Originalveröffentlichung in: Lauter, Marlene (Hrsg.): Tradition & Propaganda : eine Bestandsaufnahme ; Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Städtischen Sammlung Würzburg ; [diese Publikation erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im Museum im Kulturspeicher Würzburg (28.2. bis 12.5.2013)], Würzburg 2013, S. 16-25 CHRISTOPH ZUSCHLAG EIH SCHWIERIGES ERBE IG 117

„ERINNERUNGSKULTUR" VERSUS GESCHICHTSBEWUSSTSEIN?

In seinem erstmals 2005 erschienenen Buch kultur" an die Stelle von Geschichtsbewusst ­ „1945 und wir" liefert der renommierte sein getreten sei.2 Wer aber Vergangenheit Jenaer Zeithistoriker Norbert Frei eine kriti­ nicht nur erinnern, sondern verstehen wolle, sche Bestandsaufnahme des Umgangs der der müsse Problembewusstsein, Differen­ Deutschen mit der NS-Vergangenheit. Er zierungsbedürfnis und historisch-kritische konstatiert, dass wir 60 Jahre nach Kriegs­ Aufklärung befördern. An anderer Stelle im ende in einem erinnerungspolitischen Gezei­ Buch erinnert Frei an den Historiker Martin tenwechsel leben, weil die Generation der Broszat, der 1985 anlässlich des 40. Jah­ Zeitgenossen aussterbe: „Für die allermeis­ restages des Kriegsendes ein „Plädoyer für ten von uns ist die Hitler-Zeit keine erlebte eine Historisierung des Nationalsozialismus" Vergangenheit, sondern Geschichte. History, veröffentlicht hatte.3 Dabei sei es Broszat, so not memory."' Auch im 21. Jahrhundert und Frei, keinesfalls um eine politisch-moralische im Blick auf eine Gegenwart, die kein persön­ Relativierung der NS-Zeit gegangen, sondern liches Erinnern an die NS-Zeit mehr kennen „um den differenzierten, alles Plakative, alle werde, bleibe eine angemessene Vergegen­ Dämonisierungen - und gerade damit auch wärtigung der nationalsozialistischen Ver­ alle gesellschaftlichen Entlastungsmöglich ­ gangenheit „politisch-moralisches Gebot und keiten - verweigernden, nach allen Seiten intellektuelle Herausforderung". Nötig sei kritisch-subtilen Umgang mit der Geschichte dazu allerdings nicht nur die Bereitschaft zur des .Dritten Reiches'."4 Und genau dies ist Erinnerung, sondern Wissen. Frei kritisiert, meines Erachtens auch für den Umgang mit dass in der Gesellschaft eine von „politischen der Kunst aus der NS-Zeit zu fordern. Worum Identitätsstiftungsversuchen und Nützlich ­ geht es dabei genau, wo stehen wir, und was keitserwägungen" bestimmte „Erinnerungs­ bleibt zu tun?

Im Depot des Museums im Kulturspeicher Würzburg Willy Schmitt-Lieb: „Ukrainischer Landarbeiter" (Kat.Nr. 35) CHRISTOPH ZUSCHLAG EIN SCHWIERIGES ERBE

SPUREN DER NS-ZEIT IM ÖFFENTLICHEN RAUM

Es geht nicht nur, es geht vielleicht noch abzureißen. Das wäre sicher der falsche Weg nicht einmal in allererster Linie um die Kunst gewesen. Im Gegensatz dazu war die Aus ­ aus der NS-Zeit, die sich in den Museen - stellung „Geschichten im Konflikt: Das Haus und dort in der Regel in den Depots - befin­ der Kunst und der ideologische Gebrauch det. Der quantitativ viel größere und zudem von Kunst 1937-1955", die anlässlich des wegen seiner dauerhaften Präsenz im öffent­ 75. Jahrestages der Eröffnung des Hauses von lichen Raum möglicherweise sogar bedeu ­ Juni 2012 bis Januar 2013 stattfand, ein po­ tendere Anteil an Relikten aus der NS-Zeit sitives Beispiel für eine kritische Reflexion der umfasst Gebäude, Skulpturen, Wandbilder Architektur und der Funktionen des Gebäudes und Mosaike. In vielen Städten und Gemein­ im jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext. den werden diese Zeugnisse aus der NS-Zeit entweder gar nicht bewusst wahrgenommen Ein weiteres Beispiel, in diesem Fall aus der und reflektiert, oder es wurde und wird erwo­ Bildhauerei in einer Kleinstadt: In der süd ­ gen, sie zu beseitigen. pfälzischen Stadt Landau steht eine 1936 mit Beispiel: das in München. finanzieller Unterstützung Hitlers errichtete Dieses von Paul Ludwig Troost als „Haus steinerne Löwenskulptur von Bernhard Blee- der Deutschen Kunst" entworfene Gebäude ker (1881-1968). Erst 2012 wurde dieses wurde im Sommer 1937 mit der ersten „Gro­ Mahnmal für die Gefallenen des Ersten Welt­ ßen Deutschen Kunstausstellung" von Hitler kriegs in einem Aufsatz von Christmut Präger persönlich eröffnet.5 Als bewusste Kontrast­ wissenschaftlich bearbeitet. 7 Bis heute gibt es veranstaltung wurde im benachbarten Ga­ keine Texttafel, die vor Ort über die Geschich­ leriegebäude im Hofgarten die Femeschau te und Bedeutung der Skulptur Auskunft „Entartete Kunst" inszeniert, in der die zuvor gibt. Stattdessen melden sich in der örtlichen in den Museen beschlagnahmte Moderne am Presse immer wieder Bürger zu Wort, die die Pranger stand.6 Bis 1944 fanden die reprä­ Beseitigung der Skulptur auf dem Untertor­ sentativen „Großen Deutschen Kunstausstel ­ platz fordern. lungen" im Haus der Deutschen Kunst statt. Aufgrund seiner exponierten Rolle ist das Ich plädiere dafür, dass Städte und Ge­ Gebäude das Symbol der NS-Kulturpolitik. meinden die Zeugnisse aus der NS-Zeit im Dennoch wurde bis zur Überführung des öffentlichen Raum systematisch erfassen, Hauses in eine gemeinnützige Stiftung 1992 dokumentieren und durch Ausstellungen, immer wieder die Option diskutiert, es als Publikationen, Beschriftungen und anderes unliebsames Relikt des „Dritten Reiches" didaktisches Material vermitteln. 18119

KUNST AUS DER NS-ZEIT IN DEUTSCHEN MUSEEN

Ein kritischer Umgang mit Kunst aus dem Günther, Sepp Hilz, Erwin Puchinger, Adolf „Dritten Reich" setzt voraus, dass man sie der Reich sowie Adolf Ziegler mit einer Arbeit von Bevölkerung zugänglich macht - und zwar Jochen Gerz konfrontiert. sowohl in Sonderausstellungen8 als auch in Osnabrück: In der Villa Schlikker ist die dauerhaften musealen Präsentationen. Wo Abteilung „Haus der Erinnerungen - Alltags­ kann man in deutschen Museen in Daueraus ­ kultur des 20. Jahrhunderts" des Kulturge ­ stellungen entsprechende Werke betrachten? schichtlichen Museums untergebracht, zu der Eine diesbezügliche Recherche,9 die allerdings auch einzelne Arbeiten aus der NS-Zeit aus keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, den Bereichen Malerei und Grafik gehören. erbrachte folgendes Ergebnis: Kempten: Im „Kunstgewölbe" des Allgäu- Museums wurde 1999 eine Abteilung „Kunst : In der ständigen Ausstellung „Deut­ während des Nationalsozialismus" mit rund sche Geschichte in Bildern und Zeugnissen" sechs Bildern aus dem „Dritten Reich" ein­ des Deutschen Historischen Museums sind gerichtet. Diese Abteilung wurde kürzlich rund 15 Werke der Malerei und Bildhauerei zu zusammen mit der gesamten Kunstdaueraus ­ sehen, darunter so bekannte Bilder wie „Die stellung wegen einer Sonderausstellung ge­ letzte Handgranate" (1 937) von Elk Eber, „Die räumt, und bei Redaktionsschluss stand noch Kunstzeitschrift" (1939/40) von Udo Wendel, nicht fest, ob sie nach Ablauf der Ausstellung „Kalenberger Bauernfamilie" (1939) von Adolf wieder installiert werden wird. Wissel und ein „Weiblicher Akt" (1940) von Berchtesgaden: In der Dokumentation Adolf Ziegler. Auch eine Hitler-Büste sowie Obersalzberg befindet sich das Gemälde „Der zwei Plastiken von , eine davon Führersitz am Obersalzberg" des Berchtesga­ ein Nachguss der seit 1945 verschollenen dener Malers Anton Reinbold (1881-1968), „Wehrmacht", werden präsentiert. laut Website der Gedenkstätte vermutlich eine München: In der Dauerausstellung „Nati­ Auftragsarbeit. ,0 onalsozialismus in München - Chiffren der Erinnerung" im Münchner Stadtmuseum sind Es lässt sich also festhalten, dass derzeit nur Plakate, Bilder, Kunsthandwerk, Textilien und in sehr wenigen und zudem ausschließlich Statuetten zu sehen. So etwa Adolf Reichs historisch, stadthistorisch oder kulturge ­ Gemälde „Das größere Opfer", von dem eine schichtlich ausgerichteten Häusern Kunst aus andere Version im Deutschen Historischen der NS-Zeit ausgestellt und explizit als eige­ Museum Berlin gezeigt wird. nes Thema behandelt wird. Bevor die Frage Nürnberg: Im Germanischen Nationalmuse­ der Museen und ihres Umgangs mit Kunst aus um werden in der Schausammlung „20. Jahr­ der NS-Zeit weiter erörtert wird, ist jedoch die hundert" sechs Bilder von Elvira Bauer, Georg Definitionsfrage zu stellen. CHRISTOPH ZUSCHLAG EIN SCHWIERIGES ERBE

KUNST AUS DER NS-ZEIT = „NAZI-KUNST"?

Kunst aus der NS-Zeit ist eine neutrale Be­ Ausstellungsverbote wurden von der Gestapo zeichnung, die sich auf den Entstehungszeit- überwacht, zum Beispiel durch unangemelde­ raum 1933 bis 1945 bezieht. „Nazi-Kunst" te Atelierkontrollen. Produktion, Distribution hingegen ist ein wertender, pejorativ besetz­ und Rezeption künstlerischer Erzeugnisse ter Begriff. Aber was genau ist darunter zu unterlagen somit der unmittelbaren national­ verstehen?" sozialistischen Zensur.

Zunächst ist zu klären, unter welchen Bedin­ Gezielt und systematisch setzte der NS-Staat gungen Kunst im „Dritten Reich" entstand und die Kunst als Mittel der Propaganda ein. Er rezipiert wurde. Durch Zentralisierung und wies der Kunst die alleinige Funktion zu, sei­ Schaffung von Kontrollorganen bemächtigten ne Ideologie zu illustrieren und zu verbreiten. sich die nationalsozialistischen Machthaber Hauptthema war dabei das Menschenbild, systematisch auch des kulturellen Sektors. das von der rassistischen Ideologie bestimmt Die wichtigsten Etappen der administrativen war. Öffentlich manifestierte es sich vor allem „Gleichschaltung" dieses Bereiches waren die in Monumentalplastiken, mit denen Gebäude Errichtung des aus zwölf Abteilungen beste­ von Staat und Partei, Aufmarschgelände und henden „Reichsministeriums für Volksaufklä ­ Plätze ausgestattet wurden. Außerdem waren rung und Propaganda" im März 1933 und Diensträume, Feierstätten und „Ehrenhallen" der ihr untergeordneten „Reichskulturkam ­ in Ausstellungen mit Reliefs und Bildnissen mer" mit sechs Einzelkammern, darunter die geschmückt. In der Plastik dominierte die an „Reichskammer der bildenden Künste", im der Antike und an der klassischen Traditi­ September 1 933.12 Die „Reichskulturkammer" on der europäischen Bildhauerei orientierte war das Instrument zur totalen ideologisch­ Aktfigur. 13 Männer- und Frauenakte von politischen, sozialen und ökonomischen Bildhauern wie Arno Breker und Josef Thorak Kontrolle des gesamten kulturellen Lebens. hatten im „Dritten Reich" in der Regel nicht Sämtliche „Kulturschaffenden" wurden zentral nur einen symbolisch-allegorischen Gehalt, überwacht. „Nichtarische" oder aus anderen sondern waren zugleich Ausdruck festgeleg­ Gründen missliebige Personen wurden nicht ter Rollenbilder: „In genauer Entsprechung aufgenommen bzw. konnten jederzeit aus ­ zur Aktmalerei werden auch in der Aktplastik gestoßen werden, was einem Berufsverbot Mann und Frau klar definiert geschlechts­ gleichkam. Auch an den „Großen Deutschen spezifische Rollen zugewiesen, entsprechend Kunstausstellungen" konnte nur teilnehmen, reaktionär bürgerlichen Denkmustern, die als wer Mitglied der „Reichskammer der bil ­ naturgegeben hingestellt und deren Erfüllung denden Künste" war. Die unter Androhung als völkische Pflicht' ausgegeben wird."14 von Strafmaßnahmen erteilten Arbeits- und 20121

Entgegen dem eigenen Anspruch, eine „revo­ Mit stilistischen Kriterien allein lässt sich lutionäre", eine „neue deutsche Kunst" zu „Nazi-Kunst" nicht definieren - gab es doch schaffen, erwies sich die vom Staat geförder­ etliche Künstler, die schon vor 1 933 einen na­ te Kunst in erster Linie als kontramodern und turalistisch-gegenständlichen Stil ausgebildet restaurativ. Das zeigt sich am deutlichsten hatten und diesen auch nach der NS-Macht- in der Malerei, in der die traditionelle Gat­ übernahme praktizieren konnten. Für Künst­ tungsmalerei des 19. Jahrhunderts - His­ ler der Neuen Sachlichkeit beispielsweise torienmalerei, Porträt, Genre, Landschaft, hat die Forschung dies bereits untersucht. 16 Stillleben, Akt und Allegorie - wiederbelebt, Einschlägiger ist zweifelsohne die inhaltlich­ eine Rückkehr zur altmeisterlichen Malerei thematische Seite: Bilder und Plastiken, die propagiert und das Handwerkliche betont im oben erläuterten Sinne der NS-ldeologie wurde. 15 Auch wenn es keinen einheitlichen und den festgelegten Rollenbildern visuellen Stil und keinen ästhetischen Kanon gab, war Ausdruck verliehen, sind „Nazi-Kunst". Rich­ die stilistische Bandbreite gering, weil eine tig schwierig wird die Frage indes bei ver­ „volksnahe", naturalistische Gegenständlich­ meintlich harmlosen Sujets wie Landschaften, keit gefordert war. Thematisch ging es auch Tierdarstellungen und Stillleben, die zusam ­ hier um eine Illustration der NS-Propaganda men einen wesentlichen Teil der Exponate der und um Rollenklischees: die Frau als Mutter, „Großen Deutschen Kunstausstellungen" aus ­ als „Lebensquell", als „Hüterin des Lebens" machten.17 Es steht außer Frage, dass auch oder „Hüterin der Art"; der Mann als Bauer, scheinbar unpolitische Landschaften entweder Handwerker, Held, edler Kämpfer und Sol­ mit NS-Gedankengut kontaminiert sein konn­ dat; die „arische" Familie als Keimzelle der ten oder zumindest für dieses vereinnahmbar „Volksgemeinschaft"; Landschaft als Ausdruck waren, weil sie sich als Idealisierungen der von Heimat, als Symbol der Verwurzelung „deutschen Scholle" interpretieren ließen. So mit der „deutschen Scholle", als Bestandteil heißt es auf der Website des Allgäu-Museums der „Blut- und-Boden"-ldeologie etc. Weit in Kempten zur oben erwähnten Abteilung verbreitet waren außerdem bäuerliche Sze­ „Kunst während des Nationalsozialismus": nen. Dabei beschworen die Bilder bäuerlicher „Im Allgäu waren von jeher Landschaftsbilder Arbeit und Lebensweise eine agrarische, und Darstellung von ,den Allgäuern' beliebt. vorindustrielle Idylle, die mit der Realität der Daher bot sich den Künstlern die Möglich ­ hochtechnisierten Gesellschaft im NS-Staat keit, weiterhin in dieser alten Tradition zu nichts zu tun hatte. Hier zeigt sich exemp­ arbeiten. Allerdings konnten solche Themen larisch, wie die Kunst im NS-Staat sich zwar auch leicht für die ideologisch-verfärbten volkstümlich gab, in Wahrheit aber verlogen ,Heimat-Bilder' des Nationalsozialismus war, indem die tatsächlichen gesellschaftli­ missbraucht werden."18 Zu berücksichtigen ist chen Verhältnisse verschleiert wurden. also immer auch der zeitgeschichtliche und CHRISTOPH ZUSCHLAG EIN SCHWIERIGES ERBE

kulturpolitische Kontext, in dem die Werke Künstlern aus, deren Namen heute vergessen entstanden und rezipiert wurden. Vor diesem sind, die sich in der NS-Zeit „unauffällig" ver­ Hintergrund sind dann selbst vermeintlich hielten und mit Porträtaufträgen ihre Existenz unverfängliche liebliche Blumenstillleben, wie zu sichern suchten. Da gilt es, sich mit den sie in den Kriegsjahren reihenweise im Haus jeweiligen Lebensläufen zu beschäftigen, vor der Deutschen Kunst an den Wänden hingen, allem aber die Werke genau zu analysieren. letztlich doch eminent politische Bilder, weil Bequeme und liebgewonnene Denkmuster sie das Grauen des Kriegs ausblendeten und und Kategorien - auf der einen Seite der den Besuchern eine heile (NS-)Welt vorgau ­ als „entartet" diffamierte „gute" moderne kelten. Dieselben Bilder, vor 1933 oder nach Künstler, auf der anderen Seite der vom Staat 1945 gemalt und in einem anderen Kontext geförderte „böse" Nazi-Künstler - werden der präsentiert, wären aber wohl nie in Verdacht komplexen Wirklichkeit, in der es eben nicht gekommen, „NS-Kunst" zu sein. nur Opfer und Täter gab, nicht gerecht und stehen einer differenzierten Sicht im Wege. Und noch etwas darf nicht außer Acht ge­ Zu einer solchen gehört auch, dass die Frage lassen werden: die Rolle und das Verhalten nach der Ästhetik und der künstlerischen der Künstler. Bei den im NS-Staat führenden Qualität von Kunst aus der NS-Zeit stärker und teilweise von Hitler persönlich prote­ als bisher ins Blickfeld genommen wird. Viele gierten Architekten, Bildhauern und Malern künstlerischen Produkte sind wohl tatsächlich wie und Paul Ludwig Troost, von minderer Qualität, weil zahlreiche Künst­ Arno Breker und Josef Thorak, Adolf Ziegler lerinnen und Künstler nach 1933 vom Kunst­ und Sepp Hilz ist das Etikett „Nazi-Künstler" betrieb ausgegrenzt und verfolgt wurden und zweifellos gerechtfertigt. Diese prominenten stattdessen weniger begabte, jedoch (kunst-) Künstler, die sich bereitwillig in den Dienst politisch konforme Vertreter der Künstler­ eines menschenverachtenden Systems stell­ schaft reüssieren konnten. Das muss aber ten und von diesem profitierten, sind aber nicht zwingend bedeuten, dass jedes im Haus unter der Künstlerschaft die Ausnahme. Auf der Deutschen Kunst gezeigte Werk per se den „Großen Deutschen Kunstausstellungen" von schlechter Qualität oder gar „böse" ist. stellten Hunderte von Künstlerinnen und 22123

„NAZI-KUNST INS MUSEUM?"

In Anbetracht der geschilderten Begriffs- und eine solche Neubewertung der Kunst in der Definitionsproblematik liegt es auf der Hand, DDR auch zu einer veränderten Sicht auf die dass man zunächst einmal klären muss, wo­ Kunst aus der NS-Zeit führen wird. Wobei da­ rüber man redet, bevor man die Frage stellt: mit selbstverständlich nicht suggeriert werden „Nazi-Kunst ins Museum?" 19 Ein Vierteljahr­ soll, dass die NS-Diktatur und der DDR-Staat hundert ist vergangen, seit der gleichnamige gleichzusetzen seien.23 Eine ideologische Sammel- und Dokumentationsband erschie­ Vereinnahmung und Kontrolle der Kunst hat nen ist. Seither hat sich in der Forschung viel es indes unzweifelhaft in beiden Systemen getan, eine Reihe von Ausstellungen und gegeben. Dem Dilemma, dass hier ethische wissenschaftlichen Untersuchungen förderten und ästhetische Aspekte stets untrennbar die sachlich-kritische Auseinandersetzung mit miteinander verwoben sind, können wir uns der Kunst- und Kulturpolitik des NS-Regimes nicht entziehen. und trugen damit zur Historisierung des Nati­ onalsozialismus bei.20 Hinzu kommt das, was Wie es jetzt in Würzburg geschieht, muss Norbert Frei im eingangs zitierten Buch „1945 Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus im und wir" als erinnerungspolitischen Gezeiten­ Rahmen von Sonderausstellungen dem Publi ­ wechsel beschrieben hat: Die Generation der kum zugänglich gemacht und zur Diskussion Zeitgenossen stirbt aus, und mit dem Fall der gestellt werden. Dabei ist der historische Mauer und dem Ende der DDR ist die NS-Zeit Kontext ihrer Entstehung und Wahrnehmung um eine Epochenschwelle zurückgewichen. 21 angemessen zu berücksichtigen. Durch Kon­ Manche Parallele lässt sich feststellen in den frontation mit der ausgegrenzten Moderne, Formen des Umgangs mit der Kunst aus der aber auch mit älterer Kunst, an welche die NS-Zeit nach 1945 und mit der Kunst aus der Künstlerinnen und Künstler im „Dritten Reich" DDR nach 1990. So ist seit dem heftig geführ­ anknüpften, kann vergleichendes Sehen ten „Weimarer Bilderstreit" 1999 anlässlich und das optische Differenzierungsvermögen der umstrittenen Ausstellung „Aufstieg und geschult werden. Und ja, auch „Nazi-Kunst" Fall der Moderne" auch in der Debatte um darf nicht dämonisiert werden. Sie gehört im die Kunst in der DDR und ihre anhaltende Rahmen ständiger Präsentationen ins Mu ­ Ausgrenzung im westdeutschen und inter­ seum, aber sie muss dort historisch-kritisch nationalen Kunstbetrieb eine Versachlichung aufgearbeitet und kommentiert, kontextua- eingetreten, ideologische Voreingenommen­ lisiert und durch eine anspruchsvolle Didak­ heit einer Bereitschaft zur sorgfältigen Be­ tik vermittelt werden. Es ist und bleibt ein standsanalyse und kritischen Neubewertung schwieriges Erbe - aber eines, dem wir uns gewichen.22 Es bleibt abzuwarten, inwiefern immer wieder aufs Neue stellen müssen. CHRISTOPH ZUSCHLAG EIN SCHWIERIGES ERBE

Ferdinand Spiegel: „Acherer Bub" Mischtechnik auf Karton, vor 1938 (Inv.Nr. E 12378) Das Porträt war 1938 auf der XX. Biennale in Venedig ausgestellt.