Frankfurt Und Der Aufbruch in Die Ungegenständlichkeit

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Frankfurt Und Der Aufbruch in Die Ungegenständlichkeit Originalveröffentlichung in: Freigang, Christian (Hrsg.): Das "neue" Frankfurt : Innovationen in der Frankfurter Kunst vom Mittelalter bis heute ; Vorträge der 1. Frankfurter Bürger-Universität, Wiesbaden 2010, S. 74-86 Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit Thomas Kirchner auf sich, da es ihr nicht oder nicht ausreichend gelungen war, sich einem breiten Publikum Frankfurt und die Malerei der Moderne: Da­ verständlich zu machen, dabei aber - und dies bei denkt man vielleicht zunächst an die späten unterschied die Situation in Deutschland von 20er Jahre, in denen die Stadt durch kommuna­ den übrigen westlichen Ländern - eine große le Kulturpolitik und privates Mäzenatentum zu Sichtbarkeit besaß, hatten sich doch hier die einem Ort künstlerischer Innovation avancierte Museen und die privaten Sammlungen in einem und u.a. so bedeutenden Vertreter der Moderne hohen Maße der Moderne geöffnet. Dabei hatte wie Max Beckmann oder Willi Baumeister für zumindest ein Teil der Moderne anfangs durch­ die Kunstschule des Städel gewonnen werden aus mit den Ideen der Nationalsozialisten ge­ konnten. Weniger bekannt ist die zentrale Rolle liebäugelt. Emil Noldes Parteimitgliedschaft in der Mainmetropole für die Kunst nach dem 2. der NSDAP ist bekannt, auch Ernst Ludwig Weltkrieg. Um sie besser einschätzen zu können, Kirchners tiefe Enttäuschung, von den neu­ scheint es indes hilfreich, ein wenig auszuho­ en Machthabern nicht als Repräsentant einer len. Die Ausführungen nehmen ihren Ausgang neuen, dezidiert .deutschen' Kunst anerkannt von dem Versuch einer Neuorientierung der zu werden. Und ein Teil der Nationalsozialis­ Kunst nach dem Niedergang des Dritten Rei­ ten - unter ihnen der Propagandaminister Jo­ ches, wie man ihn mit besonderem Nachdruck seph Goebbels - war eine Zeitlang durchaus in Berlin und im Osten Deutschlands beobach­ gewillt, das Angebot anzunehmen und den ten kann, um sich schrittweise dem Südwesten deutschen Expressionismus als die Kunst der des Landes und Frankfurt zu nähern. Der na­ faschistischen Bewegung anzuerkennen. Das tionale, ja europäische Kontext erhellt die zen­ Verhältnis von moderner Kunst und faschis­ trale Rolle der Stadt für die Entwicklung der tischem Staat war somit nicht frei von Wider­ Nachkriegsmoderne. sprüchen, was auch damit zusammengehangen Die bildende Kunst ist in Deutschland wäh­ haben mag, dass unter der Idee der Moderne die rend des Nationalsozialismus mehr als viele unterschiedlichsten künstlerischen Bestrebun­ andere Bereiche der Kultur in Mitleidenschaft gen zusammengefasst wurden. Und dieser un­ gezogen worden. Nachdem sie in den zwanzi­ spezifische Begriff der Moderne prägte auch die ger Jahre einen Höhepunkt erreicht, auch inter­ Diskussionen nach dem Ende des 2. Weltkrie­ nationale Anerkennung gefunden hatte, war ges und der Befreiung vom Faschismus, was er­ sie durch die Machthaber - anders als etwa im klären mag, dass das Jahr 1945 für die bildende ebenfalls faschistischen Italien - einer extre­ Kunst nicht die Stunde Null für eine neue, von men Kontrolle unterzogen worden. Die gesam­ den Lasten der Geschichte befreite Kunst war. te Moderne, egal welcher Ausrichtung, wurde Zwei Strömungen der Moderne lassen sich in unterdrückt, die Konsequenzen sind hinrei­ den zwanziger Jahren unterscheiden. Sie kön­ chend bekannt: Die Werke wurden aus den Mu­ nen mit den Begriffen ,Figuration' und Abs­ seen entfernt, zerstört oder verkauft, den be­ traktion' umrissen werden: eine gegenständ­ troffenen Künstler blieb häufig nur die Flucht, liche Kunst, etwa in Weiterentwicklung des oder sie gingen in die innere Emigration, ei­ Expressionismus, in Frankfurt besonders durch nige passten sich den neuen Vorstellungen an. Max Beckmann vertreten, oder in der Form der Schlupfwinkel gab es nur wenige, die bildende Neuen Sachlichkeit, und eine abstrakte, präzi­ Kunst wurde von den faschistischen Machtha- ser eine ungegenständliche Kunst, etwa eines bern wie auch die Literatur mit großem Arg­ Wassily Kandinsky oder in der Form der be­ wohn verfolgt. Der Grund hierfür lag weniger sonders am Bauhaus gepflegten geometrischen - wie in der Literatur - in den vermittelten In­ Abstraktion. Die beiden Strömungen standen halten, war doch zumindest ein Teil der Moder­ durchaus in Konkurrenz zueinander, und die­ ne bestrebt gewesen, von konkreten Gehalten se sollte nach dem 2. Weltkrieg wieder aufleben, abzusehen, um sich auf spezifisch künstlerische mitunter sogar in offene Feindschaft übergehen. Fragen konzentrieren zu können. Die moderne Gemeinsam agierte man, wenn es darum ging, Kunst zog die Aufmerksamkeit der Machthaber die Kunst des Dritten Reiches zu überwinden 74 Thomas Kirchner und die Künstler zu bekämpfen, die als Nazi- Artikels von Hofer.3 In der Oktoberausgabe Akteure galten und nun versuchten, ihre Posi­ 1948 der „bildenden kunst" trugen die beiden tion zu wahren. Sobald aber die Frage in den Herausgeber ihren Disput öffentlich aus. Hofer Vordergrund rückte, wie eine nachfaschistische beharrte auf einer Kunst, die frei von einer poli­ moderne Kunst auszusehen habe, schieden sich tischen Einflussnahme ist. Zentral für ihn war, die Geister. In den Diskussionen lassen sich deutlich ein­ „daß Forderungen außerkünstlerischer Art an zelne Phasen unterscheiden. Am Anfang stand die Kunst nicht gestellt werden sollten. Erfolg die Überwindung der Nazikunst im Vorder­ und Resultat solcher Forderungen haben wir grund, was eine Offenheit gegenüber unter­ im zwölfjährigen Reich zur Genüge erlebt, schiedlichen künstlerischen Ansätzen bedingte. und man wird einsehen müssen, dass es sich Diese wurden akzeptiert, sofern sie nur poli­ gleich bleibt, ob diese Forderungen dem Gu­ tisch unverdächtig schienen. Dies belegt etwa ten oder dem Bösen dienen sollen. Nicht das die erste „Allgemeine Deutsche Kunstausstel­ Soll, das Muß ist entscheidend, der Impuls lung" in Dresden von 1946, auf der alle Stile von innen, nicht der von außen. Die Kunst von abstrakt bis gegenständlich vertreten waren. kann so zeitgestaltend, ja so politisch sein wie Aber bereits 1948 zeichnete sich ab, dass der bis sie nur mag, nur muß es innerhalb ihrer Ge­ dahin gepflegte Konsens nicht mehr trug. Mit setzlichkeit geschehen."4 zunehmender Heftigkeit wurde darüber dis­ kutiert, ob die neue Kunst eine politische zu Dem hielt Neriinger die politische Verpflich­ sein oder sich auf im engeren Sinne künstleri­ tung der Kunst entgegen: sche Fragen zu konzentrieren habe. Der Ort, an dem diese Diskussion am schärfsten ausge­ „Man spricht vom .inneren reinkünstlerischen tragen wurde, war Berlin und die Sowjetischen Zwang und Drang', vom .inneren Muss' und Besatzungszone. Eine zentrale Rolle spielte da­ ist stolz auf die Unpopularität, die als (falsch bei Karl Hof er, der 1934 seine Professur an den verstandenes) Maß der eigenen künstleri­ Vereinigten Staatsschulen in Berlin verloren hat­ schen Bedeutung gewertet wird. Man lächelt te und mit Ausstellungs- und Malverbot belegt ironisch über die (zwar gut gemeinten, aber worden war. 1945 war er zum Direktor der nun ebenso falschen) Forderungen .volksnaher' zur Hochschule für bildende Künste umbe­ Kunst, der .Kunst fürs Volk', man spricht nannten Kunstakademie ernannt worden. Seit verächtlich von .Politisierung' der Kunst, und April 1947 gab er gemeinsam mit Oskar Ner­ glaubt sich gesichert vor derlei Banalitäten in iinger die sowjetisch lizenzierte Zeitschrift „bil­ der Ecke der .reinen Kunst' und merkt nicht, dende kunst" heraus. Schon bald zeichnete sich wie eminent politisch dieser Standpunkt in der Konflikt ab. Neriinger versuchte die Zeit­ der Ecke ist. Man will nicht sehen, dass es schrift zusehends im Sinne eines Sozialistischen überhaupt keinen Standpunkt ohne politische Realismus auszurichten. Hofer wehrte sich Wirkung geben kann, daß jedes Verhalten, gegen diese Bemühungen, die etwa in einem auch das .unpolitische', eine politische Wir­ Artikel von Anatol Schnittke „Dreißig Jahre so­ kung hat. Man beruft sich auf die Demokratie, wjetische Malerei" fassbar wurden.1 Er meinte auf die Freiheit der Kunst. Dieser Ruf kommt zu der dort propagierten Malerei, „dass dieser immer dann aus der ästhetischen Kunstaristo­ Schund nichts mit Kunst zu tun hat"2. Ner­ kraten-Ecke, wenn ihre Kunst vom Volk ab­ iinger verweigerte im Gegenzug seine Zustim­ gelehnt wird. Vielleicht hat jeder die Freiheit, mung zum Abdruck eines programmatischen seinen Standpunkt zum Volksganzen zu be- 3 Zur Auseinandersetzung zwischen Hofer und Ner­ 1 Schnittke, Anatol: Dreißig Jahre sowjetische Male­ iinger siehe: Dollichon, Elfi: Kunstpolitik im östlichen rei, in: bildende kunst, H. 7 (1947), S. 4-7. Nachkriegsdeutschland. Mit besonderer Berücksichti­ gung des Landes Thüringen von 1945 bis 1952, Ham­ 2 Karl Hof er an Oskar Neriinger, 29.11.1947, zit. n.: burg 1992, S. 110-125. Feist, Günter/Gillen, Eckhart (Hrsg.): Kunstkombinat DDR. Daten und Zitate zur Kunst und Kunstpolitik 4 Hofer, Karl: Kunst und Politik, in: bildende kunst, der DDR 1945-1990, Berlin 1990, S. 13. H. 10 (1948), S. 21. Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlicbkeit 75 stimmen; wenn er aber seine gesellschaftliche einem Artikel in der von der Sowjetischen Mi­ Ecke gewählt hat, dann unterliegt er allen Be­ litäradministration in Deutschland (SMAD) he­ dingungen dieser Wahl, auch den die Kunst rausgegebenen „Täglichen Rundschau" vom 19. betreffenden. Er kann nicht erwarten, daß und 24. November 1948 mit dem Titel „Über er über die gewählte Ecke hinaus noch Be­ die formalistische Richtung in der deutschen achtung finden kann oder gar beanspruchen Malerei"
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