Weniger Kopf, Mehr Flow
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WORKBEAT Ideengeber: Tracker Ideengeber: Tracker Weniger Kopf, mehr Flow Ursprünglich als Editor für frühe Commodore- und Amiga-Games entwickelt, galten Tracker lange als Spielzeug für geniale Nerds. Mit der Software Renoise erlebten sie um den Millenniums-Wechsel ein Comeback, das bis heute andauert und alle gängigen Vorstellungen von Trackern auf den Kopf gestellt hat: Wer mit minimalen Mitteln wahrhaft neue Musik produzieren möchte, kommt ohne sie nicht mehr aus. von Tobias Fischer und Marco Scherer Kohl, MacGyver, Tracker ren und sich direkt in den Code der Maschine Um Renoise als Phänomen besser zu verste- einzuklinken. Damit ließen sich Ideen mit hen, muss man sich ein Vierteljahrhundert atemberaubender Geschwindigkeit umsetzen zurück begeben – in eine Zeit, als Helmut Kohl und man konnte in Bereiche vordringen, von noch Kanzler war, MacGyver noch nicht Cit- denen traditionell denkende Anwender nicht roën fuhr und der Commodore Amiga als Non- einmal geträumt hätten. plusultra der IT-Industrie galt. Es war eine Zeit, Auch wenn sich Tracker ganz vorzüglich in der den Komponisten von Game-Musik eini- für kompositorische Skizzen eignen, tut man ges abverlangt wurde. Schließlich erlaubten die ihnen aber Unrecht, wenn man sie nur als edle- softwaretechnischen Begrenzungen der meis- res Notizbuch betrachtet. Vielmehr vollzieht ten Spiele ihnen gerade mal zwanzig Sekun- man als Produzent mit dem Einsatz eines Tra- den kurze Passagen, welche endlos geloopt ckers den Wechsel von einem objektorientier- wurden. ten Denken zu einem prozessorientierten Flow, Dank Renoise gelten Tracker m Sommer 2012 waren Besucher der in ein- Als Entwickler Karsten Obarski von einem werden Tracks, statt in den üblichen Schablo- inzwischen als großartige schlägigen Kreisen populären Seite Synthto- Freund den Auftrag für einen Soundtrack nen zu verlaufen, wieder zu Reisen ins Unge- Kreativ-Werkzeuge und pia dazu aufgerufen, die ihrer Meinung nach erhielt, erschien ihm das sofort als extrem ein- wisse. Als Produzent kann man in das kleinste Ideengeber für experimen- I tierfreudige Musiker. beste DAW zu küren. [1] Die Aktion sollte sich schränkend. Und so schrieb er kurz entschlos- Detail einzoomen und ungeahnte Feinheiten als ein schlauer Schachzug der Seitenbetreiber sen nicht nur die Musik, sondern den zugehö- in der Sample-Bearbeitung erreichen, jeder ein- erweisen. Nicht nur gaben mehrere Tausend rigen Editor gleich mit dazu. Die Samples von zelne Parameter der Mikro-Struktur ist indivi- Anwender ihre Stimme ab. Das Ergebnis führte seinem Yamaha DX21 waren kaum wiederzu- duell editierbar. zudem zu langen, erhitzten Diskussionen, erkennen und die Oberfläche sah eher aus wie die ordentlich Traffic auf die Seite trieben. Da ein Word-Dokument nach einer Virenattacke. Fazit war zum einen die Tatsache, dass das von vie- Und dennoch stellte das Ergebnis einen Mei- Renoise hat dieses grundlegende Prinzip von len Profis geschmähte FL Studio (früher Fruity lenstein dar. Denn die fertigen Songs – oder, Trackern aufgegriffen und zum ersten Mal in Loops) mit fast 30 Prozent der Stimmen das um in Obarskis Sprache zu bleiben, Module – eine Form gegossen, die nicht nur Program- Rennen mit großem Vorsprung für sich ent- durften nun bedeutend länger und komple- mierern offensteht, sondern jedem, der bereit xer ausfallen und konnten dennoch bedeutend ist, etwas Zeit in die Einarbeitung zu investie- platzsparender in die Spiele integriert werden. ren. Kein Wunder, dass erfahrene Spezialisten »Mit Trackern vollzieht man Damit bereitete er die Basis für wahre Multi- wie der amerikanische Industrial-Pionier Vel- medialität im Games-Bereich und schuf die vet Acid Christ auf die Software schwören und als Produzent den Wechsel Voraussetzungen für den einige Jahre später in ausladenden Lobeshymnen die unerreich- einsetzenden Austausch musikalischer Dateien ten Bearbeitungs-Möglichkeiten und Sound- von einem objektorientier- über das Internet. Man hat so manchem schon Qualität, welche die von üblichen DAWs in den für geringere Leistungen ein Denkmal gesetzt. Schatten stellt, preist [2]. Die Angst vor Neuem ten Denken zu einem pro- ist den Renoise-Entwicklern durchaus bewusst, Kein Massenprodukt ebenso die Tatsache, dass ihr Produkt nie- zessorientierten Flow.« Dass heute die meisten Anwender nicht mehr mals so populär wie FL Studio sein wird. Das schied. Da war des Weiteren der problemati- Obarskis Namen kennen, liegt zum einen ist aber auch gar nicht entscheidend. Für alle, sche Sachverhalt, dass einige bekannte Anwen- daran, dass dieser die Lizenz für seine Erfin- die sich über neue Produktionsmittel neue dungen überhaupt nicht in der Liste vorkamen. dung verkaufte, die kommerzielle Version ein Ideen erschließen möchten, bieten Tracker [1] www.synthtopia.com/con- Und zu guter Letzt sorgte der triumphale Flop war und die 8-Bit-Ästhetik der frühen auch heute noch faszinierende Möglichkeiten. tent/2012/06/01/whats-the- sechste Platz von Renoise für Irritation. Wenn Tracker erst viel später zum Kult wurde. Zum Schließlich stiftet das Chaos nicht nur Verwir- best-daw-in-the-world-2012- es tatsächlich einige ganz hervorragende intu- anderen waren Tracker von ihrer gesamten rung – sondern bereitet auch den Boden für poll/#more-40776 itiv bedienbare Oberflächen gab – warum ent- Veranlagung her keine Massenprodukte. Viel- wahre Kreativität. [2] www.velvetacidchrist. com/2010/10/31/renoise-2-51- schieden sich so viele Musiker stattdessen für mehr erlaubten sie es Kreativen, mit Compu- music-tracker-studio/ das Chaos? tern in ihrer eigenen Sprache zu kommunizie- www.renoise.com 44 beat 01 | 2013 WORKBEAT Ideengeber: Tracker Vollversion Renoise Lite: Der Kreativ-Booster fürs Studio auf DVD Start Rapid Record Automation 1 Die Stärken von Renoise liegen sicher nicht bei Die Y-Taste triggert die Kick, welche direkt im Laden Sie als Nächstes das Sample Misc02.flac 1 umfangreichen Arrangements mit unzähligen 2 Sequenzer aufgenommen wird. Die Timeline 3 in den dritten Slot und nehmen Sie damit eine Spuren, vielmehr punktet die Software mit ihrem unge- fährt automatisch zum nächsten 16tel. Da die Kick Sequenz auf Spur drei auf. Das Instrument wollen wir mit wöhnlichen Konzept. Zum Kennenlernen schauen Sie ganz klassisch nur auf jedem Viertel spielen soll, stellen einem Filter garnieren, dessen Cutoff wiederum automa- unbedingt die Tutorial-Videos [1] und Songs an. Laden Sie Step-Length auf 4 [STRG+4] und fahren Sie per [Cur- tisiert wird. Im Bereich Track DSPs klicken Sie doppelt auf Sie für den Anfang eine Kick in den ersten Instrumen- sor]-Taste einen Schritt zurück. Nun springt die Time- Filter und stellen Sie dieses auf BP (Bandpass). Aktivieren ten-Slot, drücken Sie F9, um zum Anfang des Patterns line nach jeder Eingabe vier 16tel nach vorne. Nehmen Sie die Aufnahme und bewegen Sie den gewünschten zu springen schalten die Aufnahme mit ESC scharf. Sie eine Sequenz für die Bassdrum auf. Parameter mit der rechten Maustaste. Automation, die Zweite Instrumente Arpeggios Damit werden die Bewegungen direkt in der Instrumente lassen sich in den Instrument-Set- Kümmern wir uns nun um ein melodisches 4 Sequenz aufgenommen. Alternativ klicken Sie 5 tings ausführlicher modifizieren als einfache 6 Arpeggio. Klicken Sie auf den Pfeil neben FX (am auf den Tab Automation, wählen einen Parameter und Samples und bieten zudem durch die Sample-Keyzones unteren Ende des Pattern-Editor) und wählen Sie aus zeichnen dort die Variationen ein. Eine weitere Spur die Möglichkeit, Multisamples zu erstellen. Doch wir den Sample Commands das Arpeggio. In den Automa- soll ein Arpeggio mit einem richtigen Instrument spie- wollen jetzt nur die Hüllkurve des Instruments anpas- tionsdaten des Tracks erscheint nun ein A mit zwei Wer- len. Klicken Sie links oben im Browser auf Instrument, sen, indem wir die Bezugspunkte bis auf zwei per Dop- ten dahinter, die für je eine Note stehen, die zur Grund- wählen Sie aus dem Chip-Ordner die Chip-Square und pelklick löschen, damit nur ein kurzes Decay bleibt. Im note addiert werden. Bei aktivierter Aufnahme können nehmen Sie ein Achtelmuster auf. Bild oben sehen Sie die gewünschte Hüllkurve. Sie das A und die Notenwerte direkt eingeben. Send-Effekte Sequence Matrix Jammen mit Clips Schmücken wir nun das Arpeggio noch mit etwas Ein tolles Feature von Renoise ist die Pattern Erzeugen Sie mit dem [+]-Symbol drei weitere 7 Reverb. Wechseln Sie zum Send-Track S01, laden 8 Sequence-Matrix, einer Art Songmodus für 9 Sequenzen und stellen jede mit den Pfeiltasten dort den Track DSP Reverb und drehen den Dry-Mix auf die Patterns und Tracks. Rufen Sie mit F7 den sieb- auf Pattern 0 ein. Mit einem Doppelklick auf die far- 0. Kehren Sie zur Arpeggio-Spur zurück und fügen die- ten gespeicherten Arbeitsbereich auf, in dem außer bigen Icons (oder Rechtsklick [Mute]) können Sie ein- ser ebenfalls einen Track DSP hinzu, den Routing-Ef- der Matrix und den Tracks alles ausgeblendet ist. Die zelne Spuren des Patterns stumm schalten, doch für fekt #Send. Beim Receiver ist S01 eingetragen, daher sichtbare Zeile in der Matrix repräsentiert die aktuelle jede Sequenz unabhängig. Tipp: Zum weiteren Kennen- müssen wir an dieser Stelle lediglich den gewünschten Sequenz, in der unser Pattern 0 mit einer vereinfach- lernen laden Sie unbedingt die beiliegenden Tutorial- Amount einstellen und Keep Source aktivieren. ten Grafik der Spuren dargestellt wird. Songs, welche die Features gut vorstellen. [1] www.renoise.com/introduction beat 01 | 2013 45 WORKBEAT Ideengeber: Tracker Weitere beliebte Tracker in der