Originalveröffentlichung in: Freigang, Christian (Hrsg.): Das "neue" Frankfurt : Innovationen in der Frankfurter Kunst vom Mittelalter bis heute ; Vorträge der 1. Frankfurter Bürger-Universität, Wiesbaden 2010, S. 74-86 Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit

Thomas Kirchner auf sich, da es ihr nicht oder nicht ausreichend gelungen war, sich einem breiten Publikum Frankfurt und die Malerei der Moderne: Da­ verständlich zu machen, dabei aber - und dies bei denkt man vielleicht zunächst an die späten unterschied die Situation in Deutschland von 20er Jahre, in denen die Stadt durch kommuna­ den übrigen westlichen Ländern - eine große le Kulturpolitik und privates Mäzenatentum zu Sichtbarkeit besaß, hatten sich doch hier die einem Ort künstlerischer Innovation avancierte Museen und die privaten Sammlungen in einem und u.a. so bedeutenden Vertreter der Moderne hohen Maße der Moderne geöffnet. Dabei hatte wie Max Beckmann oder für zumindest ein Teil der Moderne anfangs durch­ die Kunstschule des Städel gewonnen werden aus mit den Ideen der Nationalsozialisten ge­ konnten. Weniger bekannt ist die zentrale Rolle liebäugelt. Emil Noldes Parteimitgliedschaft in der Mainmetropole für die Kunst nach dem 2. der NSDAP ist bekannt, auch Ernst Ludwig Weltkrieg. Um sie besser einschätzen zu können, Kirchners tiefe Enttäuschung, von den neu­ scheint es indes hilfreich, ein wenig auszuho­ en Machthabern nicht als Repräsentant einer len. Die Ausführungen nehmen ihren Ausgang neuen, dezidiert .deutschen' Kunst anerkannt von dem Versuch einer Neuorientierung der zu werden. Und ein Teil der Nationalsozialis­ Kunst nach dem Niedergang des Dritten Rei­ ten - unter ihnen der Propagandaminister Jo­ ches, wie man ihn mit besonderem Nachdruck seph Goebbels - war eine Zeitlang durchaus in und im Osten Deutschlands beobach­ gewillt, das Angebot anzunehmen und den ten kann, um sich schrittweise dem Südwesten deutschen Expressionismus als die Kunst der des Landes und Frankfurt zu nähern. Der na­ faschistischen Bewegung anzuerkennen. Das tionale, ja europäische Kontext erhellt die zen­ Verhältnis von moderner Kunst und faschis­ trale Rolle der Stadt für die Entwicklung der tischem Staat war somit nicht frei von Wider­ Nachkriegsmoderne. sprüchen, was auch damit zusammengehangen Die bildende Kunst ist in Deutschland wäh­ haben mag, dass unter der Idee der Moderne die rend des Nationalsozialismus mehr als viele unterschiedlichsten künstlerischen Bestrebun­ andere Bereiche der Kultur in Mitleidenschaft gen zusammengefasst wurden. Und dieser un­ gezogen worden. Nachdem sie in den zwanzi­ spezifische Begriff der Moderne prägte auch die ger Jahre einen Höhepunkt erreicht, auch inter­ Diskussionen nach dem Ende des 2. Weltkrie­ nationale Anerkennung gefunden hatte, war ges und der Befreiung vom Faschismus, was er­ sie durch die Machthaber - anders als etwa im klären mag, dass das Jahr 1945 für die bildende ebenfalls faschistischen Italien - einer extre­ Kunst nicht die Stunde Null für eine neue, von men Kontrolle unterzogen worden. Die gesam­ den Lasten der Geschichte befreite Kunst war. te Moderne, egal welcher Ausrichtung, wurde Zwei Strömungen der Moderne lassen sich in unterdrückt, die Konsequenzen sind hinrei­ den zwanziger Jahren unterscheiden. Sie kön­ chend bekannt: Die Werke wurden aus den Mu­ nen mit den Begriffen ,Figuration' und Abs­ seen entfernt, zerstört oder verkauft, den be­ traktion' umrissen werden: eine gegenständ­ troffenen Künstler blieb häufig nur die Flucht, liche Kunst, etwa in Weiterentwicklung des oder sie gingen in die innere Emigration, ei­ Expressionismus, in Frankfurt besonders durch nige passten sich den neuen Vorstellungen an. Max Beckmann vertreten, oder in der Form der Schlupfwinkel gab es nur wenige, die bildende Neuen Sachlichkeit, und eine abstrakte, präzi­ Kunst wurde von den faschistischen Machtha- ser eine ungegenständliche Kunst, etwa eines bern wie auch die Literatur mit großem Arg­ oder in der Form der be­ wohn verfolgt. Der Grund hierfür lag weniger sonders am gepflegten geometrischen - wie in der Literatur - in den vermittelten In­ Abstraktion. Die beiden Strömungen standen halten, war doch zumindest ein Teil der Moder­ durchaus in Konkurrenz zueinander, und die­ ne bestrebt gewesen, von konkreten Gehalten se sollte nach dem 2. Weltkrieg wieder aufleben, abzusehen, um sich auf spezifisch künstlerische mitunter sogar in offene Feindschaft übergehen. Fragen konzentrieren zu können. Die moderne Gemeinsam agierte man, wenn es darum ging, Kunst zog die Aufmerksamkeit der Machthaber die Kunst des Dritten Reiches zu überwinden

74 Thomas Kirchner und die Künstler zu bekämpfen, die als Nazi- Artikels von Hofer.3 In der Oktoberausgabe Akteure galten und nun versuchten, ihre Posi­ 1948 der „bildenden kunst" trugen die beiden tion zu wahren. Sobald aber die Frage in den Herausgeber ihren Disput öffentlich aus. Hofer Vordergrund rückte, wie eine nachfaschistische beharrte auf einer Kunst, die frei von einer poli­ moderne Kunst auszusehen habe, schieden sich tischen Einflussnahme ist. Zentral für ihn war, die Geister. In den Diskussionen lassen sich deutlich ein­ „daß Forderungen außerkünstlerischer Art an zelne Phasen unterscheiden. Am Anfang stand die Kunst nicht gestellt werden sollten. Erfolg die Überwindung der Nazikunst im Vorder­ und Resultat solcher Forderungen haben wir grund, was eine Offenheit gegenüber unter­ im zwölfjährigen Reich zur Genüge erlebt, schiedlichen künstlerischen Ansätzen bedingte. und man wird einsehen müssen, dass es sich Diese wurden akzeptiert, sofern sie nur poli­ gleich bleibt, ob diese Forderungen dem Gu­ tisch unverdächtig schienen. Dies belegt etwa ten oder dem Bösen dienen sollen. Nicht das die erste „Allgemeine Deutsche Kunstausstel­ Soll, das Muß ist entscheidend, der Impuls lung" in Dresden von 1946, auf der alle Stile von innen, nicht der von außen. Die Kunst von abstrakt bis gegenständlich vertreten waren. kann so zeitgestaltend, ja so politisch sein wie Aber bereits 1948 zeichnete sich ab, dass der bis sie nur mag, nur muß es innerhalb ihrer Ge­ dahin gepflegte Konsens nicht mehr trug. Mit setzlichkeit geschehen."4 zunehmender Heftigkeit wurde darüber dis­ kutiert, ob die neue Kunst eine politische zu Dem hielt Neriinger die politische Verpflich­ sein oder sich auf im engeren Sinne künstleri­ tung der Kunst entgegen: sche Fragen zu konzentrieren habe. Der Ort, an dem diese Diskussion am schärfsten ausge­ „Man spricht vom .inneren reinkünstlerischen tragen wurde, war Berlin und die Sowjetischen Zwang und Drang', vom .inneren Muss' und Besatzungszone. Eine zentrale Rolle spielte da­ ist stolz auf die Unpopularität, die als (falsch bei Karl Hof er, der 1934 seine Professur an den verstandenes) Maß der eigenen künstleri­ Vereinigten Staatsschulen in Berlin verloren hat­ schen Bedeutung gewertet wird. Man lächelt te und mit Ausstellungs- und Malverbot belegt ironisch über die (zwar gut gemeinten, aber worden war. 1945 war er zum Direktor der nun ebenso falschen) Forderungen .volksnaher' zur Hochschule für bildende Künste umbe­ Kunst, der .Kunst fürs Volk', man spricht nannten Kunstakademie ernannt worden. Seit verächtlich von .Politisierung' der Kunst, und April 1947 gab er gemeinsam mit Oskar Ner­ glaubt sich gesichert vor derlei Banalitäten in iinger die sowjetisch lizenzierte Zeitschrift „bil­ der Ecke der .reinen Kunst' und merkt nicht, dende kunst" heraus. Schon bald zeichnete sich wie eminent politisch dieser Standpunkt in der Konflikt ab. Neriinger versuchte die Zeit­ der Ecke ist. Man will nicht sehen, dass es schrift zusehends im Sinne eines Sozialistischen überhaupt keinen Standpunkt ohne politische Realismus auszurichten. Hofer wehrte sich Wirkung geben kann, daß jedes Verhalten, gegen diese Bemühungen, die etwa in einem auch das .unpolitische', eine politische Wir­ Artikel von Anatol Schnittke „Dreißig Jahre so­ kung hat. Man beruft sich auf die Demokratie, wjetische Malerei" fassbar wurden.1 Er meinte auf die Freiheit der Kunst. Dieser Ruf kommt zu der dort propagierten Malerei, „dass dieser immer dann aus der ästhetischen Kunstaristo­ Schund nichts mit Kunst zu tun hat"2. Ner­ kraten-Ecke, wenn ihre Kunst vom Volk ab­ iinger verweigerte im Gegenzug seine Zustim­ gelehnt wird. Vielleicht hat jeder die Freiheit, mung zum Abdruck eines programmatischen seinen Standpunkt zum Volksganzen zu be-

3 Zur Auseinandersetzung zwischen Hofer und Ner­ 1 Schnittke, Anatol: Dreißig Jahre sowjetische Male­ iinger siehe: Dollichon, Elfi: Kunstpolitik im östlichen rei, in: bildende kunst, H. 7 (1947), S. 4-7. Nachkriegsdeutschland. Mit besonderer Berücksichti­ gung des Landes Thüringen von 1945 bis 1952, Ham­ 2 Karl Hof er an Oskar Neriinger, 29.11.1947, zit. n.: burg 1992, S. 110-125. Feist, Günter/Gillen, Eckhart (Hrsg.): Kunstkombinat DDR. Daten und Zitate zur Kunst und Kunstpolitik 4 Hofer, Karl: Kunst und Politik, in: bildende kunst, der DDR 1945-1990, Berlin 1990, S. 13. H. 10 (1948), S. 21.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlicbkeit 75 stimmen; wenn er aber seine gesellschaftliche einem Artikel in der von der Sowjetischen Mi­ Ecke gewählt hat, dann unterliegt er allen Be­ litäradministration in Deutschland (SMAD) he­ dingungen dieser Wahl, auch den die Kunst rausgegebenen „Täglichen Rundschau" vom 19. betreffenden. Er kann nicht erwarten, daß und 24. November 1948 mit dem Titel „Über er über die gewählte Ecke hinaus noch Be­ die formalistische Richtung in der deutschen achtung finden kann oder gar beanspruchen Malerei" neben , Marc Chagall kann."5 und Karl Schmidt-Rottluff besonders auch die Werke Karl Hofers als „Hoffmanniade in der Hof er sollte sich nicht durchsetzen. Schritt für Malerei", „Mummenschanz", „Wirklichkeits­ Schritt siegte die Position eines Sozialistischen fälschung" und „Karneval der Missgeburten" Realismus.6 Bereits 1946 hatten sich anlässlich abkanzelte (Abb. S. 77). der „Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung" in Dresden erste Stimmen zu Wort gemeldet, „Kein Zweifel: der Faschismus ist nicht spur­ die sich vehement gegen einen Formalismus zur los vorübergegangen und hat einen erheb­ Wehr setzten, d.h. gegen eine Kunst, die sich auf lichen Teil des deutschen Volkes in vieler ihre formalen Qualitäten konzentrierte und sich Hinsicht verdorben. Aber das rettet die de­ nicht einem Primat des Inhalts beugte.7 Sie soll­ kadent-formalistische Kunst keineswegs vor ten auf Gehör stoßen.8 Die Auseinandersetzun­ der Kritik des Volkes. Im Grunde hat das gen setzten sich fort. War der Ton am Anfang Volk gesunde Ansichten über die Kunst, die noch vergleichsweise moderat,9 so verschärfte er Kunst der Formalisten aber ist krank und un­ sich spätestens, als der Leiter der Sowjetischen lebendig und das deutsche Volk befreit sich Militäradministration, Alexander Dymschitz, in von dem Einfluss der faschistischen .Ästhetik' sehr viel schneller, als die Herren Formalis­ ten dies aus ihrer .schönen Einsamkeit' heraus 5 Neriinger, Oskar: Politik und Kunst, in: bildende fassen können."10 kunst, H. 10 (1948), S. 24-25. Eine weitere Entgegnung auf Hofers Artikel: Lange, Helmut: Politische Kunst?, Zwar meldeten sich auch Gegenstimmen, in: bildende kunst, H. 9 (1949), S. 292-297. etwa von Herbert Sandberg,11 die einzuschla­ 6 Zur Formalismusdebatte siehe: Dollichon: Kunst­ gende Richtung war jedoch benannt: „Der For­ politik, S. 64-85, zusammenfassend siehe auch: Feist/ malismus ist eine Dekadenzerscheinung", so Gillen (Hrsg.): Kunstkombinat DDR, S. 15-19. urteilte Fritz Erpenbeck in einem Aufsatz „For­ 7 So entbrannte in Kritik an der Ausstellung in der malismus und Dekadenz" vom April 1949.12 Presse eine Auseinandersetzung um die Ausrichtung Richteten sich diese Attacken noch vornehm­ einer neuen Kunst. Siehe: Lindner, Bernd: Kunstre­ lich gegen die ,dekadenten' Künstler des Wes­ zeption in der DDR, in: Feist, Günter u.a. (Hrsg.): tens, so suchte ein Autor unter dem Pseudonym Kunstdokumentation SB2/DDR. 1945-1990. Aufsät­ N. Orlow13 in einem in der „Täglichen Rund- ze, Berichte, Materialien, Köln 1996, hier bes. S. 65-69; und ders.: Verstellter, offener Blick. Eine Rezeptions­ geschichte bildender Kunst im Osten Deutschlands 10 Dymschitz, Alexander: Uber die formalistische 1945-1995, Köln u.a. 1998, S. 70-86. Richtung in der deutschen Malerei, in: Tägliche Rund­ 8 Lindner (Kunstrezeption, S. 82) konstatiert, dass schau, 19. und 24.11.1948. sich während der Laufzeit der Ausstellung das kultur­ 11 Siehe: Sandberg, Herbert: Der Formalismus und die politische Klima veränderte, eine vergleichsweise Of­ neue Kunst, in: Tägliche Rundschau, 17.12.1948; der fenheit einer Dogmatik im Sinne der Kommunistischen Autor hebt darin die ästhetischen Qualitäten der Werke Partei zu weichen hatte. von und Franz Marc hervor, diese gelte es 9 Etwa wenn Walter Eschbach und Max Grabowski weiter zu verfolgen. Andernfalls laufe die Kunst Ge­ 1947 die unterschiedlichen künstlerischen Richtungen fahr, steril zu werden. gegeneinander abwogen, um dann aber doch eine rea­ 12 Erpenbeck, Fritz: Formalismus und Dekadenz, in: listische Kunst zu fordern; siehe: Eschbach, Walter: Bil­ Theater der Zeit, H. 4 (1949), wiederabgedruckt in: dende Kunst ohne Bekenntnis, in: Einheit, Juli 1947; Schubbe (Hrsg.): Dokumente, S. 109-115, hier S. 114. Grabowski, Max: Zur bildenden Kunst der Gegenwart, in: Einheit, Oktober 1947. Die beiden Texte sind wie­ 13 Zu der Frage, wer sich hinter dem Pseudonym ver­ derabgedruckt in: Elimar Schubbe (Hrsg.): Dokumen­ bergen könnte, siehe: Stuber, Petra: Spielräume und te zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED, Grenzen. Studien zum DDR-Theater, Berlin 1998, S. Band 1, Stuttgart 1972, S. 71-73 und S. 73-75. 112-114.

76 Thomas Kirchner schau" vom 20./21. Januar 1951 erschienenen Artikel mit dem Titel „Wege und Irrwege der modernen Kunst" nach Formalismen in den eigenen Reihen. Damit war die zweite Etap­ pe der Diskussion eröffnet, der unter anderem Horst Strempel zum Opfer fiel. Am aufsehen­ erregendsten war aber sicherlich die Abrech­ nung Orlows mit den alten Heroen kritischer Kunst und Käthe Kollwitz. Be­ sondere mit letzterer ging der Autor wenig glimpflich um:

„[...] Käthe Kollwitz war niemals die Stamm­ mutter einer proletarischen Kunst in Deutsch­ land. Käthe Kollwitz sah in den Arbeitern und in den Werktätigen überhaupt nur den leidenden Teil des Volkes. [...] Die Arbei­ terklasse ist indessen, was heute sogar jeder gimes yegen seiner Mitgliedschaft in der SPD Schuljunge weiß, bei weitem nicht nur eine und seines Engagements für die Liga für Men­ leidende und glücklose Klasse. Die Arbeiter­ schenrechte, wohl auch wegen seines konse­ klasse führt und leitet alle Werktätigen im quenten Einsatzes für die moderne Kunst, aus Kampf um die Befreiung der Gesellschaft von allen Ämter entfernt worden war.15 1947 war den Fesseln des Imperialismus."14 Grohmann einem Ruf an die von Hofer geleite­ te Berliner Hochschule für bildende Künste ge­ Es galt also den neuen Menschen und die Er­ folgt. Ungeachtet dieser gemeinsamen Uberzeu­ folge des Sozialismus darzustellen und nicht das gung gerieten die beiden jedoch bald in einem Leid der Menschen. Die Konsequenzen dieser anderen Punkt in einen heftigen Streit, der die neuen Politik zeigten sich deutlich 1953 auf der dritte Phase der Entwicklung nach 1945 be­ „III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden". schreibt: die Kontroverse um Abstraktion und Alles, was formalistische Tendenzen aufwies, Figuration. Die Auseinandersetzung war eine wurde ausjuriert: Werke von Heinrich Ehmsen, ausschließlich westdeutsche, die von Seiten der Conrad Felixmüller oder Willi Sitte, auch von DDR allenfalls mit ideologischen Invektiven , egal ob die Künstler nun aus dem begleitet wurde. Wichtiger Austragungsort war Westen oder aus dem Osten des Landes kamen. wiederum Berlin, nun aber West-Berlin, wo die Damit war deutlich, dass die Kunst in den beiden Protagonisten der Auseinandersetzung beiden mittlerweile gegründeten deutschen wirkten, aber die Debatte ergriff ebenfalls ande­ Staaten unterschiedlichen, ja einander ausschlie­ re Zentren in den westlichen Besatzungszonen ßenden Vorstellungen folgte. Eine Kommuni­ beziehungsweise in der Bundesrepublik. Nach­ kation war nicht mehr möglich. Die Kunst in dem sich in der Formalismus-Debatte immer der DDR wurde immer mehr auf das Konzept deutlicher abzeichnete, dass eine Kommunika­ des Sozialistischen Realismus verpflichtet, die tion mit der SBZ/DDR und damit eine gesamt­ Kunst in der Bundesrepublik verständigte sich deutsche Kunst unmöglich waren, richteten die weitgehend darauf, dass sie unpolitisch zu sein beiden Berliner Akteure ihre Aufmerksamkeit habe. In diesem Postulat stimmte Karl Hofer gen Westen. So ist die Auseinandersetzung bei auch mit dem wohl wichtigsten Kunstkritiker allem Lokalkolorit eingebettet in eine Diskus­ der Nachkriegszeit, Will Grohmann, überein, sion, die auch und vor allem auf nationaler Ebe­ der in Dresden schlechte Erfahrungen mit der ne geführt wurde, insbesondere im Deutschen sowjetischen Kulturverwaltung gemacht hat­ Künstlerbund. Und auch hier treffen wir auf te, nachdem er ebenfalls während des Nazi-Re-

15 Zu Will Grohmann siehe: Ausst.-Kat. In memoriam Will Grohmann 1887-1968. Wegebereiter der Moderne 14 Orlow, N.: Wege und Irrwege der modernen Kunst, (Stuttgart, Staatsgalerie, 5. Dezember 1987 bis 17. Ja­ in: Tägliche Rundschau, 20.1.1951. nuar 1988), Stuttgart 1987.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit 77 die beiden Berliner Kontrahenten Hofer und „Es gibt heute Zeitgenossen, die nur und aus­ Grohmann. Der Künstlerbund war - nach sei­ schließlich eine Schau abstrakter Kunst gel­ ner Auflösung durch die Nationalsozialisten ten lassen wollen. [...] Die Zeitgenossen sind - im Jahre 1950 u. a. durch Hofer neu gegrün­ immer noch hypnotisiert von dem militäri­ det worden, der auch den Vorsitz übernahm. schen Begriff des Avantgardismus, sie haben Eine Reihe von ungegenständlich arbeitenden nicht bemerkt, dass längst ein ganzer Heer­ Künstlern fühlte sich jedoch von ihm nicht an­ bann aufmarschiert ist, um bei den militä­ gemessen vertreten. Dieser fügte etwa in seinen rischen Begriffen zu bleiben, ein Heerbann, Eröffnungsreden zu den jährlich abgehaltenen der bereits bedenklich nach seiner Nachhut Ausstellungen des Bundes immer wieder Spit­ aussieht."16 zen gegen die Abstrakten ein. So tat er die un­ gegenständliche Kunst als rein dekorativ ab, sie Wichtige Vertreter der ungegenständlichen sei „aus dem Tempel der Kultur in das Variete, Kunst wie Willi Baumeister, Ernst-Wilhelm den Zirkus übergewechselt", und beschwor de­ Nay und sollten aufgrund solcher ren unmittelbar bevorstehendes Ende herauf. und ähnlicher Äußerungen den Künstlerbund enttäuscht verlassen. Energischer Streiter für die derart von Hofer attackierten Ungegenständ­ lichen war immer wieder sein Berliner Kollege Grohmann. Neben umfangreichen publizisti­ Vi schen Aktivitäten war er vor allem durch Mono­ graphien über , Wassily Kandinsky und Paul Klee hervorgetreten. Mit der Auseinandersetzung um Figuration und Abstraktion nähern wir uns nun endlich dem Südwesten Deutschlands, und hierbei ge­ rade auch Frankfurt. Denn hier wirkten wich­ tige Künstler, die sich der Abstraktion ver­ schrieben hatten, insbesondere die genannten f Willi Baumeister in Stuttgart (Abb. S. 78 o.) und Ernst-Wilhelm Nay im nahe Frankfurt gelege­ t nen Hofheim im Taunus (Abb. S. 78 u.). Und im Südwesten fand auch die Veranstaltung 4 statt, die versuchte, die Auseinandersetzung vor einem breiteren Hintergrund auszutragen: das erste Darmstädter Gespräch „Zum Menschen­ bild unserer Zeit" im Jahre 1950. Johannes It- Willi Baumeister, ten, der am Weimarer Bauhaus gewirkt hatte Schwarzes Phantom, und nun in Zürich lebte, hielt den Eröffnungs­ 1952 (Madrid, vortrag mit dem Titel „Uber die Möglichkeiten Museo Thyssen- der modernen Kunst". Das Gegenreferat „Uber Bornemisza) die Gefahren der modernen Kunst" hielt der bis 1945 in Wien lehrende Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, ihm war die Rolle des theoretischen Ernst-Wilhelm Nay, Hauptes der Gegenständlichen zugedacht. Die 1 Mit Mauer Domi­ Diskussionen waren gekennzeichnet durch hef- nante 1,1951 (Ol­ denburg, Landesmu­ 16 seum für Kunst und Hofer, Karl: Rede zur Eröffnung der zweiten Aus­ stellung des Künstlerbundes in Köln 1952, in: Karl Kulturgeschichte; Hofer. Ich habe das Meine gesagt. Reden und Stel­ aus: Werner Haft­ lungnahmen von Karl Hofer zu Kunst, Kultur und mann: E. W. Nay, Deutschland 1945-1955, hrsg. v. Christine Fischer- Köln 1991, S. 161, • Defoy und der Karl Hofer-Gesellschaft, Berlin 1995, Abb. 55) S. 211.

78 Thomas Kirchner tige Kontroversen, an denen sich auch Willi abstrakten Malern passieren konnte. Schon Baumeister beteiligte. allein die Tatsache, sich plötzlich mit einem Sedlmayr leistete mit seinem von einem tie­ van Gogh, mit einem Cezanne im gemeinsa­ fen Kulturpessimismus getragenen Referat den men Topf der ,entarteten Kunst' zu finden, Vertretern der Gegenständlichkeit einen Bä­ bedeutete für sie die historisch nicht mehr rendienst. Zwar wollte er seine Ausführungen erwartete Chance, an sich selbst hoffnungs­ nicht als Werturteile verstanden wissen, son­ volle Wiederbelebungsversuche vornehmen dern lediglich als Beschreibungen der aktuel­ zu können, und so haben denn 1945, nach len Situation;17 dies wurde dem Kunsthistoriker dem Zusammenbruch, gerade die dekaden­ aber nicht abgenommen. Seine Vergangenheit testen Kitschiers und Nichtskönner am lau­ als Anhänger des Nationalsozialismus war noch testen von ihrer .Unterdrückung' geschrien, nicht vergessen. Und so trug er sicherlich dazu ähnlich wie zur selben Zeit kriminelle KZler bei, dass die Position der Gegenständlichen am auffälligsten mit dem Glorienschein des zunehmend mit dem Label ,konservativ' ver­ politischen Märtyrertums prunkten."19 sehen wurde. Den Begriff der Moderne über­ ließ man damit weitgehend den Vertretern der Ungeachtet der Polemik und der von Groh- Abstraktion. mann angeprangerten Nähe der Formulierun­ Bei der Auseinandersetzung ging es nicht nur gen zur Nazi-Sprache20 steht der Wunsch im um unterschiedliche künstlerische Positionen. Vordergrund, in gewissem Sinne die Jahre des Es ging auch um die Frage, wie mit der Vergan­ Dritten Reiches ungeschehen zu machen, die genheit umzugehen sei, wie die zwölf Jahre Na­ Uhr zurückzudrehen und dort wieder anzu­ ziregime zu verarbeiten seien. Und hier trafen setzen, wo die Entwicklung abgebrochen war, die Positionen hart aufeinander. Hofer blickte nämlich im Jahre 1933. Karl Hofer versuchte im gewissen Sinne zurück: Er wollte an den Zu­ dies auch ganz konkret auf künstlerischer Ebe­ stand von 1933 anknüpfen. Er konstatierte, wie ne. Als 1943 sein Atelier in Berlin ausgebombt auch andere Vertreter der Gegenständlichen, und damit der größte Teil seines Werke vernich­ etwa Rudolf Schlichter18, dass die Ungegen- tet wurde, begann er sein zerstörtes Werk neu ständlichkeit eine kurze Phase gewesen sei, die zu malen. sich bereits zu Beginn der dreißiger Jahre über­ Ganz anders Grohmann: Er blickte nicht zu­ lebt hatte, und es somit keine Notwendigkeit rück, sondern nach vorne. Er hatte auch wäh­ gebe, die Versuche wieder aufzunehmen. Die rend der Nazizeit im Ausland über die moderne Diskussion eskalierte. So bemerkte etwa der Kunst publiziert und war sich darüber im Kla­ in München lebende Komponist, Dirigent und ren, dass sich die Kunst in diesen Jahren weiter­ Musikschriftsteller Aloys Melichar in seinem entwickelt hatte, ja dass die Entwicklung nach von der Kunstszene breit rezipierten und etwa dem Krieg in den Vereinigten Staaten und bald von Schlichter hoch gelobten Buch .Überwin­ auch in Frankreich einen Sieg der Ungegen­ dung des Modernismus': ständlichen zum Ergebnis haben sollte. Er woll­ te die deutsche Kunst wieder an die internatio­ „In dieser Situation [der sterbenden Moderne nale Entwicklung heranführen, sah in der Kunst 1933] war Hitlers generelles Verbot des Ex­ eine internationale Sprache, wohingegen Hofer, pressionismus natürlich das Beste, was den ohne dies zu reflektieren, eigentlich einen deut­ schen Sonderweg verfolgte.

17 Sedlmayr, Hans: Uber die Gefahren der modernen Kunst, in: Hans Gerhard Evers (Hrsg.): Darmstädter 19 Melichar, Alois: Uberwindung des Modernismus. Gespräch. Das Menschenbild unserer Zeit, Darmstadt Konkrete Antwort an einen abstrakten Kritiker, Frank­ 1950, S. 48-62, siehe dazu auch: Die Besprechung der furt am Main 1954, S. 33, ähnlich auch Hans Sahl in Tagung von Kurt Leonhard, in: Das Kunstwerk IV, H. seiner Besprechung von Melichars Buch: Wie modern 8/9 (1950), S. 103, wiederabgedruckt in: Ausst.-Kat. ist die moderne Kunst? Ein Diskussionsbeitrag, in: Der Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939 (Köln, Monat, H. 76 (1955), S. 353-357; siehe auch Schlich­ Messehallen, 30. Mai bis 16. August 1981), hrsg. v. Laz­ ters positive Bemerkung zu Melichars Buch: Schlichter: io Glozer u.a., Köln 1981, S. 183. Kritik, S. 284.

18 Schlichter, Rudolf: Kritik der abstrakten Kunst, in: 20 Grohmann, Will: Der Kritiker ist für die Kunst, in: Der Monat, H. 75 (1954), S. 284. Der Monat, H. 78 (1955), S. 547.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit 79 Die Akteure dieser Diskussionen waren Män­ nichts zurückgreifen konnten, was sie bereits ner im fortgeschrittenen Alter und hatten schon vor 1933 entwickelt hätten. Für sie bedeutete vor 1933 ihren künstlerischen Weg gefunden. der Niedergang des Faschismus die Notwen­ Hofer war zum Zeitpunkt der Auseinanderset­ digkeit, künstlerisch wirklich bei Null anzufan­ zungen bereits über siebzig, der 1887 geborene gen, sie waren gezwungen, das, was sie erfahren Grohmann nur zehn Jahre jünger, Baumeister hatten, über Bord zu werfen und von vorne zu im gleichen Alter, der jüngste unter ihnen war beginnen. Wenn es also eine Stunde Null in der der 1902 geborene Nay. Die Künstler hatten be­ deutschen Kunst gab, dann war sie jetzt. reits vor 1933 Erfolg gehabt, ihre Werke hatten Ein zentraler Tag für diese sich formierende Eingang in die Museen gefunden, waren dann neue Kunst, von der man noch nicht genau wuss- als entartet gebrandmarkt und aus den Samm­ lungen entfernt, häufig auch zerstört worden. Grohmann war in seinem Bereich ähnliches wi­ derfahren. Sie alle waren von Aufbruchswillen gekennzeichnet, mitunter aber auch noch ver­ bittert über die erfahrenen Verluste während der Nazizeit. Der Ausgangspunkt ihrer Überle­ neuexpressionisten gungen liegt ungeachtet ihrer Ausrichtung aber in der Zeit vor 1933. Die Diskussionen sind nicht vergleichbar mit den Auseinandersetzun­ gen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, in denen eine junge Künstlergeneration vehe­ ment für eine neue Kunst gekämpft hatte, die al­ les Vorangegangene in Frage stellte und die die Erschütterungen, die der Krieg für das gesamte gesellschaftliche und kulturelle Leben bedeutet hatte, zu verarbeiten versuchte. 1945 fand kein vergleichbarer Aufbruch statt, der Wunsch, et­ was völlig Neues zu gestalten, ein revolutionä­ rer Impetus, war nicht erkennbar. Wie in ande­ Ausstellungsplakat ren Bereichen konzentrierte man sich auch in ,Neuexpressionisten der bildenden Kunst auf Aufräumarbeiten. Kreutz-Schultze- Das wirklich Neue zeigte sich erst in einer Greis-Götz', 1952 vierten Phase, die 1951/52 einsetzte. Die Akteu­ re waren wesentlich jünger, die meisten kurz vor te, in welche Richtung sie sich entwickeln sollte, dem oder während des Ersten Weltkrieges gebo­ war der 11. Dezember 1952. An diesem Tag wur­ ren. Ihre berufliche Formierung hatten sie wäh­ de in der Zimmergalerie Franck in der Böhmerstr. rend der Nazizeit erfahren, häufig an Kunst­ 7 im Frankfurter Westend die Ausstellung „Neu­ hochschulen, die von den Nazis gleichgeschaltet expressionisten Schultze-Kreutz-Greis-Götz" worden waren und in denen eine ideologisch ge­ eröffnet (Abb. S. 80).21 Die Resonanz auf die färbte realistische Kunst im Sinne der Machtha­ Ausstellung, die nur 13, ausschließlich neue und ber propagiert wurde. Meist hatten sie am Krieg wegen der Räumlichkeit vornehmlich kleinfor­ teilgenommen. Die neue Kunst entwuchs nicht matige Werke präsentierte, war überwältigend. der Uberzeugungskraft eines Künstlers, der Noch während der Eröffnung verfasste der Li­ einer nachfolgenden Generation den Weg wies, terat Rene Hinds ein Prosa-Poem, das seine Ein- wie dies in Frankreich etwa Picasso geleistet hat­ te. Auch entsprang sie nicht einem Aufbegeh­ 21 ren einer jungen Generation gegen ihre Lehrer, Zur „Quadriga", ihrer Geschichte, der Ausstellung letztere hatten ihre künstlerische und wohl auch und der Bedeutung der Zimmergalerie Franck sie­ he umfassend: Ausst.-Kat. Entfesselte Form. Fünfzig moralische Autorität bereits mit dem Ende des Jahre Frankfurter Quadriga (Frankfurt am Main, Stä- Faschismus eingebüßt. Die jungen Künstler wa­ delsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, 1. De­ ren vielmehr - anders als ihre Vatergeneration zember 2002 bis 5. Januar 2003), hrsg. v. Sigrid Hofer, - zu einem Neuanfang gezwungen, da sie auf Frankfurt am Main /Basel 2002.

80 Thomas Kirchner drücke und die Stimmung des Abends wiederzu­ geben versuchte (Abb. S. 81)

„Auf dem ebenso problemkonstellierten wie meinungsbunt gewürfelten Schachfeld der jungen, deutscheuropäischen Malerei bietet m ein Viergespann dem Provinzialismus der Eckensteherei ein unüberhörbares ,avant-gar- dez'. [...] Ein Viergespann gegen Vermark­ tete oder Mietpferde - einen Markt, der zur öffentlichen Lebensrettung der Kunst seine Denkmalrösser von hinten aufzäumt. [...] Sturmschritt einer Quadriga malbesessener, um viele Halslängen dem Pferdchenkarusell, der Schindmährenkoppel, den Manegetumm- lern oder Pferdeverstandeszüchtern Runden voraus [...]."22

Damit war der Name gefunden, der die vier Künstler weiter begleiten sollte, der von nun Zeit lebten. So heißt es auch in einer Bespre- Ausstellung „Neuex- an auch für Frankfurt und seinen Beitrag zur chung der Ausstellung von Doris Schmidt in pressionisten", Zim- Nachkriegsmoderne stehen sollte: „Quadriga". der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. mergalerie Franck, Die sich formierende neue Kunst nahm Gestalt Dezember 1952: Frankfurt, 1952 an. Dass man sich in ihrer Definition noch unsi­ cher war, zeigt der Titel der Ausstellung: „Neu­ „Die Ausstellung [...] will keine Gruppenbil­ expressionisten". Er wirkt wie eine Notlösung, dung im strengen Sinne. Dennoch wirkt sie verweist einerseits auf den deutschen Expres­ bei aller Verschiedenheit der Temperamente sionismus, hat somit einen nationalen Bezug, und der Wege, die der einzelne hinter sich scheint aber auch er unter dem Eindruck des hat, erstaunlich geschlossen. Es sind sozusa­ amerikanischen abstrakten Expressionismus gen Weggenossen, die sich hier zusammen­ gewählt worden zu sein und damit ein deut­ gefunden haben."24 liches Bekenntnis zum Internationalismus zu beinhalten. Karl Otto Götz war die treibende Kraft der Die vier Künstler - Karl Otto Götz, Otto vier. Er war auch von ihnen am stärksten inter­ Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze23 - national vernetzt. Er wurde 1914 in Aachen ge­ kannten sich seit einiger Zeit, waren miteinan­ boren, ab 1932 studierte er dort an einer Kunst­ der befreundet, verstanden sich jedoch nie als gewerbeschule. Bereits frühzeitig begann er eine Gruppe im klassischen Sinne wie etwa die malerisch zu experimentieren, versuchte auch Dresdner .Brücke' oder der Münchner .Blaue kontinuierlich Kenntnisse von der modernen Reiter'. Auch hatten sie kein Programm, wie es Kunst zu erhalten. So lernte er 1940 seinen spä­ sich im 20. Jahrhundert für nahezu jede avant­ teren Förderer Will Grohmann in Dresden ken­ gardistische Kunst gehörte. Ihre künstlerischen nen, 1943 Rene Magritte in Brüssel, wo er auch Interessen führten sie zusammen, der Ort war Werke von Max Ernst und Miro sah. Dieser Frankfurt, die Stadt, in der sie alle zu dieser Kontakt mit dem Surrealismus sollte ihn und seine Arbeit stark prägen. 1947 konnte er zum ersten Mal nach Paris reisen, wo er mit einer

22 neuen Kunst konfrontiert wurde, die gerade da­ Abgedruckt in: ebd., S. 241. bei war, sich durchzusetzen: dem Tachismus. Er 23 Zu den vier Künstlern und ihrem Werdegang siehe lernte Wols und Georges Mathieu kennen, trat neben der monographischen Literatur Ursula Geiger: Die Maler der Quadriga und ihre Stellung im Informel. Otto Greis, Karl O. Götz, Bernard Schultze, Heinz Kreutz, Nürnberg 1987; siehe auch: dies.: Quadriga, 24 Schmidt, Doris: Qua vadis, pictura? Zu einer Frank­ Frankfurt am Main 1996. furter Ausstellung, in: FAZ, 17.12.1952, S. 8.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit 81 angefertigt hatte, die den Überlegungen einer ,Ecriture automatique' folgten und scheinbar ohne Kontrolle Gebilde schufen, die weitrei­ chende Assoziationen wecken konnten. Nach einer Phase der geometrischen Abstraktion wurde seine Malerei freier, ohne Assoziationen an konkrete Inhalte. Die auf der Ausstellung der Galerie Franck präsentierten Werke zeigen, sicherlich nicht unbeeinflusst von der Vorge­ hensweise von Georges Mathieu, bereits einen spontanen gestischen Zugriff, der seine Malerei bis zuletzt auszeichnen sollte (Abb. S. 82 o.). Otto Greis wurde 1913 in Frankfurt geboren. n Er war Autodidakt, beschäftigte sich stark mit 5£ dem Kubismus und dem Werk von Paul Klee, zeigte sich wie Götz von COBRA beeindruckt und pflegte intensiven Kontakt mit Ernst Wil­ helm Nay. Auch Greis reiste nach Paris und bau­ -J* te dort Verbindungen mit französischen Kolle­ gen auf. Zu Beginn seiner künstlerischen Arbeit Karl Otto Götz, Bild auch in Kontakt zu anderen zentralen Gestalten noch völlig gegenständlich, entwickelte er unter vom 2. 8.1952 - der ,Ecole de Paris'. Außerhalb von Paris war dem Einfluss von Nay eine Abstraktion, die an Komposition II, er besonders von der Gruppe COBRA beein­ die Form, auch an die geometrische, gebunden 1952 (Saarbrücken, druckt, der er 1949 als einziges deutsches Mit­ ist. Als Befreiungsschlag von dem Einfluss Nays Stiftung Saarländi­ glied beitrat. Seit 1946 präsentierte er seine Wer­ und erster Schritt zu einer eigenständigen Kunst scher Kulturbesitz, ke in Einzelausstellungen, unter anderem auch wird sein Werk „Claude" betrachtet, das er vom Saarlandmuseum) in der renommierten Galerie Rosen in Berlin, Dezember 1951 bis März 1952 schuf. Zwar fin­ und hatte bereits eine gewisse Reputation, als er det sich hier noch die konkret umrissene und 1950 nach Frankfurt übersiedelte und sich hier benennbare Form, aber das Spiel mit den zufäl­ insbesondere in der Zimmergalerie Franck stark ligen Flecken, wie sie die französischen Künst­ engagierte. ler betrieben, gewinnt an Bedeutung. In den nur Götz blieb lange dem Surrealismus verpflich­ wenige Monate später entstandenen Werken, tet, nachdem er bereits um 1940 Zeichnungen die er bei der Ausstellung der Galerie Franck zeigte, ist schließlich die konkrete Form völlig überwunden, die Bilder weisen anscheinend - oder auch nur scheinbar - spontan hingewor­ fene Flecken unterschiedlicher Farben auf, die neben- und übereinander angeordnet sind (Abb. S. 82 u.). Der 1923 in Frankfurt geborene Heinz Kreutz ist der jüngste der vier Künstler. Er war Autodidakt, vor seinem Kriegsdienst hatte er eine Ausbildung als Photograph erfahren. Er begann 1946 seine künstlerische Laufbahn mit Otto Greis, Blauer gegenständlichen, dem Expressionismus ver­ Außruch, 1952 r. pflichteten Werken. Unter dem Einfluss von (Mainz, Landesmu­ r Bernard Schultze, den er 1948 kennenlernte, seum, aus: Ausst.- K3 wandte er sich der Ungegenständlichkeit zu, Kat. Entfesselte bewahrte indes die klar umrissene Form noch Form -fünfzig Jahre lange bei, evozierte auch noch konkrete Inhal­ f Frankfurter Quadri­ te. 1951 ermöglichte ihm ein Stipendium einen ga, Frankfurt 2002, längeren Aufenthalt in Paris, er ließ sich jedoch S. 170) nur zögernd auf die dortige Avantgardekunst

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Heinz Kreutz, Roter Skarabäus, 1952 (Dr. Ludwig Baron Döry; aus: Ausst.-Kat. f Entfesselte Form -fünfzig Jahre u Frankfurter Quad­ riga, Frankfurt 2002, ... S. 157) ein. Intensiv beschäftigte er sich mit der Far­ tung. Seine Werke erfuhren eine Befreiung von benlehre, zentrales Thema blieb die Landschaft. festen Formen, erschienen nun wie eine Unter­ 1949 stellte er erstmals in der Galerie Franck suchung von bildnerischen Strukturen. aus. Mit der auf den Ausstellung „Neuexpres­ Wenn Götz der am meisten theoretisch in­ sionisten" gezeigten Werken „Planetarischen teressierte Künstler der „Quadriga" war,25 so Landschaft" und „Roter Skarabäus" (Abb. S. Schultze der Vertreter, der am stärksten die 83) eröffnete aber auch Kreutz einen neuen künstlerische Arbeit reflektierte. Deshalb sei Weg der Malerei. Die Farben laufen ineinander hier - stellvertretend für die Vorgehensweise über, sie erscheinen locker, nicht mehr durch der vier Künstler - Schultzes Beschreibung des eine Form bestimmt. Entstehungsprozesses eines Werkes zitiert. Am Bernard Schultze, 1915 in Westpreußen ge­ Beispiel einer Gouache erläuterte er in einem boren, ist sicherlich der prominenteste der vier Text von 1957 anschaulich die neue Form des Künstler, ja der deutschen Kunst der Zeit. Er Arbeitens: studierte in Berlin Kunsterziehung, in Düssel­ dorf freie Kunst. Besonders beeindruckt zeig­ „Da ist die weiße Fläche, willkürlich werden te er sich - wie Götz - vom Surrealismus. Ab zwei, drei Farben, die gerade zur Hand sind, 1951 reiste auch er mehrfach nach Paris, lernte auf das Papier gebracht - gleichsam mit ge­ ebenfalls die Protagonisten der dortigen Kunst­ schlossenen Augen. Diese - sagen wir - Be­ szene kennen. Unter dem Eindruck der Werke schmutzung der Fläche, das Unregelmäßige von Jackson Pollock wandte er sich zunehmend einer Malerei zu, die sich durch weitläufig aufge­

tragene Farben auszeichnet, auch Momente der 25 Siehe dazu etwa seine autobiographischen Schriften: gestischen Malerei aufgreift (Abb. S. 84). Auch Götz, Karl Otto: Erinnerungen. 4 Bde., Aachen 1993— für ihn war das Jahr 1952 von zentraler Bedeu­ 1999, hier: Bd. 2. 1945-1959, Aachen 1994.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit 83 ,:>• Vergleichen wir Werke der „Quadriga" mit v • Werken von Künstlern, die bis dahin die un­ r gegenständliche Kunst geprägt hatten, von P! i-x Willi Baumeister und Ernst Wilhelm Nay. Wo 0 rVJ Baumeister klar umrissene Farbflächen gegenei­ rSfc nander setzt (Abb. S. 78 o.), gehen die Farben bei Greis ineinander über, eine Abgrenzung findet nicht mehr statt, eine Form ist nicht mehr defi­ 1» nierbar (Abb. S. 82 u.). Und wo Nay äußerst re­ fr flektiert einzelnen Formen Farben zuweist, die 4» Farben aber immer an eine Form bindet (Abb. S. 78 u.), da gibt es bei Schultze Bewegung (Abb. S. 84). Die Formen der Werke sind offen, wenn sie überhaupt noch als Formen definiert werden können. Die Werke sind nicht mehr durchge­ plant, sie folgen nicht einem konstruiertem Bild­ aufbau, sondern scheinen Ergebnis einer spon­ tanen Bearbeitung zu sein. Dabei gewinnt die Farbe eine hohe Eigenständigkeit und beugt sich nicht mehr dem Diktat der Form.

Bernard Schultze, der Fleckenränder, die Vermischung der Far­ Damit brachen die vier „Quadriga"-Künstler Uber farbigen ben selbst, stimuliert weitere Handlungen. bei aller Unterschiedlichkeit der von ihnen be- Strukturen, 1952 Allmählich ist das Papier übersät mit Farb­ schrittenen Wege mit den Vorstellungen, denen (Privatbesitz) flecken, Strichen und Zeichen. Es bekommt bis dahin die Malerei, auch die ungegenständ­ das Aussehen eines bunten Fetzens, irgendwo liche Malerei verpflichtet war. Sie befreiten sie unter dem Himmel aufgelesen. Man befindet von inneren wie von äußeren Zwängen mit dem sich in der Situation, wo sich verschiedene Ziel, diese auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten hin Möglichkeiten der weiteren Verfahren anbie­ zu befragen. Und dazu war es auch nötig, den ten. Vielleicht ist im Arbeitsablauf dieser Zu­ Akt des Malens neu zu definieren. Ausgangs­ stand der kritischste, und zu leicht schleicht punkt war hier der Surrealismus, aber ebenfalls sich jetzt Routine, bewusste Hinwendung das ,Action painting' eines Jackson Pollock und zu probaten Rettungsversuchen ein. [...] So die gestische Malerei eines Georges Mathieu kann eine Fläche ad infinitum farbig und dienten der Orientierung: grafisch bedeckt werden. Die kleinste Verän­ derung löst den Zustand des Fast-am-Ziel- „Der Wille wird auf ein Minimum ausgeschal­ Seins wieder auf. Vielleicht ist man nie mehr tet, der Instinkt kann sich umso freier entfal­ in der Lage, dem einmal erreichten, einem in ten. [...] der bis auf ein Minimum reduzierte besonderer Weise glücklich erscheinenden Wille [erlaubt] dem Instinkt, so frei wie ir­ Abschluss, sich nochmals so zu nähern. [...] gendmöglich sich zu bewegen, das heißt auf Im Augenblick des Fertigseins wird das sub­ dem Bildträger eine Fülle von überraschenden jektiv Gemachte objektiv, wird zum aus sich Zufällen zu arrangieren, die sich aus sich selbst selbst existierenden Organon, das sich vom weitertreiben sollen, bis zu dem Zustand, wo Malenden ablöst."26 ein Rest bewusster Steuerung genügt, um die Situation des ,es stimmt' herzustellen. Die Besonderheit tachistischer Bilder ist die 26 Schultze, Bernard: Zu meiner Malerei I, in: ders.: Darstellung des Zusammentreffens größt­ Über Malerei. Gesammelte Aufsätze 1957-1994, möglichen Maßes an Zufall und gerings­ Aachen 2000, S. 8-9. Vgl. auch die Beschreibung des tem an Willen in einer bisher unbekannten Malprozesses von Karl Otto Götz, in: Götz, Karl Otto: 27 Wie ich male, was da ist. Kunst und Literatur in Frank­ Entschiedenheit." furt, Frankfurt am Main 1963, wiederabgedruckt in: Claus, Jürgen: Kunst heute. Personen, Analysen, Do­ kumente, Reinbek (Hamburg) 1965, S. 31-32. 27 Schultze: Zu meiner Malerei, S. 10.

84 Thomas Kirchner Nicht nur das Erscheinungsbild der Kunst als zuvor gefordert, er musste dem Kunstwerk hatte sich verändert, sondern auch der Prozess eine Bedeutung beilegen, und nicht der Künst­ des Erstellens eines Kunstwerkes. Damit über­ ler. Dieser lieferte dazu lediglich die formale wand die neue Kunst die Diskussionen, die die Grundlage. Der dringende Wunsch des Publi­ unmittelbaren Nachkriegs jähre geprägt hatten. kums auf Hilfestellung veranlasste die Künstler Sie befreite sich auch von der direkt zurücklie­ später, wie Karl Otto Götz bemerkte, die Wer­ genden Geschichte, die den künstlerischen Dis­ ke doch wieder mit Titeln zu versehen.30 kurs der vorangegangenen Jahre bestimmt hat­ Die Einflüsse, die unsere Künstler erfahren te. Für die neue Kunst bürgerte sich bald die haben, mögen sich im Einzelnen unterscheiden. 1951 von dem französischen Kritiker Michel Deutlich ist jedoch, dass sie ihre Kunst nicht in Tapie kreierte Bezeichnung des Informel ein,28 einem engen nationalen Rahmen entwickelten, im Unterschied zu den Benennungen ,Tachis- sondern dass sie in einem hohen Maße durch mus', hergeleitet von dem französischen Be­ die aktuelle Kunst in Frankreich und Amerika griff ,1a tache' (,der Fleck'), und ,Abstraction geprägt wurden. Die vergleichsweise Nähe von lyrique'. Verweisen die beiden letzten Bezeich­ Frankfurt zu Paris erlaubte es ihnen, zum Teil nungen stärker auf den Entstehungsprozess mehrfach, in die Kunstmetropole zu reisen und der Werke, auch auf deren assoziative Kraft, so dort die Hauptakteure der neuen französischen geht es bei dem sich in Deutschland durchset­ Kunst kennenzulernen. Und mit der Kunst von zenden Begriff eher um das Ergebnis, um die Jackson Pollock gerieten sie durch die von der Auflösung einer konkret beschreibbaren künst­ amerikanischen Regierung organisierten Aus­ lerische Form. Dabei arbeiteten die Künstler stellungen zeitgenössischer amerikanischer durchaus unterschiedlich, die einen sehr spon­ Kunst in Kontakt, auch konnte man seinen tan, mit großer Geschwindigkeit, wie Götz, die Werken in Paris bei der Galerie Nina Dausset anderen eher langsam, suchend, wie Schult- begegnen. Das sich hier abzeichnende deutli­ ze. Was sie verband, war die Suche nach einer che Bekenntnis zu einem Internationalismus ar­ künstlerischen Form, die keinen vorgegebenen tikulierte sich parallel zur Öffnung der jungen Regeln folgte, sondern unmittelbarer Ausdruck Bundesrepublik gen Westen, zur Grundsatzent­ künstlerischer Schaffenskraft war. An der Ver­ scheidung, sich fest in ein westliches Bündnis mittlung eines konkreten Inhaltes zeigten sie zu verankern, sei dieses nun politischer, militä­ sich hingegen nicht interessiert. Und diese neue rischer, wirtschaftlicher oder eben auch künst­ Form fanden alle vier Künstler im Jahre 1952. lerischer Natur. Und die überraschend positive Wie waren die Werke nun aber zu deuten? Reaktion der Öffentlichkeit etwa auf die Aus­ Viele Betrachter und auch Kritiker irritierte, stellung in der Zimmergalerie Franck zeigt, dass dass sich die Werke einer eindeutigen Interpre­ das Publikum den Schritt zu einer international tation, die ja zunächst immer auch nach einem ausgerichtete deutschen Avantgarde mitzubege- gegenständlichen Inhalt sucht, entzogen und hen bereit war, so wie es auch auf anderen Ge­ die Künstler sich nicht selten weigerten, durch bieten die Öffnung gen Westen akzeptierte. 1951, den Titel eine Hilfestellung anzubieten. Die Be­ also ein Jahr, bevor die „Quadriga" ihren ers­ deutungsoffenheit musste verunsichern, war ten großen Erfolg hatte, trat die Bundesrepublik aber ein zentrales Merkmal dieser Kunst. 1958 der Montanunion bei, die den ersten wichtigen sollte der Semiotiker Umberto Eco den Begriff Schritt zur Europäischen Union darstellte. Zwei des offenen Kunstwerkes prägen und damit die oder drei Jahre vorher hätte die Reaktion ver­ Bedeutungsvielfalt als ein zentrales Merkmal mutlich anders ausgesehen, wäre der Schritt der der Kunst der Zeit, auch der Musik und Litera­ „Quadriga" vielleicht nicht möglich gewesen, si­ tur, benennen.29 Der Betrachter war nun mehr cherlich aber nicht in der breiten Form akzeptiert

28 Tapie führte den Begriff 1951 mit dem Titel der im he: Eco, Umberto: Opera aperta. Forma e indetermin- Studio Facetti in Paris veranstalteten Ausstellung „Si- atione nelle poetiche contemporanee, Mailand 1962 gnifiants de l'informel" ein, siehe: Claus: Kunst heute, (deutsch: Das offene Kunstwerk, Frankfurt 1973). S. 27. 30 Karl Otto Götz im Gespräch mit Gabriele Lueg, 29 Eco trug seinen Gedanken zuerst im Jahre 1958 auf 8.10.1981, in: Lueg, Gabriele: Studien zur Malerei des dem XII. Internationalen Philologenkongress vor. Sie­ deutschen Informel, Phil. Diss. Aachen 1983, S. 359.

Frankfurt und der Aufbruch in die Ungegenständlichkeit 85 worden. Sollte die Kunst des Informel politisch Klaus Franck, das auch die französische Avant­ sein, so nicht wegen eventuell vermittelter Inhal­ garde einbezog, hatte es in Frankfurt und auch in te, sondern wegen des Bekenntnisses zu einem vielen anderen Städten bis dahin nicht gegeben.31 westlichen Internationalismus - und wegen des Zu nennen sind sicherlich auch Künstler Aktes der Befreiung von allem bis dahin Dagewe­ wie Willi Baumeister und Ernst Wilhelm May, senem, von der jüngsten deutschen Geschichte, die das Terrain für die Ungegenständlichen im in der die Kunst misshandelt und missbraucht Südwestraum vorbereiteten. Vielleicht war die worden war. Berliner Kunstszene auch noch zu sehr in der Wieso fand der Durchbruch dieser neuen Abstraktion-Figuration-Debatte verfangen, um Kunst nun gerade in Frankfurt statt? Und nicht wirklich zu einem Neuanfang fähig zu sein - sie etwa in Berlin? Die vier Künstler waren auch dort sollte erst 1955 mit dem Tod Hofers ihren Ab- präsent, sie hatten - unter anderem auf Vermitt­ schluss finden. Zudem stand man in Berlin noch lung von Will Grohmann - in der Galerie Rosen unter dem Schock der Formalismusdiskussion, ausgestellt, eine Galerie, die fraglos eine größe­ der Blick in Richtung Osten war hier durch die re Reputation als die Zimmergalerie Franck in Auseinandersetzungen der vorangegangenen Frankfurt besaß, auch eine größere Sichtbarkeit. Jahre geradezu zwingend. Diese Probleme hatte Und in Berlin saß auch ihr Promoter Grohmann, Frankfurt nicht. Seine geographische Lage, aber der dort vermutlich mehr für sie tun konnte als auch die langen Beziehungen der Stadt zur fran­ in Frankfurt. Warum auch nicht etwa in Stutt­ zösischen Kunstmetropole verliehen der Stadt gart, wo Willi Baumeister residierte und einen eine Offenheit, die in Berlin und auch in ande­ großen Einfluss ausübte? In Frankfurt gab es ren bundesrepublikanischen Städten nicht an­ keine vergleichbar überzeugende Figur, die einer zutreffen war. Und schließlich gehörte es wohl nachfolgenden Generation hätte einen Weg wei­ auch zum Selbstverständnis der Frankfurter sen können. Zwar wohnte Ernst Wilhelm Nay Bürger, gegenüber Neuem aufgeschlossen zu seit 1945 nicht weit von Frankfurt im Taunus, sein und die Weltoffenheit, die die Stadt als freie aber er lebte sehr zurückgezogen und mischte deutsche Reichstadt, als Messeplatz und Ban­ sich kaum in Diskussionen um die künstlerische kenmetropole besessen hatte und besaß, auch Entwicklung ein. Einzig Greis besuchte ihn häu­ der Kunst entgegenzubringen. Dieses Selbst­ figer und wurde von ihm beeinflusst. verständnis auch über das Dritte Reich hinweg Mehrere Faktoren haben hier zusammen­ bewahrt zu haben, ist sicherlich ein Verdienst gewirkt. Zum einen ist sicherlich der Galerist der Frankfurter. Es trug dazu bei, dass der Auf­ Klaus Franck zu nennen, der mit äußerst ge­ bruch zur Nachkriegsmoderne in ihrer Stadt ringen Mitteln ein engagiertes Ausstellungs­ stattfand, auch wenn es unsere Hauptakteure, programm realisierte und innerhalb von nur die Künstler der „Quadriga", bald in andere kurzer Zeit ein großes Renommee erwarb, der Regionen ziehen sollte. Die Stadt Frankfurt war auch intensive Kontakte zu der Pariser Kunst­ sich der Leistung der Gruppe bewusst. 1953, szene unterhielt. Er hatte im Juni 1949 seine ers­ bereits ein Jahr nach der Ausstellung in der Ga­ te Ausstellung in seiner Wohnung im Frankfur­ lerie Franck, zeigte der Frankfurter Kunstver­ ter Westend eröffnet, auf der bereits Werke von ein, der sich lange Zeit eher einer gegenständli­ Kreutz und Schultze zu sehen waren. Es folgte chen Kunst verschrieben hatte, die vier Künstler. eine große Anzahl von Ausstellungen, darunter Und 1959 veranstaltete das Historische Mu­ auch von Greis, Götz und Schultze. Zwar gab seum eine erste große museale Schau der „Qua­ es schon vorher vereinzelt Ausstellungen zur driga" und würdigte damit die Gruppe als einen zeitgenössischen Kunst, besonders im Kunst­ zentralen Bestandteil der Frankfurter Kultur.32 kabinett von Hanna Bekker vom Rath, aber ein derart engagiertes Programm wie dasjenige von

31 Siehe hierzu: Hofer, Sigrid: Informel in Frankfurt. Frühes Zentrum internationaler Avantgarde, in: Ausst.- Kat. Entfesselte Form, S. 9-22.

32 Ausst.kat. Tachismus in Frankfurt. Quadriga 52. Kreutz, Götz, Greis, Schultze (Frankfurt am Main, Historisches Museum, 16. Oktober bis 17. November 1959), Frankfurt am Main 1959.

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