Was Aufmerksame Leser Im Dritten Reich Aus Ihrer Tageszeitung
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„Das haben wir nicht gewusst!“ Was aufmerksame Leser im Dritten Reich aus ihrer Tageszeitung erfahren konnten Eine katholische Kleinstadt im Spiegel des Sauerländischen Volksblattes 1930-1941 Zusammengestellt von Rolf Müller (Abdruck in: Olpe in Geschichte und Gegenwart Band 16, 17, 18/19 (2008, 2009, 20011) Das Sauerländische Volksblatt (1841-1979) befindet sich als Depositum des Heimatvereins für Olpe und Umgebung e.V. im Stadtarchiv Olpe. Vorwort Die Frage, ob die Generation unserer Eltern die Entwicklung, die zum Dritten Reich führte, vorherse- hen konnte und was sie über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus selbst wissen konnte bzw. wusste, hat mich lange beschäftigt. Als in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer unvorstellbarere Einzelheiten über das verbrecherische Wirken des Naziregimes bekannt wurden, war eine häufige Antwort: „Das haben wir nicht gewusst.“ Fast 60 Jahre nach Kriegsende ist die Generati- on der Zeitzeugen fast ausgestorben, und wenn Zeitzeugen sich äußern, ist ihre Erinnerung häufig durch persönliche Eindrücke bestimmt und entsprechend gefärbt. Auf der Suche nach einer „unverfälschten Antwort“ hatte ich mir deshalb vorgenommen, das Sauerländische Volksblatt, die Tageszeitung meiner Heimatstadt Olpe, zu lesen, um unmittelbar zu sehen und zu lesen, was und in welcher Form berichtet und kommentiert wurde. Mich interessierten dabei nicht so sehr die bekannten politischen Ereignisse, sondern vielmehr ihre Wirkung und ihr Ein- fluss auf das politische und gesellschaftliche Geschehen in der städtischen Gesellschaft. Besonders wichtig waren mir außerdem die Stellungnahmen und Äußerungen der politischen Parteien, der Kir- chen, der gesellschaftlichen und beruflichen Verbände sowie von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft, die dadurch das Verhalten weiter Kreise der Bevölkerung nachhaltig beeinflussen konnten. Eingeflossen sind darüber hinaus Artikel über das kirchliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben in Olpe. Als Zeitraum meiner Lektüre habe ich die Jahre von 1930 an bis zur Einstellung des Sauerländi- schen Volksblattes im Mai 1941 gewählt, um auch die Entwicklung, die zum Dritten Reich führte, deut- lich werden zu lassen. Die ab Juni 1941 den ehemaligen Beziehern des Sauerländischen Volksblattes angebotene Westfälische Landeszeitung – Rote Erde, Dortmund, stellte praktisch keine Bezüge mehr zu Olpe bzw. zum Südsauerland her. Gleich zu Beginn meiner Lektüre nahm ich mir vor, die mir wichtigen Artikel abzuschreiben und damit nicht nur für mich selbst, sondern auch für weitere interessierte Leser zu dokumentieren, da der Zugang zu alten Ausgaben von Zeitungen nicht selten umständlich ist. Somit liegt jetzt eine Dokumen- tation vor, die es möglichst vielen, insbesondere auch jungen Lesern erlaubt, sich selbst ein Bild über die Zeit des Dritten Reiches, in der ihre Eltern und Großeltern gelebt haben, zu machen. Ich habe die Originalschreibweise übernommen, nur offensichtliche Fehler korrigiert. Auslassungen sind … gekennzeichnet. Um die Verständlichkeit zu erhalten, sind manche Längen aber unvermeidlich geworden. Fettdruck wurde nur in Überschriften und bei der Nennung des Publikationsortes über- nommen. Fettdruck, Kursive und Sperrungen im Text blieben allerdings unberücksichtigt. Für diese Arbeit hat die Bibliothek des Ruhrgebiets in Bochum, meinem Wohnort, die Mikroverfil- mungen des Sauerländischen Volksblattes aus der Universitätsbibliothek Münster ausgeliehen und mir die technischen und räumlichen Voraussetzungen für Lektüre und Dokumentation geschaffen. Dafür bin ich der Bibliothek des Ruhrgebietes und ihren Mitarbeitern, die mir immer wieder geholfen haben, zu großem Dank verpflichtet. Bei der vorliegenden Dokumentation handelt es sich um eine sehr persönliche Auswahl aus dem Sauerländischen Volksblatt der Jahre 1930 bis 1941. Mein erstes Ziel war es, zu zeigen, welche In- formationen über die politische Entwicklung in Deutschland, über die Ziele der nationalsozialistischen Machthaber, über die vielfältige Zustimmung dazu und die gelegentlichen Widerstände allgemein und frei zugänglich waren. Ich habe mich dabei bemüht, die Auswahl unvoreingenommen zu treffen und keine wichtigen Artikel auszulassen. Das schließt nicht aus, dass ich aus der Fülle den einen oder anderen relevanten Artikel übersehen habe. Der Leser soll in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über die Situation seiner Eltern und Groß- eltern zu machen im Hinblick auf die Frage, was sie über das nationalsozialistische Regime, seine Ziele und seine Taten, wussten oder hätten wissen können. Dr. Rolf Müller, Nevelstraße 27a, 44795 Bochum (E-mail: [email protected]) Zeittafel (1930-1941) 1930 23.1. Mit Wilhelm Frick wird erstmals ein Mitglied der NSDAP in ein Regierungsamt einer deutschen Landesregierung (Thüringen) gewählt. 7.2. Stilllegung der Rheinisch-Westfälischen Kupfer-Werke AG, eines bedeutenden Arbeitgebers in Olpe und Unternehmens von nationaler Bedeutung, als Folge der Weltwirtschaftskrise 12.3. Annahme des Young-Planes (Neuregelung der Reparationszahlungen Deutschlands an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges) durch den Reichstag 27.3. Rücktritt der Reichsregierung Hermann Müller (SPD) wegen der Weigerung der SPD, die Bei- träge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen 29.3 Heinrich Brüning (Zentrum) wird zum Reichskanzler ernannt; Übergang zur Präsidialregierung; Bildung eines Minderheitskabinetts 30.6. Vorzeitige Räumung des Rheinlandes durch alliierte Truppen 18.7. Auflösung des Reichstages, nachdem dieser die Notverordnungen zur Sicherung von Wirt- schaft und Finanzen abgelehnt hat 14.9. Reichstagswahlen mit starken Stimmengewinnen vor allem der NSDAP 25.9. „Legalitätseid“ Adolf Hitlers im Leipziger Hochverratsprozess gegen Ulmer Reichswehroffizie- re: „Die NSDAP kämpfe nur mit legalen Mitteln um die Macht, werde dann aber den Staat in die richtige Form gießen.“ 1.12. Notverordnungen zur Sicherung der Wirtschafts- und Finanzlage 1931 Jan. Fast fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland 10.2. Erklärung der bayerischen Bischöfe gegen den Nationalsozialismus; im März ähnliche War- nungen auch in anderen Kirchenprovinzen 13.4. Sturz der Monarchie in Spanien, Ausrufung der Republik 11.5. Der Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt führt zu einem starken Vertrauensver- lust auf den internationalen Kreditmärkten. 6.7. Inkrafttreten des Hoover-Moratoriums, das die Bezahlung interalliierter Kriegsschulden für ein Jahr aussetzt 13.7. Bankenkrise nach dem Zusammenbruch der Darmstädter und Nationalbank 6.10. Weitere Notverordnung zur „Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ 9.10. Zweites Kabinett Brüning nach dem Scheitern der deutsch-österreichischen Zollunions-Pläne 11.10. Treffen der „nationalen Opposition“ in Bad Harzburg („Harzburger Front“) 8.12. 4. Notverordnung zur „Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ und „zum Schutz des inneren Friedens“ 16.12. Bildung der „Eisernen Front“ (SPD, Allg. Deutscher Gewerkschaftsbund, Arbeitersportverbän- de, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold) als Kampforganisation gegen den Nationalsozialismus 1932 Febr. 6,13 Millionen Arbeitslose in Deutschland 2.2. Eröffnung der internationalen Abrüstungskonferenz in Genf 10.4. Wiederwahl Hindenburgs im 2. Wahlgang zum Reichspräsidenten; Hindenburg erhält 53,0 %, Hitler unterliegt mit 38,6 % 13.4. Verbot von SA und SS durch die Regierung 24.4. Bei den Landtagswahlen in Preußen, Württemberg, Anhalt und Hamburg wird die NSDAP stärkste, in Bayern zweitstärkste Partei. 30.5. Entlassung des Kabinetts Brüning wegen Differenzen mit Hindenburg in der Notverordnungs- frage; Bildung des Kabinetts der „nationalen Konzentration“ unter Franz von Papen (ehemals Zentrum, jetzt parteilos) mit Kurt von Schleicher als Reichswehrminister, Übergang von der Präsidialregierung zur Präsidialdiktatur 4.6. Auflösung des Reichstags 16.6. Aufhebung des SA- und SS-Verbots 16.6.-9.7. Die Reparationskonferenz in Lausanne vereinbart endgültige Reduzierung der deutschen Reparationsschuld. 22.7. Auszug Deutschlands aus der Genfer Abrüstungskonferenz 25.7. Nichtangriffspakt zwischen Russland und Polen 31.7. Reichstagswahl: Die NSDAP wird stärkste Partei. 13.8. Hitlers Forderung auf Ernennung zum Reichskanzler wird von Hindenburg abgelehnt. 12.9. Von Papen löst den Reichstag auf, nachdem dieser die Aufhebung der Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft vom 4.9. verlangt. 6.11. Reichstagswahlen: Trotz erheblicher Verluste bleibt die NSDAP stärkste Partei. 17.11. Rücktritt von Papens wegen fehlender Basis für seine Präsidialregierung der „nationalen Kon- zentration“ 29.11. Nichtangriffspakt zwischen Frankreich und Russland 2.12. Hindenburg ernennt Kurt von Schleicher zum Reichskanzler. 11.12. Fünf-Mächte-Erklärung in Genf: Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutsch- lands 1933 4.1. Treffen Hitler/von Papen in Köln: Sondierung zur Bildung eines Hitler-Papen-Kabinetts 28.1. Rücktritt von Schleichers, nachdem ihm Hindenburg das Vertrauen entzogen hat 30.1. Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler an der Spitze eines Präsidialkabinetts 1.2. Auflösung des Reichstages 27.2. Der Reichstagsbrand löst eine Verfolgung und Unterdrückung von Kommunisten und Sozial- demokraten aus. 28.2. Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ 5.3. Wahlen zum Reichstag: 44% Stimmen für die NSDAP 24.3. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten beschließt der Reichstag das Ermächtigungsge- setz. 1.4. Boykott jüdischer Geschäfte 7.4. Gesetz „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 2.5. Aufhebung der Gewerkschaften 22.5. Die Sozialdemokratische