttipps

Ristorante Pizzeria Ristorante La Cucina Locanda dell’Isola Hosteria La Magnolia Lugano della Marianna Comacina Piazza Magnolia 4 Via Como 26 Via Regina 56 22010 Sala Comacina 22010 22017 Menaggio 22011 Cadenabbia di Tel. +39 0344 55083 Tel. +39 0344 43205 Tel. +39 0344 31664 Griante oder 56755 Geöffnet von 10 bis 24 Montags geschlossen Tel. +39 0344 43111 www.comacina.it oder Uhr, in den Wintermona- www.lamarianna.com www.locanda-isola-coma- ten montags geschlossen. In einer Kurve am Orts- Geöffnet ab 19.30 Uhr, cina.com ausgang Richtung Lugano Küche schließt um 22 Uhr Geöffnet im Sommer täg- La Magnolia liegt versteckt liegt die kleine familiäre (bei Voranmeldung lich von 12 bis 14 Uhr und abseits der Küstenstraße Pizzeria, wo der Pizzabä- um 23 Uhr), montags 19 bis 21.30 Uhr. Dienstag 340 Regina. Neben dem cker vor den Augen der geschlossen Ruhetag. November bis 250 Jahre alten Magnolien- Gäste den Teig jongliert. „Non-democratic kitchen“ Februar geschlossen. baum finden Einheimische Zehn Minuten später lan- nennt Tiziano Valentini wie Touristen einen Platz det die hauchdünne Pizza sein Restaurantkonzept, Ein Fünf-Gänge-Menü auf der Terrasse mit Blick aus dem Holzofen schon das den Gästen keine und ein Feuerexorzismus auf den Comer See. beim Gast. Die Preise Wahl lässt: An jedem prägen das kulinarische Die Küche ist traditionell liegen zwischen vier und Wochentag gibt es ein Erlebnis auf der Insel. Nur und einfach gehalten, acht Euro. einziges Vier-Gänge-Menü, wer den Kaffee am Ende Preise moderat. angelehnt an traditionelle des Fünf-Gänge-Menüs Gerichte der Region. Zwei trinkt, kommt sicher Speisen wird der Gast auf zurück aufs Festland. seiner Speisekarte auf Das Fünf-Gänge-Menü keinen Fall finden: Pizza inklusive Wein und Wasser Margherita oder Spaghetti kostet 60 Euro pro Menü. Bolognese. Ein Vier-Gän- Kreditkartenzahlung ist ge-Menü kostet rund 45 nicht möglich, eine Reser- Euro. vierung wird empfohlen. Die Insel ist von Sala Comacina, Como oder Colico zu erreichen. Fahr- preis fünf bis sechs Euro. Zeitplan und Preise unter www.comoeilsuolago.it.

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Sport Shops Hotels

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Villen Museen

Villa Carlotta Die Villa wurde von Villa Monastero Dom Como Via Regina 2 Kardinal Angelo Durini 23829 Varenna Piazza del Duomo, 22019 Tremezzo 1787 auf der Spitze der Tel. +39 341 295450 22100 Como Tel. +39 0344 40405 Halbinsel Lavedo über www.villamonastera.it www.villacarlotta.it mehrere Ebenen an Öffnungszeiten: 23. März Comos Dom gehört mit Öffnungszeiten: von April den Hang gebaut. bis 2. November: 9.00 zu den eindrucksvollsten bis September: 9.00 bis Die romantische Kulisse bis 19.00 Uhr, Museum: Kirchenbauten Italiens. 18.00 Uhr, März, Oktober diente des öfteren für Samstag von 13.00 bis Von außen erscheint das und November: 9.00 bis Filme als Drehort. 17.00 Uhr und Sonntag gotische Prachtstück hell 12.00 Uhr und 14.00 bis Den besten Blick auf 10.00 bis 13.00 und 14.00 und freundlich, innen 16.30 Uhr. Gebäude und Garten hat bis 18.00 Uhr. dagegen eher mystisch. Eintritt: Erwachsene: der Besucher, wenn er Erst 1744 wurde der Dom 8 Euro, Studenten 4 Euro, sich mit dem privaten Ehemaliges Kloster, von fertig gestellt. Ein Besuch unter sechs Jahren frei. Bootsservice ab Lido di Lelio Mornico 1645 in ein lohnt sich schon allein Lenno der Villa nähert. herrschaftliches Anwesen wegen der Gobelins und Über 70.000m2 umfasst Di, Sa und So ist es auch verwandelt. Die 14 Säle im Altarbilder. Eintritt frei. das Anwesen, das Prinzes- möglich, zu Fuß zum Innern sind komplett mit sin Marianne von Nassau Anwesen zu kommen. originalen Möbeln und Museo didattico della Seta 1843 ihrer Tochter Carlot- Kunstobjekten ausgestattet. Via Castelnuevo 1 ta schenkte. Sehenswert Villa Melzi Der Garten dehnt sich 22100 Como sind Sammlungen mit Lungolario Manzoni einen Kilometer am See Tel. +39 031 303 180 Malereien und Skulpturen 22021 Bellagio entlang aus. www.museosetacomo.com sowie die Parkanlage. Be- Tel. +39 339 4573838 Geöffnet von Di bis Fr, sonders schön im Frühling www.giardinidivillamelzi.it Villa Mylius Vigoni 9.00 bis 12.00 und ist, wenn über 150 Arten Geöffnet von April bis Ok- Via Giulio Vigoni 1 15.00 bis 18.00 Uhr von Azaleen und Rhodo- tober: 9.00 bis 18.00 Uhr 22017 Menaggio Eintritt: 8 Euro, Gruppen dendren blühen. Eintritt: 6 Euro. Tel. +39 0344 361232 ab 10 Personen 5,50 Euro, oder +39 0344 36111 Studenten 2,60 Euro Villa del Balbianello Neoklassische Villa, www.villavigoni.it 22010 Lenno beinahe frei von dekora- Nur Donnerstagnach- Die Geschichte der Tel. +39 0344 56110 tiven architektonischen mittag in Begleitung Seidenverarbeitung von www.fondoambiente.it Elementen. Der Garten ist des Personals öffentlich der Gewinnung des Öffnungszeiten: 15. März der erste Park nach eng- zugänglich. Anmeldung Seidenfadens bis zur bis 16. November: 10.00 lischem Muster am Comer erforderlich. Veredlung des gewebten bis 18.00 Uhr, Mo und Mi See. Besonders faszinie- Stoffes wird anhand von geschlossen, rend: Der japanische Teich Die besondere Atmosphäre historischen Maschinen im Inneren nur geführte mit Seerosen, umgeben der Villa erzeugen die aus Como erläutert. Besichtigungen. von japanischen Ahorn- großen Familienbilder, Eintritt: Park: 5 Euro, bäumen und Zedern. antike Möbel und Antonio Ratti Stiftung geführte Tour innen: Alltagsgegenstände der Textil Museum 11 Euro, für angemeldete Familie Vigoni aus dem Lungo Lario Trento 9 Gruppen: 8 Euro pro 19. Jahrhundert. 22100 Como Person, Preis für Boottaxi: Der Garten ist einer der Tel. +39 31 233111 6 Euro. am besten erhaltenen Geöffnet Mo, Mi und Do romantischen Gärten der 14.00 bis 17.00 Uhr Lombardei – tropische Pflanzen verbreiten ihren In Musterbüchern und exotischen Duft im weit- einem virtuellen Archiv läufigen englischen Park stellt das Museum Textil- designs vom Mittelalter bis heute aus. 59 Kulturtipps Reiseführer

Sacro Monte di Ossuccio Sagra San Giovanni „Cadenabbia Der „Heilige Berg“ ist Datum: und der Comer See“ Teil der Sacri Monti und 3. Juniwochenende Der von der Konrad- besteht aus 14 Kapellen Auf dem alljährlichen Adenauer-Stiftung und und einer Abtei für Kapu- Johannisfest findet am dem Merian-Verlag heraus- zinermönche. 2003 wurde Samstag ein spektakuläres gegebene Reiseführer ist sie von der UNESCO zum Feuerwerk statt und voller interessanter Tipps Weltkulturerbe erhoben. erzählt die Geschichte und Geschichten rund um der Isola Comacina. den Comer See. Egal ob Am Sonntag folgt eine Ausflugsziele, kulinarische Bootsprozession von Sala Empfehlungen oder Comacina zur Insel. historische Einblicke – Kommentar von Peter Jagla der reich bebilderte Reise- Bewirten statt bewerben. The Rhythm of the Lake führer weiß alles. Datum: Juni und Juli Wollen die Anwohner des Comer Sees keine Touristen? Das Rock- und Popfestival 15 Euro, Travel House Es scheint so. Wer im Internet den Suchbegriff findet jährlich an Media GmbH, München ‚Comer See’ eingibt, landet nur wenige Treffer. verschiedenen Orten 2008. 208 Seiten, Und Informationen, Anzeigen und Angebote findet in Cernobbio statt. Es ISBN 978-3-939826-68-2 er kaum. Auch die gängigsten Reiseführer geben nur singen sowohl italienische Zu beziehen auch über wenige Antworten. Fast immer wird der gesamte Norden als auch international www.kas.de Italiens besprochen, selten sind es die Oberitalienischen bekannte Musiker. Seen.

Karneval Lario Jazz and R‘n‘B In Como angekommen, schlängelt man sich also Datum: Februar Festival suchend mit seinem Auto an der Küstenstraße Zeitgleich mit dem Karne- Datum: Juni bis Ende entlang und muss schon genau hinschauen, um val in Deutschland finden August vereinzelte Hotelschilder zu sehen. Selbst das UNESCO- Karnevalsumzüge auch Von Soul bis Klassik Weltkulturerbe, das man an anderen Orten der Welt in Erba, Como, Menaggio sind zahlreiche Musik­ mit riesigen Tafeln bewerben würde, kann man schon und statt. richtungen auf mehreren mal übersehen, wenn man mit dem Auto an Ossuccio Am ersten Fastenwochen- Konzerten am westlichen vorbeirauscht. ende geht es in See vertreten. am Luganer See weiter. Aber vielleicht wollen die Anwohner am Comer See gar keine Touristen. Vielleicht wollen sie viel lieber Gäste. Keine nullachtfünfzehn-Urlauber, wie sie an anderen Orten Italiens anzutreffen sind. Hier am Comer See bewirbt man keine Gäste. Man bewirtet sie.

Peter Jagla, Jg 1984: Diesen Augen entgeht nichts! Peter Jagla war mit den Augen eines Fotografen unterwegs. Am Comer See hat er bildlich festgehalten, worüber die anderen geschrieben haben. Damit sich unsere Leser ein Bild von den Schreiberlingen machen können, hat er sie eben- falls vor die Linse gezerrt. Nur sich selbst konnte er nicht foto- grafieren. Da mussten andere ran.

60 Redaktion: Daniel Blatt

Sabrina Ehrle

Anne Huschka

Peter Jagla „Collina – Das Magazin vom Comer See“ Herausgeber: Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Johannes Jolmes Kommunikation und Medien / Journalisten-Akademie Rathausallee 12 Eva Kopytto D-53757 Sankt Augustin Tel. +49-(0)2241/246-2517 Fax +49-(0)2241/246-2573 Yaena Kwon Verantwortlich: Walter Bajohr Gesamtleitung und Schlussredaktion: Julika Meinert Dr. Marcus Nicolini (V.i.S.d.P.), Journalisten-Akademie E-Mail: [email protected] Sina Müller Chefredakteur: Peter Linden (München) Redaktion: Daniel Blatt, Sabrina Ehrle, Anne Huschka, Peter Jagla, Johannes Jan Thomas Otte Jolmes, Eva Kopytto, Yaena Kwon, Julika Meinert, Sina Müller, Jan Thomas Otte, Charlotte Potts, Julia Schappert, Thomas Charlotte Potts Schöneich, Stefanie Söhnchen, Jade-Yas- min Tänzler, Insa Winter Fotos: Steffen Leiprecht (froggypress.de, Julia Schappert München), Harald Odehnal (KAS), Frieder Bertele (Ravensburg), Peter Jagla und Stipendiaten der Journalistischen Thomas Schöneich Nachwuchsförderung (JONA), Marcus Nicolini, Presse- und Informationsamt Stefanie Söhnchen der Bundesregierung/Rolf Unterberg, Archiv KAS, Touristeninformationsstelle Menaggio Jade-Yasmin Tänzler Gestaltung: Frieder Bertele (www.z-e-n-a-r-t.com, Ravensburg) www.kas.de / Insa Winter www.journalisten-akademie.com © 2008 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. KAS-Referent Alle Rechte vorbehalten Dr. Marcus Nicolini Dieses Magazin ist im Rahmen eines Se- minars „Reisejournalismus“ der Journalis- Chefredakteur ten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stif- Peter Linden tung vom 15. bis 22. Juni 2008 in der Villa La Collina / Accademia Konrad Adenauer Fotograf in Cadenabbia am Comer See entstanden. Steffen Leiprecht Art Director Frieder Bertele 61 G l o s s e

Lustig Glossä. Aber dalli!

Liebe Italiener, ihr habt nicht nur den Natürlich sollte man nicht zu lange in dringend noch ein Paar Schuhe kaufen Charme erfunden, sondern irgendwie der Soßenwanne ausharren. sollten. Ja, ihr werdet verstanden. auch unsere Sprache. Wenn ihr Deutsch sprecht, wirbelt ihr so sinnstiftend und Doch nun zu euch, Deutsche, die ihr Andererseits, liebe Italiener, mal ehrlich, majestätisch mit den Armen in der Luft immer noch nach Perfektion trachtet! ihr tut doch nur so! Alles Masche! Eure wie kein Deutscher es je vermag, wo- Von den Italienern lernen, heißt Itali- Verwandten aus der deutschen Pizzeria, bei das Funkeln in euren Augen reinste enisch lernen. Vergesst endlich blöde sie alle könnten euch garantiert beim Sinnlichkeit versprüht. An jedes un- Artikel wie „un“ oder „una“. Ein Wort Übersetzen eurer Speisekarten helfen. serer Wörter hängt ihr ein zauberhaftes reicht doch: Cappuccino! Espresso! Sie sprechen wunderbares, fehlerfreies „ä“ an, zeigt uns die Bankä statt einer Latte Macchiato! Aber dalli. Noch lie- Deutsch. Ganz ohne „äs“ und sogar mit gewöhnlichen Bank, die Postä statt ei- ber mögen es die Italiener, wenn wir Artikeln. Doch ihr wisst genau, was die ner banalen Post, und entzieht unserer einfach gleich „Gnotschi“ oder „Tak- Deutschen wollen: Schreibfehler im Sprache so die brutale Härte. Auch un- kliatelle“ ordern. Ihr werdet bestimmt Menü stimmen sie sanft und machen sere Sätze füllt ihr mit lieblichen „äs“ verstanden. sie hungrig. Die Deutschen sind dank- und versteckt damit ganz nebenbei bar für all die ausgetüftelten Fehler. Da kleinere Denkpausen. Ihr Frauen habt es natürlich besonders können sie sich für Momente ein biss- leicht. Sobald die ganzen Antonios, chen überlegen fühlen. Wir verstehen Selbst schriftlich versteht ihr es, uns Marcos und Guiseppes mit einem „ciao uns. einzunudeln. Wenn wir in eure Res- bella“ oder „bella figa“ auf sich auf- taurants einkehren, versprecht ihr den merksam gemacht haben, verstehen sie prickelndsten Nachtisch: „Das Frucht euch viel besser als ihr denkt: Der Luigi verändert zur Saison. Wenn die Oran- zum Beispiel, der aus dem Schuhla- gen nicht zur Verfügung sind, servie- den, streicht sich lasziv durchs gegelte Haar, grinst verschmitzt und sagt dann Sabrina Ehrle, Jg 1985: ren wir Pfirsich im Sirup.“ Und unsere „Sprechen Sie Deutsch?“ Sab- eigenen Kochkünste werden revoluti- in perfektem Deutsch: „Si, pagare Kre- rina Ehrle hat gemerkt, dass oniert, sobald ihr uns nur ein Rezept ditä Kartä, si“. Er kann noch viel mehr Flirten auch ohne Worte funkti- für eine Tomatensoße zeigt: „Nachdem sagen, das Gespräch läuft, auch wenn oniert. Der Italiener im Schuhladen hat kein die Teigwaren bereit sind, lassen Sie es ihr kein Wort versteht, ihr erfahrt, wie Wort verstanden – und Sabrina im Übrigen schön ihr seid, dass er Single ist, dass auch nicht. Macht nichts, der Deutschtest ab und setzen sich mit ein wenig vom war im Kasten und die Schuhe in der Tasche. gekochten Wasser in die Soßenwanne.“ deutsche Frauen die Besten sind – und

62 WERT STEIGERUNG

Werte schaffen – das Ziel von Arcandor. Operative Exzellenz, strategische Partner- schaften und organisches Wachstum sind Voraussetzung dafür. Karstadt, Thomas Cook und Quelle nehmen Spitzenpositionen in Europa ein und bieten hohes Wertsteigerungspotenzial.

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ARC_Reise_ComerSee_21x28.indd 1 16.07.2008 16:26:37 Uhr Villa La Collina Genießen Sie individuelle Urlaubstage in der Villa La Collina oder der Accademia Konrad Adenauer, dem Urlaubsziel des ersten Bundeskanzlers. Oder entdecken Sie die Vorzüge einer Tagung an diesem besonderen Ort am Comer See. Moderne Tagungsmöglichkeiten für bis zu 60 Personen, ein Restaurant, Boccia-Bahnen, ein Gartenschwimmbad, 28.000 m2 private, herrliche Parkanlage u.v.m. erwarten Sie. Weitere Informationen: phone: 0039 034 444 111 mail: [email protected] web: www.villalacollina.com 64