Der Streitwert Der Denkmale
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Der Streitwert der Denkmale Gabi Dolff-Bonekämper Der Streitwert der Denkmale Gabi Dolff-Bonekämper Abstract Dass Denkmale wertvoll sein können, nicht obwohl, sondern gerade weil über sie gestritten wird, weil sie gesellschaftliche Konflikte anschaulich und verhandelbar machen, ist Anlass für die Erfindung des Konzeptes vom Streitwert der Denkmale. Wo könnte dies evidenter sein als im Berlin der Nachwendejahre? Nach der Öffnung der Mauer im November 1989 und der Wiedervereinigung der beiden ungleichen Stadthälften verloren nicht nur die Bild- und Bauwerke des Sozialismus ihre staats tragende Autorität. Auch in West-Berlin ging der sicher geglaubte Referenzrahmen für die programmatischen Bauten der Nachkriegszeit verloren. Die Denkmalpflege in Berlin stand damit vor der Herausforderung, Denkmalwerte quasi aus dem Stand heraus zu erkennen und zu begründen. Die Entscheidungen stießen nicht immer auf Zustimmung. Vieles war umstritten, wie die Reste der Berliner Mauer, die dann binnen weniger Jahre zum Konsensdenkmal wurden. Manches ging verloren, wie der Palast der Republik. Gabi Dolff-Bonekämper streitet seit drei Jahrzehnten in vielen Berliner Denkmal debatten und publiziert darüber im In- und Ausland. Eine Auswahl ihrer Berliner Texte wird in diesem Buch neu veröffentlicht. Abstract URBANOPHIL III Open Access Impressum Autorin: Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper Technische Universität Berlin Institut für Stadt- und Regionalplanung FG Denkmalpflege Hardenbergstraße 40a 10623 Berlin Diese Publikation wurde aus dem Open-Access-Publikationsfonds der Technischen Universität Berlin unterstützt. Publikationsdatum: 06.2021 ISBN: 978-3-9820586-5-8 (Book) ISBN: 978-3-9820586-7-2 (eBook) doi: 10.53171/978-3-9820586-7-2 Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © Gabi Dolff-Bonekämper 2021. Dieses Buch ist eine Open-Access-Publikation und wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den / die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Buch enthaltenen Bilder und Materialien unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, insofern in den Abbildungsnachweisen der jeweiligen Artikel Gegenteiliges nicht durch ein Sternchen gekennzeichnet ist. 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Urbanophil ist ein als gemeinnützig anerkannter eingetragener Verein. Anschrift: Schliemannstraße 43, 10437 Berlin, Germany Impressum www.urbanophil.net/verlag URBANOPHIL Berlin I 2021 V Inhaltsverzeichnis Der Streitwert der Denkmale 4 Vorwort von Gabi Dolff-Bonekämper Gegenwartswerte 12 Für eine Erneuerung von Alois Riegls Denkmalwerttheorie Zeitgrenzen der Urteilskraft 28 Die Zeitrelation des denkmalpflegerischen Argumentierens Denkmale der Zeitgeschichte in Berlin 42 Brüche, Widersprüche, Narben Kunstgeschichte als Zeitgeschichte 52 Das Thälmann-Denkmal in Berlin The Berlin Wall 70 An archaeological Site in Progress Conservation as found 82 Erhalten wie vorgefunden? Die Neue Wache in Berlin 92 Ein mehrfach gewolltes und gewordenes Denkmal Das Berliner Kulturforum 118 Architektur als Medium politischer Konflikte Kulturforum II 130 Konkurrierende Leitbilder der Stadtplanung. Oder: Was passiert, wenn auf Bau und Gegenbau ein Gegen-Gegenbau folgen soll? Das Erbe der unerfüllten Glücksversprechen 140 Kulturforum und Palast der Republik Figuration and Abstraction 164 Berlin in the 1960s: Two modi in East–West art and art politics Das Hansaviertel und seine Architekten 182 Ein berufsständisches Versöhnungsprojekt Denkmalschutz für die Nachkriegsmoderne 196 In West- und Ost-Berlin Die Stalinallee 208 Der erste Bauabschnitt Ähnlichkeit erwünscht 218 Zum sozialen und formalen Wert von wiederaufgebauten Denkmalen Bau und Gegenbau 230 Ein analytisches Denkmodell Inhaltsverzeichnis 3 Der Streitwert der Denkmale Vorwort von Gabi Dolff-Bonekämper Als ich im Mai 1988 von West-Deutschland nach Berlin kam, um meinen Posten als Denkmalpflegerin beim Landeskon- servator anzutreten, fuhr ich mit der S-Bahn von Wilhelmsruh bis Schlachten see, wo sich mein Ankunftsquartier befand. Ich fuhr auf einer Strecke, die mir, gewissermaßen auf einen Sitz, die einzigarti- ge politische Topographie West-Berlins vor Augen führte: erst den Bahndamm als Grenze, dann die abgedunkelten Geisterbahnhöfe unter Ost-Berlin und den matt erhellten Einreisebahnhof Friedrich- straße, dann, wieder in West-Berlin, die frisch renovierte Station Anhalter Bahnhof und schließlich die offene Strecke in den zuse- hends heller, offener und freundlicher erscheinenden Süd-Westen der Stadt. Auch wenn man es im Alltag übersehen konnte: Berlin war damals noch allseits eingeschlossen, die Grenze war wei- terhin hart und bedrohlich. Das weltpolitische Patt und die reiche finanzielle Subventionierung durch die BRD hielten West-Berlin noch immer in der Balance. Der Wettstreit der Systeme – Sozia- lismus gegen Kapitalismus und umgekehrt –, der zahlreichen Kul- tur- und Bauprojekten der 1950er- bis 70er-Jahre auf beiden Sei- ten der Grenze besonderes programmatisches Gewicht gegeben hatte, begann allmählich historisch zu werden. Das West-Berliner Denkmalamt, als Stabsstelle beim Sena- tor für Stadtentwicklung und Umweltschutz und damit in der Ver- waltungshierarchie an untergeordneter Stelle angesiedelt, hatte zwar das Wort, aber wenig eigene Autorität, insbesondere in der Auseinandersetzung mit anderen Instanzen der Berliner Regierung und Verwaltung, die „intern“ abzuwägen waren. Um was damals gestritten wurde, macht am besten der Katalog der Ausstellung „Verloren gefährdet geschützt“ deutlich, die zum 10. Jahrestag des Berliner Denkmalschutzgesetzes vom Dezember 1988 bis zum Sommer 1989 im ehemaligen Arbeitsschutzmuseum in der Fraunhoferstraße ausgerichtet wurde.1 Für die Erhaltung des Hau- ses, einem versehrten und stark vernachlässigten Hallenbau von 1900/01, war jahrelang vor Gericht gestritten worden. Glückliche Fügungen und ein günstiges Urteil hatten es letztlich vorm Ab- bruch bewahrt. Vorwort von Gabi Dolff-Bonekämper Die Ausstellung wurde von Norbert Huse (TU München) konzipiert und von einem Planungsstab ausgearbeitet, dem u. a. die Leiterin der Inventarisation im Amt, Christine Hoh Slodczyk – meine Vorgesetzte – und Wolfgang Wolters, Professor für Kunst- geschichte an der TU Berlin, angehörten. Die Katalogbeiträge und Aufsätze stellen eine klug getroffene Auswahl des Berliner Denk- malbestands vor und berichten, wie um viele Denkmale gerungen werden musste. Strittig waren vor allem die brachgefallenen Bau- ten des Verkehrs und der Industrie, die allmählich unmodern ge- wordenen Geschäftsbauten der 1950er- und frühen 1960er-Jahre in der City West, deren freier Stil und Schwung mit der Stützung durch die West-Alliierten assoziiert werden konnte, sowie die Bau- ten und Zeugnisse des Nationalsozialismus, denen fachkundig, 5 6 aber auch politisch beizukommen war. Ausstellung und Katalog verhandelten mithin durchaus nicht nur architekturhistorische Werte, sondern auch die historische und kulturelle Identität der Weststadt, die im Denkmalbestand anschaulich wurde. In seinem Vorwort schrieb Norbert Huse: „Die Ausstellung, die sich mit den Aufgaben, die der institutionalisierten Denkmalpflege gestellt sind, identifiziert, nimmt in solchen Prozessen Partei. Ihr Part ist der des Anwaltes für die Verteidigung, deren Mandat in der Erhaltung der Denkmale besteht, ganz unabhängig davon, Der Streitwert der Denkmale ob diese gefallen oder nicht. Nicht zuerst der Schönheit ist die Verteidigung verpflichtet, sondern der Geschichte, und zwar der ganzen, einschließlich der ungeliebten oder gar gehassten Teile.“2 Mit diesem anwaltlichen Mandat und mit der ihr eigenen fachlich-moralischen Autorität soll die Denkmalpflege nicht nur privaten Denkmaleignern gegenübertreten, sondern auch den Instanzen der Regierung und Verwaltung, denn das Land Berlin hatte mit dem Erlass des Gesetzes die Denkmalpflege nicht nur den Bürger*innen – und dem anonymen Kapital –, sondern auch sich selbst als widerständige Instanz gegenübergestellt. Der un- tergeordnete Status des Amtes als Stabsstelle machte es indes nicht leicht, diese Funktion aktiv und gar öffentlich