MITT. ZOOL. GES. BRAUNAU Bd. 10, Nr.2: 237 - 242 Braunau a. I., November 2011 ISSN 0250-3603

Die Erbsenmuschel pulchellum (Jenyns, 1832) und Bauchige Windelschnecke Vertigo moulinsiana (Dupuy, 1849) – Neunachweise in Niederbayern

von JENS SACHTELEBEN

Einleitung

Im Landkreis Kelheim wurden im Rah- Mit der Erbsenmuschel Pisidium pulchellum men eines FFH-Managementplanes für das und Vertigo moulinsiana wurden dabei zwei Forstmoos und eines Pflege- und Entwick- für Niederbayern neue und auch im bayeri- lungskonzeptes für das Heiligenstädter schen Kontext interessante Molluskenarten Moos ausgewählte Weichtierarten erfasst. nachgewiesen.

Untersuchungsgebiete

Forstmoos und Heiligenstädter Moos lie- einer Nutzungsintensivierung und teilweise gen am östlichsten Rand des Naturraumes einen Umbruch der Grünländer. Im Rahmen „Donaumoos“ (063) im Westen des Land- eines größeren Naturschutzprojektes (Bay- kreises Kelheim (Niederbayern). Charakte- ern Netz Natur) wird hier ein Teil der Wiesen ristisch für den Naturraum und die Untersu- wieder extensiver genutzt. Für das Forst- chungsgebiete sind ausgedehnte Nieder- moos prägend ist außerdem ein großer moorbereiche und ein relativ günstiges Kli- Teich im Westen („Oberweiher“), dessen ma: mit einem Jahresmittel von 8 – 9oC liegt Verlandungszone in die ökologisch wert- die Jahresdurchschnittstemperatur etwa 1oC vollsten Streuwiesen übergeht. Das Heili- über dem bayerischen Mittelwert. Bei mittle- genstädter Moos ist demgegenüber stärker ren Jahresniederschlägen von 650 – 750 von einer Aufgabe der Nutzungen betroffen, mm erhalten die Gebiete etwa 100 mm we- so dass hier relativ großflächige sekundäre niger Niederschlag als die angrenzenden Feuchtgehölze entstanden. Im Norden die- Hügelländer. ses Untersuchungsgebietes liegt zudem ein größeres Altwasser. In den etwas höher Für beide Gebiete charakteristisch sind gelegenen und durch Auensedimente ge- verschiedene Feucht- und Streuwiesentypen kennzeichneten Bereichen dominiert die und Gräben. Die starke Entwässerungswir- Ackernutzung. kung der Gräben führte im Forstmoos zu

237 Methode

Im Heiligenstädter Moos sollten aus- Im Forstmoos sollten Vertigo angustior gewählte Zielarten (Segmentina nitida, Ver- und Vertigo antivertigo flächendeckend er- tigo antivertigo, Vertigo angustior) erfasst fasst werden. Dazu wurden am 2. und werden. Im Zuge dessen wurden am 4.7.2002 alle grundsätzlich geeigneten Habi- 8.9.2003 insgesamt 16 Probestellen in Hin- tate (n = 55) jeweils 5 bis 45 Minuten auf blick auf Wassermollusken untersucht (9 an Vertiginiden abgesucht. Nach dem ersten Gräben, 3 an Altwassern, 4 an sonstigen Nachweis von Vertigo moulinsiana wurden Stillgewässern, z. B. Torfstichen). Dazu wur- auch andere dem Habitatschema dieser Art den Sedimentproben entnommen und die entsprechende Lebensräume stichprobenar- Unterwasservegetation mit einem Kescher tig (n = 5) kontrolliert. abgestreift. Beifänge wurden ebenfalls ge- sammelt und determiniert.

Erbsenmuschel Pisidium pulchellum

Diagnose m/sec). Das Substrat war schwarz- Nachgewiesen wurde zunächst ein le- schlammig, die Dichte an Wasserpflanzen bendes juveniles Exemplar. Auffällig war (v. a. Callitriche spec.) hoch. Das sehr klare zunächst die im Profil dachziegelartige Rip- Wasser deutete auf unmittelbaren Grund- pung der Oberfläche wie sie in ähnlicher wasseranschluss hin. Der Graben wurde Form auch von Pisidium nitidum f. arenicola beidseitig von feuchten, ruderalisierten bekannt ist. Diese konnte aufgrund des Hochstaudenfluren gesäumt. An diese deutlich schräg gestellten Wirbel (ähnlich grenzten Äcker und feuchte, aber intensiv Pisidium subtruncatum) und insbesondere genutzte Grünländer an. Die Exemplare durch die deutlich längeren Hauptzähne wurden in Sedimentproben direkt von der ausgeschlossen werden. Inzwischen konnte Sohloberfläche gefunden. Begleitarten wa- dieser Erstnachweis auch durch weitere ren Pisidium nitidum, Gyraulus albus, Anisus adulte Exemplare verifiziert werden. Die vortex, Physa fontinalis und Valvata piscina- Schalen befinden sich in der Sammlung des lis. Autors. Diskussion Fundort Der Fundort im Heiligenstädter Moos ist Der Fundort von Pisidium pulchellum ist der einzige bekannte Fundort der Art in Nie- ein permanent wasserführender Graben im derbayern und der zweite aktuelle bayeri- Heiligenstädter Moos östlich Neustadt a. d. sche Nachweis (STRÄTZ, mdl., FALKNER et al. Donau (Gauß-Krüger-Koordinaten: RW 44 2003). Darüber hinaus ist aus Bayern nur 83 360, HW 54 08 340). Dieser ist im We- ein weiterer gesicherter historischer Nach- sentlichen Vorfluter für mehrere das Nie- weis bei Neumarkt i. d. Oberpfalz (GEYER dermoor entwässernde Gräben. Das Ein- 1923, s. FALKNER 1990) bekannt. zugsgebiet eines dieser Gräben schließt Über die Habitatansprüche der Art gibt aber auch Flächen außerhalb des Moores es bisher nur wenige Hinweise: GLÖER & mit ein. Die Wassertiefe betrug zum Unter- MEIER-BROOK (1998) nennen „sumpfige Grä- suchungszeitpunkt ca. 80 cm, die Strömung ben, Auen, Kanäle; kalkbedürftig“ als Habi- war sehr schwach bis fast stehend (<< 0,03 tatcharakteristika. Der erste aktuelle bayeri-

238 sche Fundort ist ebenfalls ein Graben in mige Sedimente in geringer Wassertiefe und einem Moorgebiet (STRÄTZ, mdl.). In Schles- die Empfindlichkeit gegenüber Gewässer- wig-Holstein werden die Lebensräume als verschmutzung heraus. „vor allem kalkhaltige Kleingewässer mit Insgesamt entspricht der Fundort im Hei- leichter Wasserbewegung, insbesondere ligenstädter Moos also dem bisher bekann- kleine Fließgewässer“ beschrieben ten Habitatschema der Art: Die Art wurde im (http://www.mollbase.de/sh/sphaeriidae/pisid schlammigen Sediment eines vermutlich ium_pulchellum_atl.htm). MÜLLER (2009) grundwasserbeeinflussten, in jedem Fall beschreibt die Fundorte in Brandenburg und nicht verschmutzten Niedermoorgraben Berlin als „überwiegend um organische Ge- nachgewiesen. wässer mit geringer Strömung und schlam- Der Nachweis im Heiligenstädter Moos migem Grund“. In Polen, wo die Art regel- ist der zweite aktuelle bayerische Nachweis mäßiger als in Deutschland nachgewiesen und der dritte bayerische Nachweis über- wurde, ist die Art typisch für Torfstiche und haupt. In Deutschland wurde die Art bisher kleine, saubere Fließgewässer mit schlam- vor allem in Norddeutschland nachgewiesen miger Sohle (PIECHOCKI 1989). Die Art wur- (GLÖER & MEIER-BROOK 1998). Innerhalb de aber auch in Teichen, Sümpfen, an See- von West-, Nord- und Mitteleuropa wurde ufern und auf überfluteten Wiesen festge- die Art in nahezu allen nördlichen Staaten, stellt. JURKIEWICZ-KARNKOWSKA (2002) wies aber auch in Frankreich und der Schweiz die Art in strömungsbeeinflussten Bereichen festgestellt (CLECOM-Projekt: eines Stausees nach. Als wesentliche Habi- http://www.gnm.se/clecom/clecom- tatmerkmale stellt PIECHOCKI (1989) schlam- index.htm).

Bauchige Windelschnecke Vertigo moulinsiana

Diagnose ten Verlandungszone und angrenzenden Insgesamt wurden 6 Exemplare gefun- mehr oder weniger regelmäßig gemähten den. Eine eindeutige Unterscheidung von Streu- und Feuchtwiesen. Die Fundorte ebenfalls im Gebiet vorkommenden Vertigo liegen im Überschwemmungsbereich des pygmaea, die hinsichtlich des Zahnmusters angrenzenden Teiches. Alle Exemplare wur- am ehesten vergleichbar sind, war durch die den an lebenden und toten Schilfhalmen in Größe (Höhe 2,6 –2,7 mm) und die ausge- einer Höhe von ca. 20 bis 100 cm gefunden. prägte bauchige Form möglich. Belegex- emplare sind in der Zoologischen Staats- Diskussion sammlung München (1 Exemplar) in der Der Fundort im Forstmoos ist der erste Sammlung Falkner (2 Expl.) und in der Nachweis dieser Art in Niederbayern. Der Sammlung des Autors (3 Expl.) hinterlegt. nächste bekannte Fundort liegt in ca. 10 km Entfernung bei Mitterwöhr im Donaumoos in Fundort Oberbayern (FALKNER 2003). Trotz zahlrei- Vertigo moulinsiana konnte in zwei von cher Neunachweise in jüngerer Zeit (vgl. fünf potentiell geeigneten Probeflächen am COLLING 1999, FALKNER 2003) sind aktuell in Rande des Oberweihers im Forstmoos Bayern nur ca. 20 Fundorte bekannt, wovon nachgewiesen werden (Gauß-Krüger-Koor- die meisten im Ammersee-/Starnberger- dinaten: RW 44 76 600, HW 53 97 980). Die seegebiet und im Ampertal liegen (Abb. 1). Nachweise gelangen ausnahmslos im Über- Ein weiteres aktuelles, isoliertes Vorkom- gangsbereich zwischen der schilfdominier- men befindet sich in Nordbayern (Nachweis

239 von KITTEL 1993 bei Gössenheim, Landkreis ten. Schließlich ist auch eine Einschleppung Main-Spessart: KITTEL 1995). bzw. Einwanderung der Art nicht völlig aus- Da die Molluskenfauna des Forstmooses zuschließen. 1991 im Rahmen eines Pflege- und Entwick- Die Lebensräume entsprechen dem lungsplanes vergleichsweise intensiv von bekannten Habitatschema: Übergangsberei- COLLING untersucht wurde (PLANUNGSBÜRO che zwischen Schilfröhrichten oder hoch- BEUTLER 1992), ist der Neunachweis der Art wüchsigen Seggenriedern und angrenzen- etwas überraschend. Setzt man die von den offenen Feuchtlebensräumen bzw. Ge- anderen Molluskenarten bekannten Dichte- wässern (COLLING 2001). schwankungen voraus (vgl. z. B. FALATURI & Bis in die 1990er Jahre galt die Art als KOENIS 1996), ist denkbar, dass Vertigo nur lokal in Europa verbreitet (vgl. KERNEY et moulinsiana aufgrund einer zum Untersu- al. 1983). Nach Aufnahme der Art in Anhang chungszeitraum geringen Populationsdichte II der FFH-Richtlinie wurde die Art in vielen übersehen wurde. Möglich ist auch, dass die EU-Ländern gezielter gesucht, was eine 1991 angewendeten Erfassungsmethoden wesentlich höhere Fundortdichte zur Folge für einen Nachweis der Art nicht ausreich- hatte (vgl. COLLING 2001).

Danksagung

Ich danke Dr. G. und M. FALKNER, Hörl- von Pisidium pulchellum sowie die ergän- kofen für die Bestätigung des Nachweises zenden Hinweise zur Verbreitung der Art in von Vertigo moulinsiana und besonders C. Bayern. C. STRÄTZ und M. COLLING, Mün- STRÄTZ, Bayreuth sowie Dr. U. BÖSS- chen gaben wertvolle Hinweise zum Manu- NECK, Vieselbach für die Nachbestimmung skript.

240 Abb. 1: Fundorte von Vertigo moulinsiana in Bayern Quelle: Artenschutzkartierung des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz, Stand: April 2003, ergänzt durch Daten aus FALKNER (2003)

Literatur

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Verfasser:

Dr. Jens SACHTELEBEN, PAN, Rosenkavalierplatz 10, D-81925 München,

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