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Ferruccio Busoni (1866 – 1924) DOKTOR

Dichtung für Musik in zwei Vorspielen, einem Zwischenspiel und drei Hauptbildern

Text vom Komponisten

Live-Aufnahme der Münchner Erstaufführung in der vom Komponisten hinterlassenen, unvollendeten Form vom 28. Juni 2008

Bayerische Staatsoper Nikolaus Bachler, Staatsintendant , Generalmusikdirektor

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Besetzung | Cast Doktor Faust Wolfgang Koch Wagner, sein Famulus, Rector magnificus/ Gravis, Geisterstimme Steven Humes /Nachtwächter John Daszak Solistinnen/soloists Elif Aytekin, Laura Rey, Der Herzog von Parma/Des Mädchens Stephanie Hampl Bruder, Soldat/Megäros, Puppenspieler/puppeteers Peter Lutz, Geisterstimme V Raymond Very Lutz Großmann, Rike Schubert Die Herzogin von Parma Catherine Naglestad Zeremonienmeister Alfred Kuhn Bayerisches Staatsorchester Naturgelehrter/2. Student aus Krakau/ Orgel/organ Elmar Schloter Asmodus, Geisterstimme III / Ein Student Dirigent/conductor Tomas Netopil Adrian Sâmpetrean Ein Leutnant /1. Student aus Krakau/ Student I Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper aus Ulrich Reß Chöre/choirs Andrés Máspero Theologe Christian Rieger Jurist Klaus Basten Inszenierung/director Nicolas Brieger 3. Student aus Krakau/Levis, Geisterstimme II / Bühne/stage design Hermann Feuchter Student III aus Wittenberg Rüdiger Trebes Kostüme/costume design Beelzebuth, Geisterstimme IV/Tenorsolo Margit Koppendorfer Kenneth Roberson 1. protestantischer Student Jason A. Smith 2. protestantischer Student Marcel Görg 3. protestantischer Student Werner Bind 1. katholischer Student Ingolf Kumbrink 2. katholischer Student Jochen Schäfer

3 CD 1

[01] Symphonia »Pax, pax, pax« 06:41 Vorspiel II [07] In modo d’un Adagio 02:43 Vorspiel I [08] Die Sanduhr zeigt die Mitternacht 04:05 [02] Agitato 00:53 [09] Frage, immerhin 12:03 [03] Euerer Magnifizenz Verzeihung 02:18 [10] Willst du mir dienen? 04:34 [04] Faust, Faust, nun erfüllt sich dein [11] Höre, Faust. Draußen stehn die Gläubiger ­Augenblick! 01:56 02:35 [05] Euere Magnifizenz, die Studenten sind [12] Schlau wusstest du die Schlingen zu hier 04:13 legen 02:14 [06] Seid Ihr den Studenten begegnet? 00:51 [13] Credo in unum Deum 02:51 [14] Et iterum venturus est 02:56 [15] Allelujah! 01:24

total 52:26

4 CD 2 CD 3

[01] Intermezzo (Sostenuto) | Du, der du Zweites Bild nicht allein der Gott der Milde 05:43 [01] So lang man Jugend hat 03:20 [02] Der Mann sinnt auf deinen Tod 01:52 [02] Nichts ist bewiesen und nichts ist [03] Möchtest du mir nicht beichten? 04:45 ­beweisbar 03:31 [03] Te, Deum, laudamus 02:40 Erstes Bild [04] Von allen Frauen, die mich geliebt 02:07 [04] Cortège 04:53 [05] Lasst euch nicht stören 01:23 [05] Sie nah’n! Der Fürst, die Fürstin! 06:18 [06] Dort war ein dummer Herzog 08:11 [06] Er ist ein Fürst an Wesen und Gebärde [07] Traum der Jugend, Ziel des Weisen! 04:25 02:51 [08] Der Mensch ist dem Vollkommenen 06:18 [07] Was wünscht die schöne Herrin zu [09] Ihr Männer und Frauen 09:00 ­erschauen? 08:16 [10] Das Haus ist mir bekannt 08:18 [08] Er ruft mich wie mit tausend Stimmen 07:32 total 49:17 [09] Was Wichtiges, sagt Ihr? 02:29 [10] Symphonisches Intermezzo – In modo d’una Sarabanda 06:13 total 50:57

5 Wolfgang Koch Ferruccio Busoni Über die Partitur des Doktor Faust On the Score of Doktor Faust

Eine hervorragende, historische und sprichwört- It was my desire and precept to focus my liche Figur, die mit dem Zauberischen und Un- on an eminent historical and proverbial figure enträtselten zusammenhinge, zum Mittelpunkt having to do with the realms of magic and un- meines Opernspiels zu machen, war in mir solved enigmas. Such characters, from Zoroaster Wunsch und Prinzip. Von Zoroaster bis Cagli- to Cagliostro, form a colonnade extending over ostro bilden diese Gestalten eine Säulenreihe the course of the ages. The one to be chosen durch den Gang der Zeiten. Die zu erwählende from amongst these should not lie so far back in unter jener durfte nicht in dieser so weit zu- time that our sympathy for him would suffer rückreichen, dass die Teilnahme an ihr durch due to his remoteness; and not so close to our Entfernung litte; nicht so nahe gerückt sein, times that the “distance” indispensible for mak- dass die für die Wirkung unerlässliche »Distanz« ing an effect would be too short. This is why I zu kurz bemessen wäre. Darum entschied ich decided upon the Middle Ages at the dawn of mich für jenes Mittelalter, das die anbrechende Renaissance. Renaissance zu erhellen beginnt. It was in Paris, in 1911, that I discussed a Mit D’Annunzio besprach ich (1911, und in ­libretto about Leonardo da Vinci with Paris) ausführlich ein Libretto über Leonardo D’Annunzio. Leonardo, the “Italian Faust”, as da Vinci: den »italienischen Faust«, wie ihn der the poet designated him, and “incidentally” – Dichter bezeichnete, »und im übrigen« – so he objected – “a skeleton on which a torch is wandte er ein – »ein Skelett, dem eine Fackel placed instead of a head”. The poet found that anstatt des Kopfes aufgesetzt ist«. Der Dichter this subject lacked sufficient material for “poet- vermisste an ihm hinreichenden Stoff zur »Ly- ry” with which he, as an Italian and an apostle rik«, die er, durch den aus dem XIX. Jahrhun- of Wagner, could not dispense, due to the con- dert übernommenen Begriff der Oper, als Italie- cept of opera adopted from the nineteenth ner, als Wagner-Apostel, nicht entbehren ­century. Thus the “fleshed, heartless skeleton”,

7 konnte. Darum das »entfleischte, herzlose Ge- thus the “mercilessly illuminating light that it rippe«, darum »die erbarmungslos aufklärende bears in place of a head”. Leuchte, die es an Stelle des Kopfes trägt«. Merlin interested me temporarily, and Don Merlin interessierte mich vorübergehend, Juan for a longer time; but I had to depart from Don Juan anhaltender; doch musste ich hier vor the great model of Mozart here. (Even though a dem großen Vorbilde Mozarts weichen. (Wenn- Don Juan libretto could be tackled differently gleich ein Don-Juan-Libretto noch anders an­ from the way the skilful Abbate da Ponte does. gepackt werden könnte, als wie es bei dem Monks would have to be included, with under- ­gewandten Abbate da Ponte geschieht. Da ground passages and the Holy Inquisition; müssten Mönche mitspielen, unterirdische Gän- Moors and creditors and Jews; hired singers and ge, und die heilige Inquisition; Mauren und virtuosos performing madrigals to the best of Gläubiger und Juden; bestellte Sänger und their abilities. – In particular, it seemed to me ­Virtuosen, die Madrigale zum besten gäben. – an omission to have suppressed the counter-in- Namentlich erscheint es mir als ein Versäumnis, vitation of the Stone Guest, taking place in a die Gegen-Einladung des steinernen Gastes un- chapel ruin. One need only collate the highly terdrückt zu haben, die in einer Kapellenruine impressive occurrence in “el burlador de Sevilla” sich abspielt. Man vergleiche diesen höchst ein- of the Tirso de Molina, behind the name of drucksvollen Vorgang in »el burlador de Sevilla« which the legendary monk Gabriel Tellez is hid- des Tirso de Molina; unter welchem Namen den. Thereat also appears the imposing figure of sich der sagenhafte Mönch Gabriel Tellez ver- a fisherwoman who towers above all female fig- birgt. Daselbst tritt auch die gewaltige Figur ures of later Don Juan poetry.) ­einer Fischerin auf, die alle Frauengestalten spä- I was urgently pervaded with the intention, terer Don-Juan-Dichtungen überragt.) and even more the longing, to provide Goethe’s Die Absicht, und noch mehr die Sehnsucht, Faust with music. Simply the veneration of this Goethes Faust mit Musik auszustatten, hatte overpowering task helped me make renuncia- mich dringend erfüllt. Allein die Ehrfurcht vor tions. This confession can be clearly gathered – I der übermächtigen Aufgabe verhalf mir zur Ent- believe – from the rhymed prologue. Recogniz-

8 sagung. Dieses Geständnis geht – so glaub’ ich – ing and admitting one’s own limitations leads aus dem gereimten Prolog deutlich hervor. Die most imminently to making proper use of one’s eigene Begrenzung zu erkennen und sich einzu- native abilities. I had simply succumbed to the gestehen führt am nächsten dazu, die angebore- fascination of this Faust idea, and it continued nen Fähigkeiten richtig zu gebrauchen. Ich war to dominate me. I was meanwhile liberated aber nun einmal der Faszination dieser Faust- from the ambivalence between longing and re- Idee verfallen, und sie beherrschte mich weiter. nunciation by making the acquaintance of the Aus dem waltenden Zwiespalt zwischen Sehn- old puppet show, testing several versions and sucht und Entsagung befreite mich die inzwi- deciding upon the one that would be the point schen erfolgte Bekanntschaft mit dem alten of departure for my opera text. – As if in a fever, Puppenspiele, von dem ich mehrere Versionen and in six days, I wrote the first draft of Doktor prüfte, für das ich mich entschied, das zum Aus- Faust; it was between the outbreak of the war gangspunkte meines Operntextes wurde. – Wie and preparations for an ocean voyage, towards in einem Fieber, und in sechs Tagen, schrieb ich the end of 1914. den ersten Entwurf des Doktor Faust nieder; My own drama begins with the scene at the zwischen dem Ausbruche des Krieges und den court in Parma, emerging thusly from the mys- Vorbereitungen zu einer Ozeanfahrt, gegen tical into the earthly realm. Acting out of his Ende 1914. ­instincts, Faust strives towards unity with the Mein eigenes Drama beginnt mit der Szene Duchess, not yet aware of the predetermined am Hofe zu Parma, und es tritt damit aus dem ­ultimate goal – a warning to this final goal is the Mystischen in das Weltliche. Aus seinem In­ relay of the dead child by Mephistopheles as stinkt erstrebt Faust die Vereinung mit der Her- messenger. Faust does not yet grasp the meaning zogin; des vorbestimmten Endzieles selber noch of the warning, and Mephistopheles continues nicht bewusst. – Eine Mahnung an dieses to lead Faust astray by leading him to believe ­Endziel ist die Überbringung des toten Kindes that the “ideal” would arise alive out of the dead durch Mephistopheles als Kurier. Noch erfasst child. – This proved to be deceptive and unten- Faust die Bedeutung der Mahnung nicht, und able; Faust dispenses with the achievement of

9 Mephistopheles führt ihn weiter irre, indem er the ideal, as he had already (this is apparent Fausten vorgaukelt, es würde aus dem toten from the following conversation with the stu- Kinde das »Ideal« lebendig erstehen. – Dieses er- dent-shadow) renounced the means of magic. – weist sich als trügerisch und unhaltbar; und In the last scene, the apparition of the Duchess Faust verzichtet auf die Erringung des Ideals, makes it abundantly clear to Faust what the wie er schon – (dieses geht aus dem darauffol- child means to him. After Faust – upon his final genden Gespräche mit den Studenten-Schatten attempt at a rapprochement with God – dis- hervor) – auch auf die Mittel der Zauberei ver- cards faith from himself as well, he steps to- zichtet hatte. – Im letzten Bilde macht die Er- wards the mystic action that regenerates his ex- scheinung der Herzogin Fausten eindringlich hausted life. klar, was das Kind ihm bedeutet. Nachdem For reasons expounded in the first section of Faust – auf seinen letzten Versuch einer Annähe- this foreword, the word text is kept intentional- rung an Gott – auch den Glauben von sich ge- ly patchy, apparently fragmentary. And while it worfen, schreitet er zur mystischen Handlung, leaves space open to be filled by music in this die ihm sein erschöpftes Leben erneut. way, the situation and “catchword” are suffi- Aus Gründen, die ich in dem ersten Abschnitt ciently described as a basis. – The act of conju- dieser Vorrede dargelegt habe, ist der Worttext ration, on the other hand, has turned out slight- absichtlich lückenhaft, scheinbar fragmentarisch ly more laborious: it is, after all, no easy thing gehalten. Und während er solcherweise Raum to want to command the devil. I hope that zur Ausfüllung durch die Musik freilässt, sind Faust’s fear, causing him to finally collapse in a Situation und »Schlagwort«, als Unterlage, hin- state of unconsciousness, is recognisable. Inci- reichend hingestellt. – Der Beschwörungsakt ist dentally, he will (contrary to the usual formula dafür ein wenig umständlicher geraten: es ist that has the conjurer’s belt used for this) use a nämlich kein Leichtes, den Teufeln befehlen zu sword to draw the protective magic circle, and wollen. Ich hoffe, dass die Angst Faustens er- keep it in his right. This is a symbol that the kennbar wird, worum er zuletzt ohnmächtig zu- conjurer remains armed against danger. In the sammenbricht. Übrigens wird er (der üblichen realm of magic, the entire procedure is consid-

10 Formel entgegen, die des Beschwörers Gürtel ered extremely dangerous. One notes how the dazu anwenden lässt) den schützenden Zauber- disappointed Faust steps out of the circle after kreis mit einem Schwerte ziehen, und dieses in hearing the fifth voice, thus ceasing to be der Rechten behalten. Es ist dies ein Symbol, ­immune. Then the sixth voice makes itself heard dass der Beschwörer gegen Gefahr gewappnet without being asked, and he can no longer bleibt. Der ganze Vorgang gilt in der Magie als ­defend himself against it. äußerst gefährlich. Man bemerke, wie der ent- I deleted the first monologue from the pup- täuschte Faust nach Vernehmen der fünften pet show (almost literally taken up by Goethe) Stimme aus dem Kreise tritt und somit aufhört, for good reasons: such a debut of the piece gefeit zu sein. Daraufhin meldet sich die sechste would have been too obviously reminiscent of Stimme schon ungefragt, und er vermag nun the customary Faust, and would have therefore nicht mehr, sich dagegen zu wehren. influenced the audience to expect similarly Den ersten Monolog aus dem Puppenspiel ­familiar images. Moreover, the meaning of the (den Goethe fast wörtlich übernimmt) strich ich monologue is contained in the later threat of aus guten Gründen: ein solches Début des Stü- Mephistopheles when he plainly shows Faust his ckes hätte allzu offenbar an den herkömmlichen desperate situation. As a result, I begin the play Faustanfang erinnert und so den Zuschauer auf with the introduction of the students, who are die Erwartung ähnlich-vertrauter Bilder ge- only mentioned in the puppet show, but appear stimmt. Überdies ist der Sinn des Monologes in here visibly and in action. There are originally der späteren Drohung des Mephistopheles ent- two of them, but here they are increased to the halten, als dieser Fausten dessen verzweifelte mystical number of three. Lage vor Augen führt. Folglich beginnt bei mir Already prior to writing down the text, I con- das Spiel mit der Einführung der Studenten, die sciously carried out musical “Faust studies” in a in dem Puppenspiel nur erwähnt sind, hier aber Nocturne Symphonique and a Sonatina Seconda sichtbar und handelnd in Erscheinung treten; which found motivic and stylistic application in und deren Anzahl von der ursprünglichen Zwei the score; they helpfully fulfilled their prepara- auf die mystische Drei gebracht wurde. tory tasks as stimuli, standards of quality and

11 Bereits vor der Niederschrift des Textbuches ­atmosphere. – In the midst of the composition hatte ich, bewusst, musikalische »Fauststudien« of the overall work, I attempted to create, both in einem Nocturne Symphonique und einer Sona- dependent on and independently of this overall tina Seconda gepflegt, die motivisch und stilis- work, a reduced model – a Sarabande and a Cor- tisch in der Partitur Verwendung und Entwick- tège for orchestra, the hearing of which provided lung erfuhren; die als Anregung, Maßstab, me with greater security and instruction. Atmosphäre ihre vorbereitende Aufgabe hilf- The first thing to do was to draft the overall reich erfüllten. – Mitten im Gestalten des Ge- plan, which was already sketched out in its samtwerkes, getrennt und doch von diesem ab- broader outlines through the text, and to think hängig, schuf ich – ein verkleinertes Modell –, over the selection, division, and application of versuchshalber, noch eine Sarabande und ein means and forms (temporal forms, movement Cortège für Orchester, deren Anhörung mir wei- forms). It was an excellent idea to cast musically tere Sicherheit und Belehrung verschaffte. independent forms that simultaneously adapted Es galt vorerst den Gesamtplan zu entwerfen, themselves to the words and to the scenic occur- der in seinen größeren Umrissen durch den Text rence, but also led their own meaningful exis- vorgezeichnet stand; Wahl, Verteilung, Verwen- tence when detached from the words and the dung der Mittel, der Formen (zeitliche Formen, situation. Satzformen) zu überdenken. Vorzüglich war Just as melody stands above all compositional es mir darum zu tun, musikalisch-selbständige means, the human voice remains, as a sonority, Formen zu gießen, die zugleich dem Worte, the most important and richest in expression. It dem szenischen Vorgang sich anpassten; die is the most vital and soulful instrument, con- ­jedoch, auch losgelöst vom Worte, von der trasting with the other artificial ones in a playful ­Situation, ein eigenes und sinnvolles Bestehen and singing manner. The voice carries farther führten. – than the other instruments, for it can be insis- So wie die Melodie über allen kompositori- tently heard both outdoors and at a distance. (It schen Mitteln steht, so verbleibt die menschli- is not inappropriate to mention this well-known che Stimme, als Klangmittel, das wichtigste und and obvious knowledge here once again.) The

12 ausdrucksreichste: das lebendigste und seelen- limitations of this most noble sonority arise, on vollste Instrument, das sich von den übrigen, the other hand, from its dependence on language künstlichen, spielend-siegreich abhebt; weiter- (as emphasis) and text (as a line of thought), tragend als die anderen, im Freien und in der from the economy of breathing, from the limited Entfernung eindringlich vernehmbar. (Es ist range and from the easily occurring lack of pre­ nicht unangebracht, diese bekannten und wohl- cision. – For all that, the singing voice can effec- feilen Erkenntnisse hier wieder anzuführen.) tively elevate the expression of a most simple Die Begrenzungen dieses edelsten Klangmittels phrase, surprisingly increasing its expressive qual- entspringen, wiederum, aus seiner Abhängigkeit ity. Observe this simple melody of Mozart as it von Sprache (als Betonung) und Text (als Ge- appears in one of his piano concertos: dankengang); aus der Ökonomie des Atems, aus dem beschränkten Umfang; aus dem sich leicht einstellenden Mangel an Präzision. – Dafür ver- mag die Singstimme den Ausdruck einer ein- fachsten Phrase wirkungsvoll zu heben, das Ex- pressive an ihr überraschend zu steigern. Man sehe sich diese schlichte Melodie Mozarts an, and listen to it sung, (to these words, for wie sie in einem seiner Klavierkonzerte auftritt: example):

und höre sie, darauf (etwa mit diesen Worten), gesungen Notice how the exuberant interval of the sixth

13 only now attains its full weight; how the repe­ tition of the half-bar motif becomes insistent through the harmonising repetition of the words. Observe how an almost passionate sec- tion arises out of the harpsichord figure, how the insinuated meaning of the text gives life to the intervals! This is the magic of the human voice. In yet another sense, the melodic element in the instrumental context is beneficial, enno- bling, bearing content, indeed indispensible. Wie der überschwängliche Sextenschritt nun For this reason, the development within the erst sein volles Gewicht erlangt; wie die Wieder- musical structure seems to me to strive towards holung des halbtaktigen Motives, durch die zu- orchestral writing made up of purely melodic sammenstimmende Wiederholung der Worte, lines, traversing and support each other, moving eindringlich wirkt; wie aus der Clavecin-Figur forward independently and allowing the harmo- ein fast leidenschaftlicher Satz entsteht, der ny to ascend out of them. ­unterschobene Sinn des Textes den Intervallen I have maintained this “linear polyphony” in Leben verleiht! –: das ist der Zauber der the score of Doktor Faust almost without excep- menschlichen Stimme. – tion, limiting chordal formations with the In noch anderer Bedeutung ist das melodi- graphic image of the note more erected on the sche Element im Instrumentalen förderlich, ver- horizontal level than on the vertical. This is one edelnd, inhaltstragend, ja unerlässlich. Darum of the decisive points in the score that must be scheint mir die Entwicklung innerhalb der mentioned. – Now, another one. ­musikalischen Struktur dahin zu streben, dass It has always left me unsatisfied (at first, at ein Orchestersatz aus reinen melodischen Linien any rate, without my knowing how to account gefügt werde, die sich kreuzen und stützen, for this impression) that the scope of a theatrical

14 ­selbständig schreiten und aus sich selbst die piece ends with the concluding line, transversely Harmonie aufsteigen lassen. drawn, of the painted prospectus, thus cutting Diese »lineare Polyphonie« habe ich in der off the spectator. As with the moon in relation Partitur des Doktor Faust fast durchweg einge- to the earth, he remains half concealed from the halten, akkordische Bildungen eingeschränkt, circle within which the plot unfolds. None­ das graphische Bild der Noten mehr auf das theless, it is unimaginable without the organic Horizontale als auf das Vertikale gestellt. Es ist spatial form of the circle, and in the theatre dieses eines der bezeichnenden Momente in der there are enough hints to ensure that the events Partitur, das erwähnt werden musste. – Nun ein continue to occur behind the prospectus as well. anderes. The spectator’s imagination is called upon to Es hat mich von jeher – (zuerst allerdings, work on the completion. If a character exits ohne dass ich mir über den Eindruck Rechen- through the door, this person’s departure, his schaft zu geben wusste) – unbefriedigt gelassen, going out onto the street, can be vividly imag- dass der Spielraum eines Schaustückes mit der ined. Sometimes the spectator also knows where quergezogenen abschließenden Linie des gemal- this person is now (fictitiously) located, and he ten Prospektes aufhört und so dem Zuschauer penetrates into the invisible half of the con- abgeschnitten wird. Diesem bleibt von dem ceived circle with the gazes of his imagination. – Kreise, innerhalb dessen sich die Handlung ab- Things are different with the music in the the- rollt, die eine Hälfte auf immer verborgen (wie atre, which – with very few exceptions – fills the es mit dem Mond im Verhältnis zur Erde ge- front semicircle exclusively. – It strikes me that schieht). Doch lässt sich die organische Raum- the music is especially called upon to completely form des Kreises nicht hinwegdenken, und im gird this periphery; and I have undertaken the Schauspiel gibt es Andeutungen genug, dass die first (not entirely executed) attempt in this score Vorgänge auch hinter dem Prospekte weiter- to create a sonic horizon, an acoustical perspec- spinnen. Die Phantasie des Zuschauers wird tive by frequently allowing sung and played aufgefordert, an der Ergänzung zu arbeiten. ­music to be performed “backstage”, whereby the Geht eine Figur durch eine Türe ab, so stellt je- invisible is meant to be disclosed by what is

15 ner sich das Hinaustreten der Person auf die heard. This is the second point that must be Straße, ihr Sichentfernen lebhaft vor. Zuweilen mentioned. – Now, a third one. weiß er auch, wohin diese Person sich (fingiert) A while ago, I wrote to a friend: the idea is begibt, und er dringt so mit dem Blicke der talent, the attitude is a matter of character, but Imagination in die unsichtbare Hälfte des ge- only the formation makes the person possessing dachten Kreises. – Anders verhält es sich mit der these first characteristics into an artist. I have Musik auf dem Theater, die – wenigste Fälle constantly and most strictly taken the utmost ausgenommen – ausschließlich den vorderen pains with form. The way I interpret and prac- Halbkreis ausfüllt. – Es schwebt mir vor, dass tice it in the present case may be demonstrated gerade die Musik dazu berufen sei, diese Peri- with the help of a few examples. pherie vollständig zu umgürten; und ich habe I summarised the six voices of the demons in in dieser Partitur den ersten (nicht völlig durch­ the second prologue into a series of variations geführten) Versuch unternommen, einen on the “question and answer” motif. At the ­Klanghorizont, eine akustische Perspektive zu same time, I resolved to lead these voices – schaffen, indem ich häufig Gesungenes und ­individually ascending – stepwise from the low ­Gespieltes »hinter der Bühne« ertönen lasse; to the high register, from sluggish slowness ­wodurch das Ungeschaute durch das Gehörte gradually into increased movement; the last enthüllt werden soll. Dies ist das zweite zu voice became the highest, which is why the role ­erwähnende Moment. – Ein drittes. of Mephistopheles definitely had to be a . Einem Freund schrieb ich vor Zeiten: Einfall – Despite the alternating events and moods fol- ist Begabung, Gesinnung Sache des Charakters, lowing each other in rapid succession, I suc- aber erst das Formen macht den, der jene ersten ceeded in bringing the scenic intermezzo, taking Eigenschaften besitzt, zum Künstler. Um die place in the “ancient Romanesque chapel”, into Form habe ich mich stetig und strengstens the unified form of the rondo. I designed the ­bemüht. Wie ich sie in dem vorliegenden Falle garden party in Parma as a ballet suite, a panto- deute und übe, möge aus einigen Beispielen mime-like play, relieved by the freer dramatic dargetan werden. gesture only towards the end. – I made a dis-

16 Die sechs Stimmen der Dämonen im zweiten tinctive study of the ringing of bells, reproduced Vorspiel fasste ich zu einer Reihe Variationen in three “states”. At the beginning, in the or- zusammen, auf das Motiv »Frage und Antwort« chestra: as a dim imitation, a shadowy reminis- gestellt. Zugleich nahm ich mir vor, diese Stim- cence of remote or already faded vibrations; as men – einzeln aufsteigend –, von der tiefen stu- the conclusion to the Symphonia, then, taken fenweise in die hohe Lage, von schleppender over by human voices on the word “Pax” (the Langsamkeit schrittweise in zunehmende Bewe- composition of this section was undertaken in gung zu führen; also dass die letzte Stimme zu 1917); and, finally, by actual church bells – höchsten, und darum die Rolle des - brightly proclaiming the Resurrection – jubilat- pheles zum ausgesprochenen Tenor werden ing at the conclusion of the Prologue. musste. – Es gelang mir, das szenische Intermez- Several verses conceived as an “afterword” zo, das in der »uralten romanischen Kapelle« to the entire work, as a “cul-de-lampe final”, spielt – trotz der wechselnden Begebenheiten should be cited at this point – both in an anti­ und Stimmungen, die darin rasch aufeinander- cipatory sense and to affix the seal. The poet folgen, auf die einheitliche Form des Rondo zu speaks to the audience: bringen. Das Gartenfest zu Parma gestaltete ich Of the longing of mankind, before your gazes, zu einer Ballettsuite, zu einem pantomimenarti- The evening unrolled by a sonorous image; gen Spiel, das erst gegen seinen Schluss von der Faust’s disasters and ineptitudes freieren dramatischen Geste abgelöst wird. – Ein Were what the piece wished to report. apartes Studium widmete ich dem Glockenge- This monstrous substance, can I succeed with it? läute, das ich in drei »Zuständen« wiedergebe. Does the mixture also contain sufficient gold? Zu Anfang im Orchester: als eine dämmerige If it were so, it would fall to you to separate it: Nachahmung, schattenhafte Erinnerung an ent- The poet’s portion remains his blessed suffering. fernte oder schon verklungene Schwingungen; The symbols persist, still not exhausted, als Ausklang der Symphonia sodann, von Men- That this richest germ apprehends within itself; schenstimmen auf das Wort »Pax« (die Kompo- The work will sire a school sition dieses Abschnittes fiel in das Jahr 1917) To continue maturing fruitfully over the decades;

17 übernommen; und endlich von wirklichen Kir- So that each one draws his own from it, chenglocken – die Auferstehung hell verkün- So that, in striding, spirit accumulates onto spirit: dend – am Schlusse des Vorspiels gejubelt. This gives meaning to the continued ascent – Einige Verse, die als »Nachspruch« zu dem The round dance then comes full circle. Gesamtwerke, als »cul-de-lampe final« gedacht sind, mögen hier – vorgreifend und besiegelnd – (23 July 1922.) ihren Platz angewiesen bekommen. Es spricht der Dichter an die Zuschauer: Von Menschensehnsucht ward vor Eu’ren Blicken den Abend durch ein tönend Bild entrollt; Von Verhängnissen und Un-Geschicken Bericht zu geben hat das Stück gewollt. Der ungeheure Stoff, durft’ er mir glücken? Enthält die Mischung auch genügend Gold? Wär’s so, Euch fiele zu, es auszuscheiden: des Dichters Anteil bleibt sein selig Leiden. Noch unerschöpft beharren die Symbole, die dieser reichste Keim in sich begreift; es wird das Werk fortzeugen eine Schule, die durch Jahrzehnte fruchtbar weiter reift; dass jeder sich hieraus das Eigene hole, so, dass im Schreiten Geist auf Geist sich häuft: das gibt den Sinn dem fortgesetzen Steigen – zum vollen Kreise schließt sich dann der Reigen.

(23. Juli 1922.)

18 19 Catherine Naglestad Die Handlung The Story

Vorspiel I Prologue I Faust, auf der Zielgeraden seines Lebens und Faust, looking back on his life, is dissatisfied mit dem bisher Geleisteten unzufrieden, erfährt with what he has achieved so far. He learns von seinem Assistenten Wagner, dass drei Stu- from his assistant Wagner that three students denten ihm das Buch Clavis Astartis Magica an- wish to see him to give him a remarkable book, vertrauen wollen. Faust kennt dieses Buch und Clavis Astartis Magica. Faust has heard of this sieht darin die Möglichkeit, seine Krise zu über- book and sees the possibility of overcoming his winden. crisis with the help of its magic powers.

Vorspiel II Prologue II Um Mitternacht beginnt Faust mit Hilfe des At midnight Faust begins to call upon spirits of Buches die Geisterbeschwörung. Er fragt fünf darkness with the help of the book. He asks Geister, wie schnell sie seine Wünsche erfüllen five of them how fast they are, but none of können, aber keine der Antworten befriedigt their answers satisfy him. He has almost given ihn. Als er die Hoffnung fast aufgegeben hat, up hope when he summons Mephistopheles, ­erscheint Mephistopheles, der schnell wie der who is as fast as human thought. Faust tells Gedanke des Menschen ist. Faust nennt Me- Mephistopheles about his desire to be a genius. phistopheles seinen Wunsch, ein Genie zu wer- Mephistopheles demands that Faust should den. Mephistopheles verlangt, dass Faust ihm serve him for ever if he does his bidding and nach der Erfüllung dieses Wunsches in alle fulfills his wishes. Faust refuses, but Mephis- Ewigkeit diene. Faust lehnt ab, wird aber von topheles points out to him that his creditors Mephistopheles darauf hingewiesen, dass Gläu- are at the door and that the brother of a girl biger und der Bruder eines von Faust verführten Faust has seduced is seeking to kill him. Faust Mädchens, , ihn töten wollen. Faust realizes that he is trapped and orders Mephis- erkennt, dass er in der Falle sitzt, und befiehlt topheles to murder his adversaries. Mephis-

21 Mephistopheles, seine Widersacher zu ermor- topheles demands that Faust should sign the den. Mephistopheles fordert von Faust, den Ver- agreement. trag zu unterschreiben. Intermezzo Zwischenspiel A soldier, the brother of the girl whom Faust Ein Soldat, Bruder des von Faust in den Tod has seduced and driven to her death, is praying ­getriebenen Mädchens, beschwört in der Kirche in church that God should punish Faust. When Gott, Faust zu bestrafen. Faust weist Mephisto- asked by Mephistopheles to choose whether he pheles an, den Soldaten zu töten. Als Mönch himself or the soldier should die, Faust decides verkleidet kündigt Mephistopheles dem Sol­ in favour of the latter. Disguised as a monk, daten sein nahes Ende an. Eine Patrouille, auf Mephistopheles approaches the soldier and tells der Suche nach dem Soldaten, tötet diesen. him that his end is nigh. Soldiers on patrol, looking for the soldier, fall upon him and kill Hauptspiel – Erstes Bild him. Bei der Hochzeit des Herzogs von Parma tritt Faust als »Star« auf. Die Herzogin verfällt ihm Principal Action – First Scene sofort. Faust beschließt, sie zu erobern. Er lädt Faust attends the wedding of the Duke of Parma sie ein, sich berühmte Liebespaare aus der Ge- as part of the entertainment. The Duchess is schichte zu wünschen, die er für sie erscheinen i­mmediately attracted to him. Faust decides to lassen wird. Faust provoziert einen Skandal und win her heart. He asks the Duchess to pick fordert die Herzogin auf, ihm zu folgen. Der some famous lovers from history and promises Herzog beendet eifersüchtig die Vorstellung. to have them appear. Faust provokes a scandal Mephistopheles warnt Faust, am gemeinsamen and asks the Duchess to follow him. The jealous Mahl teilzunehmen, die Speisen seien vergiftet. Duke ends the performance. Mephistopheles Die Herzogin ist bereit, mit Faust zu gehen. warns Faust not to take his place at the ducal ­Gemeinsam fliehen sie. Mephistopheles verhin- ­table, saying that the food is poisoned. The dert, dass der Herzog das Paar verfolgt. Duchess is prepared to elope with Faust. They

22 Hauptspiel – Zweites Bild flee together. Mephistopheles prevents the Duke In einer Schenke trinkt Faust mit Studenten. from following them. Unbeabsichtigt provoziert er einen Streit zwi- schen Katholiken und Protestanten. Ein Student Principal Action – Second Scene wünscht, dass Faust über seine Erfahrungen in Faust is drinking with students in a tavern, the der Liebe berichtet. Faust erzählt von der Her- men are all deeply involved in a philosophical zogin. In diesem Augenblick erscheint Mephis- discussion in which Faust unintentionally topheles und berichtet, dass sie gestorben sei. ­provokes an argument between Catholics and Mit sich bringt er das neugeborene, angeblich Protestants. One of the students asks Faust to auf dem Weg in die Schenke verstorbene ge- tell them about his amorous adventures with meinsame Kind Fausts und der Herzogin. Als women. Faust tells them about the Duchess. At sich die Studenten entsetzt geben, zeigt Mephis- this point Mephistopheles appears and tells him topheles, dass das Baby eigentlich eine Stroh- that she has died. He has with him the corpse of puppe ist. Mephistopheles verbrennt das Stroh a new-born baby which has supposedly just died und verspricht, daraus das Bild der schönen on the way to the tavern, it is the baby of Faust ­Helena entstehen zu lassen. Faust erkennt, dass and the Duchess. To the horror of the company, der Mensch dem Vollkommenen nicht gewach- Mephistopheles reveals that the baby is actually sen ist. Die drei Studenten berichten Faust, dass made of straw. Mephistopheles sets fire to seine Frist um Mitternacht abläuft. the bundle of straw and summons the vision of Helen of Troy. Faust realizes that man is no Hauptspiel – Letztes Bild match for perfection. The three students tell Ein Nachtwächter verkündet die Uhrzeit. Faust that his hour has come, his time will be ­Wagner hat mittlerweile Fausts Stelle als Rektor up at midnight. angetreten und ist in sein Haus eingezogen. Die Studenten singen ihm ein Ständchen. Faust Principal Action – Last Scene möchte einer Bettlerin, die vor der Kirche sitzt, Nightwatchman announces the time. In the sein letztes Gut geben. Doch bei der Bettlerin meantime Wagner has succeeded Faust as rector

23 handelt es sich um die Herzogin, die Faust auf- of the university and has moved into his house. fordert, vor Mitternacht sein Werk zu vollen- The students serenade him. Faust wants to give den. Der Soldat verwehrt Faust den Zutritt zur a beggar woman outside the church the last Kirche, doch Faust erkennt, dass er nur eine of his money, but the beggar woman turns out ­Erscheinung ist. Fausts Gebet bleibt unbeant- to be the Duchess, who asks Faust to complete wortet. Er bricht zusammen. Ein Passant his work before midnight. Faust tries to enter ­entdeckt den Toten. the church to pray but his way is barred by the soldier. Faust realizes, however, that he is only an apparition. His prayer remains unanswered. A passer-by discovers his dead body.

Translation: Susan Bollinger

24 Wolfgang Koch John Daszak Catherine Naglestad Wolfgang Koch Raymond Very

26 John Daszak Wolfgang Koch 27 John Daszak Wolfgang Koch Chor

28 Wolfgang Koch

29 Szenenfoto 30 Wolfgang Koch Wolfgang Koch Geister

32 Wolfgang Koch Drei Studenten 33 Wolfgang Koch Chor

34 John Daszak Wolfgang Koch Chor

35 Libretto CD 1 Symphonia Drum hielt ich Umschau unter allen jenen, die mit dem Wunder wirkten, Hand in Hand: Ostervesper und Frühlingskeimen Ob gut, ob böse, ob verdammt, ob selig, Chor sie ziehn mich an mit Macht unwiderstehlich. (hinter dem Vorhang) Von dreien, die ich weiß, der Teufelsritter, [01] Pax – Pax – Pax. ward einer von dem Bösen selbst gezeugt; Der Dichter an die Zuschauer die Jungfrau überfällt’s wie ein Gewitter, aus ihrem Schoß darauf Merlin entsteigt; Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen, den dunklen Mächten späterhin entglitt er, darin der Teufel was zu sagen hat, wenn er sich vor dem Höheren gebeugt: des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen, Allwissenheit, vom Vater mitgegeben, doch hälfe Wissen nicht, würd’ es nicht Tat; er nützt sie aus zu einem Segensleben. würde nicht Regung in Bewusstsein fließen, Beim zweiten miss ich ganz die Widersprüche, und in Anschauung dies, aus einer Saat: als Einheit steht er da, ein Mann und echt, Es liegt im Kind, wie in des Keims Gewalten, sein Wagmut steigt ins Ungeheuerliche der volle Trieb zum späteren Gestalten. und tausend Künste weiht er – dem Geschlecht, Die Bühne zeigt vom Leben die Gebärde, wo ist der Zwang, dem Don Giovanni wiche? Unechtheit steht auf ihrer Stirn geprägt; Ein solcher wär’ als Held mir eben recht: auf dass sie nicht zum Spiegel-Zerrbild werde, doch Meister Wolfgang ist’s zu gut gelungen, als Zauberspiegel wirk’ sie schön und echt; für immer hat er diesen Sang gesungen. gebt zu, dass sie das Wahre nur entwerte, Der dritte meiner Reih’ ist nicht geringer, dem Unglaubhaften wird sie erst gerecht: ein trotz’ger Geist, ein Einzelner, auch er: und wenn ihr sie, als Wirklichkeit, belachtet, ein Tiefbelesener, ein Höllenzwinger, zwingt sie zum Ernst, als reines Spiel betrachtet. vieldeutiger zumal, und sonst auch mehr, In dieser Form allein ruft sie nach Tönen, ein schwacher Mensch und doch ein starker Ringer, Musik steht dem Gemeinen abgewandt; den Zweifel tragen hin und wieder her: ihr Körper ist die Luft, ihr Klingen Sehnen, Herr des Gedankens, Diener dem Instinkt, sie schwebt … Das Wunder ist ihr Heimatland. dem das Erschöpfen keine Lösung bringt.

CD 1 37 Das End’ ist Schrecken, doch sein Name steht, (es wirkt die Zeit nicht minder als Zerspalter) die Chronik hält ihn, artet in Legende, ich schärfte Eines, Andres strich ich milder, die Dichtung folgt, Unsterblichkeit umweht, und aus der Larve flog herauf ein Falter; und des Nachbildens, Schmückens ist keine Ende; ins Altgewebte flocht ich neue Maschen, als lebensähnlich die Gestalt ersteht, vergess’nes Muster wird euch überraschen. täuschend bewegt durch unsichtbare Hände; So stellt mein Spiel sich wohl lebendig dar, das Puppenspiel vom Faust zieht durch die Zeiten, doch bleibt sein Puppenursprung offenbar. Ergriffenheit und Staunen zu bereiten. Zu war’s, am Tag, und vor den Toren, unter dem Volk ein Zaubrer fand sich ein; [02] Vorspiel I der griff entschlossen nach des Spiels Figuren, Wittenberg. Vormittags. Studierzimmer. Hoher gotischer da schwand die Schau, als wär’ sie Dunst und Raum, halb Bibliothek und halb alchemistische Küche, Schein. der sich in undeutliche Tiefe verliert; etwas verwittert. Gemächlich erst, und in den alten Spuren, Faust, am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden haucht er den Sinn des Lebens ihnen ein: chemischen Vorganges beschäftigt und völlig darin vertieft. sie wachsen fort, ins Mystische gelenkt, Nach kurzer Stille tritt Wagner ein. zu Höchst geschleudert und zu Tiefst versenkt. Und mit dem letzten Spruch von hinnen reist er. Wagner Der Rätselbau zeigt jegliche Gestalt; [03] Euerer Magnifizenz Verzeihung: allein, es von allen Seiten zieht er an die Geister, ­melden sich drei Studenten. er ist die Form für jeglichen Gehalt. Faust Doch was vermöcht’, gen Zauberer, ein Meister! Ihr Wunsch? Des Menschen Lied am Göttlichen verschallt: also belehrt erkannt’ ich meine Ziele Wagner und wandte mich zurück – zum Puppenspiele. Sie wollen ein Buch überreichen – Besah mir nah die schlicht geformten Bilder, Faust die waren schöner jetzt, durch höheres Alter; Wagner, wahrhaftig! Ich mag so nicht weiter. ich firnisste, hantierte als Vergülder – Das Leben rollt rascher und nicht mehr aufwärts. Nicht darf ich so breite Zeit an andre wenden.

38 CD 1 Und dem hilft doch kein Rat, der sich nicht selber heimliche Gewalt ihm zu Gebot, besinnt! – er wird euch zwingen, euch bezwingen. Macht mich bei ihnen entschuldigt. Wehe, wehe über Euch! … Wenn Wagner dennoch irrte … vielleicht zum Wagner ­Heile …? Euerer Magnifizenz Verzeihung. Es ist keine Arbeit diesmal, die man von Ihnen Wagner (tritt ein) heischt. [05] Euere Magnifizenz, die Studenten sind hier. Das Buch mag sein eine seltene Handschrift, Faust denn es trägt einen sonderlichen Titel: Sie sollen kommen. Clavis Astartis Magica… (Wagner gibt ein Zeichen nach der Tür hin. Es treten auf Faust drei schwarzgekleidete Studenten.) Clavis Astartis –? Irrt Ihr Euch nicht? Wollt Ihr Wer seid ihr? mich gar nasführen! Fangt Ihr Grillen? Seht Ihr Die drei Geister? Studenten aus Krakau. Wagner Faust Nein, nein, ich kann Magnifizenz versichern. O, mein altes, mein teures Krakau! Faust Eure Gestalten rufen die Jugend mir zurück. Also lasst die Studenten ein. Träume! Pläne! Wieviel hatt’ ich gehofft! – Seid willkommen. Und was führt euch zu mir? (Wagner ab) Der erste [04] Faust, Faust, nun erfüllt sich dein Augenblick! Dieses Buch leg’ ich in Eure Hand. Die Zaubermacht in meine Hand gegeben, die ungeheueren Zeichen mir erschlossen, (Faust unterdrückt eine Bewegung des Ungestüms.) heimliche Gewalten mir geknechtet, Der zweite und ich kann – ja, ich kann – Von mir erhaltet Ihr den Schlüssel. o, ihr Menschen, die ihr mich gepeinigt, hütet euch vor Faust! In seine Hand die Macht gegeben,

CD 1 39 Der dritte (Wagner tritt wieder ein.) Diese Briefschaft macht es zu Euerem Eigentum. [06] Seid Ihr den Studenten begegnet? Und wollt Ihr nicht sie geleiten? Faust Wie kommt ein solches Geschenk mir zu? Wagner Euere Magnifizenz, ich begegnete keinem. Die drei Du bist der Meister! Faust Soeben gingen sie. Faust Also darf ich es eignen? Wagner Ich sah niemanden. Die drei Es ist deines. Faust Ihr habt sie versäumt. Faust Ach, nun weiß ich, wer sie gewesen. Und wie soll ich euch dieses vergelten? (Der Metallbrei auf dem Herd überkocht mit lautem Die drei ­Geprassel. Wagner eilt geschäftig hinzu.) Später. Leb’ wohl, Faust. Faust Verweilet, bleibet meine Gäste! [07] Vorspiel II Die drei Der nämliche Raum um die Mitternacht. Leb’ wohl, Faust. Faust Faust [08] Die Sanduhr zeigt die Mitternacht: So saget, dass ich euch wiederseh. Ich darf beginnen. Rätselvolles Geschenk, Die drei nun sollst du dich bewähren. Vielleicht. Leb’ wohl, Faust. (Faust schlägt das Buch des Astartis auf.) (Sie gehen ab.) So wäre dies die erste Handlung! (Er löst seinen Gürtel und bildet mit ihm einen Kreis auf Faust (sieht ihnen kopfschüttelnd nach) dem Boden; tritt in den Kreis, den Schlüssel in der Hand.) Sonderlinge! 40 CD 1 Luzifer! Luzifer! Gefallener Engel, du, der Stolzeste, (Drückende Stille) herbei! Wie konnt’ es alsobald gelingen? (Er hebt den Schlüssel, der erstrahlt.) Darf ich mich weiter wagen? Luzifer! Hierher zu mir! Ich sollte sie befragen, (Fahlgrünes Leuchten durchtanzt den Raum. Der Schlüs- doch es ekelt mich davor, sel erstrahlt mehr und mehr. Eine sichtliche Erregung schon ihre Stimmen könnten mich töten. überfällt Faust.) Chor [09] Frage, immerhin. Unsichtbarer Chor Dein Begehr? Faust Wohlan. Faust So sprich, du Erster, du Tiefster: Entsende mir deine Diener. gib deinen Namen. Chor Erste Stimme Du willst? Gravis. Faust Faust Ich will. Sag’ an, wie sehr du geschwind bist. Chor Erste Stimme Du beharrst? Wie der Sand in dem Uhrglas. Faust Faust Ja, ich will! Wie der Sand in dem Uhrglas? Hinweg, kriechendes Chor Wesen! Verlösche! Sie kommen! Sie kommen! (Die erste Flamme erlischt.) (Für sich) Sie gehorchen. (Die Studierlampe und der Schlüssel erlöschen. ­ (Laut) Der Zweite! Welcher bist du? Sechs Zungenflammen schweben im Raum.) Zweite Stimme Faust Levis. Ich bin geschwind wie das fallende Laub. Was tat ich!

CD 1 41 Faust Ist die Flinte nicht etwa Menschenwerk? Der Mensch fällt hurtiger als du. Verschwinde! Ist des Menschen Wunsch, ist denn nicht sein (Die zweite Flamme erlischt.) Traum Gib Rede, Dritter, gleich den andren. höher zielend, weiter tragend? Dritte Stimme Wie könntest du mir, Faust, genügen? Entweiche! (Die vierte Flamme erlischt.) Ich bin Asmodus. Ich eile wie der Bach, Und du, und du, Zweitletzter, der sich vom Felsen stürzt; nenn’ dich, bezeichne dich, Fünfter! über Bergeskämme, durch die Felder sprudelnd, hin bis zum Ozean! Fünfte Stimme Schaue hier, Megäros … Faust Ein Prahler bist du. Dich zieht es nur abwärts. Chor Fort mit dir! Fort! Schaue hier, Magäros. (Die dritte Flamme erlischt.) Fünfte Stimme (Für sich) Mein Hoffen sinkt, ob auch mein Mut … wie der Sturm behende. sich hebet. Offenbare dich, Vierter. Faust Vierte Stimme Das klingt nach Etwas, doch es erschöpft nicht. Ich blase, Sturm, dich aus: Verwehe. Ich bin Fürst Beelzebuth. (Die fünfte Flamme erlischt.) Chor Chor Beelzebuth. Üh! Vierte Stimme Faust Ich schnelle wie die Kugel aus dem Rohre. Genügt’s Schweiget! dir? (Er tritt aus dem Kreise.) Chor Ein einzelner blieb. Ich zög’re, Genügt’s dir? die letzte Hoffnung zu zerstören; mir bangt vor der eklen Leere, die folgen muss. Faust So wäre dies der ganze Höllenprunk! Nein. Ein Spottfürst!

42 CD 1 Wie steht doch eines Menschen Geist darüber! Faust In ihm ist des Gottes Hauch. Als wie des Menschen Gedanke? Was will ich mehr? Wie ich euch verachte, die ihr gedämmert, Konnt’ ich so viel erhoffen? Was will ich mehr und nun dunkelt, ihr Dünkelhaften! denn! Ich kehre mich ab von euch. Als dass Erfüllung schreite mit dem Wunsche, Welchem Wahn gab ich mich hin! als dass die Tat zugleich ins Leben trete mit der Arbeit, heilende Welle, ­Absicht: in dir bade ich mich rein. Konnt’ ich so viel erhoffen! Was will ich mehr? Dein Name? Sechste Stimme Faust! Sechste Stimme Mephistopheles. Faust Wie hell flackert das Licht. Faust Ist es von ihm aus, dass die Stimme ruft? Mephistopheles? Wie hoch züngelt es auf! Sechste Stimme Wirst auch nicht mehr vermögen, als die andren, Mephistopheles. o du lichtere Flamme. Ich mag nichts erfahren von dir. Chor Mephistopheles. Sechste Stimme Faust! Faust So zeige dich in greifbarer Gestalt. Faust Noch einmal? Und dringender? So magst du reden. Mephistopheles tritt unbemerkt ein und verbleibt in ­serviler Haltung. Er trägt ein anliegendes schwarzes Sechste Stimme ­Gewand. Faust, ich bin geschwind als wie des Menschen Faust, der noch die Flamme anstarrte, erblickt ihn un­ ­Gedanke. erwartet und unterdrückt eine Regung des Widerwillens. Faust [10] Willst du mir dienen?

CD 1 43 Mephistopheles Mephistopheles Fragt sich, in welcher Weise? Hernach dienest du mir, fortab. Faust Faust Beschaffe mir für meines Lebens Rest Ich dir dienen? Dir? In aller Zeiten Ewigkeit?! die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches, Ich kann nicht. Ich kann und will nicht. Mache lass mich die Welt umfassen, dich fort. den Osten und den Süden, die mich rufen. Mephistopheles O, lass mich der Menschen Tun vollauf begreifen [11] Höre, Faust. Draußen stehn die Gläubiger und ungeahnt erweitern; zuhauf, die du hast betrogen. gib mir Genie, und gib mir auch sein Leiden, Über dein Mädchen hast du Unglück gebracht. gib sein Leiden mir: auf dass ich glücklich werde Der Bruder trachtet dir nach dem Leben. wie kein Andrer! Die Pfaffen, sie sind hinter dir her; Mephistopheles sie wittern, und nicht mit Unrecht; Weiter, nur weiter, falls Ihr etwa nicht zu Ende der Scheiterhaufen wartet deiner! wär’t. Faust Faust Genug, genug! Ich weiß! O, lass mich die Welt umfassen, Mephistopheles der Menschen Tun begreifen, es ungeahnt Hehe! So seid ihr Menschen, ­erweitern; die ihr unablässig einander aufreizt und jagt! gib mir Genie, gib mir auch sein Leiden. Faust Mephistopheles Lass den Gemeinplatz, spar deine Weisheit. Was noch mehr? Mephistopheles Faust Kommt es einmal zum Letzten, Mache mich frei! So dientest du mir recht, dann sind meinesgleichen, dann bin ich geringerer bis an die Erschöpfung, hernach … Teufel, Jetzt ford’re du. als Retter gefällig zur Stelle!

44 CD 1 Höre, Faust: Ich gebe dir Reichtum und Macht, Faust Freuden der Liebe, weitesten Ruhmesglanz … Niemals! Faust (Klopfen an der Tür.) Mache mich frei, gib mir Genie! Mephistopheles Mephistopheles Deine Schergen stehn dahinter. … weltlichen Ruhm. Ein Wort von dir, und sie sind nicht mehr! Faust (Stärkeres Klopfen.) Lass mich die Welt umfassen! Faust Mephistopheles Töte sie. Offen sind dir die Herrlichkeiten dieser Erde! Mephistopheles Faust Es ist geschehn. Ende! Möchtet Ihr das Übrige abwarten? Mephistopheles Faust Und draußen drängen die Gläub’ger, lauert der Kaum! Ich geb mich dir. Bruder, Aber jetzt verlass mich. wittern die Pfaffen, sie fordern, sie morden, sie Mephistopheles brennen! Nur noch ein Geringes. Faust Faust Ich weiß, ich weiß! Ende! Fort, fort, fort! Ich kann dich nicht ertragen! Mephistopheles Mephistopheles So stehn die Dinge. Wähle! Du musst es lernen. Faust [12] Schlau wusstest du die Schlingen zu legen. Mephistopheles Schlag’ ein.

CD 1 45 Chor Faust [13] Credo in unum Deum. Ostertag! Da ziehen die Guten zum Münster. Patrem omnipotentem, Tag meiner Kindheit! creatorem coeli et terrae Mephistopheles visibilium omnium et invisibilium. Kehr’ dich nicht an das Gesäusel. Still! Faust Männer Was verlangst du noch? [14] Et iterum venturus est Mephistopheles cum gloria judicare Ein kurzes Schreiben, mit deinem Blut gezeichnet, vivos et mortuos. rot auf weiß. Faust Faust Du, Faust, bist nun ein Toter. So gib her. Ich werde gerichtet! Wer hilft mir? Mephistopheles Ein Rabe fliegt herbei, Feder im Schnabel, Brav. die Mephistopheles ihm abnimmt. Faust Mephistopheles Wo ist mein Wille, wo mein Stolz geblieben! Ein Mann, Faust, du hast dein Wort zu halten: Unseliger Faust, das Höllenwerk begann. Vollziehe! (Tritt an das Fenster.) Faust Wie wird mir – ! Noch hat es Zeit. Fauch’ mich nicht an. Es wird Tag. Osterchor. Glocken. Es gibt kein Erbarmen. Es gibt keine Seligkeit, keine Vergeltung, Chor den Himmel nicht und nicht die Höllenschrecken: Et resurrexit tertia die dem Jenseits trotz’ ich! secundum scripturam et ascendit in coelum, Mephistopheles sedet ad dexteram Patris. Tüchtig, tüchtig! Das nenn’ ich fortgeschritten: nun seid Ihr eben auf der rechten Fährte!

46 CD 1 Faust (zitternd, indem er Mephistopheles das unter­ schriebene Blatt entgegenstreckt) Hier. Nach Schwinden meiner Frist – es wird sich zeigen. Vielleicht unterliegst noch du. Bin ich nicht dein Herr? Er fällt ohnmächtig nieder. Chor Gloria in excelsis Deo et in terra pax. Mephistopheles weidet sich eine Zeit lang an dem Anblick seines Opfers und entreißt ihm das Blatt. Mephistopheles Gefangen! Die Bühne wird stetig heller. Von dem Fenster her, und wie durch alle Ritzen, fluten Morgensonnenstrahlen in das Gewölbe herein. Chor der Männer und Frauen [15] Allelujah!

CD 1 47 CD 2 Faust [01] Intermezzo Nein, ich will meine Hände rein wahren! Such ein andres. Uralte romanische Kapelle im Münster. Kahle graue Wän- de, Holzbänke, ein Kruzifix. Orgelspiel, vom Hauptschiffe Mephistopheles her vernehmbar. Gretchens Bruder knieend im Gebet. Wenn er dich jetzt erkennt, kein andrer Ausweg, Der Soldat (Gretchens Bruder) als dass du selbst ihn tötest. Du, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade bist; Faust zu Zeiten auch des Zornes, und der Rache, und der Find einen andren. Schlachten, Der Soldat macht eine Bewegung. als der du mir bist vertrauter, erhöre mein Gebet! Mephistopheles Ich hatte nichts auf der Welt, als mein Geschwister, nicht Eltern, noch Weib, und nichts, das mir’s erset- Aufgepasst! ze. Faust Man hat es mir genommen, hat es verdorben. Nicht ich, nicht ich! Lass du den Mann mich finden und lass ihm Recht Mephistopheles geschehn. Herr, der du nicht allein der Gott der Milde und Er oder du. der Gnade, Faust erhöre mein Gebet! Er schleppt sein Leben in eitler Qual, Faust und Mephistopheles am Eingang. ich bin ein Mann der Tat. Mephistopheles Mephistopheles [02] Der Mann sinnt auf deinen Tod. Einverstanden. Faust Faust und Mephistopheles ziehen sich eilig zurück. Räum ihn aus dem Wege. Der Soldat Mephistopheles Den Mann, den ich suche! Auf deine Rechnung. Erbarmen!

48 CD 2 Mephistopheles, als grauer Mönch, tritt langsam auf und Mephistopheles kniet Seite an Seite des Soldaten nieder. Geduld, sieh lieber nach der Tür! Hurtig! Wehr Mephistopheles dich! (Springt auf. Entfernte Trommeln und Trompeten.) [03] Möchtest du mir nicht beichten? Man rückt heran. Es sind ihrer sechs gegen Einen. Der Soldat Sticht dich nicht deine Rauflust? Ich habe nicht an Bösem was getan. Meine Fratze? Da! Mephistopheles Er streckt ihm die Zunge. Mephistopheles schleicht in Aber du hast welches vor. ­einen Beichtstuhl. Der Soldat zieht entsetzt seinen Degen und stellt sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es Der Soldat ­dämmert tief. An der Tür zeigt sich der Leutnant, der eine Ich habe vor, was rechtens ist. Weißt du’s, Patrouille anführt. brauch ich zu beichten um so weniger. Leutnant Mephistopheles Dort! Seht ihn! Verkrochen in der Kirche, Vielleicht wär’s doch an der rechten Zeit! der uns’ren Hauptmann niederschlug von hinten. Der Soldat Gleiches mit Gleichem, haut den Mann zu Boden! Gott ist bei mir. Du bist mir lästig. Der Oberst wird’s uns danken! Mephistopheles Sie kämpfen. Kurz darauf fällt der Soldat erschlagen. Wer weiß, deine Stunde ist nicht weit. Mephistopheles (aus dem Beichtstuhl, mit gereckten Der Soldat ­Armen) Teufelsmönch, zeig deine Fratze! Hier? Am heiligen Ort? Ich bin ein offener Mann! Ihr seid des Teufels! Mürbe für die Hölle! Im übrigen, gut gemacht, und meinen Segen. Mephistopheles Du wirst sie bald sehen. Leutnant Der Mönch ist toll. Lasst ihn laufen. Der Soldat Hervor damit! Die Soldaten ziehen ab.

CD 2 49 Mephistopheles Chor Möcht euch wohl nicht anders raten. [05] Sie nah’n! Der Fürst, die Fürstin! O schauet! O Ziehn wir die Rechnung. Pracht! Vorerst: Kirchenschändung; Hoch das Paar! Heil dem Fürsten! Bruder Soldat, mit einem Mordplan, ab; Das Herzogspaar tritt zu Pferde auf. der weise Faust ladet’s auf sein Gewissen: Drei Ratten in einer Falle. Zeremonienmeister (meldet sich, mit Verbeugung, zur Ansprache) Ein Strahl des Mondes senkt sich auf den am Boden Nach dieser Feste rauschend bunter Reihe ­hingestreckten Toten. wagt ich noch kaum auf Größeres zu hoffen, der Abend kündet sich besonders an. Hauptspiel Herzog Erstes Bild Was ist denn Seltenes eingetroffen? Der herzogliche Park zu Parma. Zeremonienmeister [04] Cortège Ein höchst gewandter Mann. Herren und Damen des Hofes. Festlich gekleidete Landleu- Kein andrer als der Doktor Faust. te, voran Sackpfeifer. Jäger mit Hörnern, Falken, Hunde- Chor meute. Fechtspielende Pagen. Kränzeschlingende Edelfräu- Doktor Faust! lein. Der Zeremonienmeister, von einem Fähnlein Leibwachen Zeremonienmeister (zur Herzogin) und Trommeln gefolgt, tritt geschäftig auf; ordnet die Wenn Euch nicht etwa vor diesem graust. Gruppen, macht sich wichtig und bemerkbar. Die Land- Herzogin leute werden zurückgedrängt. Pagen und Edelfräulein ­aufgestellt, allen dem Range nach die Plätze angewiesen. Und weshalb grausen? Abwechselnd verschwindend und wiederauftauchend, Zeremonienmeister ­aufgeregt und autoritativ zugleich, empfängt den Herzog Hohe Frau, und die Herzogin. der weise Doktor ist nicht recht geheuer, er brenzelt gleichsam von unheiligem Feuer, ich fürchte fast, dass ich mir viel getrau!

50 CD 2 Wenn Ihr befehlt, so will ich ihn präsentieren, Herzogin (für sich) introduzieren, doch jede Verantwortung refüsieren. [06] Er ist ein Fürst an Wesen und Gebärde, noch niemals hat ein Mann mich so bestrickt. Herzogin Wir wollen’s wagen! Herzog (für sich) Mich dünkt, die Hölle hat ihn hergeschickt. Der Zeremonienmeister mit Verbeugung ab. Mephistopheles (für sich) Mephistopheles (plötzlich als Herold auftauchend) Der Wachhund bellt. Es blökt die Herde. Wagen, und dabei gewinnen. Schönheit gefällt sich im Gefahrenspiel; Chor drum, schönste Frau, Ihr waget nicht zuviel, Seltener Mann, seltsamer Gast! erlaubt Ihr meinem Herrn sich einzufinden. Was wird sich zeigen? Hier ist er selbst, Euch zu dienen. Faust (für sich) Faust, von oben, und von weitem, langsam herankom- Du stolzeste der Frauen, sollst mir der Preis sein! mend, müsste ein phantastisches Gefolge – schleppen­ tragende Mohrenknaben oder Affen – haben; und es sollte Herzog sein Erscheinen auffällig, wenn auch nicht markt­ Herr Doktor, seid an unserem Hofe begrüßt, schreierisch wirken. Der Zeremonienmeister tänzelt der und Dank, dass Eure Kunst Ihr uns erschließt. Gruppe voran. Wir hoffen, dass Ihr die Fürstin nicht enttäuscht. Mögt Ihr beginnen? Chor Er naht, mit ihm das Wunderbare. Herzogin (leise für sich) Wir werden staunen und erschauern. Was wird sich zeigen? Ringsum verborgene Geister lauern, Faust (halb für sich) umranken trügerisch das Wahre. Seid unbesorgt! Es sei! Das lässt uns ahnen, wie das Nächtliche zutage tritt, so dass wir stumm geworden sind und zittern. Er erhebt die Hände. Kurze Beschwörungsgeste oder Er sieht gebieterisch und schön, Handlung Fausts. Ein Schwarm faunartiger Teufelchen das Ungewohnte ist an ihm natürlich. dringt von allerwärts herein und verteilt sich behände Säh er nicht stolz, wir hielten ihn für zierlich, in die Büsche. er schüchtert uns, doch müssen wir ihn ansehn.

CD 2 51 Chor Herzog Ah! ha, ha! Ein würdiges Bild. Faust Zeremonienmeister Verzeiht, wenn ich zu eigen handle, Gewiss, ganz charmant. Tag ist dem Wunder abgewandt, Herzogin Licht, sei verbannt, Doch gar zu streng. in Nacht dich wandle, War er nicht auch galant? Sterne herauf, am Himmels Rand! Faust (Es wird sternenhelle Nacht.) So Ihr es wünscht, zeigt er sich Euch [07] Was wünscht die schöne Herrin zu erschauen? als Pfleger schönen Umgangs. Herzogin Eine Harfe steigt auf vor Salomo. König Salomo greift Hab ich zu wählen? in die Saiten. Ein zweiter Thron steigt auf. Die Königin von Saba tritt auf. Herzog (zur Herzogin) So wählet! Herzogin Fordert, verlangt Unmögliches! Wer ist die Schöne? Herzogin Herzog Ob jene Fürsten Sie gleicht Euch sehr! frühester Zeiten Zeremonienmeister besseren Anstand Ist es Helene? trugen als jetzt? Dieses zu schauen Herzogin (für sich) möchte mir frommen, Wohl gleicht sie mir, und Faust dem mit der Krone. lasset den König Salomo steigt vom Thron und kniet vor ihr nieder. Salomo kommen. Herzog Es erscheint der König Salomo auf dem Thron. Das ist recht dreist, es wird beinah zum Hohne!

52 CD 2 Faust Zeremonienmeister Balkis war sie und Sabas Königin. Von dieser Frau Verrat Den weisen Mann bezwang ihr weiserer Sinn. wird vieles erzählt und gesungen. Salomo und die Königin von Saba besteigen Herzogin beide den Thron. Dass Liebe so mit Tücke sich verbände! Chor Faust Seht hier und dort, Was man erzählt, gehört in die Legende. ein gleiches Paar. Hinter dem Paar erscheint eine schwarze Sklavin, Was hier gemeint die Dalila die Schere reicht. wird offenbar. Das kecke Spiel Chor beschwört Gefahr. Sie hebt die Schere, das ist bekannt, Herzogin die listige Mähre! Ein andres jetzt! Ha, wird er entmannt? Könnt Ihr den Wunsch erraten? Herzogin Faust Genug davon! Ein neues Bild. Wendet den schönen Blick zu diesen Schatten. (Die Erscheinung erlischt.) Herzog Und gebet jetzt, wozu Ihr selbst gewillt. Was ist’s, das Ihr Euch wünschet? Johannes und Salome erscheinen; daneben der Herzogin ­Scharf­richter mit erhobenem Schwert. Letzterer trägt Ihr werdet’s sehen. die Züge des Herzogs. Es erscheinen Samson und Dalila. Chor Johannes und Salome! Herzog Samson, Dalila, in Lieb’ umschlungen. Faust Auf einen Wink Salomes fällt das Haupt.

CD 2 53 Herzogin (sich verratend) Herzog Er darf nicht sterben! Endet das Spiel! Faust Mephistopheles (plötzlich zwischen das Paar tretend Also liebt Ihr mich. und gleichsam verkündend) Das Spiel – es ist so gut als wie beendet. Bewegung, Gemurmel. (Er räumt vor dem hinzutretenden Herzog den Platz.) Herzogin Herzog (grimmig zu Faust) Ich bin des Herzogs Gattin. Ergötzlich war die Schau. Habt unsren Dank. Faust Ihr seid mein Gast am herzoglichen Tische. Dennoch liebt Ihr mich. Kurze betroffene Stille; darauf eiliges ungeordnetes Herzogin ­Abziehen der Gruppen. Er wendet Faust den Rücken Schweigt! Ich bin nicht ehrlos, bin nicht frei! und bietet der Herzogin den Arm. Faust Chor Komm, o komm! Folge mir nach. Fort, zieht Euch zurück. Unheil schwebt. Ich führe dich in die Unermesslichkeit der Welten. Fort! Fort! Fort! Die Erde sei dein Reich, du ihre Königin, Mephistopheles die Pracht des Orients. Folgt ihnen nicht! Komm! Die Kunst des Westens, was späte Zeiten einst zu Tage fördern: Faust jetzt sind sie dein. Du sagst? Du kommst, du kommst. Mephistopheles Herzogin (für sich) Entflieht. Verlasst den Hof! Ach, er berückt mich, betört mich, ergreift mich! Den Herzog habt Ihr aufgereizt. Lasst mich, o lasst mich! Bin ich Euch feil?! Die Speisen sind vergiftet. O still, o schweiget! Ich wag mich nicht hinein. Der hohe Klerus sitzt, im Ornat, beim Mahle. Nützet den Augenblick.

54 CD 2 Faust Bei dir, bei dir Ich ziehe nicht allein. die Unermesslichkeit. Faust, du, mein Faust! Mephistopheles Ich komme! Ich weiß. Das macht sich ganz wie von selbst. Faust, du mein Faust, Es liegt in meinem Plan: also geschieht’s. ich folge dir! Nun kommt. Sie schreitet langsam hinaus. Plötzlicher Tag. Sie ziehen zugleich mit den letzten Gästen schnell ab. Der Herzog und Mephistopheles, der als Hofkaplan Leere Bühne. Eine fahle Dämmerung beleuchtet die Szene. ­rscheint. Herzogin (tritt auf die Bühne, wie im Traume Herzog (heimlich und aufgeregt) ­schreitend, die Arme vorgestreckt) [09] Was Wichtiges, sagt Ihr? [08] Er ruft mich Was ist’s, mein Vater? wie mit tausend Stimmen, zieht mich Mephistopheles wie mit tausend Armen; Ergebt Euch, Fürst, die Herzogin entkam! ich fühl, in einem, tausend Augenblicke Herzog und jeder einzelne verkündet ihn allein. Mit ihm? Wer ich gewesen, und was ich vorstellte, (Mephistopheles nickt.) ist mir entschwunden – seh nur den einen Weg, Man setze ihnen nach! den Weg zum teuren Manne. Ja, ja, ich komme, Mephistopheles schreite mit dir Wonach? Ins Blaue? durch unbegrenzte Räume; Mit diesen beiden Augen sah ich sie die Erde wird mein Reich, auf Flügelrossen durch die Lüfte treiben. ich ihre Königin! (Er nickt wieder.) Was späte Zeiten einst zu Tage fördern, Am besten wär’s, man hielte reinen Mund. bald ist dies alles, Die Macht des Bösen ist nicht unterschätzbar. bald wird dies alles mein. Ich rate, Sohn, schaut Euch nach Neuem um. Ich schreite dann an seiner Hand, in unbegrenzte Bezirke.

CD 2 55 Herzog Was sagt Ihr? Mephistopheles Hört nur. Ferraras Herzog droht Euch mit Krieg. Um dessen Schwester werbet. So läuft’s in Güte ab. Herzog Der Himmel spricht aus Euch. Mephistopheles (für sich) Der Staat Venedig schluckt sie bald selbander, beim Rat der Drei weiß ich mich wohlgelitten, und hoffe diese Kleinigkeit schicklich zu fördern. (zum Herzog) Mein Sohn, fasse Vertrauen! Der Herzog küsst Mephistopheles die Hand. Mephisto­ pheles erhebt die Rechte wie zu segnender Gebärde, aber die Hand spreizt sich zur Kralle.

[10] Symphonisches Intermezzo In modo d’una Sarabanda

56 CD 2 CD 3 Zweites Bild Erster Student Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn. Schenke in Wittenberg. Faust und Studenten. Chor Chor (noch hinter dem Vorhang) Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn. [01] So lang man Jugend hat, lebt man als Nimmersatt. Zweiter Student Bah! Doch der ist hin, dein Witz kann ihn nicht kitten. Juvenes dum sumus! Erster Student Gaudeamus igitur! Dank Gott, wenn deiner noch zusammenhält. Prosit, prosit, prosit! Theologe Der Vorhang öffnet sich. Studenten an verschiedenen ­Tischen in geteilten Gruppen. Die Disputierenden enger Dagegen eifern die Kirchenväter: um Faust sitzend; die Unbeteiligten mehr abseits. was Gott geschaffen, gilt als unzerstörbar, doch jedes Menschen Bau zerfällt in Nichts. Erster Student Dass ihr mir die Platonische Lehre recht begreifet. Einige Zerfällt in Nichts! – Nichts! Ein Student (andere Gruppe) So lang du trinken kannst, Vierter Student füll dir den schlappen Wanst. Beim nächsten Gang prügl’ ich dich windelweich, schonungslos, um festzustellen, ob Gott dich Chor der Studenten ­geschaffen, ja … Still! Denn es wird hier diskutiert. Chor Erster Student Ha, ha, ha! Um festzustellen, ob Gott ihn Dass Ihr mir Platos Lehre ja recht begreifet. Den ­erschaffen! Teller hier, den runden, ganzen Teller, mach ich zu Scherben. Vierter Student (Er zerbricht einen Teller.) und ob du unzerstörbar bist! Chor Klatsch!

CD 3 57 Chor Naturgelehrter So lang man Jugend hat, Alles zerfällt, verwandelt sich ewig. lebt man als Nimmersatt. Chor Juvenes dum sumus! Prosit, Prosit! Gaudeamus igitur. So werden wir nicht fertig bis zum Morgen, Prosit! mit Kater nicht, noch ohne Kater. Jurist Gaudeamus: Juvenes sumus. Nach dem Gesetz ist Eigentum geschützt, Erster Student vor Raub und vor Zerstörung. Der Meister spreche. Mit dem zerbrochenen Teller, mit deinem Teller machst du dich strafbar. Mehrere Studenten Ja, der Meister spreche. Erster Student War es doch eine reine platonische Handlung! Faust [02] Nichts ist bewiesen und nichts ist beweisbar. Naturgelehrter Bei jeder Lehre hab ich neu geirrt. Alles zerfällt, doch bildet es sich neu, Gewiss ist nur, dass wir kommen, um zu gehen: verwandelt sich unendlich, geht über Was zwischen liegt, ist das, was uns betrifft. in verschiedne Formen und Gattungen. Drum weis’ ich auf des großen Protestanten Fünfter Student lebendigen Spruch – Als wie dein lustiger abendlicher Affe zum Erster Student melanchol’schen Kater des Morgens wird. Den Spruch eines Abtrünnigen – Erster Student Hier gruppieren sich die beiden Studenten-Chöre Doch die platonische Lehre – in ­Katholiken und Protestanten. Theologe Zweiter Student Was Gott geschaffen, das gilt. Eines Helden und Heiligen – Jurist Dritter Student Nach dem Gesetz bleibt Eigentum geschützt. Eines Prahlers –

58 CD 3 Vierter Student zu rechnen sind, und schließet mir mit ein Eines Ketzers. die zarten, heiteren, jubelnden Weisen der heiligen Tonkunst. Ein Student Ich seh’ ihn ganz als einen neuen Heiland, Protestanten einen aufrechten deutschen Mann. Hoch die Frauen! Erster Student Katholiken Bah! der echte Heiland war doch gar kein Heil dem Gesange. ­Deutscher! Protestanten Chor der Protestanten Doktor Martin, er lebe! Vivat! Ihr Päpstlichen bleibt doch die ärgsten Ketzer. Katholiken Chor der Katholiken Samt Teufel und Hölle. Säßt ihr in Spanien, wär’t ihr längst verbrannt. [03] Te, Deum, laudamus, Te, Dominum, glorificamus, Chor der Protestanten qui fecisti vinum, Und ihr seid ausgebrannt, ein Häufchen Asche. qui feminam creavisti. Zum Teufel doch! Dum puellas adoramus, Katholiken te eiscum exultamus. Zum Teufel ihr! Circulate pocula in saeculorum saecula. Protestanten Und ihr zur tiefsten Hölle, zum Teufel selber. Protestanten Ein’ feste Burg ist unser Gott, Faust ein’ starke Wehr und Waffen. Ihr Freunde, seid mir doch über Teufel und Hölle einer Tumult. Man steigt auf die Bänke und Tische, entkorkt Meinung. Der Spruch, auf den ich wies, wird euch Flaschen, umarmt einander. Die Protestanten gehen, versöhnen. Er sagt, dass Wein, im Gänsemarsch, entrüstet ab, mit hochgehobener Hand. dass Frauen, Kunst und Liebe Die Studenten leeren sämtlich die vollen Gläser. zu den vernünftigen tröstlichen Dingen des Lebens

CD 3 59 Ein Student Faust Ihr, Doktor, weitgereist, erfahren, Wohl kaum ein Jahr ist’s her, doch ferne liegt’s müsset den Frauen viel begegnet sein. ­hinter mir. Möchtet Ihr nicht ein Weniges verraten? Die Spur hab ich verloren. Ob sie noch meiner denkt? Einige Studenten Wie die Erinn’rung ihn sichtbar ergreift. Mephistopheles (als bestaubter Kurier, zeigt sich am Er sieht nicht glücklich aus. Eingang. Unruhe, Bewegung unter den Studenten.) [05] Lasst euch nicht stören. Zu melden hab ich: Faust Die Herzogin von Parma ward begraben; Nur der blickt heiter, der nach vorwärts schaut. dies schickt sie Euch als ein letztes Gedenken! (Er versinkt in Erinnerung – zur Mitteilung sich ­entschließend.) Er wirft Fausten ein totes neugeborenes Kind [04] Von allen Frauen, die mich geliebt, vor die Füße. die Schönste, Alle war eine Herzogin aus welschem Lande. Wer ist der Mann? Entsetzlich! Einige Studenten Sicher ein gedungner Helfer, Hört, eine Fürstin. ein Mörder, ein Verbrecher, Gar eine Fränzin. ein verdächtiger Schurke! Bekennet! Faust Mephistopheles An ihrem Hochzeitstag gab sie sich mir zu eigen. Gemach, ihr Herren, den Boten trifft keine Schuld. Ich selber leide, dass ich mit nichts Gefälligerem Einige Studenten kann aufwarten; denn, so verhält sich die Begeben- Ihr habt sie wohl verzaubert und behext? heit, Faust sie spielt in Parma. Wenn Wohlgestalt und Geist und Mannheit [06] Dort war ein dummer Herzog, ­zaubern, der freit’ eine geile Frau, sie hab’ ich so behext in aller Form. der Bräutigam ihr schwer wog, Ein Student denn er war so fromm und so flau. Ist’s lange seither?

60 CD 3 Da kam daher ein Doktor, Ich berichte die Geschichte trat auf mit großer Pracht, noch eben brühewarm. der nahm sie ohne weit’res Chor (sich zusammendrängend) an ihrer Hochzeitsnacht. Hört, o hört, o schändlich, o grausig. Chor Was meint der Mann? Erklärt Euch! Gut gemacht! Genug, genug! Wehe dem Bösen! Mephistopheles Mephistopheles Auf Höllenflügelrossen Nehmt’s nicht zu tragisch. Seht genauer hin. entführt er sie durch die Luft, Ein Püppchen ist’s aus Stroh. sie schwoll mit einem Sprossen, (Er holt von der Stelle, wo das Kind lag, und er sich erwies als Schuft. ein Strohbündel hervor.) Schaut! und nicht einmal recht täuschend Die Frau mit ihrem Kinde, ­nachgeahmt! er ließ sie, wo sie stand, (Er zeigt das Strohbündel im Kreise umher.) dass ich ihn hier wiederfinde, erscheint mir ungalant. Chor Ein Strohwisch! Chor Sollt’ er es sein? Mephistopheles Und zur Ergötzung wollen wir es verbrennen, Mephistopheles auf dass der böse Schreck sei ausgetilgt. Auf ihrem Sterbebette (Er zündet das Bündel an und schürt es durch hat sie ihm den Balg vermacht, Beschwörungsgesten.)­ es fehlt nicht viel, ich hätte Also verbrenn’ ich das, was gewesen ist, lebendig ihn hergebracht. zu Asche wandl’ ich, was nicht mehr lebt, Doch unterwegs krepiert er, ein Schöneres soll dir zum Trost erstehn. ich hielt ein Aas im Arm. Faust Ich hoffe, diese Geschichte Was gaukelst du mir vor? klingt gänzlich ohne Harm.

CD 3 61 Mephistopheles Chor Hab’ erst Geduld! Ist’s Scherz, ist es Betrug? Sie schreitet aus entlegenen Zeiten Faust und schleppet nach sich das Schicksal zweier Völker, Werd’ ich’s ertragen? maßlos an Schönheit, unerschöpft an Liebe, Chor an Jugend unvergänglich: Ist’s Scherz, ist es Betrug? Helena! Sakrileg? Die Flamme steigt höher. Die Studenten schleichen sich fort. Faust Mephistopheles Helena, sie sollt’ ich schauen? Sieh, wie die Laffen sich seitwärts schlagen. He he he he he he! Mephistopheles Der Akt vollzieht sich, Und sie fassen. die Luft ist rein. Faust Ein Dritter müsste stören. Ein Trugbild! Ich lass Euch drum allein, hoffe noch davon zu hören. Mephistopheles Er geht ab. Nein, sie selbst. Mit dem Abgang Mephistopheles – und während die Faust Rauchsäule sich allmählich zu festeren menschlichen Er spricht nicht wahr. ­Umrissen zusammenballt – sollte die Dekoration un­ Mephistopheles merklich in das visionäre Bild einer klassischen Landschaft Ducke dich, Flamme, (weißer Tempel auf entferntem Hügel, an dessen Fuß Rauchsäule, steige, dunkle Bosquets; südlicher Nachthimmel; transparente nimm an Gestalt! Dunkelheit) übergehen, das später dem Tanze Helenens ­ als Hintergrund dient. Mit dem Verschwinden der Figur Faust erlösche zugleich das Bild; die Realität der Schenkstube Mich durchschauert sei wieder hergestellt. Vollkommenheitsgewalt!

62 CD 3 Faust (mit Chor) Du weichst, entfliehst … [07] Traum der Jugend, Kannst du dich vielgestalten? Ziel des Weisen! Ich greife dich und wieder Reinster Schönheit nicht. O Qual! Bildvollendung: Endlich zu mir! Dich zu üben, (Als er sie endlich zu halten wähnt, zerfließt die Dich zu preisen, ­Erscheinung in Nichts.) Dich zu lehren Ach, abermals betrogen! war mir Sendung. Entschwunden nun für immer! Unerkannte, [08] Der Mensch ist dem Vollkommenen Unerreichte, nicht gewachsen. Unerfüllte, Er strebe denn tritt hervor! nach seinem eigenen Maße (Durch Rauch und Flamme treten die Umrisse der Figur und streue Gutes aus, stetig deutlicher hervor.) wie es ihm gegeben. Was ich sehnte, Ich weiser Narr, was ich wähnte, ich Säumer, ich Verschwender! höchsten Wunsches Nichts ist getan, Rätselformen. alles zu beginnen; der Kindheit fühl’ ich wieder mich genähert. Ein vollkommen schönes, junges Weib, in durchsichtigem Schleier, im übrigen nackt, steht unbeweglich. Zugleich Weithin schaut mein Blick: Junges Gelände, hat der neue Hintergrund das Bild der Schenkstube völlig dort unbebaute Hügel, schwellendes Erdreich, verdrängt. führen zu neuem Aufstieg. Wie verheißend lächelt das Leben Faust im erwachenden sonnelichten Tag! Ich schaue dich… (Als er sich umblickt, gewahrt er, schemenhaft umrissen, Und nun werd ich dich halten! drei Gestalten.) Nur Faust berührte je das Ideal! Naht das Verhängnis? (Faust nähert sich der Gestalt. Sie entweicht und führt, Nennt Euch mit Namen! solches wiederholend, einen gemessenen Tanz aus. Faust folgt nach ihren Bewegungen.) CD 3 63 Die drei Faust Studenten aus Krakau. Vorbei, endlich vorbei! Frei liegt der Weg, willkommen, Faust du meines Abends letzter Gang, Ihr seid’s. Und welcher Art willkommen bist du. sind heute Eure Wünsche? Sprecht! Er schickt sich an zu gehen. Erster Das Buch abzufordern. Letztes Bild Zweiter Den Schlüssel. Verschneite Straße in Wittenberg. Links einer der Ein­ gänge zum Münster. Um die Ecke, an der nämlichen Dritter Mauer, ein lebensgroßes Kruzifix mit Kniestufe davor. Mir die Briefschaft. Es ist Nacht. Faust Des Nachtwächters Stimme (Mephistopheles, Zu spät, sie hab’ ich vernichtet. von außen) Die drei [09] Ihr Männer und Frauen, Faust, deine Frist ist um. lasst euch sagen, Zu dieser Mitternacht bist du vergangen. die Glocke hat Zehn geschlagen. Bewahrt das Feuer, Faust bewahrt das Licht, Was wollt ihr wissen? Ihr seid entlassen, entfernt dass kein Schaden euch. der Stadt geschieht, Mit weltmännisch-gebietender Gebärde weist er die Zehn ist die Glock’! drei hinaus, die in Dunst aufgehen. Es treten, nacheinander, einzelne Gruppen von Studenten Die drei auf, die vor dem Eingange des Hauses, das rechts dar­ Fahr’ hin, Faust. gestellt erscheint, sich aufstellen und versammeln. Zuletzt Wagner, ehemaliger Famulus, jetzt Rector magnificus, ­umgeben von seinen Vertrauten.

64 CD 3 Erster Student Genug: Ich bin das Feiern nicht gewohnt, Die Antrittsrede Euerer Magnifizenz die späte Stunde, die gewaltige Arbeit – war unvergleichlich. kurzum, ihr Herren, gute Nacht. Studenten Er zieht sich in das Haus zurück. Musterhaft. Meisterlich. Studenten Cum perfectione! Euerer Magnifizenz wohl zu ruhn. Alle Stimmet an! La la, la la la, Silentium! Meinen Glückwunsch! Gratulor, Wenn das Wissen mit der Tugend, Doctor Christophorus Wagnerus, Würde sich dem Manne paart, Rector magnificus. dann ergreifet unsre Jugend Wagner Ehrfurcht vor dem langen Bart. Qualis orator, talis oratio: Hut ab vor dem alten Haus, Ich war, wahrlich, darauf nicht gefasst. ihm gebühret Summa laus, Mehrere Studenten Euerer Magnifizenz Sie hätten nicht glänzender Ihr hohes Amt antreten aller untertän’gste Reverenz! können! Des Nachtwächters Stimme (von außen) Ein Student Ihr Männer und Frauen, Endlich der eines Fausten würdige Erbfolger! lasst euch sagen, die Glocke hat Elf geschlagen. Alle Gratulor, gratulor, gratulor! Studenten Silentium! Wagner Je nun, der Faust Des Nachtwächters Stimme war mehr von einem Phantasten; Bewahrt das Haus, als Gelehrter nicht eigentlich vollwichtig, bewahrt die Ehr’, und, gnad’ uns Gott, dass der Nachbar sich nicht bewehr’, sein Wandel war anstößig. Elf ist die Glock’!

CD 3 65 Studenten des erlösenden Richterwortes, Wenn die Schöne mit der Tugend, doch die Böses vollbrachten, Anmut sich den Mädchen eint, sind auf ewig verbannt. dann ergreifet unsre Jugend Faust die Flucht. Quälendes Herz! Du kennst keine Vernunft! Fugam. Fugam, die Flucht. Die Mutter lehrte mich, ein gutes Werk bringt (Man hört die Studenten draußen zu Ende singen.) ­Heilung dem, der’s tut! – Dann ergreifet unsre Jugend Welches Werk denn? etwas, das am hellsten scheint. (Er erblickt, auf den Eingangsstufen des Hauses gekauert, Würde schreitet hölzern-alt, eine Bettlerin, ein Kind im Arme.) Weisheit fühlt sich an so kalt. Du ärmstes Weib, nicht elender als ich, Vor des Weibs Magnifizenz, mein letztes Gut sei dein! allertiefste Reverenz. (Er erkennt die Herzogin.) Ah! die Toten leben fort! Faust tritt auf. Herzogin (streckt Faust das Kind entgegen) Faust Nimm, nimm das Kind, [10] Das Haus ist mir bekannt, es war das meine. zum dritten Male schenk’ ich es dir. Weiß auch, wessen das Lichte einst, Noch ist es Zeit, vollende du vor Mitternacht das das glimmt dahinter. Werk. Da sitzest du, Pedant, auf meinem Stuhl, und wähnst dich sitzend höher, als ich saß. Faust empfängt das Kind, die Bettlerin verschwindet. O Nacht der Nächte, Stunde du der Stunden. Faust Wie fass’ ich euch, dass ihr Meine bösen Geister, sie treiben ihr Spiel. mein krankes Herz mit mir versöhnet! Ein Höherer soll euch bannen. Chor (vom Innern der Kirche her) Nun stehe, Gott, mir bei! Der Tag des Gerichts ruft uns herauf, Er will in die Kirche dringen, die plötzlich von innen Alle Seelen folgen dem tönenden Licht. hell erleuchtet erscheint. Aus der Kirchentür tritt der Auferstehet! ­geharnischte Bruder und wehrt den Eingang. Verhüllten Auges harren sie bang

66 CD 3 Chor Euch zum Trotze, euch allen, die ihr euch gut Gott, der nicht immerdar preist, der Herr der Milde die wir nennen böse, die ihr, um euer alten und der Gnade ist, Zwistigkeiten willen, Menschen nehmet zum zu Zeiten auch der Rache, Vorwand und auf sie ladet die Folgen eures Zankes. der Vergeltung und der Strafe, An dieser hohen Einsicht meiner Reife bricht sich als den sollst du ihn erkennen, nun er hört nicht dein Gebet, nein, nein. eure Bosheit und in der mir errung’nen Freiheit erlischt Gott und Teufel zugleich. Faust Auch du! Lass mich, lass mich! Hilf, Sehnsucht, Urzeugerin, (Der Geharnischte streckt ihm das Schwert entgegen.) zwingende, erfüllende Kraft, Hinweg, ich hab’ zu beten! Zergehe, du Höllen- dich ruf’ ich an zu höchstem Tun. spuk, (Faust legt das tote Kind auf den Boden, deckt es mit noch bin ich Herr! ­seinem Mantel, löst den Gürtel, tritt in den Kreis.) (Die Erscheinung schwindet. Faust schleppt sich, das Kind Blut meines Blutes, im Arm, zu den Stufen des Kruzifixes.) Glied meines Gliedes, O, beten, beten! Wo die Worte finden? Ungeweckter, Sie tanzen durchs Gehirn wie Zauberformeln. Geistig-reiner, Ich will wie ehemals aufschauen zu dir. noch außerhalb aller Kreise (Er richtet den Kopf auf.) und mir in diesem Der Nachtwächter, von hinten herangeschlichen, innigst verwandt, hebt s­eine Laterne. In ihrer Beleuchtung verwandelt sich dir vermach’ ich mein Leben. der Gekreuzigte in Helena. Es schreite von der erdeingebissenen Wurzel Verdammnis! Gibt es keine Gnade? meiner scheidenden Zeit Bist du unversöhnbar? in die luftig knospende Blüte (Der Nachtwächter entfernt sich. Faust reckt sich neu deines werdenden Seins. ­gekräftigt auf.) So wirk’ ich weiter in dir, So sei das Werk vollendet. und du zeuge fort

CD 3 67 und grabe tiefer und tiefer Mephistopheles die Spur meines Wesens Sollte dieser Mann etwa verunglückt sein? bis an das Ende des Triebes. Er ladet Faust auf seine Schultern und zieht langsam ab. Was ich verbaute, richte du grade, Chor was ich versäumte, Blut meines Blutes, schöpfe du nach; Glied meines Gliedes, so stell’ ich mich dir vermach’ ich mein Leben, über die Regel, ich, Faust, ich, Faust, umfass in einem ein ewiger Wille. die Epochen und vermenge mich Epilog den letzten Geschlechtern, Es spricht der Dichter an die Zuschauer ich, Faust, ein ewiger Wille! Von Menschensehnsucht ward vor Euren Blicken den Abend durch ein tönend Bild entrollt; Er stirbt. von Fausts Verhängnissen und Un-Geschicken Stimme des Nachtwächters Bericht zu geben hat das Stück gewollt. Ihr Männer und Frauen, lasst euch sagen, Der ungeheuere Stoff, durft’ er mir glücken? das Wetter hat umgeschlagen, Enthält die Mischung auch genügend Gold? der Frost kündigt sich an, Wär’s so, Euch fiele zu, es auszuscheiden: die Glocke schlägt die Mitternacht. des Dichters Anteil bleibt sein selig Leiden. Noch unerschöpft beharren die Symbole, An der Stelle, wo das tote Kind lag, ist ein nackter, halb- wüchsiger Jüngling aufgestiegen, einen blühenden Zweig die dieser reichste Keim in sich begreift; in der Rechten. Mit erhobenen Armen schreitet er über es wird das Werk fortzeugen eine Schule, den Schnee in die Nacht und in die Stadt hinein. Der die durch Jahrzehnte fruchtbar weiter reift; Nachtwächter (Mephistopheles) erscheint und leuchtet mit dass jeder sich heraus das Eigne hole, der Laterne über den dahingestreckten Faust. so, dass im Schreiten Geist auf Geist sich häuft: das gibt den Sinn dem fortgesetzten Steigen – zum vollen Kreise schließt sich dann der Reigen.

68 CD 3

Orchester | Orchestra Bayerisches Staatsorchester

Das Bayerische Staatsorchester ist eines der Bavarian State Orchestra ­ältesten und traditionsreichsten Orchester der Welt. Die Ursprünge der Münchner Hofkapelle The Bavarian State Orchestra is one of the old- lassen sich bis in das Jahr 1523 zurückverfolgen. est and most tradition-steeped orchestras in the Ihr erster berühmter Leiter war ab 1563 Orlando world. The origin of the Munich Hofkapelle can di Lasso. Mitte des 18. Jahrhunderts begann der be traced back to the year 1523. Its first famous regelmäßige Operndienst – bis heute die Haupt- leader was Orlando di Lasso, beginning in 1563. aufgabe des Orchesters. In the mid-eighteenth century, it began its regu- Im Jahre 1811 wurde von den Musikern des lar operatic duties – which has remained the Hofopernorchesters der Verein der Musika­ principal task of the orchestra up to the present lischen Akademie gegründet, der die erste Kon- day. zertreihe in München, die Akademiekonzerte, In 1811, the musicians of the Court Opera ins Leben rief. 2011 feierte die Musikalische Orchestra founded the Association of the Akademie mit mehreren Festkonzerten ihr ­Musical Academy, which started Munich’s first 200-jähriges Bestehen. concert series, the Academy Concerts. In 2011 Im Jahre 1865 dirigierte Hans von Bülow die the Musical Academy celebrated its 200th anni- Uraufführung von Tristan und Isolde. Auch versary with several festive concerts. ­Richard Wagners Opern Die Meistersinger von In 1865, Hans von Bülow conducted the Nürnberg, Das Rheingold und Die Walküre wur- world premiere of Tristan and Isolde. Richard den in München uraufgeführt. Wagner’s The Mastersingers of Nuremberg, In der Zeitschrift Opernwelt wurde das The Rhinegold and The Valkyrie were also pre- ­Bayerische Staatsorchester 2012 zum »Orchester miered in Munich. des Jahres« gewählt. In the journal Opernwelt, the Bavarian State Die bedeutendsten Dirigenten ihrer Zeit, von Orchestra was selected “Orchestra of the Year” Richard Strauss über Bruno Walter, Hans Knap- in 2012.

71 pertsbusch bis zu Georg Solti, Joseph Keilberth The most important conductors of their und Wolfgang Sawallisch haben dem Orchester times, from Richard Strauss, Bruno Walter and als Chef vorgestanden. Auch mit Carlos Kleiber Hans Knappertsbusch to Georg Solti, Joseph verband das Orchester eine enge Beziehung. Auf Keilberth and Wolfgang Sawallisch have direct- Zubin Mehta folgte Kent Nagano, der seit 2006 ed the orchestra. Carlos Kleiber also cultivated a Bayerischer Generalmusikdirektor ist. Zum Be- close relationship with the orchestra. Zubin ginn der Spielzeit 2013/14 wird Kirill Petrenko Mehta was followed by Kent Nagano, who has dieses Amt übernehmen. been Bavarian Chief Musical Director since 2006. Kirill Petrenko will take over this position at the beginning of the 2013/14 season.

72 Dirigent | Conductor Tomas Netopil

Tomas Netopil ist ab Herbst 2013 neuer Gene- Tomas Netopil ralmusikdirektor des Theaters und der Phil­ harmonie Essen, eine Position, die er nach As of the season 2013/14 Tomas Netopil is the ­seiner erfolgreichen Amtszeit als Musikdirektor new Generalmusikdirektor of Theater und des Prager Nationaltheaters und Ständetheaters ­Philharmonie Essen, a position he takes up after antritt. his successful tenure as music director of the Neben seiner Opern- und Konzerttätigkeit in National and Estate Theatre in . Essen ist Tomas Netopil in den kommenden In addition to his concerts and operas to be Spielzeiten an der Sächsischen Staatsoper Dres- conducted at Theater Essen, in the upcoming den, der Opéra National de Paris, der Ham­ season Tomas Netopil will appear at Sächsische burgischen Staatsoper, der Wiener Staatsoper, Staatsoper , Opéra National de Paris, der Vlaamse Opera Antwerpen, dem Opernhaus Hamburgische Staatsoper, Wiener Staatsoper, Zürich, dem Aspen Music Festival sowie dem De Vlaamse Opera, Opernhaus Zürich, Aspen Orchestre de Paris, dem London Philharmonic Music Festival as well as lead the Orchestre Orchestra, dem Orchestra Nazionale della RAI de Paris, London Philharmonic Orchestra, Or- Torino, dem Orchestra dell’Accademia Nazio­ chestra Nazionale della RAI Torino, Orchestra nale di Santa Cecilia Roma, dem Rotterdams dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Philharmonisch Orkest und dem Dallas Sym- Roma, Rotterdams Philharmonisch Orkest and phony Orchestra verpflichtet. Dallas Symphony Orchestra. Tomas Netopil studierte Violine und Dirigie- Tomas Netopil studied violin and conducting ren in seiner Heimat Tschechien sowie am Royal in his native Czech republic as well as at the College of Music in Stockholm, unter anderem Royal College of Music in Stockholm under the bei Jorma Panula; 2002 gewann er den 1. Sir guidance of Prof. Jorma Panula. In 2002 he won Georg Solti-Dirigenten-Wettbewerb in der the 1st Sir Georg Solti Conductors Competition ­Alten Oper Frankfurt. at the Alte Oper Frankfurt.

73 In his hitherto career, Tomas Netopil con- ducted premieres at Deutsche Oper Berlin, Sächsische Staatsoper Dresden, Bayerische ­Staatsoper München, Operá National de Paris, De Vlaamse Opera, De Nederlandse Opera, ­Palau de Les Arts Reina Sofia Valencia, Teatro La Fenice Venezia, Teatro San Carlo Napoli, Teatro Carlo Felice Genova, Teatro Regio Tori- no, Salzburger Festspiele and famous orchestras including Berliner Philharmoniker, Gewand­ haus­orchester , Dresdner Staatskapelle, Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, MDR Sinfonieorchester Leipzig, Frankfurter Museumsorchester, Staatsorchester , Wiener Symphoniker, Tschechische Philhar- monie, London Philharmonic Orchestra, Phil- harmonia Orchestra London, BBC Philhar­ monic Orchestra, Tonhalle Orchester Zürich, Orchestre de la Suisse Romande, Orchestre de Paris, Orchestre National du Capitol Toulouse, Im Laufe seiner bisherigen Karriere dirigierte Orchestre National de Montpellier, Orchestre Tomas Netopil Premieren an der Deutschen National de Lille, Orchestra Filarmonica della Oper Berlin, der Sächsischen Staatsoper Dres- Scala Milano, Orchestra dell’Accademia Nazio- den, der Bayerischen Staatsoper München, der nale di Santa Cecilia Roma, Orchestra del Operá National de Paris, De Vlaamse Opera ­Maggio Musicale Fiorentino, Filarmonica Artu- Antwerpen, De Nederlandse Opera Amsterdam, ro Toscanini Parma, Sydney Symphony Orches- Palau de Les Arts Reina Sofia Valencia, Teatro tra, Royal Stockholm Philharmonic, Oslo

74 La Fenice Venezia, Teatro San Carlo Napoli, ­Filharmonien, Israel Philharmonic Orchestra ­Teatro Carlo Felice Genova, Teatro Regio Tori- and NHK Symphony Orchestra. no, bei den Salzburger Festspielen, und be- rühmte Orchester wie die Berliner Philharmoni- ker, das Gewandhausorchester Leipzig, die Dresdner Staatskapelle, die Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks und des MDR Leipzig, das Frankfurter Museumsorchester, das Staatsorchester Stuttgart, die Wiener Symphoni- ker, die Tschechische Philharmonie, das London Philharmonic Orchestra und das Philharmonia Orchestra London, das BBC Philharmonic ­Orchestra, das Tonhalle Orchester Zürich, das Orchestre de la Suisse Romande, Orchestre de Paris, Orchestre National du Capitol Toulouse, Orchestre National de Montpellier, Orchestre National de Lille, das Orchestra Filarmonica della Scala Milano, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Roma, Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, Filarmonica Artu- ro Toscanini Parma, das Sydney Symphony ­Orchestra, das Royal Stockholm Philharmonic, die Oslo Filharmonien, das Israel Philharmonic Orchestra und das NHK Symphony Orchestra.

75 Impressum Editorial: Martin Stastnik Englische Übersetzungen: David Babcock b 2013 OehmsClassics Musikproduktion GmbH (ausgenommen Synopsis) c 2008 OehmsClassics Musikproduktion GmbH in Visuelles Konzept: Gorbach-Gestaltung.de cooperation with Bayerischer Rundfunk Satz: Waltraud Hofbauer

Executive Producer: Dieter Oehms www.oehmsclassics.de Executive Producer BR: Wolfram Graul Recording Producer: Wilhelm Meister Balance Engineer: Klemens Kamp Editing: Elisabeth Panzer Mastering: Christoph Stickel, msm studios GmbH, München Live Aufnahme, 28. Juni 2008, Bayerische Staatsoper, München Bühnenfotos: Wilfried Hösl Fotos: Elisa Haberer (T. Netopil) Verlag: Breitkopf & Härtel, – Leipzig – Paris Abdruck des Textes von Ferruccio Busoni (aus dem Buch Über die Möglichkeiten der Oper und die Partitur des Doktor Faust, Leipzig 1926) und des Librettos mit freundlicher Genehmigung von Breitkopf & Härtel Handlung/Synopsis: Sophie Becker; Übersetzung ins Englische: Susan Bollinger Erschienen im Programmheft der Bayerischen Staatsoper Ferruccio Busoni, Doktor Faust, Spielzeit 2007/08

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