Archive for History

An international Journal concerned with the history of the Reformation and its significance in world affairs. Published under the auspices of the Verein für - geschichte and the Society for Reformation Research

Supplement Literature Review

Board of Editors

Jodi Bilinkoff, Greensboro/North Carolina – Gérald Chaix, Tours – David Cressy, Columbus/Ohio – Michael Driedger, St.Catharines/Ontario – Mark Greengrass, Sheffield – Scott Hendrix, Princeton/New Jersey – Mack Holt, Fair- fax/Virginia – Susan C. Karant-Nunn, Tucson/Arizona – Thomas Kaufmann, Göttingen – Ernst Koch, Leipzig – Janusz Małłek, Toruń – Silvana Seidel Menchi, Pisa – Bernd Moeller, Göttingen – Carla Rahn Philipps, Minneapolis/Minnesota – Heinz Scheible, – Heinz Schilling, Berlin – Anne Jacobson Schutte, Charlottesville/Virginia – Christoph Strohm, Heidelberg – James D. Tracy, Minneapolis/Minnesota

Managing Editor under the auspices of the Verein für Reformationsgeschichte and the Institute for European History,

Markus Wriedt

Vol. 39 · 2010

Gütersloher Verlagshaus

Archiv für Reformationsgeschichte

Internationale Zeitschrift zur Erforschung der Reforma- tion und ihrer Weltwirkungen. Im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte und der Society for Reformation Research

Beiheft Literaturbericht

Herausgeber

Jodi Bilinkoff, Greensboro/North Carolina – Gérald Chaix, Tours – David Cressy, Columbus/Ohio – Michael Driedger, St. Catharines/Ontario – Mark Greengrass, Sheffield – Scott Hendrix, Princeton/New Jersey – Mack Holt, Fair- fax/Virginia – Susan C. Karant-Nunn, Tucson/Arizona – Thomas Kaufmann, Göttingen – Ernst Koch, Leipzig – Janusz Małłek, Toruń – Silvana Seidel Menchi, Pisa – Bernd Moeller, Göttingen – Carla Rahn Philipps, Minneapolis/Minnesota – Heinz Scheible, Heidelberg – Heinz Schilling, Berlin – Anne Jacobson Schutte, Charlottesville/Virginia – Christoph Strohm, Heidelberg – James D. Tracy, Minneapolis/Minnesota

Redaktion im Auftrag des Vereins für Reformationsgeschichte und des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz

Markus Wriedt

Vol. 39 · 2010

Gütersloher Verlagshaus

Redaktion: Markus Wriedt Goethe-Universität Frankfurt/Main Marquette University Milwaukee WI Ständige Mitarbeiter (Referate): Matthias Asche (Norddeutschland) Universität Tübingen Thomas Brady (Altes Reich) University of California, Berkeley CA Stephen Buckwalter (Spanien) Universität Heidelberg Anne Conrad (Kath. Reform, Gender) Universität des Saarlandes, Saarbrücken Otfried Czaika (Skandinavien) Königliche Bibliothek, Stockholm Kestutis Daugirdas (Litauen) Universität Mainz Irene Dingel (Calvin) Institut für Europäische Geschichte, Mainz Michael Driedger (Täufer) Brock University, St. Katharins, ON Hermann Ehmer (Südwestdeutschland) Stuttgart Stefan Ehrenpreis (Rheinland) Humboldt-Universität Berlin Martina Fuchs (Habsb. Erblande) Universität Wien Ralf-Peter Fuchs (Franken, Bayern) Universität München Christian Grosse (Frankreich) Universität Genf Ines Grund (Zeitschriften) Institut für Europäische Geschichte, Mainz Mark Häberlein (Entdeckungen) Universität Bamberg Hans-Peter Hasse (Mitteldeutschland) Dresden Markus Hein (Ungarn) Universität Leipzig Johannes Helmrath (Spätmittelalter) Humboldt Universität Berlin Henning Jürgens (Ostfriesland) Institut für Europäische Geschichte, Mainz Thomas Kaufmann (Luther) Universität Göttingen Robert Kolb (Wissenschaft) Concordia Seminary, St. Louis MO Alfred Kohler (Habsburg) Wien Volker Leppin (Zwingli, Reformation) Universität Tübingen David M. Loades (England) Oxford Ute Lotz-Heumann (Irland) University of Arizona, Tuscon AZ Heiner Lück (Recht) Universität Halle Janusz Małłek (Polen) Toruń Jean-Claude Margolin (Humanismus) Alexander Markschies (Kunst) RWTH Aachen Guido Marnef (Niederlande) Universität Antwerpen Bernd Moeller (Reformation) Universität Göttingen Christian Moser (Schweiz) Universität Zürich Richard Ninness (engl. Monographien) Touro College, Philadelphia PA Christopher Ocker (Spätmittelalter) San Francisco Theological Seminary, CA Andreas Rutz (Westfalen) Universität Bonn Wolf Friedrich Schäufele (Hesssen) Universität Marburg Anselm Schubert (Sprache) Erfurt Herman Selderhuis (Calvin, Niederlande) Theologische Universität Apeldoorn, NL Walther Sparn (Philosophie) Universität Erlangen Freya Strecker (Kunst) Universität Tübingen Markus Völkel (Italien) Universität Rostock Thomas Wilhelmi (Buchdruck) Universität Heidelberg An dem Bericht arbeiteten außerdem mit: Corinna Eckhardt, Kim Siebenhüner, Bálint Radó, Gabriele Waş.

Gliederung des Berichtes

1 Allgemeines 7 7.4 Die baltischen Länder 116 2 Religion und Kirche 7.5 Der Raum des Alten Reiches 2.1 Vor der Reformation 16 7.5.1 Deutsches Reich 118 2.2 Luther 18 7.5.2 Die habsburgischen Erbland 118 2.3 Zwingli 21 7.5.3 Norddeutschland, Preußen 122 2.4 Calvin 22 7.5.4 Mitteldeutschland 130 2.5 Protestantismus: Theologie 7.5.5 Hessen 136 und Kirche 27 7.5.6 Franken 137 2.6 Täufertum und heterodoxe 7.5.7 Bayern 139 Richtungen 44 7.5.8 Südwestdeutschland 144 2.7 Katholische Reform und 7.5.9 Rheinland 145 Gegenreformation 51 7.5.10 Westfalen 149 3 Geist und Kultur 7.5.11 Ostfriesland 161 3.1 Humanismus, Geschichts- 7.6 Böhmen 162 schreibung, Bildungswesen 53 7.7 Ungarn, Siebenbürgen 163 3.2 Sprache, Literatur 61 7.8 Östliches Europa, Moskauer 3.3 Kunst, Musik 62 Reich 164 3.4 Medizin, Naturwissenschaften 78 7.9 Schweiz 164 3.5 Buchdruck 81 7.10 Italien 168 4 Wirtschaft und Gesellschaft 7.11 Spanien, Portugal 170 4.1 Wirtschaft 86 7.12 Frankreich 176 4.2 Gesellschaft 87 7.13 Niederlande 179 4.3 Gender studies 89 7.14 Britische Inseln 5. Begegnung mit nichtchristlichen 7.14.1 England, Schottland 185 Religionen 7.14.2 Irland 192 5.1 Judentum 91 8 Entdeckungen, Kolonisation, 5.2 Islam 93 Mission 194 6 Staat: Verfassung, Verwaltung, Recht 94 Registerteil 7 Die europäischen Länder Autoren 199 7.1 Zwischenstaatliche Beziehungen 106 Namen 213 7.2 Skandinavien 108 Orte 223 7.3 Litauen und Polen 111

Abkürzungen und Siglen

Abkürzungen und Siglen richten sich, soweit sie sich nicht von selbst verstehen, nach: Siegfried M. Schwertner: IATG² – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage Berlin: de Gruyter, 1992.

7 Allgemeines

1. ALLGEMEINES

1 Peter Strohschneider (Hg.): Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin, New York: De Gruyter 2009, 1055 Seiten. – Der vorliegende Band, aus einem DFG-Symposium hervorgegangen, ist ein beeindruckendes Dokument germanis- tischer Gelehrsamkeit. Die weite chronologische und thematische Erstreckung führt dazu, dass hier nur auf eine begrenzte Anzahl von Aufsätzen hingewiesen werden kann und muss, die von Bedeutung für die reformationshistorische Forschung sind. Übergreifende Beiträge wie der von Klaus Schreiner über siegbringende Marienbilder vom 14. bis ins 18. Jahrhundert sind die Ausnahme. Üblicher sind Aufsätze, die der einen oder anderen der üblich gewor- denen Epochen zuzuordnen sind. Bedeutsam sind hier die Arbeiten über religiöse Strö- mungen. Aufmerksamkeit findet insbesondere Meister Eckhart (in den Beiträgen von Burkhard Hasebrink und Susanne Köbele), aber auch weit in die Neuzeit reichend Jacob Böh- me, dem Friedrich Vollhardt eine nahezu monographische Studie widmet, in der er seine religiöse Kommunikation als „dritte Kraft“ der Naturerschließung neben Empirismus und Rationalismus würdigt (105). In das unmittelbare Vorfeld der Reformation führt Christian Kienings Beitrag über die Präsentation des Heiligen Rocks in Trier 1512, die helfen kann, die vielfach in diesem Zusammenhang angeführte Regensburger Schwarze Madonna weiter zu kontextualisieren. Einflüsse der Reformation auf literarische Formen zeichnet Marina Münkler in ihrer Darlegung über die Historia von Faust als durch reformatorische Legen- denkritik ermöglichte Legendenkontrafaktur, die die Gattung zugleich kritisiert und an ihr partizipiert, nach. Eher in methodischer Hinsicht bemerkenswert ist die Studie von Klaus W. Hempfer über die Enthierarchisierung von religiösem und literarischem Denken, die zum wiederholten Male deutlich macht, dass die Debatte um Neuheit und Epochengrenzen im Verhältnis zum Mittelalter nicht nur Kirchengeschichte und Reformationsforschung be- schäftigt, sondern auch die literaturwissenschaftliche Renaissanceforschung. Ebenfalls von methodischer Relevanz ist der Beitrag von Bernhard Lang, der durchaus prononciert ein kulturwissenschaftliches Defizit theologisch-kirchenhistorischer Predigtforschung aufweist. Einen Zugriff auf entsprechende liturgiehistorische Untersuchungen zeigt als Historiker Thomas Lentes in seinem Beitrag über mittelalterliche Messkommentare auf. All dies sind nur ein paar funkelnde Stücke auf der reichen Fundgrube, die darauf verweist, dass das Ge- spräch zwischen Reformationsgeschichte und Literaturwissenschaft noch weiter ausgebaut werden kann. – Leppin. 2 Helmut Neuhaus (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift. Bei- hefte Neue Folge Bd. 49). München: Oldenbourg 2009. vi, 494 Seiten. Paperback. – Dieser Sammelband enthält, nach einer Einleitung des Herausgebers, insgesamt 22 Aufsätze, die bei einer Tagung der „Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit“ im Jahr 2005 in Erlangen vorge- tragen wurden. Jeweils geht es um die Frage der Definition und Abgrenzung der seit einigen Jahrzehnten gebräuchlichen historiographischen Kategorie „Frühe Neuzeit“, sowie um deren Anwendbarkeit auf Disziplinen außerhalb der Historie. Wir verzeichnen diejenigen Beiträge zu der reichhaltigen, aber auch disparaten Sammlung, die den Berichtszeitraum des ARGL betreffen. – Der Begriff „Epoche Frühe Neuzeit“ – er steht in dem gesamten Band für „Zeitabschnitt“, nicht für „Ereignis“ – wird gemeinhin für die Geschichte Europas zwischen 1500 und 1800 gebraucht. Hiervon weichen die Kunsthistoriker ab: Christian Freigang (Der Ort der Kunst in der Frühen Neuzeit, 7-34), und Ulrich Heinen (Argument – Kunst – Affekt. Bildverständnisse einer Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit, 165-234), sehen den das Zeitalter eröffnenden Einschnitt bereits um 1400, wobei keine „Sonderstel- Allgemeines 8 lung des Mediums Bild und des Systems Kunst“ in Anspruch nimmt (166). Satzbau? – Dagegen lehnt Laurenz Lütteken (Zeit, Neuzeit, Frühe Neuzeit. Musikhistorische Schwierig- keiten im Umgang mit einer Signatur, 125-141) für die Musik einen Sonderstatus ausdrück- lich ab, weist gleichwohl aber die Vorstellung eines Epochenbegriffs „Frühe Neuzeit“ zurück. – Sandra Richter (Makroepoche der Mikroepochen. „Frühe Neuzeit“ in der Deu- tungskonkurrenz literaturwissenschaftlicher Epochenbegriffe, 143-164), empfiehlt aus der Sicht der Literaturwissenschaft ein „flexibles Neutralisieren der Epochendiskussion“ (158) und entwirft ein entsprechendes Forschungsprogramm. – Für eine Auflockerung der Zäsur 1500 plädiert Andreas Holzem (Katholische Konfessionalisierung – ein Epochenphänomen der Frühneuzeit zwischen Spätmittelalter und Aufklärung, 251-289) mit Hinweis auf Ent- wicklungen der Frömmigkeit im ausgehenden Mittelalter; hauptsächlich aber schildert er erneut die gesellschaftlichen Zustände im Fürstbistum Münster nach der Durchsetzung des Tridentinums und dem Dreißigjährigen Krieg, in denen er beträchtliche Abweichungen vom gängigen Bild des Zeitalters wahrnimmt. – In den meisten Aufsätzen wird nach den charakteristischen Merkmalen der Frühneuzeit gefragt, wobei Tendenzen der Forschung, dem Zeitalter eine Fortschrittsstruktur zuzuschreiben, verbreiteter Abneigung begegnen. – Helmut Zedelmaier (Gelehrtes Wissensmanagement in der Frühen Neuzeit, 77-89), konstatiert vor allem für das 17. Jahrhundert eine Blüte der enzyklopädischen Literatur. – Luise Schorn- Schütte (Vorstellungen von Herrschaft im 16. Jahrhundert. Grundzüge europäischer politi- scher Kommunikation, 347-376), hebt die Diskurse über Herrschaft und Widerstand im nachreformatorischen Zeitalter hervor und zieht in Zweifel, dass mit einer Kontinuität der Stärkung des Staates zu rechnen sei. Vergleichbar ist das Bemühen von Stefan Brakensiek (Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, 395-406), der die Territorialgewalten im 17. und 18. Jahrhundert für „durchsetzungs- schwach“ hält (396) und die elementare Bedeutung der Konsenssuche der Mächtigen mit ihren Untertanen betont. – Im Blick auf Diskussionen über herrscherliche Willkür schlägt Thomas Nicklas (Fakten und Normen. Frühneuzeitliche Reaktionen auf die Res durae des Politischen, 377-393), eine Brücke vom 16. zum 18. Jahrhundert. – Luthers Verständnis des Gewissens als „Signatur der Neuzeit“ aufzufassen, betrachtet Philippe Büttgen (Unsichtbare Grenzen. Noch einmal zum reformatorischen Gewissensbegriff und dessen Deutung als Signatur der Neuzeit, 237-250), als „Beispiel einer Fehlperiodisierung“ (238). – Christian Grosse (Liturgie und Zeitvorstellungen im Genf des 16. bis 18. Jahrhunderts, 291-303), weist auf die Stabilität der liturgischen Ordnungen im calvinistischen Genf bis etwa 1700 hin, die die Vorstellung einer „gleichförmigen Zeit“ (294) hervorbringen konnt. – Axel Gotthard (Gibt es eine typisch frühneuzeitliche Raumwahrnehmung?, 307-323), stellt mit geistrei- chem Kommentar, Landschaftsbeobachtungen des 15. bis 18. Jahrhunderts zusammen. – Nach Monica Juneja (Pre-colonial oder early modern? Das Problem der Zeitzäsuren in der indischen Geschichte, 449-467), ist es „nicht völlig inkommensurabel“ (467), die Epochen- bezeichnung Frühe Neuzeit auch auf außereuropäische Kulturen, z. B. Indien, anzuwenden, was Wim Klooster (Atlantische Geschichte und der Begriff der Frühen Neuzeit, 469-478), für die „Atlantische Geschichte“ mit dem Epochendatum 1492 bestätigt. -Weitere zugehörige Beiträge: Ulrich Pfister (Die Frühe Neuzeit als wirtschaftshistorische Epoche. Fluktuationen relativer Preise 1450-1850, 409-434). – Desanka Schwara (Mediterrane Diasporas. Plurale Loyalitäten an der Schnittstelle von „Nationen“, 325-343). – Jürgen Schlumbohm (Mikrohisto- rie und Periodisierung. Geschichte eines Desinteresses?, 435-445). – Martin Gierl (Religiöses Wissen. Wissenschaft und die Kommunikation mit Gott 1650-1750, 91-105). – Merio Scattola (Abgründe des Wissens. Über einige Voraussetzungen für die Entstehung der Ge- schichte als praktischer Wissenschaft, 107-122). – Reinhard Zöllner (Frühe Neuzeit und Frühmoderne als Konzepte der ostasiatischen Geschichtswissenschaft, 479-490). – Moeller 9 Allgemeines 3 Beat Kümin (ed.): The European World 1500-1800. An Introduction to Early Modern History. London, New York: Routledge, 2009. – This survey text is based a teaching mod- ule used at the University of Warwick. With the help of a team of historians, it covers the period of early modern history from 1500-1800. – The text consists of an introduction and six sections, Starting Points, Society and Economy, Religion, Culture, Politics, and Transi- tion Points, with an epilogue. The introduction discusses what early modern history is. Part I Starting Points discusses Europe at the beginning of 1500 and the non-European world. Part II Society and Economy discusses gender and family, rural and urban society, people on the edge, and the early modern economy. Part III Religion mainly covers the Reforma- tion with a short section on religion in the second half of the early modern period. Part III ends with coverage of the Jews and Muslims. Part IV Culture has a section on the Renais- sance, the Atlantic world with mention of Africa and Asia, art, printing, the Scientific Revo- lution, witchcraft and magic, popular culture, and the Enlightenment. Part V Politics deals with the state, the court, and local government. This section ends with a narrative of politi- cal events in the period. Part VI Transition Points discusses Europe at the end of the early modern period with another section dealing with the New World, Asia, and Africa. – This work is highly ambitious. Its emphasis on social and cultural history for the early modern period is to be complemented with Part V Culture being the best part of the book. Despite all of this material, this survey also finds time to understand Europe in the context of world history. However, in the area of social and economic history, these short sections fail to convey the dynamism of early modern history. In rural or city life, the accounts provide some general information but society seems static throughout these centuries which culmi- nated in the Industrial Revolution. Furthermore, the nobility is conspicuously absent in this account. This might explain the pedestrian nature of these sections because it is not possi- ble to discuss the shifts in society without the nobility as an actor. The fact that this survey is not organized along the lines of a narrative might make it difficult for students to use. – Ninness 4 C. Scott Dixon, Dagmar Freist and Mark Greengrass (eds.): Living with Religious Diver- sity in Reformation History. Aldershot: Ashgate 2009. XIII; 301 Seiten; Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – This well-made volume contributes to current critiques two stories of early modern Europe: the age of confessionalization and the rise of toleration. As gene- ralized in the very good Introduction, it aims to understand how religious culture was fashioned less through orthodoxy, discipline, and command than through negotiation, adaptation, and resistance (C. S. Dixon). – The main weight of the volume lies in the Neth- erlands and the German. A masterful overview (W. Frihoff) ends with the insight that the secularization of eighteenth-century Dutch public life laid foundations for reconfessionali- zation of religious groups in the nineteenth century (largely true also of post-Napoleonic ). It is followed by a study of the culture and geography of secrecy and dissimula- tion that protected such minorities as Calvinists in Catholic Flanders, Irish Catholics in conquered Wexford, and Anabaptists in the Bernese Emmental (W. te Brake), and a search- ing exploration of chapter by on why Dutch Catholics responded to militant Calvinism so much more passively than did French Catholics (J. Pollmann). – Two chapters treat mixed marriages. One explores a religiously mixed district of the eighteenth-century prince- bishopric of Osnabrück and finds that people learned over time that a detailed marriage contract was their best guarantee against intra-marital religious conflict (D. Freist). They other, which examines Reformed-Catholic marriages in eighteenth-century South Holland in the late 1730s, finds that while husbands wielded greater power in mixed marriages, neither they nor their wives succumbed to efforts of clergy, relatives, or anyone else to coerce them (B. J. Kaplan). A third, complementary study finds in eighteenth-century Allgemeines 10 Utrecht a progressive crystallization of confessional belonging but also a prevalence of family solidarities over religious division (B. Forclaz). – Six diverse studies round out the volume. Their central themes are the importance of aristocrats, many of them Lutheran converts, to popular Catholicism in the Viennese Countereformation (K. Vocelka); the minimal effect on the confessions of noble conversions and reconversions (K. P. Luria); elaborate altarpieces in Lutheran Transylania which celebrated in an anti-Calvinist spirit the Passion of Christ (M. Crǎciun); the compatibility of lay Protestant religion with belief in fairies (P. Marshall); the minial impact on generally conciliartory local relations between Protestants and Catholics in England of Protestant writers’ use of metaphors of disease and corruption against the Catholics (A. Walsham); and the journey of a young Württemberg prince to France in 1608-9 as an opportunity to display the Lutheran faith there (D. Nolde). – The spirit of this excellent volume is well characterized in its Afterword: „There was no high road to toleration, signposted from the Reformation, but only a set of muddy and winding streets, most of them not one-way” (M. Greengrass). – Brady 5 Peter Matheson (ed.): Reformation Christianity. Minneapolis: Fortress 2007, 306 Sei- ten. – Im Rahmen der von Dennis Janz herausgegebenen „People’s history of Christianity”, deren Übertragung ins Deutsche leider ins Stocken geraten ist, liegt hier eine Gemein- schaftsarbeit von englischsprachigen Autoren aus Großbritannien, Amerika und Australien vor. Der sozialhistorische Ansatz der Reihe wird konsequent durchgeführt und gewinnt dabei zugleich einen breiteren kulturgeschichtlichen Horizont als die vielfach ganz auf kommunikationshistorische Zusammenhänge fokussierten sozialhistorischen Ansätze in Deutschland. Nach einem programmatischen Beitrag des Herausgebers „Reforming from Below“ folgen drei groß Abschnitte: Der erste behandelt die verschiedenen herrschaftsfer- nen Schichten in ihrem Verhältnis zur Reformation: die Stadt- (Raymond A. Mentzer) und Landbevölkerung (Kieth P. Luria), und, unter der allgemein klingenden Frage einer „People’s Reformation“ die Beteiligung des „Volkes“ an den Vorgängen in England, Schottland und Irland (Margo Todd). Hierbei wird am ehesten nach der Rolle dieser Schichten bei der Durchführung der Reformation gefragt, der Akzent liegt aber überwiegend auf der Umge- staltung der Lebenswirklichkeit durch die Reformation, wobei insbesondere der Beitrag von Luria auch stark die römisch-katholische Perspektive einbezieht. Der zweite Großabschnitt verfolgt die Lebensstufen in einer stark gender-orientierten Perspektive. Auf eine Darstel- lung des gesamten Geburtskomplexes (David Cressy) folgen Ausführungen zu Taufe und Kindheit (Karen E. Spierling), zu Geschlechterverhältnissen (Merry E. Wiesner-Hanks) und zu Tod und Jenseitserwartung (Peter Marshall). Dieser Abschnitt zeigt ebenso wie der erste, dass die „Reformation Christianity“, die hier in den Blick genommen wird, größere Phasen der Frühen Neuzeit bis weit in das 17. Jahrhundert abdeckt. Dies gibt die Möglichkeit, langfristige Aspekte historischer Anthropologie in den Blick zu nehmen. Der letzte Groß- abschnitt unter dem Titel „Finding their Voice“ stellt theologische Konzepte dar. Vor allem dem Bauernkrieg und dem Täufertum gewidmet ist die Darstellung zu Visionen einer ge- rechten Welt (James Stayer). Es folgen Kapitel zu Laientheologie (Elsie McKee), zur Wahr- nehmung von Anderen – in einer interessanten Kombination Türken, Juden, Häretiker und Arme – (Susan R. Boettcher) und schließlich zu den Kommunikationsmedien der Popularisie- rung reformatorischer Theologie (Peter Matheson). Das Werk zeigt auf beeindruckende Weise die Einbindung reformationshistorischer Forschung in den allgemeinhistorischen Diskurs. Insbesondere die historisch-anthropologischen Abschnitte sind eine echte Bereicherung der bisherigen Forschung, aber auch die anderen Abschnitte zeigen einen souveränen Zugriff, der durch ein klares gemeinsames Verständnis von Sozialgeschichte als Geschichte der herrschaftsfernen Gruppierungen zusammengehalten wird, während der unterschiedliche Grad, in dem die Beiträge die katholische Lebenswirklichkeit einbeziehen, eine unzurei- 11 Allgemeines chende Klarheit darüber zeigt, ob „Reformation Christianity“ auf die evangelische Chris- tenheit eingegrenzt wird oder, im Sinne mancher neuerer Forschungsansätze, auch den Bereich katholischer Reform umfasst. Thematische Berührungen und Überschneidungen (etwa Darstellung der Katechismen 30-32 und 272f) fallen angesichts eines guten Registers nicht weiter ins Gewicht. So kann das Handbuch als Ganzes wie in seinen Einzelteilen gut als künftiges Referenzwerk dienen. – Leppin 6 Volker Leppin: Das Zeitalter der Reformation. Eine Welt im Übergang. Stuttgart: Theiss in Lizenz Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009. 160 Seiten mit zahl- reichen, teilweise farbigen Abbildungen. Hardcover mit Schutzumschlag. – Es mag an den sich häufenden reformationsgeschichtlich relevanten Anniversarien liegen oder bereits der Schlagschatten des sog. „Reformationsjubiläums“ von 2017 und der es vorbereitenden Lutherdekade liegen, dass zur Zeit eine schier unerschöpfliche Fülle an Reformationsge- schichte in unterschiedlichen Formaten erscheinen. Aus ökonomischen Gründen breiten- wirksam angelegt, verzichten etliche auf die in mühevoller Kleinarbeit und langjährigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gewonnenen Details und suchen nach dem „großen Bogen“, mit dem sich das in jeder Hinsicht als epochemachend gewürdigte Refor- mationsereignis im Rahmen der europäischen Geschichte einzeichnen lässt. Ob sich freilich der Gesamtüberblick unter Verzicht auf so gravierende Fragen nach Inhalt und Typen der oder zahlreicher Reformation/en, die Problematik der Epocheneinteilung, etc. darstellen lassen, sei zumindest als Frage vorsichtig formuliert. Auch die vorliegende Reformationsge- schichte Leppins, erkennbar in engem Zusammenhang mit seiner 2006 verlegten Lutherbi- ographie verknüpft, muss enge Grenzen ziehen. Das Buch hat zwar 160 großformatige Seiten, sucht aber das Interesse des Lesers vor allem über zahlreiches Bildmaterial zu we- cken. Hierbei fällt auf, dass die Auswahl der Bilder kaum einem nachvollziehbaren histo- riographischen Ansatz folgt. Neben zeitgenössischen Abbildungen finden sich Fotogra- phien, Historiengemälde, Skizzen und Karten im – wortwörtlichen Sinne – bunten Durch- einander. Der Text ist flüssig und gut lesbar angelegt und schreitet mit der aus anderen Arbeiten Leppins bekannten Schwerpunktsetzung von den Glaubenswelten des Mittelalters (hier vor allem Scholastik und Mystik mit einem Fokus auf Kirchenbegriff und Amtsver- ständnis), über innovative Entwicklungen der Geistesgeschichte (Renaissance, Humanis- mus, Wittenberger Bewegung und Zürcher Reformation) zur öffentlichen Debatte (im wesentlichen der Lutherprozess und die Exkommunikation) zu den Gestaltungen der Reformation in Wittenberg, Zürich, und anderen Städten, durch die Wirren des Bauernkriegeszur Fürstenreformation in Sachsen und Hessen bis zum Abendmahlsstreit fort. Das vorletzte Kapitel wendet sich der reichsweiten und europäischen Reformation und ihren Wirkungen in Genf und England zu um abschließend den Ausblick auf die Zeit der Konfessionen (der Begriff Konfessionalisierung wird offenbar bewusst vermieden) zu wagen. Anmerkungen, ein knappes Literaturverzeichnis und ein Personenregister schließen den repräsentativ aufgemachten Band ab. – Der Rezensent legt den Band mit einem zwie- spältigen Gefühl der Ohnmacht aus der Hand. Natürlich hat eine populäre Darstellung ihre Grenzen. Die Fülle an reformationshistorisch relevanten Daten und Zusammenhängen kann nicht in diesem knappen Raum behandelt werden. Allerdings bleibt die Auswahl arbiträr und erschließt sich auch dem Kundigen nicht auf den ersten Blick. Eigenartige Verbindungen werden in den Kapiteln geschaffen, die nicht unmöglich, gleichwohl aber erklärungsbedürftig erscheinen. Wichtige Themen werden angerissen, aber kaum tiefgrün- dig erläutert und in ihrer historiographischen Wirksamkeit eingeordnet. Die Thematisierung der von Luther eingeleiteten Aufhebung des Unterschieds von Klerus und Laien ist in ihrer grundstürzenden Wirkung kaum zu überschätzen. Kann man sie aber so zwischen die Entwicklung der spätmittelalterlichen Scholastik und neuen theologischen Formen außer- Allgemeines 12 halb oder Elemente mystischen Denkens hineinzwingen? Wie überhaupt die Problematik der höchst komplexen Frage nach Kontinuität und Systembruch immer wieder durch- scheint, aber kaum schlüssig behandelt wird. Auch ist zu fragen, ob die Abendmahlsfrage und das Marburger Religionsgespräch der geeignete Abschluss einer Verhandlung der unterschiedlichen territorialen Ausformungen der Wittenberger oder oberdeutschen Re- formation darstellt. Die europäische Dimension der Reformation wird genannt, aber die schwierige Frage von Beziehungen und Netzwerken kaum erwähnt. – So bleibt nur zu hoffen, dass die Leser dieses Bandes es damit nicht ihr Bewenden haben lassen, sondern vielmehr das Literaturverzeichnis eifrig nutzen um weitere Lesefrüchte zu einem dann tragfähigeren Bild der europäischen Reformationen zusammenzufügen. – Wriedt 7 Harm Klueting: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Mo- derne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte. Darmstadt: Primus, 2007. 480 Sei- ten, gebunden mit Schutzumschlag. – Das Buch stellt die erheblich erweiterte und überar- beitete des 1989 in Stuttgart erschienenen Bandes: Das konfessionelle Zeitalter 1525 – 1648 des Vfs. dar. Als Einleitung in die zu dieser Zeit gerade frisch entbrannte Debatte um das Konzept der Konfessionalisierung in Einleitungs- und Spezialveranstaltungen für Studie- rende häufig gebraucht, spitzt der Vfn. nun seine moderate Kritik – wohl nicht zuletzt auch aufgrund persönlicher Entscheidungen – schärfer zu und bettet seine Darstellung in eine Geschichte der frühen Neuzeit Europas ein. Zugleich erweitert er den Blick auf die geisti- gen und geistlichen Entwicklungen bis in die frühe Aufklärungszeit hinein. Das Werk ist erneut im Anmerkungsapparat äußerst knapp gehalten und verleitet ob seiner flüssigen Schreibe leicht dazu, über Forschungsdebatten und widerständige Deutungen im Interesse der effizienten Wissensaneignung hinüber zu gleiten. Stärker noch als bei der knapperen ersten Ausgabe hat dieses Buch seinen Wert als positionelle Kritik im Chor der Meinungen – freilich wäre dazu an mancher Stelle eine tiefergehende Quellenanalyse und ein Hinweis auf die weitere Dimension der einen oder anderen Aussage wünschenswert gewesen. Als Überblicksband ist es gleichwohl durchaus geeignet. Für die Urteilsbildung kann es jedoch nicht ohne Rekurs auf andere Positionen herangezogen werden. – Wriedt 8 Caroline Schnyder: Reformation (UTB Profile). Stuttgart: Ulmer 2008. 129 Seiten, broschur. – Dem Reihenformat angepasste, äußerst knappe und gedrängte, Darstellung der Voraussetzungen (römische Kirche, Antiklerikalismus, Papsttum), der durch Luther, Zwingli und Calvin repräsentierten drei wesentlichen Stränge der Reformation. Zwei weite- re Kapitel machen den Reiz der bis dahin sozialgeschichtlich ausgerichteten und die bishe- rige Forschung knapp zusammenfassenden Einführung aus: das fünfte Kapitel untersucht die Kommunikationsstrukturen der reformatorischen Bewegungen und Stränge. Kapitel sechs weitet den Blick in die Europäische Dimension und spricht – vor welchem unausge- sprochenen Einheitspostulat? – von der Spaltung Europas. Dabei geht es um die Effekte der Konfessionalisierung im weiteren Rahmen des westlichen Christentums. Dabei gelingt der Schülerin von Peter Blickle der behutsame Versuch, die unterschiedlichen Forschungs- ansätze als einander komplementär zugeordnet anzuwenden und nicht alternativ gegenei- nander zu stellen. – Der Text ist insgesamt sehr flüssig und auch für Laien gut verständlich abgefasst. Jedes Kapitel wird mit einem Quellenzitat eingeleitet und weiterführenden, aller- dings sehr knappen Literaturhinweisen abgeschlossen. Der Band eignet sich als Einfüh- rungsliteratur für Studienanfänger und interessierte Laien. – Wriedt 9 Marjorie Elizabeth Plummer / Robin Barnes (ed.): Ideas and Cultural Margins in Early Modern Germany. Essays in Honor of H.C. Erik Midelfort. Padstow, Cornwall: Ashgate, 2009. – This collection of essays is a festschrift in honor of H.C. Erik Midelfort, containing contributions from his colleagues and students. It has an introduction written by Thomas Brady, four sections with essays, and a conclusion written by Carlos Eire. In Witch-women 13 Allgemeines and Madmen, Brady discusses Midelfort’s work. Section One, Laity, contains four essays. Peter Blickle discusses the use of terms as cows and calves or livestock to describe peasants. Helmut Graser and B. Ann Tlusty illustrate different levels of literacy through the attempt to blackmail Jacob Fugger by a weaver who only vaguely understood how to fake a letter but by mentioning magic was able to cause a stir. Janis Gibbs demonstrates that Cologne’s wor- ries about new immigrants from the Netherlands in the fueled renewed interest in proper Catholic beliefs and practice. Kathy Stuart discusses how individuals with a suicide wish committed murder so that they would be executed. Section Two, Clergy, begins with an article by Lyndal Roper dealing with Cranach’s images of women and Luther’s under- standing of marriage and sexuality. Marjorie Elizabeth Plummer uses Michael Kramer, a Luthe- ran pastor with a good reputation but a bigamist, to illustrate that evangelical theologians had different views on second marriage often differed from secular authorities. By investi- gating a witch trial, Thomas Robisheaux comments on the multi-faceted notions of the self within Lutheranism. Joy Wiltenburg discusses Protestant clerics as early modern crime report- ers because through crime literature one could see signs of evil times and a divine warning to all sinners. In Section Three, Humanists, doctors, and professors, Sönke Lorenz argues that Johannes Reuchlin might have been the first professor to hold the poetics lectureship in Tubingen, which was first mentioned in 1481. David Lederer discusses Johannes Eberlin von Günzberg’s Wolfaria which appeared in tracts ten and eleven of his Fifteen Confede- rates from 1521. Wolfaria combined elements from both Brant’s and Erasmus’s Folly and More’s Utopia. Robin Barnes demonstrates that religion played an important role in the world of physician Alexander Seitz. Charles Gunmoe and Jole Shackelford examines the career of Johannes Crato von Krafftheim, a highly successful Physician who served three Empero- rors but was also an enemy of Paracelsianism. Wolfgang Behringer describes witchcraft as an early modern media event which shaped public opinion and calls on scholars to start seeing it in this light. In Section Four, Jurists and Magistrates, Laura Stokes discuss the use of torture in urban communities and how investigators had latitude in its use. Allyson Creasman describes how in the early modern period broad-sheets and songs reported accounts of political and military events. News vendors were not interested in accuracy but in what would sell. She uses as an example from a ballad from 1618 on the siege of Pilsen by the Bohemian estates to illustrate her point. Mitchel Lewis Hammond investigates how in some cities in the Empire the monitoring of leprosy was an important aspect of public health in the sixteenth century. He remarks that Galenism became an unsatisfactory way to diagnose the disease and also observes the decline of seeing leprosy as a terrible affliction sent from God. Randolph Head offers a fascinating study on how various Swiss authorities interpreted the second Kappel Peace Treaty from November 1531. Carlos Eire concludes the volume by discussing flying in the early modern period. In the period of the Scientific Revolution saints levitated and witches flew. This volumes offers an opportunity for young and veteran scholars to present their research and demonstrates with its eclecticism the power of Midel- fort’s legacy which was fascinated by irrationality of the human condition. – Ninness 10 Glenn S. Sunshine: Reformation für zwischendurch. Illustriert von Ron Hill. Aus dem Englischen übersetzt von Gesine Schenke Robinson. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008. 256 Seiten. – Die deutsche Übersetzung der 2005 in Louisville erschienenen Publika- tion „Reformation for Armchair Theologians“, die aus einer Reihe von Artikeln für das Informationsblatt der presbyterianischen Kirche in Hartford, Connecticut entstanden ist, enthält eine populärwissenschaftliche Darstellung der Reformationsgeschichte, die auch den Calvinismus, die Gegenreformation und die Reformation in England, Schottland und Frankreich thematisiert. Die Grenzüberschreitung zur Unterhaltungsliteratur ist problema- tisch, da die Gefahr der Trivialisierung besteht. – Hasse Allgemeines 14 11 William Bradford Smith (Ed.): The Richard C. Kessler Reformaton Collection. An Annotated Bibliography. Volume 1: Manuscripts and Prited Works, 1470 – 1522. Xix, Katalogseiten 1 – 408, Volume 2 Printed Works, 1523-153, Katalogseiten 409 – 809; Volu- me 3: Printed works, 1532 – 1549, Katalogseiten 810 -1210; Volume 4: Printed works 1550 – 1582, Katalogseiten 1211-1481 mit Registern; alle Bände gebunden mit Schutzumschlag;. Compiled by Fred A. Grater. (Emory Texts and Studies in Eclesial Life 3-6), Antlanta: Scholars Press 1999. – Dass in nordamerikanischen Universitätsbibliotheken so mancher bibliophiler Schatz ruht, ist hinlänglich bekannt. Die Sammlung des erfolgreichen Ge- schäftsmannes und Alumnus der Emory University in Atlanta, Georgia, geht freilich weit über den zu erwartenden Bestand eines enthusiastischen Bücherliebhabers hinaus. Knapp 1500 Drucke und Handschriften aus den Jahren zwischen 1470 und 1582, wenn man so will vom Ende der spätmittelalterlichen Reformbewegungen bis zur Konstitution des vorläufi- gen Corpus Doctrina der Wittenberger Reformation, hat er sammeln können. Diesen Schatz vermachte er der Pitts Library, der Universitätsbibliothek in Atlanta. Die wenigsten dieser Werke sind Raubzügen der Alliierten in den Wirren des und nach dem II. Weltkrieg zu verdanken. Freilich wird zur Provenienz der meisten Werke nichts ausgesagt. Es ist auch kein erkennbares Sammelprofil auszumachen, wenn man einmal davon absieht, dass die Werke allesamt in irgendeinem Verhältnis zu den Entwicklungen der Reformation auf dem europäischen Kontinent, zumeist in Deutschland, stehen. – Allerdings: darum soll es bei dieser dankenswerten Katalogisierung auch gar nicht gehen. Vielmehr erschließt der Kata- log den im Süden der Vereinigten Staaten einigermaßen komfortabel zugänglichen Bestand an reformationshistorisch höchst wichtigen und beeindruckenden Originalschriften. Zu- mindest ein Stück weit werden die Werke dem Dunkel der Archivierung entnommen: Jede Seite stellt ein Druckstück vor: Jahr, Autor, Titel, Druckort, eine physische Beschreibung, Publikationsinformation, äußerst knappe Hinweise zur Provenienz und konsultierte biblio- graphische Werke stehen der faksimilierten Titelaufnahme voran. Den handschriftlichen Quellen ist zumeist auch ein knappes Regest, den Druckwerke hingegen mit wenigen Zeilen der historischen Kontext vorangestellt. – Der Katalog stellt vor allem für die nordamerika- nische Reformationsgeschichtsforschung eine unersetzliche Hilfe bereit, sich bei der Quel- lensuche zunächst auf dem eigenen Kontinent umzusehen, bevor der meist teure Archiv- und Bibliotheksbesuch in Europa unternommen wird. – Wriedt 12 Arndt Brendecke, Markus Friedrich und Susanne Friedrich (Hgg.): Information in der Frühen Neuzeit: Status, Bestände, Strategien. Pluralisierung & Autorität; 16. Berlin: Lit Verlag, 2008. 482 Seiten. – Der in der Reihe des Münchener Sonderforschungsbereiches 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ erschienene Sammelband thema- tisiert den Begriff der „Information“. Er wird im einführenden Beitrag der Herausgeber in Abgrenzung vom Wissensbegriff näher erläutert. Der Blick wird auf den Umgang mit Information in staatlichen, kirchlichen und kulturellen Organisationen gerichtet. Zu den Beiträgen, die vor allem das 16. Jahrhundert betreffen, gehören ein Beitrag von Winfried Schulze über die Reichsmatrikel, eine Untersuchung von Mark Hengerer über Prozesse des Informierens in der habsburgischen Finanzverwaltung und ein Beitrag von Arndt Brendecke über ein Gesetz zur Erfassung Spanisch-Amerikas von 1573. – Hasse 13 Martin Sallmann: Reformatoren und Heilige als Brennpunkte konfessioneller Ge- dächtniskulturen: , Karl Borromäus und Johannes Calvin im Vergleich, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 103 (2009), 99-116. – Grund 14 Heinz Schilling: Literaturbericht Konfessionalisierung IV. Interim, Augsburger Religi- onsfrieden und die Konfessionalisierungsforschung zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zum 17. Jahrhundert, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 7/8, 433-455. – Grund 15 Allgemeines 15 Katharina Beiergrösslein: Das Konfessionalisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen. XX. Bayreuther Historisches Kolloquium, 22. bis 24. Mai 2008, in: Frühneuzeit- Info 19/2, 2008, 83-87. – Tagungsbericht. – M.Fuchs 16 Thomas A. Brady Jr.: From Revolution to the Long Reformation: Writings in English on the German Reformation, 1970-2005, in: Archiv für Reformationsgeschichte 100 (2009), 48-64. – Forschungsbericht. – Grund 17 Christoph Burger: Theologiegeschichtliche Darstellungen zur Reformation seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Archiv für Reformationsgeschichte 100 (2009), 326-349. – For- schungsbericht. – Grund 18 Ronald G. Asch, Matthias Schnettger (Hg.): Die frühneuzeitliche Monarchie und ihr Erbe. Münster u.a.: Waxmann, 2003. 286 Seiten, kartoniert. – This volume contains a dozen chapters by students of Heinz Duchhardt, to honor whom it was assembled. Its theme is the history of early modern European monarchies and their legacy for modern European states. Five chapters each are devoted to general European themes and to the , plus one chapter each to France and England. The authors have attempted to represent the breadth of the honoree’s scholarship – state-formation, constitutions and rituals of governance, international relations, peace-making, and the growth of international law—but also his contribution to the unifying concept absolutism. Although a number of authors extend their vision well into the modern era, in general they honor Duchhardt’s critical attitude toward historiographical fashions. – The large questions dealt with in this volume include conflicts between ständisch and monarchical concepts of power (J.-L. Schipmann, J. Rath), rank and status of nobles in Europe and in the Empire (J. Arndt, R. Asch), women rulers in Europe and in England (E. Kloosterhuis, A. V. Hartmann), rituals of representation at courts and peace congresses (M. Schnettger, M. Morawiec, A. Stiglic), and the failures and successes of post-Napoleonic rulers in France and Saxony (M. Wrede, B. Post). – Each chapter offers new data and ideas on its specific theme, and some of the more ambi- tious deserve attention because of their comparative scope and proposed revisions of some received concepts. As a group, the authors offer a perspective both broad and deep of the character and legacy of early modern monarchy. – Brady 19 Alexander Schunka: Macht, Repräsentation und Säkularisierung, 16.–18. Jahrhundert. Tagung des Sonderforschungsbereichs 640, Teilprojekt A 3 „Religiöse und säkulare Reprä- sentationen im frühneuzeitlichen Europa“ an der Humboldt-Universität Berlin, 28.–29. März 2008, in: Frühneuzeit-Info 19/2, 2008, 92-94. – Tagungsbericht. – M.Fuchs 20 Wolfgang Behringer: Arena and Pall Mall: Sports in the Early Modern Period, in: Ger- man History 27 (2009) 3, 331-357. – Grund 21 Manfred Heim: Von Ablass bis Zölibat. Kleines Lexikon der Kirchengeschichte. München: Beck, 2008. 461 Seiten, paperback. – Vollständig überarbeitete Neuausgabe des bereits 1998 erschienenen Kleinen Lexikon der Kirchengeschichte. Es enthält äußerst knappe Erklärungen zu zahlreichen (kirchen)historischen Begriffen. Da keine weiterführen- de Literatur angegeben wird, ist der Leser ganz auf den nicht immer einfach zu lesenden Text des Lemmas angewiesen. Zahlreiche Verweise machen zwar die systematische Vernet- zung der Begriffe klar, können aber wohl die tatsächliche Beschäftigung mit den Inhalten nicht ersetzen. Zum ersten Nachschlagen mag das Büchlein hilfreich sein. – Wriedt 22 Manfred Heim: Kirchengeschichte in Daten. München: Beck 2006. 192 Seiten, paper- back. – Auswahl an sog. „Schlüsseldaten“, die knapp kommentiert einen kirchengeschichtli- chen Überblick bereitstellen sollen. Die Verführung ist groß, hierin eine angemessene Wissensaneignung zu erblicken. Das Buch ersetzt in keiner Weise die Auseinandersetzung mit den Quellen sowie den sie interpretierenden Forschungsrichtungen. Letztere werden freilich nicht erwähnt. – Wriedt Religion und Kirche 16

2 RELIGION UND KIRCHE

2.1 Vor der Reformation

23 Peter Gemeinhardt: Märtyrer und Martyriumsdeutungen von der Antike bis zur Re- formation, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 120 (2009) 3, 289-322. – Grund 24 Michel Pauly: Stadtentstehung im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nordwest- europa, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 7/8, 406-420. – Grund 25 Jiří Hrbek:’'That Feckless Bohemomastic’: The Life and Work of Melchior Goldast von Haiminsfeld, in: Acta Comeniana 22-23 (2009), 99-131. – Grund 26 Thomas Kaufmann: Jan Hus und die frühe Reformation, in: Biblische Theologie und historisches Denken. Wissenschaftsgeschichtliche Studien. Aus Anlass der 50. Wiederkehr der Baseler Promotion von Rudolf Smend. Herausgegeben von Martin Keßler und Martin Wallraff. Basel: Schwabe, 2008, 62-109. – Bibliographisch reich belegte Studie zu Kontinui- tät und Traditionsabbruch der Berufungen bzw. Zuschreibungen reformatorischer Äuße- rungen auf den 1415 in Konstanz hingerichten Böhmischen Gelehrten. Einzelne Stationen der traditionsgeschichtlichen Vermittlung werden deutlich, zugleich macht der Beitrag auch sichtbar, wie wechselvoll derartige Bezüge in der kontroverstheologischen Polemik werden können. – Wriedt 27 Franz Posset: Renaissance Monks. Monastik Humanism in Six Biographical Sketches (SMRT; CVIII). Leiden, Boston: Brill. xix, 196 Seiten, gebunden, hardcover. – Seit der Begriff „Klosterhumanismus“ in den 70ger Jahren in die Forschung einführt wurde, sind damit höchst unterschiedliche Konzepte humanistischen Denkens und ihrer Erforschung verbunden worden. Die vorgelegten sechs biographischen Studien des deutschstämmigen, seit mehr als 40 Jahren in den USA lebenden Theologen Franz Posset gehen diesen Diskus- sionen aus dem Weg. Vielmehr stellen sie das zusammengefasste Ergebnis der langjährigen Beschäftigung Possets mit dem benediktinischen Mönchtum dar. Die Konzentration auf humanistische Vertreter dieser Frömmigkeit und Gelehrsamkeit ergibt sich für ihn aus den Quellen und nicht um eines übergeordneten Forschungsfeldes wegen. – Im Einzelnen werden Conrad Leontorius von Maulbronn, Benedict Chelidonius, Abt des Nürnberger Schottenstiftes, Bolfgangus Marius von Aldersbach, Heinrich Urbanus von Georgenthal, Mönche des Augsburger Ulrich-und-Afra Klosters sowie Nikolaus Ellenbog von Ottobeuren vorgestellt. Die knappen Biographien werden durch intensive Archivstudien und die Vorstellung wichtiger Textzeugnisse ergänzt. – Als Einführung ist dieses Buch durchaus geeignet, sich weiter mit dem Phänomen des monastischen Humanismus zu beschäftigen. Durch die 2006 erschienene Habilitationsschrift von Harald Müller ist aller- dings bereits der Weg zu einer stärker systematischen und zugleich vergleichenden Analyse beschritten, welche den Vergleich mit Vertretern des Humanismus unter den Mendikanten noch dringlicher erscheinen läßt. – Wriedt 28 M. Lamberigts & A. A. den Hollander (Ed.): Lay Bibles in Europe 1450-1800. Biblio- theca Ephemeridium Theologicarum Lovaniensium; CXCVIII. Leuven: University Press 2006xi, 360 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Graphiken, broschur. – Die Verbrei- tung von Bibeln für nicht-gelehrte oder akademisch ausgebildte Leser wird immer noch vor allem der Reformation und dem von ihr mitinitiierten Bildungsprogramm unterstellt. Spä- testens allerdings im Spätmittelalter wird die Frage virulent, wie mit der wachsenden Leser- schaft der Heiligen Schrift und den damit unlösbar verbundenen Fragen umzugehen ist. Im 17 Vor der Reformation ersten Abschnitt (1450 – 1500) des Sammelbandes wird diese Thematik eingehend von Nikolaus Staubach am Beispiel des niederländischen Vertreters der Devotio Moderna Ge- rhard Zerbolt von Zutphen sowie von Hinke Bakker, die sich mit den vorreformatorischen Bibelillustrationen der Inkunabelzeit sowie in handschriftlichen Gebetbüchern beschäftigt hat, erarbeitet. – Der zweite Abschnitt (1500 – 1550) umgeht das Thema der reformatori- schen Forderung nach der Bibel in der Laien Hand völlig, thematisiert aber zunächst die volkssprachlichen Übersetzungen von Humanisten (Guy Beduelle), die römische Position am Beispiel der Stellungnahmen der konservativen Fakultät in Louvain (Wim François) sowie in den marginalisierten Gruppen der niederländischen Täufer (Piet Visser). – Die Zeit von 1550 bis 1600 wird im dritten Abschnitt mit Beiträgen von Chris Coppens und Angela Nuovo über Bibelillustrationen einer freilich unpublizierten Bibel aus Italien, von Vanessa Selbach über ein Devotions- und Erbauungsbuch eines französischen Kaufmanns, und von Rady Roldán-Figueroa über die biblische Begründung einer durchgreifenden Amts- und Kirchenre- form umrissen. – Mit drei weiteren Beiträgen von Peter van der Coelen über das potentielle Betrachterprofil von Illustrationen der für Laien geschaffenen Bibeln, Frits G. M. Broyer über die private Verwendung von Laienbibeln und Fred van Lieburg über die Verwendung der Bibel im niederländischen Pietismus wird das 17. Jahrhundert skizziert. – Das 18. Jahr- hundert bearbeiten August den Hollander und Freek R. J. Knetsch über internationale Beziehun- gen im Buchdruck. – Der sechste Teil ist territorialen bzw. nationalen Bibliograhien zur Verbreitung von Laienbibeln in Belgien und den Niederlanden (Mark Aaldering und Gwendoly Verbraak), Frankreich (Bettye Chambers), und Württemberg (Eberhard Zwink) ge- widmet. Indices zu Bibelstellen, Namen und Illustrationen schließen den Sammelband ab. – Wenn es denn eines Beweises bedurft hätte, wie groß dieses in der Forschung bisher eher randständig behandelte Thema ist, dann gibt dieser Sammelband ihn ab: die innere Kohä- renz der Beiträge wird mühsam durch das große Thema geboten. Ansonsten stehen die Aufsätze sehr lose verbunden nebeneinander und bilden höchst fragmentarisch die metho- dische Vielfalt und thematische Umgangsform mit den Laienbibeln zwischen Mittelalter und Aufklärungszeit ab. – Wriedt 29 Volkhard Huth: Der 'Oberrheinische Revolutionär'. Freigelegte Lebensspuren und Wirkungsfelder eines „theokratischen Terroristen“ im Umfeld Kaiser Maximilians I., in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 157 (2009), 79-100 – Identifiziert den ano- nymen Autor der ca. 1509/10 fertig gestellten Schrift mit Dr. Jakob Merswin aus Straßburg. – Grund 30 Martin Žemla: Theologia Deutsch: brisante Ideen zwischen „deutscher Mystik“ und Reformation, in: Acta Comeniana 22-23 (2009), 9-58. – Analyse der neuplatonischen Wur- zeln der Theologia Deutsch, Verortung im philosophischen und religiösen Diskurs des 16. Jahrhunderts, Nachverfolgung der Bedeutung der Theologia Deutsch für Valentin Weigel, Sebastian Franck und Jacob Böhme. – Grund 31 Grantley McDonald; Pascale Chiron: The testament of Jean Lemaire, 1524, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 73 (2009) 3, 527-533. – Testament des Kanoni- kers Jean le Maire von Saint-Quantin (Aisne, Picardie) identifiziert als dasjenige des Dichters Jean Lemaire de Belges, korrigiert dessen Lebensdaten von ca. 1473 bis nach 1524. – Grund 32 Thomas Wünsch: Das römische Modell einer Kirchenunion mit der Orthodoxie und sein Architekt, Johannes Sacranus von Auschwitz/Oświęcim (1443-1527), in: Roczniki Historyczne = Historical Annals 74 (2008), 83-112. – Grund

Religion und Kirche 18

2.2 Luther

33 Paul W. Robinson: Martin Luther. A Life Reformed (The Library of World Biogra- phy). Upper Saddle River NJ: Longman Pearson, 2010. X, 105 Seiten, broschur. – Für Unterrichtszwecke zusammengestellte, äußerst knappe Biographie Luthers konventionellen Zuschnitts. Der am Concordia Seminary der Missouri Synode der amerikanischen Luthera- ner in St. Louis lehrende Kirchenhistoriker geht nur sehr kurz auf gegenwärtige Debatten der Reformationsgeschichts- und Lutherforschung ein. – Wriedt 34 Matthias Mikoteit: Theologie und Gebet bei Luther. Untersuchungen zur Psalmen- vorlesung 1532 – 1535 (Theologische Bibliothek Töpelmann; 124) Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2004. xi, 335 Seiten, gebunden, hardcover. – Die dritte Psalmvorlesung Luthers ist in der aktuellen Forschung wenig wahrgenommen worden; vgl. die einleitende Übersicht zum Forschungsstand (4-6). Insofern ist es durchaus geboten, diese Vorlesung einmal gründlich zu interpretieren und in ein Verhältnis zu den früheren Auslegungen der Psalmen des Wittenberger Reformators zu setzen. Methodisch sind damit aber verschiede- ne Probleme gegeben: Die Vorlesung ist nur schwer als Einheit zu betrachten und liegt in der Mitschrift von Georg Rörer vor. Vorbereitende Notizen oder ähnliche Texte wie zu den frühren Vorlesungen zum Corpus Paulinum etwa liegen nicht vor. Unter Ausblendung dieser komplizierten Überlierungsgeschichte zieht der Verfasser sodann diese Texte als Grundlage einer systematischen, weitgehend textimmanenten Rekonstruktion des Gebets- verständnisses Luthers als wesentlichem Bestandteil seiner Theologie heran. Die Gliederung der Arbeit zeugt von einem deutlich systematischem Fokus: Zunächst wird der Begriff „fromm“ herausgearbeitet und sodann nach einem knappen Forschungsüberblick zum Thema „Gebet bei Luther“ die dritte Psalmenvorlesung insgesamt als Gebet interpretiert. Ansatzpunkt dafür sind zahlreiche Anreden Gottes und Gebetsformulierungen im Vorle- sungstext. Daraus entwirft Mikoteit sodann eine Theologie des Gebets unter dem Stichwort „Gott loben und Gott danken“. – Derartige Textparaphrasen oder Rekonstruktionen des Denkens Luthers lassen – zumindest bei Historikern – ein eigentümliches Gefühl zurück. Zunächst fehlt jeglicher Bezug zum historischen Kontext. Sodann wird auch der Vergleich innerhalb der Auslegungen Luthers nicht explizit geleistet. Die Erkundung eines kontextin- tendierten Entwicklungsganges der Gebetsvorstellung bei Luther wird schmerzlich vermißt. Dies um so mehr, wenn abschließend eine – mehr oder minder implizit formulierte – aktu- elle theologische Stellungnahme abgegeben wird (295ff.). Insofern der systematische Ge- danke die Analyse präfiguriert, wird auch nicht recht deutlich, was für ein Luther am Ende dieses Buches rekonstruiert worden ist. Genuin historisch ist diese Analyse jedenfalls nicht. – Das Buch vermag anregend Luther nachzudenken. Als Einführung in seine Theologie – wie auch immer man die im Einzelnen bestimmen mag – und als systematische Rekonstruk- tion steht die textimmanente Untersuchung auf relativ schwachen Fundamenten. – Wriedt 35 Werner Führer: Die Schmalkaldischen Artikel (= Kommentare zu Schriften Luthers 2), Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 500 Seiten. – Der Aufbau des Kommentars richtet sich nach dem in exegetischen Kommentaren üblichen. Eine ausführliche Einleitung situiert den Text hinsichtlich seiner Entstehungsbedingungen. Dann folgt eine Textwiedergabe mit textkritischen Anmerkungen und eine Einzelkommentierung des Textes. Ziel des Kom- mentars ist es, Luthers Denkbewegung deutlich zu machen und „die Argumente, die der Reformator anführt, sowie die Urteile, die er fällt, auf seinen Denkansatz zu beziehen und aus ihm heraus zu erklären“ (67). Dieses Ziel einer immanent-systematischen Erklärung ist bis zu einem gewissen Grad durchaus beeindruckend erreicht worden, etwa bei der recht- fertigungstheologischen Rückbindung der Trinitätslehre und Christologie. Durch das dezi- 19 Luther dierte theologische Urteil des Verfassers ist das Werk ein intensiv geschriebenes, von fleißi- gem Bemühen zeugendes Kompendium von Luthers Theologie geworden – freilich in der schroffen Variante, wie sie die Schmalkaldischen Artikel bieten. Weniger Gewicht hat gegenüber der Rekonstruktion des Zusammenhangs in Luthers Denken die Bestimmung des allgemein-, kirchen- und theologiehistorischen Kontexts, in dem Luther sich bewegte. Wo Kontexte angesprochen werden, geschieht dies selten in einem nüchternen Ton der Einordnung, sondern eher mit scharfen Wertungen. So wird Melanchthons Agieren rund um den Schmalkaldener Bundestag von 1537 mit so heftigen Invektiven dargestellt, dass kaum Raum für eine differenzierte Würdigung besteht: Er wollte, so F., die Behandlung der Schmalkaldischen Artikel auf dem Bundestag „hintertreiben“ (47), hat dann auch die Politik Johann Friedrichs „hintertrieben“ (55) und (wie schon in Volz‘ Deutung) eine „Intrige“ gesponnen (ebd.). Nicht nur hier ist F.s Vorgehen vereinfachend. Möglicherweise folgt das starke Engagement für F. aus der zum Eingang formulierten Grundüberzeugung, Luther habe in den Schmalkaldischen Artikeln „das Evangelium um des Evangeliums und nicht um eines Nebenzwecks willen bezeugt“ (V), was das komplexe Ineinander von Text- und Situationsbezug in eine falsche Alternative auflöst. F. behält nicht immer die Distanz zu seinem Gegenstand. Das liegt nicht nur an der Schwierigkeit, in einem Kommentar Objekt- und Interpretensprache auseinanderzuhalten. Dass F. mal Luthers Aussagen und ihre Be- deutung in indirekter Rede referiert, mal seine Aussagen im Indikativ nachspricht, ist für die Klarheit der Unterscheidung jedenfalls keine glückliche Wahl, doch auch wenn er in der dritten Person von „Luthers Bruch mit dem unbiblischen Sakramentsverständnis der römi- schen Kirche“ spricht (109), wäre in einem Werk, das auch historischen Ansprüchen genü- gen soll, eine sachlichere Sprache zu erwarten. Inakzeptabel wird das Ineinander aus histori- scher Kommentierung und Stellungnahme zur gegenwärtigen Kirchlichkeit, wenn F. Luther in der Antichristfrage vor dem Vorwurf polemischer Zuspitzung in Schutz nimmt, indem er polemisch zuspitzend andere Positionen nicht nur als „unsachgerecht“ zurückweist, son- dern auch erklärt, sie seien „nicht Lutherinterpretation, sondern vielmehr ein Ausdruck von kirchlicher Verlegenheit und theologischer Hilflosigkeit“ (174). Seine eigene theologische Hilfestellung ist dann denkbar begrenzt: Wer die Antichristprädikation für den Papst für falsch halte, müsse „den Fehler im Hauptartikel und im Gefüge des zweiten Teils der Schmalkaldischen Artikel nachweisen“ (a.a.O.). Insofern Luthers Urteil aber eine Sachbe- schreibung über das Papsttum enthält, wäre in einer Lutherinterpretation, die eine Zeitge- bundenheit seiner Aussagen als Möglichkeit in Rechnung stellt, zunächst das Verhältnis von Papstamt, Papalismus und Luthers Papstinterpretation im 16. Jahrhundert zu klären. Die Suggestion eines direkten Weges von „Unam Sanctam“ über Leo X. zu Silvester Prierias, die F. hier bietet (160), ist angesichts des heutigen Forschungsstands zum spezifischen Ort des Prierias innerhalb eines sehr breiten Interpretationsfeldes zum Papstamt im späten Mittelalter unterkomplex. Auch an anderen Stellen fragt man sich, ob F. die moderne Diffe- renzierung von Konzepten Luthers ausreichend rezipiert hat, wenn etwa die Begriffe „täuferischer Spiritualismus“ und allgemein „Täufertum“ ineinander gleiten (29), ohne dass die seit Troeltsch gängigen Differenzierungen innerhalb des von Luther als Schwärmerei abgetanen Bereichs (die natürlich auch Schnittmengen implizieren) deutlich rezipiert wer- den; S. 310 Anm. 874 fordert F. gar, den Begriff der „Wiedertäufer“ „nicht ohne weiteres durch ‚Täufer‘„ zu ersetzen, was ungeachtet des aus anderen Gründen abweichenden engli- schen Sprachgebrauchs deutlich hinter die Errungenschaften moderner Täuferforschung zurückfällt. Anachronismen finden sich auch in anderen Sachzusammenhängen. So wird beim Terminus „römische Kirche“ als Vertreterin einer Zentrallehre, von der Luther sich abgrenzt (109), nicht deutlich, ob F. bewusst unklar gehalten hat, ob er hier die mittelalterli- che oder die moderne römisch-katholische Kirche meint – zumal an anderen Stellen präzise Religion und Kirche 20 von der „mittelalterlichen Kirche“ die Rede ist. Der affirmative Duktus der Schreibweise F.s überspielt auch an anderen Stellen die Unsicherheit manchen Arguments: Wenn das in den Quellen zu fassende Referat Melanchthons über eine Stellungnahme Luthers auf der Theologenkonferenz, die über die Schmalkaldischen Artikel beriet, statt durch einen Quel- lenbeleg bloß mit Verweis auf eine ihrerseits nicht unstrittige moderne Deutung der Wit- tenberger Konkordie als unzutreffend dargestellt wird (43, 47), ist sicher die Grenze des methodisch Zuträglichen erreicht. Derlei macht die Grenzen des Werkes deutlich. – Leppin 36 Bernd Jochen Hilberath: Martin Luther – ein katholischer Theologe ohne päpstliche Lehrerlaubnis?, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 80 (2009) 2, 99-117. – Grund 37 Tomas Appelqvist: Bönen i den helige andes tempel. Människosyn och kyrkosyn i Martin Luthers böneteologi. Skellefteå: Artos 2009. 316 Seiten. – Tomas Appelqvist unter- sucht in seiner Doktorarbeit die Gebetstheologie Martin Luthers, insbesondere mit Hin- blick auf anthropologische und ekklesiologische Fragestellungen. Die Quellenbasis seiner Studie sind katechetische Schriften, u.a. Luthers Vaterunserpredigt von 1516, die Predigt über Mt. 13,44 von 1517, Ein kurze Form, das Paternoster zu verstehen von 1519, das Betbüchlein sowie einige spätere Schriften und die Operationes in Psalmos. Im Gebet als Schnittpunkt, so Appelqvists Deutung der Luthertexte, laufen Katechetik, Sozial- und Arbeitsethik (der Dekalog wird als Zentrum des Gebets und die Arbeit ihrerseits als Gebet dargestellt) sowie Ekklesiologie (die Kirche wird im Anschluss an Carl Axel Aurelius als in erster Linie „verborgene“ Kirche bezeichnet) zusammen. Im aktuellen Gebetsvollzug hat der Mensch zudem die Möglickeit eine „real-ontische“ Vereinigung mit Christus einzuge- hen und gleichzeitig gerechtfertigt zu sein. – Appelqvists Arbeit ist ein interessanter Beitrag zu einem bisher wenig erforschten Diskurs in Luthers Werk, zumal der Verfasser sich darum bemüht, seine Ergebnisse in den Kontext der Lutherforschung im zwanzigsten Jahrhundert zu stellen, u.a. arbeitet er die Vorgaben von Ebeling, Herrmann, Billing, Wingren, Aurelius und der finnischen Lutherforschung ab. – In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um eine Dissertation handelt, sollte allerdings sowohl die Basis der Primär- quellen als auch die der Sekundärliteratur deutlich breiter sein (zur Darstellung von Wingrens Theologie wird z.B. nur dessen Buch „Luthers Lehre vom Beruf“ herangezogen), um somit den Resultaten größere Allgemeingültigkeit zu verleihen und die sicherlich inte- ressante Interpretation von Luthers Gebetstheologie wissenschaftlich besser abzusichern. – Czaika 38 Johannes Schilling: Brief an den Vater. Martin Luthers Widmungsbrief zu „De votis monasticis iudicium“ (1521), in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 80 (2009) 1, 2- 11. – Grund 39 Albrecht Beutel: Christliches Leben vor Gott und dem Nächsten. Luthers „Sendbrief an die Gemeinde der Stadt Esslingen“ (1523), in: Luther. Zeitschrift der Luther- Gesellschaft 80 (2009) 3, 146-149. – Modernisierte Transkription nach WA 12, 154-159. – Grund 40 Reinhard Brandt: „Konsubstantiation“ bei Luther – in systematischer Zuordnung, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 80 (2009) 2, 118-120. – Grund 41 Geneviève Côme-Toilliez: Le Saint-Esprit dans la pensée de Martin Luther, in: Positions luthériennes 57 (2009) 4, 305-335. – Grund 42 Beatrice Frank: Luther und Geld. Luthers Wirtschaftsethik in Theorie und Praxis, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 80 (2009) 1, 13-35. – Grund 43 Anne Käfer: Inkarnation und Schöpfung. (Theologische Bibliothek Töpelmann. Band 151). Berlin, New York: De Gruyter 2010. XVI; 388 Seiten; Hardcover. – Die Tübinger Habilitationsschrift analysiert in drei Kapiteln „Schöpfungstheologische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth“ (Untertitel), 21 Luther um in systematischer Absicht das Verhältnis von Inkarnation und Schöpfung sowie die theologischen Folgen ihrer Verhältnisbestimmung zu vergleichen (Kap. IV) Die Leitfrage ist, wie die Menschwerdung Gottes im Rahmen der Schöpfung, d.h. von Raum und Zeit realisiert wird, was nämlich an die Relation zwischen der Freiheit und der Liebe Gottes gebunden ist. Im Kapitel über Luther (10-84) stellt Verfasser dessen anthropologische und schöpfungstheologische „Grundeinsichten“ dar, speziell die Topoi Sünde, Tod und Gesetz; seine Beschreibung der Schöpfertätigkeit Gottes; die Inkarnation des Gotteswortes als wahrer Gott und wahrer Mensch bzw. als größter Sünder und einziger Erlöser (12ff). Die Inkarnation des göttlichen Schöpfungswortes offenbare für Luther die „Heilszielstrebig- keit“ des Schöpfungsprozesses, und die Sakramente Taufe und Abendmahl geben die räumliche Präsenz (Abendmahl) und den zeitlich bedingten Lebensvollzug des Inkarnierten (Taufe); die Kirche vermittelt dies (44ff). Die Darstellung zielt auf die These, dass die Schöpfung durch die Inkarnation vollendet werde, worin der in den Lebensprozess des Menschgewordenen hineingenommene Glaubende, der die gesamte Schöpfung als Werk der ewigen Liebe Gottes erkennt, mit Gott mitwirkt (77ff; auch die Jungfrauengeburt als cooperatio, 73). Die Schöpfungsordnung erscheint so „geradezu als Evangelium“ (83). – Diese Analyse rekurriert auf Äußerungen Luther, deren nähere Auswahl und Interpretation durch systematisch-theologische Interessen im Gefolge G. Ebelings, W. Joests, E. Jüngels und v.a. E. Herms’ bestimmt wird. Verfasser berücksichtigt die jeweilige geschichtliche Situation im Blick auf die Unterschiede der erkenntnistheoretischen Überzeugungen und ontologischen Leitannahmen. Im Ergebnis ist er von der „Vorzugswürdigkeit“ der Position Luthers gegen den Positionen Schleiermachers und Barths überzeugt (Kap. V). – Sparn 44 Reinhard Schwarz: Die gemeinsame Grundlage der christlichen Religion und deren strittiges Grundverständnis. Eine von Luther angeregte Unterscheidung mit ökumenischer Relevanz, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 106 (2009) 1, 41-78. – Grund 45 Dietrich Korsch: Die Wahrheit der Reformation und ihre Wahrnehmungen, in: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 80 (2009) 2, 85-98. – Grund 46 Thomas Brockmann: Vorbild, Lehrer, Prophet der letzten Zeit. Luthermemoria und Lutherrezeption 1546-1617, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), 35-64. – Grund 47 Hubert Huppertz: Ignatz von Döllingers Lutherbild, Amerfoort: Sliedrecht 2007, 61 Seiten, broschur. – Erinnerung an die ökumenische Potenz der Lutherdeutung des Grün- ders der altkatholischen Gemeinden. – Wriedt 2.3 Zwingli

48 Alfred Schindler: Zwinglis „Fehltritt“ in Einsiedeln und die Überlieferung dieses Ereignisses, in: Zwingliana 36 (2009), 49-53. – Deutscher Übersetzung des lateinischen Briefes von Zwingli an Heinrich Utinger, Einsiedeln, 5.12.1518, und Kommentar. – Grund 49 Herbert Migsch: Noch einmal: Huldreich Zwinglis hebräische Bibel, in: Zwingliana XXXVI, 2009, 41-48. – Eine korrupte Namensform in Zwinglis lateinischer Jeremiaüber- setzung und in der Zürcher Prophetenbibel legt den Schluss nahe, dass es sich bei Zwinglis Handexemplar einer hebräischen Bibel um die zweite Quartausgabe der sog. Rabbinerbibel (Venedig: Daniel Bomberg, 1521) gehandelt haben muss. – Moser 50 Luca Baschera, Christian Moser, Hans Jakob Haag: Neue Literatur zur zwinglischen Reformation, in: Zwingliana XXXV, 2008, 187-212. – Moser 51 Luca Baschera, Christian Moser, Hans Jakob Haag: Neue Literatur zur zwinglischen Reformation, in: Zwingliana XXXVI, 2009, 151-165. – Moser Religion und Kirche 22

2.4 Calvin

52 Jean Calvin: Institution de la Religion Chrétienne (1541). Tome I et II: Edition cri- tique par Olivier Millet. Genf: Droz 2009; 1816 Seiten; Paperback. – Millet ediert die von Calvin selbst erstellte französische Fassung seiner Institutio von 1541, die in der französi- schen Literatur-, Sprach- und Geistesgeschichte als Meilenstein gilt. Auch unter theologi- schem Gesichtspunkt kommt ihr hohe Relevanz zu. Sie liegt hier erstmals in einer zuverläs- sigen, kritisch kommentierten und zugleich leicht lesbaren Ausgabe vor. Eine ausführliche Einleitung macht den Benutzer mit dem Bildungshintergrund Calvins und dem Kontext der Institutio von 1541 bekannt. Eine Chronologie, die von der Geburt Calvins 1509 bis zur Indexierung und Verwerfung der Institutio als häretisch im Jahre 1542 reicht, erlaubt eine rasche historische Orientierung. Die Anmerkungen des Editors geben philologische, histo- rische, theologische, philosophische und rhetorisch-literarische Erläuterungen, die sowohl dem Verständnis des Textes als auch weiterer Forschung dienen. Wichtig sind nicht zuletzt die dort gegebenen Nachweise der von Calvin benutzten „Quellen“ sowie seiner Zitate und Anspielungen auf die Kirchenväter. Eine Liste der zu Lebzeiten Calvin herausgekommenen Ausgaben der Institutio verschafft einen Überblick über den enormen Erfolg des Buches. Ein Glossar, ein Bibelstellen- und ein Namenregister erleichtern die Benutzung bzw. die gezielte Erschließung der Bände. – Dingel. 53 Joy Kleinstuber (Hg.): Ioannis Calvini Scripta didactica et polemica, Vol. V. Genf: Droz 2009; XXV; 228 Seiten; Leinen gebunden. – Der Band enthält die Schrift „Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate contra prodigiosos errores Michaelis Serueti Hispani“, die Calvin einen Monat nach dem Tod Servets auf dem Scheiterhaufen in Angriff nahm. Er reagierte damit auf die anschließend laut gewordenen, kritischen Stimmen. Die Schrift wurde im Februar 1554 gedruckt und gehört zugleich in den Kontext der nach ihrem Er- scheinen in Gang kommenden Diskussion über die Verfolgung und Bestrafung von Häreti- kern. Ihr ging es zwar vornehmlich um eine Auseinandersetzung mit Servets antitrinitari- schen Lehren, wie er sie in seiner Schrift „Christianismi Restitutio“ (CR) entfaltet hatte, aber auch darum die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen ihn darzulegen. Die in der wertvollen Reihe „Ioannis Calvini opera omnia“ series IV, erschienene Edition macht den Text, mit Kommentaren versehen, zugänglich. Beigegeben ist – außer einer Bibliographie – ein Namen- und Bibelstellenregister. – Dingel. 54 Anthony N.S.Lane (Hg.): Ioannis Calvini Scripta Didactica et Polemica Vol. III, Genève: Droz 2008. 465 Seiten, Leinen gebunden. – Der in der series IV: scripta didactica et polemica erschienene Band bietet die Schrift „Defensio sanae et orthodoxae doctrinae de servitute et liberatione humani arbitrii“ von 1543. Es handelt sich um die Reaktion Calvins auf die Schrift „De libero hominis arbitrio et divina gratia“, die der altgläubige Theologe Albertus Pighius im Jahr zuvor publiziert hatte. Calvins „Defensio“ beginnt mit einer Wid- mung an Melanchthon bevor sich Calvin intensiv mit den Argumenten des Pighius ausei- nandersetzt. Die in sechs Bücher untergliederte Schrift läßt u.a. die Parallelen zu Luthers Lehre vom gebundenen Willen erkennen, die Calvin als schriftgemäß verteidigt. Pighius dagegen lastet er an, weder ein rechtes Verständnis der Bibel zu haben noch sich zu Recht auf die Kirchenväter zu berufen. Die in einzelne gehende Auseinandersetzung mit dem der römischen Lehre verhafteten Gegner läßt Calvins eigene Theologie detailreich hervortreten. Die sorgfältige Edition bietet, außer einer informativen Einleitung und den üblichen Regis- tern, am Ende des Bandes einen Faksimileabdruck der Schrift des Pighius. – Dingel 23 Calvin 55 Erik Alexander De Boer, Frans Pieter van Stam (Hgg.): Ioannis Calvini Opera omnia, Series IV: Scripta Didactica et Polemica Vol. IV. Genève: Droz 2009. 406 Seiten; Leinen gebunden. – Der Band bietet die Epistolae duae, die Calvin im Jahre 1536 während seines Aufenthalts in Ferrara am Hof der Renée de France abfaßte. Hinter den anonymen Adres- saten hat schon Theodor Beza Nicolas Duchemin und Gérard Roussel vermutet. Die the- matische Ausrichtung der Briefe auf generell abzulehnende altgläubige Irrtümer in Lehre und Leben enthoben sie aber schon zu Lebzeiten Calvins einer persönlichen Zuschreibung und gaben ihnen Öffentlichkeitscharakter. Die Bearbeiter stellen die Briefe in den Kontext des Religionsgesprächs von Lausanne vom 1.-8. Oktober 1536, auf dem sich Calvin mit längeren Ausführungen, die hier ebenfalls ediert werden, zu Wort meldete. Ausführliche, die Quellenlage aufarbeitende und den Forschungsstand berücksichtigende Einleitungen versorgen den Benutzer mit den notwendigen historischen Informationen und führen gezielt auf die edierten Texte hin. Die insgesamt wertvoll ausgestatte Reihe erfährt durch diesen kompetent erstellten Editionsband, der die gewohnten Standards respektiert, eine Bereicherung. – Dingel 56 Johannes Calvin: Vom bürgerlichen Regiment [O zwierzchności świeckiej]. Bearbei- tung und Vorwort von Wojciech Kriegseisen. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe Semper 2009, 133 ff. – Das besprochene Buch beinhaltet die kritische Edition einer anonymen polnischen Übersetzung des 20. Kapitels des vierten Buches des Werkes „Institutio Christianae religionis” von Johannes Calvin, das 1599 gedruckt wurde. Der Herausgeber nimmt an, dass Grzegorz von Żarnowiec (1528-1601), Pfarrer der Evangelisch- Reformierten Kirche, der Übersetzer des kleinen Werkes gewesen sein könnte. Der Druck dieses Buches erfolgte dagegen mit Sicherheit in der Typographie des Protestanten Maciej Wierzbięta in Kraków (Krakau). Unter Berufung auf „Bibliografia polska” [Polnische Bibli- ographie] von Karol Estreicher macht Wojciech Kriegseisen auf die verhältnismäßig geringe Zahl der Veröffentlichungen von Werken Calvins in Polen (26) aufmerksam, obwohl der Calvinismus in der Adelsrepublik die führende Position unter den protestantischen Be- kenntnissen einnahm. Diese Ansicht findet eine Begründung auch in der Arbeit von Wiesław Mincer „Jan Kalwin. Bibliografia”, Toruń 2000, 98 ff., die der Aufmerksamkeit des Herausgebers entgangen ist. Der Editor erklärt die wenigen Drucke von Calvins Arbeiten in Polen mit den guten Lateinkenntnissen in den Kreisen der calvinistischen Eliten in Polen, die es ihren Vertretern erlaubten, unmittelbar die in dieser Sprache geschriebenen Arbeiten Calvins zu nutzen. Einfluss auf diese Tatsache hatte natürlich auch der beträchtliche Ent- wicklungsrückstand des polnischen Druckereiwesens gegenüber den westeuropäischen Staaten. Im Vorwort macht sich der Editor darüber Gedanken, worin der Grund dafür lag, nur dieses Fragment aus „Institutio” von Calvin ins Polnische zu übersetzen, das vom bürgerlichen Regiment handelt. Er kommt zu dem Schluss, dass dem Autor der Überset- zung daran gelegen war, dem radikalen katholischen Lager entgegenzutreten, das den polni- schen Calvinisten Antiregalismus und Staatsfeindlichkeit vorwarf, was in der Konsequenz zur Infragestellung der den Protestanten in der Warschauer Konföderation von 1573 garan- tierten Religionstoleranz hätte beitragen können. Derartige Vorwürfe hatte nämlich der Jesuit Piotr Skarga in seinen berühmten „Reichstagspredigten“ [Kazania sejmowe] formu- liert. Die polnischen Protestanten fühlten sich bedroht. Die Veröffentlichung der Ansichten Calvins in der Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Regenten und den Un- tertanen sollte die vom katholischen Lager gegen die polnischen Calvinisten formulierten Vorwürfe der Illoyalität gegenüber dem bürgerlichen Regiment zurückweisen. Calvin hatte nämlich geschrieben, dass wenn der Regent am Recht Gottes Verrat übt, die Untertanen das Recht zu passivem Widerstand haben, niemals jedoch zu aktivem. – Małłek Religion und Kirche 24 57 Georg Plasger: Johannes Calvins Theologie – Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 2008. 157 Seiten; Hardcover. – Als Beitrag zum Calvinju- biläum schrieb der Siegener Dogmatiker diese knappe, aber sehr zugängliche Einführung. Nach den Worten des Verfasser geht es um einen ‘Appetitanreger’ der zu weiterer Lektüre von und über Calvin anregen soll. In 15 Kapittel wird eine Mini-Dogmatik Calvins verfasst aber auf eine breitere Basis als der Institutio. Auffallende Punkte des Buches sind die inte- ressante Vergleiche mit Luther und die Hinweise auf die Relevanz der Theologie Calvins für die heutige Kirche und Gesellschaft. – Selderhuis 58 Wulfert de Greef: The Writings of John Calvin: An introductory Guide. Louisville: John Knox 2008. XVII; 253 Seiten; gebunden mit Schutzumschlag. – The book is the expanded version of the 1989 edition. De Greef lists Calvin’s biographical and bibliographi- cal data and gives a select overview of editions of Calvin’s works and of secondary litera- ture. – Selderhuis 59 Peter Opitz: Leben und Werk Johannes Calvins. Göttingen: Vandenhoeck & Rup- recht 2009. 176 Seiten; Hardcover. – Die Biografie von Opitz gehört zu den gelungenen Kurzdarstellungen die im Calvinjahr 2009 erschienen. Aus den Quellen statt aus der Sekundarliteratur heraus werden die wichtigsten Stationen im Leben Calvins behandelt. Opitz will mit dem Buch anregen zu einem Gespräch über Calvin und zur intensiveren Beschäftigung mit ihm. – Selderhuis 60 Christian Link: Johannes Calvin. Zürich: TVZ 2009 80 Seiten, Paperback. – Kom- pakt und mit einigen Illustrationen gibt Link hier eine Übersicht des Lebens und der Lehre Calvins. Die Beschreibung der Theologie Calvins zieht Verbindungen innerhalb dieser Theologie aber auch bis in die heutigen Diskussionen hinein. – Selderhuis 61 Donald K. McKim (Hg.): Calvin and the Bible. Cambridge: Cambridge University Press. Xiv, 296 Seiten, kartoniert. – Recent research into the exegetical work of John Calvin has brought new insights in his theology and personality. What so far was lacking was a book that gave an oversight of Calvin’s work as commentator of Scripture, and in which also these new insights were integrated. Donad McKim has in this book brought together 13 Calvin-experts who supply just this overview. Each chapter informs on the historical situation in which the various commentaries were written and published. After that an outline of the work and it’s theology is given. All authors pay attention to the exegetical tradition in which Calvin stands and they way in which he makes use of the insights of his predecessors as well as his contemporaries. David Steinmetz in the last chapter comes to the conclusion that ‘the significance of Calvin’s exegetical work lies less in its methodology than in its execution.’ – Selderhuis 62 Raymond A. Blacketer: The School of God (Studies in Early Modern Religious Re- forms). Dordrecht: Springer 2006. xviii, 299 Seiten, gebunden. – This book is a new contri- bution to the tendency to focus more on Calvin’s exegetical works than on his systematical publications. The author gives an analysis of Calvin’s commentary and sermons on Deute- ronomy. Blacketer examines Calvin’s exegesis and rhetoric in comparison to the preceding exegetical tradition and to Calvin’s contemporaries. Blacketer concludes that Calvin’s inter- pretation of Deuternomy is both traditional and innovative. The innovatitive aspect is than Calvin’s method of applying the new insights in rhetoric and method of his time as a means to place the text of the Bible in historical context and from there draw lessons foor the situation of the church in Calvin’s times. That is the reason why in his comentaries he can apply more brevitas, since the audience of the sermons is different and needs more an expansive style. That explains also for the title of the book, whereas for Calvin the Bible, the pulpit, the church can all be seen as the School of God, where doctrine is taught but then not in a dogmatic but in a practical sense. – Selderhuis 25 Calvin 63 Henk Van den Belt: The Authority of Scripture in Reformed Theology (Studies in Reformed Theology; 17). Leiden: Brill 2008. xiv, 384 Seiten, gebunden. – This study deals with the relation between the authority of Scripture and the certainty of Faith, or as he subtitle indicates, between truth and trust, as it was dealt with in the reformed tradition. The startingpoint of the author’s research is the concept of autopistos, a concept introduced by John Calvin to indicate that the authority of Scrpiture does not depend on the church or on rational arguments, but that it is self-convincing. Calvin is alo the main actor in this book, since he stands at the basis of this typical reformed view of the Bible. Van den Belt traces the history o this Greek term and analyses the use Calvin made of it. He concludes hat Scripture for Calvin is not a principium of theology in the Aristotelian sense but that Calvin uses it more metaphorically. After a chapter on the view of some representatives of re- formed othodoxy (mainly William Whitaker, Franciscus Junius, Francis Turretin and Gis- bertus Voetius), the author focusses in the last part of his work on two reformed theolo- gians of the 19th and 20th century Benjamin Warfield and Herman Bavinck. As to the fruits for Reformationresearch Van den Belt brings to attention the consequences of the principle of ‘sola scriptura’ as a principle more stated than reflected and the major contribution John Calvin paid to he debate on the authority of Scripture. – Selderhuis 64 J. Mark Beach: Christ and the Covenant (Reformed Historical Theology; 1). Göttin- gen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 372 Seiten, gebunden. – The author contributes to the growing number of manuscripts on reformed orthodoxy and is result of a rather new ap- proach to this period. Beaches standpoint is that reformed orthodoxy was – regarded from the view the Calvin´s theology reflects the original reformed position – not a decline but a continuation with changes in form, not in content. This over against the positions of e.g. Heinrich Heppe and Karl Barth. Franciscus Turretini (1623-1687) is a Genevan reformed theologian famous for his Institutio theologiae elencticae (1679-1685). His view of the covenant is the topic of Beach´s dissertation and he states that Turretin´s federal theology is a defense of the doctrine of grace. The author argues from a close reading of the sources that the doctrine of predestination as defended by Turretini does not contradict the doc- trine of the covenant but supplements it. – Selderhuis 65 Cornelis P. Venema: Accepted and Renewed in Christ (Reformed Historical Theology; 2). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 296 Seiten, gebunden. The author examines Calvin´s view on the relation between justification and sanctification. His source is much broader than the Institutes. Calvin called this the twofold grace of God, meaning that when God justifies a person, He also sanctifies him or her. Venema places this distinction within the context of the whole of Calvin´s theology as he discusses related issues, which have remained as issues through the history of church and theology, as are the topics of ´law and gospel´ and the ´practical syllogism´. Calvin, according to this dissertation, wanted to keep justification and sanctification close together in order to omit a one-sidedness and unbal- ance, which he noticed especially in Romancatholic and Anabaptist theology, although he did want to do justice to their complaint that the theology of grace would hurt sanctifica- tion. Because of this Calvin spoke of a double-justification, just as did, and Venema asks attention for the fact that Calvin saw this double-justification as a possible point of agreement with Rome. – Selderhuis 66 Marc Vial: La pensée théologique de Calvin d'après l'Insitution de la religion chrétienne, in: Positions luthériennes 57 (2009) 4, 289-303. – Grund 67 Matthieu Arnold: Jean Calvin, père du protestantisme français?, in: Positions luthé- riennes 57 (2009) 2, 103-123. – Grund 68 Matthias Freudenberg: Reformation des Lebens – Johannes Calvins Überlegungen zur Lebensgestaltung, in: Jb bad. Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 99-113. – Grund Religion und Kirche 26 69 Marta García-Alonso: Calvin and the Ecclesiastical Power of Jurisdiction, in: Reforma- tion & Renaissance Review 10 (2008) 2, 137-155. – Grund 70 André Birmelé: L'ecclésiologie de Jean Calvin et les défis oecuméniques contempo- rains, in: Positions luthériennes 57 (2009) 2, 85-102. – Grund 71 Beat A. Föllmi: Calvin und das Psalmsingen. Die Vorgeschichte des Genfer Psalters, in: Zwingliana 36 (2009), 59-84. – Grund 72 Raymond A. Blacketer: No Escape by Deception: Calvin's Exegesis of Lies and Liars in the Old Testament, in: Reformation & Renaissance Review 10 (2008) 3, 267-289. – Grund 73 Michael W. Bruening: Triumvirs, Patriarchs, or Friends? Evaluating the Relationship between Calvin, Viret, and Farel, in: Reformation & Renaissance Review 10 (2008) 2, 125- 136. – Grund 74 Max Engammare: Une dédicace inconnue de Calvin à Myconius sur la Supplex exhor- tatio de 1543, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 73 (2009) 3, 535-539. – Grund 75 Chiara Lastraioli: D'un texte inconnu de Jérôme Bolsec contre Calvin, in: Reforma- tion & Renaissance Review 10 (2008) 2, 157-174. – Satire Le double des lettres envoyees à Passevent Parisien, par le Noble et excellent Pasquin Romain, contenant en vérité la vie de Jehan Calvin, Paris: Pierre Gaultier, 1556, einziges heute erhaltenes Exemplar: Bibl. nat. de France, Notice n° FRBNF33355992, http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb33355992h/ PUBLIC. – Grund 76 María Tausiet: Magus versus Falsarius: A Duel of Insults between Calvin and Serve- tus, in: Reformation & Renaissance Review 10 (2008) 1, 59-87. – Grund 77 Gesine von Kloeden-Freudenberg: „Zehn Meere durchqueren“ – Ökumenische Akzente in Johannes Calvins Theologie und ihre Bedeutung für den reformierten Protestantismus, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 115-127. – Grund 78 Heinz Schilling: Calvin und die calvinistische Konfessionskultur. Fremdheitserfahrung und Modernität, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 7/8, 372-386. – Grund 79 Marc Lienhard: L'Église et le ministère pastoral: l'actualité de Calvin, in: Positions luthériennes 57 (2009) 3, 219-232. – Grund 80 Christoph Strohm: 25 Jahre Calvin-Forschung (1985-2009). Teil 1, in: Theologische Rundschau 74 (2009) 4, 377-409. – Grund 81 Christoph Strohm: Calvin im Rahmen der europäischen Reformationsgeschichte, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 87-97. – Grund 82 Johannes Ehmann: Castellio gegen Calvin – Zur kulturellen Rezeption Calvins im 20. Jahrhundert am Beispiel Stefan Zweigs, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religions- geschichte 3 (2009), 143-152. – Grund 83 Johan de Niet, Herman Paul, Bart Wallet (eds.): Sober, Strict and Scriptural. Collective memories of John Calvin, 1800-2000, Brill’s Series in Church History, Vol. 38). Leiden: Brill 2009. 394 Seiten, hardcover,. – The editors have brought together a collection of essays on the question on how Calvin over the period 1800-2000 was remembered, commemorated and memorialized. The titles indicate a wide variety of interesting subtopics as they are: Calvin’s Image in Catholic France during the Nineteenth Century, Michèle Sacquin ; French Protestants and the Legacy of John Calvin: Reformer and Legislator, Patrick Cabanel; Issus de Calvin: Collective Memories of John Calvin in Dutch Neo-Calvinism, Herman Paul and Johan de Niet; „Calvin’s Truth” And „Hungarian Religion”: Remembering a Reformer, Botond Gaál; Calvin in Germany: A Marginalized Memory, Stefan Laube;. Servetus vs. Calvin: A Battle of Monuments during the Secularization of the French Third Republic, Valentine Zuber; Calvin in Missionary Memory and Chinese Protestant Identity, Jonathan Seitz; Calvin and Anti-Apartheid Memory in the Dutch Reformed Family of Churches in South Africa, 27 Calvin Robert Vosloo; Calvin: A Negative Boundary Marker in American Lutheran Self-Identity, 1871-1934, R. Scott Clark ; „The Republican Reformer”: John Calvin and the American Calvinists, 1830-1910, R. Bryan Bademan; The Image of Calvin within Mormonism, Stephen S. Francis; Shadow on the Alps: John Calvin and English Travellers in Geneva, James Rigney; „The French Barber”: Calvin as a Source of Burlesque in Mark Twain, Joe B. Fulton; The Death of Adam, the Resurrection of Calvin: Marilynne Robinson’s Alternative to an Ameri- can Ideograph, Thomas J. Davis. This new approach toward the reception of Calvins theolo- gy and Calvin as a person is insightful and promissing. It also demonstrates how Calvin has been used or misused for ideas and position alien to his own. The model now adapted to the Calvin-reception should prove worthwhile for other personalities as well. – Selderhuis 84 Hans-Georg Ulrichs: „Der ‚heilige‘, nicht anzutastende Calvin“. Auf der Suche nach Anerkennung: Der badische Calvin-Forscher Wilhelm-Albert Hauck (1909-1982), in: Jahr- buch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 279-298. – Grund 85 Douwe Visser: Was dem Leben dient. Die Bedeutung Calvins für den weltweiten Protestantismus, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 153- 156. – Grund 86 Gregor Horstkemper; Alessandra Sorbello Staub: Ein Theologe mit Langzeitwirkung. Jean Calvin und das Reformiertentum im Internet, in: Geschichte in Wissenschaft und Unter- richt 60 (2009) 7/8, 431-432. – Grund

2.5 Protestantismus: Theologie und Kirche

87 Gunther Wenz: Confessio Augustana XXII und der Streit um den Laienkelch, in: Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte 78 (2009), 1-16. – Der Beitrag richtet den Fokus auf die Ausgleichsbemühungen zwischen protestierenden Ständen einerseits und Kurie und Kaiser andererseits auf dem Augsburger Reichstag von 1530. Ausgehend von einer Entwicklungsgeschichte der Confessio-Augustana-Version XXII (CA XII) zeichnet der Autor nach, dass Melanchthon stark um eine gütliche Einigung im Streit um die communio sub utraque bemüht war. Auch die katholische Seite war durchaus daran interes- siert. Der Einigungsvorschlag der altgläubigen Partei lief darauf hinaus, das Abendmahl in beiderlei Gestalt überall dort den einheimischen Untertanen zu gestatten, wo es seit Jahren in Gebrauch war. Letztlich beharrten aber die Protestanten auf einer biblisch untermauerten verbindlichen Setzung des Abendmahls communio sub utraque. Der Laienkelch wurde so „zum Symbol der Spaltung“ (13). – R.-P. Fuchs 88 Irene Dingel (Hg.): Nikolaus von Amsdorf (1483 – 1565 zwischen Reformation und Politik (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodo- xie; 9) Leipzig: EVA 2008. 379 Seiten, Hardback. – Die Wittenberger Frühjahrstagungen zur Reformationsgeschichte sind inzwischen eine feste Größe der Forschung geworden. Eine ganze Reihe von Bänden widmet sich unter der sachkundigen Leitung von Irene Dingel und Günter Wartenberg (†) etlichen der Wittenberger ‚reformatores secundi ordinis‘. Nach Georg Major und Justus Jonas stand nun Nikolaus von Amsdorf, gleichaltriger Kolle- ge und wirkmächtiger Theologe der Wittenberger Reformation, mit seinem Beitrag zur Weiterentwicklung der Theologie und zur Gestaltung des Kirchenwesens nach dem Inte- rim. – Heiner Lück berichtet über Universiät und Stadt Wittenberg zur Zeit des Nikolaus von Amsdorf und widmet sich insbesondere den frühen Jahren. Ulrich Köpf untersucht auf der Basis der in seinem Beitrag dankenswerter Weise abgedruckten Disputationsthesen über die Messe von 1521 den theologischen Umschwung und die selbständige Aneignung der Religion und Kirche 28 reformatorischen Theologie. Wolf Friedrich Schäufele untersucht das Kirchenverständnis Amsdorfs im Fokus einer verfallsgeschichtlichen respectiven heilsgeschichtlichen Interpre- tation. Hans Peter Hasse untersucht ein Druckmanuskript aus dem Jahre 1562 aus dem Nachlass Amsdorfs in katechetischer Hinsicht. Volker Leppin umreißt die politische Wirk- samkeit Amsdorfs am Beispiel seines Verhältnisses zu Johann Friedrich d.Ä.. Die Schrift Amsdorfs zu dessen Tod wiederum wird von Siegfried Bräuer erläutert. Armin Kohnle wendet sich den Stellungnahmen Amsdorfs zum Interim zu, die ihn zu einem Vertreter der Gnesio- lutheraner haben werden lassen. Irene Dingel trägt aus dem von ihr angeregten For- schungsprojekt „die Kultivierung des Exulantentums im Luthertum am Besipiel des Niko- laus von Amsdorf“ vor und erläutert die Bedeutung der Selbstbezeichnung als „exul Chris- ti“. Christian Winter trägt zur politischen Wirksamkeit Amsdorfs dessen Schriften der gegen Moritz von Sachsen gerichten Polemik vor. Daniel Gehrt geht noch einmal auf das „Bi- schofsexperiment“ Amsdorfs in Naumburg ein. Lothar Berndorff untersucht die publizisti- sche Wirkung der Autorität Amsdorfs am Beispiel der Auseinandersetzungen des Mansfelder Klerus um die Bedeutung und rechte Anwendung des Bannes bzw. der Kir- chenzucht. Christoph Ilgner untersucht Amsdorfs Schrift „wider den rotten vnnd secten gaist“ von 1525 vor dem Hintergrund der beginnenden Ausdifferenzierung der Wittenber- ger Bewegung und dem Bauernkrieg. Hartmut Kühne gelingt die Rekonstruktion des Streites zwischen dem Magdeburger Rat und den lutherischen Theologen um die Amtsenthebung von Tilemann Heshusius im Jahre 1562. Auch er ediert einen Amsdorf-Brief aus diesem Zusammenhang. Robert Kolb beschreibt Amsdorfs Beitrag zur Entstehung eines genuin lutherischen Bekenntnisses in der Auseinandersetzung mit dem beginnenden Philipismus. Johannes Hund schließlich stellt das Testament Amsdorfs in seinen Kontext und arbeite die theologischen und historischen Zusammenhänge heraus. – Der Band dokumentiert den lebendigen Austausch zwischen jüngeren und älteren Reformationshistorikern und die fruchtbare Zusammenarbeit über Disziplin- und Nationengrenzen hinweg. Zugleich wird sichtbar, wie neue Fragestellungen eingefahrene Denk- und Urteilsstrukturen überkommen helfen und die Reformationsgeschichte nur im interdisziplinären Miteinander zu weiterfürhenden Ergebnissen kommt. – Wriedt 89 Philpp Melanchthon: Ethicae Doctrinae Elementa et Ennaratio. Lbri quinti Ethicorum. Herasugegeben und eigeleitet von Günter Frank. Unter Mitarbeit von Michael Beyer (Editio- nen zur Frühen Neuzeit. Lateinisch-deutsche Quelleneditionen; 1). Stuttgart-Bad Cannstatt, 2008. Xlii, 271 Seiten, Leinen gebunden. – Angesichts fortschreitender Unlust und -fähig- keit zahlreicher Studierender der Reformationsgeschichte ist die Übersetzung von Quellen zunehmend wichtiger. Um zu vermeiden, dass die Übersetzung zum autoritativen Text wird, wird häufig auf den Quellentext im Original hingewiesen, je nach Erreichbarkeit dieser freilich immer seltener konsultiert. Mit der durch diesen Band eröffneten Reihe Editionen zur frühen Neuzeit sollen einige wichtige, im Lehr- und Forschungsbetrieb zunehmend vernachlässigte Schriften von Nikolaus Taurellius, Petrus Ramus, Arnold Clapmarius, Agostino Steuco neu zu philosophischen Themen ediert und durch eine Über- setzung breiteren Kreisen zugänglich gemacht werden. Die vorliegende Ausgabe verbindet derartige Nützlichkeitserwägungen mit dem Ziel, „den ursprünglichen Text der ersten beiden Bücher der Ethik Melanchthons aus dem Jahre 1550“ (xxxv) abzubilden. Dazu wird der bisher zugängliche Text aus dem Corpus Reformatorum behutsam aufgrund der origi- naldrucke korrigiert und entspricht damit dem Maßstab historischer Textkritik. Der An- merkungsapparat verzeichnet Abweichungen von den Drucken aus den Jahren 1554, 57 und 60 sowie von CR 16, 165-276. Außerdem schlüsselt er Zitate und Quellenverweise sowie die biblischen Belegstellen auf. – Die Einleitung von Günter Frank ordnet die Ethik Melanchthon sowohl in die reformatorische Theologie aber auch in die Geschichte der 29 Protestantismus Philosophie, hier besonders der auch durch Melanchthon für Wittenberg mitverantworteten Aristotelesrezeption, ein. In drei grundlegenden Charakteristika sieht Frank das reformato- rische Konzept in Melanchthons Ethik-Paraphrase erhelten: in der Dialektik von Gesetz und Evangelium, die die Vorlesung bestimmt, in der dezidiert theologischen Akzentuierung des ethischen Entwurfs, und die stete Berücksichtigung des Menschen in statu corruptionis. Hierin erweist sich Melanchthon als exponierter Vertreter der sich langsam herausbildenden reformatorischen Theologie Wittenberger Provenienz. – Man mag an der akzentuierten philosophiegeschichtlichen Interpretation Franks einige Fragen anmelden. Am Text der Edition und ihrer recht gut und flüssig lesbaren Übersetzung freilich weniger. – Die handli- che und ansprechende Ausgabe mag zukünftigen Lesern Melanchthons das bisher schwierig zu konsumierende Werk leicht zugänglich machen. Allerdings werden einer weiten Verbrei- tung durch die Preisgestaltung des Verlages enge Grenzen gesetzt. – Wriedt 90 Nicole Kuropka: Melanchthon (UTB Profile). Tübingen: Mohr Siebeck, 2010. 143 Seiten, paperback. – Dem Profil der Reihe angemessene äußerst knappe, dennoch aber wesentliche Elemente einer intellektuellen Biographie des Wittenberger Reformators bie- tende Darstellung. Didaktisch gut aufgebaut folgt die Gliederung einem chronologischen Muster, akzentuiert aber systematisch Wirkungsfelder Melanchthons. Der Text ist für Laien gut verständlich abgefaßt. Jedes Kapitel wird mit einem Quellenzitat eingeleitet und weiter- führenden, allerdings sehr knappen Literaturhinweisen abgeschlossen. Der Band referiert den Stand der Forschung ohne zu sehr ins Detail zu gehen und eignet sich insofern hervor- ragend als Einführungsliteratur für Studienanfänger und interessierte Laien. – Wriedt 91 Heinz Scheible: Aufsätze zu Melanchthon (Spätmittealter, Humanismus, Reformation; 49). Tübingen: Mohr Siebeck 2010. X, 478 Seiten. Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – Nachdem 1996 die ersten 24 „Forschungsbeiträge” des Altmeisters der Melanchthon- Forschung und Editors des umfangreichen Briefwechsels des Wittenberger Praeceptor Germaniae erscheinen, lag es nahe, die danach an zahlreichen, zum Teil schwierig zu errei- chenden Publikationsorten veröffentlichten weiteren Beiträge Scheibles zu sammeln und so einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Auch wenn mit der 1997 erschienen Biographie ein Überblick zu Leben und Werk Melanchthons gelungen war, sind für die weitere Forschung die akribische Genauigkeit und das abgewogene Urteil Scheibles im Nachvollzug des in Anmerkungen versteckten Detailwissens unverzichtbar. So erschließen die 26 in diesem Band versammelten Beiträge das Oeuvre Melanchthons neu und vertieft. Die einzelnen Studien beschäftigen sich einerseits mit scheinbar Bekanntem, Melanchthons Verhältnis zu Luther, sein Werdegang, seine Beziehungen zum Humanismsus oder als Bildungsreformer. Und dennoch – das scheinbar Bekannte erweist sich im Spiegel einer profunden Sachkenntnis der Quellen wieder ganz neu. Nicht zu schweigen von den erwei- terten Perspektiven der Analysen im Europäischen oder auch im territorialen Kontext Südwestdeutschlands, und in der Wirkungsgeschichte. – Der Band zeigt so zweierlei: die große Breite gerade auch der theologischen Stellungsnahmen des Wittenberger praeceptor, aber auch die profunde und tiefe Gelehrsamkeit seines Editors, auf den die jüngere Refor- mationsgeschichtsforschung noch lange nicht wird verzichten können. – Wriedt 92 Wibke Janssen: „Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren“. Philipp Me- lanchthon und die Reichsreligionsgespräche von 1540/41 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 98). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 320 Seiten, gebunden hardback. – Mit ihrer 2007 in Bonn graduierten und von Karl-Heinz Zur Mühlen betreuten Dissertation wendet sich die Vfn. einem einerseits häufig erwähnten, selten aber in gründli- cher Detailarbeit ergründeten Feld der Reformationsgeschichtsforschung, nämlich dem Beitrag Melanchthons zu politisch-theologischen Vertretung der Wittenberger Position in den reichsrechtlich hoch brisanten Religionsgesprächen anläßlich oder vielmehr am Rande Religion und Kirche 30 der Reichstage zu. Sie schöpft dabei einerseits aus dem Editionsprojekt, das von Karl-Heinz Zur Mühlen und Klaus Ganzer in drei Bänden abgeschlossen wurde: der Edition der Reli- gionsgespräche, andererseits aber eben auch auf die Einfluss- und Bezugnahmen dieser Verhandlungen auf das literarische und wissenschaftliche Schaffen Melanchthons. In einer sorgfältigen Analyse geht die Vfn. seit 1530 alle relevanten Texte Melanchthons durch und klopft sie behutsam auf die ihnen innewaltende Dynamik und Potenz für die Verhandlungs- führung zur Sicherung der Wittenberger Reformation ab. So nimmt die Untersuchung ihren Ausgang bei den Verhandlungen in Augsburg 1530, sowie deren lokalen Nachfolgern in Leipzig 1534 und 1539, geht dann der Frage des Konzils im Tractatus de potestate et primatu papae nach und wendet sich sodann dem Frankfurter Fürstentag von 1539 zu. Die in diesen Jahren ebenfalls entstandenen Schriften De ecclesia et de autoritate verbi Die sowie De offici principum, quod mandatum die praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos werden ebenso sorgsam analysiert wie ein Wittenberger Gutachten vom 18. Januar 1540 und Melanchthons Beteiligung am Schmaldischen Bundestag des gleichen Jahres. Ange- sichts des umfangreichen, bis heute kaum vollständig erschlossenen Oeuvres von Me- lanchthon kann man jeden Forscher zu dieser Thematik der arbiträren Auswahl zeihen. Gleichwohl, Janssen geht sehr überlegt und wohl abgewogen vor. Die Zusammenfassung dieses ersten Hauptteiles zeigt deutlich, wie Melanchthon zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissen seiner Aufgabe als Repräsentant und theologischer Sprecher der Wit- tenberger Reformation nachkommt. Die systematischen Bruchstellen möglicher Konsens- überlegungen werden gut herausgearbeitet. – Die zweite große Abteilung des Buches be- handelt sodann die drei wichtigen Religionsgespräche in Hagenau, Worms und Regensburg. Hierbei gründet die Analyse ganz wesentlich auf den vorgelegten Dokumenten der Gesprä- che, ihrer chronologischen Zuordnung und der Herausarbeitung der dogmatisch-doktrinä- ren Grenzlinien, die entgegen aller Absicht immer deutlicher ans Tageslicht treten. Seltener als im ersten Teil greift die Vfn. hierbei auf parallele Texte und Schriften Melanchthons zurück. Damit bekommt die Arbeit eine systematische Strukur, die der historischen Analyse nicht immer dienlich ist. Differenzen werden pointiert herausgearbeitet und vor allem die Gründe für das Scheitern der Konsensbemühungen detailliert präpariert. – Die Arbeit wird abgerundet durch eine knappe Untersuchung von Melanchthons selbst autorisierten Dar- stellungen der Verhandlungen und einem auch künftige Forschungsperspektiven in den Blick nehmenden Resümee. – Die Arbeit ist grundsolide und erlaubt einen differenzierten Blick in die komplizierten Entwicklungen am Rande der Reichstage und in den Wirren der sich etablierenden Konfessionskirche in den auf alle Spannungen und Konflikte seismogra- phisch reagierenden Melanchthon und sein Bemühen um eine konsensfähige, dennoch aber glaubwürdige und biblisch begründete evangelische Position. – Dennoch ist mit dieser Arbeit das Thema nicht abschließend behandelt. Vielmehr bleibt dem Buch und seiner Vfn. zu wünschen, dass der wissenschaftliche Austausch nun erst beginnt und vermehrt nach den Subtexten der Verhandlungspapiere, freilich auch den hermeneutischen Positionen ihrer Interpreten gefragt wird. Neben dem systematischen Kondensat einer sich – nach welchem orthodoxen Modell? – dann schlussendlich herausbildenden evangelischen Lehre, wird weiterhin nach Verhandlungsmustern und Kommunikationsstrukturen, nach Informa- tions- und Wissensdiffusionsnetzwerken, nach kurzfristigen Optionen und längerfristigen Plänen zu fragen sein. Das alles ist in einer Graduierungsarbeit nicht zu leisten. Allerdings macht die vorgelegte Studie im Kontext weiterer Untersuchungen, wie etwa der von Nicole Kuropka 2002 Mut, sich diesen Fragen mit erhöhter Aufmerksamkeit zu widmen. – Wriedt 93 Günter Frank und Sebastian Lalla (Hgg.): Fragmenta Melanchthoniana Band 3: Melanchthons Wirkung in der europäischen Bildungsgeschichte. Ubstadt-Weiher u.a.: verlag regionalkultur 2007. 267 Seiten mit zahlr. Abb., gebunden, hardcover. – Nicht allein 31 Protestantismus dem Zyklus von Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen, sondern auch der breiten Aktivität des Kustos des Brettener Melanchthonhauses verdanken sich zahlreiche Fachvor- träge, die ein wenig abseits der großen Universitätsorte in den letzten Jahren zu einer festen Einrichtung der reformationsgeschichtlichen Austausche geworden sind. Wo möglich, werden die Vorträge und Symposien sachlich zusammengefasst und in einer stattlichen Anzahl von Sammelbänden unter thematischen Gesichtspunkten veröffentlicht. Freilich gibt es aber auch immer wieder Einzelvorträge, die nicht dem Vergessen eines immer schnelllebigeren Wissenschaftsbetriebes anheim fallen sollten. Sie werden in regelmäßiger Folge in den Fragmenta Melanchthoniana in den Druck und damit unter die interessierte Leserschaft gebracht. Unter dem naheliegenden Thema der Bildungsreform versammelt der dritte Band Vorträge aus Anlass des 100jährigen Bestehens der Einrichtung, einem zweiten Abschnitt mit Beiträgen zu Werk und Wirken Philipp Melanchthons, und einem dritten Teil, in dem die Vorträge aus Anlass der Verleihung des Melanchthonpreises an den Ger- manisten Volkhard Wels enthalten sind. Auf die Jubiläums- und Gedenktagsbezogenen Beiträge kann bei dieser Vorstellung verzichtet werden, nicht aber auf den Hinweis auf einige wichtige Beiträge des zweiten Teils, die dieser Band für die Forschung konserviert: Mattieu Arnold gibt einen Überblick zu dem seit etlichen Jahrzehnten immer wieder traktier- ten Thema „Reformation und Humanismus im Elsass“. Nicole Kuropka – Melanchthon- preisträgerin des Jahres 2008 – trägt Einsichten ihrer Dissertation (s.o.) unter dem Titel „Vor Gott und in der Welt. Melanchthons Sprachschule für die Gesellschaft“ vor. Der Melanchthon-Preisträger des Jahres 2006 Volkhard Wels nähert sich aus seiner Fachdisziplin dem Werk Melanchthons unter dem Titel „Der Begriff der Dichtung vor und nach der Reformation. Joseph S. Freedman stellt ein Melanchthonflorilegium aus dem Jahre 1597 von Gregor Richter vor. Die europaweite Wirkung Melanchthons illustriert eindrucksvoll der Beitrag von Boris Djubo, der Auswirkungen von Melanchthons Werken auf die russische Grammatiktradition nachzeichnet. Weitere Aspekte der Rezeption Melanchthon stellen Simone de Angelis für die Frühaufklärung und Klaus Herrmann aus jüdischer Perspektive vor. – Im dritten Teil des Sammelbandes findet sich der Beitrag von Volkhard Wels zur Rhetorik Melanchthons im Rahmen der Dankrede zur Preisverleihung. – Wriedt 94 Heinz Scheible: Christliches und humanistisches Menschenbild nach Philipp Me- lanchthon, ein Leitfaden für politisches Handeln im 21. Jahrhundert, in: Jahrbuch für badi- sche Kirchen- und Religionsgeschichte 1 (2007), 13-25. – Grund 95 Günter Frank und Herman J. Selderhuis (Hgg.): Melanchthon und der Calvinismus. Unter Mitarbeit von Sebastian Lalla (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten). Stuttgart- Bad Cannstatt, 2005. 375 Seiten, gebunden, hardcover. – Nicht allein die Wirkungsge- schichte der polemischen Behauptung des von Melanchthon vertretenen ‚Krypto-Calvinis- mus‘ aufgrund einer vermeintlichen oder tatsächlichen Affinität der Theologie des Witten- bergers zu den Entwürfen des Genfer Reformators, sondern auch die Koinzidenz von Gedenkjahren (2009 – 500. Geburtstag von Johannes Calvin und 2010 – 450. Todestag Philipp Melanchthons) legt eine wissenschaftliche Betrachtung in unterschiedlicher Per- spektive des Verhältnisses beider einflußreicher Denker des 16. Jahrhunderts nahe. Der umtribige Kustos des Brettener Melanchthonshauses Günter Frank und der nicht minder aktive Leiter des reformationsgeschichtlichen Instituts der theologischen Universität Apel- doorn sowie Leiter des damals noch bestehenden Forschungsprogramms der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, Hermann J. Selderhuis, nutzen diese kalendarische Chance für eine umfangreiche Tagung, die im Vorfeld dieser Jubiläen bereits im Oktober 2001 in Bretten stattfand. Breit aufgestellt und dadurch stets in der Gefahr die inhaltliche Kohärenz des Bandes zu sprengen beleuchten insgesamt dreizehn Beiträge Berührungspunkte und Schnittstellen zwischen Melanchthon und Calvin bzw. den nach ihnen benannten Theolo- Religion und Kirche 32 gie- und Frömmigkeitesströmungen. Riemer Faber untersucht die humanistischen Wurzeln beider Reformatoren. Lyle D. Bierma und Herman J. Selderhuis suchen nach Bezügen zwischen beiden Traditionen innerhalb des Heidelberger Katechismus. Einen Vergleich zwischen Melanchthons und Calvins Vorstellungen der Reform der höhren Bildung stellt Karin Maag an. Jan Rohls geht der Behauptung der Wiedereinführung von Aristoteles in der protestanti- schen Theologie unter methodischen Gesichtspunkten nach. Michael Becht untersucht ver- gleichend die Konzilsvorstellungen von Melanchthon und Calvin. Christoph Strohm sucht nach Spuren Melanchthons in Entwürfen der frühen calvinistischen Ehtik und Günter Frank vergleicht die Gottes- und Trinitätslehre von Melanchthon und Calvin. Theodor Mahlmann bietet grundgelehrt und in hinlänglich bekannter pronouncierter Akzentuierung einige Belege für die Verbindung Melanchthons zum späteren sog. „Kryptocalvinismus“ in Wit- tenberg. Max Engammare thematisiert die astrologischen Kenntnisse und Bezüge bei Calvin, Melanchthon und Luther. Rezeptionsgeschichtliche Aspekte traktieren sodann Wim Janse, Willem van’t Spijker und Andreas J. Beck und beziehen sich dabei vor allem auf die nonkon- forme bzw. reformierte Tradition. Das wirft ein interessantes Licht auf die Wirksamkeit Melanchthons auch außerhalb der dezidiert der Wittenberger Richtung zuneigenden Grup- pen und Institutionenvertreter. – Der Band enthält trotz der thematisch gebotenen Breite und Indifferenz im Blick auf eine zusammenfassende These zahlreiche Einzelfunde und vor allem vielfältige Detailforschungen, die einerseits weitere Forschung initiieren, andererseits Zusammenhänge in einem neuen Licht erscheinen lassen. – Wriedt 96 Berndt Hamm: Faith Crossing Frontiers: The Editing of Martin Bucer's Letters as an International Approach to an Atypical Reformer, in: Reformation & Renaissance Review 9 (2007) 2, 153-172. – Grund 97 Daniel Timmerman: Martin Bucer as Interpreter of the Old Testament: A re- examination of previous scholarship in light of Bucer's Enarrationes in librum Iudicum (ca. 1540), in: Reformation & Renaissance Review 9 (2007) 1, 27-44. – Grund 98 Mattieu Arnold (Hg.): Johannes Sturm (1507 – 1589). Rhetor, Pädagoge und Diplomat (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 46). Tübingen: Mohr Siebeck, 2009. Ix, 435 Seiten, Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – Die Bedeutung der Straßburger Reformati- on und ihre teilweise vermittelnde Stellung zwischen lutherischer, oberdeutscher und Gen- fer Reformation sind hinlänglich bekannt. Eine umfangreiche Biographie Martin Bucers durch Martin Greschat hat einen der Protagonisten des Straßburger Reformationsgesche- hens ins Licht gerückt. Gleichwohl blieb eine konzise Darstellung des vielfältigen Wirkens von Johannes Sturm lange Zeit ein Desiderat der Forschung. Aus Anlass des am 1. Oktober 1507 in Schleiden geborenen Humanisten hat die Straßburger Groupe de recherches sur les non-conformistes religieux des XVIe et XVIIe siècles et l’historire des protestantismes unter ihrem Direktor Matthieu Arnold eine Tagung veranstaltet, die Schneisen in die vielfäl- tigen Verbindungen und Wirkungsgeschichte von Johannes Sturm schlagen hilft. Es sind in der Titelformulierung drei Hauptthemenbereiche genannt, die durch einen vierten Bereich gleich zu Beginn der Sammlung eröffnet wird, nämlich die historische Kontextualisierung: Francis Rapp, Thomas A. Brady Jr., Bernard Vogler, Stephen E. Buchwalter, Irena Backus und James Hirstein thematisieren Sturms verbindungen zu Strassburg und dem Elsaß, die politischen Entwicklungen der Reichsstadt, das Reformationsgeschehen und die Beziehungen zu Mar- tin Bucer und Beatus Rhenanus. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die Rhetorik als dem zentralen Fach des trivium innerhalb der artes liberales der humanistischen Bildungsreform: Kees Meerhof, Alexandra Trachsel, Olivier Millet und Philippe Büttgen stellen die Arbeiten Sturms zur Rhetorik in ihren wissenschaftstheoretischen Gesamthorizont und ziehen insbesondere die Verbindungen zum franzöischen Humanismus heraus. Der dritte Abschnitt wendet sich der Pädagogik des Humanisten und Gründungsrektors des Straßburger Gymnasium Illustre 33 Protestantismus zu: Loïc Chalmel, Èduard Mehl, Robert Weeda, Anjy-Silvia Göing, Anton Schindling, Zdzislaw Pietrzyk, Martin Holý und Martin Klöker betten Sturms pädagogisches Programm in die Weite seiner europäischen Rezeption ein. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der osteuropäischen Dimension des Wirkens von Sturm – ein Zeichen für die dort offenbar vorhandene Rezep- tionsbereitschaft einer moderaten Ausformung der reformierten Reformation. In einem letzten Kapitel wendet sich die Tagung dem diplomatischen Geschick und Wirken von Sturm zu: Hugues Daussy, Annie Noblesse-Rocher, Irene Dingel und Nicole de Laharpe thematisie- ren die Bedeutung Sturms und des Magistrates von Straßburg im Differenzierungsprozess der protestantischen Konfessionen. Es wird einerseits die vermittelnde Position, freilich auch die Grenzen der Vermittlungsbemühungen zugunsten einer protestantischen Einheit sichtbar. Mark Lienhard bietet ein knappes Resümee der Tagung und zugleich einen Aus- blick auf die weitere Forschung: Sturm und mit ihm die Straßburger Reformation erweisen sich als Schnittstelle, wenn nicht Winkelstück, zwischen Reformation(en) und Humanismus. – Wriedt 99 Phillip Haberkern: 'After Me There Will Come Braver Men': Jan Hus and Reformation Polemics in the 1530s, in: German History 27 (2009) 2, 177-195. – Analyse der Instrumen- talisierung des Jan-Hus-Prozesses für pro- und antilutherische Propaganda in den Dramen „Tragedia Johannis Huss“ (1537) von Johannes Agricola und der direkten Reaktion darauf, „Ein heimlich Gespräch von der Tragedia Johannis Hussen“ (1538) von Johannes Cochlaeus. – Grund 100 Luca Baschera: Tugend und Rechtfertigung. Peter Martyr Vermiglis Kommentar zur Nikomachischen Ethik im Spannungsfeld von Philosophie und Theologie, Zürich: Theolo- gischer Verlag Zürich, 2008 (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte 26). XII, 261 Seiten. – Peter Martyr Vermiglis posthum erschienener Kommentar zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles stellt den Hauptgegenstand der vorliegenden Studie dar. In Vermiglis Kommentar geht die philosophisch-philologische Auslegung des aristotelischen Textes mit der Erörterung bestimmter theologischer Fragen einher, welche sich aus dem Vergleich von aristotelischer Ethik und evangelischer Theologie ergeben. Die Untersuchung wird der Vielfalt und Komplexität des Quellentextes insofern gerecht, als beide Aspekte gebührend in den Blick genommen werden. So rekonstruiert der Verfasser einerseits sorgfältig, welche antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen Vermigli für seine Kommentierung heranzog, und gewährt den Lesern Einblick in Vermiglis Ansichten bezüglich Epistemolo- gie, Ideen- und Affektlehre. Andererseits beleuchtet er Vermiglis Auffassung des Verhält- nisses zwischen aristotelischer Tugend- und reformierter Heilslehre. Angesichts der in diesem Zusammenhang grundlegenden Funktion des Begriffs „iustitia inhaerens“ wird auf dessen Verwendung durch prominente reformierte Theologen des 16. Jahrhundert (Beza, Daneau, Zanchi, Hooker) eingegangen. Der Verfasser hat mit dieser seiner Studie einen signifikanten Beitrag zur Geschichte der reformierten Philosophierezeption geleistet und durch die minuziöse Untersuchung der Verwendung der Begriffe „iustitia imputata“ und „iustitia inhaerens“ auch auf einen bisher wenig beachteten Aspekt reformierter Rechtferti- gungslehre aufmerksam gemacht. – Moser 101 Jason Zuidema: Peter Martyr Vermigli (1499-1562) and the Outward Instruments of Divine Grace, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008 (Reformed Historical Theology 4). 196 Seiten. – Darstellung von Christologie, Schrift- und Abendmahlslehre unter dem – nicht wirklich hilfreichen, da auf nahezu alle orthodoxen reformierten Theologen seiner Zeit applizierbaren – Leitgedanken, dass Vermigli diesbezüglich eine mittlere Position zwischen „Überverfleischlichung“ und „Übervergeistigung“ eingenommen habe. – Moser Religion und Kirche 34 102 Gary Jenkins: Dinner with Raphael. The prolegomena of Peter Martyr Vermigli’s Eucharistic Intellections, in: Zwingliana XXXVI, 2009, 103-113. – Untersucht wird Vermiglis Verwendung von Theodoret von Cyrus im gegen die lutherische Abendmahlslehre und Christologie gerichteten „Dialogus de utraque in Christo natura“. Sich auf Theodoret stützend argumentiert Vermigli im Sinne einer – nach Meinung des Verfasser – zu starken Trennung der beiden Naturen in Christus. – Moser 103 Jin Heung Kim: Scripturae et Patrum Testimoniis: The Function of the Church Fa- thers and the Medievals in Peter Martyr Vermigli’s Two Eucharistic Treatises: Tractatio and Dialogus, Apeldoorn: Instituut voor Reformatieonderzoek, 2009 (Publicaties van het Insti- tuut voor Reformatieonderzoek 5). 351 Seiten – Gründliche Studie zur Väterrezeption bei Vermigli im Bereich der Abendmahlslehre mit insgesamt – gemessen am Aufwand – wenig überraschenden Ergebnissen: Die Väter werden zur Bekräftigung der eigenen und zur Entkräftung der gegnerischen Position verwendet und ihre Autorität ist relativ, insofern sie sich an der Heiligen Schrift messen lassen müssen. Im Vergleich zu Brenz spricht der Ver- fasser Vermigli einen adäquateren Umgang mit den Väterzeugnissen zu. – Moser 104 Daniel Timmerman: „The world always perishes, the church will last forever“. Church and eschatology in Bullingers’s sermons on the book of Daniel (1565), in: Zwingliana XXXVI, 2009, 85-101. – Moser 105 Heinrich Bullinger: Pastoraltheologische Schriften. Bearb. von Detlef Roth, Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2009 (Heinrich Bullinger Werke III/5). XVI, 256 Seiten, CD- ROM. – Erstedition der beiden Eheschriften „Volkommne underrichtung desz christlichen eestands“ (1527) und „Der christlich eestand“ (1540) sowie der Anleitung zur Sterbebeglei- tung „Bericht der kranken“ (1535) im Rahmen der Bullinger-Werkausgabe. Die in ihrer Zeit ungedruckt gebliebene erste Eheschrift trägt Züge eines humanistischen Traktats, mit starken Anleihen bei Erasmus und Juan Luis Vives. Ihr Inhalt wurde in der zweiten Ehe- schrift, die insgesamt drei deutsche und neun englische Auflagen erlebte, übernommen, allerdings unter Weglassung vieler Bezüge zu den beiden genannten Autoren und zu antiken Exempeln. Unmittelbarer Anlass für den „Bericht der kranken“ war das Auftreten der Pest in Zürich im Sommer 1535, die Bullinger zu einer Reflexion über das richtige Verhalten im Angesichts des Todes und über den angemessenen seelsorgerlichen Umgang mit Kranken und Sterbenden herausforderte. Roter Faden ist die reformatorische Rechtfertigungslehre: Nur der Glaube an Christus bringt Trost und Hilfe, was aber nicht bedeuten soll, dass man auf ärztliche Behandlung zu verzichten hat. – Moser 106 Palle J. Olsen: Heinrich Bullinger and the Annotations on John’s Revelation in the Geneva Bible of 1560, in: Theologische Zeitschrift 65/Sonderheft, 2009, 105-146. – Fasst im Wesentlichen bisherige Erkenntnisse zu Bullingers Apokalpysenkommentar und dessen Einfluss auf die Randnoten in der Genfer Bibel von 1560 zusammen und verweist darüber hinaus auf die Randnoten im English New Testament von 1557 als Quelle. – Moser 107 William Peter Stephens: Understanding Islam in the Light of Bullinger and Wesley, in: The Evangelical Quarterly 81/1, 2009, 23-37. – Moser 108 William Peter Stephens: The Authority of the Bible in Heinrich Bullinger’s Early Works, in: Reformation and Renaissance Review 10/1, 2008, 37-58. – Moser 109 Guillaume Farel: Traités messins. Tome I: Oraison très dévote 1542. Forme d’oraison 1545. Texte établis par Reinhard Bodenmann et Françoise Briegel, annotés par Olivier Labarthe (Travaux d’Humanisme et Renaisance. N° CDLIX). Genève: Droz, 2009, 335 p. – Ce volume inaugure la publication des œuvres complètes de Guillaume Farel (1495-1565), le réformateur daufinois, véritable détonateur de la Réforme en Suisse romande, dans le sillage de la montée en puissance bernoise dans la région. Sous la responsabilité de Reinhard Bodenmann, les éditeurs ont fait le choix d’organiser thématiquement le corpus des œuvres 35 Protestantismus farelliennes. Les premiers volumes comprendront donc les traités mineurs de Farel, en commençant les œuvres destinées à la communauté évangélique de Metz. Le présent tome comporte l’Oraison très dévote en laquelle est faicte la confession des pechez… parue en 1542 et la Forme d’oraison pour demander à Dieu la saincte predication de l’Evangile… publiée trois ans plus tard et qui en constitue une amplification. Le programme d’édition se poursuivra ensuite avec la publication de l’Epistre envoyée au duc de Lorraine (1543), Le Pater et le Credo (1524), la Tressaincte Oraison que nostre Seigneur Jesus a baillé à ses apostres (1541), la Confession de foi (1536) destinée aux Genevois, la liturgie de Farel (Maniere et fasson, 1533) et le traité De la Sainte Cene de nostre Seigneur (1553). Les trois ouvrages les plus importants de Farel (Sommaire [1533-1552], Le glaive de la parole spirituelle [1550] et Du vray usage de la croix [1560]), ainsi que les deux textes latins (Déterminatio Facultatis Theologiae Parisiensis et les thèses de la dispute de Bâle, 1524) feront chacun l’objet d’un volume séparé. Le programme est donc ambitieux. Il l’est d’autant plus que les règles d’édition fixées par les responsables placent la barre très haut en cherchant à répondre aux attentes d’une palette de lecteurs aussi large que possible. Le but est en effet de satisfaire aussi bien les historiens des idées, intéressés principalement par le contenu des ouvrages, les historiens de la langue attentifs à la forme que prend l’expression farelienne et les historiens du livre, sensibles aux dispositifs typographiques dans lesquels le texte est enchassé. Il va sans dire que la satisfaction de ces intérêts en partie contradictoires pèse sur ce travail d’édition qui refuse d’opérer le choix entre la volonté de rendre le texte accessible aux lecteurs modernes et celle de le restituer dans une forme aussi proche que possible de l’original. A vouloir ainsi ménager la chèvre et le choux, les éditeurs saturent le texte d’un très grand nombre d’interventions obligeant le lecteur à buter régulièrement sur des incises qui heurtent la lecture. Ce procédé accorde trop d’attention à la valeur du corpus farellien comme témoin des pratiques linguistiques et typographiques de son temps au risque d’amoindrir sa fonction de source primordiale pour l’étude des mouvements religieux appartenant à la première période de la Réforme. Significativement, l’introduction ne consacre que cinq pages à situer Farel et à souligner l’intérêt de cette entreprise d’édition et plus de quinze pages à expliciter les règles de transcription auxquelles les éditeurs se sont pliés. On peut pourtant penser que, plus spécialisés, les historiens de la langue et du livre préféreront analyser directement les originaux et qu’il vaut dès lors mieux offrir aux autres un texte qui sacrifie moins aux exigences d’érudition trop pointue. Il convient donc d’insister, au moment où paraît le premier volume de cette collection des œuvres de Farel, sur la nécessité de faire retour sur le contenu de cette œuvre, ne serait-ce que pour décentrer la figure de Calvin qui a trop retenu l’attention historiographique, pour rendre aux orientations théologiques de Farel leurs spécificités et pour restituer ainsi au milieu qui porte la Réforme romande sa dimension collective et la pluralité des options religieuses qui y cohabitent, en particulier durant la première période à laquelle appartiennent les textes du premier volume, c’est-à-dire avant l’uniformisation confessionnelle sous la bannière du calvinisme. A cet égard, il faut également souligner l’intérêt propre de ce volume qui réunit pour la première fois un dossier aussi complet de documents qui éclairent les efforts menés de manière aussi ardente, qu’obstinée et finalement vaine par Farel pour implanter et péréniser une communauté réformée dans la ville de Metz. Aux deux traités édités, s’ajoutent plus de 36 annexes qui rassemblent toutes les pièces de la correspondance de Farel durant son séjour à Metz. – Grosse 110 Christian Moser: Theodor Bibliander (1505-1564). Annotierte Bibliographie der ge- druckten Werke, Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte 27, Zürich: TVZ 2009. – Bibliographien sind Arbeitsinstrumente, die vorliegende erfüllt diese einschlägige Aufgabe in hohem Maße. Sie erfasst Biblianders Druckwerke, sowohl die Einzelausgaben mit ihren Religion und Kirche 36 frühneuzeitlichen Auflagen als auch Beiträge in anderen Werken, insbesondere in der von Kommentarsammlung Konrad Pellikans. Die Nachwirkung der lateinischen Bibel bis nach Paris und Salamanca wie die häufigen Auflagen der Schriften zum Islam ist eindrücklich. Die Einzelaufnahmen bieten eine genaue Umschrift des Titelblatts wie seine Reproduktion, Angaben über Größe, Umfang und Ausstattung, einen Überblick über den Inhalt und die beteiligten Personen (Autoren wie Drucke), Hinweise auf bibliographische Referenzwerke und auf Literatur sowie eine Aufnahme der vorhandenen Exemplare mit Signatur. Sie wird umfassend erschlossen durch Kürzelauflösungen, Literaturverzeichnis und Register. Das Werk dient in der Tat, wie der Klappentext verheißt, als „Grundlage für die weitere Erfor- schung von Biblianders Leben, Werk und Wirkung“ und macht zugleich auf dessen Bedeu- tung aufmerksam. Dass hiermit zugleich eine gute Grundlage für eine Edition bereitsteht, lässt sich vermuten und zu einem solchen Unternehmen nur nachhaltig ermuntern! – Leppin 111 Carine Skupien Dekens: Traduire pour le peuple de Dieu. La syntaxe française dans la traduction de la Bible par Sébastien Castellion, Bâle, 1555 (Travaux d’Humanisme et Renaissance, n° CDLVI). Genève: Droz, 2009, 388 p. – Il est aujourd’hui bien difficile de trouver la juste distance vis-à-vis de la figure de Sébastien Castellion. Tour à tour précurseur du libéralisme protestant, selon l’image léguée par son premier biographe, Ferdinand Buisson, puis héros de la lutte contre la tyrannie calvinienne pour Stefan Zweig, avant de devenir le penseur de la liberté de conscience et de la tolérance, sous la plume de Roland H. Bainton, Castellion n’a été saisi jusqu’à présent qu’à travers des prismes très déformants, qui tiennent davantage aux préoccupations de ceux qui se sont intéressés à lui qu’aux réalité de son temps. Il demeure encore difficile à dissocier des polémiques contre Calvin et Bèze, auxquelles il a été mêlé après avoir condamné l’exécution de Servet. Heureusement, l’historiographie récente, celle qui s’est développée à partir des années 2000, commence à le dégager d’un ensemble de stéréotypes qui se sont accumulés à son sujet depuis le XVIe siècle et plus encore à partir de la fin du XIXe siècle. Issu d’une thèse rédigée à l’Université de Neuchâtel sous la direction du professeur Andres Kristol, le livre de Carine Skupien Dekens contribue à cette réévaluation en mettant en lumière des facettes du personnage, celles d’un écrivain maniant les styles avec autant d’indépendance et de virtuosité que de sens pédagogique, qui n’avaient guère retenu l’attention des historiens jusqu’à ces dernières années. Fondé sur la linguistique historique, une approche qui est ici employée avec très grand souci de rigueur, ce livre étudie le travail de traducteur réalisé par Castellion dans sa Bible française parue à Bâle en 1555, qui fait suite à sa traduction latine de 1551. Célèbre dès cette époque pour l’originalité des solutions lexicales, orthographiques et syntaxiques que son auteur a imaginées, mal reçue dans les milieux réformés qui sont les siens, cette Bible a contribué à forger l’image d’un Castellion provocateur, en matière théologique aussi bien qu’en matière de traduction. Cette image faussée, construite dans le milieu des réformés genevois hostiles à Castellion, est corrigée au terme d’une enquête en deux parties. La première cerne, d’une part, les spécificités du projet de Castellion qui veut produire une Bible accessible aux simples, aux non-lettrés (les « idiots », selon sa terminologie) et situe, d’autre part, ce projet dans les doctrines relatives à la traduction, à la rhétorique et à la syntaxe française, qui ont cours au moment où Castellion travaille. La seconde partie vérifie dans quelle mesure le travail effectif du traducteur correspond aux intentions affichées et aux règles de traduction qu’il s’était fixées et montre comment ses choix de traducteur le situe vis-à-vis des doctrines dominantes. Il en ressort un portrait à la fois très neuf et très équilibré, dans lequel les audaces réelles, mais somme toute rares, du traducteur-écrivain sont contre-balancées par l’humilité dont il fait sans cesse preuve face au texte biblique. La langue française qu’il a forgée à l’occasion cette traduction, alternativement louée pour sa modernité et dénigrée pour certains choix aberrants, est ici jugée non plus en fonction de 37 Protestantismus facteurs extérieurs, mais en rapport avec l’évolution de cette langue au XVIe siècle. C’est finalement l’image d’un auteur très sûr de ses choix, maniant avec beaucoup d’adresse tous les tours que permet la syntaxe encore relativement peu normée du français du XVIe siècle et alliant, avec beaucoup de dextérité et de souplesse, la fidélité à l’esprit du document source à la volonté de le rendre dans la langue cible de manière compréhensible, expressive et vivante. Si la démonstration statistique de ces constatations qui occupe la deuxième partie du livre intéressera surtout les spécialistes de la linguistique historique, les historiens de la Bible et plus généralement de la langue tireront plusieurs enseignements de cette minutieuse enquête. Ces derniers demeureront en revanche plus frustrés s’ils y cherchaient une histoire de la réception de la Bible de Castellion de 1555. Trop rapidement évoquée dans la conclusion de l’ouvrage, cette dimension aurait mérité quelques développements supplémentaires. – Grosse 112 Andreas Mühling: Der Heidelberger Katechismus im 16. Jahrhundert. Entstehung, Zielsetzung, Rezeption, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlan- des 58 (2009), 1-11. – Grund 113 Dorothea Wendebourg: Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abend- mahlstheologien der Reformatoren, Tübingen: Mohr Siebeck 2009, Beiträge zur histori- schen Theologie, 268 Seiten, Leinen. – Die vorliegende knappe Studie behandelt ein Detail der Abendmahlstheologie: die Deutung des Gedächtnisbefehls in den Theologien wichtiger Reformatoren. Den allgemein von den Theologien „der“ Reformatoren sprechenden Un- tertitel grenzt W. in der Einleitung ein: Bucer wird nicht eigens behandelt, sondern für ihn auf vorliegende Forschungsliteratur verwiesen (2 Anm. 1), zudem erfolgt eine Einschrän- kung auf die Reformatoren der ersten Generation, was zum Ausschluss Calvins führt. Bewusst verzichtet W. auf die Behandlung der Abendmahlstheologien insgesamt, was es mit sich bringt, dass eine übergreifende Perspektive auf die Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts allenfalls angedeutet wird. Die Rede von einem „zwischenreformatorische[n] Abendmahlsstreit[s]“ (64) in diesem Zusammenhang ist allerdings sprachlich unbeholfen. W. behandelt nach kurzen Ausblicken auf das Spätmittelalter und Erasmus Luther (in zwei Abschnitten), Karlstadt, Zwingli, Oekolampad und Melanchthon. Die Durchführung ist textnah und zeichnet sich durch ausführliche, manchmal stark paraphrasierend angelegte Interpretation aus. Die in historischen Arbeiten sonst übliche Kontextualisierung erfolgt über theologiegeschichtlich unmittelbar greifbare Berührungen hinaus kaum, auch fehlt es vielfach an einer zureichenden Anbindung an den gegenwärtigen Forschungsstand; so bleibt etwa der von der Sache her erforderliche Anschluss an die kulturgeschichtliche Memoria-Diskussion rein verbal (4). Die Tendenz zu einer Textexegese alten Stils prägt auch die weiteren Kapitel. Hilfreich ist die Unterscheidung von symbolischer Repräsentati- on im Abendmahlsgeschehen insgesamt und besonderer Gegenwart Christi in den Elemen- ten. Luther konzentriert, wie W. nachzeichnet, das Gedächtnisgeschehen im Abendmahl auf die Heilsmitteilung durch Christus und den gläubigen Empfang. Damit verbindet sich die enge Bindung der Gedächtnisstiftung an die Wortverkündigung. Dass W. sich in diesem Zusammenhang zur Abgrenzung Luthers von spätmittelalterlichen Quellen auf Schriften des Jahres 1516/7 beruft (42f), würde in einem umsichtigeren interpretativen Zugriff die Frage nach dem Verhältnis zu Luthers reformatorischer Entdeckung und ihrem Zeitpunkt aufwerfen – folgte man etwa der Datierung bei Brecht oder Bayer, so böte W. schlagende Argumente dafür, dass konfessionsprägende Charakteristika von Luthers Abendmahlsver- ständnis schon vor seiner reformatorischen Wende entstanden wären; sie gibt aber nicht zu erkennen, dass sie diese Konsequenz ziehen wollte. Einleuchtend arbeitet sie heraus, dass durch die Verwendung des Gedächtnismotivs gegen die Lehre von einer leiblichen Präsenz Christi bei Zwingli und anderen Luther nach der Auseinandersetzung mit seinem spätmit- Religion und Kirche 38 telalterlichen Hintergrund auf neue Weise herausgefordert wurde und auch in dieser Debat- te bei ihm der Gedanke des Gedächtnisses gegenüber dem der leiblichen Selbstmitteilung Christi zurücktrat. Dass 1530, im Jahr nach dem Marburger Religionsgespräch, bei Luther in der „Vermahnung zum Sakrament“ gleichwohl, störend für den interpretativen Duktus der Studie, eine Betonung des Gedächtnisgedankens begegnet, führt zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit diesem Text, der Ähnlichkeiten sowohl zu schweizerischem als auch zu altgläubigem Denken aufweist (162f). W. insistiert darauf, diese Argumentation als „Singularität“ im Lutherschen Denken anzusprechen (186). Mittels dieser Ein- oder eher Ausordnung wird aus der Komplexität eines disparaten Befundes ein einheitliches Luther- bild. Historisch ist diese Operation, durch die die Kongruenz zwischen Lutherinterpetation und lutherischen konfessionellen Überzeugungen erhöht wird, wenig befriedigend. In aller thematischen und methodischen Enge bildet W.s Werk eine durchaus aparte Studie zu einem abendmahlstheologischen Detail. Der reformationshistorische Ertrag freilich ist gering.– Leppin 114 Thilo Krüger: Empfangene Allmacht. Die Christologie Tilemann Heshusens (1527- 1588) (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; 87). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 387 Seiten; Hardcover.– Diese bei J. Baur gefertigte Dissertation ist er- staunlicherweise die erste gründliche Analyse der Christologie Heshusens, vielleicht weil dieser sich nicht einfügen lässt in die gängigen theologiegeschichtlichen Schemata. H. war privilegierter Schülers Melanchthons, brach aber 1560 mit seinem Lehrer, wurde schroffer Gegner der Philippisten (und erst recht der Reformierten), schwenkt aber gleichwohl nicht auf die Brenz’sche Linie ein und lehnte deren Begründung der Realpräsenz der Person Christi im Abendmahl aus der Ubiquität auch der menschlichen Natur in dieser Person (d.h. aus der communicatio idiomatum im genus majestaticum) nicht weniger schroff ab. Verfasser analysiert, biographisch kontextualisiert (H. wurde sechs Mal exiliert), die Ent- wicklung der Christologie H.s seit der Abendmahlsschrift von 1560 aufgrund archivalischer und (gut ausgewählter) gedruckter Quellen (Einleitung, 15-26; gegliedertes Literaturver- zeichnis; Namensregister 356-383). – Teil A (27-117) verfolgt den Weg H.s bis zum Heidel- berger Abendmahlsstreit und seiner scharfen Kritik an Melanchthons Gutachten und über- haupt an dessen Christologie v.a. im Kolosserkommentar von 1559. Verfasser stellt diese Christologie seit dem 2. Abendmahlsstreit dar und kontrastiert ihr H.s Schrift von 1560 (68ff), die ihrerseits in den Kontext der Diskussion bzw. der Positionen M. Chemnitz’ und J. Brenz’ gestellt wird (96ff). Teil B (118-292) notiert den Weg H.s. von Bremen über Mag- deburg und Königsberg nach Helmstedt und seine Aktivitäten auf dem Feld der Christolo- gie in der Abgrenzung von den Heidelberger und Genfer Reformierten (J. Calvin, Th. Beza, P. Boquin, Th. Erastus, W. Klebitz) einerseits, von J. Andreä, J. Wigand und der „Apolo- gie“ der FC andererseits bis zum Scheitern des Quedlinburger Kolloquiums von 1583; hier wird auch H.s eigenes Schwanken in der Ubiquitätsfrage deutlich gemacht, zumal angesichts des Versuchs seiner Vereinnahmung durch Konkordiengegner wie die Anhaltiner Theolo- gen, ebenso die religionspolitischen Probleme, die H.s nun zusammen mit D. Hof(f)mann und B. Sattler vertretene (NB. gegen die Württemberger auf die FC sich berufende und gegen Chr. Pezel oder J. Malsius auftretende) „christologische Sonderlehre“ für Braun- schweig-Wolfenbüttel verursachten (153ff). Teil C (293-355) stellt H.s Christologie, ihre biblische Begründung (auch Phil 2, Kol 3) und ihre kosmologischen Aspekte (Himmel) im Gegenüber zu Beza, Brenz, Chemnitz systematisch dar: im Kern eine voluntaristische Christologie. H.s Überzeugung von der Realpräsenz der Person Christi (d.h. der Ubiquität der Person, nicht aber die der Menschheit Christi!) beruht ausschließlich auf den Einset- zungsworten Christi, d.h. auf der Allmacht, die Christus von Gott empfangen hat; die am kommunikativen Sein der Person Christi orientierte Begründung (das genus majestaticum) 39 Protestantismus gilt, wie Melanchthon und den Reformierten, als eutychianische Verirrung. H. Verständnis der Person Christi bleibt, so der Verfasser, im Kern melanchthonisch; sein Übernahme der reformierten Königschristologie war, trotz aller Polemik gegen die Reformierten, nur kon- sequent. – Sparn 115 Irene Dingel (Hg.): Die Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christo- logie (1540 – 1574) (= Controversia et Confessio. Theologische Kontroversen 1548 – 1577/80. Kritische Auswahledition. Herausgegeben im Auftrag der Akademie der Wissen- schaften und der Literatur in Mainz von Irene Dingel; Band 8). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2008. ix, 1190 Seiten, gebunden. – Die innerprotestantischen Streitigkeiten wer- den in den letzten Jahren verstärkt im Blick auf ihre konfessionsidentitätbildende und – kulturelle Bedeutung hin untersucht. Abgesehen von umfangreichen Werken, die einen einzelnen Protagonisten der Streitigkeiten in den Blick nehmen oder aufgrund eines schma- len Quellencorpus systematische Rekonstruktionen vornehmen, sind „die zahlreichen Quellen jenes Zeitalters dennoch bis heute weitestgehend unbekannt geblieben und schwer zugänglich“ (v) In mühevoller Bibliotheksrecherche hat die Arbeitsgruppe um Irene Dingel in Mainz etwa 2000 Drucke zwischen Interim und Konkordienformel ausfindig gemacht und in einer Datenbank mit Abbildung des Titelblattes, exakten bio-bibliographischen Daten und knappen Einführungen versehen zugänglich gemacht: http://www.controversia- et-confessio.adwmainz.de). In dem als ersten, freilich mit der Ordnungsnummer acht ver- sehenen Band werden unter Mitarbeit von Johannes Hund und Henning Jürgens insgesamt 14 Stücke aus den Jahren 1570 bis 1574, erneut versehen mit einer knappen Einleitung textkri- tisch ediert: es sind dies Promotionsthesen aus dem Jahre 1570 von Georg Major, der Wittenberger Katechismus von 1571 von Georg Major, Christoph Pezel, Caspar Cruciger, Heinrich Moller, Friedrich Widebram und Johannes Bugenhagen d.J., eine treuherzige Warnung 1571 von Joachim Mörlin und Martin Chemnitz mit deren Warnung vor dem Wittenberger Katechismus, Nikolaus Selneckers Commonefactio, ebenfalls ein theologi- sches Gutachten des Generalsuperintendenten von Braunschweig-Wolfenbüttel zum Wit- tenberger Katechismus von 1571 , eine von der Jeneser Fakultät verantwortee Warnung vor dem unreinen Catechismo verfaßt von Johannes Wigand, Tilemann Heshusius Johann Friedrich Caelestin und Timotheus Kirchner, die disputatio grammatica de interpretatione graecorum verborum act. III von Esrom Rudinger und Caspar Cruciger d.J. nunmehr in verteidigender Absicht der Wittenberger Position ebenso wie die Grundfest von den Wit- tenberger Theologen. Weiterhin findet sich eine Sammlung von Streitpunkten, die chrisltichen Fragstück, die aus Wittenberger Sicht dokumentiert und entschieden werden, das niedersächsische Bekenntnis, wie es in Braunschweig gegen die Wittenberger Abendmahlslehre unter Berufung auf Luthers Schrift vom Abendmahl formuliert worden war, das kursächsische Konsensdokument, der Consensus Dresdensis, das Württemberger Bekenntnis, das 1572 hauptsächlich wohl von Jakob Andreae und Lukas Osiander d.Ä. verfaßt wurde, Lukas Osianders Bericht vom Nachtmahl, die exegesis perspicua von Joa- chim Curaeus, welcher 1574 erneut die Wittenberger Position zu verteidigen suchte, und die Torgauer Artikel, mit denen Kurfürst August 1574 gegen die sog. „Kryptocalvinisten“ vorzugehen gedachte. Verzeichnisse von Abkürzungen, Literatur, Personen, Orten, Bibel- stellen und Zitaten schließen das umfangreiche Quellenwerk ab. – Eine ebenfalls knappe Übersicht von Irene Dingel erlaubt die Einordnung der christologischen und abendmahlstheologischen Streitigkeiten in den Konflikt um die ausdifferenzierende Wit- tenberger Reformation. Als Hauptströmungen lassen sich hierbei die Philippisten auf der einen, die Gnesiolutheraner auf der anderen Seite identifizieren. Wichtiger als die zumeist polemisch und in kontroverstheologischer Absicht zugespitzten Gruppenbezeichnungen sind die tatsächlich in den Texten enthaltenen Argumente, welche auf der einen Seite die Religion und Kirche 40 systematische Grenze der vormals als Einheit behaupteten Wittenberger Theologie, auf der anderen Seite auch eine sich zunehmend in den abgeschlossenen Raum der Universität zurückziehenden orthodoxen Lehrtheologie erkennbar werden lassen. Auch wenn diese Streitigkeiten noch heftige politische Reaktionen provozierten – etwa die, freilich vergebli- che, Vertreibung der Philippisten 1574 aus Wittenberg – so wird doch auch die Vielgestal- tigkeit des protestantischen Profils deutlich. Ob sich dies in jedem Falle auf einen konkret benennbaren und personell zuweisbaren Typos von Theologie zurückführen lassen kann, muß die weitere Analyse des nun aufbereiteten Materials zeigen. Deutlich wird allerdings schon hier, dass die Grenzen der zwei Hauptparteien des Streites so eindeutig nicht verlau- fen, sondern sich je nach Kasus und Umstand auch ändern können. Zugleich bietet der knappe Abriss einige Hintergrundinformationen zu den politisch-ereignisgeschichtlichen Kontexten der kursächsischen Entwicklungen. – Angesichts der Fülle an überlieferten Material mag die Auswahl begrenzt und knapp erscheinen. Freilich zeugen die Einleitungen von der großen Wirkung der in diesem Bande versammelten Texte. Sie ermöglichen nun aufgrund der guten Lesbarkeit einen leichteren Einstieg in das ohnehin höchst diffiziele Schrifttum zu den innerprotestantischen Streitigkeiten. Es bleibt nur zu hoffen, dass es dazu auch in Lehre und Wissenschaft genutzt wird und die zum Teil recht oberflächlichen und diskrimminierendern Urteile zahlreicher Handbücher damit der Vergangenheit angehö- ren. – Wriedt 116 Emidio Campi und Ruedi Reich (Hgg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wertung – Bedeutung, Zürich: Theologi- scher Verlag 2009, 401 Seiten – Der Band will vielen Ansprüchen gleichzeitig genügen: Neben editorischen Aufgaben stehen Bemühungen um eine historische Erschließung wie eine theologische Applikation des Consensus Tigurinus. Welchen Zweck in diesem Rahmen die Übersetzung des Consensus Tigurinus gleich in vier moderne Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch) hat, erschließt sich nicht ganz, zumal für die Leser der im Band enthaltenen Studien zumindest die Kenntnis des Deutschen und Französischen vo- rausgesetzt wird und der historische Editionsteil schon eine frühneuhochdeutsche Überset- zung enthält. Hier wäre eine mutige Entscheidung zwischen wissenschaftlicher Erschlie- ßung und Popularisierung nötig gewesen. Das beeinträchtig aber nicht die Qualität des Bandes insgesamt. Vorzüglich werden hier nicht nur der Consensus selbst samt der erwähn- ten Übersetzung, sondern auch sechs Stücke aus dem Vorfeld, besonders der Debatte zwischen Calvin und Bullinger, geboten. Die Texte sind durch einen knappen, freilich noch weiter verknappbaren Sachapparat erschlossen (vgl. etwa S. 157,wo allein sieben Fußnoten erscheinen, die jedesmal „heyter“ mit Ableitungen durch „klar“ mit Ableitungen erklären), die Tatsache der konzentrierten Textpräsentation, auch wenn die meisten Stücke anderswo greifbar sind, sehr hilfreich. Die Einführung von Campi dient einer Erschließung des histo- rischen, die von Peter Opitz der des exegesegeschichtlichen Hintergrundes. Disparater sind die deutend-auswertenden Teile, in denen Eberhard Busch Nähen des Consensus Tigurinus zur lutherischen Abendmahlslehre herausarbeitet und Fulvio Ferrario einen Bogen zur Leuenberger Konkordie schlägt. Die tiefgehende sakramententheologische Deutung von François Dermange mündet ebenfalls in eine Applikation. All dies trägt der Tatsache Rech- nung, dass es sich hier um einen auch für heutige konfessionelle Verortung relevanten Text handelt. Die stark persönlich gehaltenen Ausführungen des Kirchenratspräsidenten Rauch wirken in dem gegebenen wissenschaftlichen Umfeld hingegen befremdlich. – Leppin 117 Esther Chung-Kim: Use of the Fathers in the Eucharistic Debates between John Cal- vin and Joachim Westphal, in: Reformation. A Publication of the Tyndale Society 14 (2009), 101-125. – Grund 41 Protestantismus 118 J. L. R. Ledegang-Keegstra: La présence de Théodore de Bèze dans les Albums amicorum (1559-1605), in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme Français 155 (2009) 2, 421-446. – Eintragungen Bezas in 23 Stammbücher seiner Schüler und Freunde zwischen 1559-1605, deren teils lückenhafte Biographien durch ihre Stammbücher ergänzt werden können. – Grund 119 Andreas Mühling: Caspar Olevian, 1536-1587 (Studien und Texte zur Bullingerzeit; 4). Zug: Achius 2008. 153 Seiten, kartoniert. – Das Interesse an den nachreformatorischen theologischen Entwicklungen, hat auch die Beschäftigung mit dem reformierten Theologen und Kirchenpolitiker Caspar Olevian wieder angeregt. Andreas Mühlng, Vorsitzender der Caspar-Olevian-Gesellschaft hat jetzt einen sehr zugänglichen Überblik der Biografie und Theologie dieses Vertreters der ‘Zweiten Generation’ geschaffen. Das Buch ist auf ein breites Publkum angelegt, enthält keine Fussnoten, gründet aber in den neuesten Forschun- gen und ist deshalb eine sehr willkommene Einführung. – Selderhuis 120 Brian J. Lee: Johannes Cocceius and the Exegetical Roots of Federal Theology. Reformation Developments in the Interpretation of Hebrews 7-10 (Reformed Historical Theology, 7), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009. – This book is divided into two parts. Part one is devoted to the Reformed methods of exegesis used to develop federal theology in the sixteenth and seventeenth. Part two provides a detailed study of Cocceius' exegesis of the Epistle to the Hebrews. This organization allows Lee to demonstrate the continuity between the sophisticated terminology of Reformed exegesis from the sixteenth century and Cocceius’s thinking on the Epistle. In the second half of the seventeenth cen- tury, Cocceius is still dealing with the difficulties of translating berith and diatheke into Latin. By weaving both foedus and testamentum into a complex convenantal system, his solution to this translation problem plays an important part for his theology. Although the foedus operum and the foedus gratiae dominate the Summa doctrinae (1648), in his com- mentary on Hebrews, Cocceius conceives of a unified divine testament from Abraham’s two promises to the time of Christ. This approach not only provides a binding continuity between the Old to the New Testament, but also allows Cocceius to emphasize a series of foedera culminating in Christ. – Ninness 121 Richard A. Muller: Unity and Distinction: The Nature of God in the Theology of Lucas Trelcatius, Jr, in: Reformation & Renaissance Review 10 (2008) 3, 315-341. – Grund 122 Willem den Boer: Jacobus Arminius: theoloog van Gods tweevoudige liefde, in: Tijd- schrift voor Nederlandse Kerkgeschiedenis 12, 2009, 93-102. – Presents a useful overview of the main points of Arminius’ theology, based on his dissertation Duplex Amor Dei. Contextuele karakteristiek van de theologie van Jacobus Arminius (1559-1609). Apeldoorn: Instituut voor Reformatieonderzoek 2008. – Marnef 123 Marijke Tolsma: Het gezicht van Arminius. Enkele opmerkingen bij zijn portretten, in: Tijdschrift voor Nederlandse Kerkgeschiedenis 12, 2009, 103-108. – Offers information on a number of engraved portraits and paintings representing Jacobus Arminius. – Marnef 124 Els Stronks: ‘De goede bedoelingen van Arminius’. Over beeldvorming en zeventiende-eeuwse literatuur, in: Tijdschrift voor Nederlandse Kerkgeschiedenis 12, 2009, 109-114. – On the image of Arminius in 17th-century Dutch literature. Stronks rightly argues that this literature has to be situated in its historical context. – Marnef 125 Timothy G. Fehler: Conflict and Compromise in International Calvinism: Ysbrand Trabius Balck's Pastoral Mediations in Exile and Beyond, in: Reformation & Renaissance Review 10 (2008) 3, 291-313. – Grund 126 Leigh T. I. Penman: The Unanticipated Millennium. Orthodoxy, Heterodoxy and Chiliastic Error in Paul Egard's Posaune der göttlichen gnade und Liechtes (1623), in: Pietismus und Neuzeit 35 (2009), 11-45. – Grund Religion und Kirche 42 127 Jan Schapp: Calvinismus und Politik, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religi- onsgeschichte 3 (2009), 129-142. – Grund 128 Raymond A. Mentzer: La constrution de l’identité réformée aux XVIe et XVIIe Siècles: le rôle des consistoires. (Vie des Huguenots; 37). Paris: Honoré Champion 2006. 319 Seiten; Hardcover. – Raymond Mentzer has widely published on the history of the French reformed churches in the 16th and 17th century. In this book 11 of his articles are brought together, 8 of which now in a French translation after they had first been published in English. Mentzer in these articles focuses on the policies of the consistories in their application of Calvin’s ideas on discipline, as well as on the question how and in what measure Calvin’s theology influenced the French calvinists. In his introduction Mentzer states that he raises more questions than that he answers them, a statement underlining the value of these articles since they stimulate further research. Mentzer’s case-studies are basic for a better overall-picture of that peculiar body of the reformed consistory. – Selderhuis 129 Willem J. van Asselt; Michael D. Bell, Gert van den Brink und Rein Ferwerda : Scholastic Discourse. (Publications of the Institute for Reformation Research; Bd. 4). Apeldoorn: Instituut voor Reformatieonderzoek 2009. VII; 378 Seiten; Paperback. – Eine neue, kriti- sche Edition mit englischer Übersetzung eines in den calvinistischen Schulen des 17. Jahr- hundert wichtigen und weit verbreiteten Arbeitsinstruments, der „Distinctiones et regulae Theologicae ac Philosophicae“, erstmals 1652 in Franeker erschienen und bis 1661 auch in Amsterdam, Oxford und Genf nachgedruckt (1658 erschien eine holländische Überset- zung). Vorgelegt wird die von Nicolaus Arnold in Oxford besorgte lat. Ausgabe von 1656.- Das polnischen Adligen gewidmete, didaktisch kompakt das nötige Gesamtwissen vermit- telnde und nicht zuletzt auf die Polemik gegen Papisten, Sozinianer, Lutheraner und Armi- nianer vorbereitende Werk (lat. 198 Seiten, Werke hierzu wurden ebenfalls postum ge- druckt) spielte eine wichtige Rolle in der scholastischen Durchformung der calvinistischen Theologie. Es ist eingeteilt in 23 Loci (übersetzt als „Chapter“), beginnend mit der Heiligen Schrift, endend mit der Verdammnis (der Autor vertritt die supralapsarische doppelte Prädestination, loc. VII). Daran schließt sich eine Centuria distinctionum generalissimarum an, die mit einer Art Wissenschaftslehre eingeleitet wird und in Analogie zu militärischen Rangordnungen zehn mal zehn logische (begriffs- und satzanalytische) Distinktionen und Regeln enthält, wobei auch die theologisch relevanten physischen, ethischen und metaphy- sischen Termini und Distinktionen behandelt werden.- Der Autor dieses überaus typischen Werks ist Johannes Maccovius (Makowski), *1588, Schüler von Bartholomäus Keckermann (außer in der Prädestinationslehre), seit 1615 Prof. für Theologie und Physik in Franeker bis zu seinem Tod 1644. Er wurde in einem Dictionnaire-Artikel von Pierre Bayle gewürdigt und wird jetzt in einer Einführung der Herausgeber forschungsgeschichtlich, biographisch, bibliographisch, methodologisch und doxographisch gründlich charakterisiert (1-38). Bibli- ographie, Namens- und Ortsregister. – Sparn 130 Christian Moser, Peter Opitz (Hgg.): Bewegung und Beharrung. Aspekte des reformier- ten Protestantismus, 1520-1650. Festschrift für Emidio Campi (Studies in the History of Christian Traditions, vol 144). Leiden: Brill 2009, 470 Seiten, hardcover. – Die Festschrift konzentriert sich auf die Themen, denen Campi sich in seinen Forschungen gewidmet hat. ABeispiel von ‚Oswald Myconius in Luzern‘ zeigt Markus Ries die enge Verbindung zwi- schen Religion und Politik im 16.Jhdt auf. Zugleich wird die Unbestimmtheit in den kon- fessionellen Etikettierungen, insbesondere dort wo Nicht-Katholiken generell als Luthera- ner galten, sichtbar.. In Gegensatz zu Wittenberg konnte man in Zürich auch einiges Theo- logische von Sebastian Franck positiv bewerten, so Christine Christ-von Wedel (Sebastian Franck und die Zürcher Reformation). Rudolf Gwalthers Unterstützung des Landesschul- projekts in Sondrio (1582-1584) und seine Meinung über Graubündens Bedeutung in der 43 Protestantismus damaligen Mächtekonstellation ist Titel und Thema von Kurt Jakob Rüetschi. – Der Bischof von Konstanz versuchte ab 1597 die reformierten Orte zu einem Religionsgespräch zu bewegen. Aber die Zücher Politik liess die Initiative scheitern (Gespräch wider Willen: Der Konstanzer Disputationsversuch mit Zürich, 1597-1603, Christian Moser) Ein ähnliche Thematik, wo Zürich sich ebenfalls sehr unbeweglich zeigte, behandelt Urs B. Leu (Dispu- tanten und Dissidenten: Zur gelehrten Auseinandersetzung mit dem Täufertum in Zürich im 17. Jahrhundert). Frank A. James III (Valdés and Vermigli: Crossing the Theological Rubicon) und Torrance Kirby (From Florence to Zurich via and Oxford: The International Career of Peter Martyr Vermigli (1499-1562), rekonstruieren die intellektuelle und theologische Entwicklung von Vermigli. Über die italienischen Antitrinitarier handelt der Beitrag von Joseph C. McLelland. Mehr buchgeschichtlich ausgerichtet sind die Beiträge ‚Konrad Gessner und Ungarn: Kommunikations- und bibliotheksgeschichtliche Erkennt- nisse‘ von Jan-Andrea Bernhard, ‚Heinrich Bullingers letztwillige Verfügung über seinen schriftlichen Nachlass‘ von Rainer Henrich and ‚Mittelalterliche und frühneuzeitliche Kom- mentare zu Augustins 'De civitate Dei'‘, von Alfred Schindler. Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit liturgischen ('Zuo vesperzyt söllend sie anheben ze lesen im Nüwen Testament ...': Transformation und Transkulturation des Horengottesdienstes in der Zürcher Reformati- on, Michael Baumann), theologischen (Zürich und die Geister: Geisterglaube und Reformati- on, Philipp Wälchli; 'Lex Credendi'? Katharina Schütz Zell's Prayers, Elsie Anne McKee, Pre- digt bei Calvin), juristischen Christoph Strohm, Der Begriff 'Doctrina' in der reformierten Tradition des 16. Jahrhunderts, und rezeptionsgeschichtlichen Themen Herman J. Selderhuis. Die Augustinrezeption steht erneut im Fokus von Luca Baschera,Witnessing to the Calvinism of the English Church: The 1618 Edition of Thomas Bradwardine's 'De Causa Dei Adver- sus Pelagium'). Eine literaturhistorische Analyse bietet ‚Bibeldichtung als Bibel- Verdichtung: Rudolf Gwalthers 'Argumenta capitum' in der Tradition biblischer Ge- brauchspoesie‘ von Peter Stotz sowie 'Our Philosophy': Heinrich Bullinger's Preface to the 1539 Latin Bible‘ von Bruce Gordon. Die politische Dimension der Schweizer Reformation tritt in den Aufsätzen von Hans Ulrich Bächtold ('Das uns gott helff und die heiligen': Zürich im Streit um die eidgenössische Schwurformel), Emanuele Fiume ('Tyrannus ac impius princeps': Die Rolle der Waldenser im ersten piemontesischen Religionskrieg (1560-1561) und die Entstehung der reformierten Widerstandsrechtslehre) und Erich Bryner (Die religiö- se Toleranz in Siebenbürgen und Polen-Litauen im Kontext der europäischen Kirchenge- schichte) hervor. – Selderhuis 131 Ábrahám Kovács (Hg.): Calvinism on the Peripheries. Religion and Civil Society in Europa. Budapest 2009. xxxvi, 287 Seiten. – Sammelband mit den Erträgen einer Tagung gleichen Titels vom April 2008 in Debrecen, die sich der Geschichte der calvinistischen Kirchen an den östlichen, südöstlichen und auch westlichen „Rändern“ Europas annahm, mit einem gewissen Fokus auf Ungarn, Polen und Schottland. Dabei problematisieren zahlreiche Beiträge den Begriff der Peripherie zugunsten eines multizentrierten Zugangs oder fassen Peripherie als „state of mind“. Sie fragen darüber hinaus nach den Einflüssen des internationalen Calvinismus bei der Herausbildung einer kulturellen Identität der jewei- ligen Gesellschaften und ziehen Linien zur religiösen Toleranz im Zeitalter der Aufklärung. Die drei abschließenden Texte widmen sich der calvinistischen Mission im 19. und 20. Jahrhundert. Stewart J. Brown, Preface, xi-xiv; Ábrahám Kovács, Introduction, in: ebd., xv-xxvi, Iain Torrance, The Reformed Theology of Baptism and the Identity of a Minority Church, in: ebd., 3-10.; Joanna J. Mizgala, Calvinism in Poland. Managing Constructed Identity in a Post- Peripheral Society, in: ebd., 11-21; Stewart J. Brown, The Enlightenment and the Reformed Societies of the Netherlands, Geneva and Scotland, in: ebd., 25-44; Gergely Tamás Fazakas, From a Peripheral towards a Central Issue? English-Language Historiography of Early Religion und Kirche 44 Modern Hungarian Calvinism – A Bibliographical Survey, in: ebd., 45-65;Richárd Horcsik, The Meeting of Peripheries. Scottish and Hungarian Connections in the Second Half of Nineteenth Century, in: ebd., 66-77; Ábrahám Kovács, ‚Intellectual Treasures of Humankind‘. Religion, Society and László Dapsy’s Translation of On the Origin of Species, in: ebd., 78-89; Kęstutis Daugirdas, The Origins of the Reformed Church in the Grand Duchy of Lithuania and its Struggle for Theological Identity, in: ebd., 93-110, Katarzyna Meller, Calvinist Huma- nitas in the Sixteenth-Century Polish Culture, in: ebd., 111-120, Erzsébet Horváth, Calvin and his Contacts with the Czech Diaspora, in: ebd. 121-131; István D. Molnár, On the Connec- tions between Polish and Hungarian Calvinism in Poland, in: ebd., 132-142, János Barta, Tolerance or Indifference? Religious Politics in Brandenburg-Prussia in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: ebd., 145-154; István Pásztori-Kupán, The Spirit of Religious Tolerance – A Transylvanian ‚extra calvinisticum‘?, in: ebd., 155-179, Katalin Péter, How the Term Calvinist became the name of a Religious Denomination. Some Aspects of Periphery Behaviour in Sixteenth-Century Transylvania, in: ebd., 183-194; Botond Gaál, The Role of Calvinist Minorities in the Cultural Life of Hungary, in: ebd., 195-200; Graeme Murdock, The Practice of Prayer in Reformed Hungary, in: ebd., 201-216; Dávid Csorba, Frontier Existence as the Self-Image of the Hungarian Reformed Church in the Seventeenth Century (1606– 1711), in: ebd., 217-235; Andrew F. Walls, English Neo-Calvinism and the Early Protestant Missionary Movement, in: ebd., 239-256, László Gonda, Unconnected Peripheries. Johannes C. Hoekendijk and the Unrealized Dutch-Hungarian Missionary Plans in Indonesia (1947– 1949), in: ebd., 257-266; Béla Levente Baráth, Changes in the Situation of the Reformed Hungarian Minority in the Transtibiscan Region during the Twentieth Century, in: ebd., 267-280. – Jürgens 132 Ansgar Reiß: „Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa“. Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 7/8, 421-430. – Grund 133 Stefan Ehrenpreis: Calvinismus und Moderne. Mythen, Themen, Forschungsperspek- tiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009) 7/8, 387-405. – Grund 134 Stefan Laube: Calvinistische Splitter in der deutschen Reformationserinnerung zwi- schen Union (1817) und Calvin-Jubiläum (1909), in: Archiv für Kulturgeschichte 91 (2009) 1, 161-191. – Grund

2.6 Täufertum und heterodoxe Richtungen

135 Andrè Sèguenny : W poszukiwaniu prawdziwej wiary. Szkice z historii religii XVI wieku. Humanizm, refroamcja, spirytualizm [In Quest for the Real Faith. Sketches from the History of 16th Century Religion. Humanism, Reformation, Spirituality], Lublin: Wydaw- nictwo Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej, 2009. 167 pages, Names index. – The book contains 8 articles published in different science periodicals in the years 1994-2003 and an unpublished one. All of them are devoted to attempts at specifying the way of comprehend- ing the faith as well as at intellectual definitions of this issue in the 16th century, in order to differentiate between Erasmianism and Lutheranism, according to the author, two main religious concepts existing in the 16th century. The deliberations about faith were based upon the example of four philosophers categorized by the author as members of the spiri- tual current: Thomas Müntzer, Hans Denck, Sebastian Franck (two of the articles are de- voted to him) and Kaspar von Schwenckfeld along with the example of antitrinitarian idea. – The article about Müntzer describes his religious concepts. The author claims that 45 Täufertum und heterodoxe Richtungen Müntzer was until 1517 an adherent of „non-lutheran” Luther. Müntzer`s religious theories, first of all comprehending and role of faith for the salvation as well as anthropological, Christological and soteriological concepts have been presented not only as fundamentally different from Luther`s theory but recognized as identical with the outlook of the Catholic Church and defined as continuation of the piety program proposed by devotio moderna and Imitation of Christ. Essays devoted to Denck and Franck have both a biographical touch, showing at the same time the development of religious idea in their main writings. The characterization of Denck`s idea reveals the base of his religious thinking, focused upon undermining Church as institution, marginalization of the Bible and the sacraments and making the subjective sense of faith to the only criteria of its truthfulness. The essence of this idea is comprehending the faith as a rational act caused by anxiety of natural exis- tence. The characterization of Franck`s idea depicts not only the direct faith experience, but also the fundamental idea of separating the world of social-political reality from the world of spirituality along with the consequences of this dichotomy of his religious concept. The analysis of Schwenckfeld`s idea underlines his individual attitude towards the Holy Script, which he, like other spiritualists, did not attribute a salvation power to, but from which, contrary to the others, resulted all his religious ideas, e.g. Christology – according to the author, the main subject of Schwenckfeld`s reflection. All articles in this collection, also the ones devoted to the role of antitrinitarian ideas in the religious landscape of 16th century- Europe, are imbued with the eagerness to adapt the original thinkers of the spiritual Protes- tantism to the Renaissance-humanism of Erasmus` type. – Wąs 136 Anselm Schubert, Astrid von Schlachta, and Michael Driedger (eds.): Grenzen des Täufertums / Boundaries of Anabaptism. Neue Forschungen (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; 209). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2009. 428 pp., paper- back. – This collection includes 21 essays (12 in German and 9 in English) by senior scho- lars as well as up-and-coming researchers who participated in a 2006 conference in Göttin- gen. The essays are divided into five parts. The first, on methodological issues, includes essays by Hans-Jürgen Goertz (Historie und Theologie in der Täuferforschung – ein altes Problem stellt sich neu) and Astrid von Schlachta (Grenzüberschreitend, interkulturell und kommunikativ. Die Täufer als politische Akteure im 17. und 18. Jahrhundert). The second part, about ways in which 16th-century authors imagined Anabaptism, includes essays by Ellen Yutzy Glebe (The Use of Problematic Case Studies to Examine [Hessian] Anabaptism), Alejandro Zorzin (Das Täufertum in Sebastian Francks „Ketzerchronik” [1531]), Gary Waite (Reevaluating Anabaptist Violence in the Netherlands and Holy Roman Empire, 1535- 1570), and Adam Darlage (Christoph Erhard and the Recantation of the Ex-Hutterite Hans Jedelshauser). The third part, on networks and communication, includes essays by Arnold Snyder (The Evolution of Swiss Anabaptism to 1530), Urs Leu (Täuferische Netzwerke in der Eidgenossenschaft), Päivi Räisänen (Auf der Suche nach den „gemeinen” Täufern und Täuferinnen in Württemberg im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert), Mathilde Monge (Die täuferischen Gruppen in Köln und am Niederrhein im 16. Jahrhundert), and Martin Rothkegel (Die Austerlitzer Brüder oder Bundesgenossen – Pilgram Marpecks Gemeinde in Mähren). The fourth part, on questions of social and cultural practice, includes essays by Thomas Kaufmann (Einige Überlegungen zur Inszenierung von „Leben” und „Lehre” in der frühen radikalen Reformation), Katharina Reinholdt (Sexuelle Devianz und spirituelle Ehen bei den „Blutsfreunden aus der Wiedertauff”), Marion Kobelt-Groch (Bausteine zu einer Gerschichte tuauferisch-mennonitischer Sepulkralkultur), Ralf Klötzer (Propheten, König und Stadtgemeinde im täuferischen Münster), Victor Thiessen (Noble Patrons and Anabaptist Subjects to the 1560s), and Piet Visser (Enlightened Dutch Mennonitism: The Case of Cornelius van Engelen). The last section consists of four shorter essays by James Stayer, Religion und Kirche 46 Anselm Schubert, John Roth and Michael Driedger in which the authors reflect on future research opportunities in the field of Anabaptist studies. Among the notable features of the volume is that a significant number of the essays treat subjects beyond the 1530s, the period that has been the traditional focus of Anabaptist studies. – Driedger 137 Hans-Jürgen Goertz: Täufergeschichtliche Aspekte zur Taufe, in: Mennonitische Ge- schichtsblätter 64, 2009, 7-30. – Driedger 138 Rudolf Dellsperger, Hans Rudolf Lavater (Hg.): Die Wahrheit ist untödlich. Berner Täufer in Geschichte und Gegenwart. Beiträge eines Vortragszyklus an der Universität Bern im Winter 2006/2007, Bern: Simowa, 2007 (Mennonitica Helvetica 30, 2007). XIV, 330 Seiten – Der Band vereinigt verschiedene Beiträge nicht nur zur Geschichte, sondern auch zu Gegenwartsfragen des Täufertums. Von den historisch orientierten Beiträgen widmen sich deren zwei den „Berner Täufern in ihrem schweizerischen Umfeld“: Martin Haas legt den Fokus auf „Gesellschaft und Herrschaft“ und Hans Rudolf Lavater auf „Theologie und Bekenntnis“, was zusammen eine gelungene Gesamtdarstellung und willkommene Einfüh- rung abgibt. Ulrich J. Gerber vergleicht die ekklesiologischen Konzeptionen der Reformato- ren und der Täufer („Täufergemeinden und Landeskirchen. Die Differenz im Kirchenbe- griff“). Hanspeter Jecker gibt einen kenntnisreichen Überblick über die Repression und Ver- folgung, denen sich die Berner Täufer ausgesetzt sahen, begleitet von Michel Ummels Ab- handlung über „Exil, Auswanderung und Deportation“. Rudolf Dellsperger schließlich unter- sucht anlässlich des 475. Geburtstags des „Berner Synodus“ die Wirkungsgeschichte dieses für die Berner Reformation konstitutiven Dokuments. – Moser 139 Martin Haas: Profile des frühen Täufertums im Raume Bern, Solothurn, Aargau, in: Zwingliana 36, 2009, 5-33. – Driedger 140 Ruedi Reich: Die Zürcher Landeskirche und die Täufer. Oder: „Die Wahrheit wird euch frei machen” (Joh. 8,32), in: Zwingliana 36, 2009, 35-40. – Driedger 141 Eike Wolgast: Balthasar Hubmaier, Waldshut und die oberdeutsche Täuferbewegung, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 29-45. – Grund 142 Alejandro Zorzin: Die Verbreitung täuferischer Botschaft in den Anfangsjahren der „Schweizer Brüder“ (1524-1529): Täuferische Propaganda und reformatorische Publizistik – zwei unterschiedliche Kommunikationsstrategien, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 11- 26. – Fragt nach den Gründen, weshalb die frühen Zürcher Täufer im Gegensatz zu ihren Gegnern keine Flugschriften verfasst haben. Mögliche Erklärungen sind Zensurmaßnah- men und die gleichsam stellvertretende täuferische Publizistik von Balthasar Hubmaier. Daneben gibt es aber auch Hinweise dafür, dass bewusst eine mündliche Kommunikations- und Propagandaform in Anlehnung an das apostolische Vorbild und in Abgrenzung gegen die auf schriftliche Medien setzenden Gegner gewählt wurde. – Moser 143 Hans Rudolf Lavater: … nienen böser, dann zu Rockwyl … Die Anfänge des Täufertums im Oberaargau 1527-1542, in: Jahrbuch des Oberaargaus 50, 2007, 145-184. – Detaillierte Auswertung der die bernischen Landvogteien Wangen, Aarwangen und Bipp betreffenden Täuferakten. – Moser 144 Neal Blough: Nicolsburg et Schleitheim (1527): Deux expressions d’anabaptisme „suisse“, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 27-41. – Hintergründe der unterschiedlichen Ausformungen des Täufertums in der von Balthasar Hubmaier in enger Zusammenarbeit mit dem Fürsten durchgeführten Reformation in Nikolsburg und im sog. Schleitheimer Bekenntnis, wo jegliche Zusammenarbeit mit der Obrigkeit abgelehnt wird. – Moser 145 Matthias H. Rauert, Hajo Brandenburg (Hg.): 400 Jahre Mennoniten in Altona und Hamburg. 24. Mai bis 19. August 2001. Hamburg (Altonaer Museum / Norddeutsches Landesmuseum) 2001. Ausstellungskatalog, 54 Seiten, teils farbige Abb., kt. – Die ersten Täufer lebten nachweislich schon 1532 in Holstein. Menno Simons, der sich zuvor ver- 47 Täufertum und heterodoxe Richtungen schiedentlich in Lübeck aufgehalten hatte, nahm 1554 seinen letzten Wohnsitz in Wüsten- felde auf der Herrschaft Freesenburg bei Oldesloe und lebte und wirkte hier bis zu seinem Tode 1561. Täufer, darunter auch spätere Mennoniten, sind im letzten Drittel des 16. Jahr- hunderts in Wandsbek (heute in Hamburg) und in der Stadt Hamburg selbst nachgewiesen. 1601 schenkte Graf Ernst von Schauenburg-Holstein dem Mennoniten François II Noë ein Grundstück in dem Fischerdorf Altona in seiner Herrschaft Pinneberg, genannt die „Frei- heit“. Die Schenkung war mit dem Privileg der „stillen“ Glaubensausübung verbunden. Es war die Geburtsstunde der Freistatt Altona, deren Sonderrechte 1602 auch den Reformier- ten und später, nach der Erhebung Altonas zur Stadt, sogar den Katholiken und später vielen religiösen Sondergruppen zugute kamen. Die Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona nimmt den 24. Mai 1601 als ihr Geburtsdatum, der 400 Jahre später mit einem Festakt anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung über 400 Jahre Mennoniten an der Elbe im Altonaer Museum gefeiert wurde. – Von den 15 Beiträgen des Begleitbandes zur Aus- stellung sind für die Reformationsgeschichte die beiden Beiträge „Die Mennoniten und die Anderen, Täufer als Fremde im frühneuzeitlichen Hamburg und Altona“ von Matthias H. Rauert (21-25) sowie „Teile und verdiene“ von Sylvia Jodat, Altonaer Museum (26f.) hervor- zuheben, die die rasche und pragmatische Integration der Täufer ins Wirtschaftsleben der Hansestadt Hamburg nachzeichnen. Unter dem Druck der aufsteigenden Nachbargemeinde Altona und ihres Hafen sah sich der Hamburger Rat genötigt, die lutherisch konfessionali- sierte Gesellschaftsordnung der Stadtbevölkerung (nur lutherisch Getaufte durften in die Handswerks- und öffentlichen Ämter eintreten) früh zu relativieren: Schon der erste Grup- penvertrag mit der „Niederländischen Nation“, d. h. reformierten Flüchtlingen aus der Gegend um Antwerpen, im Jahre 1605 listet als Unterzeichner mindestens einen südnieder- ländischen Täufer. Diese Entwicklung gewann während des Dreißigjährigen Krieges durch den Zuzug der kriegsvertriebenen Freesenburger in die Elbgemeinden an Dynamik und fand ihren besonderen juristisch-politischen Ausdruck in einem eigenen Gruppenkontrakt der Hamburger Wedde (Fremdenpolizei) mit den mennonitischen Handwerkern im De- zember 1650, unter denen sich der erste zeitweilig angestellte Prediger der „Flaminger“- Gemeinde, Boudewyn Doom aus Haarlem, befand. – Radó 146 Matthias H. Rauert, Thomas Schamp: 400 Jahre Mennoniten in Altona und Hamburg 1601–2001, 400 Jahre Niederländerverträge mit Hamburg 1605–2005. Mit Beiträgen von Peter J. Foth, Hans-Jürgen Goertz, Fritz Schulz. – Interaktive CD-ROM, hg. v. Annelie Kümpers- Greve und dem Mennonitischen Geschichtsverein, Bolanden-Weierhof 2005, 2. Auflage 2005. – Am 6. Oktober 2005 gedachten die Freie und Hansestadt Hamburg und die Nach- fahren der „Niederländischen Nation“ in Hamburg, repräsentiert von der Ev.-Reformierte Kirche in Hamburg und der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona im Beisein von Vertretern der Nordelbischen (ev.-luth.) Kirche und des Konsulats des Königreichs Belgien sowie der Mennonitengemeinde Groningen als Partnergemeinde der Elbmennoniten in einem gemeinsamen Festakt im Staatsarchiv des ersten Gruppenkontraktes zwischen dem hamburgischen Stadtstadt und den Glaubensflüchtlingen aus den habsburgischen Nieder- landen (im Wesentlichen das Territorium des heutigen Belgien). Aus diesem Anlass erarbei- tete die Mennonitengemeinde eine interaktive CD-ROM, in der die Ausstellung vom Som- mer 2001 umfassend in Bild- und Textbeiträgen rekonstruiert wurde. Entsprechend wird nach einem Vorwort von Herausgebern und Redaktion die Eröffnungsrede „Nonkonfor- misten an der Elbe“ von Hans-Jürgen Goertz, damals Prof. für Wirtschafts- und Sozialge- schichte in Hamburg, in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben. – Das Medium CD- ROM bietet eine Fülle von Informationen, die auf mehreren Ebenen miteinander verknüpft sind. Reformationsgeschichtlich von Interesse ist die kommentierte Fotoreproduktion der Titelseite des ersten Niederländervertrages von 1605 (s. oben), der, obwohl die Hamburger Religion und Kirche 48 Senatsakten seit Ende des 19. Jahrhunderts zugänglich sind, bislang nur beiläufig in der Forschung behandelt wurde (Dateipfad: Übersicht > 16. Jahrhundert > Hamburg > Nie- derländervertrag). Eine ausführliche historische Würdigung der Niederländerverträge von 1605-1650 erschien separat nach Redaktionsschluss der CD-ROM (vgl. Annelie Kümpers- Greve, Matthias H. Rauert: Die Elbmennoniten im Hamburg des 17. Jahrhunderts. Vor 400 Jahren schloß der Hamburger Rat den ersten Vertrag mit der „Niederländischen Nation“, in: Mennonitische Geschichtsblätter 62, 2005, 77–114). – In die Mitte des 16. Jahrhunderts fällt ein alter Täuferdruck in Sedez (Dateipfad: Übersicht>16. Jahrhundert>Täuferbewe- gung>Schleitheim). Der von Matthias H. Rauert in der Érseki Simor-Bibliothek in Esztergom (Gran) festgestellte Sammelband in einem hutterischen Einband enthält eine Täuferkonkordanz („Concordantz vnd Zeiger der namhafftigsten Sprüch aller Biblischen Bücher alts vnd news Testaments“), eine hochdeutsche Fassung des so genannten, Michael Sattler zugeschriebenen „Schleitheimer Bekenntnisses“, zu dessen Kurzbeschreibung eine hochaufgelöste Abbildung des Titelblatts beigegeben ist, einige anonyme Traktate sowie Schriften des Thüringer Täuferführers Melchior Rinck. Das Exemplar Esztergom ist eines von drei erhaltenen Exemplaren weltweit: Die anderen werden je in der Mennonite Histori- cal Library, Goshen, Indiana, USA, und im Ortsmuseum Schleitheim (Schweiz) im „Täuferzimmer“ aufbewahrt. Zu weiteren Einzelheiten dieser Ausgabe vgl. die Bibliogra- phie von Joe A. Springer: Biblical Condcordance of the Swiss Brethren, 1540. Edited by C. Arnold Snyder, Introduction by Joe Springer, trsl. by Gilbert Fast and Galen A. Peters (Anabaptist Texts in Translation 2), Kitchener ON, Canada, 2001, xxxiiif. – Radó 147 Rainer Kobe: Die Täufer und der Zins bei Heinrich Bullinger, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 43-63. – Erläutert Bullingers Zinstheorie in der Schrift „Vom unver- schämten Frevel der Wiedertäufer“ (1531) im Kontext von dessen antitäuferischen Pole- mik. Die Zinsverweigerung durch die Täufer war Bullinger ein Beweis ihrer aufrührerischen Gesinnung und Argument für ihre Bekämpfung. – Moser 148 Theda Marx: Die Täufer und Luzern in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts? oder: Darf über die „Stillen im Lande“ gelacht werden?, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 77-89. – Untersucht die Verteidigungsstrategien angeklagter Täufer zwecks Strafminimie- rung anhand der Luzerner Verhörprotokolle. – Moser 149 Christian Scheidegger: Wahrheit und Subjektivität. Warum schwenkfeldische Nonkon- formisten in Zürich 1588 gegen Glaubenszwang protestierten, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 91-111. – Nachweis, dass es sich bei einem 1588 von den Zürcher Behörden entdeckten Kreis bibellesender Separatisten und Nonkonformisten nicht um Täufer handel- te, sondern um Schwenckfelder, die zwar mit den lokalen Täufern in Kontakt standen, aber nur Teile ihrer Lehre rezipierten und sich trotz ihrer Ablehnung der erstarrten Volkskirche nicht den täuferischen Gemeinden anschlossen. – Moser 150 Michel Ummel: La notion de „Frères suisses“ chez Harold S. Bender. Entre idéalisation et réhabilitation. A-t-elle encore un impact historique et théologique aujourd’hui?, in: Mennonitica Helvetica 31, 2008, 203-227. – Untersucht die Wirkungsgeschichte von Harold. S. Benders Versuch einer „Rehabilitation“ der Geschichte und Theologie der „Schweizer Brüder“. – Moser 151 Linda A. Huebert Hecht: Research Note: Anabaptist Families in Tirol, 1527-1531, in: MennQR 83, 2009, 471-486. – Driedger 152 Adam Darlage: „They are to be pitied and wept over, not envied”: Hutterite Res- ponses to Persecution in the Chronicle, MennQR 83, 2009, 403-423. – Driedger 49 Täufertum und heterodoxe Richtungen 153 Päivi Räisänen: Visitation als Verhör und Verhandlung. Vom Prozeß des Täufer- Werdens im Württemberg des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in: Mennonitische Geschichtsblätter 64, 2009, 85-98. – Driedger 154 Matthias H. Rauert: „Ein schoen lustig Buechlein”: The Influence of Pilgram Mar- peck’s „Admonition” on True Baptism and Communion in a Hutterite Polemic, trans. James M. Stayer, in: MennQR 83, 2009, 425-470. – Driedger 155 Timothy W. Reardon: Pilgram Marpeck’s Sacramental Theology: Based on His Confes- sion of 1532, in: MennQR 83, 2009, 293-317. – Driedger 156 Claus Bernet: Quäker und Mennoniten. Frühe Kontakte in der Pfalz, in Krefeld, Friedrichstadt, Hamburg, Emden und Danzig, in: Mennonitische Geschichtsblätter 65 (2008), 49-61. – U.a. zur Geschichte der Emder Quäkergemeinde, die als erste in Deutsch- land 1686 von der Obrigkeit toleriert wurde, sich aber nach dem englischen „Act of Toleration“ von 1689 wieder auflöste. – Jürgens 157 Valentin Weigel : De vita beata. De luce et caligine divina. Herausgegeben von Horst Pfefferl (Valentin Weigel: Sämtliche Schriften, Band 2). Stuttgart – Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2009. XLVIII; 200 Seiten; Leinen gebunden. – In erfreulicher Re- gelmäßigkeit folgt in der Neuen Edition V. Weigels nun der Bd. 2 mit zwei frühen, zusam- menhängenden Schriften: De vita beata (1570) und De luce et caligine divina (1570/1). Die erstere Schrift, die lange Zeit nur aus einem Druck in Halle 1609 (zusammen mit der ande- ren) (Abb. 1 und 2) bekannt war, deren Datierung schon auf 1570 nunmehr sicher ist, belegt die Rezeption Boethius’ durch Weigel (so wie die zeitgleichen „Zwei nützliche Trak- tate“ die Taulers usw.) in bislang nicht gekanntem Maße (3-107). Neben Dionysius Areopa- gita und Nikolaus von Kues ist es der Neuplatonismus der „Consolatio philosophiae“ des Boethius (vermittelt oft durch den pseudothomanischen Kommentar W. Whatleys), der Weigel zu Formierung seines eigenen Denkens verhilft; K. Thiel hat hierfür vorzügliche Verifizierungsarbeit geleistet. Weigels These wird so gleich im Titel ausgedrückt: De vita beata, non in particularibus ab extra quaerenda, sed in summo bono intra nos possidenda. Die viel kürzere zweite Schrift (111-117), die im Druck von 1609, aber auch, mit andern Weigelianischen Texten, handschriftlich im Londoner Kodex Harley 243 überliefert ist (Abb. 3) und die der Hg. mit guten Gründen als authentisch ansieht, begründet die dem Titel bzw. dem Untertitel Excitatio Mentis hinzugefügte These: Quod Deus sit ipsa lux increata in qua sedere seu habitare dicitur, quae non potest esse ab essentia Dei distincta. – Auch in diesem Band werden die editorischen Grundsätze (Einleitung zu Bd. 3 (1996), XXXII-XXXV) pünktlich angewendet. Die Überlieferung beider Schriften, ihr Kontext in Weigels Werk und ihre frühe Rezeption werden sorgfältig rekonstruiert (Einleitung, XIII- XLVIII). Ferner bestimmt der Hg. das Verhältnis der 27 Kapitel umfassenden Textes „De vita beata“, der sekundären, in einigen Kapiteln nichtweigelianischen Kompilation „De homine interno et externo“ (vor 1601; Kodex Harley 241) und der den ersteren Text über- setzenden, aber auch souverän paraphrasierenden und auf 25 Kapitel zusammenziehenden Schrift „Vom seligen Leben“, die bislang nur aus einer Prager Handschrift von 1590 (Abb. 4) bekannt war. Dieser letztere, wohl B. Biedermann, dem Diakon und Nachfolger Weigels zuzuschreibende Text wird im Anhang abgedruckt (121-194). – Sparn 158 Will-Erich Peukert (Hg.): Paracelsus. Gesammelte Schriften. Studienausgabe in fünf Bänden. Basel: Schwabe 2009. 2448 Seiten. – Dies ist ein Reprint der Paracelsus- Studien- ausgabe von 1965-1968, deren Verdienst es war, „den Vielen, den sein Sprache Mühe macht“ (Motto, S. V), einen neuhochdeutschen Text an die Hand zu geben, der auf einem zuverlässigen Urtext (Karl Sudhoff, Kurt Goldammer, auch Wilhelm Matthießen) beruht, sachlich richtig ist und doch „den alten Stil bewahren, die alten Formen verständlich ma- chen und die toten Worte durch noch lebende ersetzen will“; Vorbild sind die Revisionen Religion und Kirche 50 der Lutherbibel (Bd. II, S. IX). Jeweils in chronologischer Reihenfolge enthalten Bd. I-II medizinische und medico-philosophische Schriften, Bd. III philosophische Schriften (v.a. die „Philosophia sagax“), Bd. IV theologische (Auslegungen von Psalmen, des 5.-7 Gebots, „De vita beata“), religionsphilosophische und sozialpolitische Schriften, Bd. V pansophische, magische und gabalische(sic!) Schriften, auch solche, deren Autorschaft nicht eindeutig geklärt, die aber der pansophischen, hermetisch-neuplatonischen Denkwelt der magia naturalis zuzuordnen seien. Bd. V enthält ein forschungsgeschichtlich interessantes bio- und doxographisches Nachwort (391ff), ein „Hermetisch-paracelsisches Wörterbuch“ und eine Zeichentafel (411ff). Sowohl die Auswahl (auch innerhalb einzelner Schriften) als auch die Übertragung würde heute z.Z. etwas anders ausfallen – was Peukert nicht stören würde, solange Paracelsus „als der Protagonist der damals keimenden Zeit vor uns (steht)“ (Bd. I, S. XVI). Dank auch seiner Ausgabe ist das heute in weit höherem Maße der Fall als Peukert das hoffen durfte. – Sparn 159 Hermann Geyer: Verborgene Weisheit. Johann Arndts „Vier Bücher vom Wahren Christentum“ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie. (Arbeiten zur Kirchengeschichte Band 80/I-III). Berlin – New York: Walter de Gruyter 2001. 3 Bücher in 2 Bänden . Buch I: XXIII, 451 Seiten; Buch II: VI, 370 Seiten; Buch III: IX, 545 Seiten. 25 Abb. Leinen ohne Umschlag. – Versehentlich sind seinerzeit diese zwei Bände, eigent- lich eine Zusammenstellung dreier exzeptioneller Monographien im Gesamtumfang von über 1.300 Weiten, nicht angezeigt worden; das sei hier, zumal angesichts der eher zögerli- chen Rezeption, nachgeholt. Denn es handelt sich um nichts weniger als um den wohlbe- gründeten Abschied von der seit dem frühen 19. Jahrhundert zäh überlebenden, in hohem Maße normativen binären Opposition von lutherischer „Orthodoxie“ und spiritualistischer „Heterodoxie“, von theologischer „Lehre“ und praktischer „Frömmigkeit“ resp. „Reforma- tion des Lebens“. Leider weckt der Titel der Dokumentation des Jubiläums 2005 „Theolo- gie oder Frömmigkeit“ (2007) noch einmal diese falsche Assoziation (vgl. ARG.L 38/2009). Die noch keiner Weise überholte Untersuchung Geyers demonstriert auf einer immens breiten Quellenbasis an Arndt und seinem religiösen (Sub-)Milieu überdies, dass es ‚das’ Luthertum, gar ein ‚traditionelles’ Luthertum zu Beginn des 16. Jahrhundert nicht gab und dass es durchaus noch strittig war, was unter ‚Theologie’ denn zu verstehen sei. Sie zeigt, dass solche Oppositionen (W. Koepp usw.), aber auch einseitige Identifikationen (Chr. Braw u.a.) polemische bzw. apologetische Topoi darstellen, die den seinerzeit noch nicht beendeten Streit über den Stand und über den weiteren Weg des evangelischen Christen- tums vorzeitig klären wollen – einen Streit, der seinerzeit nur regional (und meist macht- förmig) entschieden wurde. Methodologisch leistet die Arbeit innerhalb der Theologie das, was seit einiger Zeit nicht-fachtheologische Untersuchungen bereits leisten: die Korrelation von Theologie-, Frömmigkeits- und Kulturgeschichte (nur die sozialen und politischen Aspekte bleiben noch unterbelichtet). Einige besonders innovative Aspekte seien hier wenigstens benannt. – Das Buch I, ursprünglich die bei H. Schneider gefertigte Dissertati- on, weist unter dem Titel „theologia sincerior. Johann Arndts Konzept einer mystisch- spiritualistischen Theologie“ nach, dass es Arndt um eine ‚bessere’, d.h. den mystischen Spiritualismus seit Tauler bis V. Weigel innerhalb der wahren, d.h. der lutherisch erneuerten Kirche ging – um eine Theologie, die sich allerdings von der zeitgleich sich entwickelnden szientifischen Theologie, die Argument und Erbauung methodisch trennte, deutlich unter- schied (bes. I, 216ff). Verfasser modelliert das Profil dieser ‚wahren’, zugleich theologie- und kirchenkritischen „theologia mystica“ und ihr Ziel „göttlicher Weisheit und Erkentniß“ in der „cultura interioris hominis“ im Schrifttum Arndts, aber auch im Kontext jener „de- vianten Literaturen“ bis hin zu Chr. Hoburg und G. Arnold. Das zweite Buch ist ein über- aus spannender Versuch, Arndts „Vier Bücher vom wahren Christentum“ als bewusst 51 Täufertum und heterodoxe Richtungen spiritualistisch-hermetische Metaphorik zu entschlüsseln, auch hier wieder im (z.T. neu entdeckten) Kontext der Figuren des „Bücher Gottes“. Es gelingt ihm, die Bücher I-III in die Perspektive einer Wiedergeburt als realer Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit (liber scripturae: Buchstabe und Geist; liber vitae: Christusförmigkeit als Prozess; liber conscientiae: das innere Wort) zu rücken; es gelingt vor allem, in Arndts Amplifikation der Metaphorik auch den liber naturae, hermetisch als Hierophanie verstanden, einzubeziehen und die strukturelle semiotische Verschränkung von Bibel- und Naturhermeneutik aufzu- zeigen: vier Weisen der Offenbarung Gottes. Diese These der zweiten Monographie ist die zentrale; sie ist die Basis der ersten, aber auch der dritten Monographie (hier Literaturver- zeichnisse und Register für alle drei Bücher). Diese letztere rekonstruiert Arndts Weltbild, sein theosophisches Programm der Verbindung des Lichtes der Gnade und des Lichts der Natur, das durch die Signaturen der Dinge weltlich und durch den Bezug auf die Bibel geistlich ‚bedeutet’, d.h. zu Gott und Christus führt; auch dies wieder kontextualisiert in der paracelsischen Naturphilosophie, in Alchemie, Magia naturalis und „übernatürlicher Astro- nomie“ (Anhänge hierzu III, 337ff). Arndt spezifische Synthese von mystischem Spiritua- lismus und renaissanceplatonisch-hermetisch-magischen oder auch ‚cabalistischen’ (Chr. Hirsch) Vorstellungen von Mikrokosmos/Makrokosmos, Emanation und Lichtmetaphysik ist nicht ‚orthodox’ – gemessen an den hinterher als Legitimitätsträger isolierten Positionen; nicht anders als das Corpus Weigelianum, das Tübinger Submilieu um 1600 oder dann J.A. Comenius’ oder Fr. Oetinger. Dass sich Arndt nicht mit bestimmten Aspekten der Theolo- gie Luthers verträgt, ist Verfasser nicht unbekannt (z.B. Dialektik Gesetz und Evangelium I,136f; Wiedergeburt II, 221ff; iustitia Dei II, 339ff; gegen M. Greschat: analogia entis II, 356f; grundsätzlich III, 357f); aber er besteht völlig zurecht darauf, dass dies zunächst einmal ein historisches Urteil ist. – Sparn 160 Klaus Schaller: Panharmonia und Panchresia. J. A. Komenskýs Antwort auf die alte Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend, in: Acta Comeniana 22-23 (2009), 133-146. – Vergleich von Comenius mit Francis Bacon, Analyse von Comenius' Vita lucis, Pampaedia, Pansophia Christiana und Pansophia Diatyposis, Verwendung des klassischen griechischen Ideals der kalokagathia bei Comenius und später bei Kant und J.F. Herbart. – Grund

2.7 Katholische Reform und Gegenreformation

161 Karl Vocelka: Frömmigkeitsforschung, Mittelalter und Frühe Neuzeit. Forschungs- überblick und bibliographische Einführung, in: Frühneuzeit-Info 20, 2009, 15-52. – Der Schwerpunkt liegt auf dem deutschsprachigen katholischen Raum; verschiedene Themen, etwa Heiligenverehrung, Reliquienkult etc. werden angerissen und umfangreiche bibliogra- phische Angaben gemacht. – M. Fuchs 162 Reinhard Braunisch: Reformatio – Restauratio – Libertas Ecclesiae. Johannes Groppers Kardinalat im Spiegel seiner Korrespondenz zwischen Interim und Inquisition. Zugleich eine biographische Skizze, in: Annalen des Historischen Vereins für den Nieder- rhein 212 (2009), 117-201. – Grund 163 Reinhard Flogaus: Confestim adverti pontificem et aliquos omnem lapidem movere, quo me excluderent. Ein unbekannter Brief von Johannes Eck an Hieronymus Aleander aus dem römischen Inquisitionsarchiv, in: Römische Historische Mitteilungen 51, 2009, 157-230. – In dem Brief, datiert 1537 Juni 15, kritisiert Eck die Kurie wegen Missachtung seiner Rechte in bezug auf die Würzburger Dompropstei; weiters werden u.a. Ecks deut- sche Bibelübersetzung, die Vorbereitungen für das Konzil oder sein gestörtes Verhältnis zu Religion und Kirche 52 Kardinal Campeggio thematisiert. Neben ausführlicher Darstellung wird dieser Brief nebst zwei weiteren (an das Würzburger Domkapitel, 1537 Oktober 14; an Lorenz Fries, 1536 Dezember 9; beide Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek) in Edition (mit Übersetzung) abgedruckt. – M. Fuchs 164 Aaron Clay Denlinger: Disentangling Ambrogio Catarino's Doctrine of Original Sin from that of Albert Pigge, in: Ref. & Ren. Review 9 (2007) 3, 235-263. – Grund 165 Jennifer Spinks: Monstrous Births and Counter-Reformation Visual Polemics: Johann Nas and the 1569 Ecclesia Militans, in: SCJ 40 (2009) 2, 335-363. – Grund 166 Johannes Merz: Julius Echter als „Typus der Gegenreformation“, in: HJ 129 (2009), 65-82. – Grund 167 Harm Klueting: Tridentinischer Katholizismus – Katholizismus nach dem Konzil von Trient, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 103 (2009), 13-26. – Grund 168 Annick Delfosse: La correspondance jésuite: communication, union et mémoire. Les enjeux de la Formula scribendi, in: RHE , 104, 2009, 71-113. – From the beginning, written correspondence was an important communication tool within the Society of Jesus. Delfosse examines how Ignatius’ successors adapted and refined the rules for the inner communica- tion in order to meet the constant growth of the Order. This process of continuous read- justments is also revealing for the identity formation, the strengthening of unity and the memory sustainment within the Society. This article is of importance for everyone working with the Litterae annuae and other documents produced by the Jesuits. – Marnef 169 Danilo Zardin: Carlo Borromeo e la cultura religiosa della Controriforma, in: Schwei- zerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 103 (2009), 41-61. – Grund 170 Robert Bireley S.J.: Early-Modern Catholicism as a Response to the Changing World of the Long Sixteenth Century, in: Catholic Historical Review 95 (2009) 2, 219-239. – Grund 171 Markus Friedrich: Government and Information-Management in Early Modern Eu- rope. The Case of the Society of Jesus (1540-1773), in: Journal of Early Modern History 12 (2008) 6, 539-563. – Grund 172 Stephanie Hartmann: Ein unbekanntes Exemplar der Cautio criminalis Friedrich von Spees in der Diözesanbibliothek Limburg, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschich- te 61 (2009), 113-124. – Bisher nicht beschriebenes Exemplar von 1632, Sign. R 1946. – Grund 173 Anne Conrad: Semireligiosentum und Laienspiritualität. Perspektiven jesuitischer Frauengemeinschaften in der Frühen Neuzeit, in: RJKG 27 (2008), 137-152. – Europaweite Übersicht über Gemeinschaftsgründungen von „Jesuitinnen“ 1563-1685. – Grund 174 Alois Schmid: Das Jesuitenkolleg St. Michael zu München als Vorläufer der kurfürstli- chen Akademie der Wissenschaften, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 72 (2009) 2, 343-358. – Gründung 1559 unter Herzog Albrecht V., Angliederung eines Gym- nasiums, wichtigste bayerische Beamtenausbildungs- und Forschungsstätte, Jesuitenpatres verfolgen schon 1722 das Projekt einer „Academia Carolo-Albertina“, Gründung der kur- fürstlichen Akademie schließlich 1759. – Grund 175 Hilaire Kallendorf: Tears in the Desert: Baroque Adaptations of the Book of Lamenta- tions by John Donne and Francisco de Quevedo, in: Journal of medieval and early modern Studies 39:1, 2009, 31-42. – Discusses John Donne’s (1572–1631) and Francisco de Queve- do’s (1580–1640) almost simultaneous adaptations of the Old Testament Book of Lamenta- tions. Kallendorf argues that this coincidence resulted from a shared spiritual formation involving Jesuit meditational techniques. – Ninness 176 Wietse de Boer: An Uneasy Reunion: The Catholic World in Reformation Studies, in: Archiv für Reformationsgeschichte 100 (2009), 366-387. – Forschungsbericht. – Grund 53 Katholische Reform

3. GEIST UND KULTUR

3.1 Humanismus, Geschichtsschreibung, Bildungswesen

177 Arnold Esch: Landschaften der Frührenaissance. München: Beck, 2008.128 Seiten, paperback. – Au cours des longues années qui ont précède son accession au trône de saint Pierre (en Enea Silvio Piccolomini, futur Pie II, a beaucoup voyagé en Europe centrale, mais aussi dans l‘archipel grec de la Mer Egée ( der griechischen Inselwelt ) et en a conservé pour la postérité, grâce à sa plume, aussi abondante qu'élégante, et en un latin d'une haute tenue, des portraits d'hommes , des scènes familières, des témoi-gnages archéologiques et des paysages perçus avec les yeux du corps el de l'esprit, qui sont pour nous une source documentaire de première main. Ce sont ces paysages de la première Renaissance ita- lienne— celle de la seconde moitié du XVe siècle — que fauteur essaie de faire revivre à notre intention, grâce en particulier aux Commentant du brillant diplomate, homme de cour. prélat et esprit libre que fut jusqu'à la cinquantaine Enea Silvio, mais aussi par une série de documents choisis et reproduits avec soin, comme un paysage toscan de Baldovi- netti où il situe la naissance du Christ, des ruines romaines de Manlegna, ‘asso-ciées au triomphe de César, ou un paysage marin du même artiste, la vision panoramique d'un pay- sage blanchâtre de Piero délia Francesca, ou les ruines d‘un temple de Délos, d'après un dessin de Cyriaque d'Àncône. – Ce «carnet de route » d'Enea Silvio Piccolomini, enrichi par les commentaires et l'abondance des anno-lations (19 longues pages) du critique moderne ajoute beaucoup de traits à l'autobiographie du pape Pie II, même si les rêveries que ces commentaires et ces images font naître en nous des impressions personnelles qui vont bien au-delà de la personne , des actions et des écrits du voyageur d'il y a près de six siècles. – Margolin 178 Niccolò Machiavelli: Fursten [Il Principe]. Ins Schwedische übersetzt und mit einlei- tendem Kommentar versehen von Marco Morner. Stockholm: Natur & Kultur 2008, 196 Seiten – Machiavellis Fürst ist in den vergangenen einhundert Jahren fünfmal ins Schwedi- sche übersetzt worden, zuletzt in der nun vorliegenden Version von Marco Morner. Ziel- gruppe einer Übersetzung dieses Textes ins Schwedische ist nicht nur die an Geschichte interessierte Öffentlichkeit in Schweden, sondern auch die zunehmend wachsende Zahl von akademisch ausgebildeten Historikern, die neben dem Englischen kaum mehr andere Spra- chen beherrschen. Gerade auf Grund dieses letztgenannten Umstandes ist es ungemein wichtig, dass Morner für seine Übersetzung sich auf die neusten Ergebnisse der Textge- schichte stützt (i.e. Mario Martinellis kommentierte Edition von Il Principe, 1999 und 2006 sowie Giorgio Ingleses Kommentare, 1995). Die die Übersetzung einleitenden Kapitel legen die Entstehungsgeschichte und den historischen Kontext dieses oft missverstandenen, missbrauchten und von der katholischen Kirche indexierten Textes dar und widmen sich textkritischen sowie übersetzungstechnischen Reflektionen. Eine Zeittafel (35-42), Kom- mentare und Register (166-196) runden die Ausgabe von Machiavellis Fürst ab. – Insbe- sondere da Morners Übersetzung sich auf neuste textkritische Ergebnisse stützt, ist sie für die schwedische Renaissance- und Frühneuzeitforschung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. – Czaika 179 Lucia Bianchin: Machiavelli e i rivolgimenti costituzionali nella letteratura giuridico- politica tedesca della prima età moderna = Machiavelli und die großen Staatsumwälzungen Geist und Kultur 54 in der deutschen Publizistik der Frühneuzeit, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento = Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 34 (2008), 67-88. – Grund 180 Cornel Zwierlein und Annette Meyer (Hgg.): Machiavellismus in Deutschland (Histori- sche Zeitschrift, Beiheft 51). München: Oldenbourg 2010. VII; 340 Seiten; Paperback. – Der aus einer interdisziplinären Tagung Münchener SFB’s von 2007 hervorgegangene Sammelband repräsentiert recht breit den Stand der Forschung in Deutschland, Frankreich und Italien (die Beiträge sind gegebenenfalls übersetzt). Die Herausgeber reflektieren einlei- tend (1-21) die europäische Forschungssituation in Sachen „Renaissance/Humanismus“ bzw. „Machiavellismus“ (mit Seitenblick auf die Forschungslage in Sachen „Reformation“ bzw. „Konfessionalisierung“) im Vorfeld des Jubiläums des „Principe“ 2013. Im ARG- Berichtszeitraum liegen etwa die Hälfte der Aufsätze: Cornel Zwierlein: „Machiavellismus und italienisch-deutscher Kulturtransfer im 16./17. Jahrhundert (23-59); Francesco Ingravalle und Corrado Malandrino: „Calvinismus, ‘Machiavellismus’ und Politica von Althusius” (61-78); Lucia Bianchin: „Conversiones rerumpublicarum. Zum Geschichtsbild der barocken Staats- lehre“ (79-93); Rosanna Schito: „Zum Machiavelli Hermann Conrings (95-107). Ins 18. Jahr- hundert aus greifen die Beiträge von Thomas Maissen über die frühneuzeitlich- republikanische Rezeption Machiavellis in der Eidgenossenschaft (109-130) und von Merio Scattola über „Machiavelli in der historia literaria“ seit K. Gesner (131-162). Martin Mulsow entschlüsselt unter dem Titel „Ahitophel und Jerobeam“ die seit S.H. Reimarus (1719) gebrauchte Formel des „Machiavellismus vor Machiavelli“ (163-178). Von generell frühneu- zeitlichem Interesse ist schließlich die Darstellung der Ikonographie der Lehre Machiavellis („Text – Übersetzung – bildliche Übertragung“, 179-190). Der Band enthält immerhin ein Namensregister. – Sparn 181 Rolf Darge, Emmanuel J. Bauer und Günter Frank (Hgg.): Der Aristotelismus an den europäischen Universitäten der frühen Neuzeit. Stuttgart: Kohlhammer 2009. 368 Seiten; Paperback. – Zu den philosophie- und theologiegeschichtlich eindrücklichsten Forschungs- entwicklungen der letzten Generation gehört die Wiederentdeckung der Aneignung und Fortbildung des aristotelischen Denkens in der Frühen Neuzeit, für deren intellektuelle Standards und Ambitionen dieser Prozess schlechthin wesentlich war. Die neue, von der angelsächsischen Renaissance-Forschung (B. Schmitt, C.H. Lohr) angestoßene und von der Herzog August Bibliothek erfolgreich geförderte Aufmerksamkeit auf jene dritte, von den protestantischen Universitäten engagiert mit getragene Welle der Aristoteles-Interpretation hat sich inzwischen international vernetzt; zuletzt in einem Wolfenbütteler Symposium 2005 (G. Frank, A. Speer: Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2007) und in einem Symposium der Universität Salzburg und des Melanchthonhauses Bretten 2007. Dies letztere, im vorliegenden Band dokumentierte Symposium wandte sich, in bewusster Distanz von den klassischen historiographischen Schemata, der Einzelforschung zum „Aristotelismus“ in mehreren europäischen Ländern bzw. v.a. dem tridentinischen, aber auch dem lutherischen Bereich zu. Das Buch enthält eine kurze, die Fragestellungen erklä- rende Einleitung (warum ist hier der neue „Ueberweg“ zum 17. Jahrhundert übergangen?), 15 deutschsprachige Beiträge, denen jeweils ein Abstract (leider deutschsprachig; bei dem einzigen englischer Beitrag ist das natürlich richtig) und eine Bibliographie beigegeben ist. Ihre Anordnung scheint zufällig, ihre Themen sind durchweg zentral. – Paul R. Blum: Ideen und Transzendentalien bei Francisco Suárez im Kontext der Renaissancephilosophie (L. Valla, M Ficino, T. Campanella: das platonische Element des führenden Aristotelikers Suárez, 15-33); Isabelle Mandrella: Die frühneuzeitliche Weiterbildung der aristotelischen Metaphysik im Scotismus: Supertranszendental- oder Realwissenschaft (letzteres!, 35-56); Rolf Darge: Die Transformation der aristotelischen Analogielehre bei Cajetan und Suárez 55 Humanismus (statt der neuplatonischen und thomistischen Partizipationsmetaphysik eine demonstrative Erste Philosophie, 57-81); Wouter Goris; Padua 1500 – The Medieval Debate on the First Known Revisited (M. Zimara als Versuch, Thomas und Duns zu versöhnen, 83-98); Hein- rich Ganthaler: Weiterbildung der Aristotelischen Wissenschaftslehre bei Jacopo Zabarella (nicht so modern wie manchmal vermutet, 99-110); Emmanuel J. Bauer: Einflüsse des italieni- schen Aristotelismus des 16. Jahrhundert in der Gründungsphase der Universität Salzburg (scil. des averroistisch gefärbten Padua, 110-136); ergänzend hierzu Ulrich G. Leinsle: Zum jesuitischen Hintergrund der frühen Salzburger Philosophie: Aristotelismen an der Univer- sität Dillingen (auch hier Einfluss Paduas, typisch suárezisch-jesuitisch erst ab 1617, 137- 160); Günter Frank: Der Aristoteles der „Philosophia perennis“: Agostino Steuco, Nicolaus Castellanus, Francesco Patrizi, Ralph Cudworth (diese hermetisch-neuplatonische Wissens- tradition integriert (pseudo-)aristotelische Schriften, 161-179); Jorge U. Barrón: Zum philoso- phiegeschichtlichen Ort der Akzidenzienlehre des Francisco Suárez (neu: modi entium, 181-201); Berd Roling: Aristoteles zwischen melanchthonischem Bildungssystem, Paracelsismus und Descartes. Die Diskussion des Leib-Seele-Problems an den schwedi- schen Universitäten des 16. und 17. Jahrhundert (203-234); Sebastian Lalla: Die Interpretati- on von „De anima“ bei Francisco Suárez (analog zur Angelologie, 235-247); Sascha Salatowsky: „Proportionalitas creaturae ad aliam et ad creatorem” – Gutkes und Calovs Grundlegung einer natürlichen Erkenntnistheorie (NB. spezifisch lutherische Geistphiloso- phie, 248-268); Henrik Wels: Die substantielle Gleichheit der menschlichen Seelen im früh- neuzeitlichen Aristotelismus (bei nur graduellen Unterschieden zwischen den Individuen, 269-290); Sven S. Knebel: Genieästhetik und „Barockscholastik“. Die nominalistische Inter- pretation der forma artificialis im Suárezismus (291-313); Franceso V. Tommasi: Ein Missing Link in der Geschichte der Transzendentalphilosophie (Kants nicht bloß terminologische, sondern auch sachliche Verbindung zur schularistotelischen Transzendentalphilosophie, vermittelt durch Franz A. Aepinus, 315-331); Ulrike Zeuch: Aristoteles in der historia literaria – transdisziplinäres Bindeglied oder disziplinenspezifische Referenz? (der spannungsreiche Aristotelismus an der Universität Helmstedt, 333-356). Ein Namenregister schließ den wichtigen Band ab. – Sparn 182 Franz Fuchs (Hg.):Enea Silvio Piccolomini nördlich der Alpen. Akten des interdiszip- linären Symposions vom 18. bis 19. November 2005 an der Ludwig-Maximilians-Universi- tät München (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung; 22). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2007. 227 Seiten; Paperback. – Cet ouvrage, consacre à la période de la vie d'Enea Silvio Piccolomini qui se situe au Nord des Alpes, est en fait le recueil des Actes d'un colloque interdisciplinaire qui s'est tenu en novembre 2005 à l'Uni- versité de Munich. La figure du futur pape Pie II en tant qu'homme nourri des «bonnes lettre» est tracée à larges traits par Benedikt Konrad Vollmann qui analyse brièvement ses écrits politiques ou politico-religieux (sur la donation de Constantin ou le Concile général de Bâle), historiques (comme l'Histoire de l'Autriche) ou littéraires 9 voire romanesques, comme sa fameuse Histoire de dem amants, tous composés en latin. Les rapports particu- liers entre Piccolomini et l'Université de Vienne sont examinés par Martin Wagendorfen qui rappelle le rôle capital joué par ce prélat et diplomate humaniste pour introduire en Europe centrale les principes et les méthodes d'une éducation moderne, mais adossée à la culture antique d'une manière critique. La poésie y est particulièrement à l'honneur. Suit une étude de Simona Iaria sur Piccolomini et le Concile de Bâle au cours duquel il a déployé une grande activité et auquel il a consacré lui-même un traité, argumentant sur les nombreux points théologiques concernant le sacrifice de la messe et la position de plusieurs sectes «mo- dernes». Sur son Dialogus pro donatione Constantin sa date, les manuscrits sur lesquels il s'appuie, et les discussions que cette donation (ou prétendue donation) relative à la puis- Geist und Kultur 56 sance er aux possessions temporelles du pape, Duane Henderson apporte des documents historiques et littéraires insuffisamment exploités jusqu'ici. Markus Wesche étudie les mé- dailles qui ont été fondues à l'occasion de son avènement à la papauté et de la croisade contre les Turcs qu'il avait Y intention de mener. Enea Silvio éducateur (notamment auteur du De liberorum educatione) est mis en relation avec d'autres pédagogues de son temps ou de la génération juste postérieure (essai de Klaus Arnold) tandis que David Paisey dirige ses recherches sur les livres de Pirckheimer de la Bibliothèque d'Arundel (85 ouvrages réperto- riés et décrits, dont d'assez nombreux incunables). – Margolin 183 Bernard Lescaze et Mario Turchetti (Hgg.): Mythes et réalités du XVIe siècle. Foi, idées, images; études en l'honneur d'Alain Dufour. Alessandria; Edizioni dell'Orso 2008. viii; 242 Seiten; Paperback. – Quelques-uns des proches amis d'Alain Dufour ont «comploté» la composition de ces Mélanges en l‘honneur du grand «libraire» de Genève dont la réputation s'étend bien au-delà des seiziémistes ou des milieux calvinistes. Et par réputation, je vise autant ses mérites scientifiques et la gestion des productions qui sortent depuis de nom- breuses décennies des éditions Droz. Avec un soin particulier de la présentation typogra- phique et des illustrations en couleur, quinze «complices» (dont je ne citerai que le maître d'œuvre, Mario Turchetti) ont réuni leurs talents pour réaliser un ensemble dont les thèmes ne pouvaient que convenir au récipiendaire, mais qu'apprécieront aussi les lecteurs de ce très beau livre: on y rencontre évidemment Calvin et Bèze, les huguenots, «papautz», sacra- mentaircs, catholiques «bons» et «mauvais», mais aussi Montaigne, des philologues, hellènes et hellénistes genevois, Henri IV lui-même en tant qu'amateur des lettres, sans oublier ses relations personnelles avec les écrivains de son temps. – Une liste des publications d'Alain Dufour complète heureusement ce recueil: publications en tant qu'auteur et publications en tant qu'éditeur, en tant que traducteur, de préfacier, et en coilaboration. Ce qui couvre un espace de temps qui déborde le demi-siècle. Mais la plume de l‘humaniste de Genève ne s'est pas arrêtée avec ces Mélanges! –Margolin 184 Peter Fabisch (Hg.): Julius exclusus e coelis. Motive und Tendenzen gallikanischer und bibelhumanistischer Papstkritik Im Umfeld des Erasmus (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; 152). Münster: Aschendorff, 2008. 58 Seiten, paperback. – Quand on pense au dialogue relativement bref engagé à la porte du Paradis entre le pape Jules II (qui vient de mourir et qui voudrait être admis dans le Royaume des Justes) et saint Pierre, qui lui en interdit entrée (avec quelques a-parte du «génie» de Jules, et au volume de près de 600 pages que lui a consacré récemment l'auteur allemand, on commence par s'étonner de cette énorme amplification. Mais, quand on lit attentivement la lable des matières et surtout le texte lui-même de l'historien, on se rend compte que ce dialogue dont Érasme n'a jamais reconnu la paternité s'inscrit dans un contexte et un complexe historique où les tendances gallicanes et l'humanisme biblique s'unissent pour mettre en cause la politique du Saint- Siège, et en particulier celle du pape guerrier qui faisait horreur à l'humaniste hollandais, ce même pape qui fut l'un des plus puissants mécènes de Michel-Ange. D'autre parle problème des sources manuscrites des nombreuses éditions (généralement anonymes, malgré des transparences significatives) demande une acribie toute particulière et un long travail de comparaison critique. Tâche accomplie brillamment et savamment par les auteurs de ce volume. – Ainsi, bien qu'Erasme tienne dans ce volume une place fort importante (voir notamment les développements sur son ccelésiologie, sur la Maria, sur ses rapports avec l'Angleterre, John Colel et Thomas More, sur ses relations avec Ulrich von Hutten, etc.), la question centrale, examinée de près, est bien celle de la critique gallicane du pouvoir papal au XVIe siècle, à partir des idées ou des textes du cardinal Georges d’ Amboise, de Pierre Gringore, de Jean Bouchet ou de Jean Lemairc de Belges. – Une très riche bibliographie sur le dialogue du Julius exclusus, ses éditions et ses traductions, une bibliographie spécifique- 57 Humanismus ment érasmienne, les nombreuses autres sources) complète avec l'index des auteurs et la liste des illustrations (dont une page manuscrite du Julius exclusus) cet important ouvrage. – Margolin 185 Johannes Reuchlin: Briefwechsel. Leseausgabe von Adalbert Weh (3 Bände). Stuttgart- Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2000, 2004, 2007. 297, 314, 276 Seiten, broschur. – Das Werk des Humanisten, Rechtsgelehrten, Stuttgarter Richters und Hebraisten Johannes Reuchlin ist in der Regel nur in lateinischer Sprache zugänglich. Für das Studium seiner Gelehrsamkeit sollte die Wissenschaft darauf nicht verzichten. Die breite Vernetzung des deutschen Gelehrten im intellektuellen Kontext Europas hingegen wird auch für weniger Sprachkundige von Interesse sein. Neben den vielfältigen Beziehungen des Förders Melan- chthons und herausragenden Hebraisten zu Mitgliedern der intellektuellen Eliten an zahl- reichen Höfen und hohen Schulen Europas gibt der Briefwechsel eben auch einen – freilich beschränkten – Einblick in das Diskursverhalten und die Denkformen des Humanisten zwischen Spätmittelalter und Neuzeit. Dass Reuchlin weit mehr geschrieben und bearbeitet hat als die mit seinem Namen verbundenen „Dunkelmännerbriefe“ eine hebräische Gram- matik und kabbalistische Studien wird bei der Lektüre der Briefe mehr als deutlich. Sichtbar wird auch die differenzierte Kirchenkritik, die nicht zum radikalen Bruch, aber auch nicht zu schweigendem Dissens führt. An zahlreichen Briefen von und nach Italien wird weiter- hin die große Vermittlerfunktion Reuchlins für den italienischen Renaissance-Humanismus in die Gebiete nördlich der Alpen deutlich. Daneben finden sich vielfältige Einzelthemen, an denen sich der umfassend gebildete Reuchlin abarbeitet, sowie etliche Nachrichten, die mangels anderer Medien zwischen den weit entfernten Zentren intellektueller Gelehrsam- keit ausgetauscht werden sollen. Manche Äußerung Reuchlins provoziert dabei eine neue oder zumindest andere Sicht der bekannten historischen Zusammenhänge. – Natürlich eignet sich die Ausgabe nicht zum wissenschaftlich-kritischen Arbeiten, wohl aber zur einer kontinuierlichen Lektüre und zum Verständnis der argumentativen Zusammenhänge, die beim philologischen Analysieren leicht aus dem Blick geraten. Insofern ersetzt die vorlie- gende Ausgabe nicht die kritische Edition der Werke Reuchlins. Wohl aber kann sie dazu dienen, das Wissen um den deutschen Humanismus und die frühe philologische Arbeit an jüdischen Quellen neben und an Erasmus von Rotterdam vorbei bekannter zu machen. – Wriedt 186 Nicolas Bourbon: Nugae – Bagatelles, 1533; édition critique, introduction et traduction par Sylvie Laigneau-Fontaine (THR; 446). Genf: Droz 2008. 1063 Seten; Paperback. – Le poète néo-latin Nicolas Bourbon, souvent cité par tes seiziémistes, moins pour la sublimité de ses vers que pour sa connaissance du milieu humaniste et ses rapports avec d'importants personnages de l'époque, ne mérite pourtant pas le jugement dédaigneux («Apollon de collège») dont l'affectait naguère Lucien Febvre. C'est donc avec une grande satisfaction que nous pouvons aujourd'hui, grâce à Vimmense labeur de l'auteur de cette thèse et à sa con- naissance approfondie de l'histoire de l'humanisme et de la Renaissance, lire et apprécier les 584 «bagatelles» (ou «petits riens»), autrement dit ces Nugae du poète champe-nois. La lecture et les commentaires de ces courtes épigrammes (certaines se contentent d'un dis- tique, beaucoup d'autres de deux ou de trois, les plus longues ne dépassent guère la dizaine de vers) favorisent une approche plus complète tant des milieux de la cour que des cercles plus familiers de notre poète. On retrouve dans beaucoup, d'entre elles un sens de l'humour ou des pointes d'ironie que l'époque apprécie beaucoup. Il y a sans doute un étalage quelque peu excessif de l'érudition gréco-latine de Bourbon, mais nous savons gré à son éditrice et exégète de l'avoir aussi savamment argumentec , parfois critiquée, et souvent complétée. Les annexes et la bibliographie sont irréprochables. – Margolin Geist und Kultur 58 187 David H. Thomas: Du nouveau sur une édition peu connue des Dialogues de Jean- Louis Vivès, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 73 (2009) 3, 555-557. – Beschreibung einer frz. Vives-Übersetzung von 1583 im Besitz der National Library of Wales, Aberystwyth, Sign. b84 R7 (1), und weitere Ergänzungen zur Liste der Dialogues- Bibliographie. – Grund 188 Nick J. Thompson: Three Versions of ‘Syllabus aliquot synodorum et colloquiorum’: an Early Modern Reading List of Irenical Literature, in: Reformation & Renaissance Review 9 (2007) 3, 303-340. – ‘Leseliste’ Jean Hotmans (1552-1636), gesammelt zwischen 1590 and 1628. – Grund 189 Christine R. Johnson: Creating a Usable Past: Vernacular Roman Histories in Renais- sance Germany, in: Sixteenth Century Journal 40 (2009) 4, 1069-1090. – Analogiebildungen und Herausstreichen von Traditionslinien zwischen dem deutschen und dem römischen Reich in Übersetzungen römischer Historiographie durch deutsche Humanisten. – Grund 190 Alain Cullière: L'„Hérésie“ de Nicolas Volcyr (1534), in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 71 (2009) 3, 433-455. – Traité nouveau de la désécration et exécution ac- tuelle de Jehan Castellan hérétique (Paris 1534) von Nicole Volcyr de Sérouville (= Nicolaus Wollick) (1480?-1541). – Grund 191 Stephen Mark Holmes: The meaning of history: A dedicatory letter from Giovanni Ferrerio to Abbot Robert Reid in his Historia abbatum de Kynloss, in: Reformation & Renais- sance Review 10 (2008) 1, 89-115. – Edition und Kommentar des Widmungsbriefes von 1537. – Grund 192 Julien Goeury: La Muse chrestienne ou le larcin de Rocquigny. Contribution à l'his- toire de la réception des Tragiques d'Agrippa d'Aubigné au XVIIe siècle, in: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 73 (2009) 3, 489-525. – Grund 193 Arndt Brendecke, Ralf-Peter Fuchs, Edith Koller (Hgg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit [Pluralisierung und Autorität 10]. Münster: LIT, 2007. Geb., 536 Seiten – Der Band dokumentiert eine 2003 von den Herausgebern in Zusammenarbeit mit Winfried Schulze durchgeführte Tagung des Münchener Sonderforschungsbereichs 573 („Pluralisie- rung und Autorität in der Frühen Neuzeit“). Die unter 6 Rubriken angeordneten 19 Beiträ- ge wollen Eigentümlichkeiten der – im Vergleich zu den mittelalterlichen und modernen weniger gut erforschten – frühneuzeitlichen Zeitkonzeptionen herausarbeiten und dabei neben eingängigen Generaldeutungen auch die Koexistenz verschiedener und teilweise widersprüchlicher Zeitmodelle und die darin latent wirksamen Kontinuitäten aufzeigen. Mit dem Begriff der „Autorität“ soll in diesem Zusammenhang die Konzentration auf die regulative und disziplinierende Qualität von Zeit und Zeitsetzungen ausgesagt werden. – Nach einer Einleitung der Hgg. (9-22) und einem Überblick über „Zeitverständnisse in der Philosophie der Renaissance“ von Eckhard Keßler (23-45) thematisieren unter der Rubrik „Lebenszeit“ Aufsätze von Michael Stolberg („Zeit und Leib in der medikalen Kultur der Frühen Neuzeit“, 49-68), Dagmar Freist („Lebensalter und Konfession. Zum Problem der Mündigkeit in Religionsfragen“, 69-92) und Thomas Duve („Die Bedeutung des Lebensalters im frühneuzeitlichen Recht“, 93-116) Konzepte der Strukturiertheit menschlicher Lebens- zeit. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Freist stehen die juristischen Auseinandersetzungen um die vor allem von katholischer Seite betriebenen Kinderkonversionen. – In der Sektion „Erfahrungsräume“ demonstrieren Kaspar von Greyerz („Tagebuch und Zeitbewußtsein im 17. Jahrhundert: Englische Beispiele“, 119-131), Jan Peters („Die Recht-Zeitigkeit bäuerli- chen Lebens und Arbeitens“, 133-147) und Alexander Schunka („Zeit des Exils – Zur argu- mentativen Funktion der Zeit bei Zuwanderern im Kursachsen des 17. Jahrhunderts“, 149- 168) unterschiedliche Arten des Zeiterlebens in verschiedenen lebensweltlichen Sphären; dabei zeigt Schunka, dass die Flüchtlinge vor der Gegenreformation in den habsburgischen 59 Humanismus Landen – ebenso wie die Behörden ihres Aufnahmelandes – ihr sächsisches Exil als eine außerhalb der normalen Zeit stehende Phase verstanden und darstellten. – Die Ordnungs- und Disziplinierungsfunktion obrigkeitlicher Zeitsetzungen untersuchen die vier Beiträge des Abschnitts „Reglementierungen“. Stefan Ehrenpreis behandelt „Zeitkonzepte im früh- neuzeitlichen Erziehungs- und Schulwesen“ (171-186), Karl Härter disziplinierende Zeitset- zungen in Policeyordnungen (187-232). Den Auseinandersetzungen um die Annahme der Gregorianischen Kalenderreform im Alten Reich widmet sich Edith Koller („Die Suche nach der richtigen Zeit“, 233-255), den obrigkeitlichen Bemühungen zur Beschränkung der Zahl kirchlicher Feiertage Klaus Schreiner („‚Abwuerdigung der Feyertage‘ – Neuordnung der Zeit im Widerstreit zwischen religiöser Heilssorge und wirtschaftlichem Fortschritt“, 257-304). – Unter der lakonischen Überschrift „Entscheidungen“ behandeln drei weitere Aufsätze die Nutzbarmachung des Faktors Zeit für die prozedurale Regulierung politischer und juristi- scher Auseinandersetzungen. Christiane Birr thematisiert die „verflossene Zeit“ als juristi- sches Argument für Legitimation bzw. Verjährung (307-331), Winfried Schulze („Zeit und Konfession“, 333-351) zeigt anhand des Augsburger Religionsfriedens, wie die divergieren- den konfessionellen Wahrheitsansprüche eine Politik des „Temporisierens“ erzwangen, die langfristige rechtliche Lösungen auf formal kurzfristigen Provisorien aufbaute. Ralf-Peter Fuchs untersucht die Durchsetzung der Normaljahrsregelung des Westfälischen Friedens in zwei gemischtkonfessionellen Territorien: dem Fürstbistum Osnabrück und der Grafschaft Mark (353-374). – Unter der abschließenden Rubrik „Geschichte“ geht es um konfessions- spezifische Diskurse und Praktiken hinsichtlich der Zeit „langer Dauer“, insbesondere um Geschichtsverständnis und Historiographie. Marcus Sandl („Martin Luther und die Zeit der reformatorischen Erkenntnisbildung“, 377-409) sieht in der Reformation eine „Zeitenwen- de“ im Sinne einer durch die Entgegensetzung von menschlicher Überlieferung und Heili- ger Schrift bewirkten umfassenden Rekonfiguration der Temporalstrukturen historischer Sinnproduktion. Thomas Kaufmann („Apokalyptische Deutung und prophetisches Denken im lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts“, 411-453) weist nach, dass im Reformationsjahrhundert die Apokalyptik als allgemeiner „kultureller Code“ fungierte und in verschiedenen Zusammenhängen aktuell aktiviert werden konnte; an der Publizistik aus dem Umkreis des Schmalkaldischen Krieges zeigt Kaufmann, dass die Apokalyptik mit der auf Stabilisierung und Ordnungsfundamentierung zielenden lutherischen Gesellschafts- konzeption nicht nur vereinbar, sondern notwendig korreliert war. Markus Völkel („Wie man Kirchengeschichte schreiben soll“, 455-489) unterscheidet anhand der „Magdeburger Zenturien“ und der „Annales ecclesiastici“ „Struktur“ und „Erzählung“ als konkurrierende konfessionelle Prinzipien der Kirchengeschichtsschreibung. Der Verschiebung der „Dar- stellungsmaßstäbe universalhistorischer Zeit“ (491-521) in chronologischen Tabellen hin zur jüngsten Vergangenheit ist der abschließende Beitrag von Arndt Brendecke gewidmet. – Allen Aufsätzen sind umfangreiche Bibliographien beigegeben. Erschlossen wird der Band durch ein Personenregister. – Schäufele 194 Lucia Bertolini: Mattia Palmieri e la stampa, in: La Bibliofilia 111 (2009), 109-145. – Die gedruckten Chroniken des Florentiner Chronisten Mattia Palmieri. – Wilhelmi 195 Otto Mazal: Geschichte der abendländischen Wissenschaft des Mittelalters (2 Bde.) Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 2006; 654+701 Seiten, Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – Es ist ein schier unerschöpfliches Thema und noch viel mehr unmögli- ches Unterfangen den Beginn und die Ausdifferenzierung des europäischen Bildungswesens von den Anfängen des Hochmittelalters bis in die Zeit der Frühmoderne auch nur annä- hernd zu erfassen. Dennoch hat sich der Wiener Kunsthistoriker und Direktor der Hand- schriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek diese Aufgabe gestellt. Auf mehr als 1200 Seiten entfaltet er die mannigfaltigen Aspekte der Wissenschaftsentwicklung Geist und Kultur 60 des Mittelalters in einem straffen systematischen Raster, das sich mehr oder minder an der modernen Disziplinendifferenzierung orientiert. Einleitend beginnt er mit Wesenzügen mittelalerlicher Wissenschaft im Abendland und geht von dort zur enzyklopädischen Ge- lehrsamkeit des Mittelalters über. Vom Werk der Übersetzer wendet er sich dann der Theo- logie des Hochmittelalters zu. Dieses Kapitel wird – mehr oder minder – an den Fächerka- non moderner Theologievermittlung – Dogmatik, Exegese, Kirchengeschichte, Moraltheo- logie, Homiletik, Liturgik und ergänzt durch Hagiographie, die jüdische Theologie und die Beschäftigung mit dem Islam, sowie die „Theologie von Mystik und Askese“ – angelehnt. Grundsätzlich ist sich der Verfasser des Risikos einer solchen Gliederung durchaus be- wusst. Er erwähnt die Entwicklung des Theologiebegriffes und seine Wandlungen, merkt traditionsgeschichtliche Beziehungen und Verbindungen an, bleibt aber im Grunde der orthodox-dogmatischen Gliederung treu. Ob man tatsächlich von einer Theologie des Judentums und des Islam sprechen kann und einen derartig weiten Theologiebegriff auch auf Mystik und Asketik beziehen sollte, mag füglich bezweifelt werden. – Dass der Verfas- ser unscharf mit der modernen wissenschaftstheoretischen Terminologie umgeht, wird auch in den folgenden Kapiteln deutlich, wenn die abendländische Philosophie des Mittelalters behandelt wird. Zwar kennt die scholastische Theologie die Philosophie als „Magd“, freilich hat das in der Sache wenig Anhalt gefunden und eine Trennung nach modernerem Wissen- schaftsverständnis lässt sich so nicht für das Mittelalter, das selbst noch einmal in vielfältige Teilepochen zerfällt, behaupten. Weiter werden zwei Fächer des Trivium der artes liberales – Grammatik und Rhetorik – gesondert untersucht, wobei die Grammatik mit Philologie und Rhetorik mit Epistolographie zusammengespannt werden. Der Historiographie und der Geographie werden, gleichsam als selbständigen Disziplinen ebenfalls zwei Kapitel gewidmet. Der zweite Band beginnt mit zwei, vom großen Kapitel zu den Naturwissen- schaften (Physik, Chemie/Alchemie, Mineralogie und Geologie, Botanik, Zoologie, Anthro- pologie) abgetrennten Kapiteln zu Mathematik und Astronomie. Vollends der modernen Systematik sind sodann die folgenden Kapitel zu den angewandten Wissenschaften, der Medizin, der Musikwissenschaft und abschließend der Rechtswissenschaft erlegen. – An- merkungen fehlen der Darstellung gänzlich. Der Band schließt aber mit einer sehr umfang- reichen, 100 Seiten starken Bibliographie und einem vermischten Register zu Namen und Sachen. Die Bibliographie ist nach den Kapitelüberschriften unterteilt und enthält zahlrei- che ältere Werke, die der Gesamtdarstellung zugrunde liegen. Leider wird dieses Verzeich- nis nicht durch ein Register erschlossen. – Die methodisch nicht weiter reflektierte Darstel- lung verdankt sich möglicherweise auch dem buchkundlichen Ansatz des Werkes. Der Wissenschaftsbetrieb sowie die Methoden der Wissenskumulation und -diffusion werden wesentlich anhand von Schriftzeugnissen rekonstruiert. Freilich bleibt der Verfasser diesem Ansatz insofern nicht treu, als er zahlreiche Erläuterungen prospographisch gliedert und die Entwicklung der Wissenschaft anhand von hervorragenden Vertretern, die den Disziplinen zugeordnet werden, erläutert. Historische Methoden der Struktur- und Diskursanalyse, eine hermeneutische Vorklärung des zu wählenden Verfahrens, Methoden der historischen Statistik und die von ihr hervorgebrachten umfangreichen Studien zum Universitätsbesuch im Mittelalter, Analysen zu Wissenschaftsbetrieb, Institutionengeschichte oder Kollektivbi- ographien sind nicht erwähnt. Man ist einerseits von der stupenden Kenntnis des Verfassers erstaunt, fragt sich dann aber doch bei näherem Hineinlesen in das umfangreiche Werk, was mit dieser enzyklopädischen Ansammlung von Namen und Texten gewonnen wird. Die möglichst vollständige Ansammlung von Einzelstücken ergibt dann schlußendlich doch kein Gesamtbild einer Geschichte der abendländischen Wissenschaft. – Als Nachschlage- werk sicherlich mit zahlreichen Fündlein ausgestattet, kann das große Buch doch nicht als Einleitung oder Überblicksdarstellung für die mittelalterliche Wissenschafts-, Universitäts- 61 Humanismus oder Geistes- und Kulturgeschichte empfohlen werden. Dafür enthält es zuviele, teilweise einander widerstreitende Angaben. Eine methodische Revision kann man dem inzwischen emeritierten Wissenschaftler kaum mehr abverlangen. So bleibt nur zu hoffen, dass die zahlreichen Einzelangaben dadurch ihren Wert behalten, dass sie in weiterführenden Studi- en aufgenommen und zusammengeführt werden.– Wriedt 196 Ahivu Zakai: The Rise of Modern Science and the Decline of Theology as the 'Queen of Sciences' in the Early Modern Era, in: Reformation & Renaissance Review 9 (2007) 2, 125-151. – Grund 197 Christoph Bultmann: Das Mosebild im Handbuchwissen der Frühen Neuzeit, in: Biblische Theologie und historisches Denken. Wissenschaftsgeschichtliche Studien. Aus Anlass der 50. Wiederkehr der Baseler Promotion von Rudolf Smend. Herausgegeben von Martin Keßler und Martin Wallraff. Basel: Schwabe, 2008, 62-109. – Wriedt 198 Hans Georg Thümmel: Die Frühgeschichte der Greifswalder Universitätsbibliothek, in: Baltische Studien N.F. 94, 2008, 29–42. – Der Beitrag beschreibt ein Verzeichnis des Bü- cherbesitzes der Greifswalder Artistenfakultät um 1500, deren weiteres Schicksal nach der Reformation allerdings unbekannt ist. – Asche 199 Heiner Lück: Die Universität Wittenberg und Pommern, in: Baltische Studien N.F. 94, 2008,71–88. – Der Beitrag behandelt die Beziehungen der Universität Wittenberg zum Herzogtum Pommern, mit einem gewissen Schwerpunkt im Reformationsjahrhundert. Thematisiert werden die pommerschen Studenten in Wittenberg, Wittenberger Professoren mit pommerschem Hintergrund und die Bezüge Pommerns zu den Rechtsinstitutionen der Leucorea. – Asche 200 Martin Steiner: Die Zeugnisse der Herborner Professoren für Theologiestudenten aus böhmischen Ländern von 1611, in: Acta Comeniana 22-23 (2009), 287-291. – Edition und Kommentar. – Grund 201 Arvo Tering: Die Seereisen baltischer Studenten in die Universitätsstädte Nord- und Westeuropas im 17. und 18. Jahrhundert, in: Forschungen zur baltischen Geschichte 3, 2008, 103–131. – Der Beitrag vermittelt einen lebendigen Einblick in den studentischen Alltag von Bildungsreisen est-, liv- und kurländischer Studenten an europäische Universitä- ten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert. – Asche 202 Hans-Jürgen Kämpfert: 450 Jahre Akademisches Gymnasium in Danzig, in: Westpreu- ßen-Jahrbuch 58, 2008, 27–34. – Der Beitrag bietet einen knappen Überblick über die Geschichte des 1558 eröffneten Gymnasium Illustre in Danzig. – Asche

3.2 Sprache, Literatur

203 Thorsten Fuchs: Philipp Melanchthon als neulateinischer Dichter in der Zeit der Re- formation (NeoLatina; 14). Tübingen: Gunter Narr Verlag, 2008. 428 Seiten. – Mit seiner von der Universität Gießen angenommene Dissertation (2006) hat der Verfasser eine um- fassende Untersuchung über die lateinischen Gedichte Melanchthons vorgelegt, von denen etwa 600 überliefert sind. Davon werden in der vorliegenden Monographie zahlreiche Gedichte ediert, übersetzt und analysiert. Den einführenden Kapiteln über die Bedeutung der Dichtung bei Melanchthon im Kontext der humanistischen Ausbildung und über das dichterische Selbstverständnis folgt eine detaillierte Übersicht über Merkmale, Adressaten, Funktion und Versmaße der Gedichte sowie über die Gattungen, darunter versifizierte Vorlesungsankündigungen, Gedichte zu biblischen Themen, Gebete, Dedikationen und Buchinschriften, Briefgedichte, Propemptika, Hochzeitsgedichte, Epicedien, Bildgedichte, Geist und Kultur 62 Invektiven, Städtelob und vieles mehr. Den Analysen ausgewählter Gedichte folgt ein Schlusskapitel, das über Melanchthons Antikenrezeption und die Stilmerkmale seiner Dich- tung informiert. Der Verfasser sieht in Melanchthons Dichtung die Verbindung von „eruditio“ und „pietas“ gegeben, insofern er sich bei den Themen nicht auf „humanisti- sche“ Inhalte beschränkte, wie sie an der Artistenfakultät vermittelt wurden, sondern in vielen Gedichten christliche und spezifisch reformatorische Themen aufnahm. Dichtung sei für Melanchthon eine humanistisch-gelehrte Ausdrucksform und ein Medium der gebilde- ten Kommunikation gewesen. – Hasse 204 Astrid Ackermann: Die Erfolgsgeschichte eines „deutschen Helden“. Herzog Bern- hard von Weimar (1604-1639) in populären historischen Darstellungen und in der Unter- haltungsliteratur, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), 201-229. – Grund 205 Juliette Groenland: Toneel als pamflet? De Princeps Auriacus sive Libertas Defensa (1599) van Gaspar Ens, in: De Zeventiende Eeuw 25, 2009, 26-38. – The Princeps Auriacus is a Latin school play written by the Delft conrector Gaspar Ens. It dealt with the murder of William of Orange in 1584 and was published in 1599. Groenland questions the traditional assumption that describes the play as a pamphlet and makes interesting observations about the relationship between theatre and the printed pamphlet genre. – Marnef 206 Eddy Grootes: De dichter en de Edelman: Pieter Corneliszoon Hooft en Wessel van den Boetzelaer, in: De Zeventiende Eeuw 25, 2009, 113-136. – P.C. Hooft wrote two poems for baron Wessel van den Boetzelaer. Grootes presents an interpretation of these poems against the background of social difference and literary connections. – Marnef 207 Alfons K. L. Thijs: Den lustelijcken Mey. Het incipit van een populair lied gerecycleerd tot titel van een devotieboekje door Paulus Fabri (Brussel, 1600), in: Voks- kunde 110, 2009, 137-157. – Thijs makes clear how Paulus Fabri, a book censor and canon, appropriated elements of a popular love song into a devotional booklet. This booklet offers interesting data about the mental and religious world around 1600. – Marnef

3.3 Kunst, Musik

208 Marion Keuchen, Stephan Müller, Annegret Thiem (Hgg.): Inszenierungen der Heiligen Schrift. Jüdische und christliche Bibeltransformationen vom Mittelalter bis in die Moderne. München: Wilhelm Fink, 2009. 160 Seiten, 10 sw-Abb., eine Tabelle, Broschur. – Zurück- gehend auf eine Tagung in Paderborn im November 2007 versammelt der Band acht Bei- träge, die sich dem Thema der Aneignung der Bibel widmen. Aspekte sind: die Namensthe- orie Franz Rosenzweigs, wie Notker III. von St. Gallen mit dem „Klippdachs“ aus Ps. 103,18 umging, die Bilderbibel des reformierten Schweizers Johann Jakob Scheuchzer, Teresa von Avila über das Hohelied, die Transformation der Bibel in der deutschen Kla- viermusik des 19. und 20. Jahrhunderts, das Theaterstück L’Ester des venezianischen Rab- biners Leon Modena, Richard Beer-Hofmanns Historie von König David sowie „völki- sche“ Übersetzungen der Bibel, von Houston Stewart Chamberlains Worten Christi aus dem Jahr 1901 bis zur „Frühgeschichte des Evangeliums“ von Emanuel Hirsch, das noch 1951 in zweiter Auflage erschienen ist. – Markschies 209 Michel W. Cole, Rebecca Zorach (Hgg.): The Idol in the Age of Art. Objects, Devotions and the Early Modern World (St Andrews Studies in Reformation History). Aldershot: Ashgate, 2009. 356 Seiten, 99 sw-Abb., gebunden. – In bester nordamerikanischer Wissen- schaftstradition verhandelt der Sammelband das Thema „Idol“ über den Zeitraum von vier Jahrhunderten in einer weltumspannenden Perspektive: Die Positionen „Alt-Europas“ markieren – soweit die einzelnen Beiträge – der antike Kriegsgott Mars in einem Florentiner 63 Kunst, Musik Freskenzyklus des 15. Jahrhunderts (Philine Helas, Gerhard Wolf), die Verwandlung von Obelisken in Monumente der Gegenreformation (Michael W. Cole), norditalienische „Ex- Votos“ aus Wachs vornehmlich des 15. bis 17. Jahrhunderts (Megan Holmes), Darstellungen der Muttergottes, die sich explizit gegen den Ikonoklasmus richten (Larry Silver), die Orna- mentform und den Begriff „Groteske“, deren zeitgenössische Interpretationen eine positive Lesart des Idols ermöglichen (Claire Farago, Carol Konradina Parenteau), sowie das offenbar weit verbreitete, aber wenig untersuchte Phänomen der Bildzerstörung durch und im Was- ser (Donald A. McColl). Etwas ferner vom Thema – aber gleichwohl ertragreich – sind die Aufsätze zu den gemalten Innenräume niederländischer Kirchen von Pieter Saenredam (Celeste Brusati) und zu einer Darstellung der Trinität, die sowohl in katholischen wie protes- tantischen Kontexten „funktioniert“ (Walter S. Melion). Gestreift wird dabei stets auch – mehr oder weniger ausdrücklich – der Themenbereich der „Idolatrie“, also des „Götzen- dienstes“, der auf das griechische „Eídolon“ zurückgeht und im Unterschied zum „Eikón“ die Verehrung von Schatten-, Spiegel- und vor allem Trugbildern meint. Eine spezifische Bildpolitik zur Vermeidung der Idolatrie forciert etwa in der Lesart von Rebecca Zorach der französische Humanist Charles de Bovelles, wenn er Bilder in seinen Traktaten stets „more abstract, less material, and, perhaps closer to the „idea“ – in the technical, Platonic, sense“ einsetzt. – Die stärker interkulturell ausgerichteten Beiträge beschäftigen sich mit Idolen in und aus Afrika, ihrer Zerstörung und ihren Transformationen, z.B. eines Salzfässchens aus dem heutigen Sierra Leone, das zu einem Reliquiar Jean Baptiste Rousseaus umgewandelt worden ist (Suzanne Preston Blier), mit westlich inspirierter Kunst in Japan, so etwa religiösen Darstellungen des venezianischen Jesuiten Giovanni Niccolò (1563-1626), die zwar das Medium der Schriftrolle nutzen, letztlich aber scheitern, weil sie in Japan als Idole zerstört werden – demgegenüber adaptiert man dort erfolgreich die Darstellungen von Karten (Mia M. Mochizuki); Dawn Odell erhellt den europäischen Umgang mit chinesischen Idolen im 16. und 17. Jahrhundert, und Thomas Cummins schließlich untersucht die Zusammenhänge von Gold, Gewalt und Idolatrie bei der spanischen Eroberung Amerikas nebst ihrer Rückwir- kung auf Sammellleidenschaft und die Ausstattung von Kirchengebäuden in Europa. – Wenn man sich mit dem Idol in historischer Perspektive beschäftigt, dann leistet man – wie die Beiträge des Bandes zeigen – einen zentralen Beitrag zur Bildgeschichte und zur Ge- schichte des Bildbegriffs. – Markschies 210 Andrea Pearson: Envisioning Gender in Burgundian Devotional Art, 1350-1530. (Women and Gender in the Early Modern World). Aldershot: Ashgate 2005. Xx, 236 Sei- ten, gebunden mit Schutzumschlag. – Um die Brauchbarkeit der Methoden der gender studies für die Analyse Burgunds im Spätmittelalter zu erweisen, untersucht Die Verfasserin die Konstruktion von männlichen und weiblichen Geschlechtsrollen in Bezug auf die religiösen Erwartungen, Erfahrungen und Praktiken der Andacht. Die Verfasserin zeigt auf, dass und wie die beiden wichtigsten Gattungen der relgiösen Kunst, das Stundenbuch und das Porträtdiptychon, durch die Auftraggeber beiderlei Geschlechts manipuliert wurden, um die Hierarchie und die Grenzen der Geschlechter bzw. Geschlechtsrollen zu beeinflus- sen. Vorausgesetzt wird die religionssoziologische und gender-theoretische Einsicht, dass beide Geschlechter in und durch die Religion ihre Machtansprüche und – beziehungen ausdrücken. – Mit Hilfe exemplarischer Analysen der Stundenbücher der Margarethe von York und der Maria von Burgund zeigt Die Verfasserin zunächst, dass und wie Stundenbü- cher als Instrument weiblicher Identitätsfindung in und durch die religiöse Emanzipation (empowerment) dienten. Während die Gattung zwischen 1300 und 1370 weiblich geprägt war, folgte danach eine Phase der – wörtlich zu verstehenden – Aneignung durch Männer, die versuchten, die alte Hierarchie der Geschlechter wieder durchzusetzen und auch ver- mehrt als Auftraggeber auftraten. Damit einher ging ein Wandel von der Dominanz weibli- Geist und Kultur 64 cher Auftraggeber und Heiligen zu männlichen Porträts und der Betonung der Männlich- keit Christi bei den Madonnendarstellungen (ostentatio genitalium). Etwa zur selben Zeit beginnt der Aufschwung der Diptychen, einer Gattung, die von männlichen Porträts domi- niert wird. In dieser Perspektive erhält auch der Trend von der Marienverehrung zur christozentrischen eine neue geschlechterpolitische Bedeutung (regendering). Einige Dipty- chen, die im Auftrag von Frauen entstanden, erscheinen in diesem Kontext als Zeugnisse des Widerstands gegen derartige Strategien (Diptychon für Jeanne de France, nach 1452). Die folgenden Kapitel befassen sich mit verschiedenen Konzepten von Männlichkeit, in denen unterschiedliche Machtansprüche, Ideologien und entsprechende Körperstrategien männlicher Gruppen (unverheiratete, verheiratete, potentiell homosexuelle Männer) zur Geltung kommen sowie den Konflikten innerhalb des Klerikerstandes. Dass Margarethe von Österreich vier bis fünf Diptychen bestellte und damit eine männliche Form der An- dacht übernahm, interpretiert Die Verfasserin als symbolische Strategie, die ihre Nachteile als Frau kompensieren sollte. Diese zeigten sich 1515 als der Kanzler ihres vorzeitig für mündig erklärten Sohnes Karl, Wilhelm von Croy, ihre Regentschaft kritisierte. Ihrer erfolg- reichen Verteidigung folgte die Wiedereinsetzung als Regentin für Karl V. 1518. Der erfolg- reichen Aneignung einer männlich geprägten Gattung entsprach demnach die erfolgreiche Durchsetzung ihrer politischen Macht. Insgesamt ist der Verfasserin ein kenntnisreicher und lesenswerter Blick auf die religiöse Kunst der burgundischen, patriarchalisch dominier- ten Gesellschaft gelungen. – Strecker 211 Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago: University of Chicago Press, 2004. 367 Seiten mit zahlr. teilw. Farb. Abb., Leinen mit Schutzumschlag. – Die Kultur- und Wissenschaftshistorikerin betont den Anteil der Kunst (im heutigen Sinne) an der wissenschaftlichen Revolution des 15. bis 17. Jahrhunderts, der von der aristotelischen Sicht der scientia als Theoriegebäude zu einer moderneren führt. Wissenschaft gründet sich demnach auf durch die Sinne vermittelte Erfahrung, die durch Praxis erworben und praktisch wirksam wird. Dieser Wandel gehe nicht zufällig einher mit einer naturalistischen Orientierung der Malerei wie sie seit ca. 1430 immer wieder zu finden ist. Es sei die körperliche und sinnliche Erfahrung der Künstler, die von den Vertretern der scientia nova aufgenommen werde. Diese „handwerkliche Erkennt- nistheorie“ (artisanal epistemology) und ihre Auswirkungen auf Astrologie, Medizin und Naturwissenschaften sowie den Kampf der Praktiker um Anerkennung ihres speziellen Naturzugangs durch die Universitäten zeigt die Verfasserin beispielhaft an Künstlern und Grenzgängern wie den van Eyck, Schongauer, Dürer, Wenzel Jamnitzer, Paracelsus, Ber- nard Palissy, Jakob Böhme, Cornelis Drebbel, Johann Rudolf Glauber. In der abschließen- den Rekonstruktion des Hauses und der Kunstsammlung des Arztes Franciscus de le Boe Sylvius (1614-1672), der die auf Paracelsus fußende physiologisch-chemische Sicht der Medizin an der Universität Leiden institutionalisierte, führt Die Verfasserin die Naturerfah- rung der Feinmaler (Gerrit Dou, Frans van Mieris), die wissenschaftliche Einstellung des Sylvius und die moralische Einschätzung der sinnlich erfahrbaren Welt im reformierten Umfeld zusammen. Insgesamt ist das sehr ansprechend ausgestattete Buch trotz vermeidba- rer Längen anregend. – Strecker 212 Norbert Nußbaum, Claudia Euskirchen und Stephan Hoppe (Hgg.): Wege zur Renais- sance. Beobachtungen zu den Anfängen neuzeitlicher Kunstauffassung im Rheinland und den Nachbargebieten um 1500 (Sigurd Greven Kolloquium zur Renaissanceforschung). Köln: SH-Verlag, 2003. 447 Seiten mit zahlreichen, zum Teil farbigen Abbildungen, Leinen mit Schutzumschlag. – Von den 15 Beiträgen des bereits 2001 veranstalteten Symposiums widmen sich acht der Architektur und Architekturtheorie, jeweils einer den architekturna- hen Gattungen Grabdenkmal und Retabel, einer der Skulptur, einer der Landschaftsmalerei 65 Kunst, Musik und einer der Siegelkunst (Toni Diederich). Zwei weitere betreffen Stil und Stilpluralismus. – Nach einer allgemeinen Einführung von Norbert Nußbaum formuliert Klaus Graf aus der Sicht des Historikers sieben Thesen zur Erforschung retrospektiver Tendenzen in der deutschen Kunst um 1500. – Im Rahmen eines essentialistischen Epochenbegriffs kritisiert Hubertus Günther die traditionelle Abwertung der deutschen gegenüber der italienischen Kunst durch die Stilgeschichte als rezeptiv und verspätet. Während die Übernahme antiki- sierender Formen durch retrospektive Tendenzen, Rezeptionswiderstände, die sich dem Decorum verdanken, und einen auf die Nationen bezogenen Stilpluralismus sowie Kom- munikationsschwierigkeiten erschwert oder verhindert wurden, sieht Günther als Gemein- samkeit der Epoche zwischen Mittelalter und Neuzeit einen „neuen Rationalismus“, wobei er den Begriff ahistorisch gebraucht und andere Tendenzen wie z. B. den Aufstieg der Astrologie, den fortdauernden Teufels- und Dämonenglauben, und die sozialen Auswir- kungen der wirtschaftlichen Abschwungphase nach 1520 übersieht. Demnach wären nicht antikisierende Formen, sondern die Demonstration von Ratio und Klarheit in der Architek- tur und Malerei nördlich der Alpen sowie der Drang zur schriftlichen Fixierung einer Archi- tekturtheorie das Kennzeichen der Renaissance als Aufbruch in die Neuzeit lange vor der Übernahme italienischer Formen. – Der überblickshafte Artikel von G. Ulrich Grossmann betont im Anschluss an DaCosta Kaufmann die Vorreiterrolle der Gebiete Ostmittel- und Osteuropas für die Verbreitung von Renaissanceformen in der Architektur der Frühen Neuzeit. – In ihrer methodisch reflektierten Übersicht befasst sich Krista de Jonge mit der Rezeption antiker und antikisierender Formen in der Adelsarchitektur der südlichen Nie- derlande bis zur Etablierung des Vitruvianismus als Norm ab 1539 (Pieter Coecke). – Im Anschluss an Günther sucht Stephan Hoppe nach Ansätzen einer zeitgenössischen Theorie- bildung zur Architektur der beginnenden Neuzeit vor den Werken Dürers und der Rezepti- on des Vitruvianismus. Als Hinweis auf einen entsprechenden gelehrten Diskurs – für den es bislang keine schriftlichen Quellen gibt – wertet er die Darstellung romanischer Architek- tur in der niederländischen Malerei seit ca. 1430 (Jan van Eyck), die von antiker damals stilistisch nicht unterscheidbar war. Mit ihm wären demnach auch die dezidiert ungotischen Formen an experimentellen Bauten der Renaissance in Beziehung zu setzen wie z. B. St. Kilian in Heilbronn, die Fassade des Gläsernen Saalbaus im Heidelberger Schloss oder die Hofstube im Westflügel des Schlosses Neuburg a. d. Donau. – Mit den retrospektiven Tendenzen befasst sich Matthias Müller. Er zeigt an französischen und deutschen Schloss- bauten wie die Legitimation von Adel und Herrschaft durch Traditionen zur Bewahrung und Wiederherstellung mittelalterlicher Bauteile und charakteristischer Bauformen bei der Modernisierung im Sinne der italienischen Renaissance führten. – Wolfgang Lippmann stellt die Handelsniederlassungen der Italiener und der Deutschen in Brügge vor und zeigt auf, dass hier wie auch in Italien der Rückgriff auf die architektonischen Formen der Antike häufig nach Regierungswechseln, in einer Situation der Instabilität und aufgrund des Man- gels an Legitimität zu beobachten ist. – Ute Verstegen untersucht anhand der Grabdenkmäler des Conrad Celtis und seiner Freunde Cuspinian, Aventin und Adoph Occo inwieweit sie Anregungen tatsächlich existierender antiker Denkmälern aufnehmen und wo nordeuropäi- schen Konventionen folgen (Inschriften im Anhang). – Dagmar Eichberger erläutert aus sammlungsgeschichtlicher Perspektive anhand der Kunstsammlung Margaretes von Öster- reich (1506-1530), die sie von stilistischer Vielfalt und Internationalität gekennzeichnet sieht, die Kategorien und Kriterien, nach denen die Objekte der Sammlung bewertet wur- den. – Alexander Markschies liest Vasaris Beschreibung der Rochus-Statue von Veit Stoß in SS. Annunziata in Florenz als Beispiel für die Rezeption nordalpiner Skulptur in Italien und als Kommentar zur Materialsichtigkeit und Beleg für das sich wandelnde Kunstverständnis, das zunächst die Kunstfertigkeit favorisiert, nach 1550 aber zunehmend das Sujet. – Holger Geist und Kultur 66 Simon stellt seinen Beitrag zum Lorcher Hochaltarretabel in einen mediengeschichtlichen Rahmen, nachdem er sowohl den Stil als auch die „neue Ratio“ (Günther) als verbindendes Merkmal der neuzeitlichen Kunst als unzureichend und ahistorisch kritisiert. Weil er sich jedoch an Beltings These vom Ende des Bildes am Beginn der Neuzeit anschließt, handelt er sich auch die Aporien ein, die sich daraus ergeben, dass Belting seit 1981 (!) – im An- schluss an den ästhetischen Funktionalismus des 20. Jahrhunderts und im Unterschied zu vielen Theologen des 16. Jahrhunderts – nicht zwischen Bildträger und Bild (Darstellung, Bildgegenstand) unterscheidet und daher Bildbegriff und Bildgebrauch („Form und Funkti- on“) in logisch falscher Weise aufeinander bezieht. Die Bewertung des Lorcher Retabels als frühes Beispiel für den neuzeitlichen Bildbegriff scheitert an den logischen und methodi- schen Fehlern der zugrundeliegenden Belting‘schen Konzeption (Strecker 2002, Straßburg 2004 im Erscheinen). – Thomas Hensel versucht seine These zu untermauern, die Verselbst- ständigung der Landschaft zum Hauptgegenstand der „autonomen“ Landschaftsmalerei sei nicht eine Folge der Kritik am figürlichen (sakralen) Bild bzw. Bildnis („Ikonoklasmus“), vielmehr sei Landschaft Agens der innerbildlichen Bildkritik. Leider wird dabei der langfris- tig bedeutsamere Unterschied zwischen Natur und Landschaft, den Joachim Ritter entwi- ckelte, ebenso übersehen wie der zwischen Bild und Bildnis. Sprachlich wie methodisch schließt Hensel an die seit 1989 verbreitete Tendenz an, statt der historischen Individuen und Kollektive Sachen, Motive usw. als Akteure aufzufassen, die die Erzeugnisse gegenüber Auftraggebern, Produzenten und anderen Akteuren aufwertet und damit die historischen Abläufe eher verschleiert als erhellt. – Strecker 213 Matthias Müller: Das Schloss als Bild des Fürsten. (Historische Semantik; 6). Göttin- gen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 560 Seiten, gebunden. – In dem auf seine Habilitati- onsschrift (Greifswald 2001) zurück gehenden Buch betrachtet Verfasser den mitteldeut- schen Schlossbau in der Zeit von 1470-1618. In ihm sieht er ein neues Konzept von Staats- architektur, das bauliche Metaphern für die fürstliche Herrschaft entwickelt habe. Auf der Grundlage alter Muster adeligen Bauens und tradierter Normen und Werte reagiere der Schlossbau auf die neuen aus Italien und Frankreich übernommenen Repräsentationsan- sprüche und die Anforderungen einer Hofhaltung im Rahmen des Territorialisierungspro- zesses. Ausgangspunkt sind die besonders innovativen Residenzen der Wettiner im Kur- fürsten- und Herzogtum Sachsen, in denen sich der Hegemonialanspruch der protestanti- schen Führungsmacht im Reich artikulierte. In der Rezeption bestimmter Architekturele- mente aus den sächsischen Schlössern zeige sich die Verbundenheit bzw. der Anschluss an die prot. Führungsmacht. Unter Rekurs auf bildliche und schriftliche Quellen (Hofordnun- gen) werden die verschiedenen architektonischen Elemente als Metaphern für Rechte, Ansprüche (Gerechtigkeiten, Herrlichkeiten, Gedächtnis, Dignität, Anciennität), Fürstentu- genden (Sapientia, Wachsamkeit, Wehrhaftigkeit) und Ordnungsvorstellungen (Patriarchat, Gottesgnadentum) interpretiert. Ergänzt wird dieses Bild durch die Darstellungen von Schlössern in der zeitgenössischen Malerei und Graphik (Cranach, Dürer) sowie der Über- nahme entsprechender Formen in den Rathäusern der landesherrlichen Städte, die die fürstliche Herrschaft symbolisch repräsentieren sollten. Der Verfasser entfaltet seine Grundthese anhand zahlreicher Beispiele aus einem Gebiet, das aus bekannten Gründen immer noch relativ wenig erforscht ist und erschließt sie mit Ortsregister und umfangrei- chem Bildteil. – Strecker 214 Markus Leo Mock: Kunst unter Erzbischof Ernst von Magdeburg. Berlin: Lukas Verlag, 2007. 328 Seiten, 12 Farbtafeln und 92 sw-Abb., gebunden. – Das Buch, hervorge- gangen aus einer kunsthistorischen Dissertation an der TU Berlin unter Robert Suckale, untersucht erstmals zusammenfassend die Kunstpatronage des Erzbischofs Ernst von Magdeburg. 1464 geboren, regierte er 1476 bis zu seinem Tod 1513 das Erzstift Magdeburg 67 Kunst, Musik und fungierte ab 1480 auch als Administrator des Bistums Halberstadt. Lange Zeit in der Forschung im Schatten seines Vaters Ernst von Sachsen, des Bruders Friedrichs des Weisen und des Amtsnachfolgers Albrecht von Brandenburg stehend, erweisen seine Stiftungen die prominente Rolle eines Auftraggebers, der Kunst als Mittel der politischen und religiösen Propaganda zu nutzen versteht: Mit der 1484 bis 1504 errichteten Moritzburg wird Halle zum sichtbaren Teil des erzbischöflichen Herrschaftsbereiches, anschließend stiftet er hier die Maria-Magdalenen-Kapelle und stattet sie überreich, unter anderem mit zwei Altären Hans Baldung Griens, aus; auch die Anfänge des Halleschen Heiltums verbinden sich mit dieser Stiftung. Planungen für die eigene Grablege beginnen ab 1494 mit der Umwandlung des westlichen Eingangs in die Magdeburger Kathedrale in den sog. kleinen Chor und der Einrichtung eines Kollegiatsstiftes, das de facto sogar bis 1677 Bestand hatte. – Markschies 215 Bernd Bünsche: Das Goschhof-Retabel in Schleswig. Ein Werk des Hans Brüggemann (Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte; 8). Kiel: Ludwig, 2005. 366 Seiten mit zahlr. Abbildungen, Leinen mit Schutzumschlag. – Diese sorgfältig gearbeitete, auf Vollständigkeit bedachte Dissertation, die 2004 bei Hartmut Krohm an der TU Berlin abgeschlossen wurde, schließt an die Diskussionen um das Werk des Hans Brüg- gemann auf einem Kolloquium in Schleswig 1994 an. Der Verfasser möchte mit Hilfe der Stilkritik, der Ikonographie und vor allem einer minutiösen technologischen Analyse, die er 1997 am abgebauten Retabel durchführen konnte, die Zuschreibung an Hans Brüggemann sichern. Dabei kommt ihm seine langjährige Tätigkeit als Restaurator zugute, die sich in der Bevorzugung naturwissenschaftlicher Methoden und archivalischer Belege aus der Zeit seit der Musealisierung niederschlägt. Die dendrochronologische Untersuchung ergab eine Datierung zwischen 1512 und 1517, die Analyse der Schreinoberseite lässt auf einen Schreinaufsatz schließen wie er v. a. von Brüsseler Exportaltären bekannt ist. Da es die technischen Aspekte sind, die das Retabel mit dem Bordesholmer und den Brüsseler Reta- beln verbinden, wird auf eine entsprechende Prägung Brüggemanns geschlossen. In Analo- gie zu Appuhns Vorschlag der Triangulation für den Bordesholmer Altar ergäbe sich eine Gesamthöhe von 5,64 m, die eine ursprüngliche Aufstellung in der Kapelle des Armenspi- tals Goschhof in Eckernförde unmöglich und eine Herkunft aus der Familienkapelle der von Ahlefeldt in der Marienkirche in Hadersleben wahrscheinlich machen würde. Dieser Zusammenhang ist besitz- und erbrechtlich so gut nach zu vollziehen, dass es der im Ein- zelnen fragwürdigen Rekonstruktion nicht bedarf, die die Raumverhältnisse der zerstörten Kapelle nicht berücksichtigen kann. Demnach wurde das zuvor holzsichtig belassene Reta- bel bei der Translozierung 1656 gefasst, der Aufsatz entfernt und die Hl. Sippe im Schrein durch eine Johannesfigur modifiziert. Ausführlich referiert der Verfasser die Debatte um holzsichtige bzw. monochrom gefasste Retabel, die Gründe für den Verzicht auf eine polychrome Fassung und bezweifelt zurecht einen Zusammenhang zwischen Fassung und Wandelbarkeit. Die Ikonographie sieht er vom Altarstifter, Gottschalk von Ahlefeldt, dem letzten Bischof von Schleswig bestimmt. Merkwürdig unklar und konfessionell unreflektiert bleibt jedoch der konzeptionelle Wandel von einem Sippenaltar mit Trinität (Aufsatz) und 14 Nothelfern (Predella) zur Dominanz von Christus und Johannes in der Mittelachse und den Hohelied-Zitaten in den Stifterinschriften der gemalten Flügel, die sich auf die Umnut- zung 1656 beziehen. Ein ausführlicher Anhang mit Belegen zu allen Befunden, Literatur- verzeichnis, Personen-, Orts- und Sachregister runden den solide und ansprechend produ- zierten Band ab. – Strecker 216 Franziska Siedler: Die Rekonstruktion des „Krumminer Altars“, in: Baltische Studien N.F. 93, 2007, 57–72. – Behandelt den nur in Fragmenten erhaltenen „Krumminer Marien- altar“. Der repräsentiert ein „Sippenretabels“ aus dem 15. Jahrhundert, das nach dem Drei- ßigjährigen Krieg in die Krumminer Dorfkirche auf der Insel Usedom gelangt ist. – Asche Geist und Kultur 68 217 Larry Silver: Marketing Maximilian. The Visual Ideology of a Holy Roman Emperor. Princeton and Oxford: Princeton University Press, 2008. 303 Seiten, 87 sw-Abb., gebunden. – Als einer der führenden Experten der nordalpinen Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit gibt Larry Silver mit dem Buch einen Überblick über die maximilianischen Kunstwerke und ihre geistigen Grundlagen, u.a. die berühmten Großprojekte wir Triumphzug, Ehrenpforte, Teuerdank, Weißkunig oder sein Grabmal: Die Einleitung stellt die vom Kaiser beschäftig- ten Handwerker, Künstler und Gelehrten vor, Kapitel zwei widmet sich dem Thema der Genealogie. Kapitel drei untersucht den Herrschaftsanspruch des Hauses Habsburg über die Welt, anschließend wird die Rolle Maximilians als Souverän des Georgsordens und Streiter für die Sache des Christentums beleuchtet. Kapitel fünf widmet sich dem Interesse des Kaisers für Rüstungen und Waffen, die Zusammenfassung verhandelt auch die Folgen der maximilianischen Kultur. In Anspruch und Qualität existiert kein vergleichbares Buch auf dem Markt, allein um die miserablen Abbildungen zu kompensieren, wird man immer noch auf den Katalog der Ausstellung in Innsbruck und Toledo 1992 zurückgreifen müs- sen. – Markschies 218 Philipp Zitzlsperger: Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte. Berlin: Akademie Verlag, 2008. 176 Seiten, 15 farbige, 30 sw-Abb., ge- bunden. – Dürers Selbstbildnis aus der Alten Pinakothek – datiert, signiert und mit einer instruktiven Beischrift versehen – ist eines der spannendsten Bilder der Frühen Neuzeit: nicht zuletzt mit seiner Anspielung auf das Antlitz Christi behauptet es einen führenden Anspruch des Malers in der Gesellschaft. Das Buch ist besonders gehaltvoll in seinen Ab- schnitten über die Kleidung des Dargestellten, den Marderpelz als Insignie der städtischen Elite, und im Kapitel „Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte“. Ob sich die Neu- datierung des Bildes auf nach 1509 wird durchsetzen können, bleibt indes fraglich: wie der Autor zwar zeigen kann, hat der Maler zuvor noch kein Recht zum Tragen des Marderpel- zes als Rockfutter besessen. Die Kleidergesetzgebung war allerdings nicht so strikt wie angenommen, und Rang kann die Bildende Kunst schließlich auch programmatisch und zugleich prospektiv postulieren. Sie argumentiert eher allusiv und hat eine geringere Ver- bindlichkeit als das geschriebene oder gesprochene Wort. – Markschies 219 Magdalena Hamsíková: Die Einflüsse Lucas Cranachs des Älteren auf die böhmische und mährische Malerei der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Böhmen und das Deut- sche Reich: Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich (13.-16. Jahrhundert). Herausgegeben von Eva Schlotheuber und Hubertus Seibert (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; 116). München: Oldenbourg Verlag, 2009, 283-300. – Die Autorin stellt fest, dass man seit den 1520er Jahren von einer „Massenproduktion“ der Werkstatt Cranachs sprechen kann, die viele Werke auch in böhmische Länder exportierte. Als frühestes Beispiel für den Ein- fluss Cranachs in Böhmen wird eine Wandmalerei aus dem Kreuzgang des Minoritenklosters in Neuhaus (Jindřichův Hradec) mit einer Kreuzigungsszene angeführt, die an die frühren Holzschnitte Cranachs erinnert, die bei Johann Winterburger in Wien gedruckt wurden. Eine erst kürzlich entdeckte Wandmalerei mit einer Kreuzigungsszene in der Franziskanerkirche in Kaden (Kadaň) zeigt Übereinstimmungen mit Holzschnitten Cranachs aus der Zeit um 1509. – Hasse 220 Veronika Thum: Die zehn Gebote für die ungelehrten Leut’. Der Dekalog in der Graphik des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit. München, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2006, 231 Seiten mit Abb. und Tab. Schwarz/weiß, gebunden. – Die 2004 an der LMU München bei Frank Büttner abgeschlossene Diss. ist einem thematisch abge- grenzten Corpus katechetischer Druckgraphik gewidmet. Ausgangspunkt und Kernstück ist die ikonographisch-ikonologische Analyse von Darstellungen des Dekalogs auf Einblatt- drucken, Beichtspiegeln, Ablasszetteln, in Blockbüchern, Katechismen und graphischen 69 Kunst, Musik Folgen. Auf sie wie auf den 52 Nrr. umfassenden ikonographischen Katalog wird man in Zukunft dankbar zurück greifen (213-229). – Mit den Fragen, die sich im Hinblick auf den Gebrauch der Blätter und Bücher vor und nach der Reformation und durch verschiedene Akteure stellen, setzt sich die Autorin eher nebenbei auseinander. Der quantitative Schwer- punkt des Materials stammt aus Katechismen der Zeit nach der Reformation. Von hier aus stellt sich die religiöse Unterweisung der Laien und der Gebrauch im Kontext privater Frömmigkeit als zentrale Aufgabe aller Dekalog-Darstellungen in der Druckgraphik dar. – Zurecht betont die Verfasserin, dass sich Theologen aller Richtungen vor wie nach der Reformation in der Einschätzung der Bilder als didaktischer Hilfsmittel einig waren. Gegen P. Schmidts Kritik am Begriff „Andachtsbild“ hält Die Verfasserin an den bekannten Vor- stellungen über die Funktion druckgrafischer Blätter in der privaten Frömmigkeit fest (ohne Kenntnis von Schade 1996). Dabei zeigt sie eine gewisse Tendenz, normative Äußerungen der Theologen mit der Praxis des Gebrauchs gleichzusetzen und schriftliche und bildliche Quellen allzu schnell als Belege für eine entsprechende Praxis zu interpretieren (72-77). Die Reformation wirkt sich auf die Darstellung des Dekalogs überkonfessionell in der Bevorzu- gung historischer atl. Szenen aus. – Die Holzschnitte Cranachs d. Ä. für Luthers Grossen Katechismus von 1529 hält die Verfasserin gegen Koepplin/Falk 1974 für Teile einer Katechismustafel (80), fünf Holzschnitte Behams in Oxford für Fragmente einer Dekalog- Folge (102-104), beides mit schwachen Argumenten. – Die Frage nach der persönlichen religiösen Haltung der Künstler wird – wie in der älteren kunsthistorischen Literatur – überbetont (106f.), ebenso die angeblich didaktische Funktion jedweden Bildes in den Kirchen ohne Rücksicht auf die Funktion des Bildträgers (15, 36). Die Annahme, Künstler hätten Holzschnitte anonym belassen, um des didaktischen Zweckes willen, ist abwegig (129). Verdienstvoll bleibt die Erschließung einer wichtigen thematischen Gruppe populärer Druckgraphik des ‚langen Mittelalters’ unter Berücksichtigung des Zusammenhanges von Bild und Text. – Markschies 221 Susanne Wegmann, Gabriele Wimböck (Hgg.): Konfessionen im Kirchenraum. (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit; 3). Korb: Didymos 2007. 379 Seiten, gebunden. – Der Band vereinigt die Beiträge zu einer Tagung in Münster 2005, entstanden aus einer Zusammenarbeit der VW-Forschungsgruppe „Kultbild“, des Thyssen- Projekts „Reformatorische Bildkonzepte“ und des Projekt „Formen und Funktionen des Bildes in der Frühen Neuzeit“ an der LMU München (SFB 573) sowie den Herausgeberin- nen. Aus anderen Forschungskontexten stammen die Beiträge von Hacke, Madej-Anderson, Packeiser und Welzel. – Um den Schwerpunkt Kirchenraum als architektonischer (Wenzel, Stabenow), als politischer (Hacke, Gormans, Laube) und liturgischer (Signori, Henkel, Ganz, Madej-Anderson) Raum gruppieren sich drei Beiträge, die sich unter dem Titel Perso- na/Memoria mit Bildnissen und Grabmälern beschäftigt (Brinkmann, Roberts, Meier) sowie vier Beiträge mit eher allgemeinerem Anspruch (Wegmann, Wimböck, Packeiser, Welzel). Me- thodischer Anspruch, Gegenstände, Reichweite und Neuigkeitswert des Vorgestellten sind sehr heterogen sodaß ein Kaleidoskop architektur- und kunsthistorischer Forschungen im Kontext der Konfessionalisierung entsteht. – Wenzel vergleicht fünf Wandpfeilerkirchen aus der Zeit um 1600, mittels derer sich Bauherren und Gemeinden im Prozess der Konfessio- nalisierung architektonisch und religionspolitisch positionierten (München, St. Michael (SJ); Neuburg an der Donau, Hofkirche (luth.); Stadtpfarrkirche Kralowitz (Nordböhmen, utraquistisch), Prag, Dreifaltigkeitskirche Kleinseite (luth.), Altbunzlau, Marienwallfahrtskir- che. Das Ergebnis bestätigt einmal mehr, dass die Konfessionen in dieser Zeit auch künstle- risch eine Diskursgemeinschaft bilden, weshalb konfessionsübergreifende, historisch- funktionale Betrachtungen lohnend sind. Stabenow widmet sich der wort- und architekturge- schichtlichen Entwicklung der Analogie von Theater und Kirche im Italien der Gegenre- Geist und Kultur 70 formation. Hacke illustriert anhand des bikonfessionellen Dorfes Dietikon ihren methodi- schen Ansatz, durch Analyse der Konflikte um die Gestaltung ausgewählter Kirchenräume Einsicht in die mikropolitische der Herstellung sozialer Ordnung und des Konfessionalisie- rungsprozesses zu gewinnen. Gormans illustriert mit Hilfe verschiedener Beispiele von Kircheninterieurs seine These, dass diese Gattung durch die Darstellung realer Kirche die konfessionellen Konflikte der Zeit thematisiert und so zur Identitätsbildung der neuen Republik beitrug. Laube greift in seinem Beitrag zu den barocken Kirchenbauten im Kur- fürstentum Sachsen die seit längerem vor allem von Seiten der Historiker betonte Einsicht auf, dass sich die Verhaltens- und Ausdrucksformen der Konfessionen einschließlich der ästhetischen nicht voneinander unabhängig, sondern in komplementärer Beziehung zuei- nander entwickelten. – Signoris „Annäherungen an den ‚vorreformatorischen‘ Kirchenraum“ im Abschnitt ‚Kirchenraum als liturgischer Raum‘ bedient sich der künstlerischen Überliefe- rung – Kirchendarstellungen in Grafik und Malerei, Sakramentshäuser und Kanzeln, soweit erhalten – berücksichtigt aber weder Kirchenordnungen oder liturgische Handbücher noch die Literatur zur Geschichte der gottesdienstlichen Formen. Henkel führt die Neugestaltung des Paderborner Domes nach dem Dreißigjährigen Krieg auf fünf Motive bzw. Strategien des Domkapitels zurück. Bei der Auswertung der Domkapitelprotokolle folgt Die Verfasse- rin Tack 1947. Vergleiche zu anderen Neuausstattungen insbesondere in Süddeutschland werden nicht gezogen. Gegen die jüngeren sozialhistorischen Befunde, dass der Konfessio- nalisierungsprozess in Bezug auf Sozialdisziplinierung und Modernisierung in Rom dys- funktional und ineffizient verlaufen sei (Reinhardt) versucht Ganz zu zeigen, dass aus bild- geschichtlicher Perspektive das Gegenteil zu beobachten sei: im Medium der gemalten und plastischen Bilder sei ein Prozess der Konfessionalisierung in der Anschauung zu beobach- ten. Man setzte in Rom also auf Demonstration statt Reform. Über die Wirkungen ist allerdings nach wie vor wenig Konkretes bekannt. Madej-Anderson zeigt am Beispiel einiger Epitaphien in der Krakauer Marienkirche wie die Ausrichtung der halbfigurigen Büsten der Verstorbenen auf die kultischen Zentren Altar und Eucharistie zur Raumbildung beiträgt und bringt diese Art der Akzentuierung des Sakralraumes mit der katholischen Reform in Verbindung. Allerdings gehört die Betonung der Raumbeziehungen zu den überkonfessio- nellen Tendenzen in der kirchlichen Ausstattung wie der Vergleich mit den anspruchsvolle- ren Grabdenkmälern protestantischer Fürsten beweist. – Brinkmann betrachtet das Wand- grabmal für Matthias von Schulenburg in der Wittenberger Stadtkirche und stellt die Ver- gleichsbeispiele zusammen. Der Beitrag „zum Problem lutherischer Grabmalstypen“ be- schränkt sich auf die Sichtung des Materials. Es bedürfte nicht nur einer Inventarisierung des erhaltenen Bestandes, sondern auch einer Auseinandersetzung mit den bereits vorgeleg- ten Typologien für Epitaphien, Wandgrabmäler und Retabel im Reich. Roberts untersucht die historischen Hintergründe und ikonographischen Traditionen, aus denen die Bildnisreihe der Superintendenten im Chorraum der Leipziger Thomaskirche erwuchs. Hier spielen vor allem Grabplatten sowie das typprägenden Bildnis des Reformators Luther eine Rolle. Dass die Lutheraner mit derartigen Reihen ihre kirchliche Tradition setzten und pflegten, wird zu recht betont. Leider bleibt der Verfasser der lutherischen Perspektive verhaftet, indem sie vergleichbare katholische Reihen ignoriert, wie z. B. den Typ der Bischofsbildnisreihe. Meier thematisiert anhand des Grabmals von Philipp dem Großmüti- gen und Christine von Sachsen in der Kasseler Martinskirche die Veränderungen in der Memoria durch die Reformation und zeigt wie sich der theologische und liturgische Rah- men veränderte. Welzel bilanziert abschließend die Folgen für die Bilder, d.h. den Wandel des Bildgebrauchs und der Bilddeutung durch die Entwertung der Heiligen als Intercessoren durch die reformatorische Theologie. Allen Beiträgen sind umfangreiche Bibliographien beigegeben. – Strecker 71 Kunst, Musik 222 Heimo Reinitzer: Gesetz und Evangelium, Bde I+II. Hamburg: Christians 2006. 535/415 Seiten, Leinen gebunden. – Das Opus magnum des Verfassers ist von beeindru- ckender Unzeitgemäßheit. Dass ein Einzelner eine derartige Materialfülle über mehr als 15 Jahre hinweg zusammenträgt und auf der Basis von zumindest teilweiser Autopsie bearbei- tet, dürfte eine Art der Forschung sein, die der heutige Wissenschaftsbetrieb kaum noch zulässt. Da das Material nicht nach ikonographischen Formeln und Stichwörtern wie sie die einschlägigen Datenbanken (z. B. Iconclass) strukturieren, sondern im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit einem zentralen Thema lutherischer Theologie gesammelt und verarbeitet wurde, wird das Werk auch im Zeitalter der elektronischen Recherche wegen der Querverbindungen und Beziehungen dankbar benutzt werden. Methodisch bleibt der Verfasser jedoch im Rahmen der ikonographisch-ikonologischen Methode. – In den Kapi- teln II- V resumiert der Verfasser die Entstehung, Entwicklung und Reformulierung der bekannten Visualisierungen des Themas von Geofroy Tory über Cranach bis zu den Über- nahmen und Varianten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Obwohl er die Kritik Boockmanns an der traditionell unterstellten bildlichen Didaxe zur Kenntnis genommen hat, insistiert Der Verfasser in Kapitel V in lutherischer Tradition auf Lehre, Andacht und Bekenntnis als Funktionen der Bilder, womit hier meist die spezifische Visualisierung des Bildthemas gemeint ist. ‚Funktion‘ bezieht sich hier – ganz in der Tradition Panofskys – ausschließlich auf die Inhalte der Darstellungen. Das ‚Epitaphbild‘ soll in dieser Reihe die Aufgabe gehabt haben, die Konfession des Verstorbenen zu bezeugen, nicht etwa, an den Verstorbenen zu erinnern. Wenn Der Verfasser auf Luther rekurriert statt auf die neuere Forschung zur Gattung Epitaph, so zeigt das die Bereitschaft, normative, theologische Texte gegenüber der Forschungsliteratur und den dort aufgewiesenen Befunden zum Bild- gebrauch des 16. Jahrhunderts zu bevorzugen. Ebenso verfährt der Verfasser in Bezug auf die Gattung Epitaphaltar. Tatsächlich bleibt angesichts der Ablehnung der Seelmesse bei Luther unerklärlich, warum es in den lutherischen Gebieten zu einer Blüte des Epitaphaltars kommen konnte. Eine derartige Entwicklung eines kirchlichen Ausstattungsstücks lässt sich nicht durch den Rekurs auf die Ikonographie und Theologie erklären oder verstehen. An dieser Stelle zeigen sich die Grenzen eines Funktionsbegriffs, der die Aufgaben der Bildträ- ger ignoriert. – Der Katalog umfasst 860 Nummern in alphabetischer Reihenfolge nach Fund- bzw. Standorten (auch bei Druckgraphik). Intendiert ist die vollständige Erfassung der Darstellungen, die das Thema ‚Gesetz und Gnade‘ mit den Motiven dürrer bzw. grüner Baum, Kreuz oder Weltgericht sowie – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Antithese mittels der Motive eherne Schlange vs. Kreuzigung, Mose vs. Johannes, AT vs. NT, Leben vs. Tod darstellen. Die Darstellungen werden in vier Gruppen nach bildlichen Motiven und ihrer Anordnung klassifiziert. Zu jedem Objekt findet man Angaben zum Künstler, Bildträ- ger, Datierung und funktionaler Gattung. Die Angaben zur kunsthistorischen und histori- schen Literatur sind teilweise spärlich. Die neuere Spezialforschung wurde oft nicht berück- sichtigt. Sorgfältig aufgenommen und dokumentiert wurden dagegen die zahlreichen, z. T. umfangreichen Inschriften. Erschlossen wird das Material durch mehrere Register (Perso- nen, Druckorte, Themen/Ikonographie, Bibelzitate, funktionale Gattung, Datierung, Typen im Sinne der Klassifizierung des Autors). – Der Bildband ist als eigenständige Übersicht über die Entwicklung der Bildmotive vor der Reformation und der unterschiedlichen nach- reformatorischen Formulierungen thematisch in sieben Bereiche gegliedert, innerhalb derer das Material nach Gattungen präsentiert wird. Dabei berücksichtigt der Verfasser in großem Umfang Darstellungen, die durch Übernahme und Neukombination einzelner Motive auf das Thema Bezug nehmen. – Strecker 223 Wolfgang Brückner: Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. (Adiaphora. Schriften zur Kunst und Kultur im Protestantismus). Regensburg: Schnell & Geist und Kultur 72 Steiner 2007. 292 Seiten, Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – Mit dem sechsten Band der von der ev.-luther. Landeskirche Hannovers herausgegebenen Reihe stellt sich Brückner der schwierigen Aufgabe, ein zitierbares Nachschlagewerk mit wissenschaftlichem, aber auch repräsentativem Charakter zu schreiben, das einen bestimmten protestantischen Dar- stellungstyp breiteren Kreisen bekannt machen soll (H. v. Poser, 7). – Zum Nachschlage- werk prädestiniert ist der Katalog der bislang 39 bekannten sogenannten Konfessionsbilder, von denen die meisten auch in ganzseitigen, farbigen Abbildungen vorgestellt werden. Viele werden damit erstmals der überregionalen Forschung zugänglich gemacht, samt Angaben zur Provenienz, materiellem Zustand, Urhebern und Inschriften. Letztere hat Brückner transkribiert, wo es ging, was mühsam und sehr verdienstvoll ist. Katalog und Tafelteil sind nach ikonographischen Gruppen geordnet (Übersicht 252), was dem Verständnis eher nützt, schnelles Benutzen eher behindert. – Im Textteil versucht Brückner zunächst, die Grundlagen für das historische Verständnis der Bekenntnisbilder bei einer breiteren Leser- schaft zu legen, stellt die Gattung anhand des frühen Beispiels aus Bad Windsheim (1601) vor, charakterisiert sie funktional als Erzähl-, Erinnerungs- und Argumentationsbild und transkribiert die Inschriften (29-34). – Kapitel II dient der Herleitung der argumentativen Motive aus Bildtypen und theologischen Argumentationsmustern des 16. Jahrhunderts, wozu auch Altarretabel gezählt werden, die lutherische Riten zeigen (Kapitel III.1). Der Verfasser schöpft hier aus langer Beschäftigung mit der lutherischen Kunst, so dass alle Topoi wieder auftauchen, die die kunsthistorische Forschung in Westdeutschland bisher beschäftigten; germanistische Beiträge wurden teilweise berücksichtigt, die historische Forschung zur Konfessionalisierung nur selektiv zur Kenntnis genommen, das verwendete Modell ist entsprechend undifferenziert, was aber nur FrühneuzeithistorikerInnen stören dürfte („staatskirchlich verordnete Uniformität“, 134). Richtig ist, dass die kirchliche Aus- stattung, Zeremonien und Bilder in und durch den Prozess der Konfessionalisierung zu Kennzeichen aufgewertet wurden (so schon Strecker 1998. – In Kapitel IV stellt Brückner seine ikonographischen und historischen Analysen zu einzelnen Konfessionsbildern vor, interpretiert sie als Illustrationen der Confessio Augustana und Verteidigung lutherischer Zeremonien gegenüber den Reformierten und stellt dann Realien und Bräuche entspre- chend den Darstellungen der Gemälde vor (161-204). – Die seit den 90iger Jahren im Anschluss an Freedberg und Belting üblich gewordene Rede von der Macht der Bilder kann man hier wohl umformulieren: repräsentativ und vielleicht auch für ein breiteres Publikum anregend wirken Ausstattung und Illustrationen. Der Verbreitung der im Text behandelten Gegenstände dürfte das vorausgesetzte bildungs- und wissenschafts-sprachliche Niveau klare Grenzen setzen (Ekklesiologie, Kasualien). Der Forschung zur protestantischen Kunst des konfessionellen Zeitalters stellt der Autor aber eine Fülle bislang schwer beschaffbarer Informationen und Gemälde zur Verfügung. – Strecker 224 Andrea Baresel-Brand: Grabdenkmäler nordeuropäischer Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance 1550-1650. (Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstge- schichte; 9). Kiel: Ludwig 2007. 423 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. – Die auf einer Kieler Dissertation (Uwe Albrecht) beruhende Publikation gibt einen materialreichen Über- blick der nach Dynastien geordneten Grabdenkmäler der Häuser Habsburg, Valois, Cirksena, Oldenburg, Hohenzollern, Mecklenburg, Welfen, Holstein-Schaumburg, Askanier (Sachsen-Lauenburg), Vasa, Oranier, Württemberger, Wettiner, Hessen, Wittelsbach sowie des sozialhistorischen Sonderfalls der Papinga, einer friesischen Häuptlingsfamilie, die zeitweise über Jever herrschte, aber keine Reichsstandschaft besaß. Nach einer Einführung zu Gegenstand, Methode und Forschungsgeschichte wird das Thema in einer Folge von Kurzmonographien abgehandelt, in denen die Verfasserin vor allem auf die politischen und dynastischen Zusammenhänge eingeht, aber auch auf die traditionellen kunsthistorischen 73 Kunst, Musik Fragen nach Autorschaft, künstlerischen Bezügen, Gestaltung, Ableitung usw. Die verall- gemeinernden Schlüsse, die sich aus der sehr speziellen Situation in jedem einzelnen Fall ziehen lassen, betreffen vor allem die soziale Funktion der fürstlichen Grabdenkmäler, die im Wesentlichen der Distinktion und der Demonstration dynastischer Kontinuität dienten und daher meist in Residenzstädten errichtet wurden. Insofern sie häufig einen tatsächli- chen Bruch oder eine Bedrohung von Herrschaft verdecken oder verleugnen sollten, ist die Motivation legitimierend, oft auch kompensatorisch und fügt sich gut in das Bild der Epo- che als einer restaurativen Gesellschaft, die auf schwindende Ressourcen und demographi- schen Druck mit ständischer Abschottung antwortete. Ebenfalls mit neueren Forschungen konvergiert die Beobachtung, dass sich Unterschiede zwischen den Konfessionen allenfalls im Bereich der Ikonographie und Ikonologie feststellen lassen. Der Verfasserin ist damit ein Handbuch gelungen, auf das man dankbar zurück greifen wird. – Strecker 225 Andreas Tacke (Hg.): Kunst und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517-1563. Regensburg: Schnell & Steiner, 2008. 424 Seiten, 127 sw- Abb., gebunden. – Äußerst ertragreiche Publikation einer Tagung der Katholischen Aka- demie des Bistums Mainz und des Lehrstuhls für Kunstgeschichte der Universität Trier im Jahre 2008. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung und Analyse katholischer Aufträge, doch bleibt die Frage nach dem Umgang und dem Status von Bildern, die sich mit der Reformation neu stellt, stets im Blick. Die Beiträge verhandeln die sog. altkirchlichen Bilder und ihre Programmatik, den neuen bzw. spezifisch retrospektiven Heiligen- und Märtyrer- kult, die Ausstattung der Stiftskirche in Halle unter Albrecht von Brandenburg, die Bildpoli- tik im Herzogtum Lothringen, Grabmäler in den Bischofskirchen von Eichstätt und Trier, Raffaels Transfiguration und Michelangelos Jüngstes Gericht, sowie Kirchenbauten des 16. Jahrhunderts in Italien und in Deutschland im Vergleich. Der Band darf als Standardwerk zum Thema gewertet werden. – Markschies 226 Reinhard Bodenmann (Hg.): Faictz de Jesus Christ et du pape (Collection Cahiers d’Humanisme et de Renaissance). Genf: Droz, 2009. 78 Seiten, Broschur. – Nachdruck und Kommentar eines 48 Seiten umfassenden, gegen Ende des Jahres 1533 erschienenen, um- fänglich mit Illustrationen ausgestatteten Buches, das Christus – in der deutschen Tradition der Antithese Christus/Antichristus – dem Papst bzw. der Papstkirche gegenüberstellt. – Markschies 227 Gudrun Rhein: Der Dialog über die Malerei. Lodovico Dolces Traktat und die Kunst- theorie des 16. Jahrhunderts. Mit einer kommentierten Neuübersetzung. Köln u.a.: Böhlau, 2008. 356 Seiten, 43 farbige, 11 sw-Abb., gebunden. – 1557 erscheint in Venedig der „Dialogo della Pittura intitolato l’Aretino“ im Verlagshaus de’Ferrari in italienischer Spra- che. Gudrun Rhein übersetzt den mitunter nicht leicht verständlichen Text erstmals in ein angenehm lesbares Deutsch und kommentiert ihn ausführlich. Galt das Traktat bislang der Forschung vornehmlich als Beleg für die venezianische Position im Streit über den Vorrang von „Colore“ bzw. „Disegno“, wird er nun zu einem der grundlegenden Texte der italieni- schen Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts. Zahlreiche rhetorische Kategorien der Bilder lassen sich mit ihm erhellen und darüber hinaus fragen, ob etwa Laien Kunstwerke beurtei- len dürfen oder wie Bildthemen auf Texten basieren. Das aus einer Marburger Dissertation hervorgegangene Buch eignet sich zugleich als Einführung in die italienische Kunsttheorie des 16. und 17. Jahrhunderts. – Markschies 228 Katja Richter: Der Triumph des Kreuzes. Kunst und Konfession im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts (Kunstwissenschaftliche Studien, 143). Berlin und München: Deut- scher Kunstverlag, 2009. 350 Seiten, 120 sw-Abb., Broschur. – Grundlegende Arbeit zur Frage des Aufschwungs der Kreuzverehrung in der altgläubigen Kirche zwischen ca. 1570 und 1610. Im Blick der Autorin sind auch vorreformatorische Darstellungen des Kreuzes Geist und Kultur 74 und die protestantische Kritik an seiner Verehrung. Exemplarisch werden Kreuzmonumen- te im öffentlichen Raum in Mailand und in Rom untersucht, die Umgestaltung der römi- schen Kirche SS. Nereo ed Achilleo, die Entwicklung der Kreuzlegendendarstellungen in Rom zwischen dem ausgehenden 15. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sowie die Ausstattung der ersten Jesuitenkirche des Herzogtums Bayern. – Markschies 229 Barbara Schock-Werner: Die Bauten im Fürstbistum unter Julius Echter von Mespelbrunn. Struktur, Organisation, Finanzierung und künstlerische Bewertung. Würz- burg: Schnell & Steiner, 2005. 469 Seiten mit 64 teilw. farb. Bildtafeln, Leinen mit Schutz- umschlag. – Die mit viel Sachkenntnis, Fleiß und Ausdauer erarbeitete Denkmaltopogra- phie kombiniert einen Katalog, der in der Regierungszeit des Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (1573-1617) erstellten, renovierten oder umgestalteten Baudenkmäler (Teil 2), mit systematischen Beschreibungen und Formanalysen des erhobenen Bestandes (Teil 1), Analysen zur Organisation des Baubetriebs und zur Finanzierung sowie eine Editi- on der Bauberichte und Baubefehle für Dettelbach (Dettelbacher Manual) sowie der Bau- gedichte im Fürstbistum (Teil 3). Teil 1 beginnt mit einer Forschungsgeschichte der soge- nannten posthumen oder Nachgotik, einer kurzen Biographie des Fürstbischofs und einer Übersicht über die Visitationen im Bistum Würzburg. Die Bauverzeichnisse (31-33), die auch weltliche Bauten aufführen sowie die entsprechenden Übersichtskapitel (1.II) und Rubriken im Denkmälerverzeichnis (Teil 2 zu Schlösser, Amtshäuser und Zehntscheuern, Rat-, Pfarr- und Schulhäuser sowie Stadt- und Ortsbefestigungen) zeigen deutlich, dass Julius Echter den Erfolg seiner Reformen im Wesentlichen seiner Position als Bischof und Fürst verdankte, durch die er den allgemeinen Aufschwung der Jahrzehnte nach 1570 nutzen konnte. In die nach Bautypen und Bauteilen gegliederte architekturhistorische Über- sicht (Teil1) ist eine Monographie der Wallfahrtskirche Dettelbach mit Beschreibung, For- schungs- und Baugeschichte sowie einem sehr interessanten Kapitel zu Organisation und Finanzierung eingelagert (1.IV). Kapitel 1.V gibt eine Übersicht über die organisatorische Durchführung der Bauvorhaben auf der Basis der Rechnungen im Staatsarchiv Würzburg wie er in dieser Dichte m. W. bisher nirgends erarbeitet worden ist. Hier und in der Zu- sammenfassung (1.VI, sowie 457f.) lernt man Julius Echter als einen tüchtigen Autokraten kennen, der zur Finanzierung seiner Vorhaben auch auf moralisch fragwürdige Praktiken zurück griff wie das (übliche) Lohn-Dumping gegenüber Subunternehmern und Handwer- kern und politischen Druck gegenüber Untergeordneten und insbesondere auf die Gemein- den, die die Mittel für die Bauprojekte aufzubringen hatten – alles im Dienste der Rekatholisierung. Die Genehmigung, Organisation und Kontrolle der Bauaufgaben und der Einsatz von Material und Menschen wurde durch die fürstbischöfliche Kammer zentrali- siert. Indem der Fürstbischof die Baumeister auswählte und bezahlte, sicherte er sich – trotz relativ begrenzten finanziellen Engagements – maßgeblichen Einfluss auf Form, Gestaltung und Durchführung der Bauaufgaben, was sich in einer gewissen Einheitlichkeit der Ausfüh- rung niederschlug. Genannt werden in diesem Zusammenhang Lazaro Agostino, Wolf Behringer, Caspar Ebert und Georg Kauth, deren Status mangels Quellen unklar bleibt (1.VI). Einer kunsthistorischen Bewertung steht der Mangel an vergleichbaren Dokumenta- tionen entgegen, doch sei das Ergebnis als Bauprojekt einmalig (vgl. jedoch die gleichzeiti- gen Bauprojekte in Augsburg und die Situation in Mailand und Carlo Borromeo) und im einzelnen von mehr als provinzieller Qualität (215). Teil 2 bietet einen Katalog der erhalte- nen Baudenkmäler, die der Regierungszeit zuzuordnen sind. Es handelt sich um 58 Pfarr- kirchen, 10 Kirchen mit Langhausgewölben (zu denen auch Pfarrkirchen zählen), 5 Klöster und Klosterkirchen, 9 Spitäler und Spitalkirchen, 5 Schlossbauten, 12 Amtshäuser und Zehntscheuern, 8 Ratshäuer, 7 Pfarrhäuser, 8 Schulhäuser, 16 Stadt- und Ortsbefestigun- gen, 10 „Protestantische Kirchen in der Region“. Schon die Aufzählung macht deutlich, 75 Kunst, Musik dass die Baupolitik des Juristen und Verwaltungsfachmanns Julius Echter nicht nur unter dem Aspekt der Gegenreformation bzw. katholischen Reform, sondern ebenso als Beispiel für die Territorialisierung der Frühen Neuzeit zu verstehen sind. Zugleich macht die Einbe- ziehung der protestantischen Kirchen – so erfreulich sie im Hinblick auf den architektur- und kunstgeschichtlich wünschenswerten Konfessionsvergleich auch sei mag – die Proble- matik der territorialen Abgrenzung deutlich. Angesichts der territorialen Veränderungen zwischen 1555 und 1648 hätte man sich eine Karte des Bistums zur Zeit des Julius Echter gewünscht. Angesichts der Tatsache, dass sich die aufgenommenen protestantischen Kir- chenbauten stilistisch nicht von den katholischen unterscheiden, erledigt sich die immer wieder aufgegriffene Behauptung, es handele sich bei der posthumen Gotik um einen gegenreformatorischen Stil, von selbst. Das schließt retrospektive Einstellungen und politi- schen Implikationen nicht aus, muss aber im Einzelfall aufgewiesen werden. Auch ist zwi- schen Traditionalismus und dem Setzen und Behaupten von Traditionen nach dem refor- matorischen Bruch zu unterscheiden, denn „Reform“ und „Tradition“ gehörten bekannt- lich zu den wichtigsten politischen Schlagwörtern der Zeit. Der umfangreiche Tafelteil gibt einen guten Einblick in eine interessante und immer noch sträflich vernachlässigte Epoche der Architekturgeschichte in Deutschland. – Markschies 230 Mia M. Mochizuki: The Netherlandish Image after Iconoclasm, 1566-1672. Material Religion in the Dutch Golden Age. Aldershot: Ashgate, 2008. 399 Seiten, 208 farbige, 64 sw-Abb., gebunden. – Es gibt in Deutschland seit über einhundert Jahren die Tradition, Bau- und Kunstdenkmäler in umfänglichen Buchpublikationen zu inventarisieren. Hier findet man selbst in älteren Bänden nach wie vor die zumeist umfänglichsten Informatio- nen auch etwa zu Ausstattungsstücken, die weniger im Fokus der Forschung stehen. Vor diesem Hintergrund muss man den gewichtigen Band von Mia M. Mochizuki sehen, denn – anders als es der Titel suggeriert – handelt es sich um eine Monographie zur Kathedrale St. Bavo in Haarlem. Auch die zeitliche Fixierung des Titels führt in die Irre, denn tatsächlich nimmt die Autorin auch die Kunstgeschichte der Kirche vor der Bilderzerstörung in den Blick. Dies bleiben aber die einzigen Einwände gegen ein Buch, das wirklich eindrucksvoll umfassend dokumentiert und argumentiert. – Kapitel 1 untersucht die gotische Kathedrale St. Bavo von außen nach innen nach den Maßgaben einer mittelalterlichen Prozession. Wenn Ausstattungen zerstört worden sind, werden sie nach Schrift- und Bildquellen rekon- struiert und zeitgenössische Vergleichsbeispiele gleichsam als Ersatz gegeben, so etwa zum Hochaltarretabel oder zum Heiligen Grab. Kapitel 2 analysiert den Bildersturm des Jahres 1578, welche Kunstwerke in der Kirche zerstört wurden und welche – und warum – man verschont hat. Anschließend gerät die Neuausstattung in den Blick: Zunächst das neue Hochaltarretabel, das ganz auf die Kraft des Wortes setzt, eine Textcollage zum Abendmahl als Bild präsentiert, und dabei den malerischen Aufwand möglichst bescheiden hält; solche Wortbilder scheinen in übergreifendem und umfassenden Sinne als die entscheidende Möglichkeit angesehen worden zu sein, die sich mit der Reformation stellende Frage nach dem theologischen Bild zu lösen. Die Transformation des Gebäudes in eine Predigt- und Wandelkirche (preekkerk, wandelkerk), wie sie für alle niederländischen reformierten Kir- chen Standard ist, findet ausführlich Berücksichtigung. Die umfängliche Ausstattung der Kirche wird vollständig dokumentiert und untersucht, es zeigt sich damit einmal mehr, dass weiße, leere Sakralinterieurs eine Fiktion des 19. Jahrhunderts sind. Man wünschte sich noch weitere Publikationen, die Kunstwerke so gründlich in ihren kunsthistorischen, histo- rischen und theologischen Kontexten analysieren. – Markschies 231 Jutta Kappel, Claudia Brink (Hgg.): Mit Fortuna übers Meer. Sachsen und Dänemark – Ehen und Allianzen im Spiegel der Kunst (1548-1709). Berlin und München: Deutscher Kunstverlag, 2009. 344 Seiten, 405 farbige, 21 sw-Abb., gebunden. – Katalog von zwei Geist und Kultur 76 Ausstellungen der Jahre 2009 und 2010 der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Königlichen Sammlungen Schloss Rosenborg in Kopenhagen, die sich den vor allem durch vier Eheschließungen ab 1548 dynastisch gefestigten Verbindungen zwischen zwei protes- tantischen Höfen, dem Kurfürstentum Sachsen und dem Königreich Dänemark, widmen. Das Buch untersucht und dokumentiert erstmals umfassend die über zweihundert Jahre währende „Kunst der Allianz“: fürstliche Sammelleidenschaft und höfische Repräsentation im Dienste der Politik. – Markschies 232 Heinrich Magirius: Die evangelische Schlosskapelle zu Dresden aus kunstgeschichtli- cher Sicht (Sächsische Studien zur älteren Musikgeschichte; 2). Altenburg: Kamprad-Verlag, 2009. 128 Seiten. – Die vorgelegte Monographie markiert den Forschungsstand zur Ge- schichte der in den Jahren 1551 bis 1555 errichteten evangelischen Kapelle des Dresdner Schlosses, bei der es sich um einen der frühesten lutherischen Kirchenräume handelt, der bis zur Profanierung und Vernichtung im Jahr 1737 den Mittelpunkt des gottesdienstlichen und musikalischen Lebens der kurfürstlichen Residenz bildete und sich durch eine einzigar- tige künstlerische Ausstattung auszeichnete. Unter Verwendung einer großen Zahl alter Pläne, Dokumente und Abbildungen sowie archivalischer Quellen wird eine akribisch gearbeitete Geschichte der Schlosskapelle geboten, die auch die Ausstattung umfasst mit Beschreibung von Kanzel, Altären, Taufstein, Orgeln, Bildteppichen, Altargeräten und Glocken. Die Bezüge zu dem von der Reformation geprägten Kirchenbau Sachsens werden in Bild und Text dokumentiert. Die Monographie versteht sich als ein Beitrag zum Wieder- aufbau des Dresdner Schlosses, der auch die Rekonstruktion der Schlosskapelle betrifft. – Hasse 233 Siegfried Freitag: Sächsisches Choralschaffen im 16. und 17. Jahrhundert. Sächsische Heimatblätter 56 (2010), Heft 1, 44-47. – Kurze Information über Gesangbücher der Re- formationszeit mit einer Liste von Dichtern und Komponisten geistlicher Lieder aus Sach- sen. – Hasse 234 Eszter Fontana (Hg): 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig: Studien anlässlich des Jubiläums. Redaktion: Bernhard Schrammek. Wettin: Verlag Janos Stekovics, 2010. 511 Seiten. – In dem zum Jubiläum der Universität Leipzig vorgelegten Band wird in einigen Beiträgen die Musik der Reformationszeit thematisiert. Einschlägige Hinweise auf Lauten- spieler und Herausgeber von Lautenmusik finden sich in dem Beitrag von Peter Király über „Studentisches Lautenspiel im 16. und 17. Jahrhundert: eine Betrachtung mit Hinblick auf Leipzig“ (130-141). Das Wirken des Thomanerchores, der seit 1543 dem Rat der Stadt unterstand, untersucht Stefan Altner in seinem Beitrag „Die Thomana und die Universität Leipzig: über die Anfänge einer seit 600 Jahren verknüpften Geschichte“ (154-171). Mit dem Begriff „Thomana“ wird das Zusammenwirken von drei Institutionen zusammenge- fasst: Thomaskirche, Thomasschule und Thomanerchor. Im Beitrag von Martin Petzoldt über (172-189) wird ausführlich auf die Gottesdienste in der Paulinerkirche seit der Einfüh- rung der Reformation an der Universität Leipzig (1543) eingegangen. – Hasse 235 Matthias Herrmann (Hg): Die Musikpflege in der evangelischen Schlosskapelle Dres- den zur Schütz-Zeit. (Sächsische Studien zur älteren Musikgeschichte; 3). Altenburg: Kamp- rad-Verlag, 2009. 184 Seiten. – Neben den Aufsätzen, die die Musikgeschichte des 17. Jahrhundert betreffen, finden sich in zwei Beiträgen des Sammelbandes Ausführungen zum 16. Jahrhundert. Christoph Wetzel geht in seinem Beitrag über „Die Schlosskirche zu Dresden als geistlicher Mittelpunkt des Kurfürstentums Sachsen im 17. Jahrhundert“ (9-23) auf ikonographische Details der zwischen 1551 und 1555 errichteten Kapelle des Dresdner Schlosses ein, mit denen bewusst Bezüge zur Reformation hergestellt wurden. Das geistli- che Leben an der Dresdner Schlosskirche wird durch die Feiern der Reformationsjubiläen illustriert. In dem postum herausgegebenen Beitrag von Wolfram Steude über „Heinrich 77 Kunst, Musik Schütz in seiner Welt“ (25-113), dem ein Typoskript des Jahres 1983 zugrunde liegt, werden im Zusammenhang der Darstellung der Biografie von Heinrich Schütz beachtenswerte Beobachtungen zur Musikgeschichte des 16. Jahrhunderts mitgeteilt. – Hasse 236 Bernard Reymond: „Temple de Lyon nommé Paradis“: que représente au juste le tableau conservé à Genève?, in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme Fran- çais 155 (2009) 4, 781-794. – Detailanalyse des Gemäldes „Temple ... Paradis“ im Musée international de la Réforme in Genf. – Grund 237 Hermann Schaub: Strebkatz- und Luderziehen als Ausdruck theologischer Auseinan- dersetzungen im 16. Jahrhundert. Zur Deutung eines Schnitzbildes am Wiedenbrücker Ratskeller, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 105 (2009), 45-72. – Spieleri- sche Kraftprobe zweiter Wettstreiter im Seilziehen, vgl. Grimms Wörterbuch, Bd. 19, Sp. 1082: Strebkatze, findet als Motiv Verwendung im Gedicht „Die Luterisch Strebkatz“ von 1524 mit den fiktiven Wettstreitern Martin Luther und Papst Leo X. – Grund 238 Gerhard Schwinge: Calvin-Fenster in badischen Kirchen. Eine Dokumentation anläss- lich des 500. Geburtstags und des 445. Todestags von Johannes Calvin, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 3 (2009), 199-222. – Grund 239 Walter S. Melion: ‘Quae lecta Canisius offert et spectata diu’: The Pictorial Images in Petrus Canisius's De Maria Virgine of 1577/1583, in: Early Modern Eyes, hg. von Walter S. Melion; Lee Palmer Wandel. Leiden 2009 (Intersections 13), 207-266. – Grund 240 Mateusz Kapustka: Die wahre Hostie und die eherne Schlange. Zum Bildepitaph des Matthäus Ludecus, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 7, 2007, 121– 130. – Der Beitrag behandelt aus kunstgeschichtlicher Sicht das Epitaph des ersten lutheri- schen Havelberger Domdechanten Matthäus Ludecus († 1606). – Asche 241 Niklas Gliesmann: Beobachtungen zu den Schnitzern des Antwerpener Retabels in der Marienkirche zu Lübeck, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 89, 2009, 147–160. – Asche 242 Peter Burke: The Crisis in the Arts of the Seventeenth Century: A Crisis of Represen- tation?, in: Journal of interdisziplinary History 40:2, 2009, 239-261. – Focuses on the Crisis of the Seventeenth Century by examining changes in the representations and conceptions of the visual arts, literature, and music. – Ninness 243 Ekkehard Ochs, Walter Werbeck, Lutz Winkler (Hgg.): Das geistliche Lied im Ostsee- raum (= Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft 13), Frankfurt am Main, u.a.: Peter Lang 2004. 285 Seiten. – Der Sammelband dokumentiert die Vielfalt und den hohen Stan- dard der musikwissenschaftlichen Forschungen an der Universität Greifswald. Er vereinigt Beiträge einer Tagung zum geistlichen Lied von der Reformation bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, die in den Kontext eines seit mehreren Jahren regelmäßig abgehaltenen Kongresszyklus’ zur „Musica Baltica“ gehört. Dabei wird der Gattungsbegriff „Geistliches Lied“ inhaltlich sehr weit gefasst: Neben dem einstimmigen Kirchenlied, Andachtslied und Volkslied werden darunter auch mehrstimmige Chorlieder sowie vokale und instrumentale Liedbearbeitungen verstanden. Für die Reformationsgeschichtsforschung ist insbesondere der kulturhistorisch interessante Beitrag von Folke Bohlin über die auf die 1520er und 1530er Jahre begrenzte reformatorische Singbewegung im Ostseeraum von Interesse, deren Prota- gonist der Rostocker Reformator Joachim Slüter war (49–52). Instruktiv ist auch der Über- blicksbeitrag von Violetta Kostka zu den in Danzig gedruckten evangelischen Gesangbücher in polnischer und kaschubischer Sprache seit 1586 (137–153). Andreas Waczkat belegt an- hand der Analyse der geistlicher Liedsammlung „Bicinia sacra“ des Kantors Daniel Friderici an der Rostocker Marienkirche (1582) die ältere These von der Verbindung musikalischer und katechetischer Unterweisung, mithin zwischen Evangeliumslied und figuraler Verto- nung des Evangeliums (209–222). Hinzuweisen ist zudem auf die überlieferungsgeschichtli- Geist und Kultur 78 chen Studien von Klaus Peter Koch („Die Bedeutung der verschollenen Bestände der ehema- ligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg für die Überlieferung des geistlichen Liedes“, 53–63), Danuta Szlagowska („Polish Christmas Carols from the Manuscript Collec- tion of the Polish Academy of Sciences Library in Gdańsk“, 125–135) und Peter Tenhaef („Geistliche Lieder in der Greifswalder Universitätsbibliothek“), 197–207. Eingeleitet wird der Band durch perspektivisch und thesenhaft formulierte Überlegungen von Walter Werbeck zum allgemeinen Forschungsstand zum geistlichen Lied (9–26) und Gerd Rienäcker zu Wort-Ton-Beziehungen in lutherischen Gemeindeliedern (27–32 und 33–47). – Asche 244 Konrad Küster: Die Orgellandschaften Hadeln und Wursten in der Musikgeschichte, in: Jahrbuch der Männer vom Morgenstern 85, 2006, 29–56. – Der Beitrag vermittelt einen Überblick zur Tradition des Orgelbaus im Land Hadeln an der Unterelbe und im Land Wursten zwischen Elb- und Wesermündung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. – Asche 245 Günter Seggermann: 500 Jahre Orgelbau in Hamburg. Ein ruhmreiches Kapitel ham- burgischer Musik- und Kulturgeschichte, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 15, 2009, 261–284. – Der Beitrag gibt einen knappen Überblick über die Hamburger Orgel- bautradition – leider ganz ohne Anmerkungsapparat. – Asche 246 Hans-Günter Ottenberg: Umrisse des Frankfurter Musiklebens im Zeitalter der Refor- mation, in: Frankfurter Jahrbuch 2006, 25–39. – Der musikhistorische Beitrag gibt einen knappen Überblick über die Kirchenmusik, die akademische und städtische Musikpflege, den Buch- und Musikaliendruck sowie die Lautenschule in Frankfurt an der Oder im Re- formationsjahrhundert. Es bildet zugleich gewissermaßen die Einleitung zum ebenfalls in diesem Band veröffentlichten Katalog der Ausstellung „Das Frankfurter Musikleben im Zeitalter der Reformation“ (41–170). – Asche 247 Édith Weber: L'itinéraire insoupçonné d'une mélodie huguenote du XVIe siècle à nos jours (Psaume 138), in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme Français 155 (2009) 4, 755-766. – Grund 248 Jonathan Willis: ‘By These Means the Sacred Discourses Sink More Deeply into the Minds of Men’: Music and Education in Elizabethan England, in: History 94:315, 2009, 294-309. – Deals with the importance of music in creating a Protestant identity in Elizabe- than England. – Ninness

3.4 Medizin, Naturwissenschaften

249 Amy Eisen Cislo: Paracelsus’s Conception of seeds: Rethinking Paracelsus’s Ideas of Body and Matter, in: Ambix 55, 2008, 274-282. – Paracelsus focused his seed theory on the relationship between nature and the human seed and not exclusively on the Bible. – Kolb 250 Vera Keller: Drebbel’s Living Instruments, Hartmann’s Microcosm, and Libavius’s Thelesmos: Epistemic Machines before Descartes, in: Hist. Sci. 48, 2010, 39-74. – The models for physic-chemnical explanation in the machines constructed by Pansophist Cor- nelis Drebbel (1572-1633) gained for him a place in the academic curriculum and appears alongside the introduction of the works of other „artisans” (e.g., Johannes Hartmann, here assessed through his debate with the academic alchemist andreas Libavius) in the university medical curriculum. – Kolb 251 Hildegard Elisabeth Keller, unter Mitarb. von Linus Hunkeler, Andrea Kauer und Stefan Schöbi (Hgg.): Mit der Arbeit seiner Hände. Leben und Werk des Zürcher Stadtchirurgen und Theatermachers Jakob Ruf (1505-1558), 2. überarb. und erw. Aufl., Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2008 (Jakob Ruf. Leben, Werk und Studien 1). 320 Seiten & CD-ROM. – Vgl. ARG.L 36, 2007, Nr. 429. – Moser 79 Medizin und Naturwissenschaft 252 Hildegard Elisabeth Keller (Hg.): Die Anfänge der Menschwerdung. Perspektiven zur Medien-, Medizin- und Theatergeschichte des 16. Jahrhunderts, Zürich: Verlag Neue Zür- cher Zeitung, 2008 (Jakob Ruf. Leben, Werk und Studien 5). 724 Seiten & CD-ROM. – Der Band rundet die Reihe „Jakob Ruf. Leben, Werk und Studien“ mit insgesamt acht Beiträgen ab. Hildegard Elisabeth Keller präsentiert Lebens- und Werkporträts von verschiedenen medi- zinisch gebildeten Autoren, während Clemens Müller Rufs Latinität in den Blick nimmt. Drei Beiträge widmen sich theatergeschichtlichen Aspekten: Seline Schellenberg Wessendorf unter- sucht die Überlieferung von Zürcher Spieldrucken und -handschriften zwischen 1538 und 1550. Stefan Schöbi fragt nach den Funktionen des städtischen Theaters auf der Basis einer 66 Namen umfassenden Prosopographie derjenigen Spieler, die in Jakob Rufs „Weingar- ten“-Aufführung von 1539 involviert waren. Andrea Kauer schließlich erörtert Modelle der Kontinuität und des Umbruchs in Rufs Spielen. Drei weitere Beiträge kreisen um Rufs medizinisches Schrifttum, wobei die Hebammenausbildung im frühneuzeitlichen Zürich (Hildegard Elisabeth Keller, Hubert Steinke), die Rezeptionsgeschichte von Rufs „Trostbüch- lein“ (Hildegard Elisabeth Keller) sowie die Pharmakotherapie und Pharmazeutik in Rufs medizinischem Werk (Clemens Müller) beleuchtet werden. Ein Bildteil enthält Reproduktio- nen aller Federzeichnungen und Holzschnitte in Rufs bebilderten Werken. – Moser 253 Hildegard Elisabeth Keller (Hg.): Jakob Ruf. Kritische Gesamtausgabe, 3 Bde., Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2008 (Jakob Ruf. Leben, Werk und Studien 2-4). 780, 708, 1020 Seiten – Die drei Bände beinhalten die erste kritische Edition von Jakob Rufs (1505- 1558) deutschem und lateinischem Werk. Es handelt sich um insgesamt 21 Texte, die sich den Gattungen Theaterspiele (u.a. „Zürcher Hiob“, „Zürcher Joseph“, „Wilhelm Tell“, „Adam und Eva“), Flugblätter (u.a. „Flugblatt von der Schaffhauser Missgeburt“), medizi- nische Schriften (u.a. „Augenheilkunde“, „Tumorbüchlein“, „Trostbüchlein“), Kalenderlite- ratur und Lieder zuordnen lassen. Was an der sorgfältigen Edition auffällt und sich wohl- tuend von anderen ähnlichen Unternehmen abhebt, ist die vollkommene Transparenz betreffend Editionsrichtlinien, Textgrundlagen, editorische Eingriffe und Art und Weise der Kommentierung. Dem Projekt liegt ein durchdachtes Konzept zu Grunde, über das auch Rechenschaft abgelegt wird. Zudem wird jeder Einzeltext nochmals separat mit einem Grad an Klarheit, Präzision und Detailliertheit eingeleitet, der nichts zu wünschen übrig lässt. Es ist offensichtlich, dass die Herausgeberin und ihr Team der schwierigen Aufgabe einer Gesamtausgabe, für die zu Beginn nicht einmal ein gesichertes Werkverzeichnis vorlag und die zum Teil voluminöse Texte ganz disparater Art beinhaltet, gewachsen waren. Nicht unerwähnt bleiben soll der moderne und sehr aufwändig gestaltete Satz, für den Mitglieder des Herausgeberteams verantwortlich zeichnen. – Moser 254 Holger G. Dietrich, Hermann Hausmann, Jürgen Kronert: Georg Bartisch: sächsischer Schnitt- und Wundarzt im 16. Jahrhundert. Wittenberg Lutherstadt: Drei Kastanien Verlag, 2009. 1036 Seiten. – Der Band enthält den Faksimile-Abdruck und die Transkription des „Kunstbuches“ (1575) zur Behandlung von Steinen im Bereich des Urogenitaltraktes des Dresdner Arztes Georg Bartisch, das als Manuskript in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden erhalten ist. Der Edition wurden drei von den Autoren gemeinsam verfasste Aufsätze vorangestellt zur Geschichte der Anatomie und der Urologie (Steinschnitt-Technik) im 16. Jahrhundert sowie über das Wirken von Georg Bartisch, der am Hof des sächsischen Kurfürsten August (1526-1586) als „kurfürstlicher Hofoculist“ (Ophtalmologe), Wundarzt und Steinschneider wirkte. – Hasse 255 Patrick J. Boner: Kepler’s Early Astrological Calendars: Matter, Methodology, and Multidisciplinarity, in: Centaurus 50, 2008, 324-328. – Kepler’s novel integration of medi- cine and astrometerology indications his intention to restore the place of astrology in uni- versity learning. – Kolb Geist und Kultur 80 256 Patrick J. Boner: A Tenuous Tandem: Patrizi and Kepler on the Origins of Stars, in: Jl. Hist. Astr. 40, 2009, 381-391. – The appearance of a new star in 1604 led Kepler to develop, in opposition to the theory of Francesco Patrizi (1529-1597) that stars originated in „immaterial fires,” his own views of the origins of the stars. – Kolb 257 Miguel A. Granada: Novelties in the Heavens between 1572 and 1604 and Kepler’s Unified View of Nature, in: Jl. Hist. Astr. 40, 2009, 393-402. –Kepler redefined the relation- ship between disciplines, loosening the ties linking astronomy to theological for purposes of prognostication, and he strove to unify astronomy with natural philosophy, seeing the cosmos as a living organism with a soul that produces different levels of reality. – Kolb 258 Jonathan Green: The First Copernican Astrologer: Andreas Aurifaber’s Practica for 1541, in: Jl. Hist. Astro 41, 2010, 157-165. – Aurifaber’s only Practica incorporated Coper- nican theory. – Kolb 259 Anastasia Guidi Itokazu: On the Equivalence of Hypotheses in Part 1 of Johannes Kepler’s New Astronomy, in: Jl. Hist. Astr. 40. 2009. 173-190. An assessment of the exposi tion of geometrical models in this work, reinforcing the argument that it is a presentation of Kepler’s method. – Kolb 260 Nick Jardine: Kepler as Transgressor and Amalgamator of Disciplines, in: Jl. Hist. Astr. 40, 2009, 375-380. – Only his understanding of God as creator explains how Kepler worked within the several disciplines he practiced to form a coherent explanation of the universe. – Kolb 261 María M. Portuondo: Lunar Clipses, Longitude and the New World, in: Jl. Hist. Astr. 40, 2009, 249-276. – An assessment of the Spanish Council of the Indies, 1577-1588, to determine longitude for the purpose of determining the boundaries of Spanish colonial territories through measurement of lunar eclipses. – Kolb 262 Aviva Rothman: Forms of Persuasion: Kepler, Galileo, and the Dissemination of Copernicanism, in: Jl. Hist. Astr. 40, 2009, 403-419. – Kepler drew on various rhetorical forms and several disciplines, above all theology, in formulating his arguments. – Kolb 263 Sachiko Kusukawa: Image, Text and Observantio: The Codex Kentmanus, in: Early Sci. and Med. 14, 2009, 445-475. – Johannes Kentmann (1518-1577) „observed plants in the botanical garden at Padua, gathering knowledge from personal acquaintances with physicians and apothecaries as well as books; his notes provide a field for analysis of the relationship of image, text, and object. – Kolb 264 Warren Alexander Dym: Alchemy and Mining: Metallogenesis and Prospecting in Early Mining Books, in: Ambix 55, 2008, 232-254. – Alchemical theory was synthesized with classical and Christian theories of the earth in mining books of the 16. Century, includ- ing Georg Agricola’s and assumed practical significance. – Kolb 265 Guy Claessens: Clavius, Proclus, and the Limits of Interpretation: Snapshot- Idealization versus Projectionism, in: Hist. Sci. 47, 2009, 317-336. – Christopher Clavius (1538-1612), professor of mathematics at the Collegio Romano 1565-1612, established his definitions of the nature of mathematical objects on a limited reading of Proclus, in his critique of the interpretations of Alessandro Piccolomini and Francesco Barozzi. Kolb 266 Rosa Massa Esteve: Symbolic language in early modern mathematics: The Algebra of Pierre Hérigone (1580-1643), in: Hist. Math. 35, 2008, 285-301. – Hérigone’s development of mathematics as symbolic language arose in the context of his use and transformation of the insigts of Francois Viète (1540-1603). – Kolb 267 M. Céu Silva: The algebraic content of bento Fernandes’s Tratado da arte de arisme- tica (1555), in: Hist. Math. 35, 2008, 190-210. – An analysis of the Tratado’s algebraic con- tent, which was not shaped by the most prominent algebraic text of the time, that of Luca Pacioli. – Kolb 81 Medizin und Naturwissenschaft 268 Matteo Valleriani: The Transformation of Aristotle’s Mechanical Questions: A Bridge Between the Italian Renaissance Architects and Galileo’s First New Science, in: Annals Sci. 66, 2009, 183-208. – Galileo’s work on the strength of materials was influenced by the commentaries of Bernardino Baldi, Giovanni de Benedetti, Giuseppe Biancani, and Gi- ovanni di Guevara on Aristotle’s Mechanical Questions. – Kolb 269 Maria Pia Donato: Les doutes de l'Inquisiteur. Philosophie naturelle, censure et théo- logie à l'époque moderne, in: Annales. Histoire, Sciences sociales 64 (2009) 1, 15-43. – Zensur der Naturphilosophie und der Naturwissenschaften durch die Römische Inquisition und die Glaubenskongregation seit 1542. – Grund 270 Lee Palmer Wandel: John Calvin and Michel de Montaigne on the Eye, in: Early Mod- ern Eyes, hg. von Walter S. Melion; Lee Palmer Wandel. Leiden 2009 (Intersections 13), 135- 154 – Vergleich der Beschreibung von Sehen, Sichtbarkeit, Sichtweise, Einsicht, Erkenntnis in Calvins Institution de la religion chrestienne und in Montaignes Essais. – Grund

3.5 Buchdruck

271 Michael Baldzuhn: Schulbücher im Trivium des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Verschriftlichung von Unterricht in der Text- und Überlieferungsgeschichte der „Fabulae“ Avians und der deutschen „Disticha Catonis“ (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Forschungsgeschichte 44/1 [278/1] und 44/2 [278/2). Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2009. – Eine umfassende, gründliche Untersuchung (ursprünglich Habilitations- schrift, Herbst 2006) zur Überlieferung, zur Rezeption und zur weiteren Bearbeitung der im Unterricht an Lateinschulen und Universitäten verwendeten „Fabulae“ von Avian und der „Disticha Catonis“. – Wilhelmi 272 Joachim Knape und Stefanie Luppold (Hgg.): Friedrich Riederer: Spiegel der wahren Rhetorik (1493) (Gratia. Tübinger Schriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissen- schaft 45). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2009. XXXVIII, 479 Seiten – Edition eines frühen und sehr wichtigen rhetoriktheoretischen Werkes, das bislang in keiner modernen Edition vorgelegen und (auch deshalb) in der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben war. Der humanistisch gebildete Freiburger Kanzlist Friedrich Riederer unterhielt auch eine Buchdruckerei (1493 bis 1500). Ingesamt brachte er 13 Bücher heraus. Am 11. Dezember 1493 ließ er sein Werk im Druck erscheinen (HC 13914; 31 Exemplare nachweisbar). Rie- derer beherrscht dabei offensichtlich eine kluge Vermarktung, wie die Gestaltung des Titel- blattes, des Vorwortes, die Widmungsvorreden, der Buchschmuck und die ganze Gestal- tung des 188 Folioblätter umfassenden Druckes zeigen. Das Werk stellt in einer breit ange- legten, aber mehrteiligen und wohl nach und nach entstandene Summe das gesamte rhetori- sche Wissen dar, das Riederer zugänglich war: aus der Antike, aus seiner Zeit und auch aus dem Mittelalter. Der „Spiegel der wahren Rhetorik“ wurde in den darauffolgenden Jahr- zehnten in Straßburg und Augsburg noch viermal nachgedruckt und im 16. und 17. Jahr- hundert nachweislich rezipiert. Die vorliegende Edition ist sorgfältig; die Einleitung ist hilfreich. – Wilhelmi 273 Joachim Knape und Stefanie Luppold: Kommentar zu Friedrich Riederers „Spiegel der wahren Rhetorik“. Mit einem Beitrag zu den Illustrationen der Drucke von Lothar Schmitt (Gratia. Tübinger Schriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft 46). Wiesba- den: Harrassowitz Verlag, 2010. 236 Seiten. – Umfassender, solider Kommentar zur Editi- on. – Wilhelmi 274 Thomas Fuchs (bearb.): Katalog der Handschriften der Universitäts-Bibliothek Leipzig. Handschriften und Urkunden der Stadtbibliothek Leipzig in der Universitätsbibliothek Geist und Kultur 82 Leipzig: Neuzugänge nach 1838, (Kataloge der Handschriften der Universitäts-Bibliothek Leipzig, [Neuzeitliche Handschriften]). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2009. XXVII, 407 Seiten – Im wesentlichen nach DFG-Richtlinien erstellter Katalog eines höchst heterogenen und qualitativ unterschiedlichen Handschriftenbestandes (Pergamenturkunden, Papierhand- schriften aller Art, Briefsammlungen etc.), dessen älteste Teile aus dem 14. Jahrhundert stammen, die neuesten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts Die große Masse dieser bislang nicht näher beschriebenen Handschriften stammt aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert und bezieht sich auf die Leipziger Stadt- und Universitätsgeschichte. In Anbetracht des so disparaten Bestandes sind die umfassenden Register (Orte, Personen, Sachen) überaus hilfreich. – Wilhelmi 275 Thomas Elsmann (bearb.): Die neuzeitlichen Handschriften der Ms.-Aufstellung. Beschrieben von Armin Hetzer (Die Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen 2). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2008. – Dem Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, 2004 erschienen, schließt sich nun der Katalog der neuzeitlichen Handschriften in der Abteilung „Ms.-Aufstellung“ dieser Bibliothek an. Der genannte Bestand umfaßt 480 Handschriften, davon 475 abend- ländische. Etliche dieser Handschriften sind erst in den letzten zwanzig Jahren aus ver- schiedenen Orten der ehemaligen Sowjetunion nach Bremen zurückgekommen; einige wurden neu erworben. Von besonderem Interesse und deshalb hervorzuheben ist die Sammlung des Juristen und Bücherliebhabers Melchior Goldast von Haiminsfeld (1578- 1635) mit sechzig Bänden: Vorlesungsmanuskripte und –materialien, Exzerpte aus antiken und mittelalterlichen Werken (hier ist besonders die Anschrift der Manesseschen Lieder- handschrift von St. Gallen 1599-1603 zu erwähnen) und Briefe. Der reichhaltige Nachlass Goldasts harrt noch einer eingehenden Untersuchung und Auswertung. Zu erwähnen sind auch der Nachlass des Bremer Gelehrten Johann Philipp Cassel (1707-1783) und das für die Stadtgeschichte Bremens wichtige Archiv Johann Daniel Warnekes (1731-1814). Von Bedeuteng ist auch die Orientalia-Sammlung, hier vor allem Lambert de Vos' illustriertes türkisches Kostümbuch (Istanbul 1574). – Wilhelmi 276 Armin Schlechter und Ludwig Ries (Hgg.): Katalog der Inkunabeln der Universitätsbiblio- thek Heidelberg, des Instituts für Geschichte der Medizin und des Stadtarchivs Heidelberg. 2 Teile. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2009. Solide Beschreibung der 1849 in der Univer- sitätsbibliothek Heidelberg vorhandenen Inkunabeln; darunter erstaunliche viele bislang unbekannte Drucke (Unikate). – Wilhelmi 277 Bettina Wagner (Hg.): Als die Lettern laufen lernten. Medienwandel im 15. Jahrhun- dert. Inkunabeln aus der Bayerischen Staatsbibliothek München, Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 2009. – Sehr schön gestalteter, reichhaltiger Ausstellungskatalog. Instrukti- ve und anregende Beschreibung von 85 ausgewählten Inkunabeln, dazu qualitativ hochwer- tige Abbildungen. Einleitend der Beitrag „Vom Experiment zur Massenware – Medienwan- del im fünfzehnten Jahrhundert“ von Bettina Wagner. – Wilhelmi 278 Pierre L. Van der Haegen: Die Wiegendrucke der Universitätsbibliothek Basel. Teil 2: Die Wiegendrucke aus den übrigen Gebieten Deutschlands und den Niederlanden (Belgi- en/Holland) (Schriften der Universitätsbibliothek Basel 7/2). Basel: Schwabe Verlag 2009. XXI, 276 Seiten – Ein weiterer Teil des Basler Inkunabelkataloges. Er umfasst zahlreiche Drucke aus Köln, einige aus Mainz, zwei aus Marienthal, erstaunlicherweise nur einen einzigen aus Bamberg, einen aus Ingolstadt, zahlreiche aus Nürnberg, zwei aus Würzburg, knapp zwei Dutzend aus Leipzig, nur zwei aus Lübeck, nur einen aus Rostock, einen aus Zinna und ein paar Dutzend Drucke aus den Niederlanden (Belgien/Holland), nämlich aus Antwerpen, Brüssel, Deventer, Leiden, Löwen, Nijmegen und Utrecht. Von der Haegen hält auch in diesem Teilkatalog an Beschreibungsprinzipien seiner früheren Kataloge fest. Die 83 Buchdruck Beschreibungen unterscheiden sich in der Anlage von den in den letzten zwei, drei Jahr- zehnten befolgten Prinzipien. Eine genauere Identifizierung der in Basel zumeist original vorhandenen Einbände anhand der Einband-Datenbanken ist einer späteren Aufarbeitung vorbehalten. Van der Haegens jahrelange ehrenamtlich geleistete Arbeit wird demnächst mit dem Katalog der in Italien und Frankreich entstandenen Wiegendrucke ihren Abschluß finden. – Wilhelmi 279 Yann Sordet: Le baptême inconscient de l´incunable: non pas 1640 mais 1569 au plus tard, in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 102-105. Die Bezeichnung „Inkunabel“ für Drucke des 15. Jahrhunderts lässt sich nicht erst ab 1640 belegen, sondern aufgrund einer Handschrift der Kgl. Bibliothek Im Haag bereits (spätestens) ab 1569. – Wilhelmi 280 Elena Gatti: Riflessioni su alcuni registri tipografici in età incunabolistica, in: La Bibliofilia 111 (2009), 147-160. – Wilhelmi 281 William A. Kelly: Index of prints not listed in VD 16, in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 271-288. – Genaue Beschreibung von fast neunzig Drucken des 16. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachbereich. Die meisten dieser im VD 16 noch nicht enthaltenen Drucke finden sich in der National Library of Scotland in Edinburg. – Wilhelmi 282 Gerhardt Powitz: Der Text der Gutenberg-Bibel im Spiegel seiner zeitgenössischen Rezeption, in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 29-70. – Powitz trägt die Zeugnisse der Rezeption der 42zeiligen Bibel (B 42) zusammen: Forschungen zum Text, Vergleich zur Pariser Re- zeption des Vulgatatextes im 13. Jahrhundert, Rezeption im 15. Jahrhundert, Korrekturen, typographische Mängel, Emendationen (Abweichungen der B 42 vom Text der Vulgata). – Wilhelmi 283 Severin Corsten: Vom Setzen der Kölnischen Chronik (1499), in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 95-101. – Zur Entstehung und der Typographie der „Chronica van der hilliger Stat Coellen“ (1499) aus der Produktion des Kölner Druckers Johann Koelhoff. – Wilhelmi 284 Christoph Reske: Der Holzschnitt bzw. Holzstock am Ende des 15. Jahrhunderts. Aspekte der Arbeitsteilung, Kosten und Auflagehöhen, in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 71- 78. – Untersuchungen zur Frage der Arbeitsteilung und Kosten bei der Herstellung von Holz-Druckstöcken im ausgehenden 15. Jahrhundert insbesondere bei der Herstellung der Ausgabe der Schedelschen Weltchronik 1493 in Nürnberg durch den Kaufmann Sebald Schreyer und den Formschneider Sebald Gallensdorffer. – Wilhelmi 285 Hans-Jörg Künast: Klosterdruckereien vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 19. Jahrhundert – ein kirchlicher Impuls für Urbanisierungsprozesse, in: Urbanisierung und Urbanität. Der Beitrag der kirchlichen Institutionen zur Stadtentwicklung in Bayern, hg. von Helmut Flachenecker und Rolf Kiessling (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beiheft 36). München 2008, 127-153. – Wilhelmi 286 Hans-Joachim Koppitz: Die kaiserlichen Druckprivilegien im Österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Verzeichnis der Akten von Anfang des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Deutschen Reichs (1806) (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 75). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2008. XXVII, 685 Seiten – Frucht einer jahrzehntelangen umfangreichen Arbeit. Im Vorwort Einführung über das Wesen der kaiserlichen Druckprivilegien (Schutzbriefe) und Übersicht über den Bestand der im Archiv in der Abteilung Prvilegia impressoria enthaltenen sehr zahlreichen, vor allem aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden Akten. Das Verzeichnis wird durch ein Gesamtregister hervorragend erschlossen. – Wilhelmi 287 Christian Scheidegger (Hg.): Inkunabelkatalog der Zentralbibliothek Zürich, unter Mitarbeit von Belinda Tammaro. Bd. 2: K-Z (Bibliotheca Bibliographica Aureliana CCXXIII). Baden-Baden: Valentin Koerner, 2009. Seiten [418]-747, 32 Tafeln). – Ein Jahr nach der Publikation des ersten Teilbandes – A-J – (Bibliotheca Bibliographica Aureliana CCXX) Geist und Kultur 84 liegt nun der Zweite vor. Der Katalog umfaßt ingesamt 1562 in der ZB Zürich vorhande- nen Inkunabeln (1420 verschiedene Drucke). Abgeschlossen und erschlossen wird das Werk durch umfangreiche Register: Nebenautoren, Herausgeber, Übersetzer; Vorbesitzer, Rubrikatoren, Benutzer; Konkordanzen (GW, Hain, BSB, Signaturen der ZB Zürich). – Wilhelmi 288 Wolfgang Harms, Michael Schilling: Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit: Tradi- tionen – Wirkungen – Kontexte. Stuttgart: Hirzel Verlag, 2008. 392 Seiten. – Der Sammel- band enthält 18 Aufsätze der beiden Autoren, die hier erneut abgedruckt werden und in dieser Zusammenstellung einen instruktiven Eindruck vermitteln von der Erforschung des illustrierten Flugblattes, die vor allem durch die seit 1985 erschienenen Bände der „Deut- schen illustrierten Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts“ inspiriert worden ist. Dabei werden Bezüge des Mediums zu politischen, konfessionellen, sozialgeschichtlichen, publi- zistischen, naturkundlichen und mentalitätshistorischen Diskursen hergestellt. Die ausführ- liche Einleitung informiert über die Geschichte der Erforschung der illustrierten Flugblät- ter. Mit den vorgelegten Studien wird das Medium des illustrierten Flugblattes in seine historischen Kontexte eingeordnet. Unter anderem werden grundsätzliche Themen zur Eigenart des Mediums behandelt: historische Kontextualisierungen; die Rolle des Flugblat- tes in den Verständigungsprozessen der frühneuzeitlichen Kultur; die Flugblätter als histori- sche Bildquelle; das Flugblatt als Instrument gesellschaftlicher Anpassung; das Türkenbild und Feindbilder im Spiegel der Flugblätter; die Funktionalisierung von biblischen Texten. – Hasse 289 Hans-Jörg Künast: Die Flugschriftensammlung es Augsburger Benediktiners Veit Bild aus den Jahren 1519 bis 1525, in: Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Fest- schrift für Helmut Claus zum 75. Geburtstag, hg. von Ulman Weiß. Epfendorf/N.: bibliotheca academica Verlag, 2008, 149-178. – Veit Bild (1481-1529) hatte stark ausgepräg- te humanistische Interessen. Er stand nicht nur mit Konrad Peutinger und seinem Kreis in Kontakt, sondern wegen seines erheblichen Interesses an der Reformationsbewegung u.a. auch mit Georg Spalatin, Johannes Ökolampad, Johann Denk und Urbanus Rhegius. Bild sammelte in den Jahren 1519 bis 1525 Flugschriften (u.a. solche von Matrtin Luther); davon sind heute noch 70 in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg erhalten. – Wilhelmi 290 Bodo Gotzkowsky: Die Buchholzschnitte Hans Brosamers in Werken Martin Luthers und anderen religiösen Drucken des 16. Jahrhunderts. Ein bibliographisches Verzeichnis ihrer Verwendung (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 363). Baden-Baden: Valentin Koerner, 2009. 496 Seiten. – Dem ersten Band über Hans Brosamers Buchholzschnitte zu den Frankfurter „Volksbuch“-Ausgaben, Baden-Baden 2002 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 361) schließt sich nun ein zweiter Band über die Buchholzschnitte über Brosamers religiöse Holzschnitte an, die insbesondere in den gedruckten Werken Martin Luthers, aber auch in anderen Drucken mit Werken anderer Autoren im 16. Jahrhundert erschienen sind: Bibelillustrationen, Druckermarken, Rand- und Zierleisten, Titelbordüren, Titelholzschnitte. Beschreibung und Wiedergabe aller Holzschnitte Brosamers unter Auf- führung ihrer Wiederverwendungen. Erschlossen wird das reichhaltige Material durch Autoren-, Titel- und Druckerregister. – Wilhelmi 291 Susanna Berger: The Complex Genealogy of Hans Holbein the Younger's Illustrations of Moriae Encomium, in: Gutenberg-Jahrbuch 84 (2009), 223-244. – Zeichnungen Hans Holbeins zur Ausgabe Basel 1515 und ihre Verwendung in späteren Drucken bis Ende des 18. Jahrhunderts – Grund 292 Marvin J. Heller: Variations In and Between Early Hebrew Books. In Gutenberg Jb. 84, 2009, 147-156. –A survey of early printed Hebrew texts, examining their physical cha- racteristics and editorial practices. – Kolb 85 Buchdruck 293 Michael Matthäus: Der Frankfurter Drucker Johann Wechel, in: Gutenberg-Jahrbuch 2009, 169-183. – Untersuchungen zu Johann Wechel (geb. um 1549, gest. 1593), der nicht nur für seinen Verwandten Andreas Wechel druckte, sondern – bislang zu wenig beachtet – auch 1581/82 mit Christoph Raab kooperierte und 1582 bis 1593 selbständig tätig war. – Wilhelmi 294 Margaret F. Rosenthal: Fashions of Friendship in an Early Modern Illustrated Album Amicorum: British Library, MS Egerton 1191, in: Journal of medieval and Early Modern Studies 39:3, 2009, 619-641. – Looks at a German law student’s album of friends from the University of Padua from 1575 to 1579. – Ninness 295 Maud Lejeune: Les ‘impressions fantômes’ dans les Pourtraits divers (1557) de Jean de Tournes, in: Gutenberg Jb. 84, 2009, 157-168. A study of the technical aspects of the con- struction of this work. – Kolb 296 Franco Longoni: L’immagine di San Bernardino, in: Gutenberg Jb. 84, 2009, 245-250. – A study of selected early 16. century Italian portrayals of Saint Bernard. – Kolb 297 Karl-Georg Pfändtner: Ein Buchmaler für Anton Koberger? In: Gutenberg Jb. 84, 2009, 251-268. – A richly illustrated assessment of the work of an anonymous illustrator for Koberger. – Kolb 298 Ad Stijnman: Stradanus’s Print Shop, in: Print Quart. 27, 2010, 11-29. – A study of the details of the print shop in the 1591 print by Johannes Stradanus (1523-1605). – Kolb 299 Hans Weitzel: Zu den Himmelsphänomenen auf A. Dürers Stich Melencolia I, in: Sudhoffs Arch. 93, 2009, 127-170. – A study of the heavenly bodies portrayed in the work. – Kolb 300 Luc Racaut: Nicolas Chesneau, Catholic printer in Paris during the French Wars of Religion, in: Historical Journal 52 (2009) 1, 23-41. – Nicolas Chesneau, i.e. Nicolaus Quer- culus (1521-1581). – Grund 301 Karen L. Bowen: Unknown examples of Christopher Plantin’s books of hours and new discoveries concerning his working practices, in: De Gulden Passer 87, 2009, 7-33. – Bowen examines the illustration and printing of five of Christopher Plantin’s books of hours in 24°. These books provide new information on Plantin’s evolving illustration prac- tices and how he diversified his production of prayer books formally, visually, and in terms of how it was presented for sale. – Marnef 302 Norbert Moermans (ed.): Ortelius’ Spieghel der Werelt. Een facsimile voor Francine de Nave. (Uitgave van de Vereniging van Antwerpse Bibliofielen. Nieuwe Reeks; 4). Antwerp: Vereniging Antwerpse Bibliofielen 2009, 3 vols. – At the occasion of her retirement as curator of the Antwerp Plantin-Moretus Museum Francine de Nave received a Festschrift built around a 16th-century atlas of Abraham Ortelius. In the first volume, Norbert Moermans presents a biographical sketch and a bibliography of Francine de Nave. Volume 2 offers an introduction to the Spiegel der Werelt, a pocket atlas created by Ortelius. Philippe Galle was the publisher of the first edition of the Spiegel (1577) while Christophel Plantin was re- sponsible for the printing of the text. Dirk Imhof gives an adequate overview of the produc- tion and sale of the several editions of this atlas. Hubert Meeus focuses on the Antwerp schoolmaster Peter Heyns who was the author of the texts in the 1583 edition. Volume three contains a facsimile of this edition, augmented with six large format maps from the Latin edition of 1585. The 1583 edition offers much more than a pocket edition containing 83 maps with rhymed texts explanations. Heyns added an extensive introductory part which contains interesting information about the political and religious situation in Antwerp in the years 1577-1583. As wardmaster, Heyns was well informed about the profound changes during this period of Calvinist ascendancy. – Marnef Geist und Kultur 86 303 Pierre Delsaerdt: De kennismachine van Cornelis Kiliaan. Een typografische analyse van drie Nederlandse woordenboeken uit de 16de eeuw, in: De Gulden Passer 87, 2009, 9- 30. – Delsaerdt analyses the typographic ‘architecture’ of three dictionaries published by Christopher Plantin. It concerns three Dutch language dictionaries compiled by Plantin’s proof reader Cornelis Kiliaan. This analysis is revealing for the strategies of knowledge transfer developed by Plantin and Kiliaan. – Marnef 304 Jeanine De Landtsheer: ‘Die wereldvreemde proffen van Leuven in hun ivoren toren’. Een vergeten brief van Nicolaas Oudart aan Christoffel Plantijn, in: De Gulden Passer 87, 2009, 31-52. – De Landtsheer presents an analysis and a text edition of a letter of the canon Nicolaas Oudart to the Antwerp printer Christopher Plantin (12 October 1586). This letter makes clear how Plantin aimed at good contacts with the ecclesiastical authorities, especially the archbishop of Mechelen. Furthermore, the letter presents some interesting information about Justus Lipsius’ coming departure from Leiden university. – Marnef 305 Urs B. Leu: Nuhu trit herfur o pfaltzischer Lew. Eine unbekannte Flugschriften- sammlung zum Dreißigjährigen Krieg in der Zentralbibliothek Zürich, in: Gutenberg- Jahrbuch 2009, 289-306. – Eine 717 Flugschriften umfassende Sammlung in 27 Bänden. Die meisten dieser Flugschriften stammen aus dem frühen 17. Jahrhundert Eine 340 Flug- schriften umfassende Sammlung wurde in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts von den Brüdern Josias und Johann Heinrich Waser zusammengetragen. Sie befindet sich seit 1629 in der Zürcher Stadtbibliothek (heute: Zentralbibliothek). In den Jahren bis 1637 wurde dort von den Bibliothekaren eine weitere Sammlung (fast 380 Flugschriften) ange- legt. – Wilhelmi 306 Susanne Schuster: Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt und Ahasver Fritsch. Eine Untersuchung zur Jesusfrömmigkeit im späten 17. Jahrhundert (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 18). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2006. 240 Seiten. – Eingehende Untersuchung zum dichterischen Werk der Reichsgräfin Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (1637-1706), die vor allem als Lieddichterin in Erscheiung getreten ist. Ihre bekanntesten Lieder sind „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ und „Bis hierher hat mich Gott gebracht“. Der Kreis um die Gräfin auf der Heidecksburg in Rudolstadt war von einer sehr ausgeprägten frühpietistischen Jesusfrömmigkeit geprägt. Schuster geht die Einflüsse Johann Arndts und Heinrich Müllers nach, vor allem aber demjenigen des in Rudolstadt aktiven Juristen und Kirchenlieddichters Ahasver Fritsch (1629-1701), der auf die Gräfin großen Einfluß ausübte. – Wilhelmi

4 WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

4.1 Wirtschaft

307 Erik Lindberg: Club goods and inefficient institutions: why Danzig and Lübeck failed in the early modern period, in: Economic History Review 62 (2009) 3, 604-628. – Analysiert den Niedergang der Hansestädte Danzig und Lübeck ab dem 16. Jahrhundert anhand der Clubtheorie der amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Charles Tiebout und James M. Buchanan, exklusive Interessen der ‚Clubs‘ der privilegierten Zünfte und Korporationen verhinderten wirtschaftliches Wachstum und Anpassung an sich wandelnde Märkte. – Grund 87 Wirtschaft 308 Thomas Safley: The Question of Early Modern Business Culture: Methodological Reflections on the Firm „Ambrosius and Hans, the Brothers Höchstetter and Associates“, 1524-1529, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 9 (2009) 1, 7-23 – Augsburger Handelsgesellschaft, gegründet 1524 von den Brüdern Ambrosius und Hans Höchstetter sowie ihren Söhnen, Schwiegersöhnen und Schwägern Hans Ungelter jun., Hans Franz Baumgartner, Ambrosius Höchstetter jun., Joseph Höchstetter und Johann Höchstetter, für kurze Zeit sehr erfolgreich geschäftlich tätig, hielten fast ein europäisches Monopol auf den Quecksilberhandel, mussten jedoch 1529 Bankrott erklären. – Grund 309 Niklot Klüßendorf: Die Zeit der Kipper und Wipper (1618-1623). Realwert und No- minalwert im Widerstreit, in: Geldgeschichte im Geldmuseum 2007 (2009), 5-38. – Betrüge- rische Münzentwertung zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges durch Aussortieren vollwer- tiger Münzen auf der Schnellwaage (Wippen), Beschneiden (Kippen) der Münzränder und Einschmelzen des so gewonnen Edelmetalls zusammen mit Kupfer zur Prägung neuer, minderwertiger Münzen. – Grund 310 Andreas Exenberger, Andreas Glas: Frühneuzeitliche Globalisierung? Tiroler Getreide- preise im europäischen Kontext 1500–1800, in: Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde Nord-, Ost- und Südtirols 72, 2008, 140-160. – Überblick über die Preisenwicklung, wobei von der Existenz sich übertragender Preiszyklen innerhalb Europas ausgegangen werden kann. – M.Fuchs 311 Jan de Vries: The Economic Crisis of the Seventeenth Century after Fifty Years, in: Journal of Interdisciplinary History 40:2, 2009, 151-194. – Explores the historiography on the theory of the Crisis of the Seventeenth Century. – Ninness

4.2 Gesellschaft

312 Sebastian Schmidt, Jens Aspelmeier (Hgg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit (VSWG Beiheft 189). Stuttgart: Franz Steiner, 2006. 233 Seiten, paperback. – Seit einigen Jahren ist der Wandel in der Armuts- und Sozialfürsorge im Wechsel von Spätmittelalter und Früher Neuzeit ein ständiges und immer breiter ange- gangenes Thema der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In diesem breiten Strom wissen- schaftlichen Engagements fragt die Dokumentation eines Kolloqiums der Universität Siegen aus dem Jahre 2002 vorzugsweise mit Forschungsbeiträgen aus laufenden Graduie- rungsarbeiten nach Norm und Praxis der Armutsfürsorge. Zu Recht betonen die Herausge- ber, dass die Übenahme von Schlagworten und den mit ihnen verbundenen methodisch- hermeneutischen Entscheidungen der Analyse des Armenwesens in einer Zeit epochalen Umbruchs wenig dienlich ist. Wohl sind Territorialisierungsprozesse, Säkularisierung und Modernisierung für die Entwicklung des Armenwesens von entscheidender Bedeutung. Die gesamte Zeitspanne lässt sich aber vor allem im Spannungsfeld von praktisch gelebter Frömmigkeit und ihrer doktrinären Reflektion in der akademischen Theologie, sowie dem Antagonismus von Kirche und Staat noch am nächsten beschreiben: „Theologie und Kir- chen (bleiben) für die Wahrnehmung und Praxis der Armenfürsorge relevant“ (9). Dass trotzdem das dann in der Neuzeit die Theologie auch als Leitwissenschaft ablösende Recht schon vorher eine große und immer größer werdende Rolle spielt, zeigt Alexander Wagner. Die volktümlich-theologische Reflexion dieser rechtstheoretischen Grundlegung reflektiert Rita Voltmer in ihrer Analyse von Vorschlägen des Straßburger Münsterpredigers Geiler von Kaysersberg. Spätmittelalterliche Hospitäler und Armenspitale stehen im Zentrum der praktischen Analysen von Kay Peter Jankrift, Martin Uhrmacher am Beispiel Triers und Jens Wirtschaft und Gesellschaft 88 Aspelmeier an Beispiel von Siegen und Merseburg. Der zugleich auch Normierungsprozesse verwandelnde Einschnitt mit der auf die Reformation folgenden Konfessionalisierung wird zunächst von Sebastian Schmidt gleichsam auf normgebender Basis untersucht. Die darauf ruhenden praktischen Entwiscklungen werden von Jutta Grimbach für die Territorien am Niederrhein und in Westfalen, von Frank Hatje für Hamburg und von Frank Dross – aller- dings in negativer Hinsicht im Sinne der Verhinderung einer Hospitalgründung – für Düs- seldorf skizziert. – Den gesamten Band leitet eine Forschungsskizze von Bernd Fuhrmann zu Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit ein. – Es ist gut, dass dieser Sammelband als Beiheft einer sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Zeitschrift erscheint, gibt er doch keine abschließenden Würdigungen und Interpretationen bekannt, sondern informiert er detailreich und gelehrt über laufende Arbeiten zum Thema. Es ist insofern ein rechter Forschungsbeitrag, dem eine weitere Lektüre und vor allem die Ausei- nandersetzung mit den vorgetragenen Thesen zu wünschen bleibt. Damit wären die Mühen der Herausgeber mehr als entgolten. – Wriedt 313 Dominik Fugger: Das Königreich am Dreikönigstag. Eine historisch-empirische Ritu- alstudie. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007. 248 Seiten, Leinen gebunden mit Schutz- umschlag, 38 Abbildungen. – Die angezeigte Studie beschäftigt sich mit dem Brauch, an- lässlich des Dreikönigtages Königreiche abzuhalten. Es handelt sich um ein in der Frühen Neuzeit populäres Ritual, bei dem ein König gewählt und ein Festessen und Umtrunk veranstaltet wurde. Vor allem in der historischen Volkskunde ist dieser Brauch bislang als karnevaleskes oder aber als herrschaftskritisches Ritual gedeutet worden. Dominik Fugger verbindet nun in seiner Arbeit eine neue Analyse des Brauchs mit einem grundsätzlichen methodischen Beitrag zur historischen Ritualforschung. – Das erste Kapitel beschreibt zunächst die Phänomene des Rituals. Das Abhalten von Königreichen war, wie der Autor belegen kann, ein über alle Schichten und soziale Gruppierungen hinweg praktizierter Brauch; man findet ihn bei Studenten und in Klöstern, bei Bauern, Bürgern und Adeligen, abgehalten von ständischen Korporationen und Familien, städtischen Magistraten und an Höfen. Es war vor allem im Westen des deutschen Sprachraums, in den Niederlanden, Frankreich und der Südschweiz weit verbreitet. Zu den wesentlichen Elementen des Rituals gehörte die Wahl (oft per Los) eines Königs, die Organisation eines Festessens und Um- trunks, zum Teil auch von Umzügen. – Die folgenden drei Kapitel sind der Deutung des Rituals gewidmet, und mit dieser Deutung verbindet Fugger ein regelrechtes methodisches „Programm“ (72). Damit setzt er sich vor allem gegen eine „assoziative“ Vorgehensweise ab, die scheinbar ähnliche Phänomene vergleicht und daraus auf ihren Sinn schließt (Ähn- lichkeit von Königreichen mit Karnevalsbräuchen führt zur Deutung als Inversionsritual). Fuggers Ziel ist es dagegen, die Königreiche allein aus dem in empirischen Zeugnissen greifbaren Verständnis der Zeitgenossen zu deuten. Dafür führt er im zweiten Kapitel rund 15 Zeugnisse an, in denen deutlich wird, daß die Königreiche im 16. und 17. Jahrhundert als anamnetische Rituale wahrgenommen wurden, die zum Gedächtnis des Dreikönigtages und zur Feier des Christkönigs begangen wurden. Der Bezug auf das Dreikönigsfest wird in den weiteren Kapiteln untermauert. Das dritte Kapitel analysiert auf der Basis von Liedern und anderen Quellen die Sprache in den Ritualen; das vierte Kapitel untersucht zahlreiche Bilder, auf denen das Königreichmotiv abgebildet wird, und das fünfte Kapitel zeigt auf, dass die Königreiche auch in die Liturgie des Dreikönigsfestes integriert wurden. Fugger gelingt damit der überzeugende Nachweis, dass die Zeitgenossen das Ritual aus dem Sinn- zusammenhang des Dreikönigsfestes verstanden. Der mit diesem Ergebnis verbundene methodische Anspruch scheint mir dagegen durchaus fragwürdig zu sein. Fuggers Arbeit mündet in einem Plädoyer dafür, dass der Historiker letztlich nicht mehr „selbst deutet“, sondern „lediglich abbildet“, also nur solche Deutungen als Ritualdeutungen akzeptiert, die 89 Gesellschaft er bei den Zeitgenossen „expressis verbis“ vorfindet (204). Aber erschöpften sich denn die komplexen Funktionen von Ritualen in ihren ausdrücklich geäußerten Funktionen von Zeitgenossen? Wo hätte dann der gemeinschafts- und glaubensstiftende Sinn von Ritualen Platz? Die Kanalisation von Emotionen und Gewalt, die oftmals gerade nicht artikuliert wird? – Die historische Ritualforschung beschäftigt sich schließlich seit Jahrzehnten mit der Frage des Sinns von Ritualen und hat dafür erfolgreich auf die Konzepte von Kulturanth- ropologen und Soziologen zurückgegriffen. Zu diesen Ansätzen und den Befunden der historischen Ritualforschung müsste der Autor zumindest Stellung beziehen. – Siebenhüner 314 Ludwig Schmugge: Dachser gegen Planck – Ein Eheprozess in Freising (1491-1493), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126 = kanon. Abt. 95 (2009), 146- 165. – Abweisung der Klage einer Frau auf Gültigkeit eines vor Familienmitgliedern und Freunden gegebenen Eheversprechens, Nichtanerkennung ihrer Zeugen als parteiisch, unter Berufung auf die Dekretale X 4.1.29 Gregors IX. (Matrimonia libera esse debeant), da der Beklagte seine „Ehewilligkeit“ schlicht bestritt, exemplarisch für zahlreiche Prozesse des späten Mittelalters, die mit gleicher Begründung zugunsten des beklagten Mannes entschie- den wurden. – Grund 315 Stephan Buchholz: Philipp der Großmütige von Hessen und Friedrich Wilhelm II. von Preußen: Fürstenehen, Doppelehen und Ehen zur linken Hand, in: Zeitschrift der Savigny- Stiftung für Rechtsgeschichte 126 = kanon. Abt. 95 (2009), 493-531. – Grund 316 Niels Fabian May: Les querelles de titres: une vanité? L'attribution du titre d'Altesse au duc de Longueville lors des négociations de Münster. Rang juridique et social, in: Revue d'histoire diplomatique (2009) 3, 241-253. – Grund 317 Heinz Schilling: Christliche und jüdische Minderheitengemeinden im Vergleich. Calvi- nistische Exulanten und westliche Diaspora der Sephardim im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 36 (2009) 3, 407-444. – Grund 318 Anne E. C. McCants: Historical Demography and the Crisis of the Seventeenth Cen- tury, in: Journal of interdisciplinary History 40:2, 2009, 195-214. – Applies historical demo- graphy to the theory on the Crisis of the Seventeen Century. – Ninness

4.3 Gender studies

319 Hedwig Röckelein (Hg.): Frauenstifte, Frauenklöster und ihr Pfarreien. (Essener For- schungen zum Frauenstift; 7). Essen: Klartext-Verlag 2009. 260 Seiten, Paperback. – Der Band dokumentiert die Beiträge der Jahrestagung 2008 des Essener Arbeitskreises zur Erforschung der Frauenstifte. Der Band thematisiert die Frage, welchen Einfluss die Frau- enklöster und –stifte durch ihr Patronatsverhältnis auf die ihnen inkorporierten Pfarreinen hatten, aus unterschiedlichen Perspektiven (Kunstgeschichte, Liturgie, Kirchenrecht). Besonders interessant ist dabei die Frage, wie weit die Nonnen, die als Frauen nicht die höheren Weihen empfangen durften und daher nicht selbst in den Pfarreien im engeren Sinn als Geistliche aktiv werden konnten (durch Messe, Sakramente, Predigt), dennoch auf die Pfarrseelsorge Einfluss nahmen. Die einzelnen Beiträge sind teils Fallstudien zu einzel- nen Konventen, teils widmen sie sich eher systematischen Fragestellungen. Vorangestellt sind ein Überblick zu den Forschungsdesiderata von Hedwig Röckelein und eine biographi- sche Skizze zum Pionier der Frauenstift-Forschung Karl-Heinrich Schäfer (1871-1945) von Enno Bünz. – Conrad 320 Corine Schleif, Volker Schier: Katerina’s Windows. Donation and Devotion, Art and Music, as Heard and Seen Through the Writings of a Birgittine Nun. University Park, PA: Wirtschaft und Gesellschaft 90 Pennsylvania State University Press 2009. XLIV, 579 Seiten mit 230 Abb.; Leinen gebunden mit Schutzumschlag. – Der umfangreiche, sehr aufwändig gestaltete, mit zahlreichen Abbil- dungen versehene Band ist der Nürnbergerin Katharina Lemmel, geb. Imhoff (*1466) gewidmet, die als Witwe 1516 in das Birgittendoppelkloster Maria Mai in Maihingen, 8 km südlich von Nürnberg, eintrat. Der Band dokumentiert in englischer Übersetzung umfang- reiches Quellenmaterial (insbesondere Katharina Lemmels Korrespondenz mit ihrem Cousin Hans Imhoff d. Ä. in Nürnberg), mit ausführlichen Erläuterungen zu den einzelnen Lebensphasen der Protagonistin. Der Titel spielt darauf an, dass Katharina Lemmel nach ihrem Eintritt als großzügige Mäzenin (u. a. der kunstvollen Glasmalereien des Klosters) wirkte, meint ausdrücklich aber auch, dass durch die dichte Quellenlage eine neue Perspek- tive (durch „Katharinas Fenster“) auf die religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Nürnberg möglich wird. – Conrad 321 Jürg Leuzinger: Das Zisterzienserinnenkloster Fraubrunnen. Von der Gründung bis zur Reformation, 1246-1528 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 1028). Bern: Peter Lang 2008. 312 Seiten, Paperback. – Die Dissertation (Basel 2004) bietet detaillierte Einblicke in die Geschichte des nördlich von Bern gelegenen Zisterzienserinnenklosters, das im 14. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte. Das umfangreiche Quellenmaterial liegt teilweise bereits seit längerem in verschiedenen Editionen vor, wird hier aber erstmals systematisch ausgewertet. Dabei stehen prosopogra- phische und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte im Vordergrund. Eine besondere Rolle kommt dem „Jahrzeitbuch“ zu, das von der Gründung bis zur Aufhebung 1528 durch die Reformatoren 2472 Namen von Stiftern und Nonnen anlässlich ihres Todes- oder Bestat- tungstages mit kurzen Hinweisen verzeichnet. Eine gute Ergänzung der Untersuchung bietet der Anhang mit diversen statistischen Auswertungen des Datenmaterials. – Conrad 322 Anu Lahtinen: Sopeutuvat, neuvottelevat, kapinalliset. Naiset toimijoina Flemingin sukupiirissä 1470-1620. Helsinki: Suomen kirjallisuuden seura 2007 (Bibliotheca Historica 108). 241 Seiten mit Abb. – Anu Lahtinen studiert in ihrer Dissertation die gesellschaftliche Stellung adliger Frauen, die der finnischen Adelsfamilie Fleming angehörten. U.a. diskutiert die Verfasserin im Untersuchungszeitraum (1470-1620) die Rolle adliger Damen als Ehegat- tin, Mutter, Witwe und Schwester. Lahtinens Ergebnisse sind höchst interessant und sicher- lich in einem weiteren Kontext als nur für die Familie Fleming gültig: Frauen in der Früh- neuzeit hatten – im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung – durchaus wirtschaft- liche Macht und politischen Einfluss. Als Hausmutter trugen sie Verantwortung für die Führung des Hauswesens, als Witwe avancierten sie zum rechtlich anerkannten Oberhaupt der Familie. Doch auch unverheiratete Frauen konnten durch entsprechende Allianzen innerhalb der Familie oder der Gesellschaft sich ein eigenständiges Handeln sichern. Lahtinen zeigt zudem, dass die Frauen der Familie Fleming sich nicht gegen die bestehende Gesellschaftsordnung auflehnten, diese aber so für sich zu nutzen wussten, dass sie ein Maximum an Einfluss erhielten. Diese höchst gelungene, quellentechnisch wohl abgesicher- te Arbeit lässt kaum etwas zu wünschen übrig und bereichert die Forschung zur Frühneu- zeit im Schwedischen Reich ungemein. – Czaika 323 Anne-Marie Heitz-Muller: Femmes et Réformation à Strasbourg (1521-1549). (Études d’Histoire et de Philosophie Religieuses. Publiées sous les auspices de la Faculté de Théolo- gie protestante de l’Université des Sciences Humaines de Strasbourg; 84). Paris. Presses Universitaires de France 2009. 275 Seiten, Paperback. – Die Untersuchung entspricht dem ersten Teil einer Thèse de doctorat der Faculté de théologie protestante de l’Université de Strasbourg (Matthieu Arnold) über „Les effets de la Réformation sur la vie et la vocation spirituelle des Strasbourgeoises au XVIe siècle (1521-1549)“. Aus der Genderperspektive ist die Einführung der Reformation in Straßburg besonders interessant, weil hier von Anfang 91 Gender Studies an Ehepaare – am bekanntesten wurden wohl Matthias und Katharina Zell – gemeinsam beteiligt waren. Die vorliegende Studie bietet nun erstmals eine differenzierte und detaillier- te Untersuchung des weiblichen Parts dieser Bewegung aus unterschiedlichen Perspektiven. Bildung und Arbeitssituation der Frauen sind ebenso im Blick wie ihre Lebenswirklichkeit als Ehefrau und Mutter. – Conrad 324 Amanda Pipkin: Every Woman's Fear. Stories of Rape and Dutch Identity in the Golden Age, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 122 (2009) 3, 291-305. – Grund 325 Anna Linton: Poetry and Parental Bereavement in Early Modern Lutheran Germany (Oxford Modern Languages and Literature Monographs). Oxford: OUP 2008. XVI, 319 Seiten; geb. mit Schutzumschlag. – Die Studie stellt einmal mehr die These in Frage, in der Frühen Neuzeit hätten Eltern angesichts der hohen Kindersterblichkeit keine enge emotio- nale Bindung zu ihren kleinen Kindern entwickelt. Das hier untersuchte Quellenmaterial – deutschsprachige Trostschriften für Eltern, deren Kinder früh gestorben sind – zeugt vom Gegenteil. Die Texte stammen aus dem lutherischen Kontext, teils aus Leichenpredigten, teils aus den Gedichtsammlungen Paul Flemings (1609-1640), Poeta laureatus aus dem Umfeld Martin Opitz’, und Magarethe Susanna von Kuntsch (1651-1717), die innerhalb von 23 Jahren 13 ihrer 14 Kinder direkt bei der Geburt oder im Kleinkindalter verlor. – Conrad 326 Merry Wiesner-Hanks: Gender and the Reformation, in: Archiv für Reformationsge- schichte 100 (2009), 350-365. – Forschungsbericht. – Grund 327 Cornelia Niekus Moore: Der Bücherschatz der Elisabeth Juliane von Braunschweig- Wolfenbüttel als Beispiel einer Frauenbibliothek des 17. Jahrhunderts, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 35, 2008. – Wilhelmi

5. Begegnung mit nichtchristlichen Religionen

5.1 Judentum 328 Dean Philip Bell and Stephen G. Burnett (Ed.): Jews, Judism, and the Reformation in Sixteenth-Century Germany. (Studies in Cetral European Histories; XXXVII). Leiden, Boston: Brill, 2006. xxxi, 572 Seiten, gebunden, hardcover. – Das Verhältnis der Reformati- on, insbesondere ihrer deutschsprachigen Ausprägung, wird häufig auf der Basis der massiv antijudaistischen Traktate der christlichen Theologen des 16. Jahrhunderts und sodann im Schatten des nationalsozialistischen Genozids untersucht. Der Schatten der jüngeren deut- schen Geschichte hat dabei sowohl die Frage nach einem nachweisbaren Traditionszusam- menhang als auch des Verhältnisses von Antijudaismus und Antisemitismus verdrängt. Auch wenn es den Herausgebern bei der Auswahl ihrer Kontributoren nicht ganz gelungen ist, die kleinteilige Paraphrase von Texten durch eine Interpretation im Gesamtzusammen- hang zu ersetzen, bietet die Bandbreite der in diesem Sammelband zugänglich gemachten Beiträge – erstmalig? – die Möglichkeit auf Kontinuitäten und Parallen zu achten und weder die Epochengrenze zwischen Mittelalter und früher Neuzeit noch die konfessionellen Demarkationslinien die Wechselbeziehung zwischen Autoren, Argumenten, Motiven und Motivzusammenhängen aus dem Blick zu verlieren. Die Herausgeber formulieren den Gesamteindruck der Beiträge pointiert in ihrem Vorwort, wonch „the essays in this volume suggest that the Juwes did participate in the German Reformation.“ Diese zugespitzte Sentenz lässt zahlreiche, sehr viel weiterführende Ergebnisse des Bandes aus dem Blick geraten. Es geht ja eben nicht nur darum, den Juden ihren Platz im Kontext des Reformati- Begegnung mit nicht-christlichen Religionen 92 onsgeschehens zuzuweisen, sondern ihre unübersehbare Bedeutung für die abendländische Christentumsgeschichte in der Zeit zwischen Spätmittelalter und Neuzeit näher zu be- schreiben. – Im Sinne dieser, nicht näher erklärten Fokussierung auf das Reformationsge- schehen wird auch die Gliederung pronounciert in I. Road to Reformation, II. Reformers and the Jews, III. Representations of Jews and Judaism, und IV. Jews, Judaism, and Jewish responses to the Reformation vorgenommen. Diese thematische Fokussierung mag helfen, inhaltliche Kohärenz herzustellen, aber im Sinne einer, wenn denn nicht vorurteilslosen, so doch einer der Mehrdimensionalität der zu untersuchenden Verhältnisse bewussten Vorge- hensweise kann diese Konzentration nicht goutiert werden. Freilich lösen sich einzelne Beiträge aus der zielgerichteten Perspektive und bieten weiteres Material zum Verhältnis von Christen und Juden an. – Der erste Abschnitt behandelt die spätmittelalterliche Situati- on: Erika Rummel skizziert das Verhältnis von Johannes Reuchlin und Erasmus von Rotter- dam zu Repräsentanten und Prägungen des nordalpinen Judentums ihrer Zeit. Christopher Ocker thematisiert einen „idealized anti-Judaism“ der spätmittelalterlichen Predigt anhand der Beispiele von Nicholas von Dinkelsbühl, Wien, und Peter Schwarz, Regensburg. – Im zweiten Teil kommen die führenden Repräsentanten der Reformation zu Wort: Martin Luther (Thomas Kaufmann), Philipp Melanchthon (Timothy Wengert), Martin Bucer (R. Gerald Hobbs), Ulrich Zwingli (Hans Martin Kirn), Johannes Calvin (Achim Detmers), Andreas Osiander (Joy Kammerling), katholische Reformtheologen (Robert Bireley SJ), und die nonkonformen und dissidenten evangelischen Gruppen (Michael Driedger). Die Beiträge sind unterschiedlich in Quantität und Qualität. Sie setzen zudem auch unterschiedliche Akzente. Während Kaufmann beispielsweise auch die Wirkungsgeschichte der lutherischen antijüdi- schen Polemik beachtet, konzentrieren sich andere auf eine solide Paraphrase und Einord- nung der einschlägigen Schriften. – Für die meisten Reformationshistoriker dürfte der dritte und vierte Teil des Bandes die größten Überraschungen und Neuigkeiten bieten. Zunächst werden Repräsentationen des Judentums in Büchern, Bildern und deskriptiven Texten dokumentiert. Maria Demling wendet sich dem äußerst einflußreichen Buch „Der ganze jüdische Glaube“ des Konvertiten Anthonius Margaritha zu, Yaacov Deutsch thematisiert gleichsam ethnographische Studien zu jüdischen Zeremonien und Gebräuchen verschie- denster Autoren, Petra Schöner stellt Bildzeugnisse vor und Edith Wenzel sucht nach Judenbe- schreibungen in der Literatur des 16. Jahrhunderts. Bei allem vorgestellten Material handelt es sich mehrheitlich um Zeugnisse, die der antijüdischen Tendenz zum Zwecke der besse- ren Information, zu Missionbemühungen oder schlicht polemischer Abgrenzung verfasst wurde. Gleichwohl – es ist gut, dass diese Texte vermehrt von Vertretern der jüdischen Wissenschaft analysiert werden und nicht erneut von Reformationshistorikern mit der ihnen zumeist eignenden christlich-europäischen Perspektive. – Teil IV endlich wendet sich Zeugnissen des Judentums zu, welche Bezug auf das Reformationsgeschehen nehmen: Dean Philipp Bell untersucht jüdische Warhnehmungen des politischen Geschehens, Elisheva Carlebach stellt jüdische Antworten auf die reformatorische Polemik vor, Jay Berkovitz skiz- ziert Formen des jüdischen Gesetzes und der Ritenpflege und Stephen G. Burnett untersucht die jüdische Drucktätigkeit im 16. und frühen 17. Jahrhundert. – Eine Auswahlbibliographie sowie Register zu Sachen, Personen und Bibelzitaten runden den Band ab und lassen ihn als wichtiges Handwerkszeug der nun erst recht dringenden künftigen Beschäftigung mit diesem Thema unentbehrlich werden. – Wriedt 329 Herman P. Salomon: Spanish Marranism Re-examined, in: Sefarad 69 (2009), 131-158 (5. Teil). – Der letzte in einer Folge von mehreren Aufsätzen (vgl. ARG.L 37 (2008), Nr. 696 und 38 (2009), Nr. 328), in welchen der Autor die von vielen Forschern angenommene Existenz von marranos (heimlich praktizierende Juden, die sich als Christen ausgaben) in den neukastilischen Orten Quintanar de la Orden und Alcázar de San Juan fundamental in 93 Judentum Frage stellt. Die Verhörprotokolle der Inquisitionstribunale von Toledo und Cuenca, die zwischen 1486 und 1624 bei Angehörigen der Familien Villanueva und Mora marranos entdeckt zu haben meinte, liefern nach Meinung des Autors keinerlei Beweise für eine mündlich tradierte jüdische Tradition. Die völlig zufällig wirkenden detaillierten Angaben verhörter marranos gekoppelt mit unerklärlichen Lücken in ihrem Wissen über das Juden- tum seien nur aus der plötzlichen Verfügbarkeit gedruckter Quellen und nicht aus einer intakten mündlichen Überlieferung zu erklären. – Buckwalter 330 Christian Zendri: Lutero „canonista“. A proposito del „Von den Juden und ihren Lügen“ = Luther als „Kanonist“: Bemerkungen zur Abhandlung „Von den Juden und ihren Lügen“, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento = Jahrbuch des italienisch- deutschen historischen Instituts in Trient 34 (2008), 157-173. – Grund 331 Christian Wiese: „Let his Memory be Holy to Us!”: Jewish Interpretations of Martin Luther from the Enlightenment to the Holocaust, in: Leo Baeck Institute Year Book 54 (2009), 93-126. – Grund 332 Martha Keil, Barbara Staudinger, Abraham David: Aus der „heiligen Gemeinde Schweinburg“. Eine hebräische Chronik aus dem frühneuzeitlichen Niederösterreich, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 80, 2009, 4-16. – Veror- tung und Edition mit ausführlichem Sachkommentar der Chronik aus Groß-Schweinbart, NÖ. Izchak bar Mordechai, der Verfasser, berichtet in seinem Werk über das jüdische Leben im Viertel unter der Enns zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Der in der UB Leipzig aufbewahrte Text wird auch im hebräischen Original abgedruckt. – M.Fuchs 333 Don Harrán: A Tale as Yet Untold: Salamone Rossi in Venice, 1622, in: Sixteenth Century Journal 40 (2009) 4, 1091-1107. – Salamone Rossis Venedigaufenthalt 1622, seine Zusammenkunft mit Rabbi Leon Modena und der Dichterin Sarra Copia Sulam sowie deren Einfluss auf Rossis „Hohelied“-Sammlung hebräischer Lieder und Gesänge, Hashirim asher lishlomo, erstmals herausgegeben 1623 in Venedig bei Pietro und Lorenzo Bragadini. – Grund 334 Philip Almond: Thomas Brightman and the Origins of Philo-semitism: An Elizabe- than Theologian and the Restoration of the Jews to Israel, in: Reformation & Renaissance Review 9 (2007) 1, 3-25. – Grund 335 Debra Kaplan, Magda Teter: Out of the (Historiographic) Ghetto: European Jews and Reformation Narratives, in: SIxteenth Century Journal 40 (2009) 2, 365-394. – Grund 336 Aya Elyada: Protestant Scholars and Yiddish Studies in Early Modern Europe, in: Past & Present 203 (2009), 69-98. – Beschäftigung protestantischer Theologen mit dem Jiddischen vor dem 18. Jahrhundert vor allem, um jüdischen Aberglauben und theologische Irrtümer aufzuzeigen, erst mit dem Pietismus beginnende wissenschaftliche Auseinander- setzung mit der Sprache und den Inhalten jiddischer Literatur und Überlieferung. – Grund

5.2 Islam

337 Tijana Krstić: Illuminated by the Light of Islam and the Glory of the Ottoman Sulta- nate: Self-Narratives of Conversion to Islam in the Age of Confessionalization, in: Comparative Studies in Society and History 51 (2009) 1, 35-63. – Analysiert fünf autobio- graphische Konversionsberichte, verfasst zwischen 1556-1710, von gebildeten Konvertiten aus Konstantinopel / Istanbul, deren rhetorische Muster sich auch allgemein in katholisch- protestantischen, muslimisch-christlichen oder Sunni-Shi'a-Streitschriften dieser Zeit wie- derfinden. – Grund Begegnung mit nicht-christlichen Religionen 94 338 Peter A. Mazur: Combating „Mohammedan Indecency“: The Baptism of Muslim Slaves in Spanish Naples, 1563-1667, in: Journal of Early Modern History 13 (2009), 25-48. – Nachtridentinische Konversionserfolge in Neapel bei muslimischen Sklaven hatten Rechtsstreitigkeiten über den Status dieser Menschen zu Folge, deren christliche Eigentü- mer ihre Konversion nicht als Verpflichtung ansahen, sie freizulassen. – Grund 339 Peter Burschel: Verlorene Söhne. Bilder osmanischer Gefangenschaft in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung / Beiheft 42 (2009), 157-182. – Bilder von Christen in osmanischer Gefangenschaft aus Flugschriften v.a. 1570 – 1600 und Berichte ehemaliger Gefangener, die von Erniedrigung und außerordentlicher Grausamkeit der Sieger gegenüber ihren Gefangenen berichten, Schilderung der Gefangenschaft bei den Heiden als Strafe Gottes für die zuvor begangenen Sünden, Analogien von Befreiungser- zählungen zur Errettung Daniels aus der Löwengrube, heilsgeschichtlich sinnvolle Interpre- tationen in Bild und Text. – Grund 340 Jane Tolbert: Ambiguity and Conversion in the Correspondence of Nicolas-Claude Fabri de Peiresc and Thomas D'Arcos, 1630-1637, in: Journal of Early Modern History 13 (2009), 1-24. – Briefwechsel zwischen Fabri und dem nach seiner Entlassung aus der Ge- fangenschaft in Tunis zum Islam konvertierten D'Arcos, der als Informant über nordafri- kanische Verhältnisse diente und sich nicht mehr von einer Rekonversion zum Katholizis- mus überzeugen ließ. – Grund

6 STAAT: VERFASSUNG, VERWALTUNG, RECHT

341 Helmut Neuhaus: Zur politischen Kultur in der Frühen Neuzeit, in: Rechtsgeschichte 15 (2009), 97-108. – Grund 342 Benita Berning: „Nach alltem löblichen Gebrauch“. Die böhmischen Königskrönun- gen der Frühen Neuzeit (1526-1743) (Stuttgarter Historische Forschungen 6). Köln, Wei- mar, Wien: Böhlau Verlag, 2008. VIII, 264 Seiten, kartoniert. – Berning untersucht aus „kulturwissenschaftlicher Perspektive“ (7) die böhmischen Königskrönungen, die im Zeit- raum von 1526 bis 1743 stattfanden. Böhmen stelle wegen seiner „spezifischen ethnischen wie politischen Situation ein besonders aufschlussreiches Untersuchungsfeld dar“ (2). Als „Basis dieser Untersuchung“ (5) wird eingangs ein Fragenkatalog formuliert: Darstellung von Herrschaft in der böhmischen Krönungszeremonie; Versuche der Habsburger, die Legitimität ihrer Herrschaft in Böhmen in der Krönung zu manifestieren; Veränderungen des alten böhmischen Krönungsordo oder Kontinuität; Wahl der böhmischen Stände und Böhmen als ererbter Besitz, Betonung des Übergangs vom Wahl- zum Erbkönigtum nach 1619. Die Arbeit versucht auf der Grundlage eines breiten (deutsch-, tschechisch-, italie- nisch-, lateinischsprachigen) Quellenspektrums, diese Fragen zu beantworten. Daran orien- tiert sich die Darstellung in neun Kapiteln: I. Einleitung; II. Krönung: Grundlagen; III. Die Krönung in Böhmen vor den Habsburgern; IV. Vom Regierungsantritt der Habsburger zum Vorabend des Krieges: Ferdinand I. (1526) bis Ferdinand II. (1617); V. Kontinuität statt Stiftung neuer Traditionen: Friedrich von der Pfalz (1619); VI. Betonung der Erblich- keit und barockes Schauspiel: Ferdinand III. (1627) bis Maria Theresia (1743); VII. Die Rezeption der Krönungen durch Zeitgenossen am Beispiel Ernst Adalbert von Harrachs, Erzbischof von Prag (1627, 1646, 1656); VIII. Entwicklung der Herrschaftsinszenierung in den bildlichen Medien; IX. Zusammenfassung. Dem schließen sich ein englisches Summary (X.) sowie mehrere Verzeichnisse (XI.) an, darunter auch ein lobenswertes Personen- und 95 Staat, Verfassung, Recht Ortsregister. – Die Untersuchung ist eingebettet in das moderne Forschungsthema „symbo- lische Kommunikation“ und den darüber geführten Diskurs über Symbol, Ritual und Ze- remoniell (15-24, 225, 229). Insgesamt wurden elf Krönungen analysiert und verglichen. Dabei konnte die Krönung „als kultureller Akt von hohem symbolischem Gehalt entschlüs- selt“ werden (225). Des weiteren wurden auch die mit der Krönung verbundenen „Rah- menfeierlichkeiten“ in einen größeren Kontext eingeordnet. Berning kann nachweisen, dass sich die politische Stellung der Stände bei den untersuchten Krönungen veränderten – am augenfälligsten zugunsten der Stände bei den Krönungen Ferdinands I. und Friedrichs von der Pfalz; abschwächend nach 1620. Im Ablauf der Krönungen kam es „immer wieder zu kleineren Änderungen“, die Berning auf die jeweils aktuelle politische und/oder kirchliche Situation zurückführt (226). Bei alldem sei das Krönungsritual jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt oder gar geändert worden. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde im wesent- lichen der von Karl IV. stammende böhmische Krönungsordo praktiziert. Das gelte auch für die spannungsgeladene Periode vor 1620, in welcher die Konkurrenz der Glaubensrich- tungen politisch stark wirkte, auf den Krönungsordo jedoch keinen erkennbaren Einfluss hatte. Insgesamt sei darin der hohe Stellenwert der Krönung zu erkennen. Offenbar haben auch die evangelischen Ständemitglieder in der Krönung nicht ein betont katholisches Zeremoniell, das evtl. zu scharfen Gegenreaktionen herausgefordert hätte, gesehen. Aller- dings sollten, so Berning, dazu weitere Forschungen angestellt werden, um dadurch evtl. auch zu weiteren Erkenntnissen über das protestantische Selbstverständnis in Böhmen zu gelangen. – Auch nach der „Vernewerten Landesordnung“ von 1627 behielt die Krönung ihre enorme Bedeutung. Gleichwohl verlor sie ihre „rechtsstiftende Funktion“ (228). Sie blieb jedoch weiterhin unverzichtbares Element der Herrschereinsetzung. Die Krönung hatte darüber hinaus noch weitere Funktionen – etwa die Vermittlung politischer Realitäten, programmatischer Ansprüche (Regierungsprogramme) sowie eines bestimmten Selbstver- ständnisses des Gekrönten und der ihn favorisierenden politischen Kräfte. Hierbei spielten auch die Feierlichkeiten um die Krönung eine wichtige Rolle. Den Personen, die mangels Anwesenheit die Krönung nicht unmittelbar miterleben konnten, begegnete man mit schriftlich verfassten Krönungsberichten, mit der Ausgabe und Verteilung von Krönungs- münzen und -medaillen u. a. Diese Gegenstände dienten als „Multiplikatoren“, um die jeweilige Krönung in breiter Öffentlichkeit bekannt zu machen. Berning kommt letztlich zu dem zutreffenden, freilich nicht ganz überraschenden Schluss, dass die Krönungen „nicht bloß oberflächliche, verschwenderische Feste“ waren, sondern „in ihrer symbolischen Form die damalige Gesellschaft“ repräsentierten (230). – Lück. 343 Holger Erwin: Machtsprüche. Das herrscherliche Gestaltungsrecht „ex plenitudine potestatis“ in der Frühen Neuzeit (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte 25). Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2009. XXV, 333 Seiten, kartoniert. – Die Tübinger jur. Diss. von 2007, initiiert und betreut von Jan Schröder, behandelt eine wichtige rechtsgeschichtli- che Kategorie („zentrales Problemfeld der Rechtsgeschichte“ – 1) zwischen Normenbin- dung und herrscherlich-vollkommener Gewalt. Der „Machtspruch“ ist insbesondere in der Zeit der Aufklärung negativ bewertet worden und bestimmt in dieser Konnotation noch heute den Blick auf die damit verbundenen Phänomene (Absolutismus, „Kabinettsjustiz“, „Willkür“). Eine unbefangene kritische Bestandsaufnahme und analytische Durchdringung der „Machtsprüche“ bei Anwendung moderner rechtsgeschichtlicher Methoden ist daher sehr zu begrüßen. Der Autor gliedert seine Untersuchung wie folgt: In einer Einleitung werden Forschungsstand und Forschungsdefizite, Aufgaben, Methoden und Grenzen der Arbeit sowie der Gang der Untersuchung offen gelegt (1-8). In einem ersten Teil fragt der Autor „Was ist ein Machtspruch? Begriffliche und verwendungsgeschichtliche Grundlagen“ (9-34). Auch der zweite Teil ist mit einer treffenden Frage überschrieben: „Wie wurden Recht 96 Machtsprüche rechtlich gewürdigt?“ (35-265). Daraus folgt mehr oder weniger konsequent die fragende Überschrift des dritten (zusammenfassenden) Teils: „Wie sind Machtsprüche rechtshistorisch zu würdigen?“ (266-280). Wie schon am Umfang leicht erkennbar bildet der zweite Teil das Herzstück der Untersuchung. – Erwin erkennt zutreffend, dass das Phänomen lange Zeit auf den „Müller-Arnold-Prozeß“ (1789) als „Prototyp mit dem Be- griff des Machtspruches“ fixiert wurde (2). Als seine Aufgabe sieht Erwin unter Rückgriff auf M. Stolleis die dogmatische Durchdringung und Systematisierung des zu untersuchen- den Phänomens durch die Analyse der zeitgenössischen juristischen Literatur (5). Der Untersuchungszeitraum wird mit dem 12. Jahrhundert und dem Ende des Alten Reiches abgesteckt. – Im ersten Teil folgt eine sehr aufschlussreiche Wiedergabe der modernen Begriffe des „Machtspruchs“, allen voran die Definition von Werner Ogris im Historical Research G 3 (1984): „Eingriff des Monarchen in die Rechtspflege …“ (9 f.). Weitere Definitionen (E. Bussi, G. Köbler) werden dem zur Seite gestellt. Fruchtbar sind mehrere Umschreibungen des Begriffs in der zeitgenössischen Literatur (17.-19. Jahrhundert), so bei Ph. Müller, J. F. Rhetius, G. W. Sacer, J. J. Moser, Ch. G. Biener u.v.a. Auf dieser Grundla- ge kann der Autor überzeugend relativ feststehende, weil immer wieder aufscheinende, „Tatbestandsmerkmale“ des „Machtspruchs“ gewinnen: 1. „Person des Handelnden“, 2. „der dem Handeln zugrundegelegte Machttitel“, 3. „die Abweichung des Handelns von einem Normalverfahren“, 4. „die Justizbezogenheit des Handelns“ und 5. „seine Natur als Einzelfallentscheidung“ (15). Anhand dieser Merkmale kann Erwin die historisch überlie- ferten Begriffe und Fälle relativ einheitlich analysieren und einordnen. Als Zwischenergeb- nis gewinnt er die Arbeitsdefinition „Ein Machtspruch ist die Einzelfallentscheidung einer Person oder Institution, die einen absoluten Machttitel in Anspruch nehmen kann, die aufgrund dieses höchsten Machttitels erlassen wird und im jeweiligen Kontext anerkannte Rechtsregeln außer Kraft setzt.“ (23). Es folgen belegende und auch gut überzeugende Ausführungen zur Verwendungsgeschichte des Wortes „Machtspruch“ und seiner Syno- nyme. – Der umfangreiche zweite Teil geht der Würdigung der „Machtsprüche“ in den rechtsgeschichtlichen Quellen, einschließlich der jeweils zeitgenössischen Literatur, nach. Der dritte Teil bringt das Fazit der umfassenden Untersuchung. Der Autor stellt folgerich- tig fest, „dass die Rechtslehre von Machtsprüchen … einen wertvollen und bislang in der (Rechts)historie zu Unrecht nicht beachteten Gradmesser für die theoretische Akzeptanz und praktische Durchsetzung absolutistischer Herrschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Herrschaftsgebiet darstellt.“ (266). – Weiter resümiert er, dass „sich Machtsprüche bis heute zu Unrecht mit landesherrlichen Eingriffen in die Unabhängigkeit der Justiz … verbinden.“ (266). – Die Divergenz zwischen „Machtspruch“ und „Rechts- spruch“ wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert gesehen. Von ihrer Funktion her waren „Machtsprüche“ „…das juristische Instrument zur Umsetzung des absolutistischen An- spruchs, die Rechtsordnung… nach eigenem Willen gegen den bestehenden Rechtszustand und insbesondere gegen die bestehenden subjektiven Rechte der Untertanen gestalten zu können“ (267). Ferner kann der Autor zwei Systeme der Einschränkung von „Machtsprü- chen“ ausmachen: Das eine System beruht auf der das römische Recht bemühenden Argu- mentation (Lehre von der plenitudo potestas und den Schranken derselben); das andere System entspringt dem Verfassungsrecht der frühen Neuzeit, welches die Unterbindung der herrscherlichen Eingriffe verfolgte. – Dem Band ist im Anhang eine Übersicht über kaiser- liche Direktbefehle und Avokationen gegenüber dem Reichskammergericht unter Maximi- lian I. beigefügt (281-289). Am Schluss steht das Quellen- und Schrifttumsverzeichnis (291- 333). – Lück. 97 Staat, Verfassung, Recht 344 Peter Oestmann (Hg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit. Forschungen zum vor- modernen Zivilprozess (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56). Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2009. XIII, 342 Seiten, kartoniert. – Der Sammelband beruht auf einer Tagung der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, welche 2007 in Wetzlar stattfand. Die ersten beiden Beiträge sind mit „I. Annäherungen“ überschrieben. Der Hg. thematisiert ausführlich und kritisch den Gegenstand des Diskurses und die damit verbundenen Probleme: Peter Oestmann: Die Zwillingsschwester der Freiheit. Die Form im Recht als Problem der Rechtsgeschichte (1-54). In Anknüpfung an das Jhering-Zitat „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkühr, die Zwillingsschwester der Freiheit“ erarbeitet der Autor eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschungen zur Rolle der Form im Gerichtsverfahren. Er kann überzeugend verdeutlichen, dass mehrere populäre und als fundamental angesehene Aussagen der rechtshistorischen Literatur über die existentielle Bedeutung der Form im Recht und im Verfahren nicht zutreffend sind. Er diskutiert das Problem vor dem Hintergrund der einschlägigen Literatur und ausgewählter Quellen für verschiedene Epochen der Rechtsgeschichte: sog. germanisches Recht, hohes Mittelalter, Spätmittelalter, frühe Neuzeit. Daraus geht hervor, dass die Form in allen Epo- chen eine Rolle spielte, aber doch durchaus unterschiedliche Wirkungen, vor allem im Falle ihrer Missachtung, hatte. Die traditionell betonte Formstrenge des mittelalterlichen Prozes- ses wird erheblich relativiert („Das Mittelalter ist womöglich formfreier als man denkt, die Neuzeit womöglich durch stark formalisiertes Verfahrensrecht gekennzeichnet.“ – 53). Zu recht wird auf das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit an der Schwelle zur frühen Neuzeit aufmerksam gemacht, das die Möglichkeit bot, alte Formen zu verlassen, zu bestätigen, zu variieren und neue Formen einzuführen. Davon ausgehend fordert der Ver- fasser ein Aufgreifen des Problems unter moderner Herangehensweise, was mit den nach- folgenden Beiträgen bereits in beträchtlichem Maße realisiert wird. – Die vorwiegend rechtsgeschichtliche Fragestellung wird gleich am Anfang sehr hilfreich mit Betrachtungen zum geltenden Recht in Verbindung gebracht: Joachim Münch: Richtermacht und Formalis- mus im Verfahrensrecht (55-103). – Alle weiteren Beiträge (zunächst unter „II. Studien zum frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren“) sind freilich rechtsgeschichtlich angelegt. So legt Bernhard Diestelkamp in seinem Beitrag „Beobachtungen zur Schriftlichkeit im Kameralpro- zess“ (105-115) dar, dass es im Verfahren beim Reichskammergericht durchaus mündliche Elemente gab, welche das hauptsächlich schriftliche Verfahren ergänzten. Die Unterschiede formaler Aspekte beim Reichshofrat und beim Reichskammergericht arbeitet Eva Ortlieb heraus: „Das Prozessverfahren in der Formierungsphase des Reichshofrats (1519-1564)“ (117-138). Diese werden mit den unterschiedlichen Charakteren der beiden höchsten Reichsgerichte erklärt. Die Wortwahl „Prozessverfahren“ erschließt sich dem juristisch gebildeten Leser freilich nicht, werden doch „Prozess“ und „Verfahren“ in der Rechtswis- senschaft synonym verwendet. Steffen Schlinker handelt über „Die Litis Contestatio im Kameralprozess“ (139-164), welche ein Jahrtausende altes zentrales Prozessrechtsinstitut darstellt. Auch er weist differenzierte Wandlungen in der Form nach. Filippo Ranieri unter- sucht unter dem Titel „Entscheidungsfindung und Begründungstechnik im Kameralverfahren“ (165-190) die am Reichskammergericht angefertigten Aktenrelationen hinsichtlich ihrer Struktur und ihres Aussagewertes für die formelle Seite des Verfahrens. – Barbara Stollberg-Rilinger beleuchtet in ihrem Beitrag „Die Würde des Gerichts. Spielten symbolische Formen an den Höchsten Reichsgerichten eine Rolle?“ (191-216) die Rituale und Symbole, welche seit ältesten Zeiten bis heute mit dem Gericht verbunden sind. Im Zentrum der Betrachtungen stehen freilich dem Profil des Bandes entsprechend das Reichskammergericht und der Reichshofrat. Dass die höchsten Reichsgerichte in ihrem Selbstverständnis großen Wert auf Formalia bei ihrer Anrufung legten, führt Steffen Wunder- Recht 98 lich in seinem Aufsatz „Habsburgische Exemtionsansprüche in der Judikatur des „Kaisers und des Reichs Kammergerichts“ (217-246) aus. – Die europäische Perspektive eröffnet mit Blick auf Spanien Ignacio Czeguhn mit seinem Beitrag „Der spanische Zivilprozess“ (247- 265). Den formalen Seiten des Prozesses französischer Prägung im frühen 19. Jahrhundert ist die Studie von Alain Wijffels „La forme emporte le fond. Temperate Formalism in the Pre-Enactment Discussions of the Napoleonic Code of Civil Procedure (1806)” (267-291) gewidmet. Chronologisch schließt sich eine Analyse der weiteren Entwicklung im 19. Jahr- hundert an, die Hans-Peter Haferkamp unter dem Titel „Fortwirkungen des Kameralpro- zesses im gemeinen Zivilprozess des 19. Jahrhunderts“ (293-310) vornimmt. Die beiden letzteren Beiträge sind dem Themenkomplex „III. Ausblick ins 19. Jahrhundert“ zugeord net. Der Band schließt mit einem Autorenverzeichnis (311-312) und sehr hilfreichen Regis- tern (313-342): Rechtsquellen-, Orts-, Personen- und Sachregister. – Lück. 345 Christine Schedensack: Nachbarn im Konflikt. Zur Entstehung und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten um Haus und Hof im frühneuzeitlichen Münster (Quellen und For- schungen zur Geschichte der Stadt Münster, N. F. 24). Münster: Aschendorff, 2007. VIII, 237 Seiten, kartoniert – Die unter der Ägide von Peter Johanek 1999 fertig gestellte Müns- teraner phil. Diss. behandelt Konflikte zwischen Nachbarn in der Stadt Münster während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nach einer Einführung (1-32) werden in zwei Sach- kapiteln (II., III.) „Strukturelle Rahmenbedingungen der Scabinalprozesse“ (33-79) und „Umgang mit Konflikten“ (80-184) gründlich analysiert und bewertet. In einem weiteren Abschnitt werden die „Ergebnisse der Konfliktanalyse“ ausführlich zusammengefasst (185- 209). Beigefügt sind ein Anhang (210-234) und ein Namensregister (235-237). Letzteres enthält ausschließlich Personennamen. – In der Einführung werden das zentrale Problem der Untersuchung (Nachbarrecht, Konflikt und Kommunikation), der Aufbau der Arbeit, die Quellengrundlage, die kommunikationstheoretischen Grundlagen, die konflikttheoreti- schen und rechtssoziologischen Grundlagen sowie die Streitobjekte vorgestellt. Das am Anfang des Buches geschilderte Bild von den die friedliche Nachbarschaft in der Stadt störenden Schweinen macht deutlich, worum es der Verfasserin geht: um die Entstehung, Struktur und Lösung von Konflikten, die sich zwischen „mehr oder weniger zufällig neben- einander wohnende(n) Personen“ ergeben, – die sog. „nachbarrechtlichen Konflikte“ (1). Quellengrundlage bildet ein Bestand im Stadtarchiv Münster – die „Acta Scabinalia“ (insges. 95 „Scabinalakten“ mit 38 Fällen in 60 verschiedenen Prozessakten [7]). Die Verfasserin definiert ihre „Untersuchung nachbarrechtlicher Streitigkeiten auf der Grundlage von Gerichtsakten“ als „eine Untersuchung kommunikativen Handelns“ (11). Die Streitgegen- stände benennt die Verfasserin mit der Verunreinigung oder unbefugten bzw. missfallenden Benutzung der „sode“ (schmaler Gang zwischen benachbarten, mit dem Giebel der Straße zugewandten Häusern). Dazu gehörten auch das Entleeren des Nachtgeschirrs, die Nut- zung der „sode“ als Toilettenplatz, das Betreten bzw. Passieren mit Vieh oder Mist, Ver- schmutzung durch Abfälle und Abwässer. Gleiches traf auf die Hinterhöfe zu, auf denen diverse Wirtschaftsgebäude (Ställe, Schuppen, Remisen) und Aborte (Secrete) standen. Insbesondere waren es Aborte und Schweineställe, die einen intensiven Gestank verbreite- ten, so dass sich die unmittelbaren Nachbarn erheblich belästigt fühlen mussten und Besei- tigung bzw. einen hinreichenden Abstand von ihrem Grundstück verlangten. Auch die Zugänge zu den Brunnen, die sich regelmäßig auf den Höfen befanden, gaben oft Anlass zu Streitigkeiten. Ferner stritt man um die nachbarlich-verträgliche bauliche Gestaltung von Fenstern, Türen, Zäunen und Mauern, die gelegentlich die Frischluftzufuhr und den Licht- einfall des jeweiligen Nachbarn einschränkte. – Im ersten Sachkapitel (II.) behandelt die Die Verfasserin u. a. die Rahmenbedingungen, unter denen die Konflikte entstanden und ausge- tragen worden sind. Dazu gehört zunächst das Verfahren vor den Münsteraner Schöffen 99 Staat, Verfassung, Recht nach der Münsteraner Polizeiordnung. Dieses wird detailliert als ein an bestimmten Schöf- fentagen ausgetragenes Schlichtungsverfahren beschrieben und charakterisiert. Gelang die Schlichtung nicht, konnte vor dem Rat Klage erhoben werden. Daran schließt sich die Analyse der Prozesse im kommunikativen Kontext an, die sich auch in der Produktion von Gerichtsakten ausdrückt. – Neben den normativen Rahmenbedingungen des Prozessrechts wird zu recht ausführlich das materielle Baurecht behandelt. Eine Vielzahl von Streitigkei- ten ging aus bestimmten Baumaßnahmen hervor. Dieser Abschnitt gelingt trotz spröder Quellenlage anschaulich und überzeugend. Ausgewertet werden neben der Münsteraner Polizeiordnung von 1740 die Statuten von Bocholt, Coesfeld und Warendorf (14.-16. Jahr- hundert), die einschlägige Bauvorschriften enthalten. Hinzu gestellt werden überregionale Bauvorschriften (Frönsperger, Pegius), die das Bild vom Baurecht des 17. Jahrhundert vervollständigen. Die Bauvorschriften werden ergänzt durch privatrechtliche Regelungen, deren grundlegende Institute ebenfalls erörtert werden: Servituten, Gestattung von Ver- günstigungen, schuldrechtliche Verträge. – In dem darauf folgenden Kapitel (III.) wird ausführlich und tiefgründig der Umgang mit Konflikten dargestellt. Breiten Raum nehmen die Bemühungen um Konfliktvermeidung, die gütliche Konfliktbeilegung, darunter auch die wichtige „institutionalisierte Vermittlung und Schlichtung“ am Schöffentag, und schließlich die streitige Konfliktaustragung vor Gericht ein. Ausführlich werden Verfahren, Besetzung und Entscheidungsrelevanz des Schöffenkollegiums beschrieben. Besonders interessant sind die Wiedergabe und Bewertung der Argumentationen vor Gericht – geordnet nach typischen „Konfliktfeldern“. – Die „Ergebnisse der Konfliktanalyse“ werden unter IV. gut strukturiert und überzeugend zusammengefasst. Schließlich werden die ermittelten Er- kenntnisse für die Diskussion des Nachbarschaftsbegriffs fruchtbar gemacht; auch auf weitere Forschungsmöglichkeiten dazu wird hingewiesen. – Der Anhang enthält 1) ein Verzeichnis der zu einem „Scabinalfall“ gehörenden Prozessakten, 2) Namen und Berufe der Konfliktgegner und Konfliktorte, 3) Glossar häufig benutzter Spezialbegriffe, 4) Ab- kürzungsverzeichnis, 5) Verzeichnis der Abbildungen und Schaubilder, 6) Quellenverzeich- nis, 7) Gedruckte Quellen und Literatur. – Die Untersuchung stellt eine wertvolle wie ergebnisreiche Mikrostudie zum sozialen und rechtlichen Alltag in Münster während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar, die nicht zuletzt durch ein methodisch anspruchs- volles Herangehen überzeugt. – Lück. 346 Christoph Strohm, Heinrich de Wall (Hgg.): Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit (Historische Forschungen 89). Berlin: Duncker & Humblot, 2009. VIII, 443 Seiten, gebunden – Der Sammelband umfasst die verschriftlichten Referate eines internati- onalen Symposions zu „Jurisprudenz und Konfession in der frühen Neuzeit“, welches 2006 unter Leitung und konzeptioneller Verantwortung der beiden Hgg. in der Johannes a Lasco Bibliothek zu Emden durchgeführt wurde. In seinem einführenden und grundlegenden Beitrag behandelt Christoph Strohm „Konfessionelle Einflüsse auf das Werk reformierter Juristen – Fragestellungen, methodische Probleme, Hypothesen“ (1-32). Als drei methodi- sche Probleme benennt er: Abgrenzungsschwierigkeiten in bezug auf die verschiedenen Konfessionen, Identifizierbarkeit konkreter Juristen mit Zuordnung zu einer bestimmten Konfession, das vollständige oder teilweise Fehlen der Präsenz von theologischen Unter- scheidungslehren in bezug auf die Konfessionen bei Juristen. Die vier Hypothesen, die Strohm formuliert, beinhalten Folgendes: 1. Reformierte und lutherische Juristen können prinzipiell nicht gegenübergestellt werden. Die Unterschiede seien „vergleichsweise gering- fügig und lediglich tendenzieller Art“ (14). Der Vergleich reformierter Juristen mit katholi- schen sei hingegen aussagekräftiger, denn für „reformierte Juristen durchgehend charakte- ristisch ist das Insistieren auf die Freiheit der weltlichen Obrigkeit von kirchlichen Macht- ansprüchen“ (14). 2. Der Kampf gegen Übergriffe der geistlichen Gewalt in den weltlichen Recht 100 Machtbereich wird von den meisten reformierten Juristen zwischen 1550 und 1620 in den „Kontext einer alles bestimmenden Fundamentalauseinandersetzung gestellt“ (18). 3. We- gen der „Kampfsituation rücken reformatorische und humanistische Zielsetzungen aufs engste zusammen“ (22). 4. Die grundsätzliche Übereinstimmung von „biblischer Religion und rechter Vernunft“ habe „eine außerordentlich positive Wirkung auf die Entwicklung der Rechtswissenschaften im protestantischen Deutschland ausgeübt“ (30). Es folgen 16 Beiträge, von denen die meisten hier aus Platzgründen nur aufgezählt werden können: hier beginnt kein neuer Titel, sondern nur die einzelnen Besprechungen…Ich habe die Forma- tierung daher geändert! Isabelle Deflers: Konfession und Jurisprudenz bei Melanchthon (33- 46). Die Verfasserin stellt hier besonders die Einflüsse des Wittenberger Juristen Hierony- mus Schurff auf Melanchthons Rechtsauffassung heraus. Auch auf die Reden Melanchthons über die Gesetzgebung sowie über Bartolus und Irnerius geht sie ein. Als Fazit konstatiert sie, dass Melanchthon insbesondere durch Schurff eine „positive Einstel- lung zum römischen Recht“ gewann (45). Ralf Frassek: „’Diese Meinung ist recht’ – Die Konstituierung eines evangelischen Eherechts in Kursachsen“ (47-67). Der Verfasser be- schäftigt sich mit dem Aufbau einer speziellen Ehegerichtsbarkeit (Wittenberger Konsisto- rium) in Kursachsen und deren Wirksamkeit für die Entwicklung eines evangelischen Ehe- rechts. Dazu dienen u. a. konkrete Fallstudien aus der frühen Wittenberger ehegerichtlichen Praxis. Hans Hattenhauer: „Was die Reformatoren vom Recht sangen“ (69-89). Gegenstand des Beitrages ist eine Konturierung der Inhalte und Funktionen von Kirchenliedern und Gesangbüchern in den unterschiedlichen Konfessionen. – Thomas Maissen: „Souveräner Gesetzgeber und absolute Macht. Calvin, Bodin und die mittelalterliche Tradition“ (91- 113); Robert von Friedeburg: „Bausteine widerstandsrechtlicher Argumente in der frühen Neuzeit (1523-1668). Konfessionen, klassische Verfassungsvorbilder, Naturrecht, direkter Befehl Gottes, historische Rechte der Gemeinwesen“ (115-166); Dieter Wyduckel: „Konfes- sion und Jurisprudenz bei Althusius“ (167-197); Katharina Odermatt: „Konfessionelle Ein- flüsse auf das Berufs- und Amtsverständnis in Althusius’ ‚Politica’“ (199-228); Diego Quaglioni: „Judaism and religious toleration in Althusius“ (229-238); Christian Hattenhauer: „Johannes Althusius, Petrus Ramus und die Systematisierung der kaufrechtlichen Sachmän- gelhaftung“ (239-261); Lucia Bianchin: „Zensur und Reformierte Jurisprudenz in der Frühen Neuzeit“ (263-283); Massimo Meccarelli: „Ein Rechtsformat für die Moderne: Lex und Iurisdictio in der spanischen Spätscholastik“ (285-311); Mathias Schmoeckel: „Die Sünde des Naturrechts aus römisch-katholischer Sicht – Perspektiven einer protestantischen Rechts- quellenlehre“ (313-346); Christoph Link: „Herrschaftsbegründung und Kirchenhoheit bei Hugo Grotius“ (347-364); Merio Scattola: „Jakob Lampadius und die Auseinandersetzung um die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches“ (365-391); Heinrich de Wall: „Theorien der Herrschaftsbegründung und Konfession – zum Zusammenhang von Luthertum und theo- kratischer Theorie“ (393-413); Detlef Döring: „Wirkungen des konfessionellen Denkens auf das juristische Werk Samuel von Pufendorfs“ (415-430). Der Band schließt mit einem Mitarbeiterverzeichnis (431) und einem Personenverzeichnis (433-443). – Lück. 347 Entfällt. 348 Susan Richter: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit: Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 80). Göttigen: Vandenhoeck & Rup- recht, 2009. 541 Seiten. – Die Verfasserin untersucht Fürstentestamente als „Kommunika- tionsmedien“ zwischen den Generationen von Herrscherhäusern. Anhand der Testamente, die auch als selbstreflexive Erfahrungsberichte über das eigene politische Wirken dienten, wird das obrigkeitliche Selbstverständnis der Fürsten analysiert. Im Anhang eine Liste der ausgewerteten Testamente, darunter zahlreiche Testamente der Reformationszeit. – Hasse 101 Staat, Verfassung, Recht 349 Ulrike Ludwig: Das Herz der Justitia: Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548 – 1648 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven; 16). Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2008. 318 Seiten. – In der von der TU Dresden angenommenen Dissertation (2006) wird am Beispiel Kursachsens eine Umbruchphase der vormodernen Justiz untersucht, die sich durch eine Ausdifferenzierung von Straftatbeständen und Strafen, Zentralisierung der territorialen Rechtsprechung und eine zunehmende Monopolisierung und Formalisierung des Gnaden- rechts auszeichnet. Im ersten Hauptteil werden die Rahmenbedingungen des Strafrechtssys- tems dargestellt im Hinblick auf die beteiligten Institutionen, Prozessformen und Strafzu- messung. Auf einer breiten archivalischen Quellengrundlage, die auf einer akribischen Recherche im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden beruht, wird im zweiten Teil die Strafrechtspraxis rekonstruiert. Exemplarisch wird der Straftatbestand der Wilderei unter- sucht, bei dem der Landesherr als Kläger auftrat. Im dritten Hauptteil über Gnadenbitten und Gnadengewährung werden die Kommunikationsbedingungen und Strategien der Gna- dengesuche vorgestellt. Hier werden auch Supplikationen Unbeteiligter mit eigenen finanzi- ellen Interessen analysiert im Hinblick auf Supplikanten, Argumentationen und Gnadenge- währungen. Bei der Bewertung der Begnadigungspraxis werden nicht nur statistische Erhe- bungen zur Masse und zum Maß der Gnadenerweise vorgestellt, sondern es wird auch gezeigt, wie die Gnade in den rechtlichen Normen verankert war. Im Ergebnis wird die Gnadengewährung als ein Akt herrschaftlichen Handelns angesehen, bei dem das Ausmaß der Gnadenpraxis der kursächsischen Landesherren als begrenzt einzuschätzen ist, da die eingereichten Suppliken oft nicht einmal zur Eröffnung eines Supplikationsverfahrens führten. Allerdings wurde jedoch in etwa der Hälfte der untersuchten Fälle dem Gnadenge- such stattgegeben. – Hasse 350 Maria-Elisabeth Brunert (Bearb.): Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück 6 Juni-Juli 1648 (Acta Pacis Westphalicae. Serie III Abt. A Protokolle. 3). Münster: Aschend- orff 2009. XCIII, 570 Seiten, Leinen – Der Band umfasst die kritische Edition von 30 Protokollen, welche die Beratungen des Fürstenrats in Osnabrück während der Monate Juni und Juli 1648 dokumentieren. Dem Editionsteil sind ein Vorwort, eine Übersicht über Archivalien und Handschriften, ein Siglenverzeichnis, ein Verzeichnis der gedruckten Quel- len und Literatur, ein Verzeichnis der Abkürzungen und Zeichen, die editionstechnischen Regeln sowie eine ausführliche Einleitung der Bearbeiterin vorangestellt. Am Ende des Bandes befinden sich ein vorläufiges Personenregister, ein Verzeichnis der Verhandlungsak- ten sowie eine tabellarische Übersicht über die Voten. Als Leittext und Druckvorlage diente das Sachsen-Altenburger Protokoll. Korrespondierende Dokumente aus Bamberg und Pfalz-Neuburg wurden als Varianten einbezogen. – In den Sitzungen wurden schwer- punktmäßig die schwedische Militärsatisfaktion, die Amnestie und Restitution in den kaiser- lichen Erblanden sowie die Direktiven für den Vollzug (Exekution und Assekuration) des Friedens verhandelt. – Die Einleitung bietet einen detaillierten Überblick über den äußeren Rahmen und die wichtigsten Inhalte der Verhandlungen. So werden zunächst die Beratun- gen und Verhandlungen von Mitte Juni bis Ende Juli 1648, stets auch mit Blick auf die Verhandlungen in Münster, vorgestellt. Es handelt sich um die zweite Phase der letzten Beratungsperiode des Fürstenrats Osnabrück. Diese Beratungen waren selbstredend einge- bettet in die konkreten militärischen und politischen Rahmenbedingungen, die anschaulich und detailliert dargelegt werden. Auch die Zusammensetzung des Fürstenrats wird eingangs vorgestellt. – Die schwedische Militärsatisfaktion als ein Hauptgegenstand der Verhandlun- gen, die Satisfaktionsforderungen weiterer Mächte sowie die Beteiligung der Reichsstände an den kaiserlich-schwedischen Verhandlungen werden erörtert. Ferner nimmt die Bearbei- terin darüber hinaus zum Verhältnis zu den Reichsständen in Münster und zu den Gesand- Recht 102 ten Stellung. – Ausführlich wird die Überlieferung der Quellen beschrieben (Protokollfüh- rung und Druckvorlagen, Beschreibung der herangezogenen Protokollserien, fehlende und nicht herangezogene Provenienzen, herangezogene Akten, Einrichtung der Edition). – Jedem Dokument sind die lfde. Nr. der Edition, ein Hinweis auf die jeweilige Sitzung/Bera- tung, Ort, Datum, Wochentag, Uhrzeit des Beginns, Quellennachweis sowie ein kurzes, aber präzises und aussagekräftiges Regest vorangestellt. Im solide gearbeiteten, keinesfalls aufgeblähten, Anmerkungsapparat werden weitere Erläuterungen (Kommentierungen) und Informationen geliefert. Letzterer macht die entsprechenden Wörter und Passagen in den Editionstexten gut verständlich. – Die edierten Texte selbst weisen jeweils am Innenrand der Seite eine Zeilenzählung auf. Die regelmäßig recht umfangreichen Dokumente sind übersichtlich durch Absätze und Kursivdruck aufgelockert und damit gut lesbar. – Haupt- inhalt der Beratungen bildete die Forderung der Schweden nach Militärsatisfaktion in Höhe von fünf Millionen Reichstalern. Diese wurde als Bedingung für den Abzug der Schweden aus verschiedenen Reichsgebieten und die Restitution der besetzten Orte artikuliert. Die Bewilligung durch die Reichsstände erfolgte am 13. Juni 1648. Die Verhandlungen beschäf- tigten sich vornehmlich mit einer eventuellen (jedoch nicht erreichten) Reduzierung dieser Forderung und mit den Realisierungsbedingungen. Die ungünstige militärische Lage von Kaiser und Reich bildete für die Verhandlungen einen nicht unwesentlichen Hintergrund. Bemerkenswert ist, dass die reichsständischen Vertreter parallel zu den Beratungen eigen- ständig mit der schwedischen Seite (Oxenstierna, Salvius) verhandelten. – Auch der Kaiser, der Kurfürst von Bayern, der Kurfürst von Köln, die Landgräfin von Hessen-Kassel und der Herzog von Lothringen machten Forderungen nach Militärsatisfaktion geltend. Über diese Forderungen wurde ebenfalls – teilweise mit Erfolg – intensiv verhandelt. – Neben der reichspolitischen und auswärtigen Perspektive (Schweden, Frankreich) geben die edier- ten Protokolle auch einigen Aufschluss über die Lage mehrerer Territorien des Reiches (etwa des durch den Krieg schwer betroffenen Kurbrandenburg), welche sich mit unter- schiedlichen Positionen in die Verhandlungen einbrachten. – Die Ergebnisse der hier do- kumentierten Verhandlungen stellen wichtige Bausteine für das schon fast fertige Friedens- dokument Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO) dar. Schon in Gestalt der Vereinba- rungen des Kaisers mit den Schweden lagen im März/April 1648 große Teile des IPO vor. Aufgrund der vorliegenden Edition, die höchsten wissenschaftlich-editorischen Maßstäben und zudem benutzerfreundlichen Anforderungen entspricht, kann das Werden und Wach- sen des endgültigen IPO auf dem Wege zu seiner Ratifikation gut nachvollzogen werden. – Lück. 351 Mathias Schmoeckel: Leges et in carmina redigendae sunt. Die Erfindung der Kodifika- tion als Konzept durch Melanchthon und deren Rezeption in katholischen Staaten bis 1811, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126 = kanon. Abt. 95 (2009), 397- 436. – Grund 352 Gottfried Seebaß: Die evangelischen Kirchenordnungen und ihre Bedeutung für das neuzeitlich-europäische Staatsverständnis, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religi- onsgeschichte 3 (2009), 15-28. – Grund 353 Christoph Strohm: Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen, in: Rechtsgeschichte 15 (2009), 14-32. – Abwertung des kanonischen Rechts führt zum Aufschwung des Zivilrechts an protestantischen und reformierten Universitäten, katholische / jesuitische Universitäten bleiben meist gänzlich ohne eigene juristische Fakul- tät hinter dieser Entwicklung zurück. – Grund 354 Christoph A. Stumpf: Die Verfassung des Staats als Verfassung der Kirche. Richard Hooker und Hugo Grotius als Vorläuer des deutschen Territorialismus, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126 = kanon. Abt. 95 (2009), 437-456. – Grund 103 Staat, Verfassung, Recht 355 Merio Scatolla: Demokratievorstellungen in der Frühen Neuzeit, in: Rechtsgeschichte 15 (2009), 77-96. – Demokratiekonzepte von Johannes Althusius, Henning Arnisaeus, Samuel Pufendorf, Ulrik Huber und Michael Christoph Hanov. – Grund 356 Robert von Friedeburg: Lutherische Unverfügbarkeit des Glaubens und Juridifizierung des Naturrechts. Besolds These vom freien Gewissen zu glauben was man will und Staats- zweck und Naturrecht seiner Zeit, in: Rechtsgeschichte 15 (2009), 33-61. – Diskutiert Besolds Herleitung der Glaubensfreiheit aus dem Naturrecht in „De ecclesiastico majestatis iure“ von 1625. – Grund 357 Maria Giuseppina Muzzarelli: Reconciling the Privilege of a Few with the Common Good: Sumptuary Laws in Medieval and Early Modern Europe, in: Journal of medieval and early modern Studies 39:3, 2009, 597-617. – Argues that medieval and early modern sumpt- uary laws deserve more attention. Through a comparative approach between the sumptuary laws enacted in Italy, France, Germany, Spain, and England from the thirteenth to eigh- teenth century, Muzzarelli finds that sumptuary laws helped to benefit the less fortunate by channeling money from the wealthy into charity. – Ninness 358 Michael Becker: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum. Die Wahrneh- mung der korporativen Reichspolitik in juristischen Dissertationen der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126 = kanon. Abt. 95 (2009), 457-92. – Grund 359 Andrea Bendlage, Andreas Priever, Peter Schuster (Hg.): Recht und Verhalten in vormo- dernen Gesellschaften. Festschrift für Neithard Bulst. Bielefeld: Verlag für Regionalge- schichte, 2008. 296 Seiten, kartoniert. – Nicht weniger als 30 Jahre hat Neithard Bulst mit enormer Strahlkraft die Bielefelder geschichtswissenschaftliche Fakultät geprägt. Entspre- chend seinen Arbeitsschwerpunkten haben Weggefährt(inn)en und Schüler(innen) eine ansehnliche Festschrift zu seinen Ehren erstellt. Sie enthält 15 anspruchsvolle Aufsätze, das Schriftenverzeichnis des Jubilars (281-294) und eine Tabula Gratulatoria (295-296). – Den Reigen der Aufsätze eröffnet Heinrich Rüthing mit einer Studie über „Die ‚nola beati Meinulphi’. Zur Geschichte einer der ältesten Glocken Westfalens“ (13-34). Darin geht er dem Alter, der Funktion und dem Nachleben einer kleinen bronzenen Handglocke nach, die (wohl aus dem 12. Jahrhundert stammend) in der katholischen Pfarrkirche St. Jodokus in Wewelsburg (Kreis Paderborn) aufbewahrt und seit Jahrhunderten verehrt wird. Sie gilt als eine der wichtigsten Reliquien des heiligen Meinolf. Bei den Betrachtungen zur Funktion der Glocke im 20. Jahrhundert (Prozessionen) wird durch die Örtlichkeit ein Zusammen- hang mit dem Ausbau der Wewelsburg zu einer SS-Kultstätte während des Nationalsozia- lismus evoziert. Die Prozessionen wurden zu dieser Zeit gestört und verspottet, lebten aber nach 1945 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wieder auf, worauf der Autor konse- quent eingeht. – Jan Keupp befasst sich in seinem Beitrag mit „Verschwendung – Luxus – Kapital. Das Turnier des Hochmittelalters als Beispiel adeliger Ökonomie“ (35-49). Er deutet am Beispiel des Ritters Guillaume le Maréchal das freigiebige Gebaren desselben aus Anlass eines Turniers am Ende des 12. Jahrhunderts, als Verzicht auf Beute und als Indiz für die Infragestellung der gültigen sozialen Ordnung. Dazu waren „beträchtliche Einsätze an ökonomischem und kulturellem Kapital“ erforderlich (48). – Spätmittelalterliche Stadt- chroniken (15. Jahrhundert-frühes 16. Jahrhundert) bilden die Quellengrundlage für die Studie von Peter Schuster „Verbrechen und Strafe in der spätmittelalterlichen Nürnberger und Augsburger Chronistik“ (51-65). Darin macht er die überlieferten Chroniken der bei- den Städte für die Erschließung städtischer Strafrechtspraxis fruchtbar. Dabei arbeitet er, freilich in Abhängigkeit von der unterschiedlich breiten und tiefen Überlieferung in den Chroniken, insbesondere die Ahndung von Missetaten mit der Todesstrafe heraus. Bemer- kenswert ist auch die Feststellung, dass die Chronisten in keiner Weise Kritik am zeitgenös- Recht 104 sischen Strafrecht übten (65). – Einen überaus instruktiven Überblick über die Geschichte der Kleidung und Kleidungsattribute der Juden, um sie als solche erkennbar zu machen, gibt Klaus Schreiner: „Das ’gelbe zeychen’. Norm und Praxis einer den Juden aufgezwunge- nen Kennzeichnungspflicht (67-101). Darin zeichnet er eindrucksvoll die „Kennzeich- nungspflicht“ der Juden vom IV. Laterankonzil (1215) bis zu Heydrichs „Polizeiordnung über die Kennzeichnung der Juden“ (1941) nach. – Grundlegenden Problemen des Nicht- ehelichen-Rechts und den daraus resultierenden sozialen Folgen wendet sich Simona Slanička unter dem Titel „’Tamquam legitimus’. Bastarde in spätmittelalterlichen Legitimationsbrie- fen“ (103-122) aus sozialgeschichtlicher Perspektive zu. Die Autorin relativiert in Anleh- nung an jüngere Forschungen (Sprandel, Schmugge, Signori u.a.) die allgemein verbreitete These von der pauschalen Diskriminierung der Nichtehelichen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft. Der Legitimationspraxis wird zu recht ein gebührender Platz eingeräumt. – Thomas Lüttenberg thematisiert Reflexionen und Realitäten des (teilweise auch als bedrohlich empfundenen) Modewandels am Beginn der frühen Neuzeit unter der Überschrift „Der Nackte Mann mit Schere und Tuchballen. Ein Sinnbild für Verhaltens- normierung und seine Entwicklung im 16. Jahrhundert” (123-138). Dieses Bild führt er auf ein Predigtexempel zurück, welches wohl erstmals Philipp Melanchthon 1527 benutzt hat (125). Der Autor geht sorgfältig der Rezeption dieses Sinnbildes in textlicher und bildlicher Form nach. Im Ergebnis konstatiert er: „Das Exempel … ist ein außerrechtliches Element der Verhaltensnormierung, das sich im Lauf des 16. Jahrhunderts in Europa über die Gren- zen der Konfessionen hinweg ausbreitete.“ (138). – Der Kleidung und der damit verbunde- nen Mode widmet sich auch Philip M. Soergel mit seinem Beitrag „Baggy Pants and Demons: Andreas Musculus’s Condemnation of the Evils of Sixteenth-Century Dress. Opulence and Wastefulness as Moral Issues” (139-154). Im Mittelpunkt steht das bekannte Werk des kurbrandenburgischen Theologen Andreas Musculus (1514-1581) „Vom Hosen Teuffel“ (1555), in dem dieser die Mode seiner Zeit, u.a. die Pluderhosen der Landsknechte, kritisier- te. Dabei ordnet Soergel das Werk auch in die konfessionellen Auseinandersetzungen nach Melanchthons Tod ein (152). – Die Stadt Görlitz ist der Schauplatz eines interessanten Ehebruchsfalls, den Lars Behrisch unter der Überschrift „Der Kürschnermeister, der Bar- biergeselle und ‚ein offentlich ergernis’ Ungewöhnliche Einblicke in das gewöhnliche Stadt- leben des 16. Jahrhunderts“ (155-169) vorstellt. Das von der Kürschnermeisterin und einem in ihrem Haus wohnenden Barbiergesellen gestaltete Vorkommnis (Ehebruch) ereignete sich im Jahre 1585. Der Autor stellt ausführlich die einzelnen Handlungen, die zum Prozess führen und gehören, dar. Seine Quelle bildet ein im Stadtarchiv Görlitz erhaltener Bericht des Rates von Görlitz, der zum Zwecke der Entscheidungsfindung an die 1548 eingerichte- te Appellationskammer zu Prag als das für das böhmische Gebiet zuständige Spruchkollegi- um geschickt worden war. Die Entscheidung aus Prag lautete auf lebenslängliche Stadtver- weisung mit Staupenschlägen, was der in Görlitz üblichen Bestrafung von Ehebrecherinnen entsprach (166). – Wolfgang Schild arbeitet unter der Überschrift „Reinigungs- und Kampf- folter. Anmerkungen zum frühneuzeitlichen Folterrecht“ (171-183) zwei bislang zu wenig oder gar nicht, jedenfalls „nicht speziell“ (181), beachtete Aspekte der Folter heraus. Neben dem weithin bekannten Zweck der Folter, eine Aussage oder ein Geständnis im Rahmen des Inquisitionsprozesses zu erzwingen, wurde die Folter auch zur „Reinigung“ des Be- schuldigten, d. h. zum Beweis seiner Unschuld“ (Überstehen der Schmerzen), und als eine Art Gottesurteil („Kampf“) zur Befreiung von Verdacht genutzt. Dabei lässt sich die (be- grifflich problematische) „Kampffolter“ theoretisch aus der „Reinigungsfolter“ ableiten (181). – Andrea Bendlage behandelt „Schroderken gegen Korbach. Ein Zivilprozess im Zei- chen der Ausweisung der Juden aus Münster 1554“ (185-200). An diesem Beispiel stellt die Verfasserin überzeugend heraus, dass die Zivilprozesse im Verhältnis zu den stets populäre- 105 Staat, Verfassung, Recht ren und teilweise auch spektakulären Strafprozessen nicht von minderem Erkenntniswert für historische Fragestellungen sind. Grundlage ihrer Untersuchung bildet ein Prozess, den der angesehene Münsteraner Bürger Gerd Schroderken gegen den Juden Jakob von Kor- bach 1554 vor dem Stadtgericht initiiert hatte. Anlass war eine offene Rechnungsschuld in Höhe von 26 Reichstalern. Dieses Verfahren fand als sog. Gastgerichtsverfahren statt. Es führte, auch nach einer Appellation, nicht zum gewünschten Ziel des Klägers. Die Aussa- gen von Zeugen zugunsten des Klägers wurden nicht anerkannt. Stefan Gorißen erörtert „Wechselrecht und Handelsinteressen im 17. und 18. Jahrhundert. Die Kölner Wechsel- ordnung von 1675/1691“ (201-221). Damit liefert er eine hervorragende Detailstudie zu dem sich in der frühen Neuzeit profilierenden Wertpapier- und Handelsrecht. – Vor kon- fessionsgeschichtlichem Hintergrund behandelt Bettina Wischhöfer „Kirche als Ort von Dis- ziplinierung und Verweigerung. Die Einführung der ‚Zweiten Reformation’ in Hessen- Kassel 1605“ (223-232). Ausgangspunkt bilden die von Landgraf Moritz von Hessen-Kassel 1605 erlassenen „Verbesserungspunkte“ in Religionssachen, um das reformierte Bekenntnis einzuführen. Diese Festlegungen riefen unterschiedliche Wirkungen hervor, wie die für die Untersuchung fruchtbar gemachten Kirchenbücher und Kirchenrechnungen erkennen lassen. Daraus geht hervor, dass es zu einer disziplinierenden Verhaltenssteuerung, aber auch zu einer Verweigerungshaltung von Pfarrern und Teilen der Bevölkerung kam. Detail- liert werden die liturgischen Orte, die Bildwerke und die Einführung des neuen Abend- mahls behandelt. Die Studie macht ein weiteres Mal deutlich, wie intensiv diese Prozesse in einem relativ kleinen Territorium verliefen, in dem die großen Konfessionen aufeinander prallten. – Die Örtlichkeit Kirche steht auch im Mittelpunkt des Aufsatzes von Andreas Priever „Die ‚causa’ Merian. Streit im Chor der Frankfurter Barfüßerkirche“ (233-253). Darin werden die (vor allem von Philipp Jakob Spener veranlassten) konfessionsbedingten Ausei- nandersetzungen um ein Altarbild („Die Auferstehung Christi“) Matthäus Merians d. J. (1621-1687) für die genannte Kirche, die in der „Merian-Forschung bis heute … mit kei- nem Wort erwähnt“ werden (234), nachgezeichnet. Die Kritik Speners wertet der Autor als „Maßnahme der Kirchenzucht, die auf die Wahrung der Ordnung im Kirchenraum zielte“ (252). – Personen und Werke der schöngeistigen Literatur haben die Beiträge von Jochen Hoock „Von der Zahl der Erzählung. Daniel Defoes ‚Tagebuch aus dem Pestjahr’ (255-262) und von Frank Rexroth „Von der Entbehrlichkeit der Justiz. Ein Blick in Georges Simenons Kriminalroman ‚Der Mörder’“ (263-280) zum Gegenstand. Der erstere Beitrag stellt Defoes fiktives Pest-Tagebuch (1722) in das Spannungsfeld von realen Ereignissen und Suche nach der Wirklichkeit. Die Studie von Rexroth verknüpft auf eindrucksvolle Weise die in den 1930er Jahren spielende Handlung in Simenons Werk (1935/37) mit den aktuellen gesell- schaftlichen Entwicklungen in Deutschland und Europa. Ein „Buch über Deutschland im engeren Sinne“ sei das Buch nicht, wohl aber eins über „das Pathologische in der Moderne“ (280). – Insgesamt liegt damit ein inhaltsreicher, mit Frische geschriebener Sammelband vor, welcher mit vielen interessanten und innovativen Details, die sämtlich auf eine solide Quellenbasis gestützt sind, den Kenntnisstand zu diversen Problemen der Sozial-, Rechts-, Kirchen-, Kunst- und Literaturgeschichte im Sinne einer komplexen Kulturgeschichte bereichert. – Lück.

Zwischenstaatliche Beziehungen 106 7 DIE EUROPÄISCHEN LÄNDER

7.1 Zwischenstaatliche Beziehungen

360 Daniel H. Nexon: The Struggle for Power in Early Modern Europe. Religious Con- flict, Dynastic Empires, and International Change, Princeton, Oxford: Princeton University Press, 2009. – Nexon argues that during the Reformation religion never produced conflict by itself. According to Nexon, all of the major wars of religion involved disputes over some combination of taxation, local autonomy, succession, and factional control of the court. To illustrate his argument, he analyzes the reign of Charles V, Spain’s war against the Nether- lands, and the French wars of religion. Based on these examples, Nexon concludes that the Reformation intensified existing challenges to central authority. If a ruler did not already have enough headaches, the Reformation’s importance beyond a polity’s borders further fueled the fire of local conflicts which could consequently take on an international signific- ance. Nexon does an excellent job of demonstrating religion’s flammable quality for politics and the need to understood religion along with an array of other factors. However, if reli- gious differences exacerbated preexisting problems between a ruler and his subjects, Nexon does not address the fact that sharing the same religion did not ameliorate these differences either. Thus, according to Nexon, religion’s effects were negative to politics because of the differences between Catholics and Protestants. Conversely, why did not sharing the same religion alleviate differences, especially on the international stage? The long standing con- flict between the Habsburgs and French seems to demonstrate that religion played almost no part in France’s fear of Habsburg hegemony with France and Spain fighting bitterly even beyond the Thirty Years War. We can also find a similar phenomenon among Protestants with Sweden and Denmark and later between the English and the Dutch constantly fight- ing. – Ninness 361 Walter Leitsch: Eine unbeachtete Quelle zur Geschichte Polens in der Frühen Neu- zeit. Die Familienkorrespondenz der Erzherzogin Maria, in: Mitteilungen des Österreichi- schen Staatsarchivs 53, 2009, 67-76. – Hinweis auf den umfangreichen Briefwechsel Marias von Bayern (1551–1608), der Gattin Karls II. von Innerösterreich, deren älteste Tochter Anna mit dem polnischen König Sigismund III. verheiratet war. – M.Fuchs 362 Winfried Schulze: „Wir stunden gegeneinander wie zwei Böcke“. Die Krise des Reichs in den Jahren 1608/09, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 10 (2009), 3-28. – Grün- dung der Defensivbündnisse Union und Liga als Positionssicherungen der katholischen und protestantischen Stände, Machtvakuum in Jülich nach dem Tod des Herzogs, dessen kaiser- licher Lehnsherr nicht mehr als unparteiischer Richter angesehen wird, gleichzeitig Versuch Frankreichs und der Niederlande, in den niederrheinischen Gebieten gegen ihren gemein- samen Feind Spanien vorzugehen. – Grund 363 Alice Motte: L'ambassade du marquis d'effiat en Angleterre: l'éducation politique d'un serviteur de l'État (1624-1625), in: Revue d'histoire diplomatique (2009) 3, 193-214. – Hei- ratsverhandlungen für Ludwigs XIII. Schwester Henrietta Maria und den späteren König Charles I. von England. – Grund 364 Ralf-Peter Fuchs: Ein „Medium zum Frieden“. Die Normaljahrsregel und die Beendi- gung des Dreißigjährigen Krieges. (bibliothek altes reich; Bd. 4). München: Oldenbourg 2010. X; 426 Seiten; Leinen gebunden. – This Munich Habilitationsschrift treats a practice which, though established during the Thirty Years War, had no fixed name until around 1750. In was the Normaljahr, a terminus a quo or stipulated date that determined what ecclesiastical properties belonged to estates and subjects of which confession—Catholic, 107 Die Europäischen Länder Lutheran, or Reformed. A property held by the estate or subject on the first day of the specified year was to be retained or, if subsequently lost, restored to that ruler or subject. Eventually, the German term „Normaljahr” came to be fixed to this practice, which the jurists understood as a determined date having the force of law. The author understands this quasi-legal practice as a „means to peace. It remained for generations also a means of conserving peace among the confessions, which is why the jurist Johann Jacob Moser called it „the soul of the Peace of Westphalia in matters of religion.” Yet until now neither the practice of the Normaljahr itself nor the discussion that led to its established has been the subject of a detailed historical investigation. – The book begins with an overview of the problems of political polarization and the problems of honor and restoration between the Peace of Augsburg in 1555 and the Bohemian War that began in 1618. In 1630, as the Edict of Restitution of 1629 was proving unenforceable, discussions began among the electors and others of how to establish a Normaljahr acceptable to both sides, and they continued through the negotiations of the Peace of Prague in 1635. The bulk of the book deals with proposals and negotiations on the issue in the making of the Peace of Westphalia and the post-Westphalian efforts to preserve the practice through various political venues, such as the Executionstag of Nuremberg. – The author’s findings throw new light on several im- portant aspects of the long process by which this peace-preserving practice became enfor- ceable Imperial law. For one thing, the story gives no support to the frequently advanced proposition that the Peace of Westphalia’s determinations were part of a „secularizing moment” in German history of this era, for from beginning to end of the war, religion was employed to legitimize claims. Yet it is also true that the Peace ended a more than century- long struggle over ecclesiastical property as a religious matter and brought the emperor and leading princes together in the interest of ending the war. Second, the practice of the Nor- maljahr brought two apparently contrary principles of actual possession (uti possidetis) and restitution together in the interests of peaceful resolution, based on the common early modern legal principle of compromise, in which there was no winner and no loser. Only the growth of a culture of trust could enable and preserve such agreements. Third, despite the length and complexity of the negotiations that ended the war, establishment of the Normaljahr contributed decisively toward making the peace. The two parties, however, did not view the practice in the same light: the Catholic saw it as a strengthening of the Eccle- siastical Reservation of 1555, the Protestants as the burial of the emperor’s Edict of Restitu- tion of 1629. Yet the common fruit of experience in this matter was an intensified culture of political trust and regard for the honor of all parties, which made possible the integration of the Normaljahr into post-Westphalian Imperial law. Common to all confessions, too, was the assumption that, given the legal basis they produced, in a short span of time large numbers of subjects could be made into Evangelicals or Catholics. – Ralf-Peter Fuchs has produced massively documented, clearly argued, and convincingly explained study of some- thing in which early modern German history is especially rich. It was a political practice which came into being in 1555 in response to the Reformation crisis, which became law in 1648 in response to the crisis of the Thirty Years War, but which spread and developed for nearly 200 years before it acquired a fixed legal concept and name. – Brady. 365 Guido Braun: Le traités de Westphalie comme paix confessionelle: ébauche de l'idée moderne de tolérance?, in: Revue d'histoire diplomatique (2009) 3, 215-239. – Grund 366 Gisela Procházka-Eisl, Claudia Römer: Raub, Mord und Übergriffe an der habsbur- gisch-osmanischen Grenze: Der diplomatische Alltag der Beglerbege von Buda abseits von Zeremonien, in: AÖG 141, 2009, 251-264. – Knappe Ausführungen zu Funktion und Aufgabe der Beglerbege sowie zu Inhalt und Stil der im Wiener Haus-, Hof- und Staatsar- chiv aufbewahrten Schreiben aus dem 16. Jahrhundert. – M.Fuchs Zwischenstaatliche Beziehungen 108

7.2 Skandinavien

367 Paul Douglas Lockhart: Denmark 1513-1660. The Rise and Decline of a Renaissance Monarchy. Oxford University Press 2007, 279 Seiten mit Abb. – Lockharts Buch über den Aufstieg und Fall Dänemarks als Renaissancemonarchie gibt einen weitestgehend gelunge- nen Überblick über die politische und wirtschaftliche Geschichte des Dänischen Reiches in der Frühneuzeit. Die Präsentation des Materials ist streng chronologisch aufgebaut und orientiert sich in erster Linie an der Regierungszeit der dänischen Herrscher. Lockhart stellt nicht nur die Entwicklungen im dänischen Mutterland, sondern auch in Schleswig-Holstein und in den peripheren Gebieten des Reiches (Norwegen und Island) dar. U.a. für die Durchsetzung der Reformation, die Lockhart mit Recht als eine Erfolgsgeschichte darstellt, thematisiert er Phasenverschiebungen und Durchsetzungsprobleme unter dem Aspekt von Zentrum und Peripherie. Die Wiedergabe von Fakten ist sachlich korrekt, zumindest mit Hinblick auf die dänische Geschichte. Bei den Schnittstellen zur schwedischen Geschichte, insbesondere der Diskussion des Blutbades von Stockholm 1520, tendiert der Verfasser jedoch zu einer allzu holzschnittartigen Darstellung. Lockhart sieht in der konstitutionell wohl funktionierenden Zusammenarbeit zwischen König und Rat den Hauptgrund dafür, dass das dänische Reich bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts Hegemonialmacht in Nordost- europa war; der Niedergang hingegen beruht auf der mangelnden Flexibilität dieses politi- schen auf Konsensus ausgelegten Systems. Im Großen und Ganzen ist Lockharts Arbeit eine Bereicherung, zumal sie die oftmals nur in skandinavischen Sprachen zugänglichen Forschungsergebnisse bündelt und in englischer Sprache rezipierbar macht. – Czaika 368 Jason Lavery, The History of Finland, Kapitel „Finland as Part of the Swedish Realm (circa 1157-1809). Westport, Conneticut/London: Greenwood Publications 2006. 31-51. – Jason Lavery gibt in seiner englischsprachigen Geschichte Finnlands einen konzisen, quellen- technisch und methodisch wohl unterfütterten Abriss über die finnische Geschichte der frühen Neuzeit. Insbesondere durch die Offenlegung der Interaktionen von sozial-, bil- dungs- und kirchenhistorischen Determinanten und die Aufnahme methodischer Konzepte wie der frühneuzeitlichen Staatenbildung kann Laverys Darstellung trotz ihrer Kürze durchaus Wichtiges zum historischen Diskurs über die Geschichte der Frühneuzeit in Nordosteuropa beitragen. – Czaika 369 Per Stobaeus: Hans Brask. En senmedeltida biskop och hans tankevärld. Skellefteå: Artos & Norma bokförlag 2008, 468 Seiten mit Abb. – Per Stobaeus’ Dissertation über den letzten altgläubigen Bischof des schwedischen Bistums Linköping, Hans Brask, ist nicht nur eine biographische Studie dieses hochgebildeten spätmittelalterlichen Theologen und Kir- chenpolitikers, sondern zugleich eine begriffstheoretische Untersuchung seiner Vorstel- lungswelt und eine Darstellung der frühen Reformation im schwedischen Reich. Der Ver- fasser nutzt nicht nur extensiv die 2003 von Hedda Gunneng edierte Registratur des Hans Brask (vgl. ARF/L 2006, 105-106), sondern auch zahlreiche handschriftliche Quellen, die Leben und Wirken des schwedischen Bischofs illustrieren. Stobaeus gelingt folglich nicht nur eine weitaus ausführlichere, sondern zugleich auch viel tiefer schürfende Analyse von Brasks Leben und Handeln als es die bisherige schwedische Reformationsforschung bieten konnte. Detailliert kann somit der Nachweis geführt werden, dass Brask, der oftmals nur als „konservativ“ oder „rückwärtsgewandt“ gekennzeichnet wurde, vielmehr ein Mann des Umbruches war: In seinen kirchlichen Bestrebungen weg von Rom ist Brask ein Vertreter spätmittelalterlicher nationalkirchlicher Tendenzen, einer „libertas ecclesiae“ gegen die 109 Skandinavien Einflussnahmen der Kurie ebenso wie gegen die des schwedischen Herrschers; allerdings blieb er ein harscher Kritiker der reformatorischen Lehre und ihrer Vertreter, insbesondere der Bestrebungen das NT ins Schwedische zu übersetzen und ist damit dennoch zugleich rückwärtsgewandt. Zudem kann Stobaeus belegen, dass Brask auch als Seelsorger, Visitator oder Neuerer der Liturgie in Erscheinung trat. Auch die administrative Arbeit Brasks, der trotz seiner politischen Aufträge im Schwedischen Reich nicht als „Fürstbischof im mittel- europäischen Sinne“ (219) zu bezeichnen ist, sowie seine Haushaltsführung und seine einer allgemeineuropäischen Kultur folgenden Tischsitten stellt Stobaeus ausführlich dar. Von besonderem Interesse ist das wechselseitige In- und Miteinander von weltlicher und kirchli- cher Politik in Brasks Leben: Im Zuge des Blutbades von Stockholm 1520 war es wohl Hans Brask, der Christian II. dazu brachte zwei Bürger hinzurichten, die an einem Aufruhr gegen die Kirche und ihre Vertreter in Linköping beteiligt waren; 1523 wollte Brask zudem die Inquisition nutzen, um der Reformation effektiv entgegenzutreten. Insbesondere Stobaeus’ Ausführungen zum Umfeld des Reichstages von Västerås 1527 sind besonders erhellend: Da der Verfasser auch die internationale Spätmittelalter- und Reformationsfor- schung rezipiert, kann er betonen, dass im Beschluss von Västerås deutliche Spuren refor- matorischer Lehre zu finden sind, der Beschluss mithin einen Übergang zur Reformation intendiert. Dadurch wird auch verständlich – was oftmals geflissentlich in der schwedischen Forschung übersehen wird – dass Brask nach dem Reichstag keine andere Wahl mehr hatte als Schweden zu verlassen und ins Exil zu gehen. – Stobaeus’ Ausführungen ist weitestge- hend zuzustimmen. Allerdings habe ich meine Bedenken, dass immer wieder betont wird, wie wenig Lutheraner es in den 1520er Jahren in Schweden gab. Hier geht der Verfasser m.E. doch ab und an die Wurzeln seiner sonstigen, gut belegten Thesenbildung. Brask erkennt die Gefahr, die für die spätmittelalterliche Kirche von der neuen Lehre ausgeht sehr wohl und registriert seismographisch alle derartigen Äußerungen in Schweden, sei es eine tatsächliche Rezeption lutherischer Lehrmeinungen oder auch nur eine ausgebreitete zu Reformen und Veränderungen bereite Gemengelage, die sich u.a. im Umfeld des Stock- holmer Blutbades ablesen lässt. Inwieweit diese Phänomene mit „lutherisch“ zu bezeichnen sind, ist wohl relativ unerheblich. Viel wichtiger ist, dass es politische, theologische und kirchliche Tendenzen gab, die die faktisch eingetretenen Veränderungen möglich machten. Und diese Tendenzen gab es offensichtlich nicht nur in der Elite des Landes, sondern auch, wie Brask Registratur belegt in einem weiteren Kontext, durch die Verbreitung reformatori- scher Schriften im Land. – Czaika 370 Bo Eriksson: I skuggan av tronen. En biografi over Per Brahe d.ä., Stockholm: Prisma 2009. 443 Seiten mit Abb. – Seiner Dissertation über Per Brahes (1520-1590) Oeconomia hat Bo Eriksson nun in kurzem Abstand eine Biographie des schwedischen Adligen folgen lassen. Die knappe erste Hälfte von Erikssons Buch ist allerdings eher eine allgemeine Darstellung der schwedischen Geschichte zu Beginn des 16. Jahrhunderts sowie eine Dar- stellung der Familiengeschichte der Brahes als eine Biographie, da von Per Brahes ersten zwei Lebensjahrzehnten die Quellen nur wenig inhaltsreich sind. Nichtsdestotrotz sind auch diese Teile organisch mit dem ganzen verwoben und bringen wichtige Hintergrundin- formationen z.B. über das Wirken von Per Brahes Stiefvater, dem Grafen Johann zu Hoya und Bruchhausen, und Brahes Jugend in Schweden, Viborg (Finland) und Hoya. – Auch für den Verlauf der Darstellung sind diese einleitenden Teile von immenser Bedeutung, denn Eriksson konturiert im Folgenden das, was in einer national geprägten Geschichtsschrei- bung nur allzu gerne übersehen wird: Das europäische Interaktionsgeflecht von Politik und Bildungsgeschichte in der Frühneuzeit. – In Per Brahes Gestalt äußert sich dieses u.a. in den verschiedenen diplomatischen Aufträgen, die Brahe nicht zuletzt wegen seiner Sprach- kenntnisse unter Gustav Vasa wahrnahm, oder aber in seinem literarischen Schaffen, seiner Die Europäischen Länder 110 Chronik über Gustav Vasa, der Oeconomia, die reformatorisches Gedankengut ebenso wie humanistisches aufnimmt, oder seinem Trostbuch, in welchem er sich an Chytraeus´ Schrift De morte et vita aeterna anlehnt. – Sicherlich schürft diese populärwissenschaftliche Bio- graphie nicht immer tief; so könnte die in der Forschung umstrittene konfessionelle Ei- nordnung Brahes, mit Hinblick auf die Entwicklung frühneuzeitlicher Konfessionen analy- tischer durchleuchtet werden. – Dennoch: Erikssons Biographie bereichert die Forschung zur schwedischen Frühneuzeit um die Gestalt Per Brahes, der nicht zuletzt als ein Träger von kulturellem Transfer in Nordosteuropa beschrieben werden kann. – Czaika 371 Sinikka Neuhaus: Reformation och erkännande. Skilsmässoärenden under den tidiga reformationsprocessen i Malmö 1527-1542, Lund: Lunds universitet, Centrum för teologi och religionsvetenskap 2009. 281 Seiten. – Der Titel von Neuhaus´ Dissertation verspricht eine Untersuchung über „Reformation und Anerkennung – Ehescheidungssachen in Mal- mö in den Jahren 1527-1542“. Allerdings hält sie Arbeit nicht, was der Titel verspricht: Neuhaus untersucht auf knapp dreißig Seiten sechs Ehescheidungsfälle, den Rest der Arbeit machen allzu breitgetretene Theoriediskussionen – u.a. unter Aufnahme von Axel Honneths Arbeit „Kampf um Anerkennung“ – und ein recht gelungener Rückblick auf die Stadtreformation in Malmö aus. Mit Kirchengeschichte hat das allerdings oftmals allzu wenig zu tun: Auf über 200 Seiten werden praktisch keine Quellen des Reformationsjahr- hunderts zitiert, wobei es doch soviel aus erster Hand über Ehe und Sozialethik im 16. Jahrhundert zu sagen gäbe. Die überlangen theoretischen Ausführungen sind freilich nicht per se uninteressant, allerdings neigt die Verfasserin dazu allzu viel Redundanz zu produzie- ren. Möglicherweise ist all dies jedoch nicht der Verfasserin anzulasten, sondern eher ein Symptom für die Krise der schwedischen Reformationsforschung, die seit gut einem Vier- teljahrhundert ein Schattendasein fühlt, zumal das Fach Kirchengeschichte als „Geschichte des Christentums“ mit Missionswissenschaft und Praktischer Theologie zwangsvereint ist und somit kaum mehr eigenes Profil aufrechtzuerhalten vermochte. – Czaika 372 Martin Berntson: Mässan och armborstet. Uppror och reformation i Sverige 1525- 1544. Skellefteå: Artos 2010. 410 Seiten –Berntsons Studie „Messe und Armbrust“ diskutiert die gegen die schwedische Krone gerichteten Aufstände in den Jahren 1525-1544. Berntson betritt damit einerseits ein gut erforschtes, aber dennoch vermintes Gebiet: Gerade in den letzten Jahrzehnten wurden die Aufstände vermehrt als ein aktiver, religiös motivierter Widerstand gegen die Reformation von oben gewertet. Das ist auch sicher z.T. richtig, denn Berntson weist nach, das ein religiöses Element in den Aufständen vorhanden war, sowohl argumentativ als auch durch die Beteiligung von Klerikern. Allerdings stehen die Aufstände auch in einer spätmittelalterlichen Tradition, sie reformulieren mittelalterliches Wider- standsrecht und folgen in ihrer Struktur ähnlichen, vorreformatorischen Ereignissen. Das wichtigste Ergebnis der detailreichen Studie ist, dass die Aufstände eine Fortführung der Politik mit anderen Mitteln darstellten und die Aufständischen sich ihrer oftmals bedienten, um mit der Krone zu verhandeln. Dies hatte zumindest punktuell durchaus Erfolg. Damit sind die Aufstände allerdings nicht zwangsläufig und nicht durchgängig als ein Zeichen eines aktiven und lebhaften spätmittelalterlichen Volksglaubens zu werten sondern auch – möglicherweise gar in erster Linie – ein höchst weltliches Ereignis. – Czaika 373 Erik Petersson: Den skoningslöse. En biografi över Karl IX. Stockholm: Natur & Kultur 2008, 333 Seiten mit Abb. –Peterssons populärwissenschaftliche Biographie über Karl IX. von Schweden ist ein ereignishistorisches Kompendium zur schwedischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Der Verfasser hat die einschlägige Literatur zu Karls Leben und Umfeld akribisch aufgearbeitet. Allerdings: Ein tief greifendes Quellenstudium – insbesondere bislang ungenutzter Quellen zum Leben des schwedischen Königs – sucht der Leser vergeblich. Obwohl Peterson alle biographischen 111 Skandinavien Fakten präsentiert, verbleibt das Bild Karls IX. seltsam unkonturiert; was den schwedischen Herrscher bewegte, was er dachte und welche Gründe er letztendlich für sein Handeln, nicht zuletzt für die Vertreibung seines katholischen Neffen Sigismund vom schwedischen Thron hatte, bleibt daher letztendlich unklar. Quellenanalyse und – interpretation ist nicht die Stärke dieser biographischen Darstellung. Der Titel des Buches „Der Schonungslose“ wird uns nicht erklärt und ist wohl in erster Linie den Verkaufsstrategen des Verlages ge- zollt, zumal Peterson sich pointiert von einer durchweg negativen Bewertung des schwedi- schen Herrschers absetzt (289). – Petersons Werk ist eher eine Faktensammlung zum Leben Karls IX. denn eine Biographie und als solche sicherlich nützlich; allerdings bleibt am Ende des Buches der fade Nachgeschmack, dass man um eine wirkliche Biographie beim Lesen betrogen worden ist. – Czaika 374 Otfried Czaika: Melanchthon neglectus: das Melanchthonbild im Schatten der schwe- dischen Lutherrenaissance, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), 291-329. – Grund 375 Otfried Czaika: Entwicklungslinien der Historiographie zu Reformation und Konfes- sionalisierung in Skandinavien seit 1945, in: Archiv für Reformationsgeschichte 100 (2009), 116-137. – Forschungsbericht. – Grund 376 Krystyna Szelagowska: Renesansowa historiografia norweska na tle pisarstwa historycznego XVI w. w Skandynawii, in: Kwartalnik historyczny 116 (2009) 1, 75-101. –: Renaissance Norwegian historiography against the background of sixteenth-century histori- cal writings in Scandinavia. – Grund 7.3 Litauen und Polen

377 Karol Nabiałek: Obsada zamków monarszych w Królestwie Polskim na przełomie średniowiecza i epoki nowożytnej, in: Roczniki Historyczne = Historical Annals 74 (2008), 113-156. – dt. Zusfsg.: Die Besatzung der königlichen Schlösser in Polen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Rekonstruktion des Personals von 31 Schlössern aus dem gesamten Königreich ca. 1490 – 1570. – Grund 378 Sławomir Zonenberg: Kronika Szymona Grunaua [Die Chronik von Szymon Grunau], , Bydgoszcz: Wydawnictwo Uniwersytetu Kazimierza Wielkiego 2009, 191 Seiten. – Der Dominikaner Szymon Grunau (geb. 1455-1465/1470 in Tolkmicko (Tolkemit) – gest. 1529/1530 in Gdańsk (Danzig)(?)) hinterließ eine Chronik Preußens, die er bis 1526 geführt hatte. Diese Chronik wurde in den Jahren 1876-1896 von M. Perlbach, R. Philippi und P. Wagner in drei Bänden in Leipzig veröffentlicht. Ihr Quellengehalt und ihr Hang zur Kon- fabulation wurden in der bisherigen Historiographie sehr kritisch beurteilt (Max Toeppen, Jolanta Dworzaczkowa). Es wurde jedoch darauf aufmerksam gemacht (Paul Tschackert), dass sich seine Chronik für die Rekonstruktion der Ereignisse zu Grunaus Lebzeiten und insbesondere der innerhalb der preußischen Gesellschaft herrschenden reformatorischen Stimmungen als eine nicht zu vernachlässigende Quelle erweisen kann. Indem der Autor sich mit allen Aspekten befasst, die mit der Person des Chronisten wie auch mit dessen Chronik zusammenhängen, entlockte er dieser wertvolle Informationen bezüglich der Ursachen und des Verlaufs der Reformation in Preußen in ihrer Anfangszeit. Unter den Ursachen nannte Grunau Hochmut, Zügellosigkeit, Habgier und Faulheit der Ordensritter. Die Popularität des Luthertums in Preußen sah er dagegen in der Selbsteinschränkung des Klerus in materiellen Fragen begründet. Dies stand im Einklang mit dem Wunsch der weltlichen Vertreter, das Vermögen und insbesondere die Landgüter des Klerus zu über- nehmen. Grunau war 1522 in Gdańsk (Danzig) und 1524 in Toruń (Thorn) Augenzeuge der Entwicklung der Reformationsbewegung. Über Königsberg schrieb er verbittert, dass dort im Herbst 1523 in den Kirchen, in der Altstadt und in Knipawa (Kneiphof) 3000 Die Europäischen Länder 112 Personen Predigten in lutherischem Geist gehört hätten. Es ist interessant, dass Grunau Luther nicht so hart beurteilt wie dessen Anhänger. Grunau war unverkennbar ein Kind seiner Epoche. Er war abergläubisch und glaubte an Dämonen. Interessant sind schließlich auch seine Informationen über heidnische Relikte in Preußen. Grunau selbst leistete der Gottheit Perkun einen Treueschwur, als er sich in einer Notlage befand, dem er, nachdem er seine Freiheit wiedergewonnen hatte, selbstverständlich nicht treu blieb. Diese Monogra- phie erweitert unser Wissen über die Anfänge der Reformation in beiden Teilen Preußens (dem Königlichen und dem Herzoglichen). – Małłek 379 Bernhart Jähnig und Hans-Jürgen Karp (Hgg.): Stanislaus Hosius. Sein Wirken als Hu- manist, Theologe und Mann der Kirche in Europa. (Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands, Beiheft 18). Münster: Aschendorff Verlag 2007. 235 Seiten; Kardynał Stanislaw Hozjusz (1504-1579). Osoba, myśl, dzielo, czasy, znaczenie [Cardinal Stanislaus Hosius (1504-1579). The man, his thoughts, deeds, times and significance] Olsztyn 2005, pp. 448. – On the occasion of the 500th anniversary of the birth of Stanislaus Hosius, bishop of Varmia and also cardinal, a conference was organised in Germany (Münster) and Poland (Olsztyn) in 2004. Polish, German, Lithuanian, Italian and Swedish researchers participated in both conferences. The fruit of these conferences is the publica- tion of two volumes of studies, which are discussed here. – The texts in both volumes dealing with Hosius’ relations to Lutheranism (Stefan Hartmann, Janusz Małłek) are interest- ing for the historian of the Reformation. Hosius undertook attempts, though in vain, to bring the Prussian duke Albrecht Hohenzollern back to the bosom of the Catholic Church. The article by Vinzenz Pfnür „Die Theologie des Hosius im Kontext der Zeit – Die Konver- titen – Die Zeit der Reformation”, found in both the „German” and the „Polish” publica- tions, but unfortunately without a Polish translation in the latter, deserves attention. The article by Alexander Koller in the „German” volume devoted to the attempts by Hosius during his time as nuncio in Vienna (1560-1561) to maintain the position of the Catholic faith in Austria and especially his efforts to keep Archduke Maximillian, who was showing interest in , in the Catholic faith. The literature to date has been very critical of Cardinal Hosius’ actions in this area. His lack of diplomatic skills and autocracy were emphasised. Koller weakens this criticism, claiming that in comparison with the policy of the Papal Curia towards the Reich in the 1540s and 1550s, Hosius comes out considerably better. – The article by Winfried Eberhard „Konfessionalisierung als Paradigma für Ostmitte- leropa” holds a separate place in the „German” volume. The Author rightly claims that the model is appropriate for Royal Prussia, the Varmia bishopric and the great Prussian towns (Gdańsk, Toruń and Elbląg), but has doubts as to whether it can be referred to the Com- monwealth. I believe that just as for the German Reich the model fits for the years 1550- 1650, so for Poland (after the period of religious tolerance unknown elsewhere in Europe) we can talk about „Catholic confessionalisation” for the period 1658 (the expulsion of the Aryans)-1767 (the dissident confederation). – Małłek 380 Kazimierz Dola: Studia nad początkami reformacji protestanckiej na Śląsku [Study about the Beginning of Protestant Reformation in Silesia], Opole: Theological Faculty of University Opole, 2009, 161 pages. – The author has devoted nine studies to analyze the deep crisis of the Catholic Church in the 16th century along with the reasons for this, the emerging of Reformation in this area and the specific way the Church in the region expe- rienced its division. This research is something special because it refers to the history of the Catholic Church in Silesia. Four articles are focused on the morality, education and reli- giousness of the Silesian catholic clergy from the middle of 15th till the end of 16th centuries: e.g. John IV Roth Bishop of Wroclaw 1482-1506. Personality Touch in the Context of Church Disputes in the Diocese, Clergy vs. City on the Eve of Reformation (for example 113 Litauen und Polen Wroclaw), Silesian Clergy in the First Period of Reformation (1520-1585). As for the clergy in the time before Reformation, the author came to the conclusion that the accusation originated from the old historiography about indecent ethical life of catholic clergy in Silesia are incomprehensible. He also stated that the clergy, the cultural and educational elite, further responsible for effective management were not equally interested in developing the own religiousness or responding to the growing demands of secular society towards the religious part of it. Routine by fulfilling the liturgical acts and lack of theological knowledge (almost every clergyman had a humanistic and legal education, not a theological) resulted in the time about 1520 in leaving the Catholic Church by secular persons. The other articles concentrate on the role played approximately from mid 15th century and the beginning of Reformation by diverse piety practices, like indulgence and penance, e.g.: Church Penance in Silesia in 15th and 16th Centuries. Science About Penance and Its Practice in Catholic Church and Lutheran Communities, The Last Supper at Protestants` in Silesia. Faith and Rites in the First Reformation Period. As result the author advanced a thesis that although the piety life was accompanied partly by satiety and abuse triggered by false teaching about indulgence and penance, their function as spiritual help of the Church for its believers can absolutely not be questioned. He underlined that many piety and church practices of the Middle-Age Church, like obligatory ear confession, the setting and liturgical practice at the Last Supper sustained until the Enlightenment period. – Wąs 381 Almut Bues (Hg.): Martin Gruneweg (1562-nach 1615). Ein europäischer Lebensweg – Martin Gruneweg (1562-after 1615). A European Way of Life, (Deutsches Historisches Institut Warschau, Quellen und Studien Bd. 21), Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2009, Index, 403 pages. – Resulting from the publication of 4 volumes entitled „Aufzeichungen des Dominikaners Martin Gruneweg (1562-ca. 1618), über seine Familie in Danzig, seine Handelsreisen in Osteuropa und sein Klosterleben in Polen” from 2008, containing vast notes made by the Dominican monk Martin Gruneweg, seventeen authors invited by the publisher, Almut Bues, presented at the Dominican monastery in Cracow in April 2008 different research issues connected with this publication source. Only a few examples out of all constituting the publication were chosen to demonstrate two basic approaches to- wards the source dominating in the works. For some articles Gruneweg`s notes served as a direct, sometimes basic source to clear a certain problem from the past. Almut Bues tried to analyse in her article „Ein Bruderzwist im Hause des Domenicus” – for this using the information given by Gruneweg, the conflict that occurred in the monastery in Lwow and was connected with the endeavour of Dominicans of Russian origin (Ruthenians) to sepa- rate itself as an autonomic congregation from the Polish province of this order. Using Gruneweg`s notes, Krzysztof J. Czyżewski introduced in his article „Der Krakauer Dom um 1600 im Lichte Zeitgenossischer Quellen”, new regulations dealing with the renovation of Cracow cathedral as a result of fitting the interior to Post-Trident liturgy. In her article „Conversion in the Confessional Age”, Maria Crăcium tried to present a these about the fundamental role of Gruneweg`s visual sensitivity in this process analysing his language and ways of describing the key events in the history of his conversion to Catholicism. For other articles however, Gruneweg`s life stations in different ethnic, confessional, geographical and cultural environments served as point of reference for reflections about chosen issues for the transition between the 16th and 17th century. Edmund Kizik used the fact that Gru- neweg was born in Gdansk and spent his childhood and early youth years there in his article „Kindheit und Jugend in Danzig von der 2. Hälfte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhun- derts” to show problems connected with living at such an age in the city community of Gdansk in the time between the second half of 16th until half of 17th century. First of all, he concentrated on social aspects of baptism and related customs, as well as educational Die Europäischen Länder 114 possibilities and conditions in Gdansk. Knut Schulz presented in the article „Wanderungen von Handerkern, Künstlern und Spezialisten im spätmittelalertlichen Europa (14.-16. Jahr- hundert)” legal and social situation of young people wandering around in search for jobs, relating this to Gruneweg`s youth and his attempts to gain experience for the proffession of a merchant. Irene Dingel describes in the article „Zwischen römischen Katholizismus, Lu- thertum und Calvinismus: Aspekte und Strukturen von Konfessionsbildung im späten 16. Jahrhundert” confessional complications in Lutheranism itself, its knotting with Calvinism and confrontation of these confessions with the Post-Trident Catholicism in Gdańsk, creating in this way a context which might be useful later for understanding Gruneweg`s conversion from „Gdansk“ Lutheranism (in which he grew up) to Catholicism. Krzysztof Stopka in his article „Armenier im Königreich Polen zur Zeit von Martin Gruneweg” re- ferred to an important stage in Gruneweg`s life, his occupation as a secretary and book- keeper of Armenian merchants in Lwow beginning in 1582 in order to draw attention to the legal-confessional separation of Armenians in Rzeczpospolita in the second half of 16th and in 17th century. The concept of Michail Dmitriev`s article „What was not understood by Martin Gruneweg in the Orthodox Culture of Estern Europe?” is founded on completion of what Gruneweg did not perceive in the Orthodoxy. According to the author, Gruneweg neither understood the analogy between Orthodoxy and Protestantism by the attempts to enable laics to have crucial influence on the Church and clergy in the 16th century, nor did he appreciate that the traditional Orthodoxy showed only a biblical anti-Semitism against Jews and thus cannot be made responsible for pogroms in the time of Chmielnicki`s resur- rection in 1548. The volume of articles is published with a summary in Polish language. – Wąs 382 Almut Bues: Martin Gruneweg (1562–nach 1615). Ein europäischer Lebensweg. Tagung im Dominikanerkloster Krakau/[Kraków], 24.–27. April, in: Frühneuzeit-Info 19/2, 2008, 98f. – Tagungsbericht. – M.Fuchs 383 Walter Leitsch: Das Leben am Hof. König Sigismunds III. von Polen, Band 1-4, , Vienna: Verlag der Ősterreichischen Akademie der Wissenschaften 2009 pp. 2861. – This four-volume, monumental work about daily life at the court of the Polish king Sigismund III (1568-1632) was published in 2009. Its author Walter Leitsch died on 22 February 2010, so he must have lived to see his book in print. The work under review is not just the opus vitae but also the opus magnum of the Viennese professor. – Sigismund III Vasa has been portrayed hitherto in historiography as an ultra-Catholic ruler, completely under the sway of the Jesuits. Leitsch slightly modifies this portrait (vol. II, p. 740-750). In his policy for appointing candidates to government posts, especially the central ones, Sigismund III naturally favoured Catholics, but this was not, in fact, the rule. In Leitsch’s opinion, Sigis- mund III trusted in the loyalty of his Evangelical subjects, too, including the leader of the Polish Protestants Rafał Leszczyński and the voivode of Vilnius and hetman of the Grand Duchy of Lithuania Krzysztof Radziwiłł, especially during the war with the Lutheran king of Sweden Gustav Adolf. The Author attempts to find arguments to support the king’s relatively mild treatment of the ringleaders of the tumult, which led to the destruction of evangelical churches in Cracow and Vilnius. In Leitsch’s opinion, Sigismund III was un- questionably pleased by every conversion to the Catholic faith, e.g. the voivode of Dorpat Kasper Dönhoff, and yet having experienced intolerance towards Catholics in his homel- and, Sweden, here in Poland he displayed moderation in his contacts with heretics. The king was pained by the fact that his sister Anna Vasa was and remained faithful to the Augsburg Confession throughout her life. This fact had no influence, however, on their very close mutual relations (see p. 1074-1144). – Leitsch’s work will almost certainly be the subject of penetrating reviews, not only in Poland but also in Sweden, Austria and Germany. For 115 Litauen und Polen historians of Protestantism, this work provides much new factual material on the biography of the king’s sister, the Lutheran Anna Vasa (p. 1074-1144). However, the author failed to notice the publication of 24 previously unknown letters from Anna Vasa (see Listy Anny Wazówny do rodziny Gyllenstiernów z lat 1591-1612, ed. Jarosław Dumanowski, Piotr Garbacz, Wojciech Krawczuk in collaboration with Ole Svenssonem, Kraków 2002, pp. 147). They contain information that Anna Vasa was a strong opponent not only of Catho- licism but also Calvinism (ibid. p. 116). – The work is published thanks to the efforts of the Polish Academy of Arts and Sciences and Ősterreichische Akademie der Wissenschaft. – Małłek 384 Maria Bogucka: The court of Anna Jagiellon: size, structure and function, in: Acta Poloniae Historica 99 (2009), 91-105. – Personeller Umfang, Ausgaben und Mäzenatentum des Hofes der polnischen Königin Anna Jagiellonka (1523-1596). – Grund 385 Anna Kamler: Education of Noblemen's Sons in 16th Century Poland, in: Acta Polo- niae Historica 99 (2009), 125-136. – Grund 386 Hans-Wolfgang Bergerhausen unter Mitwirkung von Ulrich Schmilewski (Hgg.): Die Altranstädter Konvention von 1707. Beiträge zu ihrer Entstehungsgeschichte und zu ihrer Bedeutung für die konfessionelle Entwicklung in Schlesien. Würzburg: Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn GmbH, 2009, 146 Seiten; Personenregister, Ortsregister; Zusammenfassungen in deutscher, polnischer und tschechischer Sprache; Beiheft zum „Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte“, Bd. 11. – Das Buch besteht aus fünf Arti- keln, von denen alle der Entstehungsgeschichte der Altranstädter Konvention und deren Konsequenzen für den schlesischen Protestantismus gewidmet sind. Peter Baumgart verfolgte in seinem Artikel das Ziel und die Bedeutung der Altranstädter Konvention für die sich etwa im Jahr 1700 ereignenden politischen Konflikte in Europa zu ermitteln. Ihre Dimensi- on vor dem europäischen Hindergrund als bescheiden einstufend, hat der Autor gleichzeitig hervorgehoben, dass sie dennoch in der inneren Konfessionspolitik der Habsburger ein Meilenstein gewesen ist. Arno Herzig widmete seine Aufmerksamkeit in erster Linie der Darstellung von Politik und Methoden zur katholischen Konfessionalisierung im Reich, insbesondere in habsburgischen, und teilweise in bayerischen Gebieten. Christian-Erdmann Schott schilderte die Transformationen des Lutheranismus in Schlesien als Reaktion auf die Altranstädter Konvention. Nebst der Initiierung der mystischen Strömung „der betenden Kinder” und einer imposanten, hauptsächlich finanziellen, Opferbereitschaft der lutheri- schen Bevölkerung, zwecks Nutzung von Möglichkeiten, die Zuständigkeit und Funktionen der lutherischen Kirche als Resultat der Konvention auszubauen, betonte der Autor die Bestrebungen der habsburgischen Gewalt, den Lutheranismus institutionell mit dem öster- reichischen politischen System – durch Gründung von Konsistorien (welche den Charakter der kaiserlich-königlichen kirchlichen Behörden annahmen) zu integrieren. Verena Friedrich beschrieb die Thematik der Errichtung von Gnadenkirchen, wobei sie diese hauptsächlich einer architektonischen Analyse unterzog. Hans-Wolfgang Bergerhausen untersuchte die Wir- kung der Konvention als Rechtsakt. Die erste Zäsur bildete der Übergang Schlesiens unter die preußische Herrschaft. Während die Konvention im Zeitraum von 1707 bis 1742 sym- bolisch für die protestantischen Freiheiten stand, wurde sie nach diesem Datum zur rechtli- chen Grundlage für die Festlegung von Grundsätzen für das Funktionieren der katholi- schen Kirche im preußischen Teil Schlesiens. Eine weitere wichtige Zäsur stellt zum einen das Jahr 1757 dar, wo entgegen der Bestimmungen der Konvention, Friedrich II die Protes- tanten von der Pfarrpflicht gegenüber den katholischen Pfarrern befreite, und zum anderen das Jahr 1800, wo für den Bereich der Funktionsregeln für die Kirchen in Schlesien, statt der Konvention, die Interpretation der Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts allmäh- lich als verbindlicher zu gelten begann. Die Wirkungsgeschichte der Konvention endet, so Die Europäischen Länder 116 der Autor, 1804 mit der Entstehung einer neuen, säkularisierenden philosophisch- politischen Argumentation. – Wąs 387 Lucyna Harc und Gabriela Wąs (Hgg.): Religion und Politik. Bekenntnisfragen und politische Konflikte in Europa im 18. Jahrhundert. Zum 300. Jahrestag der Konvention von Altranstädt. Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2009, 500 Seiten. – Der in das Jahr 2007 fallende 300. Jahrestag der Konvention von Altranstädt versammelte Forscher aus Polen, Deutschland und Schweden zu einer Konferenz in Wrocław. Das Leitthema dieser Begegnung waren die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Staat der Habsburger und den Protestanten in Schlesien in der zweiten Hälfte des 17. und An- fang des 18. Jahrhunderts. Man beschäftigte sich sowohl mit der Zeit, die dem Abschluss der Konvention von Altranstädt im Jahr 1707 vorausging, als auch mit der Konvention selbst und ihren Folgen. Es ist bekannt, dass die in Altranstädt zwischen dem schwedischen König Karl XII., einem Lutheraner, und Kaiser Josef I. geschlossene Konvention den schlesischen Protestanten eine Reihe von Erleichterungen in der Ausübung ihres Kultes brachte. Die schlesische Problematik wurde auf dieser Konferenz jedoch vor einem breite- ren gesamtpolnischen und sogar europäischen Hintergrund behandelt. Dies fand seinen Niederschlag im Inhalt des Symposiumbandes. Dort werden folgende Teile unterschieden: 1. Europa, 2. Schlesien zur Zeit der Habsburger, 3. Schlesien zur Zeit der Preußen, 4. Preu- ßen, 5. Polnisch-Litauische Adelsrepublik. Im ersten Teil finden sich die grundlegenden Artikel in diesem Band: von Heinz Durchhardt (Mainz) „Christianitas versus Europa”, von Gabriela Wąs (Wrocław) über die Entstehung der Territorialkirchen in Dänemark, Schwe- den, England, der Vereinigten Republik der Provinzen der Niederlande, der Schweizer Konföderation, Frankreich und den Staaten der Habsburger sowie von Otfried Czaika (Stockholm) über das Bild des Schwedenkönigs Karl XII als Verteidiger des Protestantis- mus im Licht der proschwedischen Publizistik. Im zweiten Teil verdienen die Texte von Arno Herzig „Die Monokonfessionalisierung Schlesiens als politisches Programm der Habs- burger vom 16. bis zum 18. Jahrhundert”, von Lucyna Harc über die Rolle und die Bedeu- tung der Altranstädter Konvention, von Józef Piter über die Friedens- und Gnadenkirchen als Ausdruck der Religionstoleranz in Schlesien, von Tomasz Jaworski über die Konfessiona- lisierung des gesellschaftlichen Lebens im Grenzgebiet zwischen Schlesien und der Lausitz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts oder von Krystyna Matwijowska über das Wirken der Pietisten im Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten, die die in Altranstädt geschlos- sene Konvention den Protestanten eröffnete. Im dritten Teil nimmt der Artikel von Peter Baumgart (Würzburg „Staat und Kirche im bikonfessionellen Schlesien zwischen Staatsräson und Aufklärung“ eine Spitzenposition ein. Im vierten Teil sind ein Artikel von Janusz Małłek über die Calvinisten in Königsberg sowie einer von Jacek Wijaczka über die Situation der Juden im Brandenburgischen Preußen zu finden. Im fünften Teil fanden sich dagegen 13 hauptsächlich die Geschichte der Katholischen Kirche in der Adelsrepublik betreffende Beiträge, die nicht minder lesenswert sind. Die Redakteurinnen haben einen vorbildlichen Band zum Druck vorbereitet. – Małłek 388 Michael G. Müller: Reformationsforschung in Polen, in: Archiv für Reformationsge- schichte 100 (2009), 138-154. – Forschungsbericht. – Grund

7.4 Die baltischen Länder

389 Talis Vare (Hg.): Saare-Lääne piiskopkond. Artiklid Lääne-Eesti keskajast, Bistum Ösel-Wiek. Artikelsammlung zum Mittelalter in Westestland, Haapsalu: Läänemaa 117 Die Baltischen Länder Muuseum Haapsalu 2004, 287 Seiten. – Dieer konsequent in zweisprachigen – jeweils in deutschen und estnischen Übersetzungsversionen präsentierten – Beiträgen verfasste Sam- melband liefert erstmals eine Zusammenschau der rund 300jährigen Geschichte des Bis- tums Ösel-Wiek, welches zu der seit den ausgehenden 1550er Jahren in den Stürmen des Livländischen Krieges untergegangenen altlivländischen Staatenwelt gehörte. Der sowohl auf dem westlichen estnischen Festland (Wiek mit dem städtischen Zentrum in Pernau) wie auf den vorgelagerten Inseln (v.a. Ösel, Dagö) die weltliche Herrschaft ausübende Bischof residierte abwechselnd auf der wehrhaften Bischofsburg Hapsal, in Leal und Arensburg. Einen konzisen Gang durch die Geschichte dieses Fürstbistums unternimmt der Beitrag von Tiina Kala (177–208). Er beschreibt – wie auch die exemplarische Detailstudie von Juhan Kreem zum 15. Jahrhundert (177–208) – eindrücklich, wie stark die politischen Ein- flußmöglichkeiten einerseits des Deutschen Ordens, andererseits des Rigaer Erzbischofs auf das kleine geistliche Territorium Ösel-Wiek bereits vor der Reformation gewesen sind. In den 1530er Jahren brach über die Besetzung des Bischofsstuhls eine regelrechte Fehde aus, wobei der preußische Herzog Albrecht seinen Bruder, dem Rigaer Erzbischof Wilhelm von Brandenburg, politisch bei dessen Plänen zur Säkularisation des Bistums unterstützte. Dieses Ziel wurde schließlich durch den Sohn des dänischen Königs Christian III., Herzog Magnus von Holstein (als evangelischer Bistumsadministrator 1560–1572), mit russischer Unterstützung (als „König von Livland“ 1570–1577) umgesetzt. Demgegenüber sind Quel- len über das religiöse Leben im späten Mittelalter und in den frühen Reformationsjahrzehn- ten rar, was sicher auch daran lag, daß im Bistum Ösel-Wiek keine bedeutenden Klöster gegründet wurden. Weitere einschlägige Beiträge im Sammelband behandeln unter anderem die Kirchen in der ehemaligen Bischofsstadt Leal (Mati Mandel, 257–272) sowie die Besit- zungen und die personelle Zusammensetzung des Domkapitels in prosopographischer Form bis zur Auflösung dieser Korporation im Jahre 1563 (Tõnis Lukas, 221–244). – Asche 390 Anti Selart: Das Wunder in Narva am 11. Mai 1558. Zur Geschichte der russischen Polemik gegen die Reformation im 16. Jahrhundert, in: Forschungen zur baltischen Ge- schichte 4, 2009, 40–57. – Der Beitrag behandelt die Propaganda im Kontext der russischen Eroberung Narvas am Beginn des Livländischen beziehungsweise Ersten Nordischen Krieges. Anhand der gegen die Lutheraner in Livland gerichteten Polemiken wird deutlich, daß auch der orthodoxe Zar Iwan IV. nach seinem Selbstverständnis einen Religionskrieg gegen Häretiker führte. – Asche 391 Kari Tarkiainen: Christian Agricola und die schwedische Kirchenpolitik in Estland 1583–1586, in: Forschungen zur baltischen Geschichte 4, 2009,58–77. – Der Beitrag ist eine wichtige Studie zu Christian Agricola, dem in der Forschung bislang wenig beachteten Sohn des finnischen Reformators Michael Agricola. Im Jahre 1583 vom schwedischen König Johann III. zum Bischof von Reval eingesetzt, spielte er für einige Jahre eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung der orthodox lutherischen Kirchenpolitik in der erst seit 1561 zum Schwedischen Reich gehörigen Stadt. – Asche 392 Anti Selart: Schismatiker, Vereinigung und das Geld. Livland und die Union von Florenz (1439), in: Zeitschrift für Historische Forschung 36, 2009, 1–31. – Der Beitrag zeigt die gesamteuropäischen Zusammenhänge um die gescheiterten Unionsbemühungen zwi- schen der lateinischen Papstkirche und der orthodoxen Kirche in Rußland, in welche die regionalen Konflikte in Altlivland zwischen dem Landmeister des Deutschen Ordens und dem Erzbischof von Riga eingebettet waren. – Asche