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ohn Gotti hatte alles, was In den folgenden zwei Jah- einer braucht, der es in ren wurde er zweimal bei Ein- Jder amerikanischen Ma- brüchen geschnappt, die er fia zu etwas bringen will. Er im Fatico-Auftrag ausführte – war italoamerikanischer Her- das ergab weitere sechs Mo- kunft, war ebenso gerissen »DAS nate hinter Gittern. Und 1969 wie machtbewußt und verfüg- erwischte es ihn wieder, dies- te über schier unerschöpfliche mal bei dem Versuch, auf kriminelle Energie. dem Autobahnzubringer zum Geboren wurde er am MESSER Flughafen Newark zwei Last- 27. Oktober 1940. Sein Va- wagen in seine Gewalt zu ter, ein Einwanderer aus bringen. Seine Bewährungs- Neapel, hatte Mühe, die stän- frist lief noch, und so wurde dig wachsende Familie satt zu FÜR er zu vier Jahren Haft im kriegen. John war das fünfte Bundesgefängnis von Lewis- von 13 Kindern. burg (Pennsylvania) verur- Mit 16 ging er ohne Ab- teilt, von denen er zweiein- schluß von der Schule ab und halb Jahre absitzen mußte. schloß sich einer Jugendban- EUREN Danach brachte ein Auf- de an. Der Halbstarke mach- tragsmord Gotti erneut ins te von sich reden auf den Gefängnis. Doch aus seiner Straßen von Brooklyn – John- Sicht war das kein zu hoher ny Boy, der harte Knochen TOD« Preis: Der Mord machte ihn mit dem explosiven Tempera- zum „Geweihten“. ment, der schon morgens um Wie das FBI den Mafia-Boß Der Auftrag war von elf herumstolzierte wie vor ei- überführte: Aniello Dellacroce gekom- ner Tour durch die Nacht- men, einem stiernackigen bars: blütenweißes Hemd mit 2. MORD IN DER FAMILIE Gangster mit Reibeisenstim- breitem Kragen, enge Röh- me, in der Hierarchie der renhosen. Seine gleichaltri- Von Howard Blum Gambino-Familie ziemlich gen Gefährten konnte er mit hoch angesiedelt. Ein offen- einem einzigen Wort zum bar lebensmüder Bandit, Schweigen bringen. Der Bur- James McBratney, hatte sich sche hatte Stil, war intelligent und be- chen und zwei Knaben. Währenddessen ausgemalt, er könne mühelos 100 000 reit, seine Fäuste zu gebrauchen. widmete sich der Vater hauptberuflich Dollar verdienen, indem er Manny, den Das gefiel den örtlichen Mafia-Capos seinem Ehrgeiz, in der Mafia-Familie Neffen des Paten Carlo Gambino, ent- der Gambino-Familie, auch Carmine Karriere zu machen. führte. Die Verhandlungen über das Lö- Fatico, einem Gangster der alten Schu- Als Räuber und Dieb war Gotti aller- segeld zogen sich über Monate hin und le, stets gewandet mit dunklem Anzug, dings nicht besonders gut. 1963 wurde er waren beendet, als Mannys Leiche ge- schmaler Krawatte, Schlapphut. Bald in einem gestohlenen Auto verhaftet. funden wurde. Jetzt stand McBratney gehörte Gotti zum Gefolge Faticos und Das brachte ihm 20 Tage Gefängnis ein. auf der Abschußliste. machte den einen oder ande- ren Überfall auf die vom Flug- hafen Idlewild kommenden Transportfahrzeuge mit. Richtiges Geld jedoch, das wußte er, würde er erst als ge- weihter Soldat der Mafia ver- dienen können. Als Fatico ein Exempel an zwei farbi- gen Glücksspielern statuieren wollte, die einen Teil der dem Boß zustehenden Gewinnan- teile in die eigene Tasche ge- steckt hatten, ergriffen Gotti und ein Kumpel die Chance, sich unentbehrlich zu machen. Die Glücksspieler wurden tot aufgefunden, mit Einschüssen im Hinterkopf. Mit 20 Jahren heiratete Gotti seine Freundin Victoria

DiGiorgio, Tochter eines ita- STUDIO X lienischen Bauunternehmers. Tochter Angela kam 1961 zur Welt, bald kamen drei weitere Kinder hinzu, noch ein Mäd- GAMMA-LIAISON /

© 1994, Droemersche Verlagsan- Y. HEMSEY / stalt, München. Mafia-Capos Gotti, Dellacroce (1979): Kuhhandel mit der Staatsanwaltschaft

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Gotti und zwei seiner Kumpel spürten den Kidnapper in einer Bar in Staten Is- land auf. Sie hielten ihm Polizeimarken vor die Nase und erklärten ihm, er sei verhaftet; doch aus irgendeinem Grund ließ McBratney sich nicht davon über- zeugen, daß sie echte „Cops“ waren. Bei der folgenden Schlägerei verlor ei- ner der Gotti-Kumpel die Nerven und feuerte aus kürzester Entfernung drei Kugeln in McBratneys Brust. Der sack- te tödlich getroffen zu Boden, die drei „Cops“ suchten das Weite. Drei Monate später wurde Gotti ver- haftet. „Wen sucht ihr, etwa mich?“ fragte er grinsend, als 20 Polizisten mit gezogenen Pistolen in eine Bar in Brooklyn stürmten und ihn umzingel- ten. Als Wiederholungstäter mußte er im Falle einer Verurteilung mit einem

langen Freiheitsentzug rechnen. NEWSDAY Dellacroce bedeutete ihm jedoch, er Gotti (r.) vor dem Mafia-Lokal Bergin Club: „Alles, was ich will, ist ein Sandwich“ solle sich keine Sorgen machen. „Du nimmst die Sache auf dich, basta“, be- Paul Castellano, ein gelernter Metzger Doch Johnny verschaffte sich rasch fahl er. Mit Hilfe eines von Gambino mit einem Hang zu kleinlicher Raffgier, Respekt und wurde zum großen Um- engagierten Anwalts kam ein wundersa- war zum Boß aller Bosse aufgestiegen. satzbringer. Eine erste Anerkennung mer Kuhhandel mit der erstaunlich ent- Unterboß Dellacroce (Spitzname: dafür wurde ihm zuteil, als er eines gegenkommenden Bezirksstaatsanwalt- „Mr. Neil“), dem nach dem Tod Carlo Nachmittags im Winter 1980 vor dem schaft von Staten Island zustande: Gotti Gambinos auch die Aufsicht über Fati- Bergin Club, dem in gelegenen bekannte sich des versuchten Totschlags cos Gang zugefallen war, erteilte den neuen Hauptquartier der Fatico-Trup- schuldig, dafür mußte er weniger als neuen Familien-Mitgliedern die Weihe. pe, eine blitzblanke schwarze Lincoln- zwei Jahre absitzen. Gotti gelobte der Mafia und dem neuen Limousine vorfand. Ein rotes Band war Nachdem er im Sommer 1977 auf Be- Paten Castellano lebenslange Treue. quer über die Motorhaube gespannt. währung entlassen worden war, wurden Nur zwei Jahre später ernannte Della- Es war ein Geschenk von Big Paul. Gotti, sein enger Kumpel Angelo Rug- croce seinen noch nicht 40jährigen Einen Monat später fuhr Gotti in die- giero und sieben weitere Mitglieder der Schützling John Gotti zum „geschäfts- sem Wagen zu Castellanos Villa in Fatico-Truppe feierlich in die Cosa No- führenden“ Capo von Faticos Gang. Ein Staten Island, wo offiziell bekannt- stra aufgenommen. An deren Spitze so schneller Aufstieg war, meinten viele gegeben wurde, daß Fatico in den Ruhe- hatte inzwischen ein Wechsel stattgefun- Familienmitglieder, nicht nur ungebühr- stand getreten sei. John Gotti war jetzt den. Carlo Gambino war an Krebs ge- lich, sondern auch unklug: Sie hielten auch ganz förmlich Capo der Bergin- storben. Sein Schwiegersohn, „Big“ Gotti noch nicht reif für den Job. Gang.

u diesem Zeitpunkt geriet Gotti ins Fadenkreuz des ZFBI. „Der mächtigste Capo, den es in irgendeiner Familie gibt“, hieß es in einer damals aus dem Mafia-Milieu abgeschöpften Einschätzung – ein „kommender Mann“, der einschlägige Begabungen mit grenzenlosem Ehrgeiz verein- te. Das FBI setzte eine Son- derkommission neuen Typs auf die Gambino-Familie an – und damit auch auf Capo Got- ti, der die kriminell produk- tivste Untergruppe dieser Fa- milie befehligte. Bis dahin war weithin übli- che Praxis, Mafia-Taten und Mafia-Täter im Einzelfall zu verfolgen – in Reaktion auf das jeweils jüngste Verbre- chen. Sonderkommandos des FBI brachten auf diese Weise, in oft mühseliger Kleinarbeit, so manchen Killer, Kredithai

R. ROSEN / SABA und Glücksspielorganisator Pate Castellano (r., 1985): Fressen oder gefressen werden auf die Anklagebank. Aber

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wenn ein Mafioso verurteilt war, Gründen zu Spitzeln geworden. Auf hatte ein anderer schon seinen lange Sicht, so seine Überlegung, sei es Platz eingenommen. daher für die Gambino-Familie besser, Das „Organisierte Verbre- das schnelle Geld sausenzulassen, das chen“ war damals schon ein klar man im Drogenhandel verdienen konn- umschriebener Begriff und ein te. gängiges Schlagwort für die Me- Die Regel war unumstößlich. Das dien, aber noch irrelevant für die Schicksal eines gewissen Peter Tambone tägliche FBI-Arbeit. Es war der war eine Warnung. Der 62jährige war Strafrechtsprofessor Robert Bla- von Angehörigen einer anderen Mafia- key von der Notre-Dame-Univer- Familie beim Dealen ertappt worden. sität, der die FBI-Kriminalisten „Macht ihn kalt“, befahl Castellano oh- 1980 in einem Seminar-Vortrag ne Zögern. wachrüttelte: Das FBI sei auf ei- Die Mitglieder von John Gottis Ber- nem völlig falschen Weg. Es müs- gin-Gang wußten, wie es Little Pete se „die kriminellen Organisatio- Tambone ergangen war. Sie wußten nen zerschlagen und nicht einzel- aber auch, daß sie mit Drogengeschäf- ne Kriminelle abschießen“. Nur ten mindestens drei Millionen Dollar im wenn es gelinge, die Organisation Monat absahnen konnten. So dealten selbst zu zerschlagen, werde die sie und hofften, nicht erwischt zu wer- Mafia entscheidend getroffen. den. Der Professor fand offene Oh- Doch im Winter 1983 bekam die

ren bei den FBI-Oberen. Sie ent- AP Gang enorme Schwierigkeiten. Der wickelten ein neues Konzept. Es Bergung der Manny-Gambino-Leiche* Sonderkommission des FBI war es ge- sah die direkte Ausspähung von Die Mafia-Rächer wiesen sich als Polizisten aus lungen, das rosarote Telefon im Eigen- Mafia-Familien auf deren eige- heim des Gotti-Busenfreundes Angelo nem Territorium vor. Agenten der ver- rer bei der Navy: Auch in New York Ruggiero anzuzapfen. Die abgehörten schiedenen Sonderkommandos sollten konnte man in ziemlich trübe und ge- Gespräche enthielten so viele Hinweise sich in der Nähe der Wohnviertel eta- fährliche Gewässer geraten, wenn Ma- auf Drogengeschäfte, daß Ruggiero und blieren, in denen Mafia-Figuren lebten fiosi zu beschatten waren. Auch hier Gottis Bruder Gene als „Initiatoren und und operierten. Man erinnerte sich, daß war es ratsam, alle Fertigkeiten, alle In- Betreiber“ eines Heroinschmuggelrings es für den Einsatz elektronischer Über- telligenz einzusetzen, um mit heiler identifiziert und angeklagt werden wachungsmittel längst eine gesetzliche Haut zu überstehen. konnten. Gegen John Gotti wurde keine Grundlage gab, den Safe Streets Act Seinen Gegner, die Gambino-Fami- Anklage erhoben. von 1968. Danach konnte das Bureau lie, kannte Mouw nur in groben Umris- nach richterlicher Genehmigung die Te- sen: an der Spitze ein allmächtiger Pate lefone von Mafiosi abhören oder in de- mit einem zweiten Mann als Stellvertre- ren Wohnungen Wanzen unterbringen. ter, dazu der Consigliere, der Berater Im Zuge der strategischen Neuaus- des Familienoberhauptes. Dann kam richtung der Mafia-Bekämpfung machte die Rangstufe der Hauptleute. Bei den sich das FBI daran, seine Agenten mit Gambinos gab es rund 20 dieser Capos, modernstem Gerät auszustatten. Wenn von denen jeder eine Gruppe, Decina es etwas nicht gab, wurde jemand ge- genannt, von 10, vielleicht 15 Soldaten sucht, der es entwickeln konnte: in befehligte. Cocktailoliven verborgene Minisender, Das waren die geweihten Mitglieder in Koffern eingebaute Miniaufnahme- der Familie, die das Aufnahmeritual studios, als Wanduhren getarnte Video- durchlaufen hatten. Auf jeden Soldaten Aufnahmeeinheiten. kamen vielleicht noch 10 oder mehr Mit- läufer, die für die Deci- na arbeiteten und die bereit waren, alles zu „Hör zu, Johnny, ich hoffe nur, tun, um in die Familie du kannst auch beweisen, aufgenommen zu wer- den. Alles in allem daß du damit nichts zu tun hast“ zählte die Gambino- Gang rund 3000 Mit- glieder. Pate Gotti, Ehefrau Die technischen und juristischen Vor- Dagegen hatte Mouw eine Sonder- Schnelle Karriere in der Familie aussetzungen waren also günstig, als kommission von 15 Mann aufzubieten. 1980 die C-16 gegründet und Bruce Paul Castellano schöpfte Verdacht. Er Mouw zu ihrem Chef berufen wurde. er neue Boß der Gambinos, Paul ließ Ruggiero wissen, sobald die Behör- Der Kriminalist, ein ruhiger Typ, Pfei- Castellano, hatte eine einfache, in den den Anwälten der Angeklagten die fenraucher, aufgewachsen auf einer Dder Familie wohlbekannte Hausre- Abhörbänder zugänglich machen wür- Farm in Iowa und Absolvent der Mari- gel verkündet: Wer dealt, der stirbt. Es den, wolle auch er sie anhören. Und dann neakademie Annapolis, war seit zehn ging ihm nicht um Moral; es war ein warnte er John Gotti: „Hör zu, Johnny, Jahren beim FBI. Sein neuer Job erin- pragmatisches Gebot. Wenn einer sei- ich hoffe nur, du kannst auch beweisen, nerte ihn an seine Zeit als U-Boot-Fah- ner Jungens beim Handel mit Drogen daß du nichts damit zu tun hast.“ erwischt wurde, drohte ihm eine lebens- John Gotti zog daraus den Schluß, daß * Im Januar 1973, acht Monate nach der Entfüh- lange Freiheitsstrafe. Schon viele kleine es jetzt nur noch darum ging, zu fressen rung des Neffen von Mafia-Boß Carlo Gambino. Mafiosi waren aus weit geringeren oder gefressen zu werden. Er begann,

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sich nach Verbündeten für einen Putsch Capo, der versprochen hatte, die alte te mit, Castellano habe ihn für die kom- gegen den Don umzusehen. Gambino-Garde um die neue Fahne zu mende Woche zu einem Abendessen bei Gotti wußte, daß es wichtig war, scharen; Robert DiBernardo, der keine Sparks, einem Steakhaus in Manhattan, „Sammy Bull“ Gravano, den muskelbe- eigene Gang hatte, aber das Talent be- eingeladen. Noch am selben Tag gab packten Unterboß der Gambino-Fami- saß, Geld zu scheffeln; Frank DeCicco, Gotti die Parole aus: „Es ist soweit.“ lie, an der Seite zu haben. Zum einen, ein Capo der leichtlebigen Sorte, den Im Gebäude einer Baufirma, die weil Gravano, wie er selbst, noch jung Castellano für einen seiner Getreuen Sammy Bull gehörte, fand am Abend war, noch keine 40, noch keiner „dieser hielt. des 15. Dezember 1985 die entscheiden- Mafia-Gruftis“, wie Johnny Boy sie Gotti ging vorsichtig zu Werke; er ließ de Besprechung der Verschwörer statt. höhnisch nannte. Zum anderen, weil sich nicht zur Eile drängen. Er sagte von Am Kopfende des Tisches saß John Gravano ein großer Geldbringer und Anfang an, daß sie nur ein einziges Mal Gotti, neben ihm saßen die von Anfang die Chance haben wür- an Eingeweihten – Gravano, Ruggiero den, Castellano auf und DeCicco. Die schweren Jungs auf dem falschen Fuß zu er- den Plätzen weiter unten konnten nur Es war die feierliche Einstimmung wischen. Der Anschlag raten, welche „ernsten Angelegenhei- von Offizieren auf mußte perfekt geplant ten“ zu besprechen waren. sein – und klappen! Gotti leitete die Veranstaltung nüch- die bevorstehende Schlacht Das Hauptproblem tern wie die Vorstandssitzung eines Un- war, daß der große ternehmens. „Wir werden morgen einen Paul ein doppelt gesi- Job durchführen.“ Es handle sich um ei- hartgesottener Typ war, der sich nichts cherter Mann war. Er hatte nicht nur nen Anschlag auf zwei Personen. Sein vormachen ließ. seine eigenen Bodyguards, vor allem Plan sehe vor, die beiden am späten Und da war noch etwas: Sammy war seinen Chauffeur Tommy Bilotti, einen Nachmittag um fünf Uhr zu erledigen, ein Killer, ein eiskalter Todesengel. Er Muskelprotz mit einem pechschwarzen gleich bei ihrer Ankunft in einem Re- hatte jeden, der ihm in die Quere gekom- Toupet, das wie eine ordinäre Mütze auf staurant in Manhattan. men war, liquidiert. Unter anderem auch seinem melonengroßen Kopf saß; da Er stand auf und begann den Tisch zu Nick Scibetta, seinen Schwager, der den war auch noch das FBI, das dem Boß umrunden: Vier der schweren Jungs am Fehler gemacht hatte, sich von ihm eine der Bosse dicht auf den Fersen war. Wo unteren Ende sprach er eigens an. Hin- größere Geldsumme zu borgen und dann und wann Gotti auch zuschlagen moch- ter jedem blieb er stehen und legte ihm die Rückzahlung zu verweigern. Sammy seine großen Hände schoß ihm aus nächster Nähe zwei Ku- auf die Schultern. Es geln in den Hinterkopf, die Leiche ließ er war die feierliche Ein- zerstückeln und in der Umgebung vergra- stimmung von Offizie- ben. ren auf die bevorste- Es wäre eine erfolgreiche Methode der hende Schlacht. Spurenbeseitigung gewesen, wenn nicht „Ihr seid die Schüt- eines Abends, als die Familie Scibetta im zen“, sagte Gotti, Wohnzimmer vor der Glotze saß, der nachdem er seine Run- Hund mit Nickys Hand in der Schnauze de beendet hatte; ihr hereingekommen wäre. Part bestehe darin, vor John Gotti ließ bei Gravano sondieren, dem Restaurant auf behutsam und schrittweise, zuerst durch die Opfer zu warten. Ruggiero und schließlich durch Frank Exakte Anweisungen DeCicco. Dieser DeCicco, der mit der würden sie morgen schulterklopfenden Freundlichkeit eines nachmittag erhalten. Politikers zwischen konkurrierenden Treffpunkt sei um drei Gruppen der Familie zu vermitteln pfleg- Uhr am Park an der te, war ein wahrer Überredungskünstler. Lower East Side, un- Er konzentrierte sich auf Gravanos größ- weit des Flusses. Zum te Schwäche: die Habgier. Schluß sagte Gotti: DeCicco legte dar, wie Castellano sich „Es muß getan wer- auf Kosten der Familie – und damit auch den.“ auf Kosten Gravanos – bereichert habe. So habe der Don die Baufirma Metro m 16. Dezember Concrete für sich und seinen Schwieger- 1985, kurz vor der sohn ins Leben gerufen und mit ihrer Hil- AMittagsstunde gab

fe auf einen Schlag anderen Gambino- AP Paul Castellano dem Firmen Aufträge in Millionenhöhe ent- Gotti-Freund Ruggiero*: Falsch verbunden mit dem FBI Hausmädchen Gloria zogen. Olarte (das auch seine Außerdem sei der Don –und hier gehe te, er mußte damit rechnen, daß die Geliebte war) einen Abschiedskuß, es auch um die Ehre – sich nicht zu scha- „Feds“, wie die FBI-Beamten genannt durchquerte das mit schwarzen und de, Deals mit der benachbarten Genove- wurden, aus irgendeinem Lieferwagen weißen Marmorfliesen ausgelegte Foy- se-Familie zu machen. „Grünäugiger oder vom Dach eines Hauses heimlich er seiner Villa auf Staten Island und Hühnerficker“, fluchte Gravano. Er war zuschauten. trat durch die zweiflügelige Tür ins mit von der Partie. Schließlich bot sich eine günstige Ge- Freie. Draußen wartete am Steuer des Der Kreis der Verschwörer war statt- legenheit. Ein aufgeregter DeCicco teil- schwarzen Lincoln mit den getönten lich: Gotti mit seiner Bergin-Gang; Scheiben sein Leibwächter und Chauf- Gravano und die schweren Jungs, die mit feur Tommy Bilotti. * Mit Kriminalbeamten in einem New Yorker Ge- ihm in Tali’s Bar in Brooklyn verkehrten; richtsgebäude während eines Verfahrens gegen Der Boß der Bosse ließ sich zum Joe „Piney“ Armone, ein ergrauter führende Mitglieder der Gambino-Familie (1986). Restaurant Country Diner auf Staten

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Island fahren. Nach dem wäre es mit Essen?“ Essen ging es weiter fragte der Consigliere. nach Manhattan. Das erste Glas wurde Dort schaute Castella- John Gotti einge- no bei einem Anwalt schenkt. vorbei und kaufte in ei- Die nach den Geset- ner Parfümerie eine gro- zen der Cosa Nostra er- ße Flasche Chanel No. 5 forderliche Wahl fand als Weihnachtsgeschenk wenige Tage vor Weih- für Gloria. Dann steuer- nachten 1985 statt. Wie- te er das Steakhaus der führte Gallo den Sparks in der 46. Straße Vorsitz, als sich die an, zwischen Second und Capos versammelten. Third Avenue. Der Lin- Es ging, erklärte Gal- coln kam im dichten lo, um die Wahl eines Verkehr nur langsam neuen Familienober- voran. hauptes. Er fragte, ob Es war recht dunkel, jemand einen Kandi- die Weihnachtslichter- daten vorzuschlagen ha- ketten leuchteten, als be. Frankie DeCicco

der Lincoln die Third UPI / BETTMANN sprang auf, alle Augen Avenue überquerte und Ermordeter Pate Castellano*: Das Geschoß zerriß das Gehirn richteten sich auf ihn. genau vor dem Balda- Es war Gottis Idee ge- chin von Sparks stoppte. wesen, daß Frankie sich Castellano stieg aus dem als erster zu Wort mel- Wagen. Da traten zwei den solle. Es war be- Männer in Regenmän- kannt, daß es in der Fa- teln und Pelzmützen auf milie einige gab, die ihn zu. Beide streckten Frankie mit seinen gu- ihre Arme vor. Der eine ten Beziehungen zur al- hatte einen halbautoma- ten Garde als neuen tischen Revolver vom Boß favorisierten; sie Kaliber .32 in der Hand, sollten gleich erfahren, der andere eine 38er. wessen Mann Frankie Beide feuerten, was das war. „Ich schlage John Zeug hielt. Gotti vor“, sagte Fran- Die Kugeln zerfetz- kie.

ten Castellanos Körper. D. BOOKSTAVEN Damit war allen klar, Zwei weitere Männer Ermordeter Castellano-Leibwächter Bilotti*: Er fiel wie ein Baum daß es eine Abmachung schossen aus nächster gab und daß es gefähr- Nähe auf den ebenfalls ausgestiegenen der Hierarchie, eine Versammlung der lich sein könnte, sich dagegen zu stellen. Chauffeur Bilotti. Der fiel wie ein Capos einberufen. Sie fand bei Caesar’s Eine Woche nach der Ermordung Paul Baum: Er wankte, taumelte, stürzte und statt, einem üppig ausgestatteten italie- Castellanos wurde John Gotti einstim- fiel flach auf den Rücken. Da lag er mit nischen Restaurant an der Ecke Third mig zum Boß der Gambino-Familie ge- ausgebreiteten Armen und rührte sich Avenue und 59. Straße in Manhattan, wählt. nicht mehr. das Sammy Bull Gravano gehörte. Noch Bei der Weihnachtsfeier im Ravenite Castellano war bereits ein toter vor dem Essen intonierte Gallo den Club erwies ihm die Familie die gebüh- Mann, als er zusammensackte und mit Abend: „Wir wissen nicht, wer den gro- rende Reverenz. Einzeln wurden die dem Rücken gegen die offene Autotür ßen Paul auf dem Gewissen hat, aber Capos ins Hinterzimmer geführt, wo fiel. Einer der Schützen beugte sich zu wir sind dabei es herauszufinden.“ dem neuen Don zu huldigen war. Sie ga- Castellano hinunter. Er setzte dem To- Der Consigliere trug reichlich dick ben John Gotti einen Kuß auf jede Wan- ten den Revolver an die Schläfe und feu- auf, als er mit unsäglich ratloser Miene ge und schworen ihm ewige Loyalität. darüber räsonierte, wer Dafür erteilte ihnen das neue Ober- wohl den Boß umge- haupt der Gambino-Familie den Segen. bracht haben könnte. Als der Abend sich dem Ende zuneigte, „Wir wissen nicht, wer den großen Bei aller Unglaubwür- hatte Gotti Weihnachtsgeschenke von Paul auf dem Gewissen hat, digkeit der Pose hatte fast zwei Millionen Dollar in bar einge- Gallos Auftritt aber ei- sackt. aber wir werden es herausfinden“ ne unanfechtbare Lo- gik: Wenn die Familie n der Regel ist die Rekrutierung eines nicht wußte, wer ihren Informanten das Endergebnis eines erte noch eine Kugel ab. Das Geschoß Boß umgebracht hatte, konnte es auch Ihöchst heiklen und subtilen Verfüh- zerriß das Gehirn des Mannes, der eine keine Rache an den Tätern geben. rungsprozesses. Doch auch diese Regel Minute zuvor noch der Boß der Bosse Die Spannung entwich aus dem Raum kannte Ausnahmen. Die Informantin, gewesen war. wie Luft aus einem Ballon. So wird die die später den Decknamen „Easter“ (sie Sache also laufen, begriffen die Capos, war kurz vor Ostern in die Kartei des ach dem geglückten Anschlag ließ und die meisten waren erleichtert. „Wie C-16-Teams aufgenommen worden) be- Gotti durch Joe Gallo, den 71jähri- kam, hatte sich selbst angeboten. Ngen Consigliere, nach dem Tod Ca- * Nach dem Anschlag am 16. Dezember 1985 vor Easter war eine kaffeebraune Puerto- stellanos nominell der höchste Mann in dem Steakhaus Sparks in Manhattan. ricanerin mit pechschwarzem Haar, ver-

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führerischem Schlafzimmerblick und las- rückte sie mit einem Detail heraus, das der Geschworenen verkündete – am En- ziven Bewegungen. Ihre Röcke spannten den C-16-Chef Mouw elektrisierte. Sie de eines Prozesses, der Gotti zu einer sich eng um die Hüfte. Nur 1,60 Meter habe, sagte Easter, ihren Geliebten Art Volksheld machte und der Staatsan- groß, trug sie extrem hohe Stöckelschu- nach dem Verlauf von John Gottis Pro- wältin Diane Giacolone von der Bun- he. Verehrer hatte sie viele, aber zweien zeß gefragt – einfach aus Neugierde, desanwaltschaft die bitterste Niederlage hielt sie auf eigentümliche Weise die schließlich seien die Zeitungen voll da- ihrer Laufbahn eintrug. Treue. Der eine war reich und mächtig, von. „Sieht schlecht aus, nicht?“ hatte Soko-Chef Mouw mußte sich später der andere „mucho sexy im Bett“. Easter sie gefragt. immer wieder vorhalten lassen, er hätte hatte beide Männer durch ihren Job ken- „Kannst du abhaken“, hatte er geant- sofort nach Easters brisanter Enthüllung nengelernt. Siearbeitete alsEmpfangsse- wortet. „Das ist gegessen und geschis- sowohl Staatsanwältin Giacalone als kretärin für eine Gruppe von Juwelen- sen. Wir haben einen Geschworenen auch den Richter informieren müssen. händlern im Diamantenbezirk von Man- eingekauft.“ Dann hätte der Prozeß abgebrochen hattan. Weder Easter noch Mouw hatten die und mit einer neuen Geschworenenrie- Der Junge, den sie „mucho sexy“ fand, geringste Ahnung, welcher der Ge- ge neu angesetzt werden können. war Bote und eines Tages mit einem schworenen bestochen worden und wie Aber Mouws Stillschweigen fand auch Päckchen in der Hand und einem reizen- die Familie an ihn herangekommen war. Befürworter: Wie hätte Mouw die Infor- den Lächeln auf dem Gesicht bei ihr auf- Bis Mouw die ganze Wahrheit erfuhr, mation, daß ein Geschworener besto- getaucht. Der reiche mächtige Mann war vergingen noch Jahre. Die nach und chen worden war, weiterleiten können, ein Italoamerikaner, den siebei einer Fir- nach zusammengetragenen Fakten wa- ohne seine Quelle preiszugeben? Eine menfeier kennengelernt hatte. ren dann aber eindeutig: äußerst wichtige Quelle über die Gam- FBI GAMMA / STUDIO X Mafia-Boß Gotti (r.) und Komplize Gravano (1986), Mafia-Quartier Ravenite Club: „Bumsen auf dem Tisch des Paten“

Easters ganz spezielles Problem ent- Der Geschworene Nummer 11, der binos wäre dann versiegt, ein Men- wickelte sich aus dem Umstand, daß der ehemalige Marineinfanterist Georges schenleben in Gefahr gebracht worden. eine Liebhaber Diamanten zu expedie- Pape, 53, war seit seiner Kindheit mit Sowohl aus operativer als auch aus mo- ren hatte, die der andere haben wollte. einem Bosko Radonjich eng befreun- ralischer Sicht sei Mouw keine andere Der Italoamerikaner war nämlich Capo det. Radonjich, Chef einer Bande Wahl geblieben, als sein Wissen für sich in der Gotti-Gang. meist irischstämmiger Berufskiller, die zu behalten. Noch komplizierter wurde die Sache als die Westies bekannt waren, hatte dadurch, daß der junge Bursche seiner- hin und wieder geschäftlich mit Gotti ie C-16-Männer wußten, daß sie un- seits die Mafiosi auszutricksen versuch- zu tun gehabt. Kurz nach Beginn des bedingt hieb- und stichfestes Be- te. Das schlimme Ende war schließlich Prozesses tauchte Radonjich bei Dweismaterial brauchten. Deshalb unausweichlich: Der Botenjunge wurde Gravano auf, schlug einen Handel vor: suchten sie nach Möglichkeiten, Gottis von zehn Kugeln zerfetzt, und Easter Wenn der Preis stimme, werde sein neues Hauptquartier, den Ravenite So- wurde von ihrem „Italiener“, der sie des Freund auf Freispruch plädieren. cial Club in Manhattans Little Italy, Doppelspiels bezichtigte, in Handschel- Während im Gerichtssaal verhandelt elektronisch auszuspähen. len gelegt und grün und blau geschla- wurde, zahlte Gravano 60 000 Dollar Über einen gewissen Norman Du- gen. in drei Raten von je 20 000 Dollar an Pont, den Neffen des Hausmeisters, ka- Sie wurde eine zuverlässige Informan- Radonjich aus. Die Familie hätte auch men die Männer der Sonderkommission tin der C-16, berichtete getreulich von mehr gezahlt, aber Gravano hatte, wie weiter – genauer: über eines seiner ihrem Liebhaber aus dem Gotti-Clan, immer, gefeilscht. Noch erfreulicher Mädchen. DuPont, der tagsüber bei der wann immer sie eine Nacht mit ihm ver- wurde die Sache für Gotti, als die Ge- Müllabfuhr arbeitete, stand abends hin- bracht hatte, und bekam jeden Monat schworenen ausgerechnet die Nummer ter der Bar des Ravenite Club und hatte einen Scheck von Vater Staat. 11 zu ihrem Sprecher wählten. auch einen Hausschlüssel. Des Nachts Etwa ein Jahr nach dem Beginn ihrer Die gekaufte Nummer 11 war es pflegte er häufig in Damenbegleitung in Zusammenarbeit mit dem FBI-Agenten denn auch, die das „Nicht schuldig“ den Club zurückzukehren, um das ver-

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lassene Hauptquartier des Don als Lie- besnest zu benutzen. Eines der Mädchen, eine 23jährige Fi- nanzamtsangestellte, wurde von den FBI-Agenten geködert. Die in Aussicht gestellte Beförderung und Gehaltserhö- hung trugen zum Erfolg der „Brautwer- bung“ bei. Die „Stelze“, so der Deckna- me der jungen Frau, war eine außeror- dentlich nützliche Informantin. Sie fertigte für Mouw eine Lageskizze der beiden Räume an, aus denen das Ravenite bestand, und zeichnete auch den Standort des Tisches im Hinterzim- mer ein, an dem, wie sie beteuerte, John Gotti immer saß. Wie konnte sie das wissen? Weil, erklärte sie mit einem An-

flug von Verlegenheit, ihr Norman es je- S. FARLEY / NEW YORK NEWSDAY desmal betone. „Wir lieben uns immer FBI-Fahndungschef Mouw: „Den Don durch seine eigenen Worte zu Fall bringen“ auf diesem Tisch. Ich glaube, das macht Norman geil. Verstehen Sie: bumsen ner beiden Stellvertreter zu unterschei- Konnte damit die Hintertür gemeint auf dem Tisch des Paten.“ den: Gottis tiefes Gemurmel; Frankie sein? Mouw vertiefte sich noch einmal Außerdem zeichnete sie eine Hinter- Locascios Gestammel, Gravanos Ge- in die von der „Stelze“ gelieferte Be- tür ein, die auf einen Gang führte, den quengel. Jeder Morgen brachte Neuig- schreibung des Ravenite Club. Dann der Club mit dem Rest des Wohnblocks keiten – aber sie waren allesamt belang- nahm er sich die Akte über Norman Du- teilte. Wie war die Tür gesichert? Gab los. Pont; sie enthielt einen Spitzelbericht, es ein Schloß? Eine Alarmanlage? Dabei hätten die Agenten gerade jetzt der nach der Beerdigung des Ravenite- Überwachungskameras? Nein, nur ei- Interessantes aufschnappen können: Hausmeisters Mike Cirelli eingegangen nen Riegel. Ehe sie nachts weggingen, John Gotti war dabei, mit eiserner Hand war: Gotti habe noch in der Kirche Du- sehe Norman immer nach, ob er vorge- die Familie zu säubern. Unter den Op- Pont die Anweisung gegeben, die schoben sei. Er sage jedesmal, sie wür- fern war auch Tommy DeBrizzi, ein Schlösser zum Apartment des Toten im den ihn umbringen, wenn er es je ver- Leutnant in der Truppe von Tommy Stockwerk über dem Ravenite Club aus- gessen sollte. Gambino in der Bronx. Der Junge war zuwechseln. Hielt Gotti dort seine ge- Dank „Stelze“ war diese Hintertür bei einem Prozeß, in dem ihm eine län- heimsten Treffen ab? nicht verriegelt, als zwei Abhörspeziali- gere Freiheitsstrafe drohte, überra- Mike Cirellis Witwe Lena wohnte sten wenige Tage später, um zwei Uhr schend mit einem „Klaps auf den Hin- nach wie vor in dem Zwei-Zimmer- nachts, in den Ravenite Club eindran- tern“ davongekommen. Gotti sah nur Apartment. Sie war zwar fast 80 und ge- gen. Das Gericht hatte den vom FBI be- zwei Möglichkeiten: Entweder hatte beugt, aber immer noch hellwach und antragten Lauschangriff genehmigt. Tommy einen sensationell guten Anwalt energisch. Und sie verließ fast nie ihre FBI-Spezialist John Kravec erkannte – oder er hatte ausge- mit einem Blick, daß John Gottis packt. Von dem An- Hauptquartier ein „hartes Zimmer“ war walt hatte der Pate – im Jargon der Abhörspezialisten die noch nie etwas gehört. „Jedesmal, wenn wir einen Umschreibung für eine schwierige Situa- Gotti entschied sich Geschäftspartner haben, der nicht so tion. gegen DeBrizzi: „Legt Aber der Auslaß eines Heizungs- ihn auf Eis.“ will wie wir, legen wir ihn um“ rohrs, ein Metallgitter direkt über einer Die Kugeln erwisch- Sockelleiste, bot dann doch die erfor- ten DeBrizzi in seinem derliche Gelegenheit. Das Gitter war Wagen in Connecticut. Schon die erste Wohnung. Aber dem FBI gereichte zum mit Schrauben an der Wand befestigt, hatte ihn direkt ins Auge getroffen; da- Vorteil, daß eine den Agenten wohlver- die sich leicht lösen ließen. Kravec führ- nach war er so gut wie tot. Die Kugel in traute Person für die alte Dame einkau- te ein winziges Mikrofon mit Daumen den Mund, die durch den Hinterkopf fen ging – die „Stelze“. und Zeigefinger in das Schraubenloch in wieder ausgetreten war, wäre eigentlich So wußten die FBI-Techniker, daß sie der rechten oberen Ecke ein. nicht mehr nötig gewesen. in der Nacht zum 22. November 1989 in Dann plazierte er einen haarfeinen das Apartment über dem Ravenite Club Draht hinter dem Heizungsgitter. Mit oko-Chef Mouw fragte sich, warum unbemerkt eindringen konnten. Die alte einem Gerät, das aussah wie eine Pisto- die elektronische Überwachung des Dame war über Nacht bei Verwandten. le, „schoß“ er den Draht aus einer Spule SRavenite Club so unergiebig war. John Kravec, der Chef des FBI-Tech- etwa einen Meter weit bis zur Steckdo- Er las noch einmal die Verhandlungs- nikteams, kannte sich in dem Gebäude se. Kravec brauchte nur noch den Dek- protokolle, die Spitzelberichte, die Ab- mittlerweile aus. Nach der Installation kel der Steckdose abzuschrauben, den hörprotokolle. der ersten Club-Wanze hatte er auch Draht über die richtigen Pole zu legen Beim x-ten Abhören der Ravenite- den Korridor verwanzt, auf den man und den Kontakt festzulöten. In 34 Mi- Bänder fand er etwas, was er vorher durch die Hintertür gelangte. nuten war die Arbeit getan. wohl überhört hatte. Gotti flüsterte Kravec brachte die Wanze für das Von nun an hatte das FBI seine Oh- Gravano etwas zu. Das Geräusch eines Apartment im Videorecorder unter, der ren im Ravenite Club. Morgen für Mor- Stuhls, Schritte, das Quietschen einer im Wohnzimmer stand. Dann schaltete gen hörte sich Soko-Chef Mouw in sei- Tür. Gotti gab eine scheinbar unwichti- er das Mikrofon auf Frau Cirellis Tele- nem Büro jedes neue Band mit größter ge Anweisung, die bei den Niederschrif- fonleitung. Es war nicht einmal nötig, Aufmerksamkeit an. Er lernte schnell, ten weggelassen worden war: „Abgang im Keller des Wohnblocks nach dem Te- die Stimmen des Mafia-Bosses und sei- nach links hinten.“ lefonschaltkasten zu suchen. Ein Kum-

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milie hätten damit begonnen, daß das was ich will, ist ein gutes Sandwich. FBI Ruggieros Haus verwanzt habe. Siehst du dieses Sandwich hier? Dieses „Wißt ihr, wie die eure Privatsphäre ver- Thunfisch-Sandwich? Mehr brauche ich letzen? Du hörst ein Kind schreien, eine nicht – ein gutes Sandwich.“ Frau weinen. Und du sagst: Das könnte ja Das schriftliche Protokoll des gesam- mein Haus sein, mein Kind, meine Frau. ten Gesprächs fand schnell seinen Weg Wo kommen wir denn da hin, verdammt von der Soko C-16 nach Washington: noch mal? Vielleicht willst du im Bad ei- nen Furz lassen, und als nächstes hörst du Die nachfolgende längere von uns ab- den im Gerichtssaal.“ gehörte Unterredung zwischen Gotti Gravano explodierte vor Lachen. Die und Locascio dauerte etwa eine Stun- FBI-Lauscher lachten mit. Die Unterhal- de. Dabei besprachen Gotti und Locas- tung vom 30. November – „Apartment cio eine Vielzahl von Themen, ein- Nr. 10,Band Nr. 1“, wiesieinden Fallun- schließlich der Struktur der Gambino- terlagen später hieß – war eine Fundgru- Familie; Befehlshierarchie und Befug- be. Aber das war erst der Anfang. nisse innerhalb der Mannschaftsränge, Morde und Mordkomplotte; kriminelle m halb acht Uhr am Abend des Gewerkschaftsgeschäfte in der Bauin- 12. Dezember traf sich der Don mit dustrie; die Wechselbeziehungen zwi- ULocascio im Wohnzimmer des schen den Familien; Kontrolle über die Apartments. Wiederum registrierte das Bauarbeitergewerkschaft; Kontrolle Mikrofon im Videorecorder jedes Wort. über das Transportgewerbe. Gotti war zornig, und Gravano war der Nachdem Bundesanwalt Andrew Ma-

NEW YORK NEWSDAY Anlaß. Gotti hatte begriffen, daß der eis- loney sich das Band angehört hatte, Gotti-Komplize Locascio kalte Engel „grüne Augen“ hatte: Er sah meinte er, es sei so belastend wie ein „Morde und Mordkomplotte“ nur Dollars und war so habgierig und Geständnis, es würde ausreichen, „den rücksichtslos, daß Gotti fürchtete, dieFa- Don durch seine eigenen Worte zu Fall pel vom Sicherheitsdienst der New Yor- milie könntesich in feindliche Flügel spal- zu bringen“. Aber Gotti hatte schon ker Telefongesellschaft hatte ihm nach ten. mehrere Male seinen Kopf aus der Prüfung der richterlichen Genehmigung „Verdammt noch mal, wo kommen wir Schlinge gezogen. Chef-Fahnder Mouw den Standort des Telefonmastes verra- eigentlich hin?“ schimpfte Gotti. „Jedes fürchtete, Gotti werde so lange gewin- ten, an dem die Leitung „auftauchte“, verfluchte Mal, wenn ich mich umdrehe, nen, wie es ihm, Mouw, nicht gelinge, wie der Telefonmann sagte. Kravec ist da ’ne neue Firma aus dem Boden ge- den Maulwurf zu fangen – jenen großen konnte seine komplizierten Verdrahtun- schossen. Bau, Beratung, Beton. Und je- Unbekannten, der dem Gotti-Clan im- gen viele Häuserblocks vom „Tatort“ desmal, wenn wireinen Geschäftspartner mer wieder Informationen über FBI- entfernt vornehmen. haben, der nicht so will wie wir, legen wir Pläne und -Aktionen lieferte. Das Mikrofon im Apartment ging am ihn um. Du gehst zum Boß, und der Boß Tag darauf um 16.35 Uhr zum erstenmal legt ihn um. Er legt sie alle um. Er gibt auf „Sendung“, und schon bald zeigte grünes Licht. Sagt in Ordnung, gut so. Im nächsten Heft sich, daß es exakt an der richtigen Stelle Wo kommen wir denn da hin, Frankie?“ placiert war: Am 30. November war John Nur allmählichverebbte GottisWut, er Alle Spuren führen zur Immobilienfirma Gottis Stimme zu hören, klar und unver- wurde sentimental. „Ich will doch gar J & G Realty – Die Rache des Maulwurfs wechselbar. nichts für mich. Ich könnte längst Milliar- – „Gelatinebauch“ liegt tot im Koffer- Gotti unterhielt sich mit dem Anwalt där sein, wenn ich ein Boß wäre, der nur raum – Ein 19facher Mörder als Kron- Michael Coiro, der mit weinerlicher an den eigenen Vorteil denkt . . . Alles, zeuge gegen Mafia-Boß Gotti Stimme mitteilte, er sei gerade von einem Bundesgericht in Brooklyn im Zusam- menhang mit den Heroingeschäften der Gambino-Familie schuldig gesprochen worden.Er habe eineHaftstrafe vonzehn oder mehr Jahren zu erwarten. „Wir müssen jetzt ein bißchen eigen- nützigwerden“,hörte man Gotti zuCoiro sagen. „Ich sage dir, vergiß deinen Krebs, reden wirlieber über meine Kopfschmer- zen.“Er habe „erfahren, daß daeine Ver- haftung bevorsteht“. Er brauche mehr Informationen. Bei dem Gespräch zwischen dem Don und Coiro war die gesamte Führungs- mannschaft der Familie zugegen, ein- schließlich Locascio und Gravano. Die Unterredung dauerte über eine Stunde, die Lauscher vom FBI fühlten sich, als seien sie mit von der Partie im Wohnzim- mer des Cirelli-Apartments. Manchmal mußten sie grinsen. Der Don war ein ziemlich witziger Erzähler.

Über einen Punkt erregte sich der Don FBI besonders: Alle Schwierigkeiten der Fa- Gottis geheimes Beratungszimmer: Wanze im Videorecorder

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