LEIF KRAMP/ STEPHAN WEICHERT

Journalismus in der Berliner Republik – Zielsetzungen für das „netzwerk recherche“ Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt? 1. Das „netzwerk recherche“ verfolgt das Ziel, die reichend wahrgenommen wurde: Der Leuchtturm jour nalistische Recherche in der Medien-Praxis zu – Preis für besondere publizistische Leis tung en. stärken, auf ihre Be deu tung aufmerksam zu machen und die intensive Re cher che vor allem in 7. Die Mitglieder des Netzwerkes setzen sich dafür der journalistischen Ausbildung zu fördern. ein, dass die Möglichkeiten der Recherche nicht eingeschränkt werden. 2. Zu diesem Zweck entwickelt das „netzwerk Das „netzwerk recherche“ äußert sich öffentlich recher che“ Ausbildungskonzepte für die Recher - zu Fragen der Recherche und der Bezüge zur jour- che-Ausbildung, vermittelt Referenten und berät nalistischen Qualität, wenn Begrenzung en oder In sti tutionen der journalistischen Aus- und Wei - Einschränkungen der Presse frei heit festgestellt ter bil dung in der Gestaltung und Umsetzung ent - werden. sprechender Ausbildungskonzep te. Das „netzwerk recherche“ veranstaltet zudem eigene Recherche- 8. Das „netzwerk recherche“ arbeitet mit anderen Seminare sowie Modell seminare zu verschiedenen Journalisten Organisationen und Gewerkschaft en Themen. zusammen, die im Grund satz ähnliche Ziele ver- folgen und ebenfalls dazu beitragen, den Aspekt 3. Das „netzwerk recherche“ bietet ein Recherche- der Recherche im Journalismus stärken um so die Mentoring für jüngere Kolleginnen und Kollegen Qualität der Medien insgesamt zu verbessern. an, um in einem intensiven Beratungs- und Aus - tauschprozeß über jeweils ein Jahr einen ent- 9. Das „netzwerk recherche“ trifft sich einmal im sprechenden Wissens-Transfer von erfahrenen Jahr zu einem Jahres-kongress und erörtert jeweils Rechercheuren zu interessierten Kollegin nen und aktuelle Tendenzen im Umfeld des „Recherche- Kollegen zu organisieren. Journalismus“ und setzt sich hier mit zentralen Themen im Zusammenhang mit der journalistis- 4. Das „netzwerk recherche“ fördert den umfassenden chen Recherche und konkreten Fall bei spielen Informationsaustausch zum Thema „Recherche“ auseinander. und bietet seinen Mitgliedern ent sprechende Foren Jedes Jahr wird ein „Infoblocker“ aus Politik oder an. Im Internet wird durch entsprechende news letter Wirtschaft mit der „Verschlossenen Auster“ aus- die Kommu ni ka tion untereinander gefördert. gezeichnet. Der Austausch über Projekte, konkrete Recher - Regionale Untergliederungen ermöglichen den che-Erfahrungen etc., aber auch der Hinweis auf Austausch in bestimmten Regionen. Weiter bildung und entsprechende Servicean ge - bote soll hier möglich sein. 10. Das „netzwerk recherche“ ist politisch unabhängig und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. 5. Das „netzwerk recherche“ beteiligt sich am in ter - Der Zusammenschluß der Journalisten hat den na tionalen Austausch entsprechender Jour na listen Status der Gemein nütz igkeit erhalten. Die lau f - – Organisationen in Europa und in Übersee. ende Arbeit und die Projekte des „netzwerkes“ werden durch Spenden und Mit glieds beiträge 6. Das „netzwerk recherche“ vergibt einmal im Jahr (mindestens 60 Euro im Jahr) finanziert. einen Preis für eine aussergewöhnliche Recher che- Leistung, die Themen und Kon flik te beleuchtet, die in der Öffentlichkeit bislang nicht oder nicht aus-

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Netzwerk Recherche e.V.

Leif Kramp/ Stephan Weichert

Journalismus in der Berliner Republik –

Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt?

Impressum

Titel der Studie: Journalismus in der Berliner Republik – Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt? Autoren: Leif Kramp, Dr. Stephan Weichert Herausgeber: netzwerk recherche e. V. Walkmühltalanlagen 25 65195 Wiesbaden www.netzwerkrecherche.de Mail: [email protected] Dr. Thomas Leif (verantw.) Titel: Nina Faber de.sign Foto: Marco Urban Druck: einfach-digital print gmbh, Hamburg

2 Vorwort Laubsägenbastler, Chronisten und Getriebene – Gibt es eine politisch-mediale Klasse in ?

Wer die Studie von Leif Kramp und Stephan Wei- Deutschland“ ist uns dies bereits gelungen. Alle chert liest, wird viele Überraschungen erleben und Publikationen sind kostenfrei unter die Lektüre am Ende ganz sicher nicht als ver- www.netzwerkreche.de verfügbar. schenkte Zeit empfinden. Denn die beiden Kom- munikationsforscher bringen die journalistischen Mit der Studie von Leif Kramp und Stephan Wei- Defizite und Schwachstellen in der „Berliner Re- chert ist aber noch eine weitere Botschaft verbun- publik“ auf den Punkt. Sie bündeln Kritik, Ressen- den: Besonders in den dichten und sehr offenen timents, Überforderungen, offene und verdeckte Interview-Passagen der ‚Berliner Macher’ spürt Verbindungen und Spezifika des Berliner Milieus. man in jeder Zeile den Sinn der direkten Befra- Auffällig in der materialreichen und argumentativ gung. Wenn jedes Jahr nur ein Dutzend kommuni- gut gestützten Studie ist jedoch, dass fast alle kationswissenschaftlicher Dissertationen auf ein Experten mit Selbstkritik nicht sparen. Die Erkenn- vergleichbares empirisches Fundament bauen und tnis, dass im Wechselspiel von Politik und Medien sich solchen relevanten medienpolitischen Themen manches – vor allem aus der Perspektive der Me- zuwenden würden, wäre damit schon ein fulminan- diennutzer – nicht zufrieden stellend läuft, hat sich ter Erkenntnisfortschritt verbunden. Wäre. Aber: offenbar durchgesetzt. Nur – Lösungen und wirk- Die Publikation der 33 Interviews könnte ja als same Korrekturen haben die Akteure in der Bun- produktive Anstiftung für mehr kritischen Rationa- despolitik (noch) nicht anzubieten. lismus und empirische Datenabsicherung in den Kommunikationswissenschaften wahrgenommen Die vorliegende Studie dient in erster Linie dazu, werden. das Wechselverhältnis der politisch-medialen Klas- se in Berlin zu beschreiben, Problemzonen auszu- Wir danken der Otto-Brenner-Stiftung (OBS), die leuchten und diese für die interessierte Öffentlich- im Rahmen ihrer Wissenschaftsförderung dieses keit nachvollziehbar zu dokumentieren. Damit wird Projekt unterstützt hat. ein Fundament von Fakten und Argumenten prä- sentiert, dass weitere Debatten beflügeln kann – Allen an der Qualität einer funktionierenden Öf- und soll. fentlichkeit Interessierten wünschen wir neue Er- kenntnisse und spannende Einsichten zum ‚Raum- Die von netzwerk recherche herausgegebenen schiff Berlin’. Setzen Sie die Studie auf die politi- Studien haben vor allem zum Ziel, Diskurse anzus- sche Agenda. Es lohnt sich. toßen und die Reflexion über die journalistische Praxis anzuregen. Mit den beiden Studien zum Dr. Thomas Leif „Spannungsverhältnis von Journalismus und PR“ Vorsitzender netzwerk recherche (nr) und zur „Veränderung der Nachrichtenfaktoren in

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die netten Laubsägenbastler im Treibhaus Berlin 6

2. Der Hype um die Hauptstadt – Thesen und neue Literatur zum Thema 9 2.1. Die Hauptstadtjournaille in der Eitelkeitsfalle 9 2.2. Das Oeuvre der Popliteraten 10 2.3. Vom Raumschiff Bonn zur verschworenen Berlin-Society 10 2.4. Das Anschwellen der Informationsmenge im Beschleunigungskarussell 11 2.5. Das Problem professioneller Nähe und Distanz 12 2.6. Über „Alpha-Journalisten“ und ähnliche Wichtigtuer 13 2.7. Die Meute in der Tempofalle 15 2.8. Das Problem der Echtzeitdemokratie 15 2.9. Profilierung und Privates als Erfolgsfaktoren in der Politik 16 2.10. Politische Kommunikation in der Beraterrepublik 18

3. Forschungsfrage und Methode 20 3.1. Forschungsfrage 20 3.2. Methodisches Vorgehen 20 3.3. Analyse und Interpretation 23

4. Analyse: Empirische Ergebnisse der Befragung 25 4.1. Selbstverständnis und Biografen der Akteure 25 4.1.1. Wie Hauptstadtjournalisten gemacht werden 25 4.1.2. „New in Town“: Der Neustart in Berlin zwischen Erwartungen und Enttäuschungen 27 4.1.3. Das Phänomen „Alpha-Journalismus“: Kir Royal in Berlin? 28 4.1.4. Selbstverständnis vs. fehlende Selbstkritik 30 4.1.5. Selbstverständnis: Zusammenfassende Thesen 31 4.2. Agenda Setting in der Bundeshauptstadt 32 4.2.1. Determinanten des Agenda Setting 32 4.2.1.1. Unkontrollierbare Beschleunigung 32 4.2.1.2. Der Schweigespiralen-Effekt 33 4.2.1.3. Selbstreferentialität 34 4.2.1.4. Boulevardisierung 35 4.2.2. Die Leitmedien der Hauptstadt 36 4.2.2.1. Die fehlende Hauptstadtzeitung 36

4 4.2.2.2. Der Niedergang des Fernsehens 37 4.2.2.3. Online gegen Print 38 4.2.2.4. Totgesagte leben länger: Die Rolle des Radios 40 4.2.3. Der (wachsende?) Einfluss der Mediennutzer 40 4.2.4. Agenda Setting: Zusammenfassende Thesen 42 4.3. Politische Kommunikation 43 4.3.1. Vom Treibhaus Bonn zur Kommunikationsblase Berlin 43 4.3.2. Deutschland – eine Beraterrepublik? 44 4.3.3. Eigennutz oder gesellschaftliche Verantwortung? Einfluss der Lobbyisten 46 4.3.4. Regierungskommunikation zwischen Nähe und Äquidistanz 47 4.3.5. Die SMS-Revolution 50 4.3.6. Autorisierungspraxis: Der Kampf ums letzte Wort 51 4.3.7. Merkels Podcast: Moderne Kommunikationspolitik oder Propaganda? 52 4.3.8. Politische Kommunikation: Zusammenfassende Thesen 54 4.4. Die Berliner Recherche-Netzwerke 55 4.4.1. Recherche-Besonderheiten in Berlin 55 4.4.2. Recherchealltag der Hauptstadtjournalisten 56 4.4.3. Zusammenarbeit mit Pressediensten 57 4.4.3.1. Recherchequellen Pressestellen 57 4.4.3.2. Rechercheangebote der Politik 58 4.4.3.3. Rechercheinstrumente 60 4.4.4. Hintergrundkreise 61 4.4.5. Informelle Kontakte 66 4.4.6. Ungleichbehandlung im Informationszugang 68 4.4.7. Recherche-Netzwerke: Zusammenfassende Thesen 69

5. Fazit: Resümee und praktische Handlungsempfehlungen 71 5.1. Selbstverständnis und Biografien der Akteure 71 5.2. Agenda Setting in der Bundeshauptstadt 72 5.3. Politische Kommunikation 73 5.4. Recherche-Netzwerke 73 5.5. Resümee 74 5.6. Praktische Handlungsempfehlungen 74 5.6.1. Verbesserungspotenziale für Journalisten 74 5.6.2. Verbesserungspotenziale für Politiker 75

6. Literaturverzeichnis 77

7. Anhang: Kurzbiografien der Gesprächspartner 79

8. Die Autoren 86

5 1

Einleitung Die netten Laubsägenbastler im Treibhaus Berlin

„Dunst. Gewitterdunst. Treibhausluft: Sonnenglast. Die Fenster des Treibhauses waren schlecht geputzt; die Lüftung funktionierte nicht. Er saß in einem Vakuum, dunstumgeben, himmelüberwölkt. Eine Unterd- ruckkammer für das Herz.“ (Wolfgang Koeppen 2004: 83)

Hans Leyendecker, seines Zeichens leitender Redak- Verfehlungen großer Wirtschaftsunternehmen in teur der Süddeutschen Zeitung für besondere Auf- jüngster Zeit ist in Berlin mit der Enthüllung eines gaben und Verdienste um den investigativen Journa- Polit-Skandals im Watergate-Format zwar sicher so lismus, landete kürzlich in einer Besprechung des bald nicht zu rechnen. Dafür handeln Regierungsap- neu erschienenen Bandes „Woodward und Bernstein parat und Ministerien offenbar zu durchsichtig- – im Schatten von Watergate“ von Alicia Shepard überkorrekt, sind politische Prozesse zu langwierig einen versteckten Seitenhieb auf die Berliner Kolle- und verschachtelt, erscheinen politische und journa- gen: Auf der SZ-Medienseite notierte er in einem listische Klasse tatsächlich zu sehr aneinandergeket- Nebensatz, dass die Parlamentsberichterstatter in tet, als dass sich hier plötzlich sprudelnde Quellen der Hauptstadt – verglichen mit den beiden ameri- skandalöser Ungereimtheiten auftäten. Obwohl ge- kanischen Reporter-Legenden Carl Bernstein und rade jüngere Buchautoren, wie unlängst Dirk Kurb- Bob Woodward – doch nur „nette Laubsägenbastler“ juweit (2008) und Michael Kumpfmüller (2008), seien (Leyendecker 2008: 21). beide Jahrgang Anfang 1960, immer wieder versu- chen, der Stadt literarisches Leben einzuhauchen, Was Leyendecker andeutet (aber niemals schreiben liefert sie einstweilen keine brauchbaren Stoffe für würde): Die Medienhauptstadt kommt weitgehend packende Polit-Thriller – so hoffnungsfroh man die ohne spannende Affären-Storys aus, ohne geheim- bürokratische Langeweile im politischen Berlin auch nisvolle Informanten, ohne leidenschaftliche Recher- durch Hipness und Sexappeal wegschreiben möchte. chen – und offenbar ohne respektlose Enthüller wie ihn, die schmutzigen politischen Verschwörungen Andererseits: In Berlin herrscht ein Treibhausklima auf die Schliche kommen. In Berlin, so auch der weit ohnegleichen, das die „netten Laubsägenbastler“ in verbreitete Verdacht vieler Kollegen im Rest der ein viel zu enges Korsett zwängt und ihnen nach Republik, werde regelmäßig und ausgiebig zwischen eigenem Empfinden oft keine Wahlfreiheit lässt. Die Journalisten und Abgeordneten gekuschelt und ge- Geschichte über das Außenseitertum eines einstma- kungelt, geknutscht und gekuscht – zumal vor den ligen politischen Idealisten, den Wolfgang Koeppen politischen Schwergewichten. Die Politikberichters- in seinem 1953 erschienenen düster-elegischen tattung leide außerdem, das behauptet zumindest Schlüsselroman „Das Treibhaus“ (2004) für die noch mancher Kritiker, unter einem Geltungskomplex junge Bundesrepublik schildert, hätte sich ganz ähn- einiger prominenter Zeitgenossen, den „Alpha- lich auch im heutigen Berlin zutragen können. Koep- Journalisten“ und „Wichtigtuern“ der Branche; auch pens skurriler Protagonist, der Journalist und spätere habe sich die politische Publizistik komfortabel in der SPD-Bundestagsabgeordnete Felix Keetenheuve, der „nervösen Zone“ zwischen Borchardt und Bundestag in der Parlamentsdemokratie zwischen Fraktions- eingenistet – und zelebriere von dort einen kommo- zwang und politischem Kommunikationskalkül bei- den, im Grunde harmlosen Wohlstandsjournalismus, nahe zerrieben wird, diente dem Autoren als Vexier- der immer mehr auf ökonomische Abhängigkeiten bild für die Ghettoisierung der Bundespolitik in der und Liebedienereien schiele, also alles andere tue, damaligen Hauptstadt Bonn: Bereits wenige Jahre als den Recherchevorbildern aus Washington nach- nach Gründung der BRD, so Koeppens literarische zueifern. These, hätten Politik und Medien in der aufgeheizten Kessellage der Stadt nicht nur den Kontakt zum Die (empirische) Wahrheit ist: Ja, die Vorurteile Volk, sondern auch sämtliche Bezüge zur Realität treffen zu – und auch wieder nicht. Trotz Telekom- verloren. gate, Siemensgate, Zumwinkelgate und anderen 6 Man mag diesen „Treibhaus“-Effekt, den der bedeu- Zustandsbeschreibungen auf der einen und strategi- tende Schriftsteller der Nachkriegszeit für den ehe- schen Positionierungen des politischen Personals auf maligen Regierungssitz beinahe poetisch beschreibt, der anderen Seite weichen. Man merkt förmlich, wie für eine erfrischende Analogie in Bezug auf das poli- routiniert, aber auch träger und verkopfter der poli- tische Klima der neuen Hauptstadt halten: Leitende tische Journalismus gegenüber den spannungsrei- Korrespondenten, Büroleiter, Redakteure und Pres- chen Jahren unter Rot-Grün geworden ist. sesprecher berichten auch in unserer Studie von Der Medien-Hype ist also eigentlich längst verflogen einer zunehmenden Entfremdung der politischen – allerdings spricht vieles dafür, dass sich das öf- Klasse – einhergehend mit einer unerträglichen Me- fentliche Interesse schnell wieder auf Berlin richten diendichte und einem atemlosen Berichterstattungs- könnte: Wenn 2009 die nächste Bundestagswahl ins tempo, das den Laien schwindlig werden lässt; die Haus steht, werden möglicherweise auch alte La- politische Kommunikation, so der mehrheitliche Be- germentalitäten unter konkurrierenden Medienhäu- fund der Befragten, habe sich regelrecht verselbst- sern aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen. Dann ändigt und damit weiter denn je von den Stimmun- könnte die Hauptstadt – bestenfalls – wieder zur gen und Problemen innerhalb der Bevölkerung ent- lebendigen Bühne werden, auf der sich allerlei fernt. Weder Politiker noch Journalisten könnten Selbstdarsteller, Wahlkämpfer und andere schillern- noch genau einschätzen, welche Eigendynamik poli- de Randfiguren tummeln, die sich mithilfe der Me- tische Themen unter den neuen Extrembedingungen dien in Szene setzen und ihre Botschaften unters unserer Medienrepublik entfalten: Bei wachsendem Volk bringen wollen. Kurt Kister, vor einigen Jahren Zeitdruck und Exklusivitätszwang, der Vorliebe des noch Hauptstadtbüroleiter der Süddeutschen Zei- Publikums für personalisierte Homestories und sen- tung, beschrieb Berlin-Mitte einmal als „Pfaueninsel“ sationalistische Politikgeschichten kämpfen die Be- – als einen Ort merkwürdiger Balzrituale und extro- richterstatter an allen Fronten immer radikaler um vertierten Imponiergehabes. Und auch diese Meta- Effekte und Anerkennung – dabei sind doch gerade pher hat nichts von ihrer Aussagekraft eingebüßt: sie es, die durch ihre tägliche Arbeit Orientierung Neben dem eher schmucklosen Politikalltag existiert bieten und den Mächtigen des politischen Apparates in Berlin nach wie vor eine politisch dichte, medial auf die Finger schauen müssten, wie es einst veredelte Atmosphäre, die Politiker und Journalisten Woodward und Bernstein vormachten. gleichermaßen zu ihrem Vorteil nutzen. Neu in Berlin (und nicht gerade weniger ernüch- Auch wenn (oder gerade: weil) die Balzrituale und ternd) ist auch, dass die Kluft zwischen Medienpro- Regelwerke in der Bundeshauptstadt inzwischen minenz und schlecht ausgebildetem Journalisten- eingespielt sind, steht die Berichterstattung immer nachwuchs unaufhaltsam wächst, während sich die mehr unter dem Einfluss einiger wichtiger Korres- Armada aus Reportern, Agenturleuten, Korrespon- pondenten, Wortführer und Leitmedien. Welche denten und Kamerateams weiterhin um die besten Emulsionen und explosiven Gemische sich aus den Bilder und Statements prügelt. Mehrere tausend täglichen Berührungen zwischen Medienmachern Berichterstatter treten sich in Berlin inzwischen ge- und Politikern ergeben, ist bislang allerdings weitge- genseitig auf die Füße, im anstehenden Wahlspekta- hend ungeklärt – es mangelt vor allem an einer kel 2009 werden es noch einige hundert mehr sein – breiten empirischen Studie, die sich den „Zweckge- Herlinde Koelbl (2001) wählte für solche Massenauf- meinschaften“ aus Politik und Journalismus nähert, läufe das schöne Paradigma der „Meute“, um die die im Feuilleton und auf den Medienseiten allen- aggressiv-physische Belagerung der Politiker durch thalben beklagt werden. Wie resistent das Selbstver- die Berliner Medien zu umschreiben. ständnis beider Berufsgruppen gegen diesen Einfluss Die „Meute“ lauert noch wie früher auf ihre Opfer, im Politikalltag jeweils bleibt, war bislang wilden doch haben sich einige Koordinaten grundlegend Spekulationen überlassen. Ebenso wenig weiß man verschoben: Im Ringen um Aufmerksamkeit scheint darüber, wie Journalisten und Korrespondenten in der gemeine Medienmob gegenüber der Konkurrenz Berlin recherchieren, welche persönlichen Kontakte noch hektischer, gefräßiger und rücksichtsloser ge- sie mit Politikern pflegen, und warum sie manche worden, zugleich – so paradox das vielleicht klingen Sujets prominenter platzieren als andere. mag – ist das individuelle Verhältnis zur Politik merk- Verblüffend ist auch, warum die Zeremoniemeister lich cooler und moderater als kurz nach der Zeit des und Taktgeber im Hauptstadtjournalismus zwar pub- Regierungsumzugs, in der die Koelbl-Dokumentation lizistisch allgegenwärtig sind, bisweilen selbst aber entstand. Betrachtet man heute die Filmsequenzen, einen blinden Fleck darstellen: So sehr sie die politi- in denen Journalisten einzelne Politiker ‚überfallen’, schen Bühnen mit ihren Leitartikeln und Kommenta- kommen sie einem so überdreht vor, als stammten ren bespielen, mit den Mächtigen aus Regierungs- sie aus einem Medienmuseum längst vergangener apparat und Parteivorständen verkehren und ver- Zeiten: Unter der Großen Koalition, da gibt es gar meintliche Fäden in den Hintergrundkreisen ziehen, kein Vertun, musste das anfangs so ambitionierte so wenig weiß man über sie. Projekt „Hauptstadtjournalismus“ eher harmlosen 7 Derart einflussreich und prägend sind die Haupt- Journalisten und Politikern auf die Berichterstattung stadtmedien in Wort, Bild und Byte, zu häufig wer- aus? Wie resistent ist der Politikbetrieb gegenüber den politische Vorgänge unter dem Druck der Nach- dem Reiz-Reaktions-Schema der Medien? Im letzten richtenagenturen zugespitzt, zu dringend ist die Teil, Recherche (Kap. 4.4), geht es folgerichtig breite Öffentlichkeit gerade in Wahlkampfzeiten auf um einen Kernbereich im Politikjournalismus, näm- verlässlichen und glaubwürdigen Journalismus an- lich die Frage wie die Meinungsmacher recherchie- gewiesen, als dass das Wirken und Denken der Be- ren, aus welchen Quellen sie ihre Informationen richterstatter, ihre Strategien und Probleme un- schöpfen und welche Rolle die geheimnisumwitter- beachtet und unhinterfragt bleiben dürfen. Wer die ten Hintergrundkreise bei der Informationsbeschaf- politische Agenda in Berlin nachhaltig prägt, wie die fung spielen. Gerade die Wettbewerbszwänge und Wortführer und Leithammel im Journalismus eigent- der erhöhte Zeitdruck nötigen die Hauptstadtjourna- lich ticken, was Wirklichkeit und was bloß Legende listen, auf zeitintensive Recherchen zu verzichten, ist in diesem Beziehungsgeflecht, sind daher zentra- während sich in persönlichen Gesprächen häufig ein le Fragen der vorliegenden Studie. Es geht dabei Nähe-Distanz-Problem einschleicht. wesentlich um die déformations professionelles im Die Studie analysiert – in praktischer Absicht – zent- Hauptstadtjournalismus, wobei die Akteure, um die rale Probleme und Defizite des Hauptstadtjournalis- es eigentlich geht, ausführlich zu Wort kommen. Für mus und deren Auswirkungen auf die Politikbericht- die Studie wurden 33 führende Hauptstadtjournalis- erstattung. Die Thesen und medienpolitischen ten und politische Sprecher sowie exemplarisch eini- Empfehlungen im Fazit (Kap. 5) stützen sich ge Strategen und Berater, die vornehmlich im Hin- dabei auf die geführten Experteninterviews und tergrund wirken, in ausführlichen Expertengesprä- beziehen sich folglich auf die vier Bereiche Selbst- chen zum Zustand des Berliner Journalismus be- verständnis, Agenda Setting, Politische Kom- fragt. munikation und Recherche. Dabei ist zu berück- Das Ergebnis sind Erkenntnisse über die zentralen sichtigen, dass diese, in einem qualitativen Verfah- Mängel in der politischen Berichterstattung, über ren gewonnenen Erkenntnisse weder repräsentativ Mechanismen und Konsequenzen publizistischer sind noch die Meinung der Autoren der Studie wie- Macht und das berufliche Selbstverständnis der Ge- dergeben. Die zitierten Aussagen der Befragten be- sprächspartner, also potenzielle Problemfelder, die anspruchen also keine Allgemeingültigkeit, sondern sich unter anderem aus dem Forschungsstand bzw. liefern lediglich ein tieferes Verständnis der (indivi- der Zusammenschau aktueller Literatur (Kap. duellen) Arbeitssituationen der Journalisten und 2) ergeben. Nach einer Skizze der genauen For- Pressesprecher in der Hauptstadt. Ferner ist davon schungsbereiche und des methodischen Vor- auszugehen, dass die Interview-Partner – je nach gehens (Kap. 3) werden in den einzelnen Kapiteln Fragetechnik, Gesprächsatmosphäre und Tagesform zunächst das Selbstverständnis und die Biogra- – sozial erwünschte Antworten gegeben haben, fien der Akteure (Kap. 4.1) untersucht, um eine zumal bei solchen Fragen, die zum Beispiel Kritik konkrete Vorstellung von den allenfalls schemenhaft und Lob gegenüber Berufskollegen, das eigene Rol- bekannten Berichterstattern und ihrer Selbstein- len-Selbstverständnis oder Ideale politischer Bericht- schätzung zu geben. Daran knüpft eine Analyse erstattung behandeln. des Agenda Setting in der Hauptstadt (Kap. Die Studie erfolgte im Auftrag des Netzwerk Recher- 4.2) an: Welche Leitmedien gibt es, wie setzen che e. V. – danken möchten wir daher dem Vor- Journalisten ihre Themen, und mit welchen Schwie- standsvorsitzenden des Netzwerks, Dr. Thomas Leif, rigkeiten haben sie dabei zu kämpfen? Und welchen für das entgegengebrachte Vertrauen, uns mit die- Einfluss haben Online-Medien wie Spiegel Online ser Aufgabe zu betrauen; Alexander Matschke ge- oder die Bild-Zeitung auf die Nachrichtenbeschleuni- bührt Dank für Transkription und hilfreiche Voraus- gung? Im Kapitel Politische Kommunikation wertung mehrerer Interviews, Claudia Huber für die (Kap. 4.3) geht es um einen sensiblen Zwischenbe- kritische Lektüre des Manuskripts. Danken möchten reich von Medien und Politik, in dem die übergrei- wir auch und vor allem den 33 Interview-Partnern fenden Rahmenbedingungen und Nebeneffekte der für ihr überaus engagiertes Mittun. Letztlich waren Regierungskommunikation sowie neuer Kommunika- sie es, die uns tiefere Einblicke in ihren Berufsalltag, tionsmittel wie der SMS und dem Podcast der Bun- ihre Denkweisen und ihre Probleme ermöglichten. deskanzlerin erforscht werden: Inwiefern greifen das politische und mediale System ineinander, wie wirkt Berlin und Hamburg, im Juni 2008 sich das mitunter vertraute Verhältnis zwischen Leif Kramp/ Dr. Stephan Weichert

8 2 Der Hype um die Hauptstadt Thesen und neue Literatur zum Thema

Die politischen Berichterstatter aus der Hauptstadt So knackig die Thesen über den Wandel des politi- stehen im Fokus gleich mehrerer Bücher, die im schen Journalismus in Deutschland aus dem berufe- Laufe des Jahres 2007 erschienen sind. Auch wenn nen Munde der Journalismus- und Medienkritiker die Autoren zu relativ ähnlichen Befunden kommen, auch klingen mögen: Wirklich neu sind sie nicht. Die sind ihre Herangehensweisen jedoch grundverschie- an der New Yorker Columbia University promovierte den: Gerhard Hofmann, ehemaliger politischer Chef- Soziologin Sophie Mützel hat sich bereits vor Jahren korrespondent von RTL und n-tv, rekonstruiert mit mit dem damals neu entstehenden „Hauptstadtjour- kritischem Blick auf die letzte Bundestagswahl 2005 nalismus“ befasst. In ihrer 300 Seiten umfassenden tagebuchgenau eine „Verschwörung der Journaille englischsprachigen Dissertation „Making meaning of zu Berlin“ (Bonn 2007), die beiden Publizisten und the move of the German capital: Networks, logics, Medienberater Stephan Weichert und Christian Zabel and the emergence of capital city journalism“, die identifizieren in einem Herausgeber-Band in 30 von 2002 erschien und in Deutschland kaum beachtet renommierten Medienjournalisten verfassten Port- wurde, beschreibt Mützel aus soziologischer Netz- räts wichtige deutsche Wortführer als „Die Alpha- werk-Perspektive die narrativen und strukturellen Journalisten“ (Köln 2007), Lutz Hachmeister, Publi- Logiken, die zur Emergenz eines „haupstadtjourna- zist und Direktor des Berliner Instituts für Medien- listischen Stils“ nach dem Umzug der Bundesregie- und Kommunikationspolitik, kartographiert anhand rung im Sommer 1999 beigetragen haben. In dieser ausgewählter publizistischer Persönlichkeiten und Studie, die erste und in ihrer empirisch-dichten Be- Fallstudien die „Nervöse Zone. Politik und Journalis- schreibung bisher einzige dieser Art über das journa- mus in der Berliner Republik“ (München 2007) und listische Treibhaus Berlin, interpretiert Mützel auf Tissy Bruns, Leiterin des Parlamentsbüros des Ta- Basis von qualitativen Interviews und Inhaltsanaly- gesspiegel und ehemalige Vorsitzende der Bundes- sen den Abschied vom beschaulichen Regierungssitz pressekonferenz, erweitert die aktuelle Debatte um im rheinländischen Bonn und den Umzug in die neue eine hochselektive, selbstkritische Abrechnung mit alte Hauptstadt bzw. dessen Folgen als wesentlichen der „Republik der Wichtigtuer. Ein Bericht aus Ber- Impuls im Übergang zur vereinigten Berliner Repub- lin“ (Freiburg/ Breisgau 2007), die auf praktischen lik. Alltagserfahrungen beruht. Aktuell verdichtet und ins Deutsche übersetzt hat Mützel (2007) ihre wichtigsten Thesen später in dem 2.1. Die Hauptstadtjournaille in der Eitelkeits- Essay „Von Bonn nach Berlin: Der gewachsene falle Hauptstadtjournalismus“ für den Band „Die Alpha- Journalisten“ (Weichert/ Zabel 2007b): Mützel zeigt Sämtliche Autoren konstatieren in ihren Befunden darin, dass bereits im Wettlauf um die Etablierung die Probleme und Eigenheiten eines ‚neuen’ Haupt- einer Hauptstadtzeitung, die Ost- und West- stadtjournalismus, der vor allem aus der überdreh- Leserschaft vereinen sollte, ein Hauptstadtjournalis- ten Taktung an Nachrichten, der gewachsenen Dich- mus Berliner Prägung erste Konturen angenommen te elektronischer Medien, der immer aufdringlicheren hat: Personalisierung und Selbstinszenierung des politi- schen Betriebs und der wachsenden Geltungssucht der Berliner Medien- und Polit-Prominenz resultiert. „Journalistische Karrieren wurden […] in dieser Zeit Besonders kreisen ihre Beobachtungen um die zahl- beschleunigt, alle Redaktionen stockten ihr Personal reichen déformations professionelles im politischen in den Hauptstadtdependancen auf. Die ‚Süd- Journalismus, die sich aus der enger werdenden deutsche’ erweiterte ihr Berliner Büro am Gendar- Verquickung publizistischer und politischer Macht- menmarkt um 15 Redakteure, die FAZ sogar um 35 interessen ergeben: Die Autoren entwirren das me- Redakteure, die eine frisch renovierte Immobilie diale Hauptstadtgemengelage als Eitelkeitsfalle, der ebenfalls unweit der Friedrichstraße bezogen.“ (Müt- in erster Linie die Wichtigtuer und Alphatiere des zel 2007: 61) Berliner Medienzirkus selbst nur allzu häufig auf den Leim gehen.

9 Mützel erklärt anhand von fünf Entwicklungsphasen, Der Hauptstadtjournalismus wurde damit – zunächst wie sich allmählich ein spezifischer Berichterstat- – dem Oeuvre „dieser Popleute“ (Cordt Schnibben tungsstil in der Hauptstadt herausbildete: Auf die zit. n. Hachmeister 2007, 210) unterstellt, was mit- immense „Aufrüstung der Redaktionsressourcen“ in nichten eine „Verbonnerung “ (Mützel 2007, Erwartung des Regierungsumzugs (Phase I) folgte 58) bedeutete, wie viele ehemalige Korrespondenten zunächst eine „Zeitungsschlacht um Berlin“ (Phase unterstellten, sondern vielmehr einer interpretatori- II). Daraufhin wurde mit Etablierung der so genann- schen Wende der gerade ausgerufenen „Berliner ten „Berliner Seiten“ versucht, dem „Anspruch auf Republik“ gleichkam. In der Perspektive Mützels hat Deutungsmacht“ nachzugehen (Phase III). In den der Hauptstadtjournalismus erst durch dieses erste Folgejahren wurde nicht nur das „Ende des ‚rheini- Puzzlestück der Berliner Seiten, ein oft zwischen Mut schen Journalismus’“ besiegelt (Phase IV); die üppig und Übermut alternierendes Experiment, seinen ausgestatteten Hauptstadtbüros mussten im Zuge publizistischen Kurs aufgenommen und zu seiner der Medienkrise 2000/2001 zudem einschneidende heutigen Identität gefunden. Sparmaßnahmen verkraften (Mützel 2007: 56-69). 2.3. Vom Raumschiff Bonn zur verschworenen Während in der alten Hauptstadt also noch der Berlin-Society „Bonner Generalanzeiger“ eine luxuriöse Monopol- stellung als Chronist des politischen Geschehens Obwohl dem postmodernen ‚anything goes’ wegen genoss, witterten in Berlin Mützel zufolge vor allem finanzieller Engpässe durch die Medienkrise 2001/ die beiden großen regionalen Tageszeitungen, Der 2002 schnell ein jähes Ende bereitet werden musste, Tagesspiegel (Georg von Holtzbrinck Verlag) und und auch die Auflagen beider Qualitätsblätter entge- Berliner Zeitung (damals Gruner + Jahr, heute: BV gen der Erwartungen nur unwesentlich hinzugewan- Deutsche Zeitungsholding), unter den neuen Stand- nen, wirkten die vielfältigen Impulse der Popliteraten ortbedingungen plötzlich einen überregionalen Profi- und Schöngeister noch lange nach: Politischer Met- lierungsvorteil in punkto bundespolitische Berichters- ropolenjournalismus beharkte zu jenen Anfangsjah- tattung. Erich Böhme, 1990 bis 1994 prominenter ren weniger das staubige politische Tagesgeschäft; Herausgeber der Berliner Zeitung, formulierte sei- vielmehr wurden verzückte Tratsch- und Klatschge- nerzeit sogar den Anspruch, das Blatt zur „deut- schichten über die politische Klasse und die Kultur- schen ‚Washington Post’“ auszubauen. Ziel beider medienindustrie erzählt, zwei Sphären, die sich in Tageszeitungen war jedoch weniger das Elaborat den schwülen Partynächten Berlins zunehmend ei- eines besonderen journalistischen Hauptstadtstils, nander anverwandelten. Dieses „Closed Shop“- sondern – ganz profan – die Auflagensteigerung. Prinzip, das sich über die Jahre zu einer verschwo- renen Promi-Gemeinschaft auswuchs, gereicht bis 2.2. Das Oeuvre der Popliteraten heute zum großen Nachteil vieler auswärtiger Re- gionalzeitungen und Lokalredaktionen, die als Zaun- Ähnliche Ambitionen hegten offenbar auch Frankfur- gäste das elitäre Gewese seitdem meist nur noch ter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung, aus der Ferne beobachten. Wenn man den Autoren deren nun personell üppig ausgestattete Haupt- der Hauptstadtjournalismusliteratur Glauben stadtbüros versuchten, mit der Installation so ge- schenkt, ist Berlin damit zu einer „Bühne von Politik nannter „Berliner Seiten“ ihre Stammleserschaft zu und Medien geworden, die von der Lebenswirklich- stützen und neue Leser hinzuzugewinnen. Während keit der Bürger weiter entfernt ist als das legendäre ab April 1999 die tägliche Berlin-Seite im Politik-Buch Raumschiff Bonn“ (Bruns 2007, 8). Folgerichtig der „Süddeutschen“ einer überwiegend bayerischen konnte dem Ansehen des etablierten Politikjourna- Leserschaft das Großstadtleben in Berlin schmack- lismus kaum etwas mehr schaden als jener struktu- haft zu machen gedachte, verblüffte die ansonsten rell-habituelle Wandel, der mit dem Umzug des Re- konservative FAZ mit einer kooptierten Wochen- gierungsapparats an die Spree einherging: Beilage des Feuilletons wenige Monate später durch einen bunten Stilmix aus lokalpolitischen Stim- mungsberichten und ungewöhnlichen Erlebnisrepor- „Berlin-Mitte ist das Zentrum des politikverdrossenen tagen unter der Leitung des damals erst 28-jährigen Deutschland. Politiker und Medien beleuchten und Redakteurs Florian Illies: Der wilde Trupp talentier- beklatschen sich auf dieser Bühne gegenseitig, als ter Jungschreiber und Popliteraten (u. a. Eckhart Darsteller, Publikum und Kritiker. Von den Bürgern Nickel, Moritz von Uslar, Stefanie Flamm), die Illies werden sie als eine selbstbezogene Kaste wahrge- in Berlin alsbald anheuerte, betrachtete die Haupt- nommen, die in einem Boot sitzt, durch eine glei- stadt fortan „als Bühne, auf der Stücke, die später in chartige Lebensweise verbunden, auf der sicheren ganz Deutschland gespielt werden, zur Premiere Seite und jenseits der Risiken, die sie in Ausübung kommen“ (zit. n. Mützel 2007, 63). ihrer öffentlichen Macht den Bürgern zumuten.“ (ebd., 9)

10 2.4. Das Anschwellen der Informationsmenge listen (vgl. Weischenberg/ Malik/ Scholl 2006); heute im Beschleunigungskarussell dürfte diese Zahl angesichts der überwundenen Medienkrise noch einmal um einige hundert Beschäf- Natürlich war nicht nur der Wechsel in die Groß- und tigte angewachsen sein. Gäbler (2007, 8) hat in Hauptstadt Ursache für den grundlegenden Image- einer Nachfolgestudie außerdem erhoben, dass im Wandel des politischen Journalismus, auch die öko- ersten Halbjahr 2007 rund 1.250 Journalisten im nomischen und redaktionellen Rahmenbedingungen Onlinejournalismus in Berlin arbeiteten. Der Journa- haben sich im vergangenen Jahrzehnt rapide verän- listendatenbank MEDIAtlas zufolge, einem Angebot dert und zu dem geführt, was unter den Autoren des dpa-Tochterunternehmens „News aktuell“, be- gemeinhin als eine Art Beschleunigungskarussell läuft sich die Zahl der ausschließlich mit „Politik und wahrgenommen wird: „Ganz entschieden hat der Tagesgeschehen“ befassten Journalisten aktuell auf Beruf der Berliner Korrespondenten sich in acht Be- rund 2.500 Personen, die ausländischen Korrespon- rliner Jahren mehr verändert als in ein oder zwei denten in Berlin eingeschlossen (Stand: Februar Jahrzehnten zuvor“, konstatiert Bruns (2007, 70). 2008). In der Bundespressekonferenz waren Ende Wenngleich die Jahre 1989 und 1998 wichtige politi- 2006 laut Selbstauskunft 930 Mitglieder eingetragen, sche Einschnitte markierten, wähnt sie vor allem in kurz vor dem Regierungsumzug im Jahr 1999 waren den neuen Technologien der digitalisierten Welt es 700. Zusammen waren bei beiden großen Selbst- „Einschläge, die den Berufsalltag verändern“ (ebd.) organisationen, Bundespressekonferenz und Berliner – mit Blick auf die Büroausstattung im Kanzleramt Pressekonferenz, 2007 ca. 2.000 Journalisten akkre- anno 1998 (elektrische Schreibmaschinen, Faxgerä- ditiert (vgl. Burdick/ Hallerberg/ Zabel 2007, 18). te) hat nach Meinung von Uwe-Karsten Heye, ehe- Der DJV Berlin, einer der 18 Landesverbände, zählt maliger Sprecher der Bundesregierung unter Ge- derzeit rund 2.500 Mitglieder. rhard Schröder, sogar eine regelrechte „kommunika- Dafür, dass Berlin ungeschlagene Medienhauptstadt tive Revolution“ stattgefunden. Ein daraus entste- Nummer eins ist, sprechen auch die Niederlassun- hendes Problem ist laut Bruns, dass „die Beschleuni- gen und Hauptstadtbüros fast aller großen Medien- gung und das damit verbundene Anschwellen der häuser und Zeitungsverlage: Es sind über 60 natio- Menge von Informationen und Nachrichten“ einfach nale und internationale Fernsehstationen zu nennen stattfänden, die Konsequenzen indes selten reflek- sowie 94 regionale Tageszeitungen, die in Berlin mit tiert würden (ebd.: 72). Korrespondenten oder eigenen Büros vertreten sind Dass Grundrauschen und Exklusivitätsdruck zuneh- (vgl. Burdick/ Hallerberg/ Zabel 2007, 18). Etliche men, dass die Halbwertszeit von Meldungen kürzer Zeitschriften, Nachrichtenagenturen, Radiostationen wird, hat vor allem mit dem Auftrieb der Online- und Online-Medien unterhalten in Berlin außerdem Angebote im Berliner Mediengefüge zu tun (vgl. eigene Niederlassungen; hinzuzuzählen sind hunder- Gäbler 2005, 2007; Burdick/ Hallerberg/ Zabel te freie Journalisten und Redakteure der Berlin- 2007): Sie verarbeiten und wälzen das politische Brandenburgischen Regionalpresse sowie ausländi- Themenspektrum schneller um und als noch vor sche Pressevertreter wie die 382 Mitglieder des Ver- wenigen Jahren und nötigen sowohl Politiker als eins der ausländischen Presse in Deutschland (VAP), auch Journalisten, jederzeit und überall für ein ra- die für internationale Medien aus Berlin berichten. sches Statement erreichbar zu sein. Politik wird in In Anbetracht dieser Zahlen ist es kein Wunder, dass dieser Verwertungsperspektive als Produkt verstan- sich in den Berliner Journalistenalltag gelegentlich den, das sich auf dem umkämpften Medienmarkt in ein ungesundes Maß an Hektik und Gedränge mischt erster Linie verkaufen soll. Zugleich ergibt sich nach – offenbar weitaus mehr und häufiger, als es der den Beobachtungen des langjährigen „Zeit“- Beruf von seinen streng ritualisierten Zeitabläufen Korrespondenten Gunter Hofmann (2007: 74) für die ohnehin schon mit sich bringt. So bereiten das ge- Journalisten-Meute ein Dilemma: „Das Politiker- stiegene Tempo und der Medienzuwachs in der ver- Angebot reicht nicht für die Medien-Nachfrage, wes- änderten Hauptstadtszenerie auch den Buchautoren halb sich die Journalisten inzwischen oft selbst ge- ernsthafte Sorgen: Sie bringen mit der höheren genseitig interviewen.“ Dichte der Kommunikationsmittel und der Masse der Von diesem Nachfrage-Problem künden auch die Kommunikatoren nichts geringeres als eine Glaub- Statistiken über die politische Newsbranche Berlins: würdigkeitskrise der Qualitätsmedien in Verbindung, Schon 2005 ermittelte Bernd Gäbler (2005) in der und zwar aus dem Blickwinkel der Zuschauer und Studie „Newsknotenpunkt Berlin“ im Auftrag des Leser, die im wirren Nachrichtensalat aus Eisbär Medienboard Berlin-Brandenburg für die mit Nach- Knut, Party-Girl Paris Hilton und „Superstar“- richtenjournalismus und politischer Berichterstattung Kandidat Daniel Küblböck allmählich die Orientierung verbundene Berufsgruppe eine Zahl von 8.000 bis im Informationsdickicht und damit das Vertrauen in 10.000 Beschäftigten – ein gutes Fünftel der bun- den Qualitätsjournalismus verlieren würden. Auch desweit rund 48.000 hauptberuflich tätigen Journa- Hachmeister ahnt am Ende seines Buches mit Blick

11 auf die schrille Nachrichtenagenda und den unendli- de erdacht vom Helios Media GmbH, einem kleinen chen Orkus der elektronischen Netzwelten, dass es Fachverlag für Politik, Wirtschaft und Medien mit Sitz um die Frage gehen müsse, „in welcher Gestalt der in der Berliner Friedrichstrasse. Neben diesen Prei- unabhängige Journalismus als Agent der Aufklärung, sen, mit denen Journalisten wechselweise ihnen so wie wir ihn mitunter noch erleben, überhaupt zugeneigte Politiker oder sich selbst ehren, richtet kenntlich werden kann – und wozu man ihn, über (nicht nur) Helios überdies Kommunikationskongres- die Ablenkung und das gelegentliche ästhetische se aus, die „in bunter und rapider Folge PR-Leute, Vergnügen hinaus, noch brauchen wird.“ (ebd. 261) Berater, Unternehmenskommunikatoren, Lobbyisten, Journalisten und Politiker zusammenbringen“ 2.5. Das Problem professioneller Nähe und (Hachmeister 2007, 22). Die vertraute Unterredung, Distanz das ungezwungene Tischgespräch, der lockere Smalltalk bei Weißwein und Kanapees stehen hier Ein „Alarmismus“ aufgrund der immer unkenntlicher ebenso auf dem Programm wie Sticheleien und klei- und unattraktiver werdenden handelnden Politik nere Intrigen gegen den politischen Gegner. Schließ- habe die publizistischen Medien in Deutschland frei- lich sind Journalisten vor allem dann zu gebrauchen, lich schon in der rot-grünen Regierungszeit ereilt, wenn sich Politiker profilieren wollen, zumal auf behauptet Hachmeister (2007, 12) – und erkennt Kosten Anderer (vgl. Hofmann 2007, 403). darin eine der Hauptursachen für die wachsende Die monumentalen und zugleich verführerischen Unsicherheit über die eigene Berufsrolle der Journa- Kulissen der Hauptstadtarchitektur („arm, aber se- listen in Zeiten von Internet-Wirtschaft und der um xy“) hat den Mächtigen aus Politik, Medien und Kul- sich greifenden Entertainment-Industrie: „Politiker turindustrie von Beginn an eine Aura vorgegaukelt, und Journalisten befinden sich also gemeinsam in „die alles Geschriebene und Gesendete eine Spur dem Vakuum, das durch das Abschleifen der politi- wichtiger erscheinen ließ; hier trafen außerdem ers- schen Ideologien nach 1989 und das unbedingte tmals in der bundesrepublikanischen Geschichte die Primat der Wirtschaft entstanden ist.“ kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Eliten an Dass beide, politische und journalistische Wortfüh- einem Ort zusammen, in dessen Dunstkreis auch rer, in dieser veränderten Medienwelt zurechtkom- Journalisten einen Geltungszuwachs wittern“ (Wei- men müssen und dadurch einen enormen Bedeu- chert/ Zabel 2007, 23f.). Diese Orte, die der Mei- tungsverlust erleiden, attestiert auch Bruns (vgl. nungselite als Drehscheiben ihrer Selbstinszenierun- 2007, 11). Während sich die Macht des Politikers in gen dienen, tragen so wohlklingende Namen wie der globalisierten Gesellschaft zusehends verflüchti- Café Einstein Unter den Linden, Borchardt, Grill ge, so Bruns, plagten den politischen Journalisten Royal und Bocca di Bacco: Hier können sich diejeni- Selbstzweifel, ob er seiner öffentlichen Aufgabe in gen, die sonst nur still vor sich hin in den Redakti- der digitalisierten Medienlandschaft überhaupt noch onsstuben leitartikeln oder in Sonntagsreden beim gerecht werden könne: Nimmt es da also Wunder, TV-Presseclub vor den Kameras ihre Meinungen wenn die beiden gar nicht mal so verschiedenen ventilieren, öffentlich beweisen, wie eng die Tuch- Kasten beieinander Halt suchen und sich in eine Art fühlung mit dem Objekt ihrer politischen Berichters- pragmatischer Zweckgemeinschaft flüchten? Welche tattung tatsächlich ist. Doch wer als publizistischer Gründe könnte es geben, dass gerade dem politi- Wortführer des Öfteren in Berlins Nobelgastronomie schen Epizentrum Berlin nach wie vor eine medial so einträchtig mit der Spitzenpolitik verkehrt, darf überhitzte Atmosphäre nachgesagt wird? sich nicht wundern, wenn er unweigerlich in den Strudel eines Klüngels hineingezogen wird, der Spit- Antworten, oder vielmehr: Gewissheiten bekommt zenpolitiker, Lobbyisten und Journalisten mitunter derjenige, den es einstweilen auf die einschlägigen Zweckbeziehungen und Notgemeinschaften einge- Medien-Empfänge, Filmpremieren und Preisverlei- hen lässt: hungen in der Hauptstadt verschlägt, jene „magi- schen, wenngleich erratischen Momente Berliner Lustbarkeit, in denen das Doppelgesicht der ‚Medio- „Politik und Journalismus sind sich in der Berliner kratie’ besonders kenntlich wurde. Nichts markiert Republik auf seltsame Weise verfallen, so sehr, dass wohl eindringlicher, dass die intime Tuchfühlung zur es beiden Teilklassen schon unheimlich wird und sie professionellen Grätsche wird, als wenn die wichtigs- öfter mal wieder getrennte Wege gehen möchten. ten Wortführer und Entscheidungsträger der Repub- Eine Zeitlang erschienen Politiker und Kommentato- lik zu fortgeschrittener Stunde in kleinen Grüppchen ren in der neuen Hauptstadt als eine homogene ihre Köpfe zusammenstecken und in feucht- Gruppe von Party- und Salonlöwen, aneinanderge- fröhlicher Duz-Laune miteinander schäkern“ (Wei- kettet durch irrlichternde Medienauftritte, dauerbeo- chert/ Zabel 2007, 21f.). Besonders befallen von bachtet von Kameras wie in einem endlosen sozial- dieser klebrigen Nähe sind die ‚Awards’ wie der psychologischen Experiment. Es ist frappierend, dass „Goldene Prometheus“ oder der „Politikaward“, bei- Politiker wie auch Journalisten, wenn man sie be- 12 fragt, ihre eigene Rolle in dieser Medienrotation eher geworden, mit denen man schneller und vor allem skeptisch beurteilen und ihr Handeln häufig mit dem viel mehr Geld verdienen kann.“ Zwang der Verhältnisse begründen, mit der Not- Hachmeister dagegen sieht den in der Politikwissen- wendigkeit, dabei zu sein, ,mitzuspielen‘, damit Deu- schaft oft bemühten Sinnspruch, dass Medien auch tungsgewinne im Dienste von Vernunft und Prob- ohne Politik existieren könnten, die Politik aber nicht lemlösung erzielt werden können“ (Hachmeister ohne die Medien (vgl. Schmidt-Deguelle 2006), als 2007, 25). widerlegt an, da er eine erstaunliche Resistenz des Politischen gegenüber medienökonomischen und medienpolitischen Konstellationen zu erkennen Ob diese Symbiose den Journalisten aufgezwungen glaubt. So könnten die alten Macht- und Kommuni- oder freiwillig eingegangen wird, da sie vor allem kationssphären des politischen Betriebs – Parteien, dem eigenen Ego zuträglich ist, lassen die Kritiker Ministerialbürokratie, Jurisdiktion – ohne weiteres offen. Ein schlechtes Gewissen schwingt indes mit: unbeeindruckt „jenseits der sichtbaren ,nervösen Noch geistert das journalistische Ideal vom unab- Zone‘ funktionieren“ und ihre langfristigen Ziele hängigen Beobachter durch die Hinterzimmer. „Wer durch geschicktes Schmieden von Allianzen und in dieser engen Beziehung wessen Parasit ist, ent- einen kontrollierten Umgang mit den publizistischen scheidet sich von Fall zu Fall“, vermutet Gerhard Medien verfolgen (Hachmeister 2007, 88). Schröder Hofmann (2007, 374). Auch wenn das Verhältnis sei dazu nur im Ansatz fähig gewesen, während von Nähe und Distanz zum beobachteten Objekt Merkel sich ähnlich in Zurückhaltung übe wie Helmut nach Ansicht von Bruns schon immer die Gretchen- Kohl (vgl. Hofmann 2008). Langfristig sei allerdings frage im Journalismus war (Bruns in Weichert/ Zabel zu erwarten, dass die „neue publizistische Klasse 2007, 11), hält sie das öffentliche Bild der politi- personell das politische Gefüge infiltriert und […] schen Hintergrundkreise, in das allerlei konspiratives weitere Einflussräume besetzen kann“ (Hachmeister Getue reingeheimnist wird (vgl. Leif/ Salden 2006), 2007, 88). Grund dafür sei unter anderem, dass sich für irreführend. Natürlich: „Dem sanften Versuch der die „ausgeblutete akademische Sphäre“ deutlich Bestechung durch Nähe kann kein Korrespondent unattraktiver gegenüber den Spitzen der erweiterten aus dem Weg gehen“, räumt Bruns ein (Bruns 2007, Unterhaltungs- und Bewusstseinsindustrie ausneh- 41). Schließlich habe jeder Politiker schon versucht, me, in die sich das journalistische System und seine mittels der Instrumentalisierung von Medien Ge- Akteure zusehends eingebunden sähen (ebd.). meinheiten über das politische Gegenüber zu ver- breiten, das sich oft auch in den eigenen Parteirei- 2.6. Über „Alpha-Journalisten“ und andere hen ausmachen lasse. Dennoch würde in Hinter- Wichtigtuer grundgesprächen selten wirklich Vertrauliches aus- geplaudert – „und schon gar keine Absprachen ge- „Eitelkeit ist sicherlich eine Eigenschaft, die Politiker troffen“ (Bruns 2007, 43). und Journalisten verbindet“, schrieb Herlinde Koelbl Bei aller Distanz, die eingeladene Journalisten in (2001, 5) schon 2001, zwei Jahre nach dem Regie- diesen Zirkeln natürlich wahren müssten, sei die rungsumzug, im Begleitbuch zu ihrem Dokumentar- Folge des Miteinanders kein Geklüngel, sondern es film „Die Meute“. Aus heutiger Erfahrung möchte sei – ganz im Gegenteil – eine „Spirale der gegensei- man ergänzen, dass die ungebrochene Anziehungs- tigen Herabsetzung“ (Bruns 2007, 49) in Gang ge- kraft der Medienbranche nach wie vor weniger dem setzt worden, welche die ehemals traute Zweisam- journalistischen Ideal der Aufklärung zuzuschreiben keit aus Bonner Zeiten in eine Misstrauensgemein- ist als einer kleinen, vor allem durch das Fernsehen schaft verwandelt habe. Hofmann unterstreicht die beflügelten Gemeinde von Journalistenstars und Charakterisierung mit der griffigen Formel: „,If you Medienprominenten. Durch ihr dauerhaftes Mittei- cannot beat them – join them‘. Oder – anders lungsbedürfnis auf allen Medienkanälen sichern sich herum: If you can’t join them, beat them“ (Hofmann diese Wortführer ein Mitspracherecht auf höchster 2007, 374). Hachmeister erinnert in diesem Zusam- Ebene und beeinflussen so zugleich, was ihre Kolle- menhang an ein Verständnis von Journalismus, wie gen denken und publizieren. Doch der so genannte es sein sollte: „In seinen besten Leistungen ist der „Alphajournalismus“ ist kein Massenphänomen: Wei- Journalismus stets ironisch, distanziert und respekt- schenberg, Malik und Scholl (2006) sprechen von los gegen die jeweils Mächtigen gewesen.“ (Hach- einem oberen halben Prozent im Journalismus; eine meister 2007, 261). Aber wer heute gegen Politik Kleingruppe von vielleicht 100 Personen, deren und ihre vermeintlichen Verfehlungen wettert, muss Werdegang, Status und Einkommen sie zu den Ton- nicht einmal zwingend ein Aufklärungsideal verfol- angebern und Meinungsmachern im publizistischen gen – die Motive sind laut Bruns (2007, 118) in der Spektrum machen. Nach Recherchen der Kommuni- Regel viel banaler: „Politik ist in der gegenwärtigen kationswissenschaftler handelt es sich dabei um Medienwelt zu einer Ware neben vielen anderen Top-Enthüller, Edelfedern, Chefredakteure und ober- ste Auguren von Medienunternehmen, die „erhebli- 13 chen Einfluss besitzen, aber nur innerhalb der Bran- „Wenn da nur nicht dieser verfluchte Opportunismus che gut bekannt sind und von der Öffentlichkeit eher wäre. Dieser vorauseilende Gehorsam – Ja-Sagen ist marginal wahrgenommen werden“ (ebd.: 51). Dieser besser als Nein-sagen – the winner takes it all, eben überschaubare Personenkreis, von dem sich ein auch die volatile Sympathie der schreibenden Beur- Großteil gern und häufig in und mit der Berliner teiler. Merkel oben – wir dabei, man ist eben lieber Schickeria sehen lässt, gilt der Kaste der Schwarz- beim Sieger. Opposition ist Mist, hat Münte gesagt, brot- und Herzblutjournalisten, zu der sich Parla- es ist nicht lange her, aber er hat Recht, gilt auch mentskorrespondenten wie Tissy Bruns zählen, frei- für uns. Verlierer mögen wir nicht. Verlierer sind out. lich als rotes Tuch, als eine Art Stigma für die ge- Im Wortsinn. Losers don’t sell. Und jetzt: Merkel samte Profession: „Der Alphajournalismus ist die sells. Wer hätte das gedacht? Nur noch wenige Nos- Kehrseite des Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsver- talgiker von uns blicken zurück – im Zorn, in Trauer. lustes, den die Medien der Politik täglich vorhalten, Die meisten schauen nach vorn, freuen sich auf der sie aber längst selbst erreicht hat“ (Bruns 2007, neue Gesichter, neue Features, neue Hypes. Vor 61). An anderer Stelle urteilt Bruns in einer noch allem jüngere Zunftvertreter erliegen dieser Versu- schärferen Tonart: „Es könnte sein, dass wir mit chung“ (Hofmann 2007, 375f.). unseren Alpha-Journalisten Macht und Meinungsfüh- rerschaft für die Medien reklamieren, die unser Be- rufsstand in Wahrheit jeden Tag mehr verliert. Denn Hofmanns Mitgefühl für das Schicksal der rot-grünen der Einfluss des politischen Journalismus auf die Bundesregierung hat ihm zwar Kritik eingebracht Köpfe und Herzen der Menschen wird immer schwä- (Bartsch 2007), doch seine Schlussfolgerungen sind cher, weil er im großen Rauschen untergeht“ (Bruns häufig treffend und sauber dokumentiert – zumal 2007, in: Weichert/Zabel, 11). auch Hachmeister (2007, 56ff.) belegt, dass es ge- legentlich konzertierte Medienaktionen gab, bei de- Dennoch scheinen gerade die Alphatiere im Journa- nen sich in überraschenden Konstellationen große lismus ihren Einfluss gründlich auszunutzen – jeden- Medienmacher gegenseitig unterhakten, um wech- falls lässt darauf Hofmanns akribische Chronik des selseitig Auflage oder Quote zu befördern. Um das Mediengeschehens um den Regierungswechsel 2005 „manipulative Niederschreiben von Rot-Grün“ zu schließen, als einige Journalisten selbst in den politi- demonstrieren, liefert Hofmann (2007, 379) kritische schen Prozess eingreifen wollten. Mal drückte sich Stimmen der Konkurrenzpresse und Kostproben das in Form eines öffentlichen Aufstands gegen die dafür, dass Der Spiegel als Sturmgeschütz der De- Regierung aus, indem ein „Kartell der Meinungs- mokratie „immer häufiger nach hinten los“ gegangen Macher“ (Hofmann 2007, 437) aus Spiegel, FAZ und sei: Vor der Wahl habe es der Spiegel-Redaktion gar Axel Springer Verlag die Rechtschreibereform kippen nicht schnell genug mit den Reformen gehen kön- wollte, mal in Form irriger Kommentare und Leitarti- nen, doch als diese dann griffen, sei die Regierung kel, die behaupteten, dass die Bundestagswahl für die eintretenden Folgen gegeißelt worden. Hof- längst gelaufen sei – obwohl noch alles offen war.1 mann (2007, 457) glaubt, dass die Wortführer mit Der Umgang mit Spitzenpolitikern auf „Augenhöhe“ dieser Taktik einen Teilerfolg erzielt hätten, weil wird also von manchen Politikjournalisten mitunter Schröder letztlich an einem (!) Prozentpunkt schei- überinterpretiert, obwohl – und darauf weist Hof- terte und somit offenbar von einer Riege parteilicher mann mit Recht hin – der Politiker in sein Amt ge- Publizisten tatsächlich ‚weggeschrieben’ wurde. Auch wählt worden ist, nicht aber der Journalist. In den „Zeit“-Chefkorrespondent Gunter Hofmann (2007: Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wurde Hof- 71) stimmt dieser Hauptthese seines Namensvetters mann (2007, 375) zufolge sogar eine neue publizis- prinzipiell zu: „Einflussreiche Journalisten wollten tische Diktion erfunden: das „Anhimmeln“. Bei Aus- Schröder und Fischer abschaffen. Sie wollten den wertung der Pressespiegel stieß Hofmann auf merk- Wechsel. Wie Zeitgeist gemacht worden ist, das liche Kongruenzen in der Wahl der Bilder: Allerorten kann man bei Hofmann sehr gut rekonstruieren.“ lächelte Herausforderin Angela Merkel von den Titel- seiten, auf Portraitbildern und Internet-Bannern. An Das folgenreiche Wechselspiel der Meinungsmacher, die Seite gestellt wurde ihr häufig ein grimmig „der Zwang zum schnellen Themenwechsel und zur dreinblickender Gerhard Schröder, der seines Amtes Reizsteigerung“ (Bruns 2007, 119), ist inzwischen überdrüssig geworden schien; Hofmann urteilt hart zum beliebten Ritual im Berliner Medienzirkus ge- über derlei Konsens-Journalismus: worden; vieles in der Politik, so scheint es jedenfalls, wird mal hoch-, mal runtergeschrieben – je nach-

dem, was dem eigenen Medium und im Zweifelsfall der eigenen Karriere am meisten nutzt: „Pro oder contra – anything goes, solange es nur geistreich, 1 Hofmann (2007, 369) referiert hierzu Stefan Niggemeiers Zu- amüsant und unverbindlich formuliert ist“ (Weichert/ sammenstellung in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Zabel 2007, 24). Die Kluft zwischen öffentlicher und über die maßgeblichen Fehltritte der Presse im Vorfeld der Bun- veröffentlichter Meinung, also dem, was die Presse destagswahl 2005. 14 schreibt und dem, was die Leute denken, wird da- Klassengesellschaft etabliert, an deren Spitze die durch immer größer, wie Bruns zu ihrem Leidwesen „Alpha-Journalisten“ stehen. Den Bodensatz bildet feststellt (2007, 119): Lagerwelten seien ebenso dagegen ein Medienproletariat, das es in dieser Aus- verpönt wie an einem Standpunkt zu kleben; das prägung zuvor noch nicht gegeben hat (Bruns 2007, fröhliche Alternieren von Meinungen gehöre mittler- 57; vgl. Bruns 2006). Da sich die viele Bonner Kor- weile schon zum guten Ton. Die neue politische respondenten dagegen verweigerten, sich der Polit- Volatilität diene vor allem Auflage und Quote, be- karawane nach Berlin anzuschließen, erforderte der hauptet Hofmann (2007, 422), und erkennt darin die Hunger nach Informationen bald frisches Personal: Ursache für einen wachsenden Opportunismus unter Journalistische Frontschweine, die, überwiegend den Alpha-Journalisten. pragmatisch und karrieregeil, über eine erschre- ckend geringe Kenntnis des politischen Geschehens 2.7. Die Meute in der Tempofalle verfügten, zugleich aber unter enormem Konkur- renzdruck litten und mit einer ständigen Hektik zu Wer Hauptstadtjournalist ist, kommt mit einer weite- kämpfen hatten, die sie selbst mit verursachten. ren Unsitte in Berührung: Um in der Öffentlichkeit „Die langen Wege durch die Berliner Kulissen verän- nicht unterzugehen, müssten sie und ihre Kollegen dern auch das Tempo – : Die Zeit ist knap- sich häufig (selbst-) inszenieren, gibt Bruns zu per, und sie wird immer knapper.“ (Bruns 2007, 17) (2007, in: Weichert/ Zabel, 11). Die Gratwanderung Und nicht nur die Zeit: Hachmeister betont, dass zwischen der eigenen Prominenzsteigerung und guter Journalismus nicht nur Zeit (und Geld) einer gesunden professionellen Distanz gestaltet sich braucht, sondern auch Recherche und Stil (Hach- entsprechend als schwierig. „Ein wenig Bescheiden- meister 2007, 87). Durch die Verknappung dieser heit“, resümiert Hofmann (2007, 444), „täte uns voneinander abhängigen Vektoren werde der Deu- gut“. Nimmt man Hans Hoffs (2007, in: Weichert/ tungsjournalismus zunehmen, so seine Prognose – Zabel, 94) Lagebericht zum „Alpha-Journalismus“ zulasten der klassischen Reportage und ähnlich zeit- ernst, drängt sich der Verdacht auf, dass nur des- und rechercheaufwändiger Darstellungsformen. War halb immer mehr Effekthascher in der Hauptstadt ihr die Tuchfühlung zwischen Journalisten und Politikern Unwesen treiben, weil die Bescheidenen schon in Bonn noch der provinziellen Enge geschuldet, längst Auslaufmodelle der Zunft sind: wurde sie in Berlin nicht „durch geläuterte Distanz, sondern durch eine geradezu physische Belagerung abgelöst“ (Bruns 2007, 19). Schröder, so glaubt „Es handelt sich dabei um rare Exemplare jener fast Hachmeister (2007, 135), habe bei dieser „perma- ausgestorbenen Journalistengattung, die, obwohl nenten Vivisektion durch die Kameras, diesem politi- hoch geachtet und oft befragt, selten von sich aus schen Big Brother eine bella figura gemacht – dank das breite Licht der Öffentlichkeit suchen. Stattdes- seines Kameragesichts, das „in verblüffender Homo- sen pflegen sie die zurückgezogene Arbeit des Sorg- genität staatsmännische Distanz und kumpelhafte fältigen, der auch in schneller Zeit gerne noch ein- Nähe ausstrahlte“. Zur professionellen Entschleuni- mal denkt, bevor er redet und nicht darauf vertraut, gung hat Schröders TV-Präsenz bekanntlich nicht irrige Thesen schon morgen wieder korrigieren und beigetragen; eher stiegen die Erwartungen seitens durch neue ersetzen zu können. Zudem gehen sie der Medien an das politische Personal noch einmal gerne neutral an Themen heran und prüfen sie nicht durch die virtuosen Inszenierungsburlesken des schon beim ersten Besehen, ob sie auch in ihr Mei- Regierungsduos Schröder/ Fischer: Wenn der Kanz- nungs-Portfolio passen. Sie lassen sich von den Er- ler posiert, warum nicht gleich das ganze Kabinett? gebnissen ihrer Recherchen überraschen und formu- Eine Versachlichung der Politik würde nach Ansicht lieren Thesen erst, wenn sie von klaren Fakten dik- der Beobachter heute Wunder wirken, jedoch ließen tiert werden. Und dann stehen sie auch zu ihren sich die Uhren nicht zurückdrehen: „Die gängige Erkenntnissen, verteidigen sie notfalls mit allen Vie- Medienkritik nimmt wahlweise die schwarzen Schafe, ren, weil es sich eben lohnt. Genau deshalb sind sie die junge Generation oder das Fernsehen in den die Ausnahmen.“ Blick, selten aber das Gefüge selbst, das sich in der Kommunikation der öffentlichen Angelegenheiten in den letzten Jahren herausgebildet hat“ (Bruns 2007, Dem Nachwuchs, der später einmal ‚irgendwas mit 21). Medien’ machen will, sind ausgerechnet diese Tu- genden kaum zu vermitteln, streben doch die meis- 2.8. Das Problem der Echtzeitdemokratie ten von ihnen nach der journalistischen Macht ihrer Idole, politische Karrieren zu befördern oder zu be- Seit dem Regierungswechsel kommunizieren Politi- enden – ohne aber die ethischen Grundregeln des ker vor allem über die Bildmedien (vgl. Bruns 2007, Journalistenberufs zu befolgen. Bruns zufolge hat 16), das Fernsehen gibt zweifellos die Medienagenda sich in Berlin mittlerweile eine mediale Mehr- im politischen Tagesgeschäft vor. Dabei verdrängt 15 sich die TV-Meute mit ihren Mikrofonen, Kabeln und dimension, in der Politiker hofiert und zugleich in- Kameras im Kampf um den spektakulärsten O-Ton szeniert wurden: Christiansen sei in ihren Fragen nicht nur gegenseitig, sondern allmählich auch die stets devot gewesen, analysiert Hachmeister – und schreibenden Berichterstatter. Wenn Bruns behaup- doch wurde sie bisweilen als eine hoheitliche Perso- tet, dass das Hauptstadtfernsehen im Sinne des na verehrt, die den nationalen politischen Diskurs kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan moderierte, eine Fernsehkassandra, die immerhin auch dann ‚kalt’ bliebe, wenn es interaktive Online- zwei Jahre länger ‚regierte’ als Gerhard Schröder Angebote anbiete, spielt sie weniger auf die techni- (ebd., 151). schen Grundprinzipien des Fernsehens an als auf „Only bad news is good news“ – lautet der Sinn- eine gewisse Inhaltsleere; Politiker schätzten das spruch der Nachrichtenbranche. Das gilt nichtsdes- Fernsehen als Einbahnstraßen-Kommunikation, toweniger für die Hauptstadtmedien: Je spektakulä- durch die sich Regierende und Regierte aber immer rer das politische Gezänk, desto ergiebiger die Aus- weiter voneinander entfernten: „Selbst dem Chat beute für Zeitungen, Sender, Online-Medien und danach, der im Anschluss an Fernsehtalks und ähnli- Nachrichtenagenturen, die unablässig neue Informa- che Sendungen üblich geworden ist, fehlen ent- tionen absondern müssen. Politische Inhalte ver- scheidende Dimensionen traditioneller politischer schwinden auch heute noch häufig hinter einer Gespräche zwischen den Regierten und ihren Politi- Schröderschen „Basta“-Rhetorik, weil ein solches kern“ (Bruns 2007, 173). Traurig und verheerend Wording „die tauglichere Symbolik“ (Bruns 2007, 78) zugleich, dass nach Einschätzung von Hachmeister liefert und alleine schon dadurch auffällt, dass es (2007, 85) Politiker bisweilen mehr durch Talkshows ebenso griffig wie simpel ist. Doch potenzieren sich wie Sabine Christiansen und Berlin Mitte (seit 2007: Nachrichtentempo und die journalistische Gier nach Maybrit Illner) tingelten, als dass ihre Politik durch politischen Scharmützeln zu einem unentwegten überregionale Qualitätszeitungen repräsentiert wer- Grundrauschen, das den aufklärerischen Journalis- de. Zumindest muss das Fernsehen, dem seit Ein- mus seiner elementaren Voraussetzungen beraubt – führung der Privatsender eine tief greifende Verän- „Informationen, Entwicklungen, Machtkämpfe nach derung der Politikberichterstattung angelastet wird, ihrer Relevanz und Bedeutung auszuwählen, ein- als Sündenbock für die Beschleunigung der politi- zuordnen und zu vermitteln. Und das kostet Ver- schen Kommunikation herhalten: „Noch am gleichen trauen bei Lesern, Zuhörern und Zuschauern. Sie Tag, für den Redaktionsschluss der Zeitungen oder spüren, dass immer unglaubwürdiger wird, was Zei- die elektronischen Nachrichten am Abend, veraltet tungen und Fernsehen ihnen vorsetzen“ (ebd., 84). die Nachricht aus dem Frühstücksfernsehen“ (Bruns 2007, 75). Sachthemen ließen sich kaum noch nüch- Die professionelle Effekthascherei ist in der Echtzeit- tern betrachten. „Wir ertrinken im Scheinbaren“, demokratie zweifellos wichtiger geworden, nicht nur glaubt auch Hofmann (2007, 372), und verweist für Politiker, sondern auch für einzelne Journalisten. damit auf das Dilemma moderner Mediendemokra- Bei anschwellendem Konkurrenzdruck steigen die tien, bei der raschen Abfolge von Themen und Ak- Chancen, von höheren Hierarchieebenen bemerkt teuren nicht mehr zwischen politischer Inszenierung und bestenfalls zu höheren Aufgaben berufen zu und Realität unterscheiden zu können. werden, nur noch mit der Veröffentlichung exklusi- ver Storys: Und das sind angesichts immer geringe- Insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen rer Ressourcen am ehesten Personenstücke in Form hat mittlerweile die Rolle des Leitmediums einge- von Parteitagsbesuchen oder Verlautbarungsinter- büßt, glaubt Hachmeister, der stattdessen einen views, nicht die rechercheintensive Enthüllungsre- Wandel zum „moderierende[n] Forum für politischen portage. Weil aber zu viele (exklusive) Meldungen zu Talk und ökonomischen Service“ beobachtet haben schnell umgewälzt und durchgereicht werden, ringt will (Hachmeister 2007, 88). Die einstmals meinung- der Journalismus derweil um den Verlust seiner sbildenden Politmagazine wie „Monitor“ und „Pano- Identität: „,Hype‘, das ist von Anfang an auch eine rama“ seien die Verlierer dieses Bedeutungsverlusts, seltsame Hektik, eine Überhitzung, die niemand den nur wenige Journalisten zu bedauern scheinen – gewollt oder gemacht hat, die ohne aktives Zutun geschweige denn die Politiker. Nicht nur die – stark der Akteure ein ganz neues Tempo und den Verlust variierenden – Sendeplätze der Magazine, sondern der Regeln bringt, die bis dahin zwischen Politik und auch ihre Gesichter und deren politische Orientie- Publizistik gegolten hatten“ (ebd., 17). rung seien unkenntlicher geworden: „Gerhard Lö- wenthal, Klaus Bednarz, Franz Alt oder Heinz-Klaus 2.9. Profilierung und Privates als Erfolgsfakto- Mertes – ihre Sendungen bildeten auch immer die ren in der Politik Weltordnung des Moderators ab, das Ergebnis man- ches Beitrags stand so schon vor den Recherchen Hinzu kommen die Stammesrituale der gehobenen fest“ (ebd., 174). Sabine Christiansen, gemeint ist Schichten im Journalismus, „die mit den jeweiligen die Person und die Talkshow, erscheint dagegen wie publizistischen Häusern, ihren Mentalitäten und ein Paradigmenwechsel in eine völlig neue Fernseh- 16 Konkurrenzen zu tun haben, mit dem Wettbewerb ter öffentlicher Äußerung ein, wenn es ihm taktisch um Erfolg und Aufmerksamkeit der Ressorts in die- nützt, zum Beispiel wenn es ihm darum geht, die sen Unternehmen und schließlich auch mit dem Pläne innerparteilicher Gegner zu durchkreuzen, Balzverhalten und den Eitelkeiten einzelner Füh- oder wenn er die Nase vorn haben will.“ (Bruns rungsfiguren“ (Hachmeister 2007, 54). Den neuen 2007, 31) Marktgesetzen zufolge heißt es aber auch für die andere Seite: „Nur wer bekannt ist, gilt als wichtig: Der Ruhm ist ein Faktor der Politik geworden“ Medienpräsenz und die damit verbundene öffentli- (Bruns 2007, 27) – ein für die Demokratie nicht zu che Profilierungssucht sei für Politiker eine Art als unterschätzender obendrein. Fernsehtauglichkeit Ersatzhandlung für verloren gegangenes Wählerver- machen nicht nur Sendeminuten in der „Tages- trauen und Gestaltungsmacht, so Bruns (ebd.). schau“ wett, populäre Politikergesichter gewinnen Journalisten hörten dagegen ebenso wenig auf dank Fernsehduellen auch wertvolle Wählerstimmen. Stimmungen in der Bevölkerung, sondern analysier- Aber auch die Medien ziehen einen Nutzen daraus: ten eher Umfrageergebnisse. Zur Bundestagswahl Der O-Ton eines „big shot in Gestalt des Spitzenpoli- 2005 stellt Hofmann fest: tikers“ (Bruns 2007, 29) ist inzwischen wichtiger als die Eigenrecherche. Je prominenter der Politiker, desto mehr Renommee für den jeweiligen Journalis- „Wir, die Journalisten, die Berliner Korrespondenten, ten und das Medium, das die Meldung exklusiv brin- Chefredakteure, Kommentatoren. Wir, der Aufklä- gen kann. Verschärft hat diesen Wettbewerb vor rung verpflichtet, der unabhängigen Information, allem die 1993 von dem Unternehmer Roland Schatz hatten in einer der wichtigsten Disziplinen versagt: gegründete Media Tenor International AG, die inzwi- Mit den Füßen auf dem Boden bleibend zu erahnen, schen von den meisten Medienhäusern wegen un- was die Wähler wollen. Wir hatten Umfragen eins zu sauberer Erhebungsmethoden gemieden wird: Dort eins für Stimmungsberichte aus dem Volk genom- wertet nach wie vor ein Heer von Analysten und men. […] Die Inszenierung war oft wichtiger als der Statistikern aus, wie oft ein Medium von anderen Gehalt. Exklusivität ging vor Bedeutung. Und die Medien zitiert wurde. Wer das darauf basierende Mehrheit hatte sich in sicherer Gewissheit des Zitations-Ranking anführt, darf sich etwas einbilden: schwarz-gelben Wahlsiegs schon früh auf deren auf seinen Ruf als Spürnase, auf die Glaubwürdigkeit Seite geschlagen.“ (Hofmann 2007, 407) des eigenen Mediums und auf die Wirkung beim

Anzeigenkunden, der sich bei Auftragsvergabe gerne von solchen Rechenspielen beeindrucken ließ. Wo einerseits die Demoskopiehörigkeit und die „Um- fragedemokratie“ (Bruns 2007, 161) in der Berliner Kein Wunder, dass sich etliche Journalisten erst gar Republik mit zunehmenden Argwohn betrachtet nicht mehr in die Bundespressekonferenz (BPK) werden, mangelt es andererseits an Verbesserungs- bemühen, sondern dies einer Handvoll unverbesser- vorschlägen. Während Schröder noch eifrig mit Brio- licher Kollegen überlassen. Schließlich wird die BPK ni-Zwirn und Cohiba-Zigarre an seinem Image in alle akkreditierten Redaktionen und auch vom schraubte, wurde Merkel zunächst über den Boule- Fernsehsender Phoenix übertragen. Bruns, selbst vard geschleift und für Schweißflecken und Deckel- vier Jahre lang Vorsitzende der BPK, und andere frisur verhöhnt – und dabei sträflich unterschätzt bedauern diesen Bedeutungswandel, zu dem ihrer (ebd., 135). Vergeben und vergessen. Dennoch Meinung nach auch die Häufung informeller Kontak- möchte Bruns Grenzen ziehen, wenn etwa „Bild über te zwischen Politikern und Journalisten beigetragen das Berliner Privatleben von Verbraucherschutzmi- hat: Im vertraulichen Hintergrundgespräch erhofft nister Horst Seehofer in einer Weise berichtet, die sich der Journalist, in Geheiminformationen mit ho- nach dem freiwilligen Pressekodex der Zeitungen hem Nachrichtenwert eingeweiht zu werden, wäh- eindeutig unerlaubt ist“ (ebd., 146). Besonders rend der Politiker meint, den Journalisten mit tem- unangenehm werde es, wenn auch Qualitätstitel porären Einblicken in sein Denken und seine persön- glaubten, über Intimes von Politikern berichten zu liche Kommunikationsstrategie zum Kollaborateur, müssen. Wann das Private derart politisch wird, dass sprich: gefügig machen zu können. Beide Parteien es nicht mehr verschwiegen werden darf, ist indes sollten indes wissen, dass dieses Taktieren zu nichts schwer auszumachen und nur selten so eindeutig führt: wie bei Schröder, dessen Biografie untrennbar mit seinen politischen Ansichten verknüpft war (ebd., 141). Wenn sich ein Politiker allerdings erst einmal „Politiker wissen, dass deshalb kein Meinungsstreit auf das gefährliche Spiel der Medien mit der Privats- mehr sachlich geführt, kein Fehler mehr wirklich phäre einlasse, dürfe er sich über die etwaigen Risi- analysiert und keine neue Idee mehr gefahrlos er- ken nicht wundern (ebd., 148f.). wogen werden kann. Und doch setzt auch der Politi- ker, der eben darüber geklagt hat, das Mittel geziel- 17 2.10. Politische Kommunikation in der Bera- seine Botschaften emotional verbreiten kann. Er terrepublik müsse außerdem medienpolitische Prozesse ansto- ßen und lenken können sowie selbst der beste Ver- So weit reichend sich der politische Führungsstil mit mittler seiner Politik sein. Schröder hatte vieles da- dem Machtwechsel in Berlin änderte, so sehr änder- von, doch mangelte es ihm am Ende, womit er zu te sich auch die politische Kommunikation. Selbst- Beginn seiner Amtszeit überhäuft wurde: die Zunei- darsteller wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer gung der Journalisten. Merkel dagegen werde von hätten endlos Stoff für politische Reportagen gelie- den Medien überschwänglich gefeiert, urteilt Hach- fert, behauptet Bruns (2007, 32). Durch sie seien meister unter dem Eindruck der sorglosen Medien- Begriffe wie „Personalisierung“, „Inszenierung“ und observation, unter der die Kanzlerin lange Zeit stand „Medienkanzler“ überhaupt erst in den Wortschatz (Hachmeister 2007, 149). Geirrt hätten sich solche der Hauptstadtjournalisten aufgenommen worden. Experten aus Politik- und Medienwissenschaft, die Angela Merkel dagegen nimmt Bruns als „betont glaubten, dass man ein Medienkanzler sein müsse, pragmatisch“ (ebd., 33) wahr, sprich: durchaus um im 21. Jahrhundert noch politisch wirksam zu machtbewusst, aber zurückhaltender als ihren Amts- sein, schreibt Hachmeister und meint doch das glei- vorgänger – deutlicher könnte der Kontrast kaum che: dass die Medien der Kanzlerin aus der Hand ausfallen. Dass Schröder gemeinhin als „Medien- fressen, was bei manchem Journalisten „monarchief- kanzler“ galt, ist vielerorts nachzulesen (vgl. exemp- reundliche Anwandlungen“ verursache (ebd.). larisch Meng 2002), wenngleich er weder der erste Was in der großen Politik gilt, wollen sich zuneh- Medienkanzler war (Rosumek 2007), noch der letzte mend auch die Hinterbänkler zu eigen machen. Dass sein wird (vgl. Hofmann 2007: 72). Im Vergleich zur die Beliebtheit eines jeden Politikers im Prinzip moderneren Erscheinung einer „SMS-Kanzlerin“ steuerbar und nicht völlig abhängig von der Medien- (Hachmeister 2007, 105) oder „Podcast-Kanzlerin“ gunst ist, haben inzwischen eine Vielzahl von PR- (Hofmann 2008) erscheint Schröder in den Augen Beratern, Lobbyisten und Spin-Doktoren erkannt, die Hachmeisters (2007, 136) vielmehr als launischer so manchem Abgeordneten den Weg nach oben „Industriepolitiker alten Stils“, der letztlich nicht ebnen wollen (vgl. Schmidt-Deguelle 2006). „Nie mehr zu bieten hatte als die überholte Formel „Bild, zuvor hat es so viele Kommunikationsprofis gegeben BamS, Glotze“ (vgl. Hofmann 2007, 452). „In seiner – und noch nie war der Dialog zwischen Regierten Medienpolitik agierte Schröder ziemlich unsicher, und Regierenden so gestört wie heute“, urteilt Bruns ging mal juristisch gegen die Boulevardpresse vor, (Bruns 2007, 51). Die Berater, die in der Hauptstadt weil sie behauptete, er färbe sein Haar, wollte dann mehr Beschäftigte stellen als die Medienbranche Leute von Bild nicht mehr auf Kanzlerreisen mit- selbst, sorgten gewissermaßen als „Dritte im Bunde“ nehmen, weil er in dem Springer-Massenblatt einen für eine Verfälschung und Verflachung der politi- mächtigen Gegner sah“, schreibt Hachmeister (2007, schen Kommunikation. Vorrangig handele es sich 106). Am Ende seiner Amtszeit aber sorgte er für dabei um „Lobbyisten, Agenturen, Berater, Presse- einen kleinen Medieneklat, als er – wenn auch un- sprecher, PR-Leute, Journalisten auf den Schnittstel- freiwillig – die wirklichkeitsleere Welt der Politiker len dazwischen“ (ebd., 52). Bruns erkennt in der entlarvte: Während des lange erwarteten Fernseh- neu entstandenen Beraterklasse allerdings eine duells mit Angela Merkel im September 2005 blieb „ständig wachsende Zahl junger Akademiker, deren es nicht beim Appell „Glaubt denen nicht!“; Schröder berufsmäßige Anspannung manchmal das Gefühl machte seiner Gattin Doris eine öffentliche Liebeser- aufkommen lässt, dass sie viel weniger Geld verdie- klärung – ein Geständnis, das unter vielen Medien- nen, als der Glanz verheißt, den ihre Branche um vertretern zwar für Gelächter und Kopfschütteln sich verbreitet“ (ebd., 52). Umso erstaunlicher, dass sorgte, bei der Bevölkerung aber offenbar gut an- diese PR-Meute mittlerweile zu einem Hauptverans- kam, zumal mit einer ähnlichen Gefühlsbekundung talter politisch relevanter Medien Events in Berlin von seiner spröden Herausforderin nicht zu rechnen geworden ist. Während die kritischen Beobachter die gewesen wäre. zentrale Frage aussparen, ob das, was die Öffent- Was aber charakterisiert einen echten ‚Medienkanz- lichkeitsarbeiter produzieren, nur heiße Luft ist oder ler’? „Schon im Begriff liegt das Prekäre“, überlegt tatsächlich erfolgreich umgesetzt wird, weisen sie Hachmeister (2007, 130), „er zielt eben auf Vermitt- zumindest auf die akute Grenzverschiebung zwi- lung, auf Inszenierung, auf Beliebtheit bei den Jour- schen Journalismus und PR hin: nalisten ab, nicht auf eine Gesellschaftsphilosophie oder strategische Ziele jenseits des persönlichen Machterhalts. Medienkanzler: das klingt wie die de- „Der gemeinsame Beschleunigungstrip von Politikern mokratische Variante eines Propagandaministers“. und Journalisten, die wogende Stimmungsdemokra- Ein Medienkanzler müsse von Allem etwas haben: tie, die bei jeder Gelegenheit aus dem Hut gezau- einen effizienten Stab an Beratern, gute Kontakte zu berten Meinungsumfragen – das ist die Grundvor- Medienmachern, ein Fernsehgesicht, mit dem er aussetzung für die Arbeit der Beraterklasse, wo das 18 allgemeine Grundrauschen mit noch höherem Lärm- sind es vor allem die Spin-Doktoren, die hinter den einsatz oder zumindest mit einer nächsten originel- Kulissen die Strippen ziehen und beratungsoffenen len Intervention beantwortet werden muss.“ (Hach- Politikern bei ihren Medienauftritten unter die Arme meister 2007, 29) greifen. Diese schleichende Unterminierung der Strukturen und Mechanismen des klassischen Quali-

tätsjournalismus erklärt vielleicht, warum sich die Die Behauptung, dass Politik von einem Marketing- Bevölkerung in der Mediendemokratie, die mehr und Slang durchsetzt sei (vgl. Hachmeister 2007, 133), mehr zu einer Beraterrepublik mutiert, von ihren klingt allerdings verdächtig nach der gebetsmühlen- Volksvertretern im Stich gelassen fühlt: „Angesichts artig verwendeten Manipulationsthese nach dem der sinn- und diskussionsschwachen Parteiendemo- Motto „Politik muss sich verkaufen, koste es was es kratie und des allgemeinen Vertrauensverlustes kann wolle“. „Es geht eine große Faszination von der Vor- jede Zunahme des direkten Dialogs zwischen Regier- stellung aus, Millionen Menschen durch planmäßige ten und Regierenden nur positiv sein“ (ebd., 220). Strategien, durch Bilder, Aufführungen und Persona- lisierungen zu bewegen“, konstatiert Bruns (2007, 64). Neben der täglichen Flut an Pressemitteilungen

19 3

Forschungsfragen und Methode

3.1 Forschungsfragen Hintergrundkreisen, welche Rolle spielt dabei die Kollegenorientierung? Die Berichterstattung in der Bundeshauptstadt ist geprägt von einigen wichtigen Korrespondenten und Leitmedien. Wie diese Akteure arbeiten, wer sie 5. Besonderheiten und Mängel in der Me- informiert, und welche Themen warum ausgewählt dienpraxis: Was macht die Berichterstattung werden, ist jedoch weitgehend unerforscht. Aus der aus Berlin zu einer Besonderheit (im Vergleich Auswertung und Analyse der vorliegenden Literatur zu Bonn), welche Schwachpunkte und Defizite zum Thema ergeben sich im Hinblick auf den prakti- sind im Hauptstadtjournalismus insgesamt zu schen Journalismus und dessen Auswirkungen auf verzeichnen, wie könnten diese behoben wer- die politische Agenda insbesondere folgende Fra- den? genkomplexe, die in den qualitativen Experteninter- views mit führenden Vertretern des „Hauptstadt- 3.2 Methodisches Vorgehen journalismus“ im Rahmen der vorliegenden Studie berücksichtigt wurden: Ziel der Studie ist eine Analyse der Prozesse, Prob- leme und Potenziale der deutschen Hauptstadtbe-

richterstattung und deren Auswirkungen auf die 1. Biografien/ Selbstverständnis: Welches politische Agenda. Um typische Schwachpunkte und journalistische Rollen-Selbstverständnis bzw. Missstände im praktischen Journalismus in der Bun- welche Selbsteinschätzung der eigenen Arbeit deshauptstadt zu identifizieren und verstärkt nach haben die Hauptstadtjournalisten unter Berück- Ursachen zu suchen, die im System Journalismus sichtigung ihres jeweiligen biografischen Zu- begründet liegen, wurde die weitgehend offene Me- gangs, von welchen Motiven lassen sie sich lei- thode der leitfadengestützten Experteninterviews ten? gewählt. Die Befunde aus den bisherigen Arbeiten zum The- ma bleiben aufgrund ihrer unterschiedlichen und 2. Leitmedien/ Agenda Setting: Welche Rolle größtenteils persönlichen Herangehensweisen hoch- spielen die unterschiedlichen Mediengattungen selektiv und ungenau. Die vorliegende Studie setzt (Presse, TV, Hörfunk, Internet) in der Politikbe- hier an, um den Problembereich erstmals mit einer richterstattung, welche Themen werden promi- breiten empirischen Bearbeitung wissenschaftlich zu nent platziert, welche eher vernachlässigt, wie fundieren. Hierbei stand nicht eine repräsentative funktionieren Agenda Setting und Agenda Cut- Auswahl und Analyse der Untersuchungssubjekte im ting in Berlin? Vordergrund, sondern die Zusammenstellung typi- scher Fälle, die einen möglichst ertragreichen Ein- blick in die massenkommunikativen und politischen 3. Politische Kommunikation: Welchem Wandel Prozesse im Mit- und Gegeneinander von Medien unterliegen politischer Journalismus und politi- und Politik in der Hauptstadt ermöglichen. Die be- sche (Regierungs-)Kommunikation in der Berli- fragten Praktiker fungieren aufgrund ihrer Entschei- ner Republik, welche Wechselwirkungen gibt es dungskompetenzen im jeweiligen Arbeitsfeld als zwischen beiden Systemen, wie stellt sich die Experten, deren Selbsteinschätzungen und Erfah- Zusammenarbeit von Journalisten, politischen rungen über die Gesamtsituation des Hauptstadt- Akteuren und Lobbyisten konkret dar? journalismus von entscheidender Bedeutung für die Analyse des Themas sind. „Die Forschung schreibt den befragten Personen eine Expertise zu, die auf 4. Recherche: Welche Vor- und Nachteile der der ungleichen Verteilung von Wissen beruht und als Informationsbeschaffung und Recherche gibt es Sedimentierung, Einlagerung und Verfügbarkeit von in Berlin, welche Bedeutung haben informelle privilegierter Erfahrung gesehen wird“ (Frosch- Kontakte zu Politikern und die Teilnahme an auer/Lueger 2003: 37).

20 Bei der Auswahl der zu untersuchenden Medien und und drei Agenturjournalisten. Nach Möglichkeit wur- ihrer Gegenparts im politischen Betrieb wurde kon- de jeweils ein Vertreter der für die politische Be- sekutiv und kumulativ vorgegangen: Die Selektion richterstattung aus Berlin wichtigen Medienunter- erfolgte als „progressive theoretical sampling“ nehmen ausgewählt, wobei es einerseits teilweise (Altheide 1996: 33) und erstreckte sich über die der Fall war, dass ein Journalist für mehrere Medien Dauer eines Vierteljahres. In dessen Verlauf wurden sprechen konnte, andererseits auch mehrere Vertre- auf Basis der neu gewonnenen Erkenntnisse in der ter eines (besonders wichtigen) Mediums zu Wort Analyse der bereits durchgeführten Gespräche und kamen. Folgende Medien sind mit der Auswahl ab- im Abgleich mit den theoretischen Grundüberlegun- gedeckt: gen sowohl das Sample der Gesprächspartner bis zum Abschluss der Erhebung erweitert, als auch die ƒ Print: Bild, Berliner Zeitung, Bonner General- Leitfragen der Interviews überarbeitet. Anzeiger, Bunte, Focus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Leipziger Volks- Insgesamt konnten 32 Gespräche mit politischen zeitung, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, die Berichterstattern aller Mediengattungen sowie Ver- tageszeitung, Der Tagesspiegel, The Times, Die tretern aus Politik und Wirtschaft geführt werden.2 Welt/ Welt am Sonntag, Die Zeit Dabei standen die deutschen Hauptstadtjournalisten zwar im Vordergrund des Untersuchungsinteresses, ƒ Fernsehen: ARD, ZDF, RTL/ n-tv doch stand zudem mit einem Vertreter der Aus- ƒ Hörfunk: Deutschlandfunk landspresse – Roger Boyes von der britischen Ta- geszeitung The Times – ein wichtiges Korrektiv in ƒ Online: Spiegel Online, Welt Online Bezug auf die Selbstbeobachtung und -bewertung ƒ Agenturen: Associated Press, Deutsche Presse der deutschen Berichterstatter zur Verfügung. Eine Agentur, Reuters zusätzlich notwendige Vergleichsgröße stellt die Auswahl der Pressesprecher jeweils zweier Bundes- ƒ Öffentlichkeitsarbeit: Bundesregierung, Bun- ministerien, zweier Parteien, des Berliner Senats und desministerium für Ernährung, Landwirtschaft der Bundesregierung, einem selbstständigen Me- und Verbraucherschutz, Bundesministerium für dienberater sowie zweier Interessensgruppen der Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berliner Wirtschaft dar. Dieser scheinbar heterogenen Aus- Senatskanzlei, Die Grünen-Bundestagsfraktion, wahl ist die Funktion gemein, der allgemeinen Öf- SPD-Parteizentrale3 fentlichkeit politisches Handeln in verständlichen ƒ Beratung: Medienberatung Michael Spreng Kommunikaten zu vermitteln und sich dafür mit den Medien auseinandersetzen zu müssen. ƒ Lobbyarbeit: EnBW, IZ Klima Obwohl die Mehrzahl der deutschen Medienhäuser mit ihren Zentralredaktionen nicht in der Hauptstadt, Unter den Gesprächspartnern finden sich nur vier sondern in traditionellen Medienhochburgen wie Journalistinnen und zwei Pressesprecherinnen bei Hamburg und München, aber auch Frankfurt am insgesamt 32 Befragten. Dies ist vor allem darauf Main, Bonn, Leipzig oder Köln ansässig sind, wurde zurückzuführen, dass Frauen in der medial- die Untersuchung auf die Hauptstadt beschränkt – politischen Sphäre Berlins immer noch unterreprä- aus zweierlei Gründen: Zum einen beschäftigen die sentiert sind und die leitenden Posten in den Redak- wichtigsten Medien mindestens einen Korresponden- tionen, aber auch in den Kommunikationsabteilun- ten für die politische Berichterstattung in Berlin, zum gen der Parteien und politischen Instanzen größten- anderen kann eine kompetente Bewertung der Me- teils mit Vertretern des männlichen Geschlechts chanismen des Hauptstadtjournalismus nur durch besetzt sind. Die Altersspanne der Interviewten die Korrespondenten vor Ort in ausreichend reflek- reicht von 36 bis 81 Jahren, wobei die Altersgruppe tierter Weise im Rückgriff auf Alltagserfahrungen der Anfang- bis Mitte Fünfzigjährigen die Mehrheit erfolgen. Um ein möglichst umfassendes Bild der bildet. Die Gesprächspartner waren im Einzelnen: politischen Berichterstattung aus Berlin gewinnen zu können, wurden Journalisten aus den Bereichen Print, Fernsehen, Hörfunk, Online und Nachrichten- agenturen befragt, und zwar 13 Zeitungsjournalis- ten, zwei Magazinjournalisten, drei Fernsehjournalis- ten, eine Hörfunkjournalistin, ein Online-Journalist

3 Leider war es trotz etlicher Bemühungen nicht möglich, einen 2 Ein zusätzliches informelles Interview wurde mit einer Mitarbei- verantwortlichen Vertreter der Öffentlichkeitsarbeit der CDU für terin des Beraterstabes von Bundeskanzlerin Angela Merkel ge- ein Gespräch zu gewinnen. Der zuständige Pressesprecher, Mat- führt. Da dieses Interview als vertrauliches Hintergrundgespräch thias Barner, hat unser Interview-Gesuch mit der Begründung durchgeführt wurde, flossen die Erkenntnisse nur indirekt in die abgelehnt, er gebe grundsätzlich keine Interviews – was für einen Analyse ein. Mann in diesem Amt doch recht verwunderlich ist. 21 Sabine Adler Deutschlandradio Leiterin Haupt- Henning Krum- Focus Leiter Parla- stadtstudio rey mentsredaktion

Günter Bannas FAZ Leiter Politikre- Lars Kühn SPD Pressesprecher daktion Berlin Bundestagsfrak- tion Iris Bethge Bundesministerium Pressesprecherin für Familie, Senioren, Carsten Lietz Reuters Ressortleiter Frauen und Jugend Inland

Martin Bialecki dpa Leiter Bundesbü- Dr. Richard Berliner Senat Sprecher, ehem. ro Meng Büroleiter Frank- furter Rundschau Roger Boyes The Times Politischer Kor- respondent Mainhardt Graf Bild/ Bunte/ Netzei- politischer Autor von Nayhauß tung und Kolumnist Tissy Bruns Der Tagesspiegel Leiterin Parla- mentsredaktion Thomas Rietig Associated Press Leiter Haupt- stadtbüro Ulrich Deppen- ARD Leiter Haupt- dorf stadtstudio Holger Schmale Berliner Zeitung Leiter Bundesbü- ro Michael Don- Informationszentrum Geschäftsführer; nermeyer Klima, Berlin ehem. Sprecher Christoph Bündnis90/ Die Grü- Pressesprecher des Berliner Schmitz nen Bundestagsfrak- Senats tion

Brigitte Fehrle Die Zeit Leiterin Haupt- Christoph Der Spiegel politischer Repor- stadtbüro Schwennicke ter Büro Berlin

Dr. Peter Frey ZDF Leiter Haupt- Michael Spreng Kommunikations- und ehem. Chefre- stadtstudio Medienberater dakteur des Kölner Express Nico Fried Süddeutsche Zeitung Leiter Parla- und Bild am mentsredaktion Sonntag

Margaret Heckel Die Welt/ Welt am Ressortleiterin Dr. Thomas Bundeskanzleramt stellvertretender Sonntag/ Berliner Politik Steg Regierungsspre- Morgenpost cher

Ulrike Hinrichs Bundesministerium Referatsleiterin Severin Weiland Spiegel Online politischer Haupt- für Ernährung, Land- und Pressespre- stadtkorrespon- wirtschaft und Ver- cherin dent braucherschutz Dr. Thomas Bonner General- Leiter Büro Ber- Dr. Gerhard RTL/ n-tv, jetzt: ehem. politischer Wittke Anzeiger lin; Vorstands- Hofmann Lobbyist City Solar Chefkorrespon- mitglied Bundes- AG, Bad Kreuznach dent presskonferenz

Dr. Gunter Die Zeit politischer Kor- Dieter Wonka Leipziger Volkszeitung Politikchef und Hofmann respondent, Berliner Bürolei- ehem. Leiter ter Hauptstadtbüro Jürgen Hogrefe EnBW Generalbevoll- Die Gesprächspartner werden in den Interviews mit mächtigter vollem Namen genannt, um eine eindeutige Zuord- nung der Expertenaussagen zu ermöglichen. Für eine Studie dieser Art ist es unabdingbar, die Her- Jens König taz, jetzt: Stern ehem. Leiter kunft der zum überwiegenden Teil innerhalb ihrer Parlamentsbüro Branche bedeutenden Personen zu identifizieren, um ihre Erfahrungen und Einschätzungen besser kontex- Thomas Kröter Frankfurter Rund- kommissarischer schau Leiter Berliner tualisieren zu können. Lediglich ein Interview- Büro Partner koppelte die Zusage zu einem Gespräch an die Bedingung, dass seine Anonymität gewährleistet werde. Diesem Wunsch wurde entsprochen. 22 Angefragt wurden außerdem eine Reihe weiterer 3.3 Analyse und Interpretation Journalisten und Vertreter der Politik, die ihre Mit- wirkung an einem Interview allerdings aufgrund Als Grundvoraussetzung für die lückenlose Analyse terminlicher Engpässe bzw. in Einzelfällen aus per- der Interviews haben wir die Tonaufnahmen voll- sonalpolitischen Unsicherheiten oder einer grund- ständig transkribiert. Dabei wurde auf eine annä- sätzlichen Skepsis gegenüber der wissenschaftlich- hernd wörtliche Wiedergabe des Gesprächsverlaufs empirischen Untersuchung ihrer Tätigkeit abgesagt geachtet. Gleichwohl wurden vereinzelt abgebroche- haben. Darunter befanden sich folgende Personen: ne Formulierungen und auffällige Redundanzen im Ulrich Wilhelm (Regierungssprecher), Matthias Bar- Gesprächskontext zusammengefasst oder weggelas- ner (Pressesprecher CDU), Matthias Geyer (Der sen. Auf Wunsch fast aller Befragten wurde ihnen Spiegel), Hans-Ulrich Jörges (Stern), Kurt Kister die Möglichkeit der Autorisierung eingeräumt, so (Süddeutsche Zeitung), Georg Mascolo (Der Spie- dass eine nachträgliche Bearbeitung und Freigabe gel), Mathias Müller von Blumencron (Der Spiegel), des Interviews als wichtiger Faktor zur Bewertung Matthias Machnig (Staatssekretär BMU), Matthias der Äußerungen zu berücksichtigen war – und im Graf von Kielmansegg (Planungsstab Bundeskanz- (seltenen) Fall von sinnentstellenden Änderungen leramt) und Bernd Ulrich (Die Zeit). und Streichungen die betreffenden Interview- Passagen für die thematische Analyse nicht verwen- Alle Interviews wurden persönlich von den Autoren det werden konnten. Nach der (zwangsläufigen) durchgeführt (Face-to-Face-Gespräch) und elektro- Autorisierung wurden solche Aussagen, die für die nisch aufgezeichnet. Die Stärke solcher Interviews Analyse relevant waren, hervorgehoben und nach ist gemeinhin ihre Ergiebigkeit durch die persönliche den thematischen Schwerpunkten des Interview- Qualität des Kontakts zwischen Befragten und Be- Leitfadens sortiert. Darüber hinaus wurden zusätzli- fragern, wodurch die Gesprächssituation durch eine che Fragen, die im Fragebogen zunächst nicht be- weniger routinierte bzw. standardisierte, als viel- rücksichtig worden waren, und die sich spontan mehr durch ernsthafte und interaktive Atmosphäre während der Interviews ergaben, ergänzt. gekennzeichnet ist (vgl. Gray [u.a.] 2007: 128). Die Interviews fanden zum überwiegenden Teil im all- Danach haben wir die betreffenden Aussagen empi- täglichen Arbeitsumfeld der Journalisten statt, vor- risch analysiert, zunächst durch die Suche nach nehmlich in den jeweiligen Redaktionsbüros, News- Stichworten und durch Zuordnung zu den einzelnen rooms, Besprechungszimmern oder Kantinen. Durch Problembereichen. Für die eigentliche Interpretation zusätzliche Besuche in der Bundespressekonferenz wurden besonders die wiederholt angesprochenen konnten sich die Autoren auf diese Weise ein ver- Themen hervorgehoben sowie singuläre und unge- gleichsweise genaues atmosphärisches Gesamtbild wöhnliche Äußerungen gekennzeichnet. Abschlie- zu den praktischen Rahmenbedingungen im Haupt- ßend haben wir die Aussagen unter Berücksichti- stadtjournalismus verschaffen. In wenigen Fällen gung unserer Vorüberlegungen und der Forschungs- wurde von den Befragten eine alternative Ge- fragen interpretiert. Bei der schriftlichen Ausarbei- sprächsumgebung auf „neutralem Boden“ wie einem tung der Studie wurden die maßgeblich angespro- Café oder dem Institut für Medien- und Kommunika- chenen Themen um Interviewauszüge ergänzt, die tionspolitik in der Fasanenstrasse vorgezogen. sich durch ihre Deutlichkeit bei der Beschreibung eines Problembereichs oder durch ihre besondere Die Befragungsmethode in Form qualitativer Inten- Originalität in der individuellen Wahrnehmung aus- siv-Interviews machte es möglich, flexibel auf den zeichnen. Zitate und Zitatblöcke sollen das Ver- jeweiligen Gesprächsverlauf zu reagieren. Gleichzei- ständnis des erhobenen Interview-Materials veran- tig wurde damit eine gewisse Vergleichbarkeit er- schaulichen und vermeiden helfen, dass die Analyse möglicht. Die Schwerpunkte der Interviews bestan- durch Komprimierung und Kategorisierung zu stark den – analog zu den Forschungsfragen – aus den vereinfacht wird. maßgeblichen Kritikpunkten, mit denen die Haupt- stadtjournalisten oftmals konfrontiert werden: Der Die in einem solchen qualitativen Verfahren gewon- Leitfaden griff den jeweiligen (biografischen) Zugang nenen Aussagen sind nicht repräsentativ. Sie sollen des Experten zum Thema und dessen „journalisti- lediglich ein tieferes Verständnis der Arbeitssituatio- sches Selbstverständnis“ bzw. dessen Selbstein- nen der Hauptstadtjournalisten ermöglichen. Bei den schätzung der eigenen Arbeit auf (1) sowie die angeführten Zitaten handelt es sich also keineswegs Themenbereiche Leitmedien/Agenda Setting (2), um allgemeinverbindliche Tatsachenbehauptungen, Politische Kommunikation (3), Recherche (4) und sondern grundsätzlich um individuelle Wahrneh- Medienpolitische Defizite (5). Die Aufnahmen der mungen der befragten Person, deren Wahrheitsge- Gespräche, deren Dauer zwischen ca. 45 und 90 halt ebenso streitbar ist wie ihr Geltungsanspruch. Minuten variierte, wurden von den Autoren transkri- Außerdem besteht bei persönlich geführten Inter- biert und standen so der Analyse zur Verfügung. views das latente Risiko, dass es zu dem unge- wünschten Effekt einer Beeinflussung der Antworten

23 in eine bestimmte Richtung kommt, die von der einzelne Sätze entfernt, sondern sogar seitenweise sozial-dynamischen Gesprächssituation abhängt. Mit Passagen herausgestrichen wurden, wohl auch, weil anderen Worten: Es ist nicht auszuschließen, dass Zuordnungen kritischer Positionen oder Lippenbe- Gesprächspartner vereinzelt in einer Weise antwor- kenntnisse möglicherweise negative Konsequenzen teten, die sich an einem gesellschaftlichen Konsens für die Karriere der Interviewpartner bedeutet oder orientiert, vor allem wenn es sich um moralisch auf- Argwohn unter Kollegen ausgelöst hätten. geladene Bereiche wie journalistische Rollen oder Uns erschien diese Form der Einschränkung jedoch Ideale politischer Berichterstattung handelt. angesichts der größtenteils bekannten Verortung der Hinzu kommt das grundsätzliche Problem der Autori- Gesprächspartner im hauptstadtjournalistischen sierung, das einige der Befragten in den Interviews Betrieb (und damit die Kongruenz des Gesagten) als zwar explizit als Unsitte in der Politikberichterstat- in Kauf zu nehmendes Übel, zumal im Nachhinein tung beklagten, im Rahmen der Studie selbst aber festgestellt werden kann, dass Rücknahmen von ausgiebig davon Gebrauch machten: Der Vergleich Aussagen und die vorsichtige Zurückhaltung bei mit den Originaltranskripten zeigt, dass sich offenbar Beantwortung unserer Fragen – glücklicherweise – gerade die namentliche Nennung in bestimmten die Ausnahmen waren. Dennoch musste bei Inter- Fällen auf die Aussagen der Befragten dergestalt pretation der persönlichen Einschätzungen äußerst ausgewirkt haben muss, dass nachträglich nicht nur sensibel vorgegangen werden.

24 4 Analyse Empirische Ergebnisse der Befragung

4.1. Selbstverständnis und Biografien der Akteure

4.1.1. Wie Hauptstadtjournalisten gemacht schichte zu tun hat. Ich glaube aber, dass ich eini- werden germaßen reflektiert bin, weil ich mir diesen Lebens- irrtum eingestehen musste, und den Anpassungs- „Ein Journalist ist ein Mensch, der seinen Beruf ver- prozessen unseres Berufs, nüchtern gegenüberste- fehlt hat“, sagte der alte Reichskanzler Bismarck he.“ (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel) einmal. Günter Bannas hätte eigentlich Studienrat werden sollen, wenn er auf seine Eltern gehört hät- te. Doch das Studium der Geschichte brach er nach Indem Tissy Bruns einen „schweren Lebensirrtum“ vier Semestern ab und wandte sich lieber zeitgemä- eingesteht und eine „schleichende Anpassung“ für ßen Wissenschaften zu, vor allem der Politikwissen- sich ausschließt, räumt sie automatisch eine Annä- schaft. Schon in der Schulzeit hätten ihn politische herung an den Konsensus des Journalistenberufs Prozesse und die Mechanismen der Macht fasziniert, ein: Für die ehemalige Radikale blieb damals nur der erinnert sich der Leiter der Berliner Politikredaktion drastische Bruch mit der Vergangenheit, um über- der FAZ heute: Er wollte nicht nur über Geschichte haupt publizistisch wirken zu können. Sich außerhalb reden, sondern über Geschichten schreiben, die zur der etablierten Presse Gehör zu verschaffen, erkann- Zeitgeschichte werden. Der Journalist Bannas hat te Bruns gegen Ende des Hochschulstudiums, ist seinen Beruf keineswegs verfehlt, er hat ihn sich wie schwierig bis unmöglich. viele andere der befragten Politikberichterstatter Entsprechend zeichnet sich die Auswahl der befrag- hart erarbeitet: Die einen gingen den bewährten ten Hauptstadtjournalisten insgesamt durch eine Weg über Hochschulreife, Studium, Volontariat, starke Varianz der Herkunftskontexte und Lebens- andere sicherten sich mit einer Ausbildung auf der läufe aus, überrascht jedoch durch eine weitgehen- Journalistenschule ab (vgl. 7. Anhang). Einige waren de Kohärenz der ursprünglichen Beweggründe, den bereits auf die Karriere des Journalisten von ihren Werdegang eines politischen Journalist einzuschla- Eltern vorbereitet worden, andere nahmen den Um- gen. Thomas Rietig (AP) führt es auf seine Bewun- weg über das Ausland und kehrten mit dem Eifer derung für Friedrich Nowottny „nicht als Intendant, zurück, etwas verändern zu wollen. Manche stießen sondern als Hauptstadtjournalist“ zurück, Gerhard sich die Hörner in Studentenbewegungen ab wie die Hofmann (RTL/n-tv) auf seinen „missionarischen ehemalige politische Aktivistin Tissy Bruns: Eifer“, Gunter Hofmann (Die Zeit) begründet die Berufswahl mit seiner Liebe zur diskursiven Wort- welt, „in der man selbst findet, was wichtig ist“, und „Ich war eine richtige Linksradikale im Marxistischen Nico Fried (SZ) mit seiner Prägung: „Ich gehöre ja Studentenbund Spartakus und in der DKP – ein zu einer Generation, die zum Beispiel durch den schwerer Lebensirrtum. Insofern kann von schlei- Spiegel und Die Zeit politisiert wurde.“ Auch wenn chender Anpassung bei mir keine Rede sein. Ich die Befragten ihr politisches Interesse meist nur habe einen recht drastischen Bruch in meinem Le- vage in Worte fassen können ist unverkennbar, dass ben vollzogen. Danach hatte ich das Problem, das sie irgendwann dem Reiz politischer Berichterstat- alle Dissidenten haben: Ich war lange unsicher, ob tung erlagen. das, was ich denke, einfach nur ein Dementi der früheren Haltung war, oder ob es aus durchdachter Auch die Mehrheit der befragten Berater und Pres- Erfahrung resultiert. So etwas braucht Zeit. Deswe- sesprecher kam zunächst über den Journalismus mit gen ist meine journalistische Karriere auch einiger- dem politischen System in Kontakt und entschied maßen stufenreich, von der taz über die Wochen- sich erst später – teils aus Karrieregründen, teils aus post und Stern zur Welt, also Springer, und jetzt bei Überdrüssigkeit des redaktionellen Arbeitsdrucks – der Zeitung, die zu mir passt: dem Tagesspiegel. für den Seitenwechsel zur „herrschenden Klasse“, Das ist schon ein langer Weg, der mit meiner Vorge- wie Tissy Bruns auf ihre Sicht auf das politische 25 Establishment zu Studienseiten rekurriert. Medien- engagierter Mitarbeiter der globalisierungskritischen und Kommunikationsberater Michael Spreng, Klima- Organisation Attac und Sprecher der Bundestags- Lobbyist Michael Donnermeyer und die Sprecher fraktion der Linken, wechselte in die Wirtschaftsre- Ulrike Hinrichs, Lars Kühn, Richard Meng und Chris- daktion der taz. Und Daniel Goffart, PR-Mann der topher Schmitz beobachteten das Lager der politisch Telekom, wurde vom Düsseldorfer Handelsblatt Handelnden teils jahrzehntelang, bevor sie dort ein- ,rehabilitiert’. zogen. Donnermeyer erklärt, er habe den Berufs- Nichtsdestotrotz werden Rückfahrkarten nur selten wunsch des Journalisten immer als vorrangig bewer- eingelöst: Wer dem Journalismus bewusst den tet, auch als er sich bereits als Parteimitglied in der Rücken kehrt, um sich für die Interessen von Politik SPD engagierte. Umso schwerer traf es den gebürti- oder Wirtschaft einzusetzen, weiß instinktiv, dass gen Westfalen, dass ihn die Branche für befangen dieser Schritt angesichts der Abkehr von den Idealen hielt und als untauglich stigmatisierte, indem sie sein journalistischer Unabhängigkeit und Interessens- parteipolitisches Bekenntnis nachträglich zu einer neutralität unter Kollegen häufig als ein ‚Überlaufen schicksalhaften Entscheidung stilisierte. Auch heute ins Feindeslager’ gewertet wird. Wer es dennoch noch ist Donnermeyer überzeugt davon, dass der versucht, muss mit Akzeptanzproblemen rechnen, Wechsel vom Journalismus in die Öffentlichkeitsar- kommt meist erst über Umwege durch Lokalredak- beit eine Einbahnstraße ist: tionen und Nachrichtenagenturen wieder zurück in „Es gibt den Weg vom Journalismus in die Politik, so den alten Beruf, um den Stallgeruch der Parteienpo- wie das jetzt auch bei Herrn Meng der Fall ist, aber litik loszuwerden. Christoph Schmitz, vormals Bild- der wird nie wieder zurückkommen in den Journa- Reporter und jetzt Fraktionssprecher bei Bündnis90/ lismus in Deutschland, weil vermeintlich geglaubt Grünen, sieht darin eine Möglichkeit, wieder unbe- wird, dass Leute, die in der Politik sind, nicht mehr schadet im Journalismus zu arbeiten: dem Berufsideal eines ,unabhängigen, neutralen, objektiven‘ Journalisten entsprechen können, was großer Blödsinn ist. Ich gebe ja meinen Verstand „Gerade als Pressesprecher einer Bundestagsfraktion nicht ab, wenn ich Regierungssprecher werde oder muss man eine klare politische Position vertreten. für eine Partei arbeite. Das Wissen über Interna von Meiner Ansicht nach verträgt sich dieses Sprechen Regierung und Partei, was deutsche Redaktionen für dezidierte politische Inhalte nicht mit den Ans- bloß liegen lassen, weil sie nach einem falschen, prüchen an umfassende objektive politische Be- vordergründigen Ethos handeln, wäre von gewalti- richterstattung – weder mit meinem eigenen Ans- gem Nutzen. Viele Fehleinschätzungen über die poli- pruch, noch der berechtigten Erwartung einer Re- tische Arbeit könnten vermieden werden, wenn man daktion und ihrer Leser.“ (Christoph Schmitz, Bünd- mehr Menschen in den Redaktionen hätte, die den nis90/ Die Grünen) Betrieb auch von innen kennen.“ (Michael Donner- meyer, IZ Klima) Jürgen Hogrefe dagegen warnt inständig vor Vorve- Auch Ministeriumssprecherin Ulrike Hinrichs hielt rurteilungen. Einstmals war er langjähriger Redak- man den moralischen Zeigefinger vor, als sie sich teur im Deutschland-Ressort des Spiegel, zwischen- von ihrem Reporterjob beim ZDF verabschiedete und zeitlich bei den Grünen als Sprecher im Niedersäch- in den Mitarbeiterstab von Horst Seehofer wechsel- sischen Landtag tätig und arbeitet nun als General- te, um fortan die Pressearbeit des Bundesministe- bevollmächtigter für die Interessen des Stromkon- riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- zerns EnBW. Die Wechslerproblematik hält er für cherschutz zu leiten: „Da wurde dann die Frage der unnötig dramatisiert: „Diese ,Crossover‘ von Journa- Unabhängigkeit ins Feld geführt, wie ich überhaupt lismus in die Wirtschaft und zurück sollten viel häu- unabhängig bleiben und irgendwann mal wieder als figer stattfinden. Es wäre für alle zum Vorteil“, meint Journalistin arbeiten könne“, sagt Hinrichs. Sie Hogrefe und schließt zwar eine Rückkehr in die Poli- glaubt aber hartnäckig daran, dass ihre Chancen auf tik aus, nicht aber in den Journalismus. Fernsehre- eine Rückkehr in den Journalismus, sollte sie sich porter Gerhard Hofmann hält von der Tolerierung einmal dafür entscheiden, sogar noch steigen wer- einer solchen Job-Flexibilität rein gar nichts – den. Schließlich sei sie in ihrer jetzigen Position obgleich er nach seinem Fortgang bei RTL/ n-tv seit unabhängiger denn je, da sie größtenteils Sachthe- kurzem selbst als Lobbyist bei der City Solar AG mit men kommuniziere und keine Parteipolitik mache. Sitz in Bad Kreuznach anheuerte. Für sich selbst Solche Hoffnungen auf ein Comeback werden be- hatte er noch während seiner Zeit als Journalist feuert durch einige erwähnte Fälle, wo der Weg grundsätzlich jedes Engagement für parteipolitische zurück in die Redaktion geglückt ist: Dem ehemali- Zwecke von vornherein ausgeschlossen, weil dies gen Sprecher der CDU-Bundesgeschäftsstelle Arne mit dem journalistischen Ethos nicht vereinbar sei: Delfs gelang der Sprung auf den Büroleitersessel der Nachrichtenagentur ddp in Berlin. Malte Kreutzfeld,

26 „In die Politik zu gehen, ist ja kein Beruf, jedenfalls turen auftauchen, wo wir uns wirklich zurücknehmen nicht im Max Weber’schen Sinne des reichen, wohl- und abwarten müssen: Man kann nicht jedesmal habenden Rentners, der es sich leisten kann. Viel- über etwas berichten, was nur etwas weitergedreht mehr muss man sich heutzutage schon mit jungen wird. Sonst hat der Zuschauer irgendwann die 18 Jahren auf eine Ochsentour begeben und ohne Schnauze voll und versteht es auch gar nicht mehr.“ einen wirklichen Beruf zu erlernen die Parteilisten (Ulrich Deppendorf, ARD) hochklettern wie Rudolf Scharping. Das kann es doch nicht sein! Ich bin daher auch der Meinung, dass ein Journalist in einer Partei nichts zu suchen Das zweifellos stereotype wie unwirkliche Bild des hat – es sei denn, es handelt sich um den Chefre- Wetter und Gezeiten trotzenden Beobachterpostens dakteur des Vorwärts oder des Bayernkurier.“ (Ge- im Strudel politischer Strömungen wurde von vielen rhard Hofmann, RTL/ n-tv) der Befragten im Hinblick auf ihre ursprünglichen Berufsziele geteilt. Dass Journalisten im Spannungs-

feld zwischen Medienwettwerb und Politzirkus offen- Inwiefern Journalisten eine politische Meinung ha- bar selbst zu einem Spielball werden und ihre ei- ben dürfen oder nicht, ist auch unter den Haupt- gentliche Schiedsrichterfunktion kaum noch erfüllen stadtkorrespondenten durchaus umstritten. Entge- können, ist eine von den Hauptstadtjournalisten gen Hofmanns grundsätzlicher Ablehnung einer par- allgemein beklagte Negativentwicklung dieser Tage. teipolitischen Sympathie in der Journalistenseele hält Als Journalist unabhängig zu sein, hätten viele seiner Tissy Bruns es nicht für falsch, wenn ein Berichter- Kollegen längst verlernt, meint Jens König (ehem. statter selbst über politische Überzeugungen ver- taz). Die Zwänge des Mediensystems mit ihren di- fügt. Das gehöre für sie zum Berufsbild. Eine Defini- rekten Auswirkungen auf den journalistischen Alltag tion von Politik sei ohnehin relativ, sagt Martin Biale- zersetzen offenbar schleichend so manches berufli- cki. Der studierte Politologe und Historiker ist der che Ideal. So haben nach der Einschätzung von Meinung, dass sein Positionswechsel von der Ham- Dieter Wonka von der Leipziger Volkszeitung vor burger Zentralredaktion der dpa, wo er das Ressort allem ökonomische Mechanismen den Druck auf die Vermischtes geleitet hatte, in die Berliner Politikre- Berichterstatter spürbar verschärft. Dass dadurch so daktion keine großen Veränderungen mit sich ge- mancher Traum von journalistischer Unabhängigkeit bracht habe; schließlich ist die Politik in gewisser und sorgfältiger Informationsvermittlung wie - Weise auch nur ein Teil, wenn auch womöglich der bewertung enttäuscht wurde, ist auch nach Ansicht wichtigste des vermischten Alltagsallerlei. von Peter Frey (ZDF) keine Berliner Spezialität, son- dern eine zwangsläufige Konsequenz von technolo- 4.1.2. „New in Town“: Der Neustart in Berlin gischer Entwicklung und wirtschaftlichem Druck: „In zwischen Erwartungen und Enttäuschungen Bonn hätte sich das ähnlich entwickelt.“ Auch die übrigen maßgeblichen Mängel der Haupt- Nicht erst die betreffenden Öffentlichkeitsarbeiter stadtberichterstattung konturieren weniger das un- und Beratungsstrategen mussten zu Beginn ihres vorteilhafte Bild eines Berliner Medienmolochs, son- beruflichen Neustarts akzeptieren, dass die journalis- dern vielmehr eines der Agonie des Qualitätsjourna- tischen Ideale im Alltag eines politischen Berichter- lismus im Allgemeinen. Die Einen klagen über Reali- statters zur Disposition stehen. Wer dem Journalis- tätsverlust auf allen Seiten, Andere die Selbstverlieb- mus treu bleibt, findet nicht selten Arbeitsbedingun- theit, Schweigespiralen und Bandwagon-Effekte. gen vor, die seinen ursprünglichen Vorstellungen Doch in einem Punkt sind sich alle Befragten einig: deutlich widersprechen. Der Zwang, zu früh in die Berichterstattung einstei- gen und Entwicklungen kommentieren zu müssen, die sich noch kaum abzeichnen, führt zu einer Kur- „Als ich nach Berlin kam, waren das wahnsinnig zatmigkeit, welche die Nachrichtenlage mehrmals wilde Zeiten. Es gab wirklich wilde Journalistenmeu- am Tag über den Haufen werfe und zu einer ver- ten nach dem Regierungsumzug 1999/2000. Das hat antwortungslosen Sensationalisierung und Aufre- sich mittlerweile beruhigt. Aber das Mediengeschäft gung führe, die innerhalb der Medienbranche zu ist dreimal schneller geworden. Es wird auch meiner einer erschreckenden Gedankenlosigkeit bezüglich Meinung nach zu viel in kleinen Schritten berichtet. der eigenen Rolle in der Demokratie geführt hat. Wenn irgendwo ein Referentenentwurf auftaucht, der noch nicht einmal ein Ministerbüro erreicht hat, Einziger Trostspender für den Journalisten bleibt das wird da gleich eine Story draus. Thomas Roth hat Gefühl, nah dran zu sein an den Entscheidungspro- dazu einmal gesagt, man müsse alles entschleuni- zessen der politischen Macht, „Politik aus nächster gen. Ich sehe das zwar als schwierig, aber als richtig Nähe“ mitzuerleben (Fried), auch die Welt und ihre an. Wir haben regelmäßig Fälle, dass Meldungen in Lenker kennen zu lernen (Wonka). Doch was wahr- kleineren Zeitungen oder bei den Nachrichtenagen- haftig und was bloß Inszenierung ist, wird zuneh-

27 mend unmöglich zu bestimmen. Der Berliner Politik- 14 Uhr der Artikel im System stehen muss.“ (Richard und Medienbetrieb sei schon bald durchsetzt worden Meng, Sprecher des Berliner Senats) von Schickeria, Sabine Christiansen und Udo Walz, erinnert sich Günter Bannas (FAZ). Es hätten sich auch die Maßstäbe dessen geändert, was als wis- Dass der Job des Hauptstadtkorrespondenten auch senswert gilt: Schattenseiten hat und nicht minder routinege- steuert ist wie jeder andere ‚serviceorientierte’ Be-

ruf, streitet keiner der Gesprächspartner ab. Viel- „Im Bonner Milieu waren der Bundestagsfrisör oder mehr klafft zwischen ihrer (ursprünglichen) Erwar- der Kioskverkäufer am Bundestag auch bekannt, es tung eines abenteuerlichen Nomaden-Daseins und gab sogar einen Artikel über sie im Bonner General- der aktuellen Berufspraxis, die vor allem durch Zeit- Anzeiger. Doch waren diese Menschen keine Figuren not, Exklusivitätsdruck und intermedialem Konkur- der Gesellschaft oder der Öffentlichkeit. In Berlin renzkampf geprägt ist, eine größere Lücke, als sie kennt aber jeder Udo Walz, was natürlich auch dar- sich die meisten Korrespondenten zu Beginn ihrer an liegt, dass er sich selbst zu inszenieren weiß. Karriere erträumt haben. Den nervenaufreibenden Doch die Medien machen es mit.“ (Günter Bannas, Stress des Alltagsgeschäfts in Kauf nehmend, rekla- FAZ) mieren die Korrespondenten aber eine Eigenschaft für sich: in ihrer Rolle als Chronisten und Kommen-

tatoren des Politischen bedeutend zu sein, zumin- Die persönlichen Transitionen, Brüche, Neuausrich- dest bedeutender als die meisten Journalisten ande- tungen in der Auffassung dessen, was sie zu leisten rer Ressorts. Auch deshalb wurde Berlin zur heimli- und bewirken imstande sind, werden von den lei- chen Geburtstätte eines neuen Selbstwertgefühls: tenden politischen Berichterstattern Berlins nicht dem „Alpha-Journalismus“. negiert, sondern, glaubt man ihren Ausführungen, in einem aktiven Gestaltungsprozess mitbestimmt. 4.1.3. Das Phänomen „Alpha-Journalismus“: Dabei sind sie zwar nicht vollständig – gemäß dem Kir Royal in Berlin? Ideal – unabhängig und müssen auf aktuelle Zwän- ge reagieren. Doch hilft ihnen die Reflexion ihrer Journalisten und besonders Hauptstadtkorrespon- nicht nur systemisch vorgegebenen, sondern vor denten, da gibt es unter den Befragten kaum Zwei- allem auch biografisch herzuleitenden Sonderrolle fel, sind wichtig: Sie stehen im Dienst der Öffent- als Mediatoren zwischen Politik und allgemeiner lichkeit und sind selbst Bestandteil der politischen Bevölkerung bei der Anpassung an neue Herausfor- Kommunikation, weil sie vergleichsweise abstrakte derungen und Risiken im journalistischen Tagesge- Entscheidungen für das breite Publikum durchleuch- schäft. Dass dies indes nicht immer geleistet werden ten und somit die Teilhabe der Bürger in der Demo- kann oder will, ist ein besonders deutliches Kennzei- kratie insgesamt stärken. Politikjournalisten sind also chen für den Druck, dem politische Berichterstatter nach eigenem Selbstverständnis Chronisten und ausgesetzt sind, und lässt wie im Falle des ehemali- Pädagogen zugleich – zumindest in der Quersumme gen Chefredakteurs der Frankfurter Rundschau und ihrer Antworten: Sie wollen informieren und unter- jetzigen Senatssprechers von Berlin, Richard Meng, richten, erklären und aufklären. Ob sie dabei als bereits erahnen, mit welchen Problemen der Haupt- Individuen für die Leser, Hörer oder Zuschauer stadtjournalismus zu kämpfen hat: kenntlich werden, ist für sie (nach eigener Aussage) unbedeutend. Sich auf die Rolle eines unauffälligen

Zaungasts im politischen Betrieb zu reduzieren, ge- „Ich hatte einfach keine Lust mehr auf den tages- lingt den meisten dann aber offenbar doch nicht journalistischen Alltag. […] Ich habe 25 Jahre lang ganz: Vielmehr entfalten sie als politische Kommen- Zeitung gemacht – schreibend, manchmal drei bis tatoren, Leitartikler und Moderatoren (ungewollt) vier Texte pro Tag. Ich habe ganze Aktenordner voll geballte Meinungsmacht, ihre exponierte Position von diesen eigenen ,Werken‘, dazu fünf Bücher ge- innerhalb des Berufsfeldes verleiht ihnen zugleich schrieben. Ich bin ganz froh, dass ich jetzt eine et- eine enorme gesellschaftliche Leitfunktion. was andere Art mittelfristigen Denkens verfolgen Tissy Bruns vom Tagesspiegel erkennt im hektischen kann. Aktuelle kleine Interviews nebenbei sind ja Treiben des Hauptstadtjournalismus mindestens nicht ausgeschlossen. Aber sich mal Gedanken ma- zwei Journalistentypen: „Alpha-Journalisten“ und so chen zu können, was zum Beispiel der Kern des genannte „Medienbrötler“, also die Kaviarlöffler und Images von Berlin ist, wohin sich die Stadt sich ent- die Pumpernickelbeißer der Branche. Der Unter- wickeln soll, wie es weitergehen wird mit dem The- schied lasse sich relativ leicht daran ablesen, dass ma Jugendgewalt: Das sind solche mittelfristigen, zum Beispiel kulinarische Szenetreffs wie das Café auch medienpolitischen Fragen, zu denen nicht so- Einstein unter den Linden oder das Restaurant Bor- fort heute oder morgen alles gesagt werden und bis chardt 99 Prozent aller Hauptstadtjournalisten unbe- 28 kannt seien. Außerdem reklamierten weniger die prägnanten Schreibe geschuldet gewesen – nicht publizistischen Schwergewichte den Begriff des ihrer medialen Präsenz, geschweige denn Selbstin- „Alphatiers“ für sich, als vielmehr die schillernden szenierung. Den aktuellen Trend hin zur Banalisie- Figuren des Jahrmarkts der Eitelkeiten, die sich in rung der Inhalte aufgrund einer wachsenden Promi- der medial aufgeheizten Atmosphäre von Berlin- nenzierung der Person des Berichterstatters betrach- Mitte zu inszenieren wüssten: tet Hofmann sorgenvoll als Adaption eines amerika- nischen Verständnisses von Mediendemokratie. Nach

Ansicht vieler Befragter wurde der Typus des ein- „Nicht alle Bürger wussten, wer Henri Nannen war. flussreichen Leitartiklers durch den politisch ambitio- Aber jeder weiß, wer Sabine Christiansen ist. Und nierten Alpha-Journalisten abgewechselt, der nach jetzt frage ich: Wer war der politisch einflussreichere Eigen- bzw. Verlagsinteressen kommentiert und Akteur? Wir sehen auf der Stelle das Problem: Der seine Bedeutung durch die Breitenwirkung seiner Alphajournalist dient nicht in erster Linie der Sache, auflagengestützter Meinungsmache erhält. Christoph über die er nachdenkt, schreibt, sendet, sondern er Schwennicke (Der Spiegel) hält den Versuch der dient dem eigenen Medium und der eigenen Person. politischen Involvierung von Journalistenseite dage- Und das ist eine Entwicklung, die etwas aussagt gen für verwerflich: über das Verhältnis von Publizistik und Politik. Das

Gewicht verschiebt sich also in Richtung des perso- nalisierten Mediums. Das verändert den öffentlichen „Ich denke, Journalisten machen einen Fehler, wenn Diskurs grundlegend.“ (Tissy Bruns, Der Tagesspie- sie glauben, sie können große Politik machen. Wir gel) kommen in diese Versuchung, weil wir politisiert werden, wenn wir mit Politikern reden, also nicht

nur Fragen stellen, sondern mit ihnen diskutieren. Der Begriff des „Alpha-Journalismus“, der im Jahr Plötzlich glauben wir Journalisten, wir drehen das 2007 durch einen gleichnamigen Porträt-Band (Wei- große Rad. Mehr Demut tut da not. Wir sollten uns chert/ Zabel 2007) selbst eine lebhafte Medienkar- weniger wichtig nehmen.“ (Christoph Schwennicke, riere erlebte, bezeichnet Günter Bannas von der FAZ Der Spiegel) zufolge nicht mehr als ein „erfolgreiches Kunstpro- dukt im Sinne von: der Journalismus inszeniert sich selbst“. Auf Nachfrage, wer denn zu den so bezeich- Schwennickes Appell, dass Journalisten „sich weni- neten Kollegen gehöre, werden stets dieselben Na- ger wichtig nehmen“ sollten, ist gut gemeint, steht men genannt: Hans-Ulrich Jörges (Stern), Kai Diek- allerdings der (ungebrochenen) Rolle des Fernse- mann (Bild, Bild am Sonntag), (ehem. hens als Leitwährung vermeintlicher gesellschaftli- Chefredakteur Der Spiegel), Gabor Steingart (ehem. cher Bedeutung diametral entgegen. Der Bedeu- Hauptstadtbüroleiter Der Spiegel) und Sabine Chris- tungskatalysator funktioniert auch und gerade in- tiansen (ehem. Moderatorin Sabine Christiansen, nerhalb des Journalismus: Wer seine Ansichten vor ARD). Dadurch, dass zwei der fünf ‚Gehörnten’ ihre einer breiten Zuschauerschaft sekundieren darf, hat beruflichen Positionen bereits aufgegeben haben, es geschafft. Sabine Adler (Deutschlandfunk) glaubt, wird das Phänomen der zunehmenden Bekanntheit – dass diese Potenzierung über das Fernsehen ohne- die so genannte ‚Prominenzierung’ – im Journalis- hin der Kern aller Wichtigtuerei sei: mus nicht weniger prekär: Umso deutlicher tritt her- vor, dass das Berliner Personalkarussell nicht still- steht, sondern frei gewordene Posten rasch mit „Natürlich sind wir alle Wichtigtuer. Das hat weniger jungen Karrieristen nachbesetzt werden, gewisser- mit Eitelkeit zu tun, als es auf den ersten Blick maßen mit der Next Generation der „Alpha- scheinen mag. Wir bekommen qua unserer Professi- Journalisten“, die ihr Image und ihre Meinungen on eine Bedeutung, weil wir die Medien benutzen breitenwirksam zirkulieren und somit dem Politikbe- können, um uns – bewusst oder unbewusst – in trieb, der Berater- und PR-Szene wichtiger erschei- Szene zu setzen. Niemand sonst bekommt mit seiner nen als so manch anderer medienabstinenter Kolle- unmaßgeblichen Meinung derartig viel Aufmerksam- ge, der scheinbar weniger öffentlichen Einfluss hat. keit.“ (Sabine Adler, Deutschlandfunk) Gunter Hofmann (Die Zeit) erinnert in diesem Zu- sammenhang ehrfürchtig an Journalistenvorbilder Auf die Frage hin, wie groß der Einfluss des Fernse- wie Marion Gräfin Dönhoff, Herausgeberin der Zeit, hens auf das zur Schau gestellte Selbstbewusstsein oder Rainer Tross, Chefredakteur der Stuttgarter der Berichterstatter sei, bestätigt der Großteil der Zeitung, die ihn durch ihre unprätentiöse, beschei- Befragten die Bedeutung der Telepräsenz für das dene Berufsausübung nachhaltig beeindruckt haben. Eitelkeitsgetue: Wer beispielsweise im Presseclub Deren Bedeutung als einflussreiche Meinungsmacher auftritt, etwa als Experte, kommt sich weitaus wich- im öffentlichen Diskurs sei ihrer bedächtigen und 29 tiger vor als Kollegen, denen dies nicht vergönnt ist. zum Hintergrundgespräch mit der Bundeskanzlerin Wegen der daraus resultierenden Gefahr der Selbst- eingeladen war, gibt es aus dem Familien- und Be- überschätzung fordert Gerhard Hofmann (ehem. kanntenkreis immer ganz ehrfürchtige Reaktionen. RTL/ n-tv) neue Instanzen der Selbstkritik, durch die Dann merke ich immer, dass das eine Sache ist, die sich die Erkenntnis verbreiten solle, dass solche andere Leute beeindruckt, aber auf mich selbst wirkt Auftritte keine Leistung, sondern eher ein notwendi- sie eben auch“ (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel). ges Übel seien: ein Medienkarussell, auf dem jeder mitfahren müsse, der sich für den Hauptstadtjourna- lismus entscheide. Offen und kritisch darüber zu Natürlich reflektierten Hauptstadtjournalisten über reden, so Hofmann, befreie „wenigstens ein bis- sich selbst, meint Jens König (ehem. taz), doch wer- schen und gibt Luft zum Atmen“. den die Ergebnisse dieser Eigenhygiene im Berufsall- tag gleich wieder vergessen. Unabhängigkeit, Un- 4.1.4. Selbstverständnis vs. fehlende Selbst- bestechlichkeit, Wahlfreiheit – all das seien Ideale, kritik die zwar jeder Journalisten vor Augen habe, die jedoch oft aus Bequemlichkeit und aus Furcht vor Gegenseitige Selbstbeobachtung sei in Berlin patho- den Vorgesetzten verworfen würden: logisch unterentwickelt, vor allem unter leitenden

Medienmachern, kritisiert Roger Boyes von der Ti- mes: Weil überall das Kollegialitätsprinzip gelte, sei „Wie man seine Unabhängigkeit behauptet, bleibt die Medienkritik in Deutschland im Prinzip zahnlos. abhängig davon, wo man arbeitet, unter welchen Zunehmend griffen Schulterschlüsse unter Chefre- Zwängen man arbeitet, wie viel Geld man verdient. dakteuren, Herausgebern und Verlegern, die offen- Muss ein Theodor-Wolff-Preisträger wie Nikolaus bar der verschärften Wirtschaftslage im Medienbe- Blome im Hauptstadtbüro der Bild-Zeitung arbeiten? reich geschuldet seien. Auch Medienberater Michael Muss er nicht. Kann man ihn dafür kritisieren? Kann Spreng urteilt: Eine Krähe hacke der anderen kein man.“ (Jens König, ehem. taz) Auge aus, man sitze schließlich im selben Boot.

Hinzukommt, dass nur wenige Hauptstadtjournalis- Darüber hinaus hat es berufsbezogene Medienkritik ten davon überzeugt sind, dass der Medienmarkt schon deshalb schwer, weil sie sich schlechter ver- eigenständig eine vernünftige Selbstregulierung markten lässt als andere Themen. Führende hervorbringen könne. Severin Weiland (Spiegel Onli- deutsche Qualitätszeitungen wie Frankfurter Rund- ne) glaubt etwa, dass journalistische Abweichler, die schau oder taz haben in den vergangenen Jahren absichtlich zu weit auf das Feld der handelnden Poli- ihre Medienseiten personell ausgedünnt, einige wie tik vordringen, schnell von Konkurrenzmedien ab- Die Zeit sogar komplett eingestellt oder die redak- gemahnt oder ganz von der Journalistengemeinde tionelle Federführung der Medienberichterstattung ausgeschlossen würden. Journalisten seien zwar an das Ressort Wirtschaft oder Kultur überantwortet häufig hart im Austeilen, aber sensibel im Nehmen, – was viele der Befragten vehement kritisieren. wenn es um Kritik an der eigenen Person gehe. Selbst Der Spiegel, einst Bastion intellektueller Revi- Trotzdem seien auch die selbst ernannten Alphatiere sion der eigenen Branche, verzichtet merkbar auf einsichtig, wenn sie mit harten Bandagen angepackt medieninterne Reizthemen und beschränkt sich vor würden: „Wer sich selbst als Journalist wie ein Er- allem auf regelmäßige Verrisse des Trash-TV und die satzpolitiker aufspielt, muss sich nicht wundern, Trockenlegung medienkultureller Feuchtgebiete. dass er von Kollegen auch wie ein Politiker behan- delt wird“, sagt Severin Weiland. Doch dass es tat- Martin Bialecki (dpa) findet jedoch, dass spätestens sächlich eine wirksame Selbstkasteiung im haupt- seit der Medienkrise 2000/ 2001 eine breite Diskus- städtischen Medienbetrieb gibt, wird vom Großteil sion über die Probleme und Missstände im deut- der Befragten bezweifelt. Voraussetzung wäre eine schen Politikjournalismus überfällig geworden seien. regelmäßige Selbstreflexion über die eigene Berufs- Ihn stört, dass der Journalismus sich zur Vierten rolle und – konsequenterweise – die demokratische Gewalt aufschwinge, Journalisten mitunter also Verfasstheit der Gesellschaft. Tissy Bruns (Der Ta- selbst Politik machen wollten: „Vielleicht klingt das gesspiegel) sieht beides als nicht gegeben an: sehr naiv, aber ich habe mit dem Begriff der Vierten Gewalt immer meine Schwierigkeiten gehabt, denn

wer hat die Medien zu dieser Gewalt legitimiert?“, „Selbstreflexion fehlt uns allen, und das hat struktu- fragt Bialecki. Severin Weiland (Spiegel Online) relle Gründe. Erstens fehlt uns einfach die Zeit dazu. glaubt hingegen, dass etwaige selbstkritische Ansät- Zweitens beeindruckt jeden von uns der Umgang ze – trotz aller Notwendigkeit – vermutlich auf wenig mit sehr mächtigen Menschen. Wer sagt, er sei da- Leserinteresse stoßen würden: „Als Journalist lese gegen immun, ist nicht ganz ehrlich zu sich selbst. ich Medienseiten natürlich immer gerne, bin mir aber Wenn ich zu Hause erzähle, dass ich letzte Woche 30 nicht sicher, ob das andere Leute außerhalb unseres sorgfältiger und reflektierter Politikberichterstat- Geschäfts überhaupt so sehr interessiert.“ tung. Hinzu kommt, dass durch die wenig ausgeprägte ƒ In der Berliner Medienbranche hat sich zudem Institutionalisierung der Medienkritik vor allem Jün- eine Zweiklassengesellschaft herausgebildet: Ei- gere davor zurückschrecken, Koryphäen und Köpfe ne geringe Zahl von „Alpha-Journalisten“ und des vermeintlichen Qualitätsjournalismus zu kritisie- „Wichtigtuern“ verfügt über eine weitreichende ren. Gunter Hofmann (Die Zeit) sieht darin gar die Meinungsmacht und nimmt in Kommentaren und Existenzfrage für den journalistischen Nachwuchs Leitartikeln indirekt Einfluss auf das politische berührt: „Schreiben Sie etwas Schlechtes über ein Tagesgeschehen; die überwiegende Mehrheit Haus, können Sie dort nichts mehr werden. Wer der befragten Hauptstadtjournalisten versteht über das eigene Gewerbe schreibt, muss sich mitun- sich dagegen als „Medienbrötler“, die sich mit ter anhören, dass er nirgendwo mehr genommen der Kärrnerarbeit des parlamentarischen Journa- wird.“ Zusammenfassend lässt sich eine nicht bloß lismus zu befassen hat und ihr Selbstwertgefühl grundsätzliche, sondern vehemente Bejahung der aus der pflichtbewussten Erfüllung ihrer Chronis- dringenden Notwendigkeit medienjournalistischer tenrolle speisen. Selbstkontrolle seitens der Hauptstadtjournalisten (und im Übrigen auch seitens der Pressesprecher) ƒ Unter dem ökonomischen und zeitlichen Druck feststellen. Gleichwohl hat kein Einziger der Befrag- leidet die Selbstbeobachtung der Politikjournalis- ten eine Vorstellung von einem effektiven Kontroll- ten immens. Eine institutionalisierte Medienkritik mechanismus über die aus wirtschaftlichen Erwä- mit konkreten Sanktionsmöglichkeiten wird zwar gungen sanktionierte mediale Selbstbeobachtung aus Sicht der Befragten weder befürwortet noch hinaus. Der hehre Vorsatz der kritischen Selbstkont- für möglich gehalten. Allerdings erweist sich rolle kann aber offenbar nur selten eingelöst wer- auch das alternative Korrektiv, der Medienjour- den, da die normativen Zwänge des journalistischen nalismus, häufig als ineffektiv und zahnlos – wo- Alltags und des politischen Geschäfts das Gros der rin auch eine Ursache für die geringe Akzeptanz Ressourcen binden. der Medienberichterstattung gesehen wird. 4.1.5. Selbstverständnis: Zusammenfassende Thesen

ƒ Obwohl sich die Lebensläufe fast aller Befragten ganz wesentlich unterscheiden und ihre Wege in die Politikberichterstattung bzw. in die Politik al- les andere als homogen verliefen, verbindet sie nicht nur das allgemeine Interesse an politischen Vorgängen und Entscheidungsprozessen, son- dern auch die uneingeschränkte Leidenschaft für den Journalismus und die Medienbranche schlechthin; das gilt sogar für diejenigen Befrag- ten, die heute dem Beruf des Pressesprechers, des Lobbyisten oder des Medienberaters nach- gehen.

ƒ Umso erstaunlicher ist das unterschiedliche Selbstverständnis, vor allem das der Journalis- ten: Neben den Chronisten und den Dienstleis- tern der Öffentlichkeit gibt es solche, die sich eher als „Vierte Gewalt“ sehen und den politi- schen Machtapparat kontrollieren wollen.

ƒ Idealistische Ziele von investigativer Recherche und wehrhafter Unabhängigkeit mussten laut Aussage der Befragten im Berliner Medienalltag jedoch weitgehend aufgegeben oder zumindest adjustiert werden. Vor allem Kurzatmigkeit und Zeitmangel im journalistischen Berufsalltag durchkreuzen allenthalben den hehren Anspruch

31 4.2. Agenda Setting in der Bundeshauptstadt

4.2.1. Determinanten des Agenda Setting „Wir sollten lieber öfter wieder unauffälligen Spuren Das Agenda Setting in Berlin ist der Befragung zu- nachgehen und daraus eigene Geschichten machen. folge bestimmt durch eine Reihe von Rahmenbedin- Und auch wenn es morgen noch nicht gleich eine gungen, von denen die wichtigsten – Beschleuni- Schlagzeile ist – vielleicht ist es in drei Monaten gung, Schweigespiralen-Effekt, Selbstreferentialität, eine. Von der Intelligenz und dem handwerklichen Boulevardisierung – im Folgenden ausführlicher Können her sind viele junge Journalisten ja zweifel- beschrieben werden. sohne dazu in der Lage. Aber was ihnen fehlt, ist das Selbstvertrauen, genauso wie es auch an Chef- 4.2.1.1. Unkontrollierte Beschleunigung redakteuren oder Ressortleitern fehlt, die diesen jungen Journalisten eben dieses Vertrauen vermit- Trotz seines hohen Ansehens innerhalb der Medien- teln, eigene Themen zu setzen, statt jeder Sau hin- landschaft wird der Deutschlandfunk zum Kristallisa- terherzulaufen, die gerade durchs Dorf getrieben tionspunkt eines grundlegenden Mangels der Be- wird.“ (Gunter Hofmann, Die Zeit) richterstattung über den Politikbetrieb in der Haupt- stadt: Büroleiterin Sabine Adler bescheinigt nicht nur dem Radio, sondern generell den elektronischen Unter dem neuen Aufmerksamkeitsdiktat wird es aus Medien eine Unfähigkeit, ihren Arbeitsalltag zu ent- Sicht der Befragten gerade für regionale Medien in schleunigen. Die zunehmende Atemlosigkeit sei Berlin zunehmend schwierig, den Überblick über die symptomatisch für den heutigen Hauptstadtjourna- schnellen Themenwechsel zu behalten, geschweige lismus: denn selbst zum Zug zu kommen. Über die Relevanz eines Mediums entscheiden offenbar immer häufiger

Exklusivitäts- und Geschwindigkeitskriterien: Je „Sie resultiert aus den technischen Hilfsmitteln, die mehr kostenlose redaktionell aufbereitete Informa- es uns ermöglichen, gar nicht mehr vor Ort sein zu tionen online verfügbar sind, desto höher ist der müssen, um berichten zu können. Wir schreiben Druck auf die traditionellen Medienmarken, sich zu bereits unsere Texte, da ist die Veranstaltung noch profilieren – so der Eindruck von Peter Frey (ZDF). in vollem Gange. Nicht selten verlassen wir sie, be- Regierungssprecher Thomas Steg sieht darin ein vor sie zu Ende ist. Wir selbst können das nicht grundlegendes Strukturproblem: steuern, es entzieht sich unserer Kontrolle.“ (Sabine

Adler, Deutschlandfunk) „Dadurch haben wir eine verschärfte Konkurrenz, die

sich insbesondere im Printbereich durch den erhöh- Glaubt man der Mehrheit der Befragten, hat die ten Wettbewerbsdruck ausgebildet hat, der wiede- publizistische Expansion des Internet nicht nur zu rum aufgrund von Konzentrationsprozessen und der einem höheren Tempo der Themenverbreitung ge- Jagd nach exklusiven Meldungen zugenommen hat. führt, sondern auch zu einer Art Sinnkrise in den Und wenn Zeitungen dann auch noch Online- Medienunternehmen. Online-Medien „zwingen spezi- Angebote machen, dann haben Sie automatisch die ell die Hauptstadtkorrespondenten noch mehr ins Situation, dass keine Nachricht wirklich ‚reifen’ oder Laufrad, so dass langfristige Themen kaum zur Ge- aufwändig recherchiert werden kann, sondern dass ltung kommen“ (Richard Meng, Senatssprecher Ber- die Feststellung: ,Medien haben keine Zeit, Medien lin). Die eigene Themensetzung käme immer weni- kennen keine Zeit‘ in der Tat zutrifft.“ (Thomas Steg, ger zur Geltung, sagt Gunter Hofmann (Die Zeit), stellv. Regierungssprecher) obwohl genau das notwendig sei, um im „Plural-

Dauerpräsenten“ wahrnehmbar zu bleiben: „Wer gibt in dieser permanenten Vielfalt den Ton an? Die Befragten sind in punkto Beschleunigung einhel- Gleichzeitig werden wir auch noch mit der ideologi- liger Meinung: Die Agenda in Berlin wird heute von schen Botschaft bombardiert, dass angeblich alle einer solchen Flut an Medien und Akteuren geprägt, Stimmen gleich seien. Das ist die Tücke der liberalen dass sich die Themenkonjunkturen zwangsläufig Demokratie: Jeder zählt gleich viel.“ Für Hofmann ist beschleunigen und die Berichterstattung oft zusam- es zugleich eine traurige Tatsache, dass die Politik- menhanglos wirkt: „Bloß kein Thema von gestern, berichterstattung heute ausschließlich einer zweifel- immer was Neues. Der Hauptstadtjournalismus wie haften Ökonomie der Aufmerksamkeit gehorche: auch die Medienlandschaft und der Nachrichtenum- 32 schlag tun sich meiner Meinung nach wahnsinnig schwer, Tiefgang und Ruhe zu bewahren“, befindet „Es ist nicht leichter geworden, gegen die herr- Senatssprecher Richard Meng. Damit rückt der schende Meinung der Medien zu schreiben. Wenn Agenda-Begriff auch immer mehr von seiner urs- alle fordern, Frau Merkel müsse stärker führen und prünglichen Konnotation ab: Die ‚politische Agenda’ mehr Stärke zeigen, lässt sich schwer dagegen hal- taugt nur mehr als reine Leerformel für den Ablauf ten, wie sie das denn, bitteschön, machen soll, wenn des Nachrichtentages. der kleinere Koalitionspartner nur ein Mandat weni- Indem die Nachrichtenagenturen exklusive Vorab- ger hat als ihr eigener Verein und alles daran setzt, meldungen, so genannte ‚Vorabs’, von auflagenstar- sie schlecht aussehen zu lassen. Wenn alle Herrn ken Zeitungen oder Magazinen (bspw. Politiker- Becks taktischen Fehler in Sachen Linkspartei mit Statements) übernehmen, mutieren sie zur überdi- hohem Ton zum Wortbruch und zur moralischen mensionalen Verteilstation im Konkurrenzkampf um Katastrophe stilisieren, ist es schwer mit Tucholsky politische Deutungsmacht – mitunter auch unge- zu fragen: Ham Se’s nich ne Numma kleena? Das wollt, beteuert Martin Bialecki (dpa): Der Informati- Schöne ist: die Moden wechseln immer schneller. onszuwachs mache seiner Agentur zu schaffen, nicht Bald zieht die Truppe einer neuen Kapelle hinterher. wegen des erhöhten Aufkommens an sich, sondern Wenn man [also] Glück hat, gibt dann die eigene wegen des hehren Anspruchs von dpa, die „Richtigs- ehemals Minderheitsmeinung den Ton an.“ (Thomas ten“ und „Allerverlässlichsten“ zu sein. Sabine Adler Kröter, Frankfurter Rundschau) (DLF) weist darauf hin, dass Agenturmeldungen trotzdem oft nach kurzer Zeit veraltet seien. Was essentiell ist für den politischen Meinungsbildungs- Nicht immer ist ersichtlich, wohin die von Kröter prozess, kann aufgrund dieser Aktualitätsfalle kaum apostrophierte „Kapelle“ zieht, welche Deutungen noch ausgemacht werden. Umso häufiger ist die unter Leitartiklern und Chefkommentatoren der Rede von ‚Häppchenjournalismus’, der existiere, weil Rundfunkanstalten dominieren. Dennoch haben die „die Leute keine langen Sachen mehr lesen wollten“ Hauptstadtjournalisten eine besondere Sensibilität (Graf von Nayhauß, Bild/ Bunte). Ulrich Deppendorf für ‚Mainstream’-Themen entwickelt und eruieren (ARD) betrachtet diese Entwicklung zur „Klein-Klein- regelmäßig, welche Meinungen die Oberhand ge- Berichterstattung“ kritisch; es fehle schlicht die Mu- winnen – um gleich sie als Basis oder als Korrektiv in ße für den Blick aufs große Ganze. Eine weitere der eigenen Meinungsfindung einzusetzen. Die Ver- Negativfolge ist das ,Agenda Cutting‘: Themenkar- mutung, dass sich dadurch der binnenpsychische rieren werden verkürzt oder entstehen erst gar Druck zur argumentativen Konformität nicht nur in nicht, weil Ereignisse nicht ausreichend sensationell, der Themensetzung widerspiegelt, sondern sich aktuell oder medienwirksam sind. Wenn allerdings auch auf die Kommentarlinie niederschlägt, wollen nur das als wichtig erscheint und nachgeplappert die Befragten indes nur vereinzelt bestätigen. Wäh- wird, was „von zwei oder drei oder vier wichtigen rend Brigitte Fehrle (Zeit) betont, dass die Harmonie Alphatieren im Journalismus vorgegeben wird“ (Die- unter den Korrespondenten abrupt dann ende, wenn ter Wonka, Leipziger Volkszeitung), bestehe die es um Meinungen gehe, die noch nicht publiziert Gefahr, dass die Themensetzung völlig beliebig wer- worden seien, warnt Günter Bannas (FAZ) vor einer de. Günter Bannas (FAZ) befürchtet sogar, dass Verharmlosung gegenseitiger Orientierung unter Korrespondenten und Redaktionen durch die selekti- Journalisten: Gerade auf Parteitagen besteht seiner ve Beschneidung der Medien-Agenda instrumentali- Ansicht nach die Gefahr einer zu starken Kollegen- siert werden könnten. orientierung: die Berichterstatter sprächen seltener mit den anwesenden Delegierten als auf die Ein- 4.2.1.2. Der Schweigespiralen-Effekt schätzungen ihrer Kollegen zu vertrauen. Auch Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) zufolge ist Meinungs- Die Tendenz zur beschleunigten Nachrichtenzirkula- bildung unter Politikkorrespondenten ein relativ un- tion und der damit einhergehende Wettlauf um Ex- durchsichtiger Prozess, der besonders dann zu einer klusivmeldungen bereiten fast allen Hauptstadtjour- ‚déformation professionelle’ führe, wenn die ohnehin nalisten Kopfschmerzen – vor allem auch wegen des in einem vertraulichen Kollegenverhältnis stehenden erhöhten Risikos zur Gleichförmigkeit bei der The- Journalisten für längere Zeit gemeinsam auf eng- menwahl. Im Redaktionsalltag sind offenbar selbst stem Raum ihre Beobachterposten besetzten: gestandene Politikjournalisten nicht vor dieser Art eines „Schweigespiralen“-Effekts4 gefeit, wie Tho- mas Kröter („Frankfurter Rundschau“) berichtet: gen Auffassung zurückhält, weil sie die soziale Exklusion fürchten. Diese Theorie hat Elisabeth Noelle-Neumann in Anwednung auf 4 Eine Schweigespirale entsteht, wenn eine Vielzahl von Menschen das Medienpublikum formuliert (vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth glaubt, mit ihren persönlichen Meinungen von der Mehrheit ab- (1980): Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale zuweichen, und sich mit der Äußerung ihrer scheinbar gegenteili- Haut. München [u.a.]: Piper). 33 „Natürlich gehen wir auch mal unter Kollegen nach hat, aber leider nicht mehr, indem man sich in diese einer Pressekonferenz gemeinsam weg und sagen Art von Selbstverständigungsprozess hinein begibt einvernehmlich, wie schrecklich die war. Das heißt und ernsthaft eine Position vertritt, an der man die aber nicht, dass man dasselbe schreibt. Ich glaube Politik des Landes misst. Darin spiegelte sich Mitve- nicht, dass unter Kollegen ein wirklicher Spin ent- rantwortung wider. Stattdessen der Aufmerksam- steht. Am Beispiel der Diskussion um die Verlänge- keitskampf, der dann schnell zum Selbstzweck wird, rung des Arbeitslosengeldes I lässt sich erkennen, und die Medien werden dadurch selbstreferenziell.“ wie unterschiedlich und differenziert die Kommentie- (Gunter Hofmann, Die Zeit) rungen in der deutschen Presselandschaft waren.

Etwas anders verhält es sich bei Großereignissen, wo sich Journalisten auch untereinander viel austau- Diese selbstreferenzielle Effekthascherei wird von schen wie bei einer Bundestagsdebatte oder auf den meisten der Befragten erkannt und beklagt, Parteitagen. Wenn ich eine Rede von Frau Merkel wenn auch in unterschiedlichen Akzentuierungen. schlecht fand, aber zehn Kollegen sagen, wie toll die Michael Donnermeyer (IZ Klima) moniert zum Bei- Rede war, dann werde ich natürlich auch nachdenk- spiel eher eine generelle Selbstbezogenheit inner- lich.“ (Nico Fried, Süddeutsche Zeitung) halb der aktuellen Berichterstattung und sieht darin eine Begründung, warum sich der Journalismus im-

mer weiter von der Lebenswirklichkeit der Leser Inwiefern diese „Nachdenklichkeit“ tatsächlich zur entferne. Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv) meint Verschwiegenheit – oder besser: Verschworenheit – hingegen, dass durch den Geltungsdrang einzelner des politischen Beobachters führt oder sie ihn dazu Journalisten-Promis politische Sachverhalte und animiert, die eigene Position zu überdenken, zu Prozesse zwangsläufig in den Hintergrund rückten relativieren oder sich aus Überzeugung ganz der und für die Agenda irrelevanter zu werden drohten. Kollegenmeinung anzuschließen, sind Aspekte, die An solchen Beobachtungen setzt auch die Forderung an dieser Stelle nicht geklärt werden können. Es von Carsten Lietz (Reuters) an: kann jedoch zusammenfassend festgehalten wer- den, dass aufseiten der Hauptstadtjournalisten in der Themensetzung und zu bestimmten Anlässen „Etwas weniger Show würde aus meiner persönli- auch in der Kommentierung eine Art ‚Schweigespira- chen Sicht allen gut tun. Alle sollten sich etwas mehr len-Effekt’ greift, auf den im publizistischen Ergebnis auf Inhalte konzentrieren. Botschaften sollten etwas eine verstärkte journalistische Selbstreferentialität mehr hinterfragt werden. Denn häufig ist dasselbe und Unterdrückung devianter Ausdeutungen der schon mal von jemand anderes gesagt worden. Es politischen Realität folgt. sollten weniger öffentliche Statements verkauft wer- den, stattdessen sollte man genauer in die tatsächli- 4.2.1.3. Selbstreferentialität chen Papiere hineinschauen. Das würde der Qualität insgesamt helfen.“ (Carsten Lietz, Reuters) Regelmäßig auf das Angebot des eigenen Zeitungs- verlags oder Fernsehsenders hinzuweisen und mit der eigenen Prominenz ungezwungen umzugehen, Dass eine solche Forderung nach „etwas weniger ist unter Berliner Berichterstattern gang und gäbe. Show“ von einem leitenden Agenturjournalisten Mit dieser zunehmenden „Selbstreferentialität“ wird kommt, ist kein Widerspruch – zumindest legt auch es allerdings immer schwieriger herauszufinden, unser Gespräch mit Martin Bialecki (dpa) nahe, dass welche Themen tatsächlich politische Relevanz be- mit der Agenturrolle nicht zwingend ein nachhaltiges sitzen. Wer sich mit einer schnellen Meldung schla- Agenda Setting bzw. Agenda Cutting verbunden sei: gartig in die öffentliche Diskussion einbringen kann, „Wir werden manchmal gezwungen, Berichterstat- erntet oft mehr Anerkennung als derjenige, der aus- tung nur deswegen zu machen, um die Luft aus giebig und nachhaltig recherchiert – und dann mög- einem Thema herauszulassen.“ Dennoch sind die licherweise doch nicht zum Zuge kommt (vgl. Kap. Agenturen nach Aussagen einiger Befragter ein 4.4 Recherche). Als Folge beobachtet Gunter Hof- wichtiges „Grundgerüst im Alltagsgeschäft“ (Günter mann (Die Zeit) einen professionellen Sinneswandel Bannas, FAZ) der Korrespondenten, vor allem die- hin zum ‚Erregungsjournalismus’: nen sie als Antriebsfeder für die teilweise undurch- sichtigen Themenkonjunkturen und Eigendynamiken

der Politikberichterstattung, die Berlins Senatsspre- „Heute gibt es wahnsinnig viele Egos, es gibt ein cher Richard Meng abschätzig „Laufrad“ und „Mühle“ sehr großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und nennt. Aus-dem-Rahmen-fallen. Man kämpft auf dem Markt Die Entscheidung, ob ein Thema mehrere Wochen um Anteile und das am anscheinend besten damit, überdauert oder die Lebenserwartung einer „Ein- dass man Tabus bricht oder eine schräge Meinung tagsfliege“ (Carsten Lietz) hat, stellt auch die politi- 34 sche Kommunikation vor neue Herausforderungen. einen Politiker, der keine Homestory machen würde. „Wir reiben uns manchmal die Augen, wie die Me- Einige gingen „mit ihren Geschichten sogar selbst dien einzelne Themen unterschiedlich gewichten“, zur ‚Bild’, um den Spin beeinflussen zu können“, sagt Pressesprecherin Ulrike Hinrichs (Bundesminis- sagt Fehrle. Der praktisch-politische Einfluss des terium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Boulevardjournalismus dürfe daher nicht unter- cherschutz) mit Verweis auf zwei typische politische schätzt werden. Aus der Sicht von Margaret Heckel „Angstthemen“, Gammelfleisch und Vogelgrippe. (Die Welt) war besonders Kanzlerin Angela Merkel Hinrichs zufolge war die Gefährdung der deutschen ein gefundenes Fressen für die ,People Press‘: Bevölkerung durch verendete Vögel seinerzeit wei- taus gravierender als die potentiellen Gesundheits- schäden durch Gammelfleisch. Bezeichnend für die „Frauen im Rampenlicht werden anders behandelt damalige Berichterstattung war laut Hinrichs, dass als Männer. Männer dürfen Schweißflecke an den beide Themen nicht nur vergleichsweise sensationa- Hemden haben, je größer desto besser. Das stößt listisch, sondern auch sehr undifferenziert und nahe- auf Akzeptanz, weil es als virile Machtpose goutiert zu gleichförmig in die Öffentlichkeit kommuniziert wird. Bei Frauen geht bei so etwas die Welt unter. wurden, so dass der Eindruck entstand, es handele Ich kann mir vorstellen, dass Frauen, die sich die- sich um zwei ähnliche Gefährdungen. sem Doppelstandard aussetzen müssen, zunächst sehr abwehrend reagieren: Warum muss ich mich 4.2.1.4. Boulevardisierung ändern, um diesem Comment zu entsprechen? Auch die Debatte über Frisuren ist sehr unangenehm.“ Neben dem Hang zu Sensationalisierung und Perso- (Margaret Heckel, Die Welt) nalisierung wird auch die wachsende Orientierung an der Boulevardpresse zum wichtigen Faktor im Agenda Setting und verwässert ebenfalls die Rele- Welche Folgen diese boulevardesken Themenset- vanz vieler politischer Themen: zungen haben können, umreißt Richard Meng: „Aus der Medienwelt ist eine Medienwalze geworden“,

die, ohne das es die Journalisten wollten, zur Ver- „Nun sind wir zwar die größte und wichtigste Agen- dummung beitrüge, „indem sie die medienlogischen tur des Landes, aber eben auch nur ein Teil dieses Themensetzungen machen und aus dieser Falle Spiels. Wenn sehr große und sehr relevante Medien nicht mehr rauskommen.“ Die kurze Halbwertzeit mit ganz eindeutigem Boulevardeinschlag ein Thema der Berichterstattung, aber auch die Personalisie- setzen, dann kann die dpa noch so lange sagen, rung von Sachthemen und die Tendenz zu Grenz- dass sie es nicht macht: Das Thema geschieht trotz- überschreitungen in die Intimsphäre prominenter dem. Da darf man sich keine Illusionen machen. Nur Politiker könnten sich Meng zufolge in ein Demokra- ob wir das dann ebenfalls transportieren müssen, ist tieproblem verwandeln. Die Gründe für derlei Boule- damit nicht gesagt. Das Thema ist aber da, und vardisierungstendenzen im politischen Journalismus dann gibt es eine große Straße, die von allen einen sind unter den Befragten weitgehend unstrittig. Tag lang befahren wird. Diese Straße ist aber am Politik habe sich noch nie gut verkauft, erklären zum Abend zu Ende, und dann ist das Thema am näch- Beispiel jüngere Redakteure wie Christoph Schwen- sten Tag plötzlich weg. Obwohl es doch am Vortag nicke (Der Spiegel) oder Severin Weiland (Spiegel noch so eine Mordsaufregung gab!“ (Martin Bialecki, Online), der einräumt: „Würden wir uns nur nach dpa) den Klickzahlen richten, würde unsere Seite anders aussehen – bunter, schriller.“ Aber sogar Elder Sta-

tesman wie Mainhardt Graf von Nayhauß (Bild, Bun- Äußerlichkeiten wie beispielsweise die Haarpracht te) leuchtet der ‚Glamour-Faktor’ ein: von Politikern bekommen auf diese Weise mitunter mehr Aufmerksamkeit als politische Weichenstellun- gen. Auf die größer werdende Nachfrage nach Bou- „Die Leute wollen nicht nur informiert, sondern auch levardthemen reagieren viele Politiker pragmatischer unterhalten werden. Also ist es wichtig, der Politik als man es gemeinhin erwarten sollte: SPD- auch ein bisschen Glamour zu verleihen. Berlin ist Bundestagsfraktionssprecher Lars Kühn findet etwa, einfach der wichtigste Standort für Glamour, inzwi- dass auch private Details fernab jedes politischen schen schon wichtiger als früher München. Aufmerk- Sachinteresses durchaus zur öffentlichen Unver- samkeit ist zurzeit die wichtigste Währung. In Bonn wechselbarkeit eines Politikers beitragen könnten. spielte das noch keine große Rolle.“ (Graf Nayhauß, Dass die handelnde Politik dadurch allerdings selbst Bild). das Setzen intimer und oberflächlicher Themen im- mer mehr befördert, glaubt Brigitte Fehrle (Die Zeit): Ihrer Beobachtung nach gibt es kaum noch

35 Vor allem die Währung Massengeschmack ist also „Ich hatte ein Schlüsselerlebnis. Als Horst Ehmke nach Meinung der Befragten Schuld am Auftrieb des nicht nur Chef des Bundeskanzleramtes war sondern Boulevard im hart umkämpfen Nachrichtenmarkt. auch Oberaufseher über die deutschen Geheim- Der wirtschaftliche Druck verändert offenbar auch dienste, fing er, wiewohl verheiratet und Vater von die Maßstäbe der brancheninternen Selbstbeobach- drei Kindern, eine Beziehung mit einer jungen tung: Verstöße gegen den Pressekodex werden sel- Tschechin an, heute seine Frau Maria. Als ich das ten durch den Medienjournalismus geahndet (vgl. wusste, bin ich zu ihm marschiert, habe ihm erzählt, Kap. 4.1), vielmehr werden Regelverstöße längst zur was ich weiß und ihn gefragt, was seine Stellung- Methode. Tissy Bruns spricht sogar von „Erpres- nahme dazu sei. Da war er gar nicht groß erschro- sungsversuchen“, wenn die Boulevardpresse das cken. Er machte mir ein Angebot, dass er erst ein- Privatleben von Politikern zum Thema macht. Ulrich mal seine familiären Verhältnisse ordnen wolle. Im Deppendorf (ARD) erkennt darin eine „neue Quali- Moment sei eine Veröffentlichung ganz schlecht, tät“ der politischen Berichterstattung: Dadurch, dass weil zwei seiner Kinder im Abitur stünden. Und eine Boulevardthemen salonfähig geworden sind, konn- Nachricht von einer Liebesaffäre Ihres Vaters würde ten sich Bild und Gesellschaftstitel wie Bunte und sie völlig verunsichern. Wenn ich ihm also die nötige Gala plötzlich zu Agenda-Settern aufschwingen, die Zeit gäbe, bekäme ich das erste große Interview mit Berlin auf einen Nenner mit Metropolen wie New ihm und der Neuen. Daran haben wir uns gehalten, York und London hievten – oder mit Homestories die und nach nicht allzu langer Zeit, nach ein paar Mo- vermeintlich heile Politikerwelt inszenierten, die den naten, war es soweit: Wir haben für die Illustrierte politischen Akteuren – wie im Fall von Bundesge- Quick eine herrliche Reportage gemacht. Auf einer sundheitsminister Horst Seehofer – auch mal zum Doppelseite wurde die neue, junge, hübsche Frau Verhängnis werden könnten. Ehmke am Starnberger See gezeigt, verführerisch auf einem Bootssteg hingestreckt. […] Das ist ein Für Dieter Wonka (Leipziger Volkszeitung) ist das klassisches Beispiel dafür, dass ein Politiker eine Privatleben von Politikern ohnehin politisch, auch drohende Veröffentlichung über sein nicht ganz ast- deshalb, weil Politiker selbst gern privat Informatio- reines Privatleben steuern und mildern kann, wenn nen preisgäben, um ihre politischen Ziele zu verwirk- er mit den Journalisten vorher spricht.“ (Graf Nay- lichen. Zwar sei das insgesamt ein „unappetitliches hauß, Bild/Bunte) Geschäft“, doch hält Wonka journalistische Einmi- schungen in Privates in bestimmten Fällen für ge- rechtfertigt. Die Möglichkeit, tatsächlich mit Spitzenpolitikern Auch die Journalisten selbst, zumal die prominenten über Persönliches ins Gespräch zu kommen, haben unter ihnen (vgl. Kap. 4.1.3), geraten häufiger ins Journalisten – mit Ausnahme der Hintergrundkreise öffentliche Rampenlicht – und landen damit auch (vgl. Kap. 4.4.4) – den befragten Korrespondenten vermehrt in den Schlagzeilen. ZDF- zufolge allerdings eher selten. Meist werde nach Hauptstadtstudioleiter Peter Frey bringt allerdings einer umgekehrten Logik verfahren: Zuerst veröf- die Berichterstattung über die Partnerschaft zwi- fentlichen, dann Stellungnahmen abwarten. SPD- schen seiner ZDF-Kollegin Maybrit Illner und dem – Sprecher Lars Kühn, der Kurt Beck in Sachen Ima- Ende Mai 2008 wegen einer Bespitzelungsaffäre gepflege berät, nennt ein solches Vorgehen „aben- unter Beschuss geratenen – Vorstandsvorsitzenden teuerlich“: Seiner Erfahrung nach seien über den der Deutschen Telekom, René Obermann, ins Grü- SPD-Parteivorsitzenden zahlreiche Porträts verfasst beln: Die Trennschärfe zwischen Beruflichem und worden, ohne dass die Verfasser auch nur ein einzi- Privatem habe so stark abgenommen, sagt Frey, ges Wort mit dem Betroffenen gewechselt hätten. dass Prominente auf beiden Seiten Schwierigkeiten Dennoch sei das öffentliche Interesse am Privatle- hätten, ihr Privatleben zu schützen. Je prominenter ben von Politikern durchaus berechtigt, so Kühn, der Journalist, desto eher sei man Erpressungsver- niemand wolle „Politikmaschinen“ wählen. Trotzdem suchen ausgesetzt. Das Wort „Erpressung“ mag warnt er: „Mein Rat ist immer, die Wohnungstür Kolumnist Graf Nayhauß im Zusammenhang mit der geschlossen zu halten – in guten wie in schlechten Boulevardpresse indes nicht in den Mund nehmen: Zeiten.“ In den Augen des langjährigen Korrespondenten, der schon zur Amtszeit von Willy Brandt aus Bonn 4.2.2. Die Leitmedien der Hauptstadt berichtete, haben Journalisten nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, über Privatangelegenhei- 4.2.2.1. Die fehlende Hauptstadtzeitung ten eines Politikers zu schreiben – schließlich hande- le es sich meist um ein faires Gegengeschäft: Wer in Berlin in Sachen politischer Berichterstattung den Ton angibt, ist auch zehn Jahre nach dem Re-

gierungsumzug unentschieden. Um den Status einer regionalen Hauptstadtzeitung, wie ihn zu Bonner

36 Zeiten der General-Anzeiger innehatte, wird nach Tagesschau und heute sowie Tagesthemen und wie vor gestritten. Dass aus dem General-Anzeiger, heute journal, denen zwar einerseits eine gewisse der in rheinischer Gelassenheit und mit lokalem Be- Gleichförmigkeit in Interview-Situationen mit Politi- zug die Gesprächsthemen der handelnden Politik kern vorgeworfen wird (Jens König, taz), deren nicht bloß soufflierte, sondern auch die tägliche Me- Orientierungsfunktion in der Auswahl der wichtigs- dienagenda der Republik mit bestimmte, ein fast ten Meldungen und Themen des Tages andererseits bedeutungsloser Regionaltitel wurde, war zwar ab- nicht bezweifelt wird. Zwar büßen die Fernsehnach- zusehen, kam aber für einige ehemalige Bonner richten – ähnlich wie die gedruckte Tageszeitung – Berichterstatter wohl doch etwas unverhofft. Die damit an publizistischer Wirkung ein, was die The- Neuordnung des kommunikationspolitischen Raums mensetzung angeht, dennoch prägen sie zugleich brachte indes keine Klärung in der Nachfolgefrage: die aktuelle Themengewichtung als Ausgangsbasis Es gibt gleich mehrere Platzhirsche, die den Titel für die Agenda des Folgetages. eines regionalen Leitmediums für sich beanspruchen Einige Äußerungen der Befragten lassen eindeutig und den Takt der Berliner Republik diktieren wollen: darauf schließen, dass besonders die Politikformate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einen Bedeu- tungsverlust erleiden: Politische Formate wie „Moni- „Das lässt sich natürlich irgendwo zwischen Tages- tor“, „Panorama“, „Kontraste“ und „Frontal21“ wer- spiegel und Berliner Zeitung verorten, weil ihnen den als unkenntlich, kurzatmig und unstetig in den Informationen zugespielt werden und weil die Politi- Sendezeiten kritisiert. Martin Bialecki (dpa): „Ich ker wissen, dass diese Zeitungen morgens in Berlin kenne fast niemanden mehr unter Kollegen, der oben aufliegen. Damit erreicht man den größten regelmäßig politische Magazine schaut.“ Als weiteres Hauptstadtmultiplikator-Effekt.“ (Thomas Wittke, Manko wird registriert, dass keine prominenten Bonner General-Anzeiger) Interviewpartner in diesen Sendungen (mehr) zu Wort kämen, da Spitzenpolitiker offenbar direkte Ansprachen an das Fernsehvolk bevorzugten, als Gerhard Hofmann macht sogar – „je nach Zählwei- sich von kritischen Fernsehautoren ‚beschneiden’ zu se“ – vier oder sogar fünf Hauptstadtblätter plus lassen. Für den Medienberater Michael Spreng ist Boulevardzeitungen aus, die sich zu den Tonmeis- das durchaus nachvollziehbar: „In TV-Magazinen tern und Taktgebern rechnen. Der Eindruck von wissen sie nie, wie sie zusammen geschnitten wer- Thomas Wittke (Bonner General-Anzeiger), dass im den und in welchen Kontexten sie nachher auftau- Politikbetrieb nur die Zeitung Aufmerksamkeit er- chen.“ Zweifellos lebt aber der Fernsehjournalismus regt, die in Berlin „oben aufliegt“, deren Schlagzeilen von prominenten Köpfen, die Politikberichterstattung im Vorbeieilen den Blick auf sich lenken und rasch aus Berlin bildet da keine Ausnahme. Daher reduzie- zur Sache oder besser: auf den Punkt kommen, ist ren einige der Befragten, etwa Carsten Lietz (Reu- unter den befragten Hauptstadtjournalisten weit ters), das Fernsehen auf die (wenig investigative) verbreitet. Themen setzt demnach, wer schnell rea- Funktion, populäre Spitzenpolitiker zu Wort kommen giert. zu lassen, um die gesamte Nachrichtenmaschine ins Rollen zu bringen. 4.2.2.2. Der Niedergang des Fernsehens Speziell der politischen Talkshow im Fernsehen wird Die Politiker selbst, so Gunter Hofmann (Zeit), hät- fast durchgängig ein drastischer Bedeutungswandel ten längst ihre Funktion als Orientierungsgeber und attestiert. Sendungen wie „Anne Will“, „Maybrit Ill- Agenda Setter aufgeben müssen. Politische Themen ner“, „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg werden aus würden heutzutage verwechselt mit Moden, die die Sicht der Befragten für das Agenda Setting des poli- gesamte Medienwelt überschwemmten. So sei es tischen Betriebs zunehmend irrelevant. Schon zu selbst den standhaftesten Printmedien unmöglich ‚Regierungszeiten’ von Sabine Christiansen habe sich geworden, noch autonom zu definieren, was in der gegenüber der gleichnamigen Sendung ein Akzep- Politik wichtig sei: „Schlimm ist, dass wir gar nicht tanzmangel eingeschlichen, der vor allem aus der merken, dass wir langsam unsere Autonomie verlie- sonntäglichen Routine der Sendetermine und einer ren.“ Hofmann sieht vor allem das Fernsehen als damit einhergehenden Gleichförmigkeit der Sujets Hauptübel dieser Entwicklung – im Gegensatz zum und Akteure resultierte. Die befragten Korrespon- Gros der befragten Kollegen, die ihre Unabhängig- denten schalten jedenfalls immer seltener ein: „Die keit im medialen Diskurs als weitaus größer und die Zeit der Politik-Talkshow ist vorbei“, resümiert bei- Effekte des Fernsehen bei der politischen Themen- spielsweise Günter Bannas (FAZ) und Graf Nayhauß setzung als zunehmend geringer einschätzen. Eine (Bild, Bunte) urteilt, das Format habe sich „totgelau- Ausnahme bilden nach Auffassung der Befragten die fen.“ Hauptnachrichtensendungen und Nachrichtenmaga- Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) sieht darüber hi- zine der öffentlich-rechtlichen Programmanbieter, naus auch in den Mehrheitsverhältnissen im Bundes- 37 tag einen Faktor für das wachsende Desinteresse der Häufigkeit seiner Präsenz im Fernsehen fest- am politischen TV-Angebot: „Immer nur die Großen macht: „Viele Kollegen haben wichtige und kluge mit den Kleinen streiten zu sehen, ist auf die Dauer Meinungen, sind aber unbekannt und spielen keine halt langweilig. Die Sendung [Sabine Christiansen, Rolle, weil sie ihre Meinungen nur in ihrer Regional- Anm. d. Autoren] hat schon sehr vom Lager- zeitung vertreten können“, erklärt Brigitte Fehrle Gegensatz gelebt, den es mit der Großen Koalition (Zeit). So übt das Fernsehen auch einen subkutanen nicht mehr gibt.“ Solche Sendungen würden sich Einfluss auf das Agenda-Setting aus, indem es sich nicht länger den großen Politikproblemen zuwenden, als Sprungbrett für journalistische (Meinungsma- sondern immer häufiger auf Affektthemen setzen, cher-)Karrieren entpuppt. beobachtet hingegen Michael Spreng. Nur so erklä- ren sich Aussagen wie die von Peter Frey (ZDF), der 4.2.2.3. Online gegen Print erklärt: „Als ich am Sonntag Anne Will gesehen ha- be, habe ich mich für einen Moment gefragt, ob ich Die Befragten berichten außerdem von einem wach- im Nachmittag gelandet bin.“ Das Fernsehen, so vor senden Druck seitens der Zentralredaktionen im allem auch der Tenor unter den Zeitungsleuten, Hinblick auf die Themensetzung, der die (unfreiwilli- versäume es, zum politischen Erkenntnisgewinn ge) Orientierung der Hauptstadtjournalisten an den beizutragen: Meinungsmachern der Branche zusätzlich verschärft. Zwar fühlt sich beispielsweise die ehemalige Russ-

land-Korrespondentin Sabine Adler (Deutschland- „Das, was hier in Berlin immer noch stattfindet an funk) in ihrer neuen Funktion als Leiterin des Haupt- Gesetzgebung, politischer Initiativarbeit, strategi- stadtstudios nach eigener Aussage sehr wohl, zumal schen Dingen, Regierungsarbeit, hat sich durch das es in Berlin – im Gegensatz zu ihrem früheren Mos- Fernsehen nicht verändert. Wenn wir ein Defizit kauer Arbeitsumfeld – ein starkes und zuverlässiges haben in der politischen Berichterstattung insge- Medienensemble gebe, an dem Journalisten ihre samt, dann besteht das in etwas ganz anderem: eigene Arbeit messen könnten. Doch das allgemeine Nämlich dass den Leuten, und das ist auch ein bis- Stimmungsbild unter den Kollegen fällt deutlich zu- schen unser Versäumnis, überhaupt nicht klar ist, rückhaltender aus: So unterstehe ihre Arbeit häufig wie viel an Politik jenseits dessen, was berichtet dem binnenredaktionellen Zwang, sich an der Be- wird, noch alles stattfindet. Damit meine ich Ab- richterstattung der großen Leitmedien zu orientie- geordnetenausschüsse, Gesetzgebungsarbeit und ren, geben einige Befragte zu. Manche Korrespon- solche Dinge. Es gibt ja immer diese berühmte Mei- denten monieren zudem Aufträge ihrer Zentralre- nung, im Bundestag sitze ja überhaupt keiner.“ (Ni- daktionen, die inhaltliche Berichterstattung und mi- co Fried, Süddeutsche Zeitung) tunter sogar Wertungen nach Spiegel Online auszu- richten (vgl. Jens König, Thomas Kröter). Obwohl

man Spiegel Online damit zum Platzhirsch in der Mit Blick auf das Publikum entfaltet das Fernsehen Politikberichterstattung abstempeln kann, hat offen- mit einer durchschnittlichen Sehdauer von knapp bar der gedruckte Spiegel als „Bastion des Agenda- dreieinhalb Stunden pro Tag jedoch weiterhin eine Settings“ (Martin Bialecki, dpa) innerhalb des Me- kaum zu überschätzende Breitenwirksamkeit. Ent- diengefüges noch lange nicht ausgedient, wie Tho- sprechend groß ist die Diskrepanz zwischen den mas Wittke bestätigt: Bewertungen des Fernsehangebots durch die Politi- ker und die Journalisten: Weil es vorrangig als „An- gebot an die Eitelkeit des Politikers und der Politike- „Das ist das Gesetz des Trendsetting durch den rin“ (Gerhard Hofmann) verstehen werde, rangiere Spiegel: Da werden Themen meinungsmedial in der es in den Agenda-Setting-Strategien der politischen Montagsausgabe verkauft, die die Zentralredaktio- Öffentlichkeitsarbeiter nach wie vor sehr weit vorne nen dazu animieren, die Korrespondenten unter ( „Die Qualität besteht darin, Massen herzustellen“, Druck zu setzen. Sich dem zu entziehen, auch der SPD-Sprecher Kühn), wohingegen die Tageszeitun- Bewertung eines Politikers […], ist schwierig. Dann gen die Themensetzungen des Fernsehens stärker muss ich mit einem breiten Rücken dazu Stellung beeinflussen als umgekehrt. nehmen und erklären, dass es vielleicht nicht ganz so ist, wie dort dargestellt.“ (Thomas Wittke, Bonner Das Fernsehen habe in seiner „Totaldominanz“ dar- General-Anzeiger) über hinaus dazu geführt, dass sich auch die Zei- tungsjournalisten trotz aller Ablehnung „diesem da- von ausgehenden Effekt, dem Marketingeffekt, Gerade die Nachrichtenarmut am Wochenende ist kaum noch entziehen“ könnten, glaubt Gunter Hof- nach Ansicht von Jens König der Hauptgrund für die mann (Die Zeit). Gestützt wird seine Vermutung bleibende Leitmediumsfunktion des Spiegel, neuer- durch ein Medien-Ranking, das die Wichtigkeit des dings auch von Bild und Bild am Sonntag. Doch was einzelnen Berichterstatters bzw. Kommentators an 38 die publizistische Schlagkraft im politischen Berlin kum, meint Holger Schmale (Berliner Zeitung). Seit ausmacht, hängt nicht ausschließlich von der Größe einiger Zeit versuchen auch traditionelle Zeitungs- ihres Publikums ab, sondern auch davon, welche häuser wie Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süd- Bedeutungszumessung ihr in der Branche zugemes- deutsche Zeitung, die unter den Befragten immer sen wird. Nach der Erfahrung von Henning Krumrey noch unbestritten als führende Qualitätszeitungen (Focus) begründen zumindest die Chefredakteure gelten, mit Online-Ablegern Boden im Internet wett deutscher Regionalzeitungen und -sender ihr reges zu machen. Sie wollen den Anschluss an den Bran- Feedback auf Bild-Berichte mit der exponierten Stel- chenführer Spiegel Online nicht verlieren, dem eini- lung der Boulevardzeitung, sprich: Wenn es ein ge Korrespondenten sogar – teils hinter vorgehalte- Thema durch Bild erst einmal auf die Agenda ge- ner Hand – größere Bedeutung im politischen Ge- schafft habe, marschiere der Medientross oft in die- schäft nachsagen als der Hauptmarke. Informations- selbe Richtung, bemerkt Holger Schmale (Berliner Portale wie FAZ.net, focus.de und sueddeutsche.de Zeitung). liegen nicht jedoch nur in der Nutzerfrequenz weit abgeschlagen hinter Spiegel Online, sondern auch Verantwortlich dafür ist das Ungleichgewicht zwi- im medieninternen Ranking. Das liegt nicht unbe- schen regionalen Blättern und den ganz großen dingt daran, dass sie womöglich nicht so „sexy“ sind Playern im Mediengeschäft. Zumindest kleinere und wie der Online-Spiegel, meint Severin Weiland. regionale Medien sind laut Brigitte Fehrle (Die Zeit) Schuld daran seien eher inkonsequente Planungen vor dem Vorwurf in Schutz zu nehmen, dass sie sich samt einer unschlüssigen Investitionspolitik seitens überwiegend an führenden Pressetiteln orientierten der betreffenden Verlage. Sie hätten nicht rechtzei- und nicht mit eigenen Akzenten glänzten: „Mit einer tig eigene Redaktionskonzepte entwickelt und seien abweichenden Position durchzudringen ist natürlich finanziell zu schwach aufgestellt gewesen, als dass leichter, wenn man in einem einflussreichen Medium sie den Hamburger Online-Pionieren hätten nachei- arbeitet.“ Dennoch schafften es Regionalzeitungen fern können. wie Passauer Neue Presse oder Neue Osnabrücker Zeitung durch Interviews mit Spitzenpolitikern Nur Welt.de hat sich – zumindest dem Anschein durchaus auch innerhalb des Medienbetriebs aufzu- nach – zum potenziellen Rivalen für Spiegel Online fallen und Themen anzustoßen. Kommunikationsbe- entwickelt, wozu kräftige Finanzspritzen des Axel rater Michael Spreng hält es ohnehin für unverzich- Springer Konzerns ebenso ihren Teil beigetragen tbar, dass sich Politiker verstärkt an Lokalblätter haben wie ein umfassendes Integrationskonzept für wenden, um sich zu erklären, denn „wenn ein Bun- die Medienmarke Die Welt, das auf Synergieeffekte despolitiker in meiner Heimatzeitung ist, dann ist er setzt, anstatt noch in Verwertungsketten zu denken, mir richtig nah, denn die Lokalzeitung ist mir persön- wie Redaktionsleiterin Margaret Heckel erklärt: lich viel näher, weil sie aus meinem persönlichen

Umfeld, über die Sperrmüllabfuhr und den Unfall an der Ecke berichtet.“ „Wir geben alle Inhalte zu Welt Online, sobald sie redaktionell fertig sind, gemäß unserer Strategie Der ehemalige taz-Parlamentsredakteur Jens König ,Online first‘. Wenn ich mit der Kanzlerin unterwegs (heute: Stern) sieht dagegen eine „stumme Revolu- bin, mache ich immer einen Online-Blog, was übri- tion“ in der Berlin-Berichterstattung durch die gens auch sehr viel Spaß macht. Jetzt in Afrika habe unaufhaltsame Karriere von Spiegel Online. Auch die ich auch einen Podcast gemacht, das ist ein ganz anderen Journalisten stimmen im Gespräch zu, dass anderes Medium. Sehr schnell, sehr direkt – sehr der Spiegel-Ableger zum Leitmedium avanciert sei, viel Spaß. […] Die Nutzergruppen von Print und dessen Angebot mittlerweile zum „Bildschirmscho- Online sind ziemlich unterschiedlich – da kannibali- ner“ (Christoph Schwennicke) im Arbeitsalltag der siert sich nichts. Zur Begründung ein Beispiel: Wenn Hauptstadtjournalisten tauge. Mit ihren luxuriös Sie fünf Tage lang mit Merkel unterwegs sind, kön- ausgestatteten Büroräumen im Zentrum der Macht, nen Sie darüber für Print maximal eine Seite Drei- direkt am Pariser Platz vis-à-vis von Reichstag, Kanz- Geschichte und zwei normale Stücke schreiben. leramt und Brandenburger Tor, ist Spiegel Online für Dann ist Schluss. Während so einer Reise passiert die einen „Erstkontakt mit der Information“ (Martin aber sehr viel mehr: Dutzende kleine Events, die Bialecki), für andere ist es „Agenda Setter“ mit „fast anschaulich, interessant und erzählenswert sind. Die immer großen und wichtigen Texten“ (Gerhard Hof- sind perfekt geeignet fürs Internet. Außerdem kön- mann), sogar „Meinungsführer“ (Richard Meng). nen Sie immer wieder auf die anderen Plattformen, Unsere Befragung zeigt, dass die Online-Medien die also die Stücke in den Printausgabe, verweisen.“ Agenda jedoch nicht so stark prägen wie die ge- (Margaret Heckel, Die Welt) druckte Presse – auch wenn sich für beide zurzeit ein synergetisches Stelldichein ergeben habe, wie Carsten Lietz (Reuters) betont. Wer sich nicht Ob die Publikationsstrategie „Online first“ wirklich crossmedial vernetzte, verliere ein wichtiges Publi- aufgeht, sprich: solche zeit- und kostenintensiven 39 Internet-Aktivitäten irgendwann in ein rentables Geschäftsmodell umgewandelt werden können statt „Wer da vorkommt, kommt wirklich vor. Und es ist die publizistische Kernmarke zu kannibalisieren, natürlich auch eine ganz hervorragende Form, denn bleibt indes abzuwarten. Ereignisse zu kommentie- nirgendwo sonst werden so gute Interviews gesen- ren und Themen zu setzen, bleibt nach Einschätzung det. Die Kollegen sind oft bestens vorbereitet, haben der Befragten jedenfalls vorerst der Presse vorbehal- relativ viel Zeit: Das sind ja meistens Interviews, die ten: „Insofern empfinde ich die Presse mehr als über fünf oder zehn Minuten geführt werden, was ja Taktgeber – auch für uns“, sagt Peter Frey (ZDF). für ein elektronisches Medium unendlich lang ist.“ Auch Severin Weiland (Spiegel Online) räumt ein: (Holger Schmale, Berliner Zeitung)

„Manche haben das Lesen der Tageszeitung regel- Das Radio scheint damit auch das einzige Medium zu recht verlernt. Das führt nicht selten zum Verlust sein, dass sich dem Trend zur Boulevardisierung und intellektueller Kompetenz. Bestimmte Diskurse sind Sensationalisierung des Politischen konsequent zu in einer Zeitung besser darstellbar. Ein Feuilletontext entziehen weiß, zumal es weniger (bzw. gar nicht) wird wahrscheinlich in einem Blatt intensiver gelesen auf publizistische Effekthascherei und visuelle Ober- als bei uns – weil die Zeitung lesefreundlicher ist. flächenreize angewiesen ist – wenngleich diese Ein- Das Internet bleibt ein flüchtiges Medium – wie das schätzung nur für das Wortradio – im Grunde also Radio. Deshalb sehe ich trotz sinkender Auflagen ausschließlich das öffentlich-rechtliche Angebot in vieler Zeitungen auch nicht, dass das Internet sie der Hauptstadt – Geltung beansprucht. gänzlich wird ersetzen können. [...]Wir haben von Anfang an von den Zeitungen gelebt.“ (Severin Wei- land, Spiegel Online) 4.2.3. Der (wachsende?) Einfluss der Me-

diennutzer 4.2.2.4. Totgesagte leben länger: Die Rolle des Ra- Ob es sich bei der Neigung vieler politischer Medien- dios angebote hin zum Boulevardesken, die von vielen der Befragten beklagt wird, tatsächlich um eine Trotz der unzähligen neuen Online-Medien und des Orientierung am öffentlichen Interesse handelt, Fernsehens behauptet das Radio weiterhin seine muss in Frage gestellt werden. Das Publikum tauge Rolle als tagesaktuelles Leitmedium – wobei sich allenfalls zum „Resonanzboden“, findet Tissy Bruns, diese Leitfunktion eindeutig auf das öffentlich- es sollte aber nicht vorgeben, was oder worüber rechtliche Angebot des ARD-Hauptstadtstudios und berichtet werde: von Deutschlandfunk/ Deutschlandradio beschränkt. Für Carsten Lietz spielt das Informationsangebot vor allem des bundesweit zu empfangenden Deutsch- „Eine Öffentlichkeit, die alle Zäune zwischen dem landfunk/ Deutschlandradio für die „Berliner Szene Privaten und Öffentlichen einreißt, wird zu einem eine überaus große Rolle“. Auch die Berliner Bürolei- riesigen Sumpf. Natürlich werden Grenzen neu ver- terin des Deutschlandfunk, Sabine Adler, schreibt messen, wenn es vollständig neue Technologien ausschließlich ihrem eigenen Radiosender eine Be- gibt. Aber es muss Grenzen geben.“ (Tissy Bruns, deutung in der politischen Berichterstattung zu: Der Tagesspiegel)

„Diesbezüglich hat das Radio eine eher marginale Online und Internet brechen schon jetzt mit mehre- Funktion. Im politischen Betrieb in Berlin spielt nur ren Konventionen im Journalismus: „Im Internet der Deutschlandfunk eine Rolle. Ich kann mich nicht wird das politische Personal – Großjournalisten wie erinnern, dass Interviews eines Inforadios von HR, Großpolitiker – nicht mehr so ernst genommen“, BR, SWR oder NDR jemals für die gesamte politische glaubt Jens König (taz). Es komme zu einer Abwer- Berichterstattung eine hohe Bedeutung hatten. In tung der politischen Kommunikation an sich gepaart der Regionalpolitik mag das anders sein, doch für mit einer Umgehung der journalistischen Gatekee- Berlin ist das leider eine Tatsache.“ (Sabine Adler, per-Funktion. Als Ursache wird ein Mentalitätswan- Deutschlandfunk) del in Bezug auf den Zugang zu Informationen ge- nannt: Die Anspruchshaltung der Mediennutzer, auf das im globalen Netz bereitgehaltene Wissen kos- Gerade die obligatorischen Interviews mit Spitzenpo- tenfrei zuzugreifen, befördere Erfolge wie den der litikern am frühen Morgen prägen die aktuelle politi- freien Enzyklopädie Wikipedia und zwinge selbst sche Debatte oftmals bis in den Nachmittag hinein, mächtige Medienmarken wie die New York Times sagt Holger Schmale (Berliner Zeitung): 40 oder den Spiegel dazu, von ihren Geschäftsmodellen ihrem Klargesicht oder verpixelt zeigt.“ (Holger der kostenpflichtigen Archiv-Verwertung Abstand zu Schmale, Berliner Zeitung) nehmen. Nach Meinung der Berliner Korresponden- ten hat die schrankenlose Informationsfreiheit indes auch einen hohen Preis: die Existenz gedruckter Auch die klassische Form des Leseraustauschs durch Angebote aus den Qualitätszeitungen, die nun mal Leserbriefe wurde durch die neuen Kommentarmög- auf zahlungswillige Leser angewiesen sind. lichkeiten im Internet bisweilen fast vollständig kompensiert – was von den Hauptstadtjournalisten

jedoch unterschiedlich bewertet wird: Während die „Bei Spiegel Online kommt man umsonst rein, bei einen wie etwa Henning Krumrey (Focus) darin eine Google sowieso und darüber ins ganze Netz. Wenn simplere Möglichkeit als etwa den Briefwechsel oder sich diese Auffassung über weitere Jahrzehnte kräf- das Telefongespräch sehen, um mit den Rezipienten tigen sollte, wird in Frage gestellt, ob man sich noch direkt in Kontakt zu treten und dabei zugleich Anre- Zeitungen kaufen muss.“ (Günter Bannas, FAZ) gungen für die Themenfindung zu sammeln, bezwei- feln andere wie Christoph Schwennicke (Der Spie-

gel) die Seriosität der Leseräußerungen und fürchten Dieser Logik zufolge nehmen die Rezipienten also nicht nur einen Missbrauch der Kommentarfunktion, über das veränderte Nutzungsverhalten mittelbaren sondern auch eine langfristige Beschädigung der Einfluss auf die Finanzierung journalistischer Inhalte, Marke: indem sie den Aufmerksamkeitswettbewerb ver- schärfen und die Journalisten sich nicht anders zu helfen wissen, als den Leser nach allen Regeln der „Einerseits ist das ein sehr belebendes Element, aber Kunst zu umgarnen – notfalls mit kostenlosen In- andererseits läuft da teilweise ein Zeug, dass man formationshäppchen. Darüber hinaus wird auch die sich fragen muss, ob man das guten Gewissens direkte Einflussnahme der Rezipienten zunehmend unter der Marke Spiegel laufen lassen kann. Bei der virulent – Bürgerjournalismus und Blogging sind hier Süddeutschen Zeitung hatten wir dann diese Neti- die Stichworte. Noch sehen die Hauptstadtjournalis- quette-Regeln eingeführt, wo es dann aber immer ten in den Gehversuchen der Laien zumindest in ein Riesen-Bohei gibt von wegen Zensur und das sei Deutschland aber noch keine ernsthafte Konkurrenz: ja wie damals bei … und so weiter.“ (Christoph „In Deutschland wird es auch noch dauern, bis Blogs Schwennicke, Der Spiegel) ähnlich einflussreich werden wie Zeitungen. Ich glaube nicht, dass Blogs eine Öffentlichkeit darstel- len, die die traditionelle Öffentlichkeit überlagert“, Auch Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) zeigt sich sagt Brigitte Fehrle (Zeit). Erfolgversprechender enttäuscht von den Leserkommentaren im Internet. klingt da für einige schon eher der Einsatz der web- Seine ursprüngliche Hoffnung, dass sich auf diese basierten Infrastruktur zur Interaktion mit den Le- Weise eine wirksame Gegenkontrolle zum Journa- sern. So könnten von Journalisten betriebene Blogs lismus (die einzige der „vier Gewalten“ ohne institu- als Aufklärungsinstrumente dienen: tionalisiertes Korrektiv) etablieren könnte, habe er schnell verworfen: Zu selten präsentierten die Nut-

zer tatsächlich Fakten, zu häufig führten sie Ideolo- „Ich denke […], dass Blogs erst dann eine interes- giedebatten. Nichtsdestoweniger ermöglicht der sante Funktion bekommen, wenn man durch sie mit virtuelle Rückkanal ein kritisches Forum: Ein wichti- den Lesern über die Zeitung spricht, warum wir ges Korrektiv, dem sich der Hauptstadtjournalismus welche Themen wie machen oder auch nicht ma- wegen des Mangels an zuverlässiger Selbstkontrolle chen. Das ist dann auch besonders nützlich für die (vgl. 4.1) nicht verschließen sollte. Zeitung. Ich finde es falsch, an dieser Stelle Die Hauptstadtjournalisten orientieren sich in der furchtsam zu sein, denn für den Leser ist es meiner Themenfindung und -setzung nach wie vor größten- Meinung nach sehr interessant zu lesen, wie eine teils an den konventionellen Leitmustern der Politik- Zeitung oder wie eine Redaktion denkt. […] Wir berichterstattung – allerdings nicht ohne Tendenzen hatten im November 2007 ein großes Interview mit zu beklagen, die das quasi-institutionelle Gleichge- Frau Merkel. Das habe ich zum Anlass genommen, wicht von Meinungsführern wie Spiegel, Bild, FAZ im Blog darüber zu schreiben, wie solche Interviews oder Süddeutsche Zeitung ins Wanken bringen und entstehen, also die ganze Autorisierungsproblematik. Unsicherheiten, auch Orientierungslosigkeit bei Re- Das hätte ich eigentlich lieber noch viel intensiver zipienten und den Journalisten selbst begünstigen. gemacht. Und wir hatten hier im Hause eine intensi- Der elektronisch und ökonomisch oktroyierte Ge- ve Debatte, als damals die mutmaßlichen Attentäter schwindigkeitsrausch der politischen Berichterstat- im Saarland festgenommen wurden, ob man die mit tung erscheint auf Basis der Aussagen des befragten Berliner Journalistenkreises als aggressive Spiral- 41 entwicklung, die in letzter Konsequenz die Leitfunk- ƒ Die Politikberichterstattung ist einem gestiege- tion und Identität der sachverständigen Qualitäts- nen Exklusivitätszwang ausgesetzt, weshalb presse angreifen könnte. Schon häufen sich Zweifel auch vermehrt Boulevard-Themen aufgegriffen an der Zukunftsfähigkeit der gedruckten Tageszei- werden. Das liegt zum einen an der wachsenden tung, vornehmlich aus der Domäne des Magazin- Bedeutung auflagen- bzw. quotenstarker publi- journalismus: zistischer Zugpferde, die eine ausgeprägte Affi- nität zu Personalisierung und Sensationalisierung

aufweisen (v. a. Bild, allgemein das Fernsehen); „Ich habe früher immer salopp gesagt: Eine Zeitung zum anderen wird dem Privatleben von Politi- wird man immer brauchen, denn die liest man auch kern – zum Beispiel bei Liebesaffären oder auf dem Klo, und man kann einen Fisch darin einwi- Krankheiten – immer häufiger politische Rele- ckeln. Der Fisch wird heute in Folie eingeschweißt, vanz zugeschrieben, so dass sich selbst die Qua- und die Leute sitzen mit ihrem Blackberry auf dem litätsmedien solchen Themen oft nicht verschlie- Klo. Beim Laptop war ich mir noch sicher, dass den ßen können bzw. wollen. niemand mit aufs Klo nimmt, doch den Blackberry ƒ Die gedruckten Leitmedien (v. a. FAZ, SZ, Der hat man ja immer in der Hosentasche und nutzt Spiegel) nehmen weiterhin ihre Funktion als damit das Internet“ (Henning Krumrey, Focus) überregionale Agenda Setter wahr. Hinzuge- kommen ist Spiegel Online als Leitmedium neu- en Typs, das den Alleinstellungswert der tradi- 4.2.4. Agenda Setting: Zusammenfassende tionellen Presse in der Themensetzung erheblich Thesen schmälert. Zum ‚Bildschirmschoner’ in den Amts- und Redaktionsstuben der Hauptstadt mutiert, ƒ Die Prinzipien des Agenda Setting im Haupt- hat Spiegel Online die Führung beim stündlichen stadtjournalismus haben unter dem Eindruck Agenda Setting übernommen und macht damit des technologischen Wandels einen wesentli- sogar den Agenturen große Konkurrenz, die chen Transformationsprozess durchlaufen. Die deshalb – ergänzend zu ihrem üblichen Nach- neuen publizistischen Determinanten stellen richtenportfolio – inzwischen auch Kommentare nicht nur eine Herausforderung für die tägliche und Analysen anbieten. Fernsehen und Radio journalistische Arbeit dar, sondern auch in der haben als Taktgeber dagegen enorm an Bedeu- Frage nach der Rolle der Leitmedien im politi- tung verloren: Während nach Aussage der Be- schen Diskurs: Die Analyse hat deutlich gezeigt, fragten insbesondere die politische Talkshow dass sich traditionelle Rollenzuweisungen auflö- stetig an Relevanz eingebüßt hat, wird nur noch sen und neue Medien, vor allem das Internet, den Nachrichtenformaten der öffentlich- für die Themensetzung an Bedeutung gewinnen. rechtlichen Fernsehveranstalter hoher Einfluss auf das Agenda Setting zugesprochen; beim Ra- ƒ Das Agenda Setting ist von hohen Verfallsraten dio übt diese Funktion ausschließlich der und volatilen Themenkarrieren gekennzeichnet. Deutschlandfunk aus. Die Nachrichtenlage ändert sich mehrmals täg- lich, was die Hauptstadtjournalisten dazu zwingt, Ereignisse von kurzfristiger Relevanz zu berück- sichtigen und nachhaltige Themen zu vernach- lässigen. Eine Folge ist die um sich greifende po- litische Detailberichterstattung, die der Orientie- rungsleistung für den Mediennutzer entgegen- steht. ƒ Bemängelt wird eine übermäßige Kollegenorien- tierung, die unter den Hauptstadtjournalisten teilweise zu Verunsicherung bei der Bildung ei- gener Überzeugungen und Meinungen führt und die (nachrichtliche wie kommentierende) Be- richterstattung beeinflusst bzw. tendenziell ver- einheitlicht. Ähnliches gilt für die verstärkte in- haltliche Ausrichtung an der Themensetzung und Themenaufbereitung der wenigen Leitme- dien, die eine zunehmende Selbstreferentialität mit sich bringen.

42 4.3. Politische Kommunikation in Berlin

„was zwischen Alexanderplatz und Brandenburger 4.3.1. Vom Treibhaus Bonn zur Kommunika- Tor wahrnehmbar ist.“ tionsblase Berlin Dieser weltstädtische Gestus Berlins, sich für den Dass vor den Regierungsjahren in Berlin so manches „Nabel der Welt“ zu halten, schlägt sich spürbar anders war, nämlich die geografischen Distanzen auch auf die parteipolitische Verortung vieler Jour- kürzer, der journalistische Redaktionsalltag gemäch- nalisten nieder. Zwar wird noch gelegentlich so et- licher und die politischen Lager leichter auseinander was wie Lagerjournalismus praktiziert, zumindest zu halten, ist vor allem von den erfahrenen der be- nach dem Eindruck von Christoph Schmitz, Presse- fragten Journalisten überliefert, von denen sich eini- sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/ Die ge beinahe sehnsüchtig in die unaufgeregte Bonner Grünen und Ex-Bild-Korrespondent, wenn er an die Medienkulisse zurückwünschen. Etliche Korrespon- Unterteilung in konservative Springer-Presse, die denten mussten mit dem Regierungsumzug ihre „sozialdemokratische geprägte“ Frankfurter Rund- Wohnorte, ihr gesamtes soziales Umfeld im Rhein- schau oder die „links-progressive“ taz denkt. Doch land aufgeben und sich dem tief greifenden struktu- offen zutage treten politische Sympathiebekundun- rellen Wandel am neuen Regierungssitz stellen, um gen nur noch selten: „In den 1970er Jahren ging ihre Karrieren nicht zu gefährden. Der Großteil der das in Bonn sogar so weit, dass ,linke‘ und ,rechte‘ Positionen in den Hauptstadtbüros – „etwa 80 Pro- Korrespondenten nicht miteinander redeten. Die zent“, schätzt Günter Bannas (FAZ) – wurde jedoch kannten sich nicht und weigerten sich lange auch, anderweitig vergeben, auch weil sich viele ältere sich kennen zu lernen. Das ist heute natürlich viel Kollegen, die damals Ende 50, Anfang 60 waren, lockerer.“ (Günter Bannas) Selbst wenn die neue nicht auf die Großstadt einlassen wollten oder – zum Leichtigkeit nicht (nur) an Berlin selbst liegt, wie Beispiel aus familiären Gründen – nicht konnten und Bannas betont, sondern sich das Verhältnis der sich einen eher verzögerten Bedeutungsverlust der Journalisten untereinander bereits seit den 1980er einstmaligen Hauptstadt erhofften, da (vorerst) noch Jahren entspannt hat, wird dadurch offenbar die eine Reihe wichtiger Ministerien in Bonn verblieben. Fähigkeit des Publikums erschwert, die Journalisten Das hatte zur Konsequenz, dass sich große Redak- parteipolitisch eindeutig zuzuordnen: tionen bildeten, „in denen kaum noch jemand dabei ist, der schon aus Bonn berichtet hatte“ (Günter Bannas, FAZ). „Zum Beispiel bekommen wir häufig Anrufe in der Redaktion, die verdeutlichen, dass meine Zuhörer Mit der Umsiedelung des Regierungsapparats nach ständig versuchen herauszufinden, welcher Partei Berlin-Mitte explodierte dann plötzlich das publizisti- ich nahe stehe, ob ich also eher eine CDU-Frau, eine sche Angebot, angetrieben vor allem durch die SPD-Frau oder Grünen-freundlich bin. Auf die FDP elektronischen Medien Fernsehen und Internet – oder Linkspartei ist aber noch niemand gekommen. und damit potenzierten sich auch die Probleme und Für mich ist das beruhigend, denn wenn ich mal zu Widrigkeiten im Hauptstadtjournalismus, der fortan diesem und dann zu jenem Parteispektrum gerech- nur noch wenig mit der vermeintlichen Gemütlichkeit net werde, ist es offenbar ausgeglichen, was heißt, im Bonner „Treibhaus“ (Wolfgang Koeppen) zu tun dass ich meine Arbeit richtig mache“ (Sabine Adler, hatte. Berlin stand von Beginn an für einen Para- Deutschlandfunk). digmenwechsel – auch im Mediensektor – und wur- de in der einschlägigen Literatur (vgl. auch Kap. 2) häufig als krasser Gegenpol zum verschlafenen Ört- Ob derlei parteipolitische Unbefangenheit nun för- chen Bonn beschrieben. Günter Bannas hält das derlich für die Orientierung des Publikums ist oder jedoch schlicht für ein Vorurteil derer, die nie in nicht – für derlei Auseinandersetzungen mit dem Bonn als Journalisten gearbeitet haben: Natürlich sei eigenen Rollen-Selbstverständnis fehlt den meisten Bonn viel kleiner als Berlin, aber deshalb noch lange Medienschaffenden ohnehin die Zeit: Während Be- nicht hinterwäldlerisch gewesen; dies gehöre zu den rlins Journalisten tagsüber gegeneinander um öf- großen Irrtümern, die den Neuanfang der Berliner fentliche Aufmerksamkeit im Nachrichten- Republik erheblich prägten: „Das führt auch insofern Durcheinander kämpfen, wird abends einträchtig mit zu einer Fehleinschätzung Berlins, dass die Stadt den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft gefeiert. von vornherein als Metropole wahrgenommen wird.“ Bei rauschenden Firmenfesten von Großunterneh- Dieses Metropolengefühl, das alsbald die Haltung men wie Arcandor, Vodafone oder Vattenfall sowie vieler Hauptstadtmedien beeinflusste, habe letztlich auf den berüchtigten Branchen-Events wie den Ver- dazu geführt, dass in Berlin bis heute nur das greife, 43 leihungen des „Goldenen Prometheus“ und des „Po- „Erstmal zählt jeder gleich viel […]. Dabei haben litikawards“ treffen Journalisten, Politiker und Lob- natürlicherweise viele Leute von bestimmten Fragen byisten häufig und gerne zusammen, was nach einfach keine Ahnung. Sie können sich Informatio- selbstkritischer Auslegung vieler Befragten allerdings nen zusenden, sind aber völlig ahnungslos und ha- nicht nur „geringen Nährwert“ (Michael Spreng) ben keinerlei Sachkompetenz. 90 Prozent derjeni- aufweist, sondern gelegentlich zu einem regelrech- gen, die vor der Kamera auftreten, würde ich jede ten Realitätsverlust führt: „Die berühmte Käseglo- Sachkompetenz absprechen. […] In diesem Stim- cke, die es schon in Bonn gab, gibt es hier in Berlin mengewirr ist es ganz schwer zu sortieren, ob etwa vielleicht nicht räumlich gesehen, sie ist aber in den ein soeben veröffentlichter Klimabericht wirklich neu Köpfen weiterhin vorhanden“ (Ulrike Hinrichs). Die ist. Ich rufe dann den XY an, von dem ich weiß, dass Medienaffinität vieler Politiker ist in Berlin sogar er autonome Maßstäbe und ein ganz eigenes Urteil stärker ausgeprägt als je zuvor: hat, dem ich vollkommen traue und zuhören kann. So jemand hängt an keiner Leine und ist kein Marke-

tingjournalist, kein Parteigänger und Liebesdiener „Der Zeitaufwand, den ein Politiker mit direkter von irgendwem.“ (Gunter Hofmann, Die Zeit) Kommunikation verbringt, ob nun mit seinen Kolle- gen, im Wahlkreis mit Bürgern oder in Ausschüssen, schrumpft zu Lasten des Zeitaufwandes, den er da- Wenn sie nicht anders können, nutzen einige Jour- für aufbringen kann, um über und mit Medien zu nalisten also den direkten Draht zu den politischen kommunizieren. Dass verändert den Politiker inso- Akteuren, um an Informationen aus erster Hand zu fern, dass er großen Ruhmverlockungen ausgesetzt kommen. Einigen Befragten zufolge muss allerdings ist. Es gibt Abgeordnete, die schon vor dem Frühs- immer mehr Zeit dafür aufgewendet werden, ver- tück googeln, wie oft ihr Name genannt wurde. Mei- meintlich aktuelle von längst bekannten Nachrichten ne These ist, dass wir unsere verlorene Gestal- zu sondieren, reine Behauptungen von harten Fak- tungsmacht respektive Bedeutung – die Politiker ten zu trennen. Der frühere taz-Büroleiter und jetzi- haben an die Globalisierung abgegeben, die politi- ge Stern-Redakteur Jens König bemängelt insbeson- schen Journalisten an das große Rauschen der Me- dere die schweren Kompetenzbeschneidungen der dienwelt – gemeinsam durch unendliche öffentliche Sprecher der Parteien und Fraktionen, die oft nur Präsenz kompensieren.“ (Tissy Bruns, Tagesspiegel) Sachverhalte mitteilten, nicht aber auf konkrete Nachfragen der Journalisten eingingen. Dabei wür-

den parteiinterne Hierarchien nach Angaben des Diese eigenartige Form der Medienkompensation stellvertretenden Sprechers der Bundesregierung, lässt darauf schließen, dass die politische Kommuni- Thomas Steg, weitgehend absorbiert. Das durch die kation schnell zum reinen Selbstzweck von Politikern Medien verstärkte Stimmengewirr erschwere die und Journalisten werden kann, während grundle- Einhaltung der politischen Fraktions- oder Regie- gende Informationsbedürfnisse der Bürger allmäh- rungsdisziplin: lich vernachlässigt werden. Der exorbitante Zuwachs des Nachrichtenangebots, angekurbelt durch die Expansion von Agenturen, Fernsehen und Internet, „Fraktionen oder auch Parteien, also politische Or- ist für die Gatekeeper aus der Hauptstadt zum ech- ganismen mit einer hierarchischen Struktur und ten Problem geworden: Zunehmende Dichte, Nach- Binnenordnung können nicht mehr sicherstellen, frage und Konkurrenz der Nachrichtenmedien auf dass intern die klassischen Top-Down-Mechanismen der einen Seite gehen zu Lasten von Recherche, funktionieren, dass eine Sprachregelung, eine Inter- Einordnung und Bewertung politischer Ereignisse pretation, die die Spitzenleute benutzen, dann auch und Sachverhalte auf der anderen. Nach dem Ein- für ausnahmslos alle verbindlich wird. Die Vielfalt druck einiger Befragter greift – zuungunsten der der Akteure führt oft zu einer Vielfalt der Meinun- direkten Kommunikation mit dem Bürger – eine gen. Nun kann man sagen: Pluralismus an sich ist politische Statement- und Verlautbarungskultur via doch gut. Vielstimmigkeit kann in der politischen Medien um sich, in der offenbar Viele meinen, etwas Kommunikation aber schnell zum Problem werden.“ sagen zu müssen und trotz (oder: wegen) des Be- (Thomas Steg, Bundesregierung) darfs an kurzen O-Tönen dies auch tun können.

Gunter Hofmann (Die Zeit) sieht darin eine stete Überforderung der Mediennutzer, aber auch der 4.3.2. Deutschland – eine Beraterrepublik? Medienmacher, weiterhin den Überblick zu behalten und vernünftig differenzieren zu können: Charakteristisch für den politischen Betrieb Berlins ist auch das wachsende Heer aus Öffentlichkeitsar- beitern und Beratungsprofis, die aus dem kommuni- kativen Spannungsfeld zwischen Politik und Medien 44 Kapital schlagen (wollen). Misstrauen erntet die Demgegenüber moniert Thomas Steg, dass die PR- Beraterklasse bisweilen aus beiden Lagern: von den Szene die kommunikative Kompetenz einzelner Poli- Journalisten, die bei mediengewandten Politikern tiker offensichtlich generell unterschätze und gele- beinahe grundsätzlich eine subkutane Fremdeinwir- gentlich der Fehleinschätzung aufsäße, Politik „man- kung und damit eine Behinderung ihrer Arbeit wit- gele es an Strategie, und wenn Politik professionelle tern – sei es durch Image-Berater, Spin-Doctoren Beratung endlich annehme, dann würde Politik auch oder Hair-Stylisten; von den Politikern, die sich die erkennbar nach strategischen Gesichtspunkten statt- Beratungsleistungen zwar gerne gefallen lassen, finden. Ich kann nur sagen: Politiker sind Experten aber nur solange, wie sie ihr kommunikatives in Sachen Politik und niemand unterschätze ihre Schicksal nicht vollständig in die Hände Dritter legen strategischen Potenziale.“ Zumindest im Falle der müssen. Ob positiv oder negativ akzentuiert: Einen Bundeskanzlerin wird dieser Eindruck von Journalis- gestiegenen exogenen Beratungsbedarf konstatieren tenseite geteilt: „Merkel ist Merkels beste Beraterin“, die meisten Beobachter, vor allem, was die generelle antwortet Thomas Wittke (General-Anzeiger) auf die Vermittlung und Rechtfertigung komplexer politi- Frage, wer die Regierungschefin seiner Meinung scher Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit nach in wichtigen Fragen berät. über den Umweg der berichtenden Medien angeht: Allem Anschein nach resultiert die allgemeine Bera- tungsskepsis der deutschen Politik auch aus dem grandiosen Scheitern einiger Spitzenpolitiker in Sa- „Es kommt also immer darauf an, was man von chen Image-Pflege: Die unvergessene Swimming- Beratung hält: Wenn man ständig meint, dass einen pool-Affäre im Jahr 2001 um den ehemaligen Bun- Berater bescheißen wollen, dann mögen die Zweifel desverteidigungsminister Rudolf Scharping, der sein zutreffen. Aber ich sage immer: Halblang mit den Privatleben mit Beraterhilfe inszenieren wollte, gilt Thesen. Wahr ist, dass unsere Welt komplex ist und vielen Politikern – bei aller Inszenierungsfreudigkeit dass die Themen, die uns bewegen, in globalisierten – nach wie vor als abschreckendes Beispiel. Selbst Zusammenhängen sehr schwierig sind. Gerade die- wenn man aus den jüngsten Parteitagen, Wahl- ses Klimathema oder auch z. B. Gentechnologie kampfveranstaltungen oder TV-Duellen in Deutsch- haben dermaßen komplexe wissenschaftliche Hin- land inzwischen eine immer stärkere Amerikanisie- tergründe, die man für Entscheidungsträger, die das rung der politischen Kommunikation herauslesen alles nicht wissen können, tatsächlich aufbereiten mag, hat das angelsächsische Vorbild der strategi- muss. Die Kunst von Politik und kritischer öffentli- schen Kommunikations- und Medienberatung vom cher Diskussion, besteht ja nun darin, diese Dinge Format eines Alastair Campbell, Berater der Blair- zu bewerten und in einer Demokratie dann auch Administration und ‚Erfinder’ von New Labour, bisher einer Lösung zuzuführen. Ich würde mich zu der nicht gefruchtet. Persönliche Politikberater finden ketzerischen Bemerkung versteigen, dass die Medien sich nach Aussage von Michael Spreng und Michael mitunter dem Prozess des offenen, aufgeklärten Donnermeyer allenfalls in den Parteien selbst oder gesellschaftlichen Diskurses eher im Wege stehen würden für punktuelle Dienstleitungen wie indivi- als ihn zu befördern.“ (Michael Donnermeyer, IZ duelles Medien-Coaching oder einzelne PR-Aktionen Klima) gezielt eingekauft. Auch deshalb vergleicht der ehe- malige CSU-Kommunikationsmanager Spreng seine Rolle mit der eines Prototyps, der zwar wichtige Dass aber vor allem die trockene administrative Impulse für den professionellen Umgang zwischen Arbeit durch Politikberater stark beeinträchtigt wird, Politikern und Medien liefern konnte, letztlich aber bezweifelt keiner der Befragten. Ulrike Hinrichs, keinen Beratungstrend auslöste. Spreng bedauert Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums, sieht die geringe Nachhaltigkeit seiner damaligen Funkti- darin sogar die Unabhängigkeit verwaltungspoliti- on, denn Bedarf sieht er allemal: „Rhetorisch gese- scher Entscheidungsgewalt gefährdet: hen ist die deutsche Politik trostlos.“

Ein aus dem Blick geratenes Feld der Politikberatung „In den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Kommu- in Deutschland scheinen darüber hinaus die partei- nikation sind viele Menschen unterwegs, die eine nahen Stiftungen zu sein, etwa Friedrich-Ebert- gewisse Ahnungslosigkeit der öffentlichen Verwal- Stiftung (SPD), Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU), tung ausnutzen. Sie bieten eine bestimmte Kommu- Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FDP), nikation an oder eine bestimmte Medienöffentlich- Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) oder Hanns-Seidel- keit, die ich aber mit drei Anrufen und meinen Kon- Stiftung (CSU), denen Sabine Adler vom DLF vor- takten selbst sofort auch bekommen würde.“ (Ulrike wirft, eine ihrer Grundsatzaufgaben zu vernachlässi- Hinrichs, Bundesministerium für Ernährung, Land- gen. Sie spielen Adler zufolge innenpolitisch keine wirtschaft und Verbraucherschutz) tragende Rolle (mehr), sondern glichen eher Debat- tierclubs, die ohnehin Bekanntes diskutieren:

45 aus Politik und Wirtschaft durchaus eine gesell- schaftliche Verantwortung: „Die gestalterische, beratende Rolle dieser Stiftun- gen als Think Tanks habe ich dagegen sehr viel deutlicher im Ausland wahrgenommen, in Russland, „Das Wichtigste ist, ein Bewusstsein dafür herzustel- der Ukraine, Georgien, wo sie eine stark integrieren- len, dass die Teilhabe der Wirtschaft am politischen de Funktion hatten und teils als Sammelbecken für Prozess etwas Wünschenswertes ist und nicht etwas NGOs fungierten, die sich über das herrschende Destruktives. Ich sehe es so, dass wir als Unterneh- System hinaus Gehör verschaffen wollten.“ (Sabine men in einer Zivilgesellschaft nicht nur gesellschaftli- Adler, Deutschlandfunk) che Verantwortung tragen, sondern uns auch in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess einbringen müssen. Dieses Verständnis muss die Voraussetzung Dem Politikbetrieb aufgrund dieser Einschätzungen dafür sein, wie wir agieren. Kommunikationsstrate- eine Beratungsabneigung zu bescheinigen, wäre gien im Hinblick auf die Teilhabe der Unternehmen jedoch schlicht falsch. Zu sehr hat sich das politische an politischen Prozessen sehen so aus, dass wir erst Gravitationsfeld inzwischen auf eine publikumswirk- einmal miteinander reden. Das ist die simpelste same Medienpräsenz eingependelt, als dass Parteien Form des kommunikativen Austausches. So finden und Politiker auf individuelle Ratschläge von Medien- wir heraus, was unser Gegenüber vorhat und wie es schaffenden komplett verzichten wollen. Seiten- denkt. […] Ich fordere aktiv einen Code of Conduct wechsler wie Richard Meng, Christoph Schmitz, Mi- für die Weise, wie sich die Politik, die Öffentlichkeit chael Donnermeyer und Michael Spreng haben es und die Wirtschaft zueinander ins Benehmen setzen. als ehemalige Journalisten und spätere Politikberater Dies ist der zwingend notwendige Prozess der Integ- bzw. Pressesprecher vorgemacht, ihrem Beispiel ration der Unternehmen und der Wirtschaft insge- werden spätestens zum Wahljahr 2009 weitere Kol- samt als ein Bestandteil einer offenen Zivilgesell- legen folgen. Obgleich diese professionellen Grenz- schaft. Wir sind gerade dabei, die Spielregeln dafür übertritte aus Sicht der Befragten an sich nichts zu entwickeln, und ich bin aktiver Träger dieses Anrüchiges darstellen, solange sie offiziell und Prozesses im Sinne einer Öffnung von Unternehmen transparent vollzogen werden, weist Brigitte Fehrle als Teilhaber am öffentlichen Gemeinleben. Das ist von der Zeit auf ein Hauptproblem vieler Journalis- Teil meines Kommunikationsjobs.“ (Jürgen Hogrefe, ten hin, die gelegentlich aus ihrer Beobachterrolle EnBW) fielen und in Gesprächen mit Politikern auch schon mal (unfreiwillig) ihre Kompetenzen überschritten: Sie persönlich kenne zwar keine Situationen, in de- „Lobbyarbeit ist nichts Anrüchiges“, konstatiert auch nen „Journalisten den Politikern sagen, wie sie es Michael Donnermeyer, der in seiner im Oktober eigentlich machen müssten“, aber die Gefahr, dass 2007 übernommenen Funktion als Geschäftsführer Journalisten – in der Hoffnung auf einen besseren des IZ Klima nach eigener Aussage in erster Linie Job im Ministerium? – ungefragt zu politischen Bera- dafür sorgt, eine „bislang sehr wenig beachtete tern würden, sei durchaus gegeben. Thomas Kröter Technologie, die noch im Entstehen ist und die Nut- (Frankfurter Rundschau) plädiert daher für ein klares zung von Kohle klimafreundlich ermöglicht, politisch Rollenverständnis: „Als Journalist bin ich Journalist. und öffentlich so zu positionieren, dass sie in ihrer Als Pressesprecher oder Berater bin ich Sprecher Bedeutung wahrgenommen wird.“ Träger und Grün- oder Berater. Ich kann aus der einen für die andere der sind zwar unter anderem die vier größten deut- Rolle lernen, ich darf sie aber nicht vermischen.“ schen Stromkonzerne – EnBW, E.ON, RWE und Vat- tenfall Europe –, allerdings sei das IZ Klima mitnich- 4.3.3. Opportunismus oder gesellschaftliche ten ein „Lobbyverband“: „Allenfalls machen wir Lob- Verantwortung? Einfluss der Lobbyisten by fürs Klima, nicht für unsere Mitgliedsunterneh- men“, so Donnermeyer. Um das Anliegen des In- Der im April 2008 vom ARD-Magazin „Monitor“ pub- formationszentrums bekannter zu machen, vermit- lizierte Skandal um die Beschäftigung von 300 Ver- telt Donnermeyer „mittendrin“ im Kommunikations- tretern aus Unternehmen und Verbänden in Bun- geflecht zwischen Politikern, Medien und Öffentlich- desbehörden zwischen 2004 und 2006 verdeutlicht, keit: dass Einflussnahmen durch Interessensvertreter aus der Privatwirtschaft auf die Bundespolitik eine wei- taus größere Bedeutung haben als einzelne Kommu- „Wir sind dafür da, die genannten Gruppen zu in- nikations- und Politikberater. Jürgen Hogrefe, vor- formieren, sprich: in die Politik hinein zu kommuni- mals Spiegel-Redakteur und inzwischen Generalbe- zieren. Das heißt konkret: Wenn irgendwo ein vollmächtigter des Energieversorgers EnBW, sieht in Standort gefunden wird, wo CO2 in die Erde ge- der Zusammenarbeit zwischen Entscheidungsträgern bracht werden soll, dann muss die Bevölkerung vor

46 Ort informiert werden – das ist ein Teil unserer Auf- tenteils im Gesundheitssektor vermutet, doch auch gabe. Wir müssen Journalisten auf den unterschied- die Politikberichterstattung muss sich generell ver- lichen Ebenen informieren, sowohl regional an den mehrt vor indirekter Beeinflussung schützen. Martin Standorten als auch auf der Berliner Ebene, wo es Bialecki von der dpa erklärt: um die Gesetze für diese Technologie geht. Und drittens müssen wir natürlich auch Politiker informie- ren, die in ihren Wahlkreisen, in ihren Tätigkeiten „Im Gesundheitssektor muss man zum Beispiel auf- nicht alles wissen können, aber über uns die Infor- passen wie ein Luchs. Da sind mächtige Player un- mationen über die Technik bekommen können in der terwegs. Oder Umfragen: Welche Umfrage ist von Form, die sie brauchen. Dazu benutzen wir unter- wem initiiert und lanciert worden und wird wann schiedliche Tools: Ich muss die Kommunikation an- veröffentlicht? Ich wundere mich ohnehin, warum passen, je nachdem, ob ich mit der lokalen Bevölke- das nicht jedes Medium reinschreibt, wann eine rung oder wissenschaftlichen Fachredakteuren der Umfrage geführt wurde, wie die Fehlertoleranz aus- FAZ spreche.“ (Michael Donnermeyer, IZ Klima) sieht etc. Hat das ausschließlich Platzgründe?“ (Mar- tin Bialecki, dpa)

Während Außenstehende die Mechanismen solcher Lobby-Gruppen bei politischen Entscheidungsprozes- Demgegenüber wappnet sich die wirtschaftspoliti- sen als äußerst einflussreich einschätzen, fühlen sich sche Berichterstattung mit einem scheinbar banalen, viele der von uns befragten Korrespondenten immun aber wirksamen Mittel gegen externe Instrumentali- gegen mögliche Instrumentalisierungsversuche. sierungsversuche. Ob Interessenvertreter, Sachver- Nach Ansicht von Roger Boyes, Korrespondent der ständige, Funktionäre oder Wirtschaftsanalysten zu britischen Times und Kolumnist des Tagesspiegels, Wort kommen: Alle Zitatgeber werden in ihren Funk- liegt das aber nicht an einer vermeintlich größeren tionen fein säuberlich gekennzeichnet. Carsten Lietz Unabhängigkeit, sondern an dem vergleichsweise von Reuters sieht in dieser praktizierten Transparenz niedrigen Status der Korrespondenten. Boyes gibt zu den besten Schutz journalistischer Integrität: bedenken, dass zum erfolgreichen Lobbying der

Verlagswirtschaft seiner Erfahrung nach durchaus kleinere ‚Gefälligkeiten’ zwischen Politikern und der „In Berlin machen wir es zum Beispiel so bei unserer Verleger- bzw. Chefredakteursebene großer Medien- makroökonomischen Berichterstattung, dass wir eine häuser gehören: Reihe von Leuten anrufen – wir haben relativ um- fangreiche Adressenlisten, damit wir nicht immer die

gleichen anrufen – und sie nach ihrer Expertenmei- „Die Friede-Springer-Connection ist schon existent. nung fragen. Für den Markt ist das eine relevante Und weil die SPD so langsam denkt, ist ihr das erst News um zu sehen, wie andere eine Entwicklung neulich klar geworden. Aber das ist schon interes- einschätzen. Aber im Text ist immer klar erkennbar, sant. Nicht nur in den Chefredaktionen, sondern woher derjenige kommt, den wir zitieren. Für Exklu- auch in den Vorstandsetagen ist viel los und viel- sivnachrichten haben wir strenge Regeln, damit leicht funktioniert Spin Doctoring eher auf dieser unsere Storys sicher hieb- und stichfest sind.“ (Cars- Ebene, auf der Mathias-Döpfner-Ebene, und nicht so ten Lietz, Reuters) sehr auf der Kai-Diekmann-Ebene. Ich würde an

Ulrich Wilhelms Stelle auch Döpfner statt Diekmann anrufen. Es sei denn, es gäbe eine richtige Krise. 4.3.4. Regierungskommunikation zwischen Oder gar Friede Springer, je nachdem, was man Nähe und Äquidistanz erreichen möchte. Und dafür bekommt man dann einen Gefallen im Gegenzug. Wenn der Mindestlohn Knapp zehn Jahre nach dem Regierungsumzug hat nicht durchkommt und sich die Betriebskosten in sich aus Sicht der Hauptstadtjournalisten nichts so Grenzen halten, muss auch etwas zurückgegeben stark gewandelt wie die Kommunikationspolitik der werden.“ (Roger Boyes, Times) Bundesregierung und ihr Umgang mit Journalisten. Beobachtet wird diese Veränderung vorrangig an den unterschiedlichen Charakteren der Spitzenpoliti- Auch wenn einige der Befragten wie Dieter Wonka ker, denen ein prägender Einfluss auf die Art und (Leipziger Volkszeitung) lakonisch feststellen: „Mich Weise der Regierungskommunikation zugerechnet belästigen die eher selten“, sind viele Journalisten wird. Das rot-grüne Führungsduo Gerhard Schröder nach Meinung von Sprecherin Ulrike Hinrichs, früher und Joschka Fischer vertrat im Vergleich zu Angela Fernsehreporterin bei den ZDF-Magazinen „Kennzei- Merkel dabei einen fast konträren Kommunikations- chen D“ und „Frontal“, häufig der Einflussnahme von stil: mediengewandt, inszenierungsfreudig und groß- Lobby-Kreisen ausgesetzt. Diese werden zwar größ- formatig. Tissy Bruns erinnert sich an die Risiken 47 und Nebenwirkungen der politischen Inszenierungen sich darauf verlassen konnte, dass ich ihn nicht rein- unter Rot-Grün: lege. Kohl missverstand das aber, meinte ich sei sein Gefolgsmann und wertete jeden kritischen Bericht

als Verrat.“ (Michael Spreng, Berater) „Sie waren schon die passende Politdarbietung zu der medialen Welt, in der wir uns nach dem Umzug von Bonn nach Berlin wieder gefunden haben: Die Christoph Schwennicke (Der Spiegel) macht auf beschleunigten Medien mit ihrer Bildhaftigkeit hatten einen entscheidenden Unterschied zwischen der in dem rot-grünen Spitzenduo die kongenialen Part- Pressearbeit der rot-grünen und der schwarz-roten ner. […] Schröder hat sich ja selbst vor die Kamera Regierungskoalition aufmerksam: gestellt. Er hat dieses Bild geschaffen, keine Frage.

Aber dass der Brioni-Kanzler später so ein Eigenle- ben entwickelt hat, war größtenteils unsere Sache, „Ich habe nur Schröder und Merkel erlebt. Bei Kohl also die der Medien. Als die Fotos erschienen, hatten habe ich nur die Rockzipfel der Geschichte zu Fassen die Kanzlerberater fast schon vergessen, dass diese bekommen. Schröder war in dieser Beziehung sehr Aufnahmen gemacht worden sind. Sie waren gerade rätselhaft. Bei ihm gab es ein Spektrum von ex- dabei, sich vom Party-Kanzler-Bild zu lösen, weil das tremster Kumpanei oder zumindest dem Angebot bis zu ernsten Themen wie 630-Mark-Jobs oder Kosovo hin zu schroffer Abweisung. Was ich bei Frau Merkel überhaupt nicht passte. Aber der Brioni-Kanzler, der – mal jenseitig der Kritik politischer Sachfragen – trotz Ansage aus dem Kanzleramt ein Eigenleben sehr gelungen finde, ist die respektvolle Äquidistanz, entwickelte, blieb – wie die Zigarre, die Schröder die sie einhält, und die auch so bleibt. Es gibt kein nach dem ersten Jahr ganz aus der Öffentlichkeit Näher und kein Ferner, sondern stets dieselbe Äqui- herausgenommen hat. Nur zur Currywurst steht distanz, die uns den Job, wie ich finde, erleichtert. Gerhard Schröder weiterhin. Bis heute kann er aber Frau Merkel ist immer gefühlte zweieinhalb Meter jederzeit als Brioni-Kanzler mit Zigarre gezeigt wer- weg, wohingegen Schröder auch mal so nah war, den – politische Inszenierung ist eben ein Wagnis dass es einem schon fast unangenehm wurde. mit Risiken und Nebenwirkungen.“ (Tissy Bruns, Schröder agierte da sehr utilitaristisch, je nachdem Tagesspiegel) wie es ihm nutzte.“ (Christoph Schwennicke, Spie- gel)

Glaubt man dem Gros der Befragten waren die rot- grünen Kanzlerjahre in Bezug auf die politische Gerhard Schröder war aber offenbar nicht der einzi- Kommunikation durchaus ambivalent: Das ständige ge, der solche utilitaristischen Prinzipien im Umgang Wechselbad aus teils kumpelhaften Anwandlungen mit den Medien einsetzte. Ein weiteres prominentes und einem teils rüden Umgangston war für viele Fallbeispiel weiß Ulrich Deppendorf aus seiner Zeit Medienvertreter neu – in Bonn war man es bei Poli- als Leiter der ARD-Aktuell-Redaktion in Hamburg zu tikern gewohnt, zu wissen, woran man war. Und berichten: während die Grünen als Regierungsbeteiligte erst lernen mussten, nicht jede politische Überlegung basisdemokratisch nach außen zu kommunizieren, „Und dann rief Rudolf Scharping an, der damals pflegte der Parteichef einen rigorosen Medienkon- noch Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Rad- takt. Jens König (damals taz) erinnert sich, dass sportfreund war. Ich sollte mich dafür einsetzen, Fischer dabei sehr verletzend sein konnte: „Inter- dass er für die ARD ein 45-minütiges Feature über views mit ihm waren oft Schwerstarbeit, er hat Fra- die Tour de France machen kann. Ich habe gedacht, gen abqualifiziert, er hat Sie als Interviewer direkt ich höre nicht richtig. Ich sagte ihm, dass ich nicht angegangen, er hat Sie auch schon mal angebrüllt – glauben würde, dass das der richtige Weg sei und trotzdem war er eine interessante, schillernde politi- habe ihn dann an unseren Programmdirektor Struve sche Figur.“ Michael Spreng meint dazu, ein Politiker weitergeleitet. Und als der ihn zuerst nicht zurückge- verstünde es oft nicht, wenn ein Journalist ihn kriti- rufen hatte und Scharping nach einem Dreiviertel- siere, obwohl er ihn vertrauensvoll und nett behan- jahr wieder anrief, verwies ich noch einmal auf Stru- delt habe: ve, und das war’s dann“ (Ulrich Deppendorf, ARD).

„Politiker meinen, wenn ein Journalist mit ihnen Unter der Großen Koalition dagegen ist vieles anders vertrauensvoll umgeht, sei das gleich ihr Mitstreiter. geworden – das bestätigen fast alle der Befragten. Ich hatte auch mal ein sehr gutes Verhältnis zu Niemand scheint die teilweise schrägen Allüren der Helmut Kohl, also in dem Sinne, dass wir ver- rot-grünen Administration ernsthaft zu vermissen – trauensvoll miteinander umgegangen sind und er mit Ausnahme von Thomas Wittke vielleicht, der

48 Schröders Entschlussfreudigkeit lobt und in dessen eine generalstabsmäßige Medien- und Kommunikati- „Basta“-Stil, seiner „Do or Die“-Philosophie, einen onsstrategie verfolgen kann: Kontrapunkt zur Abwägungspolitik Angela Merkels sieht. Aus dem Bundeskanzleramt wurde uns mitge- teilt, dass man es bedaure, dass die differenzierten „Merkel ist die Perfektionierung von Schröders Ver- Stellungnahmen von Frau Merkel mit fehlender Ent- such, ein Medienkanzler zu sein. Merkel macht das schlussfreudigkeit gleichgesetzt würden. Als Ost- perfekt mit dieser Mischung aus Naivität, die sie deutsche sei sie es gewohnt gewesen, zwischen den bisweilen zeigt, weil sie ja eigentlich der Anti- Zeilen zu lesen, und habe als Regierungschefin erst Medien-Typ ist. Aber ich kenne kaum einen anderen lernen müssen, dass dies im heutigen Politgeschäft Politiker, der so gezielt den Blick einsetzt gegenüber nicht mehr funktioniere, weil sich niemand mehr Journalisten und genau weiß, wie sie sich wann dafür Zeit nehme. Dass Merkel in der DDR aufge- verhalten muss, damit das richtige Foto entsteht und wachsen und zur Zeit des Mauerfalls schon Mitte 30 der richtige Blick im Film. Sie spielt perfekt mit den war, wird neben ihrer Ausbildung zur Naturwissen- Medien, weil sie auch keine gemeinsame Medienver- schaftlerin als schlagendes Argument für ihre eher gangenheit hat. Schröder hatte mit vielen Journalis- zurückhaltenden Umgang mit Journalisten ange- ten eine gemeinsame Vergangenheit. Insofern ha- führt. Richard Meng, ehemaliger stellvertretender ben sich oft Bekannte wieder getroffen. Merkel war Chefredakteur und Leiter der Berliner Redaktion der eine Quereinsteigerin, hat von außen gemerkt, was Frankfurter Rundschau und seit 1. Dezember 2007 man machen muss, um nach oben zu kommen und Staatssekretär und Sprecher des Senats von Berlin, hat keinerlei Rücksicht zu nehmen und keinerlei hält darüber hinaus allerdings auch Merkels fehlende Freundschaften aufzukündigen. Sie hatte ja keine Sozialisierung innerhalb der Partei für entscheidend: Freunde, sondern hat sich alles erarbeitet auf ihrem Weg nach oben. Daher geht Frau Merkel auch in

einer brutal ausnutzenden Form mit den Medien um. „Die zurückhaltende, wenn man so möchte ‚höfliche- Sie schuldet ihnen nichts.“ (Dieter Wonka, Leipziger re’ Haltung Merkels hängt meiner Ansicht nach aber Volkszeitung) eher damit zusammen, dass sie – genauso übrigens wie Matthias Platzeck – bereits 35 Jahre alt war, als die Mauer fiel. Beiden fehlen die 20 Jahre, die Ro- Den eher jungenhaften Charme, der Angela Merkel land Koch in der Jungen Union zugebracht hat. Die in ihrer Abgeordneten- und Ministerzeit unter Hel- haben ihn in gewisser Weise zwar qualifiziert, aber mut Kohl zueigen war, hat sie schon kurz nach Be- auch geprägt als einen knallharten Kampagnenpoli- ginn ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin abgelegt und tiker. Daraus, dass Merkel und Platzeck diese Partei- inszeniert bei Auslandsbesuchen neuerdings selbst- schule fehlt, resultiert eine Unvoreingenommenheit bewusst ihre Weiblichkeit. Von der Boulevard- und und eine Direktheit und Normalität, die ungewöhn- People-Presse wird sie dafür beklatscht. Ohnehin lich ist und eben all den anderen fehlt, die sich par- fänden sich in Titeln wie Bunte die besten Interviews teiintern jahrzehntelang haben durchboxen müs- zur Person Merkel, findet Margaret Heckel (Die sen.“ (Richard Meng, Senatssprecher Berlin) Welt). In Talkshows im Fernsehen geht sie aber deshalb nicht häufiger, sondern macht sich rar – ein

dem Amt geschuldetes Privileg der Zurückhaltung, Merkels Unverbrauchtheit im persönlichen Umgang wie aus dem Kanzleramt mitgeteilt wird. Es gebe, so mit den Medienvertretern empfindet Meng als ange- eine Mitarbeiterin, ohnehin zu wenig Einzelformate, nehm, und diese dürfe nicht mit Naivität verwechselt in denen ausführlich Position bezogen werden kön- werden: „Das bringt Merkel mit, und das ist natürlich ne. Auch dürfe man es mit derlei Auftritten nicht bei einem wie Schröder, der 30 Jahre lang auf der übertreiben. Aus Sicht einiger Journalisten genießt Hühnerleiter hochgelaufen ist, nicht mehr da.“ Die der Kanzlerstab allerdings einen eher zweifelhaften von Schwennicke apostrophierte gesunde „Äquidis- Ruf: Nach Vermutung der Befragten wird im Kanz- tanz“ der Bundeskanzlerin schwankt in den Augen leramt ein strenges, teils Furcht einflößendes Regi- der Hauptstadtjournalisten indes stark, nämlich zwi- ment geführt; geduzt wird sich nicht. Auch beklagt schen „höfisch“ (Deppendorf) und „höflich“ (Meng), Bunte-Kolumnist Graf Nayhauß, dass sich die Top- zwischen „Machtbewusstsein“ und „guter Erziehung“ Down-Hierarchie in Merkels Zuständigkeit offenbar (Schmale). Während ihr im Vergleich zum Amtsvor- noch verschärft habe: gänger von einer Seite Professionalität abgespro- chen wird (Wittke), wird ihr von anderer mehr Sach- kompetenz attestiert (Kröter). Unbestritten ist je- „Im Kanzleramt dagegen ist es schwierig, wenn doch, dass sie die tatsächliche ‚Medienkanzlerin’ ist, nicht gar unmöglich, engen Kontakt zu den Mitarbei- weil sie keine Rücksichten auf gewachsene Freund- tern von Frau Merkel zu knüpfen. Die leben in Furcht schaften mit Journalisten nehmen muss und deshalb vor ihrer Herrin. Es war früher kein Problem, zu

49 Zeiten von Schröder zum Beispiel mit dem außenpo- den – oft auch kurzfristig – vor entscheidenden Aus- litischen Berater Joachim Bitterlich Kontakt zu pfle- schusssitzungen oder Verhandlungsrunden geknüpft, gen oder auch mit seinem Vorgänger. Bei Kohl war dann wird gewartet, bis es „Piep“ macht. Die Mobil- es ebenso wenig ein Problem.“ (Mainhard Graf Nay- telefonie, insbesondere das Versenden von SMS, ist hauß, Bild/Bunte/Netzeitung) zum Grundpfeiler der politischen Kommunikation geworden und dabei mehr als ein reines Kommuni-

kationsmittel zum Zweck, sondern gleichsam Aus- Bei Auslandsreisen der Kanzlerin ergibt sich außer- druck eines Wandels vom persönlichen Austausch zu dem immer häufiger ein Streit über die mitreisenden einer schnellen und zugleich unverbindlichen Ge- Journalisten. „Irgendjemand hat den Airbus ge- sprächskultur, wie Ex-RTL-Chefkorrespondent Ge- schrumpft“, argwöhnt AP-Leiter Thomas Rietig. Kei- rhard Hofmann glaubt: ne Frage: Jeder Kanzler hat seine Günstlinge unter den Journalisten, Merkel aber geht es nach Ein- schätzung der Befragten nur um die Auflage und „Die SMS ist deshalb so hilfreich, weil sie nicht den Verbreitung der jeweiligen Medien. Unter den Nach- gesellschaftlich relevanten, konventionellen Charak- richtenagenturen hat sich bereits eine Initiative zur ter eines Briefes beziehungsweise Faxes hat, den Einforderung des ‚Flugbegleitungs-Rechts’ für die bzw. das man eigentlich beantworten ,muss‘ und wo fünf in Berlin tätigen Agenturen gebildet, von denen es kein Affront ist, wenn man es nicht macht. Bei laut Rietig für gewöhnlich nur die dpa eingeladen der SMS kann jeder so tun, als habe er sie nicht wird. Auch die Regionalpresse fühlt sich häufig be- gekriegt. Ich simse mit Politikern, mit Kollegen, mit nachteiligt – Thomas Wittke spricht von einer „95- Büroleitern, mit Pressesprechern, mit Leuten in Mi- prozentigen Ausschlussquote“: nisterien, im Bundestag, Mitarbeitern von Abgeord- neten usw. Ich nutze die SMS wesentlich mehr als

die E-Mail und fast mehr als das Telefon. Ange- „Man kündigt diese Reisen gar nicht erst an. Man nommen, es eilt das Gerücht durch Berlin, natürlich telefoniert mit seiner favorisierten Klientel, und konf- ,rein theoretisch‘, dass Franz Müntefering sich mit rontiert die geneigte Öffentlichkeit dann damit, dass dem Gedanken trägt, zurückzutreten; dann würde Steinmeier heute in den Nahen Osten fliegt. Da ist man zunächst versuchen, seinen Sprecher zu errei- demokratische Selektion ausgeschlossen, das ist chen, um zu fragen, was an der Information dran eine Klüngelwirtschaft, die schon unter Joschka Fi- ist. Und dann schickt man die Frage, was an dem scher begonnen hat. […] Wir als Regionalzeitungen Gerücht wahr ist, als SMS an 25 bis 30 Kollegen, laufen zunehmend gegen Stahlwände. Auch bei den Abgeordnete und andere Insider, und einige reagie- Flugbegleitungen: Von den Regionalzeitungen, also ren. Das ist ein Riesenvorteil, eine knappe Frage einem Pressetypus, der 90 Prozent der Medienland- gleichzeitig 30 Menschen stellen zu können.“ (Ge- schaft in Deutschland repräsentiert, darf meistens rhard Hoffmann, RTL/ n-tv) nur einer mit. Wo bleibt da bitteschön eine agentur- unabhängige, eigenständige Berichterstattung in den regionalen Medien, wenn die Politik so gespielt wird! In Berlin seien die neuen informellen Kommunikati- Und wenn man dieses Problem anspricht, dann zeigt onskanäle auch deshalb so wichtig, weil sich Journa- man nur im Presseamt mit dem Finger nach oben listen und Politiker nur noch selten über den Weg und sagt: ,Die will das so‘.“ (Thomas Wittke, Bonner laufen, erklärt Holger Schmale: General-Anzeiger)

„In Bonn waren wir im Pressehaus am Tulpenfeld, Kritiker wie Wittke sehen demgegenüber die Journa- gegenüber lag das Abgeordnetenhochhaus, wo auch listen der Springer-Presse und die Quotenbringer die Grünen saßen. Ich konnte aus meinem Fenster unter den TV-Redaktionen klar im Vorteil; während sehen, wenn Joschka Fischer aufbrach, um in die Regionalzeitungen zunehmend gegen Stahlwände Fraktionssitzung zu gehen, und konnte ihn dann laufen, habe Merkel das „Bild, BamS, Glotze“-Prinzip gemütlich unten abpassen und ein Gespräch begin- perfektioniert. nen. Das ist in Berlin völlig unmöglich. […] SMS bestimmt die Kommunikation insofern, als wir da-

durch jetzt aus noch laufenden Sitzungen Informa- tionen zugespielt bekommen. Dafür müssen Sie 4.3.5. Die SMS-Revolution dann aber mit manchen Leuten in wirklich gutem Kontakt stehen und aufpassen, ob man damit nicht Wenn dpa-Bürochef Martin Bialecki erklärt, dass er doch instrumentalisiert wird. Häufig ist es ja so, dass und seine Kollegen „Drähte legen“, dann meint er der Politiker, der eine Information raus lässt, ein Politiker, die bereit sind, sich als Informanten zur Verfügung zu stellen. Entsprechende Kontakte wer- 50 bestimmtes Interesse hat.“ (Holger Schmale, Berli- 4.3.6. Autorisierungspraxis: Der Kampf ums ner Zeitung) letzte Wort

Sprecher kommunizieren nicht nur nach außen, son- So beobachten die Befragten immer häufiger, dass dern auch nach innen. Wenn es Journalisten unter den Tischen bereits fleißig in die Mobiltelefone manchmal nicht so genau nehmen mit dem gespro- getippt wird, während ein Mitglied des Parteipräsi- chenen Wort ihrer Minister, sind sie stets darum diums noch spricht – mit der Absicht, sich bei Jour- bemüht, wieder alles ins Reine zu bringen. In den nalisten ins Gespräch zu bringen und nach Bedarf seltensten Fällen greift ein Minister wie Horst Seeho- publizistische Gegenleistungen einzufordern. Auch fer selbst zum Telefon und trifft sich auf ein klären- Iris Bethge (Pressesprecherin, Bundesministerium des Gespräch mit den Berichterstattern. Vor allem, für Soziales, Familie, Frauen und Jugend) räumt im was Interviews angeht, versuchen Politiker alles Gespräch ein, dass Korrespondenten für Politiker ein mögliche, um nicht die Kontrolle zu verlieren: „Das beliebtes Mittel zum Zweck darstellten, sprich: In- Autorisierungsprinzip ist die letzte Bastion der Kont- dem sie interne Informationen streuten und Kontro- rolle für die Bürokratie“, sagt Times-Reporter Roger versen anstießen, versuchten sich einzelne Akteure, Boyes. Dass wörtliche Rede vom Urheber höchstper- zu profilieren: „Medien werden sich hinterher be- sönlich freigegeben werden muss, bevor sie ge- stimmt das ein oder andere Mal ärgern, dass sie druckt wird, ist eine Spezialität deutscher Journalis- instrumentalisiert wurden.“ muskultur. In den USA, in Großbritannien oder in anderen Mediendemokratien Europas würden sich Auch Angela Merkel ist eine rege SMS-Versenderin, Journalisten niemals freiwillig diktieren lassen, was wie aus dem Kanzleramt bestätigt wird: Sie liebt den sie veröffentlichen, glaubt Boyes. Und doch fühlen schnellen, unkomplizierten Austausch, auch während sich selbst ausländische Korrespondenten in Berlin in Sitzungen. Darüber, ob und mit welchen Journalis- der Pflicht – zumindest die „verdeutschten“ –, ihren ten sie SMS-Kontakte unterhält, wird allerdings ge- Interviewpartnern die Gesprächsprotokolle vor schwiegen. Aus Regierungskreisen ist überdies zu Drucklegung erneut vorzulegen, schließlich gehöre erfahren, dass in der SMS ein probates Hilfsmittel das zum guten Ton. gesehen wird, um sich zum Beispiel bei Reisen, wenn keine tägliche Lagesitzung abgehalten werden Dass Interviewte – ob Schauspieler, Aufsichtsrats- kann, ständig austauschen zu können. Dabei werden vorsitzende oder Politiker – diese Chance häufig eher vertikale Kommunikationsverbindungen zwi- beim Schopf ergreifen und nicht nur sprachliche schen Ministern und ihren Mitarbeitern aufrechter- Unreinheiten ausbügeln, sondern teilweise gravie- halten als horizontale, etwa zwischen Pressestellen rende inhaltliche Besserungen vornehmen, weil sich der einzelnen Ministerien: das Gesagte schwarz auf weiß doch schärfer liest, als es gemeint war, ist fast gängige Praxis. Gerade

Politiker-Interviews sind nach solchen publizistischen „Wir alle haben ein Alpha-Tier über uns, also den Liftings mitunter kaum wiederzuerkennen. Für Zeit- jeweiligen Minister, und haben dementsprechend Büroleiterin Brigitte Fehrle ist die Autorisierungsver- dieselbe Aufgabe. Wir treffen uns auch häufig auf einbarung zwischen Medienmachern und Politikern den Gängen, wenn wir unsere Minister im Schlepp- ein code dérangeant: überflüssig wie ein Kropf, weil tau haben. Da gibt es also einen ganz offenen Aus- Interviews unter solchen Bedingungen gleich schrift- tausch, aber keine verschworene Gemeinschaft der lich geführt werden könnten: „Die Autorisiererei in Sprecher.“ (Ulrike Hinrichs, Bundesministerium für Deutschland ist eine Unsitte. […] Dass es auch Poli- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) tiker gibt, die einzelne Zitate autorisieren wollen, geht meiner Ansicht nach zu weit.“ Welt-Chefin Mar-

garet Heckel kennt solche Extrawürste aus eigener Die durch die Möglichkeiten der SMS-Kommunikation Erfahrung: „Ich habe lange im Ausland gelebt und entstandenen Formen des informellen Austauschs im nie auch nur ein Interview autorisieren lassen. Wenn politischen Betrieb sind also vorrangig in der hierar- Sie mit einem Camcorder das Interview aufzeichnen, chischen Verständigung zwischen Ministern/ Man- gibt es keinerlei Murren, weil es eine Bild- und/ oder datsträgern und den zuständigen Öffentlichkeitsar- Tonaufnahme ist, an der es nichts zu mäkeln gibt.“ beitern gebräuchlich, werden jedoch (noch) nicht Schon deshalb sollten Wortjournalisten über Alterna- zur etwaigen Strategieabstimmung zwischen den tiven der Interview-Führung nachdenken. jeweiligen Pressestellen eingesetzt. Hier wird nach Was viele Berufsanfänger und Laien nicht wissen: wie vor eher das persönliche Gespräch gesucht, eine Eine rechtliche Basis für derlei Autorisierungen gibt ausführliche E-Mail verschickt oder zum Telefonhö- es nicht. Warum sich die Hauptstadtjournalisten rer gegriffen. trotzdem nicht dagegen wehren, liegt an den dro- henden Sanktionen der Politik, glaubt Roger Boyes:

51 „Das funktioniert als eine Art Strafe-Belohnungs- Kanzlerin auf den Leib geschneidert sei: „Frau Mer- System.“ Wer sich nicht an die Autorisierungsverein- kel zum Beispiel macht sehr wenig Interviews und barung halte, die bei Politiker-Interviews stillschwei- Pressekonferenzen, ihre Auftritte vor den Medien gend vorausgesetzt werde, dem könnten Steine in sind oft Statements, ohne dass Fragen geduldet den Weg gelegt werden, wenn er mit der gleichen werden. So versucht sie, ihr Bild in der Öffentlichkeit Person ein weiteres Interview führen möchte. Dage- zu kontrollieren. Das ist bei keinem so ausgeprägt gen helfe nur ein geschlossenes Vorgehen, meint wie bei Frau Merkel. Dazu gehört auch diese Pod- Holger Schmale von der Berliner Zeitung: cast-Geschichte.“ Spreng kann dem Podcast jedoch nicht nur Positives abgewinnen, sondern erkennt

darin auch Formen der Instrumentalisierung: „Ich empfinde die Autorisierungspraxis mit Politikern als Ärgernis. Das hängt allerdings sehr davon ab, mit wem Sie es zu tun haben. Es gibt außerordentlich „Diese Entmündigung der Journalisten ist aber das pingelige Politiker oder Sprecher von Politikern, und ausgewiesene Ziel vieler Politiker. Die meisten Politi- es gibt Leute, mit denen das überhaupt kein Prob- ker haben kein natürliches Interesse, der Vierten lem ist, weil sie dazu stehen, was sie sagen. Im Gewalt einen Gefallen zu tun und sich unter die Prinzip ist es aber ärgerlich, weil es die Authentizität Medienkontrolle zu stellen. Im Gegenteil: Sie wollen wegnimmt. Das hat natürlich keine rechtliche Grund- die Medien benutzen. Viele Politiker haben, so würde lage, aber wenn man sich über dieses Prinzip hin- ich das sagen, nur ein instrumentelles Verhältnis zu wegsetzt, wird man sanktioniert, weil man einfach den Medien, aber kein Überzeugungsverhältnis. Die kein Interview mehr bekommt. Ich kenne daher kein meisten Politiker sind ja nicht die leidenschaftlich- Hauptstadtmedium, das sich darüber hinwegsetzen sten Verfechter des Artikels 5 des Grundgesetzes. würde. […] Vor ein paar Jahren gab es eine Aktion, Die wollen die Medien für ihre Zwecke benutzen.“ ausgehend von der taz, die ein völlig verändertes (Michael Spreng, Medien- und Kommunikationsbera- Interview mit Olaf Scholz inklusive aller Markierun- ter) gen und Streichungen abgedruckt hat. Und daraus hatte sich eine Initiative entwickelt, bei der die Frankfurter Rundschau dabei war, die Süddeutsche, Als geglückter Entmündigungsversuch müsse gewer- der Tagesspiegel und wir. Wir haben an einem Tag tet werden, dass Ausschnitte aus der Videobotschaft gemeinsam in unseren Blättern thematisiert, warum bereits mehrmals in den Nachrichten einiger Fern- das Autorisieren ein Problem ist. Aber es hat nicht sehsender verwendet wurden. Auch der stellvertre- so weit gereicht, dass sich diese Zeitungen gegen- tende Regierungssprecher spricht bei wöchentlich seitig versprochen haben, dass sie nachträglich ge- rund 200.000 Zugriffen (Stand: Anfang 2008) auf änderte Interviews nicht drucken. Da war der Kon- den Kanzlerinnen-Service von einem Nutzererfolg; kurrenzgedanke wohl doch zu groß.“ (Holger die Verbreitung des Podcast dürfte durch Downloads Schmale, Berliner Zeitung) und private Weitergabe an andere Online- Plattformen allerdings noch höher liegen. Dennoch

sei die so genannte „Regierungskommunikation 2.0“ mit Vorsicht zu genießen, denn schließlich handele 4.3.7. Merkels Podcast: Moderne Kommuni- es sich bislang um ein Nischenphänomen. Auch ist kationspolitik oder Propaganda? das Internet Thomas Steg zufolge derzeit noch keine verlässliche Informationsquelle: Der Video-Podcast von Angela Merkel, abrufbar im Internet unter www.bundeskanzlerin.de, hat zweifel- los eine neue kommunikationspolitische Ära einge- „Über den Podcast beispielsweise erreichen wir viele läutet, obgleich die Deutung dieses Vorstoßes ins von den Jüngeren, die politische Informationsange- Virtuelle von Journalisten gegensätzlich beurteilt bote im Fernsehen nicht mehr nutzen. Aber jene, die wird: „Es schwimmt so herrlich im Strom der Web sich ohnehin nicht für politische Berichterstattung 2.0-Themen, und auch das gibt der Regierung auch interessieren, erreichen wir damit auch nicht. Und einen sehr modernen Anstrich“, diagnostiziert bei- das Problem der ‚information poor’ wird gravierender spielsweise Agenturjournalist Martin Bialecki (dpa). werden.“ (Thomas Steg, stellv. Regierungssprecher) „Das ist Schnickschnack. Ein Versuch, sich modern zu verkaufen und Medienkompetenz zu suggerieren. Wenn man sich das ansieht, merkt man gleich, dass In Journalistenkreisen stößt man gegenüber den sie keine Medienkompetenz hat“, meint dagegen Internet-Ambitionen der Kanzlerin auf Häme und Roger Boyes (The Times). Trotz der polarisierenden Ablehnung. Der Podcast sei „lächerlich“ (Fried), ein Wirkung auf die Berichterstatter ist Berater Michael „ungefiltertes Propaganda-Gebläse“ (Schwennicke) Spreng davon überzeugt, dass die wöchentliche und eine „kommunikative Einbahnstraße, die ärger- Online-Ansprache aus dem Bundeskanzleramt der 52 lich macht“ (Adler). Der Podcast stelle schon inso- Damit wird der Podcast der Kanzlerin gewisserma- fern eine Zäsur, als die Regierung damit die Medien ßen zum Sinnbild für die in der aktuellen Literatur umgehe und sich direkt an den Endnutzer wende, gelegentlich bemängelte Resistenz der Politik (s. sagt Martin Bialecki von der dpa: Kap. 2) gegenüber dem Berichterstattungsdruck der Medienszene. Bruns erachtet es ohnehin als Not-

wendigkeit, dass sich die administrative Logik der „Der Podcast ist ja insofern ein Novum, als die Re- Politik vom aufgeheizten Hochgeschwindigkeitsdis- gierung damit die Medien umgeht und sich direkt an kurs der Medien entkoppelt: „Zurzeit befinden wir den Endnutzer wendet. Also nicht mehr B2B, son- uns in einer überhitzten, fast revolutionären Phase dern direkt. Nun kennen wir das als Nachrichten- der Medien und der Politik“, glaubt sie und erkennt, agenturen ja schon etwas länger, weil die Medien wie auch Kollege Holger Schmale von der Berliner das ja selber auch tun und wir schon lange keine Zeitung, kaum noch überschaubare Wechselwirkun- Hoheit mehr über die Informationsnetze haben. Das gen, die es den Journalisten zunehmend erschweren ist seit vielen Jahren eine Tatsache. Insofern ist das zu unterscheiden, was genuin politisches Handeln mal eine Entwicklung, bei der die Agenturen ganz und was zum Zweck der Selbstdarstellung inszeniert weit vorne stehen, weil sie das schon kennen, dass wurde. Dennoch sei Politik durch ihre Folgen für die der Informationsgeber kein Zwischenmedium mehr Öffentlichkeit niemals vollends unabhängig von Me- nutzt, sondern sich direkt an den Bürger wendet.“ dieneinflüssen, stellt Christoph Schmitz fest: (Martin Bialecki, dpa)

„Die Rede von einer angeblichen Resistenz idealisiert „Ärgerlich“ macht der Podcast einige Hauptstadt- Politik auf eine Art und Weise, die wahrscheinlich journalisten vor allem deshalb, weil das Kanzleramt lebensfremd ist. Politik kann nicht vollkommen resis- an nachrichtenarmen Wochenenden seine Chefin tent gegen die Arbeitsweise von Medien sein, das schonen möchte und bei Presseanfragen keine ge- sollte sie auch nicht. Es gibt zwei Entwicklungen, die sonderten Interviewtermine gewährt, dafür aber mit der Entwicklung der Medien, aber auch mit dem neuerdings auf die Videobotschaft im Netz verweist. Zeitgeist zu tun haben: Zum einen die Fülle von Dabei reiche die Qualität keineswegs aus, bemän- Medien, zum anderen die ungleich höhere Bedeu- geln Sabine Adler und Ulrich Deppendorf – ganz tung, die elektronische Medien gewonnen haben. abgesehen von der Missachtung des journalistischen Nicht nur Radio und TV, sondern auch Online- Prinzips, nur selbst mitgeschnittenes Material für die Medien. Die Geschwindigkeit, mit der heutzutage wertvolle Sendezeit einzusetzen. Doch bleibt den Nachrichten umgeschlagen werden und allgemein Medienschaffenden im Notfall nichts anderes übrig, verfügbar sind, lässt keinen Politiker unberührt. Poli- den Podcast als eine „Stellungnahme wie jede ande- tiker werden viel häufiger zur Stellungnahme gebe- re auch“ (Lietz) zu behandeln. Und bei aller Kritik ten und müssen sehr viel schneller sprachfähig sein. muss selbst Dieter Wonka der Kanzlerin „Cleverness“ Und Fülle bedeutet auch ein Mehr an Differenzier- angesichts dieser „Investition in die Zukunft“ zuges- theit, es kommt also zu einer gewissen Verkürzung. tehen (Wonka). Im Fernsehen sind sowohl Privatsender als auch öffentlich-rechtliche Sender eher Boulevardmedien Demgegenüber heißt es aus dem engsten Mitarbei- als differenzierte Qualitätsmedien. Das schlägt voll terkreis Angela Merkels, der Podcast sei tatsächlich auf die Politiker durch. Sie haben dadurch einfach nur als Pressemitteilung gedacht gewesen. Die Me- weniger Möglichkeiten, politische Sachverhalte diffe- dien sollten durch diese Form der Direktkommunika- renziert darzustellen.“ (Christoph Schmitz, Fraktions- tion per Videobotschaft keineswegs umgangen wer- sprecher Die Grünen) den, stattdessen wolle man ihnen eine zusätzliche Informationsquelle anbieten. Außerdem sei es eine veritable Möglichkeit, jüngeren Menschen, die keine Die politische Kommunikation hat sich unter Berliner Zeitung lesen, Politik über das Internet zu vermit- Bedingungen also radikal gewandelt: Nicht nur hat teln. Daneben stünden der Kanzlerin in Deutschland sich der Umschlagplatz für Informationen verdichtet, ohnehin nur wenige Möglichkeiten offen, sich unmit- ist der Konkurrenzdruck der Medien untereinander telbar an die Bevölkerung zu wenden, verteidigt immens gewachsen, sondern hat sich auch der Thomas Steg den Podcast: „Die Regierungschefin Journalismus nach Ansicht der Befragten (noch wei- kann einmal im Jahr, und zwar am Silvesterabend, ter) von der lebensweltlichen Realität der Bürger eine Fernsehansprache halten. In anderen westli- entfernt. Dazu beigetragen hat nicht nur die neue chen Demokratien haben Regierungschefs andere ‚Metropolenkultur’ und die daraus resultierende Möglichkeiten, über Ansprachen direkt zu kommuni- Selbstüberschätzung vieler Beteiligter, sondern auch zieren.“ Dass bei Interviewanfragen am Wochenen- die zunehmende Durchlässigkeit zwischen handeln- de teilweise auf den Podcast verwiesen werde, sei der Politik, Politikberatung und Medienbranche. So aufgrund terminlicher Engpässe völlig legitim. 53 wird der Bedarf an professioneller Medien- und 4.3.8. Politische Kommunikation: Zusammen- Kommunikationsberatung zwar generell als hoch fassende Thesen eingeschätzt, doch verfügen viele Dienstleister in diesem vergleichsweise jungen Berufsfeld noch über ƒ Das Treibhausklima in Berlin gleicht einer eine unzureichende Medienkompetenz – die Folge: „Kommunikationsblase“, in der sich Vertreter Parteien, Ministerien und Senatskanzleien werben von Medien, Politik und Beraterbranche immer offensichtlich immer häufiger Redakteure und Kor- deutlicher von den tatsächlichen Problemen der respondenten ab in der Hoffnung, ihre journalisti- Bevölkerung entfremden. Diese Realitätsferne schen Kontaktmöglichkeiten verbessern und ihren drückt sich sowohl in den Themen der Bericht- Medieneinfluss vergrößern zu können. Problematisch erstattung aus als auch in der Entstehung einer wird dieser Rollentausch vor allem dann, wenn ‚ver- hochsensitiven „nervösen Zone“ in Berlin-Mitte, deckte’ Beratungsleistungen in informellen Hinter- aus deren Dunstkreis Journalisten und Politiker grundgesprächen zwischen Journalisten und Politi- offenbar immer seltener ausbrechen (können). kern ausgetauscht werden. Weniger kritisch wird von den Befragten hingegen der Einfluss durch ƒ Die Politikberatung trägt in Berlin überwiegend Interessenvertreter der Wirtschaft gewertet, aller- den Charakter punktueller Dienstleistungen und dings aus der Überzeugung (oder Illusion?) heraus, erreicht bei weitem nicht die strategische Be- dass Journalisten immun gegen Lobbyarbeit seien. deutung, die sie in anderen Ländern hat (z. B. Völlige Transparenz in der täglichen journalistischen bei Alistair Campbell unter dem britischen Pre- Berichterstattung im Kontakt mit Lobbyisten ist für mierminister Tony Blair). Medien- und Kommu- viele zumindest unabdingbar. nikationsberatung wird größtenteils parteiintern, etwa durch die Presseabteilungen, geleistet; Im Gegensatz zum teils kumpelhaften, teils arrogan- unabhängige Kommunikationsberater wie Mi- ten Umgang mit den Hauptstadtjournalisten unter chael Spreng sind in Deutschland die absolute der Regierung Schröder hat Angela Merkel einen Ausnahme. Paradigmenwechsel in der Regierungskommunikati- on eingeläutet: Das Klima zwischen Berichterstattern ƒ Interessensvertreter aus Verbandswesen und und Spitzenpolitikern ist merklich distinguierter, was Wirtschaft haben einen anhaltend hohen Ein- aber von einigen Befragten durchaus als angenehm fluss auf die politische Kommunikation. Ihre Rol- empfunden wird. Ob die Bundeskanzlerin und ihre le bei parlamentarischen und ministerialen Ent- Regierungsmitglieder ihrerseits auf eine eher höfli- scheidungsprozessen werten die Befragten der che oder eher höfische Medienzuneigung spekulie- Studie als überaus bedeutsam und effektiv. Im ren, bleibt offen – vermutlich aber von beidem et- Journalismus wird die Einflussnahme lobbyisti- was. Dafür spricht jedenfalls der rege Informations- scher Gruppen dagegen als eher gering einge- austausch, etwa, wenn Politiker die Pressevertreter schätzt bzw. gilt unter den Befragten als kontrol- aus noch laufenden Sitzungen per SMS Ergebnisse lierbar. anvertrauen, andererseits aber bei öffentlichen In- ƒ Politiker können die Politikberichterstattung nach szenierungen peinlich genau darauf achten, nur ja Einschätzung der Befragten taktisch durchaus im rechten Licht zu erscheinen. Die Autorisierungs- beeinflussen – und machen von den ihnen zur praxis, ein Übel noch aus Bonner Zeiten, wurde erst Verfügung stehenden Möglichkeit auch regen in der Hauptstadt derart perfektioniert, dass Journa- Gebrauch: Dazu gehören etwa die formlose listen inzwischen unter einer rigiden Sanktionspolitik Kommunikation via SMS zur Erwirkung gegen- zu leiden haben. Der wöchentliche Tanz der Kanzle- seitiger Gefälligkeiten oder die übliche, aber läs- rin auf dem virtuellen Parkett wirft schließlich die tige Autorisierungspraxis bei Interviews, die zur Frage auf, welche Aufgabe die Korrespondenten völligen Entstellung des Gesagten führen kann. angesichts solcher Podcasts in Zukunft überhaupt Als besonders einschneidend gelten auch die noch ausfüllen. Auch deshalb hat das zunehmende von Regierungsstellen und Parteien lancierten Engagement der Regierung im Internet Symbolkraft: Videobotschaften im Internet (Podcast), die ei- Die Politik kann die Medien auf diese Weise besser nen bedeutsamen Schritt zur Umgehung der abwimmeln, sei es bei Interviewanfragen oder ak- journalistischen Gatekeeper-Funktion darstellen. tuellen Stellungnahmen. Es genügt der Verweis, dass mit der Videobotschaft eine reiche Informati- onsquelle zur Verfügung steht.

54 4.4. Die Berliner Recherche-Netzwerke

Das Überangebot elektronischer Medien führt nach 4.4.1. Recherche-Besonderheiten in Berlin Ansicht von Peter Frey (ZDF) zu einem weiteren Problem: Es werden immer weniger originäre Ge- In Berlin hat sich ein ganz spezielles Recherchemi- schichten recherchiert, die Berichterstattung neige lieu herausgebildet, das zugleich durch Informati- zum homogenen Einheitsbrei. Severin Weiland onsüberlastung und vielfältige informelle Kontakte (Spiegel Online) bestätigt, dass die Halbwertszeit gekennzeichnet ist. Aus den Aussagen der Befragten selbst von Exklusivinformationen geringer werde: folgern wir, dass sich die Möglichkeiten der Informa- „Auf dem politischen Markt gibt es heutzutage kaum tionsbeschaffung vervielfacht haben, was allerdings noch Exklusivität, also Exklusivität im engeren Sinne die Qualität der Recherche beeinträchtigt: Dem poli- von: Wir decken die Barschel-Affäre auf. Oder den tischen Berichterstatter stehen zwar allerhand Re- Neue-Heimat-Skandal der Gewerkschaften in den cherchequellen zur Verfügung, doch ob es sich dabei 1980er Jahren.“ Paradoxerweise steigt der Druck auf um verlässliche Informationen handelt, und welche die Redaktionen, eigenständige Themen zu recher- Absichten ein Informant verfolgt, wird immer chieren, die für Aufsehen sorgen und die eigene schwieriger einzuschätzen. Unter dem Einfluss der Medienmarke vom restlichen Nachrichtenfeld abset- elektronisch verdichteten Kommunikationssphäre zen. Dies führt nicht nur zu Extrapolierung und wurde eine Informationsflut ausgelöst, die den Ar- Überspitzung in der Politikberichterstattung, sondern beitsalltag der Korrespondenten immens behindert; auch zur Betonung politischer Konflikte. Ulrike Hin- durch die Digitalisierung hat das Versenden unauf- richs, Pressesprecherin und ehemalige Fernsehjour- gefordert eingesandter Pressemitteilungen Ausmaße nalistin, sieht darin ein Rechercheproblem: angenommen, die zu einer schnellen Überfüllung der E-Mail-Postfächer führen und die effektive Selektion relevanter Meldungen erheblich erschweren, wenn „Zu einer Recherche gehört für mich immer auch die nicht unmöglich machen. Um sich vor einer solchen Gegenrecherche. In meiner Ausbildung habe ich mal Bombardierung mit unwichtigem PR-Material zu gelernt – und leider verschwimmt dieser Grundsatz schützen, geben die Berlin-Berichterstatter ihre E- merklich in der alltäglichen Berichterstattung –, dass Mail-Adressen daher nur noch selten an Presseabtei- man denjenigen, der betroffen ist, auch zu Wort lungen weiter. Redaktionsinterne Filter wie der aus- kommen lässt. Das geschieht aber im Zweifelsfall schließliche Empfang von Pressemitteilungen per immer seltener. Da reagiert dann auch unser Minis- Faxgerät ändern an diesem Hauptproblem bisher ter.“ (Ulrike Hinrichs, Bundesministerium) wenig.

Umso wichtiger geworden sind persönliche Kontakte zwischen Journalisten und Politikern, vor allem, um Gerade diese Form der ‚One-Way-Recherche’ scheint besser einschätzen zu können, was im Politikbetrieb sich jedoch aus Sicht vieler Journalisten zu rentie- wirklich vor sich geht. Gegenseitiges Vertrauen ist ren: Politische Scharmützel, ob nun faktisch gege- nach Ansicht vieler Hauptstadtjournalisten somit zur ben oder journalistisch konstruiert, steigern den wichtigsten Währung im Berufsalltag geworden, um täglichen Informationsbedarf: Der Journalist kann bei der chronischen Informationsüberflutung den solche Themen über Tage, mitunter Wochen ‚wei- Überblick zu behalten. Geeignete Möglichkeiten der terdrehen’, indem er einfach immer neue Versatz- Recherche umfassen deshalb in erster Linie eigenini- stücke nachlegt. Die Publikation bruchstückhafter tiierte Hintergrundgespräche und die Kontaktauf- Rechercheergebnisse resultiert dabei aus der ver- nahme zu politischen Schaltstellen auf offiziellem schärften Wettbewerbssituation unter den Haupt- Wege über Pressestellen sowie förmliche Anfragen stadtmedien (vgl. Kap. 4.2). Für Lehrbuchrecher- bei den Büros der Politiker. Bei diesem Vorgehen chen, da sind sich die Befragten weitgehend einig, macht sich der Journalist allerdings abhängig von fehlt dagegen häufig die nötige Zeit und Geduld. der Auskunftswilligkeit der jeweiligen Akteure und Obwohl mittlerweile auch einige Online-Anbieter wie von den Zugängen, die ihm die politische Öffentlich- Spiegel Online über fürstliche Redaktionsetats verfü- keitsarbeit eröffnet. Indem die Hauptstadtjournalis- gen und es sich potentiell leisten können, aufwändi- ten persönliche Bande knüpfen, versuchen sie diese ge Recherchen trotz Zeitknappheit zu leisten, sind strikten hierarchischen Verteilmechanismen auszu- die Journalisten allerdings oftmals nicht bereit, fri- hebeln, um etwa zu verhindern, dass ein Rückruf auf sche Informationen zurückzuhalten. Um das schnell- eine Anfrage zu knapp vor Redaktionsschluss oder ste Medium zu sein, werden Recherchen häufig vo- zu spät erfolgt. rab in Teilen veröffentlicht, und auf diese Weise 55 zwangsläufig aus ihrem Gesamtkontext gerissen. wäre langweilig, würde in jeder nur, nach gelegent- Diese Verhackstückung komplexer Recherchezu- licher FAZ-Art, das Protokoll der Bundesrepublik sammenhänge durchkreuzt vor allem denjenigen notiert werden. Ich lerne gelegentlich auch von der Periodika die Themenplanung, die in größeren Inter- Bild-Zeitung, etwa welche Themen man aufgreifen vallen erscheinen, zum Beispiel dem Spiegel: „Was könnte.“ (Dieter Wonka, Leipziger Volkszeitung) auf einer Blattkonferenz am Anfang der Woche ex- klusiv scheint, ist am Ende der Woche schon von vielen gemeldet worden, zumal auch die Tageszei- Die Sichtung von Tageszeitungen bildet damit so- tungen immer mehr Magazinelemente übernehmen.“ wohl für Redaktionsleiter und Redakteure als auch (Severin Weiland, Spiegel Online) Eine Ausnahme für die Korrespondenten eine solide Ausgangsbasis bilden die Leitwölfe und Meinungsführer unter den für weitergehende Recherchen, die von routinemä- Hauptstadtjournalisten, die ohne Terminzwänge ßigen Online-Recherchen und Telefonaten mit Pres- vergleichsweise luxuriös und unbeeindruckt von sestellen und Kollegen begleitet werden, um tiefer in organisatorischen Störfaktoren ihren Themen nach- das gewünschte Themengebiet einzusteigen. Den spüren können. Dieter Wonka (Leipziger Volkszei- Rest des Tages bestreiten die befragten Korrespon- tung) merkt kritisch an, dass das politische Alltags- denten dann meist mit Orts- und Interview- geschäft für investigative Recherchen jedoch weit- Terminen im Parlament, in der Bundespressekonfe- gehend unergiebig sei: renz oder in den einzelnen Bundesministerien. We- gen der allseits gewünschten crossmedialen ‚Syner-

gieeffekte’ zwischen verbundenen Redaktionseinhei- „Aber es gibt ja die professionalisierten investigati- ten ist vor allem der Koordinationsbedarf gestiegen. ven deutschen Alpha-Journalisten, die gut davon Am Beispiel des Axel Springer Verlags erläutert Re- leben, dass sie ihre von Staatsanwälten zugeliefer- daktionsleiterin Margaret Heckel, dass durch die ten Papiere dann als investigative Recherche ausge- Zusammenlegung der Redaktionen von Welt, Welt ben. Manchmal ist das, was man in der Politik am Sonntag und Berliner Morgenpost jeweils mehr ,findet‘, auch bedeutsam – einfach dadurch, dass Personalressourcen zur Verfügung stünden, wodurch man darüber schreibt. […] Im kriminellen Bereich intensivere Recherchen ermöglicht und vertieft wür- kann man sicherlich eher punkten, doch so kriminell den. Auch Günter Bannas (FAZ) pocht auf solide ist die Politszene dann doch nicht.“ (Dieter Wonka, Recherchen: „Manchmal ist es schwer, Informatio- Leipziger Volkszeitung) nen zu bekommen. Manchmal ist es leicht. Manch- mal wird man auch benutzt. Aber was will man da-

gegen tun?“ Wer möglichst viele Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammentrage, verringe- 4.4.2. Recherchealltag der Hauptstadtjour- re natürlich das Risiko, Recherchefehler zu machen nalisten oder Informanten zu enttarnen. Dennoch werde oftmals kostbare Arbeitszeit verplempert, weil man Der Recherchealltag der befragten Hauptstadtjour- mit überflüssigen Informationen zugeschüttet wer- nalisten verläuft relativ simultan: Er beginnt mit der de, meint Bannas. Sich auf das Wesentliche zu kon- Morgenlektüre dessen, was die Konkurrenzmedien – zentrieren, werde durch die digitalen Kanäle schwie- vor allem die täglich und wöchentlich erscheinenden riger. Vor allem die Arbeit von Nachrichtenagentu- Leitmedien FAZ, FAS, Süddeutsche Zeitung, Die ren, die den angeschlossenen Medienhäusern immer Welt, Welt am Sonntag, Die Zeit, Stern, Bild, Bild am häufiger einen Full-Service anbieten, sind diesbezüg- Sonntag, Der Spiegel und Spiegel Online – publizie- lich Symptom und Triebkraft, erklärt Thomas Rietig ren. Deren Themenspektrum beeinflusst zweifellos (Associated Press): die Agenda fast aller anderen Medien, indem sie meist den Auftakt für Eigenrecherchen geben (vgl. Kap 4.2). Die Korrespondenten beschränken sich „Die Grundidee der Agenturen ist, dass sich Medien laut Dieter Wonka (Leipziger Volkszeitung) dabei zusammenschließen, um Korrespondenten auf Ter- allerdings nicht auf das reine Wiederkäuen von Leit- mine zu schicken, die sie sich als einzelne Zeitungen artikeln und Kommentaren, sondern nehmen die oder Rundfunkanstalten nicht leisten können. Eine Sichtweisen dieser Blätter zum Anlass, eigene The- Recklinghäuser Zeitung kann es sich sicherlich nicht sen zu entwickeln oder Themen stärker zu regionali- leisten, bei allen EU-Gipfeln und allen Kanzlerin- sieren: Reisen dabei zu sein, von denen letztere jeweils einen Wert von jeweils etwa 5.000 Euro haben, also Arbeitszeit und Spesen inklusive Flugrechnung. Das „Ich lese jeden Tag ein rundes Dutzend Tageszei- ist der Grund, aus dem sie Agenturen haben, damit tungen und die wichtigsten Magazine. Man sollte die das für sie erledigen. […] Wir haben festgestellt sich bewusst sein, dass man immer noch von guten […], dass das Interesse unserer Kunden an werten- Kollegen lernen kann. […] Die Zeitungslandschaft 56 den und kommentierenden Stücken von Agenturen umso höher ist, je weiter sie von diesem Haupt- Der offizielle Rechercheweg wird durch Pressestellen stadtjournalismus weg sind – was nicht unbedingt und ihre Sprecher kanalisiert. Entsprechend haben geographisch gemeint ist, sondern auch mental. […] sie für die Recherchequellen der Korrespondenten Die Unterscheidung zwischen Kommentar und Nach- eine eher untergeordnete Bedeutung. Es gehöre viel richt beschäftigt nun die Agenturen, und ich begrüße Glück dazu, kompetente Leute unter den Öffentlich- das, weil wir mehr Verantwortung dadurch haben keitsarbeitern zu finden, meint Sabine Adler und es mir ermöglicht, bei den Sachen, wo ich mich (Deutschlandfunk). Sie telefoniere gerne mit Presse- auskenne, auch tatsächlich werten zu können, also sprechern, aber nur „wenn sie gut sind“. Jens König schreiben kann, wenn jemand ,hüh‘ sagt, aber ,hott‘ (ehem. taz) dagegen habe überwiegend negative meint.“ (Thomas Rietig, Associated Press) Rechercheerfahrungen gemacht, weil die Pressestel- len etliche irrelevante Informationen verbreiteten: Weil sie das Angebot über ihren Kernbereich der informierenden Darstellungsformen hinaus auf Wer- „Pressestellen rangieren in der Rangfolge meiner tungen und Analysen ausdehnen, ersetzen die Nach- Quellen ganz hinten. 90 Prozent der Pressemittei- richtenagenturen nicht nur einen Teil der Eigenre- lungen werfe ich ungelesen sofort in den Papierkorb. cherchen in den chronisch unterfinanzierten Regio- Nach dem Lesen der restlichen zehn Prozent bleibt nalredaktionen. Sie fördern zugleich den Verzicht vielleicht ein Prozent übrig. Mit dem Material kann ihrer Kunden auf eigene Kommentierungen von man arbeiten.“ (Jens König, ehem. taz) politischen Ereignissen und Prozessen, wodurch sich – neben der Informationsleistung – auch Sichtwei- sen und Positionen annähern, die bis dato die politi- Wer sich bei der Informationsbeschaffung eine ge- sche Identität unterschiedlicher Medien ausmachen. wisse Unabhängigkeit von den Pressestellen bewah- ren kann, indem er auf ein eigenes Recherche Netz- werk zurückgreift, steht nach Angabe der Befragten 4.4.3. Zusammenarbeit mit Pressediensten auch weniger unter Zeitdruck. Die Parlamentsberich- terstatter sind bei Anfragen häufig auf die Aus- 4.4.3.1 Recherchequelle Pressestellen kunftswilligkeit der Pressestellen angewiesen, die aus taktischen Gründen inzwischen sogar die Zeit bis Die Recherchearbeit wird den Befragten von der kurz vor Redaktionsschluss abwarten, um ihre Sta- aktuellen politischen Agenda quasi vordiktiert. Die tements möglichst eins-zu-eins in den Zeitungen zahlreichen Pressetermine, auf denen sich Politiker, unterzubringen. Dennoch können nur die wenigsten Sprecher und Berichterstatter in einem formellen Journalisten auf den Kontakt zu Pressesprechern Rahmen begegnen, ist daher auch ständiges Thema verzichten, weil diese die strategische Kommunikati- in Redaktionskonferenzen und erfordert eine mög- on und die Terminkoordination von Politikern fast lichst eingehende Auslotung ihrer tatsächlichen Re- vollständig übernommen haben. Abgesehen von levanz. Da nie ausgeschlossen werden kann, dass informellen Kontakten sind Pressesprecher oft der auf Pressekonferenzen, Podiumsdiskussionen, bei einzige Schlüssel für die Korrespondenten zur han- Pressegesprächen und Präsentationen wichtige Sta- delnden Politik. Weil Insider-Wissen aus dem Politik- tements oder Wertungen über anstehende politische betrieb wegen der Schleusenwärter aus den Presse- Entscheidungen abgegeben werden, befinden sich stellen nur noch selten zu den Journalisten vor- die Berichterstatter in einem ständigen Konflikt, dringt, geraten diese immer häufiger an Lobbyisten welcher Veranstaltung sie letztlich den Vorzug ge- und Interessensvertreter aus der Wirtschaft, die ben. Auf die Frage hin, welche Termine unbedingt gerne zu sachbezogenen Gesprächskreisen einladen, wahrzunehmen sind, verweist Thomas Kröter wie der Generalbevollmächtigte des Stromriesen (Frankfurter Rundschau) auf den Unterschied zwi- EnBW, Jürgen Hogrefe, am Beispiel des Emissions- schen formellen und informellen Orten des Aus- handels erklärt: tauschs mit Politikern:

„Wir laden aber auch selbst zu Gesprächen ein, um „Aber selbstverständlich bleibt es sinnvoll in den sachlich zu informieren; nicht nur in unsere eigenen Bundestag zu gehen und am Rande einer Debatte Räume, sondern auch in neutrale Umgebungen. Wir diesen und jenen zu treffen. Da erfährt man dann haben gelernt, dass Journalisten heute häufig viel zu auch dieses und jenes – ohne die Preise der wenig Zeit haben, um sich mit so komplexen The- ,Powerbroker‘-Lokale wie dem Borchardt zahlen zu men wie Emissionshandel immer gründlich zu be- müssen.“ (Thomas Kröter, Frankfurter Rundschau) schäftigen. Wir verstehen unsere kompakte Informa- tion in diesem Sinne auch als Serviceangebot an 57 Journalisten. Ein guter Journalist hat stets mehr als fen“.5 Längst aber ist diese Unterrichtung nicht mehr eine Quelle.“ (Jürgen Hogrefe, EnBW) exklusiv den Journalisten vorbehalten. Wurden Fern- sehkameras erst im späten Verlauf der 1960er Jahre

zugelassen, werden die Konferenzen heute regelmä- Ungeachtet dessen, dass die Dienste der Pressestel- ßig auf Spartensendern wie Phoenix live und aus- len mitunter nicht ohne weiteres als Rechercheersatz schnittsweise in den Nachrichten der Vollprogramme angenommen werden, ist das persönliche Verhältnis übertragen. Das hat zum einen zu einer Attraktions- zwischen Journalisten und Pressesprechern überra- steigerung der BPK für Politiker geführt, da sie auf- schenderweise durch professionelle Wertschätzung grund der Kamerapräsenz eine breitere Öffentlich- und Vertrauen charakterisiert. Eine Ursache hierfür keit erreichen, zum anderen zu einer drastischen liegt sicherlich darin, dass manche Korrespondenten Verringerung der Teilnahmezahlen von Journalisten. befürchten, von den Informationskanälen der Pres- Schon zu ihrem 50-jährigen Bestehen 1989 wurde sestellen irgendwann abgeschnitten zu werden und kritisiert, dass angesichts der Mitgliederzahlen die dadurch ihre zeitnahe Berichterstattung gefährden, Vermutung nahe liege, „dass das Platzangebot bei sobald es um dringende Anfragen an Ministerien und weitem unzureichend ist“. Dies sei in der Praxis Regierung geht. Für Pressesprecher, deren Erfolg „aber nur ausnahmsweise der Fall: bei Pressekonfe- ihrer politischen Öffentlichkeitsarbeit sich an einem renzen des Bundeskanzlers oder aus Anlass des reibungslosen Umgang mit der Presse bemisst, er- Auftritts prominenter ausländischer Politiker“.6 Die gibt sich daraus ein Dilemma, sagt Iris Bethge (Bun- journalistische Absenz hat sich heute noch um eini- desministerium für Soziales, Familie, Frauen und ges verstärkt. Auf die Frage hin, welche Bedeutung Jugend): die Berliner BPK habe, antwortet Holger Schmale von der Berliner Zeitung:

„Das Hauptproblem ist, dass für die Medien der Druck sehr hoch ist, immer wieder neue Nachrichten „Da hat die Qualität und die Bedeutung der BPK, mit in die Redaktion zu bringen. Vieles wird anges- was den Alltag angeht, gegenüber Bonn sehr verlo- pitzt. In Gesprächen kommt es oft darauf an, jedes ren. Das liegt auch an den Wegen: In Bonn war man Wort abzuwägen, eine Schere im Kopf zu haben und einfach schnell zu Fuß in der BPK, und es gab da- mitzudenken, was davon über den Ticker gehen mals nur eine Ton-, nicht aber eine Videoübertra- könnte. Ich höre oft: Das Interview lohnt sich für gung. Jetzt sind über das Fernsehen alle Hauptstadt- uns als Blatt nur, wenn wir in der die Tagesschau redaktionen zugeschaltet in die BPK, und das nutzen zitiert werden. Das ist schade, weil dann vieles ver- auch wir rege, weil wir noch weiter als andere vom loren geht. Denn bei jedem Satz, muss man überle- Pressehaus entfernt sitzen. Das hat natürlich unmit- gen, ob das nicht schon die Schlagzeile ist.“ (Iris telbare Folgen für die Fragestellungen in der BPK, Bethge, Pressesprecherin Bundesministerium für weil einfach viel weniger Kollegen dort sind.“ (Holger Soziales, Familie, Frauen und Jugend) Schmale, Berliner Zeitung)

Die Kollegialität setzt somit die ‚natürliche’ Rollendis- Obwohl im Mai 2008 925 Journalisten in der BPK tanz zwischen Hauptstadtjournalisten und Presseleu- akkreditiert waren, hat ihre Relevanz nach Einschät- ten außer Kraft. Die Wahrnehmung ihrer wichtigen zung der Befragten wesentlich abgenommen. Sie gilt journalistischen Kontrollfunktion wird dadurch mögli- längst nicht mehr als der Ort, an dem – wie noch zu cherweise verwässert, wenn nicht unmöglich ge- Konrad Adenauers Zeiten – politische und publizisti- macht – auch durch die Furcht vor Sanktionierungen sche Konflikte ausgetragen wurden.7 Die Teleprä- bei allzu forderndem Auftreten, die vor allem freie senz weckt den Schlendrian im Journalisten, der sich Journalisten und Korrespondenten regionaler Zei- darauf verlässt, dass die (wenigen) anwesenden tungen vor große Herausforderungen stellen. Kollegen die richtigen Fragen stellen und damit seine Arbeit erledigen. Bei ausgedünnter Teilnehmerzahl

sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass von Journa- listenseite überhaupt (kritische) Nachfragen gestellt 4.4.3.2. Rechercheangebote der Politik

Die Grundidee für die Einrichtung der Bundespresse- 5 Abzurufen unter: konferenz (BPK) im Jahr 1949 war, möglichst http://www.bundespressekonferenz.de/content-details.php?105 6 Martenson, Sten (1989): Parlament, Öffentlichkeit und Medien. schnell, unmittelbar und mit der Möglichkeit des In: Schneider, Hans-Peter/Zeh, Wolfgang (Hg.) (1989): Parla- kritischen Nachfragens objektive Informationen aus mentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutsch- der Bundespolitik zu beziehen. Laut Satzung ist es land. Ein Handbuch. Berlin: Walter de Gruyter, 261-288, hier: 276. ihr Zweck, „Mitgliedern Möglichkeiten einer umfas- 7 Vgl. Krüger, Gunnar 2005: „Wir sind doch kein exklusiver Club!“ senden Unterrichtung der Öffentlichkeit zu verschaf- Die Bundespressekonferenz in der Ära Adenauer. Münster: Lit. 58 werden. Ebenso steigt die Gefahr reiner Verlautba- Unter der Großen Koalition wurde von Regierungs- rungspolitik, weil den Politikern in der BPK eine Büh- seite eine regelrechte Informationsoffensive gestar- ne zur Selbstdarstellung geboten wird – Thomas tet: Auf www.cvd.bundesregierung.de werden ne- Wittke vom Bonner General-Anzeiger und Vor- ben aktuellen Terminen auch eigens erstellte Proto- standsmitglied der BPK argwöhnt daher, dass für kolltexte aus den Pressekonferenzen der Bundesre- Ursula von der Leyen und Sigmar Gabriel im Grunde gierung und der Bundesministerien für akkreditierte schon „ein Bett aufgestellt“ werden könne. Auch Journalisten zum Abruf bereitgestellt. Ein weiterer Jens König (ehem. taz) spricht von einem „interes- Service, der sich nicht ausschließlich an Journalisten, santen Schauspiel“: „Ich zeige das gerne Volontären sondern an die allgemeine Öffentlichkeit richtet, ist und Praktikanten, damit sie verstehen, wie der poli- die in Kapitel 4.3 erwähnte Videobotschaft der Kanz- tische Zirkus hier funktioniert. In der Bundespresse- lerin im Internet. Als Recherchequelle wurde der konferenz bekomme ich nur wenige relevante In- Podcast bisher allerdings nur vereinzelt akzeptiert. formationen. Sie ist für meine Arbeit nicht wirklich Vielmehr sind einige der Befragten überzeugt, dass wichtig.“ das wöchentlich veröffentlichte Online-Angebot die journalistische Recherche- und Selektionsfunktion Nach Ansicht der Hauptstadtjournalisten wurde die umgehe, weil die „Medien als Filter“ außer Kraft Funktion der BPK also nicht nur durch das durch das gesetzt würden, erklärt Margaret Heckel (Die Welt). Fernbleiben der akkreditierten Journalisten ge- schwächt, sondern auch dadurch, dass sie zum Christoph Schmitz (Bündnis 90/ Die Grünen) hält „Showcase“ verkommen sei. Allerdings werde auf den Podcast dagegen für eine „geschickte Art von kritische Nachfragen nicht oder nicht ausreichend Pressemitteilung“, die durch die audiovisuelle Prä- auch deshalb eingegangen, weil die auftretenden sentation der Kanzlerin besonders authentisch sei. Sprecher der Ministerien größtenteils „Worthalter“ Demnach ist das Material als journalistische Quelle seien, die keine Mitteilungsbefugnis außer den ver- ebenso verwertbar wie eine gedruckte Erklärung, die breiteten Erklärungen hätten, kritisiert Wittke: „Wir über alle zur Verfügung stehenden Verteilnetze ge- leiden extrem darunter, wie die Regierung ihre Öf- streut wird – wenn nicht sogar wertvoller. Nichtsdes- fentlichkeitsarbeit versteht: durch Blockieren, totrotz hält sich die Begeisterung ob des zusätzli- Mauern, Informationsreduktion auf das Unwesentli- chen Quellenangebots in Grenzen, weil es zum Er- che.“ Dadurch entsteht wiederum bei den Journalis- satz für notwendige Recherchevorgänge wie Inter- ten der Eindruck, sie verschwendeten ihre Zeit und views mutiert. Zum Ärger vieler Fernsehjournalisten verfolgten das Geschehen von ihrem Büro aus per quittieren die Regierungssprecher Anfragen vor al- Bildschirm. Wittke nennt das den „Fluch der Prä- lem am Wochenende häufig mit einem Verweis auf senz“, der selbst durch die anstehende Reorganisa- die Videobotschaft, weil nach offiziellen Angaben die tion der BPK kaum aufzufangen sei: Zeit fehle, den gewachsenen Bedarf an Statements zu befriedigen. Ulrich Deppendorf von der ARD da-

gegen hält ein solches Vorgehen für unzulässig, da „Gemeinsam mit dem Problem der Informationsver- auf diese Weise an zwei Tagen in der Woche journa- weigerung trägt das zum Bedeutungsverlust der BPK listische Fragemöglichkeiten unterbunden werden: bei, was dazu führt, dass wir eine Reformausschuss-

Gruppe zusammengesetzt haben, die sich Gedanken über den Umbau der PKs macht, um sie attraktiver „Wir haben einmal einen Podcast als Quelle genom- zu gestalten. Ob diese Maßnahmen langfristig tra- men, das war ein Ausschnitt aus der Wochenend- gen, bezweifle ich, weil die Grundstruktur der inter- ansprache von Frau Merkel, da stand sie einfach essensgeleiteten Informationsgewährung bestehen nicht zur Verfügung. Das haben wir aber auch ge- bleibt.“ (Thomas Wittke, Bonner General-Anzeiger) kennzeichnet. Doch grundsätzlich müssen wir eine Grenze ziehen. Wir dürfen unsere journalistische

Rolle nicht aufgeben.“ (Ulrich Deppendorf, ARD) Dass BPK ein inhaltsarmes Schaulaufen ist, tritt laut

Holger Schmale immer dann offen zutage, wenn Spitzenpolitiker wie die Kanzlerin zu Gast sind und Demgegenüber hält Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ sich viele hochqualifizierte und in ihrer Arbeit an- n-tv) die Ablehnung des Podcast als Quelle für un- sonsten ausgesprochen reflektierte und kritische journalistisch. Schließlich sei es dem Zuschauer Journalisten als zahnlose Tiger erweisen, indem sie herzlich egal, welcher Sender für welche Medien- plötzlich das kritische Nachhaken verlernt zu haben marke einen Politiker interviewt habe, oder ob es scheinen. Andererseits wird auch bemängelt, dass sich um ein vorgefasstes Statement handele. Seine gerade Angela Merkel sich zu selten den Fragen der Meinung bleibt aber die Ausnahme: Die Mehrheit der Journalisten stelle. befragten Hauptstadtjournalisten erklärt sich unzuf- rieden über die aktuelle Recherchesituation am Wo- chenende und den Versuch des Kanzleramts, seine 59 Botschaften direkt und ohne Einordnung von Journa- ten, konventionellen Charakter eines Briefes, bzw. listen direkt an die Bevölkerung zu senden. Die An- Faxes hat, den man eigentlich beantworten ,muss‘ gebotserweiterung der Politik ist für die journalisti- und wo es kein Affront ist, wenn man es nicht sche Recherche also durchaus ambivalent. macht“, sagt Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv). Als Einwegbotschaft ohne Antwort liefert die Kurz-

mitteilung nackte Information, bleibt aber auch nicht mehr als ein Signal. Vor jeder wichtigen Ausschuss-, 4.4.3.3. Rechercheinstrumente Gremien- oder Ministeriumssitzung versuchten Jour- nalisten, „Drähte zu legen“, wie Martin Bialecki (dpa) In der persönlichen Informationsbeschaffung wer- es ausdrückt: „Ich frage mich, wie das eigentlich vor den elektronische Kommunikationsmittel wichtiger. der SMS war. Ohne SMS wäre unsere Geschwindig- Es gilt: Je mobiler ein Journalist seine Recherchen keit in der Berichterstattung aus wichtigen Verans- erledigt, desto effektiver kann er sich im unentweg- taltungen bedeutend langsamer.“ Dafür brauche ten Nachrichtenstrom bewegen. Obgleich das her- man aber gute Kontakte, anonym funktioniere das kömmliche Telefon zentrales Rechercheinstrument nicht. Auf die Informationshappen müsse Verlass bleibt, verzichtet keiner der Befragten mehr auf sein sein, damit die SMS nicht nach hinten losgehe. Mobiltelefon bzw. den Personal Digital Assistant (PDA): Auch Günter Bannas, einer der wenigen aktiven Hauptstadtjournalisten, die noch auf eine lange Kar-

riere am Bonner Regierungssitz zurückblicken kön- „Bei tagesaktuellen Sachen ist es schon sehr hilf- nen, bejaht die Unentbehrlichkeit der SMS- reich, auf dem Blackberry schnell sehen zu können, Technologie, erteilt aber Mutmaßungen über die was Google-News, Spiegel Online etc. machen. Vor spektakuläre Offenheit solcher Meldungen à la „Mer- allem, wenn Sie draußen mit dem Mikrofon in der kel sauer auf Rüttgers“ eine klare Absage. Vielmehr Hand vor der Kamera stehen. Die richtige Hinter- sind es vorher zwischen Journalist und Politiker ab- grundrecherche, um herauszufinden, was genau gesprochene Formeln, die den Stand der Dinge be- passiert ist, macht ein politischer Korrespondent in schreiben sollen. Politische Kerninformationen – in Berlin, der dem Aktuellen verpflichtet ist, vor allem Berlin mitunter nicht länger als 160 Zeichen. Kurz- fürs Fernsehen ja relativ selten. Dafür ist gar keine mitteilungen werden von Mobiltelefon zu Mobiltele- Zeit.“ (Gerhard Hofmann, ehem. RTL/ n-tv) fon, unter Politikern, Journalisten und sonstigen Geheimnisträgern hin und hergeschickt. Darin geht

es nicht um kritische Kommentare oder reflektierte Mit dem Bruchstück einer Information lassen sich Statements, sondern um knappe Hinweise: Ja, nein heute mithilfe von Suchmaschinen und Datenbanken – Daumen hoch, Daumen runter, die Vermutungen im Schnelldurchgang Online-Recherchen durchfüh- oder Erkenntnisse bestätigen oder nivellieren oder ren, was früher undenkbar war. Zitate und Fakten gar eine Recherche erst anstoßen. abzugleichen, sich zu vergewissern, ob eine Infor- „Man erfährt auf diesem Weg hin und wieder etwas mation bereits veröffentlicht wurde: Häppchenre- aus Ausschüssen“, bestätigt Ulrich Deppendorf cherche und Mobilität sind in Berlin vereinbar ge- (ARD). Das Risiko der Instrumentalisierung wird worden. Ebenso wichtig ist die ständige Erreichbar- zwar auch hier als hoch eingeschätzt, doch am Ende keit, um stets auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn überwiegt der Informationsvorteil. Politiker, vor al- ein Hauptstadtjournalist heute keine persönliche lem junge, machten sich den Informationshunger Kartei mit Mobilnummern wichtiger Informanten der Berichterstatter zunutze, sagt Medienberater angelegt hat, und dazu gehören maßgeblich auch Michael Spreng: „Es gehört zum Tagesgeschäft, die Privatnummern von Spitzenpolitikern (siehe Ka- dass, während vorne noch jemand vom Parteipräsi- pitel 4.3), wird er bei seinen Recherchen schnell von dium spricht, unter den Tischen schon fleißig ins der Konkurrenz abgehängt: „Das Telefon ist meiner Handy getippt wird.“ Die bereitwillige Befriedigung Meinung nach sowieso das wichtigste Werkzeug. des Bedarfs an frühen Hinweisen aus geschlossenen […] Man kann gar nicht genug Telefonnummern von Veranstaltungen erfolgt freilich nicht ohne Hinterge- Spitzenpolitikern gespeichert haben“, gibt sich Ko- danken und meist in der Hoffnung, beim nächsten lumnist Mainhardt Graf von Nayhauß überzeugt. Thema ganz oben auf der Interviewliste des Journa- Die herausgehobene Rolle des Telefons gegenüber listen zu stehen. Doch ginge diese Rechnung im dem persönlichen Gespräch hängt vorrangig mit den seltensten Fall auf, so Spreng; denn für die journa- weiten Wegen in Berlin zusammen. Doch hat das listische Recherche gelte: „Man liebt den Verrat, Mobiltelefon seine Karriere bei der journalistischen aber nicht den Verräter.“ Recherche durch einen Wandel der Kommunikati- Je höher ein Politiker in der Hierarchie aufgestiegen onskultur zu verdanken: „Die SMS ist deshalb so ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass hilfreich, weil sie nicht den gesellschaftlich relevan- er für diese Form der informellen Recherche per 60 Mobiltelefon zur Verfügung steht. Auch Angela Mer- nalistischen Mitgliedern Recherchemöglichkeiten in kel benutzt die drahtlose Textkommunikation rege, institutionalisierter Gemütlichkeit – in der Hoffnung, aber nicht mit Medienvertretern. Aus dem Kanzler- dass auch der politische Gast lockerer wird und sich amt heißt es: „Wie viele Journalisten Frau Merkels in aller Ehrlichkeit öffnet und äußert. Handy-Nummer besitzen, weiß ich nicht. Das sind Wenn Richard Meng, inzwischen Staatssekretär und mit Sicherheit sehr wenige, wenn überhaupt.“ Sprecher des Berliner Senats, auf seine journalisti- sche Karriere zurückblickt, dann wundert ihn vor allem eines: Wie es möglich war, dass die harmlosen 4.4.4. Hintergrundkreise Treffen, bei denen er alle paar Wochen gemeinsam mit einigen Kollegen Politiker einlud, in den Augen Nur wenige Hauptstadtjournalisten unterhalten per- der allgemeinen Öffentlichkeit zu einem verschwöre- sönliche Kontakte zu Politikern, geschweige denn rischen Stelldichein zwischen Medien und Politik leitenden Abgeordneten, Ministern oder der Kanzle- werden konnten. Hintergrundkreise gelten aus sei- rin selbst. Also bündeln sie ihre Interessen und ver- ner Sicht völlig zu Unrecht als Orte der Konspiration, suchen in gemeinsamer Anstrengung, die politische wo logenartig Brüderschaft getrunken und ein Pakt Prominenz abseits der Pflichttermine zum Gespräch gegen die Aufklärung geschmiedet wird. Solche einzuladen. Schon in Bonn gab es eine Reihe weni- Hintergrundkreise seien „im Grunde etwas sehr ger, aber einflussreicher Hintergrundkreise, die bei Harmloses“, so Meng. Man komme wöchentlich oder Politikern beliebt waren, um ihre Sicht der Dinge im monatlich zusammen und bespreche ein aktuelles lockeren Rahmen darzustellen, ohne auf druckreife Thema mit einem Gast aus der Politik. Die Runden Formulierungen achten zu müssen. Doch die ver- gleichen in der überwiegenden Zahl „Herrenclubs“, trauliche Atmosphäre wurde bald zum Anlass für wie Jens König (ehem. taz) kritisiert, weil Frauen argwöhnischen Gemunkel all jener, die nicht einge- unterrepräsentiert seien. Zurückgeführt wird der laden wurden; denn was hinter geschlossenen Türen Frauenmangel in den Hintergrundkreisen darauf, tatsächlich besprochen wurde, bleibt in der Regel dass es nur wenige Redaktionsleiterinnen und Kor- geheim. In Berlin ist die Zahl der Hintergrundkreise respondentinnen in verantwortlichen Positionen in förmlich explodiert: Im Rahmen der vorliegenden den Hauptstadtbüros von Presse und Rundfunk gibt, Studie konnten 27 der öffentlichkeitsscheuen Run- wie auch an der Auswahl der Befragten zu dieser den identifiziert werden, vermutlich sind es aber Studie nachzuvollziehen ist (s. Kapitel 3. Methoden). weitaus mehr. Sie heißen „Weißblauer Stammtisch“, Einer der ältesten Hintergrundkreise ist die „Gelbe „Ruderclub“, „Millionäre“, „Enklave“ oder schlicht Karte“, der bereits 1971 von Uwe-Karsten Heye „Presseclub“ und haben sich jeweils entweder nach (damals Süddeutsche Zeitung), Helmut Hohrmann Fachgebiet, politischer Gesinnung oder Medientypus (RIAS) und Holger Quiring (dpa) mit linksliberaler organisiert8. Die vielseitigen Zirkel bieten ihren jour- Ausrichtung gegründet wurde und heute als rot- grün-nah gilt. Derzeitige Sprecherin ist Tissy Bruns vom Tagesspiegel (vorher: Hartmut Palmer, Der 8 Eine vollständige Auflistung aller Hintergrundkreise in Berlin Spiegel). Mitglieder sind unter anderem Nico Fried kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Die Nen- (SZ) und Jens König (heute Stern, ehem. taz). Der nung der folgenden Runden soll jedoch ihre Vielfalt dokumentie- ren: Brückenkreis (konservativ, CDU/ FDP-nah), Weißblauer Name des Kreises wurde dem Gründungskongress Stammtisch (CSU-nah), Ruderclub (konservative Büroleiter und der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfra- Chefredakteure), Millionäre (auflagenstarke Regionalzeitungen), gen entlehnt, bei dem die Journalisten gelbe Akkre- Das Kartell (Wirtschaftsjournalisten), Koko (Korrespondentenkol- ditierungskarten bekamen. Doch mittlerweile hat die lektiv), Büroleiterkreis (50 bis 70 Journalisten zu Gast im Kanzler- symbolische Bedeutung mehr Aussagekraft erhalten: amt), Deutscher Presseclub (alter Zusammenschluss von Journa- Bei Vertrauensbruch wird dem betreffenden Mitglied listen und Pressereferenten aus Bonner Tagen), Berliner Presse- die rote Karte gezeigt. Besonders geheimnisvoll er- club (ebenso weite Aufnahmekriterien wie beim Deutschen Pres- scheint der so genannte „Wohnzimmerkreis“, in dem seclub, alte West-Berliner Institution, mit Deutschem Presseclub die leitenden Berliner Redakteure der größten zerstritten, Fusionsverhandlungen nach Regierungsumzug ge- Hauptstadtmedien vertreten sind. Der Kreis gilt als scheitert), Adlerkreis/ Vier-Sterne-Kreis (Militärfachjournalisten), SPD-nah und wird geleitet von FAZ-Büroleiter Günter Provinzkreis (25 bis 30 Korrespondenten aus der Regionalpresse); Bannas. Mitglieder sind unter anderem Sabine Adler Das Rote Tuch (Frauen); Antenne (Rundfunkjournalisten); U 30 (Mitglieder unter 30 Jahre alt), Dresslerkreis (benannt nach dem (Deutschlandfunk) als Nachfolgerin von Richard Lokal „Dressler“ unter den Linden), Vino Rosso (gemischt aus Meng (ehem. Frankfurter Rundschau), Nico Fried ausländischen und einheimischen Journalisten), Tacheles (Regio- (SZ), Tissy Bruns (Der Tagesspiegel) und Christoph naljournalisten), Scholzrunde (benannt nach ehem. parlamentari- Schwennicke (Der Spiegel, ehem. SZ). Einmal im scher Geschäftsführer der SPD-Fraktion), Das Ohr (20 Journalis- ten, u. a. Thomas Wittke vom Bonner General-Anzeiger, Nikolaus (sozialpolitische Themen wie Tarifpolitik, Rente und Krankenversi- Blome von Bild und Thomas Kröter von der Frankfurter Rund- cherung) sowie Enklave, Berliner Zimmer und Salon Wissen. schau), Außenverteidiger (Verteidigungspolitik), Betonköpfe 61 Monat treffen sich die insgesamt zehn Journalisten le Fragen. Wie jemand Merkel findet, wie es über- in heimeliger Atmosphäre – es wird gekocht – mit haupt so läuft. Und manchmal hat man einfach nur einem hochrangigen Vertreter der Politik zum Hin- das Gefühl, dass der Politiker ohnehin nichts sagen tergrundgespräch, das jeweils reihum in den Wohn- will und man sich das Gespräch hätte schenken zimmern der Mitglieder stattfindet. „Generell gilt bei können. Doch ein anderes Mal gibt es auch Aha- allen Kreisen: Man lädt natürlich lieber Minister ein Effekte, wenn man etwa merkt, dass Kurt Beck noch als einen Abgeordneten aus der letzten Reihe“, sagt nicht wirklich in Berlin angekommen ist. Solche Ein- Bannas (FAZ). Spitzenpolitiker, so Meng, kämen nur, drücke merkt man sich, aber von geheimen Informa- wenn sie unter den Journalisten bekannte Namen tionen kann keine Rede sein. Es geht darum, ein entdeckten, die die Multiplikatorwirkung, das Re- Gefühl zu bekommen. Wenn Sie dabeisitzen würden, nommee ihres Mediums repräsentierten. „Dass das würden Sie denken: Ein schöner, netter, oft auch dann unter Elite läuft, ist ein Begriff, den wir nicht nur belangloser Abend.“ (Richard Meng, Senatsspre- gewählt haben“, sagt Meng. Doch tatsächlich funk- cher Berlin) tionieren viele Hintergrundkreise nach dem Closed-

Shop-Prinzip, ein Wort, mit dem Martin Bialecki (dpa) die informelle Recherchesituation umschreibt. Dass es mit der von den Befragten immer wieder Zugang zu den exklusiven Runden erhält keinesfalls betonten Harmlosigkeit der Hintergrundkreise trotz- jeder, sondern nur eine kleine Auswahl renommier- dem nicht allzu weit her sein kann, zeigt die hohe ter Berichterstatter, die sich den Respekt der jewei- Bedeutung, die die Hauptstadtjournalisten (und ligen Verantwortlichen verdient haben und eine Ein- übrigens auch die Pressesprecher) dieser Art des ladung erhalten. Wer für eine Aufnahme in Erwä- informellen Austauschs immerhin selbst beimessen. gung gezogen wird, kann sich der professionellen Tissy Bruns (Der Tagesspiegel) zeigt sich entspre- Anerkennung seiner journalistischen Arbeit über chend verständnisvoll in Bezug auf den Widerspruch Konkurrenzen hinweg sicher sein. Auch Politiker zwischen der propagierten Transparenz journalisti- sehen in der Mitgliedschaft eines Journalisten in scher Arbeit und jener verdächtigen Vertraulichkeit: Hintergrundkreisen ein Qualitätssiegel für die Repu- tation des jeweiligen Berichterstatters und rechnen ihn zu den „Guten“, wie es Jens König (ehem. taz) „Hintergrundgespräche sind ja geheimnisumwittert: ausdrückt. Journalisten sollen für die Öffentlichkeit da sein, und dann treffen sie sich mit Politikern in Hinterzimmern Wer indes keine Möglichkeit sieht, in einen beste- – da stimmt doch etwas nicht, denken viele. Aber henden Hintergrundkreis aufgenommen zu werden, ich stehe dazu: Wir brauchen die Hintergrundge- dem steht die Gründung einer eigenen Runde frei. spräche, um die Informationen, die wir haben, zu So war es auch beim „Wespennestkreis“, der noch überprüfen, gelegentlich erschüttern zu lassen oder zu Bonner Zeiten von einer Reihe junger Journalis- aber zu festigen. Und wir brauchen sie, um die Ak- ten ins Leben gerufen wurde, weil sie keinen Zutritt teure zu beurteilen.“ (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel) zu den alteingesessenen Kreisen älterer Kollegen fanden. Später sollte das „Wespennest“ selbst zu einem exklusiven Zirkel avancieren, als es unter dem Ohne solche Informationen aus erster Hand über Namen „Wohnzimmerkreis“ firmierte. Von etwaigen Entscheidungsprozesse in den Fraktionen, Ministe- Unterstellungen hält Thomas Kröter (Frankfurter rien oder Parteien könne kein Korrespondent, der Rundschau) jedoch nichts: „Die Dämonisierung die- seine Arbeit ernst nehme, auskommen, meint Brigit- ser Runden zu klandestinen Manipulationsstätten ist te Fehrle (Die Zeit). Dafür seien Hintergrundkreise großer Stuss.“ Und Christoph Schwennicke vom geradezu ideal: Ein Großteil der Gespräche zwischen Spiegel unterstreicht, dass alles viel weniger „ge- Politikern und Journalisten werden nicht veröffent- heimlogenartig“ sei, als gemeinhin angenommen licht, sondern dienen lediglich dazu, den Journalisten werde. Die Bedeutung von Hintergrundkreisen wer- die Einarbeitung und die Bewertung eines Themas de, so der allgemeine Tenor der Befragten, von Au- zu erleichtern. Im Gegensatz zu förmlichen Anlässen ßenstehenden generell überbewertet. So entbehrt bei Pressekonferenzen oder anderweitigen Aufritten die Annahme, dass Journalisten durch Hintergrund- in der Öffentlichkeit wird dem Politiker in der Abge- kreise einen faktischen Wissensvorsprung erhalten, schiedenheit der Hintergrundzimmer die Chance Richard Meng zufolge jeglicher Grundlage: gegeben, seine Ansichten zu schildern oder in über- schaubarer Runde Reaktionen auf komplizierte Sachverhalte einzuholen, bevor er sie in die breite „Wir hatten 2001 Wolfgang Schäuble – damals bei Öffentlichkeit kommuniziert. Dies stellt, wie Iris mir zu Hause – genau einen Abend bevor die Kohl- Bethge (Bundesministerium für Soziales, Familie, Spendenaffäre hochkam. Er hat uns nichts gesagt, Frauen und Jugend) vermerkt, auch einen Lernpro- kein Wort davon – obwohl er es wusste. Man erfährt zess für Politiker dar. Der Journalisten erhält wiede- also keine Heimlichkeiten, sondern diskutiert aktuel- 62 rum Gelegenheit, im Politikerverhalten Nuancen zu welche Auswirkungen dies auf die Gesprächsqualität erkennen, die bei der Kommentierung seiner Ambi- habe, antwortet Nico Fried (Süddeutsche Zeitung): tionen, aber auch bei politischen Entscheidungsfin- dungen helfen. Auf den Einfluss, den Hintergrund- kreise bei der Einschätzung von Politikerpersönlich- „Generell muss ich aber einräumen, dass Hinter- keiten nehmen, weist auch Günter Bannas (FAZ) grundregeln mittlerweile so sehr verschludert sind, hin: und zwar auch von politischer Seite, dass Sie, wenn Sie unterschiedliche Politiker fragen, was sie unter

,unter drei’ verstehen, ganz unterschiedliche Ant- „Wir sprechen dort unter drei. Doch werden keine worten bekommen. […] Da sind die Grenzen inzwi- Staatsgeheimnisse verraten. […] Es wird zwar ge- schen sehr verschwommen. Joschka Fischer zum fragt, aber dann sagt der Befragte: ,Sage ich nicht‘. Beispiel hat seine Hintergrundgespräche immer Auch operative Planungen und Personalgeschichten ,unter drei’ gemacht, und wenn man ihm zwei Tage unter dem Motto: ,Ich werde nächste Woche diesen später begegnet ist, hat er einen manchmal gefragt, oder jenen Minister entlassen‘ werden nicht verraten wieso man das nicht aufgeschrieben hat. Manchmal – oder doch eher selten. Manchmal gilt das Gegen- hat er während der Gespräche ,unter drei‘ immer teil: Es gibt Fälle, in denen den ganzen Abend über noch zusätzlich gesagt: ,Das dürfen Sie jetzt aber geredet wird, und am nächsten Tag geschieht wirklich nicht aufschreiben‘, und hat damit quasi ein Unerwartetes. [Nichtsdestotrotz] verstehe ich die ,unter vier‘ kreiert. Jeder Politiker handhabt das Politiker besser. Und es gibt natürlich auch Informa- unterschiedlich. So was lernt man nur mit der Zeit. tionen und Eindrücke, wie Mosaiksteine. Oft gibt es Und manchmal geht’s schief.“ (Nico Fried, Süd- Hinweise, an denen man weiter arbeiten kann.“ deutsche Zeitung) (Günter Bannas, FAZ)

Unklare Absprachen bzw. ihre unterschiedliche Aus- Hintergrundgespräche finden normalerweise „unter legung haben den Status von Hintergrundkreisen als drei“ statt. In der politischen Kommunikation wird letztes Refugium der Vertraulichkeit nach Einschät- zwischen drei Arten der Informationsweitergabe zung vieler Hauptstadtjournalisten zum Scheitern unterschieden: „Unter eins“ sind für die Veröffentli- gebracht. Die Schuld daran tragen aber nicht die chung gedachte Äußerungen oder Interviews, „unter Politiker, sondern die Journalisten selbst, die in Zei- zwei“ dürfen Zitate unter abstrahierender Umschrei- ten des sich verschärfenden Wettbewerbs der bung der Quelle genannt werden, „unter drei“ ist die schnellen Nachricht den Vorrang gaben und Ge- vertraulichste Gesprächsform und bedeutet, dass es heimhaltungsvereinbarungen brachen. Günter Ban- dem Journalisten nicht mehr erlaubt ist, den Urhe- nas weiß von einem solchen Vorfall zu berichten: ber des Gesagten zu zitieren oder auch nur indirekt Johannes Rau, damals Kanzlerkandidat, erzählte in auf ihn zu verweisen. Dennnoch ist es ihm erlaubt, der vertraulichen Runde des „Presseclub“ über seine die Aussagen als Hintergrundwissen in seine The- Pläne. Bereits am nächsten Tag war die Gegenseite menplanung und auch in seine zur Veröffentlichung in Person eines CDU-Ministerreferenten über alle bestimmten Kommentare einfließen zu lassen9. Klare Details informiert. Rau blieb in diesem Fall gewis- Fakten hingegen sind unbedingt tabu, da sie in den sermaßen nur der reflexartige Rückzug in die verba- meisten Fällen klar zugeordnet werden können. le Verschlossenheit. Wirkliche Geheimnisse, meint Jens König (ehem. taz), würde man aber schon lan- Die Gefahr einer Instrumentalisierung von Journalis- ge nicht mehr zu hören bekommen. Irgendwann ten durch das Zuspielen halbgarer oder tendenziöser sickere ohnehin etwas durch, Politiker wüssten das. Informationen unter dem Deckmantel der Anonymi- tät ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Eine Vor allem die ungehemmte Vergrößerung mancher nachteilige Beeinflussung der Berichterstattung Hintergrundkreise wird als störendes Übel empfun- durch Einflussnahme der Gäste eines Hintergrund- den. Einzig die traditionsreichen Runden werden kreises weisen die Befragten jedoch vehement von noch als effektiv angesehen, Vertraulichkeit zu ga- sich und verweisen auf die notwendige Fähigkeit des rantieren. Werden die Kreise zu groß, wird die Lage Journalisten, die Aussagen von Politikern grundsätz- Severin Weiland (Spiegel Online) zufolge unüber- lich kritisch betrachten zu müssen. Eher müsse un- sichtlich und die Gefahr steigt, dass es ein Leck gibt. tersucht werden, ob die Verhaltensreglements als Günter Bannas (FAZ) äußert daher Verständnis für Grundlage des vertraulichen Zusammenkommens das Misstrauen auf Politikerseite: „Je größer und überhaupt noch Geltung besäßen. Auf die Frage, unübersichtlicher der Kreis, desto verschlossener der Gast.“ Für Pressesprecherin Iris Bethge (Bundesmi- 9 Vgl. Pfetsch, Barbara/Wehmeier, Stefan 2002: Sprecher: Kom- nisterium für Soziales, Familie, Frauen und Jugend), munikationsleistungen gesellschaftlicher Akteure. In: Jarren, sind Hintergrundkreise ab einer bestimmten Größe Otfried/ Weßler, Hartmut (Hg.) (2002): Journalismus, Medien, ohnehin ein inakzeptables Forum: Öffentlichkeit. Eine Einführung. 39-97, hier: 63. 63 Bei der ARD beispielsweise werden die Ergebnisse der Hintergrundkreise, in denen die einzelnen Kor- „Wenn die Kreise zu groß sind, also über 20 oder 30 respondenten Mitglied sind, protokolliert und in ei- Leute, dann steigt die Gefahr, dass etwas nach nen internen E-Mail-Verteiler gestellt, auf den jeder draußen dringt. Wir haben das schon erlebt. Dann Angestellte zugreifen und lesen kann, was bespro- finden sich plötzlich am nächsten Tag Zitate daraus chen wurde. Auch beim Deutschlandfunk werden die in der Zeitung. Die entsprechenden Journalisten Erkenntnisse untereinander geteilt: haben allerdings auch eine klare Rückmeldung be- kommen. Denn das ist nicht in Ordnung. Ab 15 Per- sonen wird ein Hintergrundkreis sehr anstrengend, „Termine in Hintergrundrunden sind für mich ohne- man braucht schon fast ein Mikrophon, das ist für hin unverzichtbar, vor allem um Sachverhalte erklärt ein Hintergrundgespräch völlig widersinnig.“ (Iris zu bekommen. […] Ich bin Mitglied im Wohnzim- Bethge, Bundesministerium für Soziales, Familie, merkreis, im Brückenkreis und im Deutschen Presse- Frauen und Jugend) club. Dann gibt es noch viele andere Hintergrundge- spräche außer der Reihe, zu denen einzelne Parteien oder Sachpolitiker laden. […] Meine Kollegen im Christoph Schwennicke (Der Spiegel) hat aber den Hauptstadtstudio des Deutschlandradios gehen in Glauben an die Selbstheilungskraft des Systems andere Hintergrundkreise, so dass wir überall gut noch nicht verloren: „Journalistische Revolverhel- repräsentiert sind. Dieses Wissen fließt natürlich den“ könnten zwar durch unsauberes Arbeiten eini- indirekt in unsere Arbeit ein. Ich kann unser Studio ge Kerben an ihren Revolver machen, doch seien besser leiten, wenn ich aus nächster Nähe beobach- das häufig sogleich ihre letzten. „Die meisten dieser te, wie sich ein Thema gerade zu entwickeln be- Kollegen sind hier in Berlin entweder nur sehr kurz ginnt.“ (Sabine Adler, Deutschlandradio) oder sehr lange. Die nur sehr kurz da sind, hatten meistens zu schnell zu viel auf dem Kerbholz.“ Es liegt in der Gegensätzlichkeit der beruflichen Ziele Wenn das Vertrauen gebrochen wird und sich Äuße- von Politikern und Journalisten begründet, dass das rungen des prominenten Politikers am nächsten Vertrauensverhältnis zwischen diesen öffentlichen Morgen schwarz auf weiß mit Namensnennung Akteuren begrenzt ist. Der Politiker möchte Mehrhei- nachlesen lassen, steckt der ungewollt zitierte Gast ten gewinnen, der Journalist (hoffentlich) politische meist in einer Zwickmühle: Eine Dementierung steht Verfehlungen aufdecken. Journalisten hoffen auf in der Regel nicht zur Debatte, da dies den politi- Indiskretionen, Politiker fürchten oder streuen sie schen Schaden, der durch die Veröffentlichung be- absichtlich. In diesem Spannungsfeld muss man sich reits angerichtet wurde, noch verschlimmern würde. gegenseitiges Vertrauen hart erarbeiten. Dies wird Die Konsequenz ist eine Sanktionierung des betref- aber schon dadurch unterminiert, dass es in Redak- fenden Journalisten und eine ausgeprägte Ver- tionen üblich geworden ist, Informationen aus Hin- schlossenheit bei zukünftigen Hintergrundgesprä- tergrundkreisen zentral zu erfassen und allen Jour- chen – was wiederum allen Hintergrundkreisen nalisten der jeweiligen Redaktion als Informations- schadet. Politiker gehen deshalb dazu über, selbst quelle zur Verfügung zu stellen. Daraus resultiert, ausgewählte Journalisten einzuladen, um unter ei- dass sich Dritte möglicherweise nicht an die Vertrau- genen Bedingungen bestimmte Themen zu erörtern: lichkeitsregel gebunden fühlen und die Information in unzulässigen Kontexten verwenden: „Da laden Frau Merkel, Herr Kauder, Herr Struck

oder Herr Steinbrück ein. Die parlamentarischen „Die Unter-drei-Regelung wird in Berlin viel häufiger Geschäftsführer tun es auch, zum Beispiel Olaf verletzt als früher, und sei es auch nur auf dem Scholz in der Hamburg-Vertretung. Ein kleines Umweg einer absichtslosen Geschwätzigkeit: Je- Frühstück in Sitzungswochen des Bundestages. Wer mand erzählt etwas und sagt: ,das aber nur ‚unter möchte, bekommt auch ein paar Weintrauben.“ drei’‘, und beim dritten Weitererzählen wird das (Günter Bannas, FAZ) ,unter drei‘ weggelassen und alles ist auf einmal doch als Meldung in der Welt. Der Erstmitteiler denkt sich dann: ,Ja, spinne ich denn, ich hab doch Im Kanzleramt sitzen manchmal bis zu 70 Journalis- ‚unter drei’ gesagt.‘ Manchmal wird es allerdings ten in einem Saal, aber solche gedrängten Runden auch absichtlich durchbrochen.“ (Gerhard Hofmann, mit dem Charme einer Pressekonferenz bilden noch ehem. RTL/ n-tv) die Ausnahme. Die Kanzlerin lädt in verschiedenen Konstellationen ein, etwa die Berliner Büroleiter oder

die Vertreter der Regionalmedien. In den kleinen journalistischen Hintergrundkreisen ist sie selten

64 anzutreffen, wenngleich sie sich diesem informellen ker. Das sich daraus ergebende Missverhältnis zwi- Austauschs nicht völlig entzieht, wie es aus Kanzler- schen Nähe und Distanz lasse sich nur durch die amtskreisen bestätigt wird: „Aber sie besucht durch- Besinnung auf das berufliche Ethos ausbalancieren, aus Hintergrundkreise und weiß um deren Bedeu- meint Christoph Schmitz (Bündnis 90/ Die Grünen): tung, so sehr man sich natürlich auch die Frage stellen muss, wie sehr Hintergrund so etwas sein kann.“ „Ein Nähe-Distanz-Problem gibt es dann nicht, wenn Journalisten und Politiker in solchen Hintergrund- Die Professionalität des öffentlichen Amtes erfordert kreisen verantwortungsvoll miteinander umgehen. nach Ansicht des stellvertretenden Regierungsspre- […] Bei verantwortungsvoller Nutzung aber können chers, Thomas Steg, eine Flexibilität in der Informa- Hintergrundkreise das Gesamtsystem stabilisieren. tionsvermittlung, die Vertraulichkeit und Verlautba- Ich sehe das als Instrument der Entschleunigung: rung miteinander kombiniert. Nur so könne der Poli- Journalisten und Politiker betrachten dasselbe Sys- tiker selbst auch etwas erfahren, und das Verhältnis tem von verschiedenen Positionen aus und haben zwischen ihm und den Medienvertretern werde zu beide immer nur einen Teileinblick in das Gesamte. einer tatsächlichen Interaktion: Und das wird ab und zu zusammengebracht. Politi- ker werden mit Fragen konfrontiert, die nicht auf unmittelbare Berichterstattung abzielen, und die „Politikvermittlung erfolgt, wenn sie professionell ist, Journalisten bekommen geschildert, woran bestimm- sowohl ,unter eins‘, also unmittelbar zur Veröffentli- te Prozesse tatsächlich haken, ohne dass damit ei- chung gedacht, als auch ,unter drei‘, also über Hin- nem Parteifreund eins ausgewischt werden soll.“ tergrundkreise, um Zusatzinformationen zu liefern. (Christoph Schmitz, Fraktionssprecher Bündnis 90/ Ich habe den Eindruck, dass die intensive Diskussion Die Grünen) im Hintergrundgespräch einfach unverzichtbar ist. In Hintergrundgesprächen kann man erfahren, wie Journalisten auf Themen und Argumente reagieren, Natürlich, sagt Günter Bannas (FAZ), müsse jeder wie sich Einschätzungen und Wahrnehmungen ver- selbst aufpassen, dass bei Recherchen eine profes- ändern, welche Haltungen es zu bestimmten The- sionelle Distanz zum jeweiligen Gegenüber gewahrt men gibt. Und auf der anderen Seite ist es notwen- bleibe. Und tatsächlich gibt es unter den Befragten dig, politische Zusammenhänge darzustellen, die recht unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man in einer Pressekonferenz gar nicht erläutern viel Nähe zur Politik ihrer journalistischen Unabhän- kann. Ich halte es mithin für eine zwingende Not- gigkeit noch gut tut. Während sich manche leitende wendigkeit, im Hintergrund zu arbeiten. Und ich Redakteure wie Ulrich Deppendorf (ARD), Nico Fried finde, man muss diese Hintergrundkreise entschie- (Süddeutsche Zeitung) oder Gerhard Hofmann den von diesem Anrüchigen befreien, dort gehe es (ehem. RTL/ n-tv) – „Als ob ein ,Du‘ zu irgendeiner um Versuche der wechselseitigen Manipulation oder Form der Gefolgschaft verpflichtet!“ – mit Spitzenpo- Instrumentalisierung. Ich halte das für moralisieren- litikern und Bundestagsabgeordneten duzen und den Unfug. Selbst wenn es so wäre, wüssten es alle. sich davon in ihrer kritischen Berichterstatterrolle Nein, Hintergrundkreise sind eine professionelle unbeeinflusst fühlen, schützen sich andere vor zu Form journalistischer Arbeit.“ (Thomas Steg, stellv. Nähe, indem sie sich von Hintergrundkreisen fern- Regierungssprecher) halten.

Gleich mehrere Gesprächspartner sehen in der ver- Ein Unikum stellt in dieser Hinsicht der „Sozialpoliti- traulichen Zusammenkunft eine Gefährdung der sche Hintergrundkreis“ da, der regelmäßig etwa 20 inneren Neutralität, zum Beispiel Henning Krumrey überwiegend junge Journalisten und dieselben zwei (Focus), der in den Verhaltenskodizes der Kreise Politiker und zwei Experten zur Diskussion versam- seine journalistische Freiheit bedrängt sieht und melt, darunter Bundesminister Horst Seehofer von lieber nur seinem ganz persönlichen Regelwerk fol- der CSU und der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl gen möchte. Christoph Schwennicke (Der Spiegel) Lauterbach. Entstehen soll eine professionelle Ar- hält nichts von solchen selbst auferlegten Einschrän- beitsatmosphäre, doch was Medienkritiker befürch- kungen, sondern propagiert die innere Distanzierung ten, ist eine „Gefahr der unzulässigen Nähe“ trotz äußerlicher Annäherung. Letztere leide ohnehin (Schwennicke) zwischen den Journalisten und den häufiger, wenn etwa ein Politiker sich von einem politischen Entscheidungsträgern. Viele Journalisten Teilnehmer eines Hintergrundkreises hintergangen müssen teuer für das Vertrauen bezahlen, das ihnen fühle, weil dieser kritisch über ihn berichtet habe: Politiker nach jahrelanger Teilnahme an Hinter- grundkreisen entgegenbringen. Sie sehen durch die regelmäßigen beruflichen Verpflichtungen nach Feie- „Dann hat man miteinander eben ein Problem, doch rabend ihre Familien teils seltener als manche Politi- wenn genug Zeit ins Land geht, dann renkt sich das 65 normalerweise auch wieder ein. Politiker sind viel „Wenn ich etwas Vertrauliches mit Jemandem zu härter im Nehmen, als viele glauben. Wenn all das besprechen habe, gehe ich sicher nicht ins Einstein. über mich geschrieben würde, was über Politiker Privat ist das was anderes. Ich gehe da hin, wenn geschrieben wird... Was die Politiker alles ertragen ich Spaß haben möchte, weil ich den Ort an sich müssen, davor habe ich einen Heidenrespekt! Jede mag. Wer wichtig oder bekannt genug ist, geht dort Wildsau schrubbt sich an dieser Eiche. Es ist aber hin, wenn er mit jemandem gesehen werden möch- der Preis, den man für diese außergewöhnliche Auf- te. Mit Sicherheit. Das ist der Laufsteg. Das ist völlig gabe zahlen muss. Und das wissen die Politiker ungeeignet für ein sinnvolles, sozusagen offizielles auch. Natürlich gibt es das Problem von Nähe und Gespräch und nicht Teil meiner professionellen Um- Distanz. Was bleibt uns auch anderes übrig? Wir gebung. Daher haben wir uns für das Gespräch auch müssen versuchen, an die ranzukommen und trotz- hier in meinem Büro getroffen.“ (Martin Bialecki, dem die Distanz zu wahren.“ (Christoph Schwenni- dpa) cke, Der Spiegel)

Nach Meinung von Michael Spreng steuern viele Politiker solche Orte genau deshalb an: um zu zei- 4.4.5. Informelle Kontakte gen, dass es sie noch gibt. Auch aus diesem Grund hält Tissy Bruns vom Tagesspiegel die Atmosphäre Gunter Hofmann (Die Zeit) boykottiert Hintergrund- an derlei Orten für eher hinderlich und erklärte sich runden, unterhält aber trotzdem exzellente Kontakte für unser Interview im Rahmen der Studie nur aus- in die Politik. Er beklagt vor allem das fehlende nahmsweise für ein Treffen im Café Einstein bereit: Interesse vieler Kollegen für tiefergehende Recher- chen. Vor allem Fernsehjournalisten pflegten seiner Meinung nach mehr ihre Eitelkeit, als dass sie sich „Die Legende, dass wir ständig im Borchardt und hinter die Kulissen begeben würden, um herauszu- Einstein sitzen und Politikergespräche führen, trifft finden, was sich abseits öffentlicher Statements auf mich und 99 Prozent meiner Zunft nicht zu. Dar- politisch wirklich zutrage. Scheinbare Kontextualisie- an erkennt man wahrscheinlich den Unterschied rung erfolge allenfalls in der schillernden Öffentlich- zwischen Alphajournalisten und Medienbrötlern.“ keit eines einschlägigen Cafés oder Restaurants in (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel) Berlin-Mitte, um sich bei der angeblichen Recherche zu zeigen. Sollte der Wille, tatsächlich mehr über die Hintergründe politischer Prozesse zu erfahren, vor- Die Pflege informeller Kontakte in der Edelgastro- handen sein, sei aber gegen solche Treffen nichts nomie geschieht in Berlin wie zuvor bereits in Bonn einzuwenden. Der Nutzen informeller Kontakte in angeblich aus rein pragmatischen Gründen. Das aller Öffentlichkeit wird hingegen von der Mehrheit Café Einstein liegt in seiner Mittellage auf der Nord- der Befragten bezweifelt. Martin Bialecki (dpa): „Wie seite der Prachtstraße Unter den Linden auf dem sich die gleichen Leute, die abends noch fröhlich Dienstweg zahlreicher Abgeordneter und Korrespon- Sekt miteinander getrunken haben, am nächsten denten. Peter Frey vom ZDF ist der Einzige unter Tag ernsthaft professionell beharken können sollen, den Befragten, der freimütig preisgibt, dass er sich das fällt mir immer schwer, ihnen das abzunehmen.“ gerne dabei zeigt, wie er „mal mit dem, mal mit Einerseits werde sich „niedergeduzt“, andererseits jenem“ zusammensitze. Das sei auch als Zeichen mit scharfem Griffel niedergeschrieben. von Transparenz zu verstehen, indem er für Gesprä- Die Ursache des widersprüchlichen Verhältnisses che „nicht ins Hinterzimmer“ gehe. Pragmatische mancher Journalisten zu Vertretern der Politik wird Gründe könnten auch die Redakteure der Süddeut- vor allem in seiner opportunistischen Wankelmütig- schen Zeitung vorbringen, da ihr Büro nur wenige keit vermutet. An Orten wie dem Café Einstein treffe Stockwerke über dem Borchardt liegt. Büroleiter sich angeblich nur die politische Elite des Landes, Nico Fried hält das Restaurant aber nur in einem behuptet Jens König (ehem. taz): „Ich meide diesen anderen Sinn für eine lohnende Recherchequelle: Ort allerdings. Hier wird viel Wind um nichts ge- macht. Und man wird von allen gesehen.“ Das Se- hen-und-Gesehen-Werden schränkt nach Auffassung „Das Borchardt nutzt uns wenig, weil wir uns das der Befragten deutlich die eigene Sicht ein: Recher- auf Dauer gar nicht leisten können. Das ist allenfalls che spielt demnach bei Verabredungen in Aufmerk- ein Bonbon, wenn die Chefs mal da sind – dann samkeitsmagneten wie dem Café Einstein, den Res- gehen wir da essen. Aber das Borchardt ist nicht taurants Borchardt und Grill Royal kaum eine Rolle: unsere Kantine, obwohl die auch einen Mittagstisch haben. Der Vorteil ist, dass wir im Sommer von oben

auf die Außenterrasse schauen können, um heraus- zufinden, wer sich dort wieder sehen lässt. Im

66 Sommer herrscht ja immer Hochbetrieb.“ (Nico sondern vor allem Disziplin, findet Severin Weiland Fried, Süddeutsche Zeitung) (Spiegel Online). Eher unspektakulär, aber ertrag- reich verlaufen seiner Meinung nach informelle Tref-

fen während Fraktions- und Vorstandsklausuren Dass sich in Berlin-Mitte schnell ein Kanon von schil- oder Parteitagen, auf denen es offenbar ganz natür- lernden Treffpunkten herausgebildet hat, wird auf lich ist, sich in den Pausen bei einer Tasse Kaffee den Mangel an Etablissements kurz nach dem Regie- auf einen Plausch zu treffen. Dies wird von SPD- rungsumzug zurückgeführt: „Als Politik und Medien Fraktionssprecher Lars Kühn bestätigt, der sich nach 1999 nach Berlin kamen, kannten sie in Mitte halt eigener Aussage selbst noch nicht in einem der ge- nur das Restaurant Borchardt. Unter den Linden gab nannten Restaurants hat blicken lassen. es auch weniger Lokale als heute. Also waren sie im Generell wird eine gewisse Nähe als essentieller Borchardt oder am Savignyplatz in der Paris Bar“, Bestandteil des Recherche-Rüstzeugs betrachtet, um erinnert sich Günter Bannas (FAZ). Es entwickelte beim informellen Informationsumschlag nicht abge- sich ein beinahe synergetisches Verhältnis zwischen hängt zu werden. Der durchschnittliche Journalist den Gastronomiebetreibern, die ihre prominente könne es sich nicht wie Frank Plasberg leisten zu Kundschaft auch heute noch gerne umgarnen, und konstatieren, dass man nicht nach Berlin gehen den Gästen aus Politik und Medienbetrieb, die sich dürfe, um nicht irgendjemandem zu nahe zu kom- mit der Diskussion scheinbar relevanter Vorgänge in men, sagt Gerhard Hofmann (ehem. RTL/ n-tv): „Im aller Öffentlichkeit zu profilieren suchten. Die „Bilder Grill Royal war ich noch nicht, aber Sie kommen in im Kopf“ bedient also einen Mythos, der erst in der Berlin ohne eine gewisse Nähe nicht aus.“ Dennoch Metropole des politischen Glamours geboren wurde. bezweifeln einige Befragte, dass Politiker, etwa bei Eine Konsequenz sei „ein ständiges Balzen“, so Bia- Zufallsbegegnungen mit Journalisten, überhaupt aus lecki, das aber für die Wahrnehmung der beruflichen dem Nähkästchen plaudern würden. Der Brite Roger Pflichten auf beiden Seiten keinen Vorteil bringe. Boyes (Times) stellt dazu lakonisch fest: „Würde ich Auch wenn immer weniger Zeit ist für das gemein- mit Wolfgang Tiefensee im Fahrstuhl stecken bleiben same Mittagessen aufgebracht wird, sind die buch- und hätte 20 Minuten Zeit, um absolut diskret zu stäblich beschaulichen Treffen nicht seltener gewor- sprechen, wüsste ich nicht, was ich ihn fragen soll- den. Sie haben sich nur früher in den Morgen und te.“ später in den Abend verschoben. Schon bevor das Der Boulevardpresse, vor allem der Bild-Zeitung, eigentliche Tagesprogramm beginnt, sitzen Journa- geht es oftmals freilich um nichts anderes: das Fahr- listen und Politiker beim Frühstück im Café Einstein, stuhl-Prinzip, sprich: Will die Politprominenz im um zu erörtern, was wichtig wird. Es sind bisweilen Fahrstuhl mit nach ganz oben fahren, muss sie bei so viele, dass Ulrich Deppendorf (ARD) es längst Liebesverweigerung auch schon mal damit rechnen, aufgegeben hat, auf dem Weg zu seinem Büro an wieder runter gefahren zu werden. Zwar halten sich dem Café Halt zu machen. Am Abend trifft man sich die Qualitätsmedien und Agenturen nach Aussage in den Restaurants Borchardt, San Nicci oder Grill von Martin Bialecki (dpa) einträchtig an den Presse- Royal, allesamt in Reichweite der Hauptstadtbüros. kodex und lassen das Privatleben von Politikern Um wichtige inhaltliche Gespräche zu führen, wür- unangetastet – allerdings nur solange, bis das Priva- den aber andere Lokalitäten aufgesucht, weiß der te politisch relevant wird bzw. ohnehin von der Kon- Gesellschaftskolumnist Mainhardt Graf von Nayhauß: kurrenz enthüllt wird: „Wenn es erstmal öffentlich ist, kann man darüber schreiben. Es ist dann eine Information, die man nicht mehr zurückholen kann.“ „Man trifft sich hin und wieder, etwa zum Hinter- (Tissy Bruns, Der Tagesspiegel). Das Vorgehen ist grundgespräch, besucht sich persönlich. Das findet dabei recht unterschiedlich, erklärt Dieter Wonka auch Zuhause statt, aber niemals an so exponierten (Leipziger Volkszeitung): Stellen wie in den Berliner Top-Restaurants Bor- chardt oder Café Einstein. Dort gehe ich ungern mit einem Politiker hin. Man wird ständig von Menschen „Das ist auch gar nicht so tragisch. Im Fall Seehofer unterbrochen, die an den Tisch kommen, um besag- hatte ich beispielsweise ganz gute Informationen. ten Politiker anzusprechen, mir also die Zeit stehlen. Und ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie in Ich bevorzuge ein Lokal, das möglichst kein anderer früheren Stoiber-Zeiten in der CSU politisch in und Politiker oder Journalist besucht, etwa ein kleines mit der Privatsphäre von Theo Waigel gearbeitet chinesisches in unspektakulärer Gegend.“ (Main- wurde. […] In der Regel läuft das Enthüllen von hardt Graf von Nayhauß, Bild/ Bunte) Privataffären oder privaten Dingen so ab, dass ande- re Politiker Journalisten ansprechen, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass der Parteifreund oder Um eine angenehme Gesprächsatmosphäre herzus- Parteigegner etwas laufen hat oder dort etwas nicht tellen, braucht es nicht unbedingt Abgeschiedenheit, 67 in Ordnung ist.“ (Dieter Wonka, Leipziger Volkszei- „Wir hätten mit der exklusiven Veröffentlichung der tung) sexuellen Neigungen von Frau Will einen Achtungs- erfolg verbuchen können, wenn wir das als wert-

neutrales Wort verstehen. Aber ich persönlich bin Doch auch abseits von Privataffären und Skandalen nicht scharf darauf, solche Achtungserfolge zu erzie- sind manche Hauptstadtjournalisten wie Peter Frey len.“ (Thomas Rietig, AP) (ZDF) sogar generell dafür, den Menschen hinter dem Amt besser kennen zu lernen: „Natürlich hat man als Bürger ein Anrecht und auch ein Interesse 4.4.6. Ungleichbehandlung im Informations- daran, wie der Mensch eigentlich ist. Wie ist er im zugang Hintergrund? Wie ist seine ethische Einstellung?“ Das Privatleben wird – vor allem seit der Pool-Affäre In der bisherigen Analyse der Recherchesituation um Rudolf Scharping und seiner schönen Gräfin – wurde deutlich, dass die Qualität des Informations- damit zu einem zentralen Recherchebereich, der von zugangs in Berlin sowohl von informellen Kontakten manchen Politikern durch ihre Bereitschaft für Ho- als auch von der finanziellen und personellen Aus- mestories und dergleichen noch befördert wird: stattung der Redaktionen abhängt. Folgerichtig iden- tifizieren die Befragten die Ungleichbehandlung überregionaler und regionaler Medien als weiteres „Mittlerweile gibt es fast keinen Politiker mehr, der Recherchedefizit: Die in Journalistenschulen und auf keine Homestory macht. Einige gehen mit ihren Medientagungen vertretenen Rechercheregeln sind Geschichten sogar selber zum Beispiel zur Bild, um nach ihren Schilderungen kaum zu befolgen, wenn den Spin beeinflussen zu können. In meinen Augen bei enger werdenden Zeitressourcen und gekürzten kam der Tabubruch mit Rudolf Scharping und seinen Redaktionsetats gearbeitet werden muss. Warum Planschfotos im Stern. Damals hat er eine Grenze sich investigative Recherchen gerade bei Regional- überschritten, die stilbildend wurde.“ (Brigitte Fehr- zeitungen als schwierig gestalten, erklärt Thomas le, Die Zeit) Wittke (Bonner General-Anzeiger):

„Das Pochen auf den Status der Exklusivrecherche Auch Holger Schmale (Berliner Zeitung) ist der An- wirkt für Kollegen von Regionalzeitungen zuneh- sicht, dass das Privatleben von Politikern heute von mend abstoßend, weil […] andere dafür bezahlt den Medien ganz anders aufgegriffen werde, „was werden und alle Instrumente dafür zur Verfügung aber häufig auch damit zusammenhängt, dass Politi- gestellt bekommen, um diese Form von Recherche ker ihr Privatleben selbst viel offener thematisieren“. leisten zu können, während unser Alltag zunehmend Ein Problem hierbei sei, dass sich auch seriöse Qua- darin besteht, dass wir Tagesaktualität abbuchsta- litätsmedien dieser Tendenz nicht entziehen könn- bieren müssen.“ (Thomas Wittke, Bonner General- ten: „Das probate Argument dafür ist die vermeintli- Anzeiger) che Lust des Lesers an solcher Berichterstattung.“ Dennoch haben es selbst die durch Personalmangel (Holger Schmale, Berliner Zeitung) notorisch überlasteten Korrespondenten der Regio- Das Spiel mit dem Privatleben von Politikern kennt nalpresse in Berlin besser als Kollegen mit gleichem allerdings klare (juristische) Grenzen: Recherchen Status in anderen Hauptstädten der Welt: Beispiels- über das Privatleben von Klaus Wowereit beispiels- weise haben die Washingtoner White House Press weise, dessen öffentliches Outing ihm zu seinem und die im britischen House of Parliament akkredi- liberalen Medienimage („Berlin ist arm, aber sexy“) tierten Journalisten einen institutionellen Recherche- verholfen hat, werden rechtlich streng verfolgt: „Da vorsprung gegenüber der Medienkonkurrenz, die wurde klar gemacht: Wenn irgendjemand veröffent- keinen der heiß begehrten Plätze erringt. Diese Kor- licht, wo ich wohne, gibt es Klagen. Und das hat respondenten sind daher auch gezielte Anlaufpunkte auch noch keiner gemacht“, Michael Donnermeyer für Politiker, aber auch andere Interessensvertre- (IZ Klima, ehem. Senatssprecher). Gilt gleiches tern. Dagegen herrscht in Berlin auf den ersten Blick Recht auch für Journalisten? Zumindest geraten so etwas wie Chancengleichheit: Jeder Politiker, jede auch die Partnerschaften der Medienprominenz zu- Pressestelle entscheidet schließlich selbst, welche nehmend ins Blickfeld der Nachrichtenagenturen, Anfrage sie beantwortet. Entscheidend ist hierbei etwa das Liebesgespann Maybrit Illner (ZDF) und allerdings oft die Bekanntheit des Journalisten – so Telekomchef René Obermann oder die Beziehung Roger Boyes (The Times): von ARD-Moderatorin Anne Will und ihrer Partnerin, der Medienökonomin Miriam Meckel: „Ich habe aber einen gewissen Bekanntheitsgrad,

was beim Zugang ein wenig hilft. Ich dringe durch meine Kolumne und wegen meiner Beiträge in der 68 deutschen Presse schneller durch zu den Ministern. Margaret Heckel repräsentiert drei Politikredaktionen Aber die Grundregel ist selbstverständlich folgende: aus dem Axel Springer Verlag (Die Welt, Welt am Wenn es einem Politiker nutzt, dann ist es ihm egal, Sonntag, Berliner Morgenpost), die bereits vor ihrer wer man ist oder für wen man schreibt.“ (Roger Zusammenlegung gewichtig waren. Heckel weiß aus Boyes, The Times) eigener Erfahrung, dass die Auflage von Zeitungen beim Zugang zu politischen Recherchequellen ein

wesentliches Kriterium ist: „Mit unserem Verbund Auch die „Bauchladenmenschen von der Regional- aus Welt, Welt Online, Welt am Sonntag, Berliner presse“ (Martin Bialecki, dpa), die im Vergleich zu Morgenpost und Welt Kompakt können wir jedem den Kollegen der überregionalen Redaktionen ein Politiker eine unglaubliche Bühne bieten, egal aus überaus hohes Arbeitspensum zu bewältigen haben, welchem Lager. Sie erreichen damit über 2,5 Millio- können Rechercheerfolge verzeichnen, wenn sie die nen Leser im Qualitätssegment.“ Für Thomas Wittke Potenziale ihrer Recherche-Netzwerke bündeln und (Bonner General-Anzeiger) liegt es daher auf der effektiv nutzen, wie Dieter Wonka von der Leipziger Hand, dass es in den Pressestellen der Ministerien Volkszeitung. Den Ausschlag geben nichtsdestotrotz und Regierungsbehörden Prioritätenlisten gibt, die die vorhandenen Arbeitskapazitäten: Freie Journalis- die Recherchesituation von Regionalzeitungen sys- ten, die für unterschiedliche Medien arbeiten, kön- tematisch behindern. Deren Denken richte sich noch nen nach Erfahrung der Befragten weniger Ressour- immer nach dem Motto „Bild, BamS und Glotze“, so cen für die Recherche aufbringen als ihre Kollegen dass „Regionalzeitungen teilweise bis abends um 19 der großen Medien. Stattdessen sind sie verstärkt Uhr oder 19.30 Uhr auf ihren Rückruf warten“ müss- auf die Rechercheergebnisse der Leitmedien ange- ten. Eine zufrieden stellende Gleichbehandlung der wiesen und müssen sich an deren Themensetzung Medien auf Ebene der Informationsbeschaffung ist orientieren, um gegebenenfalls eigene Nachrecher- folglich ebenso wenig gewährleistet wie ein unein- chen unter einem spezifischen Blickwinkel zu leisten. geschränkter kontinuierlicher Informationsfluss zwi- Nico Fried (Süddeutsche Zeitung) sieht in der Mehr- schen Journalisten und Politikern. belastung das größte Hindernis für die Recherche:

4.4.7. Recherche-Netzwerke: Zusammenfas- „Der News Access ist nicht mehr so schwierig. Der sende Thesen große Unterschied ist der quantitative Aspekt. Wir haben die größeren Ressourcen und können uns viel ƒ Die Recherche-Netzwerke sind für politische besser auf einzelne Themen oder Personen konzent- Berichterstatter in Berlin offenbar enger und die rieren, während Regionalzeitungen nicht ein solch Wege kürzer als in Restdeutschland: Oft genü- dickes Büro haben. Wir bei der SZ sind in der Politik gen Anruf, SMS oder Mail an einen Politiker oder sechs und in der Wirtschaft vier Journalisten. Ein Kollegen, um an die gewünschten Informationen Regionalzeitungsbüro besteht in der Regel aus zwei, zu kommen. Diesen kurzen Draht begünstigen wenn’s hochkommt drei Leuten, die das alles abde- v.a. die häufigen Begegnungen zwischen Spit- cken müssen. Und die müssen sich natürlich auf zenpolitikern und so genannten Edelpublizisten bestimmte Sachen konzentrieren.“ (Nico Fried, Süd- der Leitmedien und „Alpha-Journalisten“ in der deutsche Zeitung) Berliner Edelgastronomie, z. B. dem Restaurant Borchardt oder dem Café Einstein unter den Linden. Die Redaktionsstärke hat für die Recherche aber möglicherweise auch Nachteile, weil sie das Risiko ƒ Eine weitere Besonderheit der Informationsbe- einer zu starken Fokussierung bei der thematischen schaffung sind die politischen Hintergrundkreise, Herangehensweise. Weil Journalisten sich in den die – ähnlich wie zu Bonner Zeiten – dem infor- großen Redaktionen voll und ganz auf bestimmte mellen Kontakt zwischen Journalisten und Politi- Parteien konzentrieren können, haben sie in den kern dienen; dabei geht es weniger um konspi- jeweils anderen Parteien kaum Kontakte. Hier sind rative Absprachen, sondern um den Aufbau ei- die Allrounder klar im Vorteil, allerdings wird es dem nes gegenseitigen Vertrauensverhältnisses, also Nachwuchs im Nachrichtengeschäft auch nicht gera- mithin darum, den Menschen hinter dem Amt de leicht gemacht, aus eigener Kraft Reputation zu des Politikers besser einschätzen zu können. Die schöpfen. Für die Auskunftsfreudigkeit eines Politi- Teilnahme an Hintergrundkreisen ist durch die kers, das wird aus den Befragungsergebnissen sehr hochselektive Weitergabe vertraulicher Informa- deutlich, zählen vor allem der publizistische Ruf ei- tionen allerdings stark vorbelastet: Einerseits nes Mediums und erst in zweiter Linie der des ein- stellt sich in Hintergrundgesprächen eine (unge- zelnen Journalisten. sunde) professionelle Nähe gegenüber dem Poli- tiker und das mulmige Gefühl der ‚Mitwisser-

69 schaft’ ein, andererseits möchte kein Haupt- stadtjournalist in Ermangelung vergleichbarer Recherchemittel ohne weiteres auf diese Quellen verzichten. ƒ Die Rezeption der Qualitäts- und Leitorgane schlägt sich auch auf die Recherche nieder: Was die tonangebenden Blätter und Sender recher- chieren, wird häufig von kleineren Medien auf- gegriffen; v.a. die Zentralredaktionen der Lokal- blätter orientieren sich verstärkt an den Großen. Weiterhin haben Nachrichtenagenturen – ähn- lich wie die Online-Medien – das Konkurrenz- und Exklusivitätsdenken in der Recherche mas- siv verstärkt. ƒ Die Zusammenarbeit mit den Pressestellen und - sprechern der Bundesregierung, des Bundesta- ges und der Fraktionen wird von den Korres- pondenten mehrheitlich als kollegial betrachtet; hierunter leidet augenscheinlich die Rolle der Medien als „Vierte Gewalt“ – investigative Re- cherchen nach dem US-Vorbild der „Muckrakers“ werden seltener. ƒ Weshalb die geäußerte (Selbst-)Kritik einiger Befragter an der mangelnden Rechercheleis- tung, vor allem an fehlender Motivation und mangelnden Ressourcen zur investigativen Re- cherche, keine Verbesserungsversuche nach sich zieht, erscheint umso rätselhafter, als in einem weitgehend homogenisierten Rechercheumfeld jeder eigenständige Ausbruch in den Enthül- lungsjournalismus Originalität bedeutet und ei- nen wesentlichen Wettbewerbsvorteil verspricht. ƒ Besonders (kleinere) Regionalmedien haben ein regelrechtes Zugangsproblem zu Recherchein- formationen; sie werden nicht nur bei Interviews mit Spitzenpolitikern, in Hintergrundkreisen, bei Politikerreisen und politischen Großereignissen benachteiligt, ihnen fehlt häufig auch die (redak- tionelle und finanzielle) Ausstattung, Flexibilität und Ausdauer, um mit den Rechercheuren in etablierten Medienhäusern überhaupt mithalten zu können. ƒ Tabu-Recherchethemen im Zusammenhang mit Politikern sind für die Korrespondenten solche, die auf den ersten Blick keinerlei politische Rele- vanz haben, z. B. außereheliche Affären, Homo- sexualität, Krankheiten, Delikte – selbst wenn derlei Indiskretionen in Medienkreisen hinläng- lich bekannt sind. Es kommt allerdings häufiger vor, dass solche Tabus gebrochen werden, so- bald sie erst einmal – zum Beispiel in der Boule- vardpresse – anrecherchiert und publiziert wer- den.

70 5 Fazit Resümee und praktische Handlungsempfehlungen

Das gegenwärtige Interesse am so genannten Öffentlichkeitsarbeit und der Beraterbranche vor ‚Hauptstadtjournalismus’ hat bereits mehrere Publi- ihrer jetzigen Tätigkeit als Journalist(inn)en gearbei- kationen nach sich gezogen, die sich allesamt poin- tet haben. tiert-essayistisch und einvernehmlich-kritisch mit den medienpolitischen Konvulsionen der Berliner Repub- Unterschiedlich fällt das Rollen-Selbstverständnis vor lik befassen. Wie diese Studie eingehend dokumen- allem der journalistischen Akteure aus: Während tiert, bietet sich zweifellos ein enormer kommunika- sich die einen eher als reine Chronisten der Berliner tionswissenschaftlicher Erkenntnisgewinn, wenn die Republik und Dienstleister der Öffentlichkeit verste- Akteure in ihren vielfältigen Erfahrungs- und Ar- hen, sehen sich die anderen als „Vierte Gewalt“, die beitskontexten selbst zu Wort kommen. Die empiri- den politischen Machtapparat kontrollieren wollen. schen Ergebnisse zeigen maßgebliche Probleme und Viele von ihnen begannen ihre Karriere bereits in Mängel in der Politikberichterstattung auf, sie bestä- Bonn, mussten sich jedoch dem Umzug der Bundes- tigen einige weit verbreitete Vorurteile, überraschen regierung beugen und mit ihren Redaktionen bzw. aber auch mit neuen Resultaten, die nachfolgend Ministerien mit in die Hauptstadt wechseln; nur we- noch einmal zusammengefasst werden, bevor ab- nige, meistens Jüngere, starteten ihre Laufbahn erst schließend auf einige Empfehlungen und Ratschläge in Berlin, einige waren zuvor Auslandskorresponden- in medienpraktischer Absicht eingegangen wird. ten in europäischen Hauptstädten. Dabei haben alle ihre ursprünglichen beruflichen Ziele und Erwartun- gen heruntergeschraubt oder zumindest relativiert; 5.1 Selbstverständnis und Biografien der Ak- nur wenige haben die Verhältnisse des Hauptstadt- teure journalismus neuer Prägung und der politischen Kommunikation so antizipiert, wie sie heute sind. Die biografischen Werdegänge der befragten Haupt- stadtjournalisten und Pressesprecher sind ebenso Was (fast) sämtlichen Befragten ebenfalls gemein- verschieden wie die Auffassungen ihrer einzelnen sam ist: Sie halten ihre Tätigkeit einerseits für be- Berufsrolle(n): Einige der Befragten waren vor ihrer sonders wichtig und gestehen ein, selbst „wichtig- Journalisten- und Sprecherlaufbahn parteipolitisch tuerisch“ zu sein – wenngleich sie sich nicht mit dem aktiv, manche lehnten genau dies aus ethischen Prädikat des „Alpha-Journalisten“ schmücken wollen Gründen vehement ab, viele volontierten oder arbei- (dies sei anderen Wichtigtuern vorbehalten, vor teten bereits während des Studiums journalistisch, allem den prominenten Publizisten, Moderatoren und für andere wiederum kam der Wechsel in den Jour- Chefredakteuren). Andererseits wird beklagt, dass nalismus bzw. ins politische Sprecheramt eher un- sich die Branche zunehmend in Alpha- und Omega- vermittelt. Zwei Drittel der Journalisten erklärten, ihr tiere aufspaltet: die Medienprominenz und die „Me- Beruf sei schon immer ihr Ziel gewesen; der Großteil dienbrötler“. Unter Berücksichtigung dieser Extrem- war bereits zu Schüler- und Studienzeiten journalis- pole lassen sich insgesamt fünf Hauptstadtjournalis- tisch aktiv. Vier der Befragten sind Quereinsteiger, ten-Typen unterscheiden, die sich durch spezifische die erst einen anderen Job ergriffen und ihre journa- Arbeitsweisen und ihre Kenntlichkeit unterscheiden: listische Berufung mit Verzögerung entdeckten. So arbeitete Brigitte Fehrle von der Zeit zunächst meh- ƒ Die „Alpha-Journalisten“ stehen ganz oben in rere Jahre als Buchhändlerin, bevor sie sich für ein der publizistischen Hackordnung und dominieren Studium und den Einstieg in den Journalismus ent- durch ihre exponierte Stellung die Deutungsho- schied. Ulrich Deppendorf (ARD) absolvierte nach heit innerhalb der politischen Berichterstattung. seinem Jura-Studium die Referendariatszeit, bevor ƒ Redaktions- und Ressortleiter von Leitme- er sich beim Westdeutschen Rundfunk um ein Vo- dien sind im Berliner Politikbetrieb hoch ange- lontariat bewarb. Bemerkenswert ist auch, dass die sehen und rege umworben, aber außerhalb des überwiegende Mehrheit der befragten Vertreter der Alltagsgeschäfts keine wirklichen Berühmtheiten. 71 Sie zehren von ihrer fachlichen Reputation und Sachliche zu behalten. Schuld daran, dass sich diese dem Zugang zu politischen Hintergrundkreisen. publizistischen Rahmenbedingungen derart rasant wandeln und damit die Identität des politischen ƒ Agenturjournalisten gehören zu den einfluss- Journalismus im Kern angreifen, sind nicht nur die reichsten Journalisten, weil sie die wertvollen technologischen Schübe im Bereich der politischen Nachrichten liefern, über die zuerst die Branche, Kommunikation (vgl. Kap. 4.3) und die Recherche- dann die ganze Nation spricht. Dennoch sind sie Besonderheiten in der Hauptstadt (vgl. Kap. 4.4), nahezu unbekannt; selbst in Fachkreisen sind sondern in erster Linie die veränderten Konstellatio- die Agenturleute nahezu unkenntlich und ver- nen unter den Berliner Leitmedien. Vergleicht man trauen auf ihre persönlichen Kontakte zur Politik. die unterschiedlichen Mediengattungen und Nach- ƒ Eine wachsende Bedeutung haben Boulevard- richtenangebote, wird deutlich, dass nach wie vor journalisten, die als Kolumnisten selbst promi- das Fernsehen und die Qualitätspresse – insbeson- nent werden und sich auf das ‚Enthüllen’ priva- dere etablierte Nachrichtenmarken wie Tagesschau ter Geheimnisse von Politikern verstehen. Dieser und heute, FAZ und Süddeutsche Zeitung –, aber Typ ist selbst in erlauchten Politikerkreisen be- auch Bild-Zeitung, das Nachrichtenmagazin Spiegel kannt und wird gleichermaßen geliebt wie ge- und der Deutschlandfunk den Takt vorgeben. fürchtet. Unter Kollegen genießt der politische Das Ansehen des Fernsehens als lineares Prog- Boulevardjournalist allerdings keinen guten Ruf. rammmedium hat in der Wahrnehmung der Haupt- ƒ Ganz unten im Hauptstadtjournalismus rangiert stadtjournalisten dagegen stärker eingebüßt als das Fußvolk, meist schlecht bezahlte „Medienb- jedes andere Medium. Dieser Bedeutungsverlust ist rötler“ und Nachwuchsjournalisten, deren Na- insofern bemerkenswert, als dass die öffentlich- men weder einem breiten Publikum noch einer rechtlichen TV-Veranstalter nach dem Aus von Sabi- Fachöffentlichkeit geläufig sind, und die im Ter- ne Christiansen ihr Angebot der politischen Talk- minstress ihre Karriere kaum entfalten können. shows noch ausgebaut haben. Dennoch vermag es das Medium nach Einschätzung der Politikberichter- Gerade vor dem Hintergrund dieser wachsenden statter nicht, über sein basales Informationsangebot Bekanntheits- und Einkommensklüfte kritisieren die in den herkömmlichen Nachrichtensendungen hinaus Befragten, dass die Selbstreflexion und -kontrolle noch eine tragende Rolle im Agenda Setting zu spie- des eigenen Berufsstandes und der Politikberichters- len – selbst Politikmagazine wie „Panorama“ oder tattung mangelhaft ist: Hier fehle es sowohl an Ge- „Monitor“ wurden von vielen Befragten als bedeu- legenheiten und Foren zum professionellen Aus- tungslos bezeichnet. Die Funktion des Fernsehens tausch als auch an funktionierenden und nachhalti- beschränkt sich stattdessen fast nur noch auf die gen Kontrollmechanismen im Politikjournalismus Prominenzierung des politischen Personals, die zum selbst – Stichworte: Medienjournalismus/ Medienkri- einen der Image-Pflege und Bekanntheit von Politi- tik. kern dient, zum anderen die sachliche Auseinander- setzung mit Politikthemen erheblich beeinträchtigt. Während viele Befragte den älteren und neueren politischen Talkshows wie „Anne Will“, „Maybrit Ill- 5.2 Agenda Setting in der Bundeshauptstadt ner“ und „Hart aber fair“ einen schwindenden Ein- fluss auf das politische Tagesgeschehen attestieren, Der massive Konkurrenzdruck, die zunehmende wurde in den vergangenen Jahren besonders ein Selbstbezogenheit der Medienszene, die mit einer Medienangebot zur Pflichtlektüre hochgejazzt, das zunehmend gleichförmigen Berichterstattung ein- offenbar kein Hauptstadtjournalist mehr ignorieren hergeht, und die ausgeprägten Tendenzen zur Bou- kann: Spiegel Online, das nach Aussage der Befrag- levardisierung gehören zweifellos zu den wichtigsten ten mit Abstand schnellste, flexibelste und nach Determinanten, ohne deren Analyse die unterschied- langen Jahren des Darbens inzwischen personell wie lichen Ausprägungen des Agenda Setting und des redaktionell fürstlich ausgestattete Nachrichtenme- Agenda Cutting in Berlin nicht zu verstehen sind. Die dium, hat sich im Bereich der politischen Themen- Beschleunigung des Informationsumschlags durch setzung den Ruf eines Trendverkünders und uner- den unaufhaltsamen Siegeszug der elektronischen schütterlichen Agenda Setters erworben. Massenmedien führt latent zu einer weiteren Verkür- zung von Themenkarrieren und einer Ausbreitung Der bahnbrechende Erfolg des Spiegel-Ablegers in des so genannten „Häppchenjournalismus“, der Berlin hat jedoch gravierende Nachteile: Gerade jeder historischen Perspektive entbehrt. Dadurch Zeitungsleute, aber auch manche Fernsehmacher wird nicht nur der Mediennutzer überfordert, son- fürchten die Agilität und den boulevardesken Stil von dern auch die Journalisten selbst ebenso wie die Spiegel Online – derart aggressiv und dominant Politikvertreter, denen es allesamt immer schwerer kommt ihnen die Berichterstattung vor. Manche fällt, den (Über-)Blick fürs Wesentliche, Langfristige, Korrespondenten sehen sich von den Zentralredak- 72 tionen mitunter sogar mit dem Auftrag konfrontiert, 5.4 Recherche-Netzwerke den Themen bei Spiegel Online nachzuspüren. Die neuen Möglichkeiten der Hinterzimmer und No-

belgastronomie Berlins haben die Recherche-Kultur der politischen Berichterstattung nach Aussage der 5.3 Politische Kommunikation befragten Journalisten grundlegend verändert: Auch wenn schon in Bonn bei Saumagen und einem Mit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin Schoppen Wein Hintergrundgespräche geführt wur- und dem späteren Machtwechsel der Bundesregie- den, ist die gefühlte Nähe des Journalismus zur Poli- rung von Rot-Grün zur Großen Koalition veränderten tik an den gemeinsamen Dreh- und Angelpunkten sich nach Aussage der Befragten auch die Kommu- offensichtlicher als je zuvor. Persönliche Kontakte, nikationsströme und Medienstrategien des politi- das „Sehen-und-Gesehen-Werden“, sind etwa im schen Betriebs: Die Zahl der politischen Kommunika- Edelrestaurant Borchardt, im In-Lokal Grill Royal, im tions- und Medienkongresse nahm exorbitant zu, Café Einstein unter den Linden oder auf einer der ebenso die Konzentration der elektronischen und vielen Festivitäten, die Medienhäuser, Großunter- mobilen Kommunikationsmittel. Zudem arbeiteten in nehmen und Politik regelmäßig ausrichten, an der der Hauptstadt im Jahr 2008 so viele Profis im Tagesordnung – zumindest für die Medien- und Kommunikationssektor wie nie zuvor: Die – neben Politprominenz. Für das ‚Fußvolk’ der Berichterstatter Politik und Journalismus – ‚dritte Säule’ der Kommu- bilden dagegen die gründliche Morgenlektüre der nikationspolitik bilden vor allem Politikberater, Pres- überregionalen Leitmedien und der Griff zum Tele- sesprecher und Lobbyisten, die wie die publizisti- fonhörer nach wie vor die Hauptinformationsquellen, schen Leitmedien in Berlin (vgl. Kap. 4.2) erhebli- obwohl das Internet mit kostenlosen Angeboten wie chen Einfluss auf das Agenda Setting und das Kom- Google-News, Wikipedia und Spiegel Online klassi- munikationsverhalten der politischen Klasse insge- sche Recherchetätigkeiten zunehmend abzulösen samt nehmen. scheint. Immer häufiger werden auch SMS und reine Ebenfalls zum Leidwesen der Zeitungsjournalisten Fernsehübertragungen, etwa von den Sitzungen der hat sich die Interview-Autorisierung durchgesetzt: Bundespressekonferenz (die für Recherchen ohnehin Kaum etwas, was im Gespräch gesagt wurde, bleibt bedeutungsloser wird), zur Überbrückung der langen unverändert, stattdessen wird extrapoliert, umge- Fußwege im Großstadtmilieu genutzt. schrieben, sinnentstellt. Hier findet das politische Zum Ärger vieler Journalisten kommen investigative Inszenierungsprinzip des Fernsehens seine Entspre- Recherchen unter Berliner Bedingungen gänzlich zu chung im Gedruckten. Der Austausch der Kommuni- kurz – was einerseits der ‚kollegialen’ Zusammenar- katoren ist – wie überhaupt das Miteinander von beit mit den Pressestellen bzw. Pressesprechern von Medien und Politik – überdies charakterisiert durch Bundesregierung, Ministerien und Parteien, anderer- neue Spielarten und Restriktionen in der Regie- seits offenbar auch dem Mangel an (redaktionellen rungskommunikation, die es zu Bonner Zeiten nicht und finanziellen) Ressourcen und dem gestiegenen gegeben hat, darunter die informelle SMS- Zeitdruck im Journalismus geschuldet ist. Das da- Kommunikation zwischen Journalisten und Abgeord- durch erzwungene „Nachdrehen“ der Themenset- neten, die den Berichterstattungsdruck in der zung einiger führender Leitmedien, darunter vor Hauptstadt abermals potenziert und einzelnen politi- allem Bild, zwängt die betroffenen Hauptstadtjour- schen Akteuren zunehmend als Mittel zur Profilie- nalisten häufig in ein ambivalentes Vorgehen: Zwar rung dient, sowie der moderne Video-Podcast von werden die ethischen Grundsätze der journalisti- Bundeskanzlerin Angela Merkel, der – absichtlich schen Arbeit betont, und wird in Bezug auf private oder nicht – galant die traditionelle Gatekeeper-Rolle „Tabu-Themen“ auf den Pressekodex verwiesen. der Medien umgeht. Doch wird zugleich bemängelt, dass sich die Berich- Der präsentistische Charakter und das daraus fol- terstatter dem Druck, sich mit dem Privatleben von gende hohe Inszenierungspotenzial haben sich also Politikern zu befassen, nicht entziehen können, vom Fernsehen auf andere Bereiche der elektroni- wenn dieses aggressiv von Boulevardmedien auf die schen Kommunikation verschoben. Vor allem das Agenda gehoben wird und dadurch oft unnötig (poli- Internet genießt einen wachsenden Stellenwert bei tische) Relevanz erhält. der Darstellung politischer Prozesse in der Öffent- Einen besonderen Stellenwert in der Informations- lichkeit, vor allem bei jüngeren Mediennutzern. beschaffung nehmen die Hintergrundkreise Berlins ein, die in einem immer unübersichtlicheren Recher-

che-Umfeld als wichtiger denn je eingeschätzt wer- den. Anders, als von einigen Kollegen außerhalb der engeren Politikzirkel suggeriert wird, geht es dort allerdings vergleichsweise harmlos zu: Es finden

73 weder konspirative Absprachen statt noch werden heblichen Unwissenheit in Bezug auf Sachthe- Staatsgeheimnisse ausgeplaudert, sondern es geht men und den jeweiligen Gegenüber ergibt. Um den Befragten zufolge vorrangig um das informelle künftig eine verlässlich Rechercheinfrastruktur Gespräch zwischen Politikern und Journalisten („Un- zu gewährleisten, könnte ein verbindlicher Ko- ter drei“) mit dem Ziel, ein gegenseitiges Ver- dex für Hintergrundkreise erarbeitet werden, trauensverhältnis aufzubauen. um ihren Stellenwert als maßgebliche Recher- cheinstanz zu erhalten und zu stärken. Ebenso Dabei gibt es größere und kleinere Kreise, darunter wäre über eine Reformierung der Bundespres- journalistische Selbstgründungen und solche, die sekonferenz nachzudenken, deren Bedeutungs- von Ministern, Fraktionsvorsitzenden oder anderen verlust der politischen Kommunikation auf lange Politikern ins Leben gerufen wurden. Jedes politi- Sicht erheblichen Schaden zufügen könnte. sche Ressort hat mindestens einen eigenen Kreis, wenn nicht mehrere, je nach politischer Gesinnung ƒ Die für den Recherchejournalismus zentrale (z. B. links, konservativ). Eine Besonderheit ist fer- Frage, warum in Berlin so wenig bzw. so man- ner, dass die meisten Kreise von Männern besucht gelhaft recherchiert wird, lässt sich auf Grund- werden, weshalb sie auch abfällig als „Herrenclubs“ lage der Befragung zwar nicht eindeutig beant- abgestempelt werden. worten. Der aktuelle Zustand legt allerdings Zugangsprobleme im Hinblick auf den exklusiven mehrere Vermutungen nahe, und zwar dass (1) Informationsfluss haben insbesondere (kleinere) aktualitätsgebundene Redaktionen generell we- Regionalmedien; sie werden nicht nur bei Interviews niger recherchieren, (2) die Zentralredaktionen mit Spitzenpolitikern, in den Kreisen, bei Ministerrei- eine umfassende Recherche möglicherweise gar sen oder politischen Events benachteiligt, ihnen fehlt nicht erwarten, (3) Recherchen – im ökonomi- meist auch die Flexibilität und Beharrlichkeit, um schen und ideellen Sinn – nicht (mehr) ange- den etablierten Leitmedien das Wasser reichen zu messen honoriert werden und (4) generell nach können. Gefährdet sind die Hintergrundkreis als einem ‚Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip’ gehan- wertvolle Recherchequellen vor allem durch den delt wird, sprich: Bei kritischer Berichterstat- wachsenden Konkurrenzdruck, wenn sich Journalis- tung könnten wertvolle Recherchequellen für ten über die Verschwiegenheitspflicht hinwegsetzen immer versiegen, umgekehrt könnten publizisti- und vertrauliche Informationen veröffentlichen. Die sche Liebesdienereien und ein lockeres Hinweg- Konsequenz ist ein zunehmendes Misstrauen der sehen über Affären und Skandale einen dauer- politischen Gäste, das die Institution des Hinter- haften Zugang zu Exklusiv-Informationen ga- grundkreises damit grundsätzlich in Frage stellt. rantieren.

ƒ Die Analyseergebnisse dokumentieren insge- samt einen teilweisen bis erheblichen Korrek- 5.5. Resümee turbedarf, auch alarmierende Missstände im praktizierten Hauptstadtjournalismus. Schwer ƒ Die Befragten lassen allesamt eine grundsätzli- auszumachen ist, wer die eigentlichen Verant- che kritische, auch in Teilen selbstkritische Hal- wortlichen sind, wird die Medienpraxis doch de- tung zur Arbeitssituation in der Hauptstadt er- terminiert durch ökonomische, journalistische, kennen, aber konkrete Verbesserungsideen und ideologische, medienpolitische und – immer -ansätze im eigenen Berufsalltag vermissen. häufiger – individuell motivierte Einflussnahme. ƒ Die Befragten fordern einerseits mehr (Selbst-

)Reflexion im Medienbetrieb, schaffen selbst aber keine eigenen Reflexionsräume, obwohl 5.6. Praktische Handlungsempfehlungen sie in den geeigneten Führungspositionen in- nerhalb der Redaktionen sitzen, um derartige 5.6.1. Verbesserungspotenziale für Journalisten Voraussetzungen zu ermöglichen. Erklärt wird diese Nachlässigkeit in der kritischen Selbstbe- ƒ Den Hauptstadtjournalisten stehen mehr Re- obachtung und Herstellung von Transparenz cherchequellen zur Verfügung als jemals zuvor. häufig damit, dass die Hauptstadtjournalisten in Um den Überblick zu behalten und gleichzeitig einem Hamsterrad steckten, das ein Ausbre- den Kopf frei zu haben für die individuelle Sicht chen aus der täglichen Routine erschwere. auf politische Prozesse, muss die Kompetenz und Lernfähigkeiten der Berichterstatter bei der ƒ Die Recherchesituation der Hauptstadtjournalis- Selektion relevanter Informationen und Wis- ten prägt eine starke Ambivalenz, die sich aus sensbestände gestärkt werden. Immer mehr dem Zusammenspiel von Nähe und Distanz, Journalisten verlassen sich bei ihren Recherchen Ausnutzung und Anfreundung sowie einer er- 74 offenbar auf das Internet und einen kompakt vertraute Zugang zu dem jeweiligen Politiker umrissenen Kanon von Leitmedien, die durch die versperrt war. Journalisten müssen sich gerade elektronische Datenübertragung unkompliziert in der massenmedial aufgeheizten Kommunika- und schnell Material bereithalten. Dabei verzich- tionsblase in Berlin-Mitte vorsehen, von inszenie- ten sie jedoch auf die umständlichere Vor-Ort- rungswilligen Politikern unter dem Schein der in- Recherche und erhöhen damit die Gefahr, vestigativen Informationsakquise instrumentali- Falschmeldungen und Nachrichtenirrläufern auf- siert zu werden. Dazu gehört auch eine kritische zusitzen. Distanz zu den etablierten Konventionen bei der Interview-Freigabe, die nur durch eine konzer- ƒ Journalisten, vor allem auch auf regionaler Ebe- tierte, medienübergreifende Verurteilung des ne, müssen mehr Mut zur Entschleunigung ha- Missbrauchs der Autorisierungspraxis durch Poli- ben und sich bedingt aus dem terminlichen Rä- tiker zu überwinden sind. Gleichzeitig ist es kei- derwerk des politischen Alltags lösen, um eige- ne Lösung, mit einer Zunahme an Boulevardisie- nen, auch langfristigen Recherchen nachgehen rung, speziell der Neigung zur Berichterstattung zu können. Terminjournalismus wird zunehmend über Details aus dem Privatleben von Politikern, von Agenturen und Nachrichtenmedien im seinen eigenen Vorteil zu suchen, da dies den Internet schneller und häufig auch umfangrei- Identitätskern des Politikjournalismus unterg- cher angeboten, als es der einzelne (Regional- räbt. zeitungs-)Journalist vermag. Verlage sollten es Redaktionen ermöglichen, ein eigenes Profil bei ƒ Der stark kritisierte Kompetenzmangel bei einem der politischen Berichterstattung zu entwickeln, Großteil des journalistischen Nachwuchses auf um sich unabhängiger von der Themensetzung dem politischen Parkett Berlins macht deutlich, bestimmter Leitmedien und von den Homogeni- dass die derzeitige Journalistenausbildung im sierungseffekten in der Kommentierung zu ma- Hinblick auf den Politikjournalismus im Allgemei- chen. Auch die Kollegenorientierung würde da- nen und die Hauptstadtberichterstattung im durch weniger brisante Ausmaße annehmen. Speziellen weitgehend versagt. Es hapert vor al- lem an historischem Kontextwissen und Kenn- ƒ Die verbreitete Auffassung, ein schneller Nach- tnissen über inhaltliche Sachverhalte. Um auf richtenumschlag entspreche dem publizistischen lange Sicht erfolg- und ertragreich aus Berlin zu Zeitgeist, schadet dem Journalismus und führt berichten und die Arbeit der Kollegen wie auch zu einem Verlust seiner Orientierungsfunktion. jene der Vertreter der Politik nicht zu behindern, Eine Stärkung des Journalisten als Schleusen- braucht es mehr als politisches Grundwissen und wärter im Informationsfluss ist unabdingbar. die Fähigkeit, Politikergesichter zu erkennen. Anwachsendes Informationsaufkommen, ver- Sachverstand vor Personalisierung sollte deutli- kürzte Themenkarrieren und exorbitantes Wach- cher – vor allem auch in der innerbetrieblichen stum von (un)professionellen Veröffentlichungen Volontärsausbildung – propagiert werden. im Internet stellen für Journalisten besondere Herausforderungen dar, seine kanalisierende Vermittlerrolle noch effektiver wahrzunehmen. Journalisten sollten daher bei der Berichterstat- 5.6.2. Verbesserungspotenziale für Politiker tung Ruhe bewahren und Informationen nach eingehender Reflexion und Kontextualisierung ƒ Der Umgang von Politikern mit Journalisten veröffentlichen. Dass dies bei den verschärften gleicht in vielerlei Hinsicht einer Zweiklassenge- Wettbewerbsbedingungen immer schwerer ein- sellschaft: Bekannte Berichterstatter mit Namen zuhalten ist, kann als Ausschlusskriterium nicht und einflussreichem Redaktionen im Rücken geltend gemacht werden. Vielmehr müssen An- werden bei Anfragen schnell zurückgerufen und sätze für eine medienübergreifende Verständi- mit Informationen beliefert, Vertreter kleinerer gung zur Einschränkung des „Häppchenjourna- oder auf bundesweiter Ebene unbedeutenderer lismus“ zur Anwendung kommen, die eine Rück- Medien, vor allem jene von Regionaltiteln, müs- besinnung auf journalistische Werte anstreben sen meist lange auf eine Reaktion warten – und die Qualitätsdebatte neu beleben. wenn überhaupt eine erfolgt. Natürlich ist die Zeit knapp, vor allem von Spitzenpolitikern und ƒ Journalisten sollten sich innerlich wie äußerlich ranghohen Vertretern der Volksparteien. Doch stärker von ihrem Beobachtungsobjekt distanzie- hat sich bereits mehrfach gezeigt, dass eine effi- ren. Es hat noch keinem Berichterstatter ge- ziente politische Kommunikationsstrategie vor schadet, einen Politiker nicht zu duzen; es sei allem auf Streuung setzt und alle Medien, ob denn, ihm wurde dadurch die Recherche inso- Print, Radio, Fernsehen oder Online miteinbe- fern erschwert, als dass der vertrauliche und

75 zieht; dies entspricht im Übrigen auch dem de- verwerflich. Dennoch ist ein fairer, professionel- mokratischen Informationsfreiheitsprinzip. ler Umgang mit Journalisten hinsichtlich des ei- genen Willens zur Informationsweitergabe wei- ƒ Pressestellen sind notorisch unterbesetzt und – taus viel versprechender, da erfahrene Haupt- so zumindest die Kritik vieler Hauptstadtjourna- stadtjournalisten in Hintergrundkreisen und auch listen – in einem kritischen Maß inkompetent. in aller Öffentlichkeit schnell bemerken, wenn Für ihr Wissen, ihre Eloquenz und Mitteilungsbe- die Äußerungen oder das Schweigen eines Poli- fugnis geschätzte Sprecher sind Einzelfälle und tikers von Fadenscheinigkeit geprägt sind. Die belegen, wie angewiesen die Berichterstatter auf Folge sind Misstrauen oder Abwertung des Poli- solch qualifiziertes Personal in den politischen tikers in der subjektiven Beurteilung des Berich- Institutionen bei der Recherche sind. Eine die terstatters, was wiederum nachteilige Konse- Anforderungen und Fallstricke des Berliner Polit- quenzen für das Bild der öffentlichen Person bei betriebs hinreichend aufgreifende PR-Ausbildung der medialen Thematisierung haben kann. Be- ist ebenso notwendig wie die Akzeptanz der Öf- sonders gilt das für Politiker, die eine kumpel- fentlichkeitsarbeiter innerhalb der Parteien, Be- hafte Nähe zu Journalisten für die beste Strate- hörden und Ministerien als essentielle, wenn gie halten, um ihr Medienimage aufzupolieren. nicht sogar wichtigste Schnittstelle zwischen Öf- Wie die Beispiele Gerhard Schröder und Joschka fentlichkeit und Politik. Eine Attraktivitätssteige- Fischer gezeigt haben, führt dies eher zum Ge- rung des Berufes im Vergleich zur Public Relati- genteil. ons in der freien Wirtschaft würde auch die Fluk- tuation in der Besetzung der politischen Presse- ƒ Während das Beratungspotenzial auf Seiten der stellen mindern und den Journalisten nicht nur Politik als immens eingeschätzt wird, gibt es vor verlässliche, sondern auch auf Dauer ver- allem bei der Direktkommunikation mit Journa- trauensvolle Ansprechpartner bieten. listen zahlreiche Ansatzpunkte für Verbesserun- gen. Das Verhältnis ist oft allzu sehr von gegen- ƒ Der Umgang mit Lobbyisten muss transparenter seitigem Misstrauen und Instrumentalisierungs- erfolgen und sollte die Medien mit einbeziehen. versuchen geprägt. Die Annahme des Ver- Da es sich bei der Einbindung von gesellschaftli- trauensbruchs ist mittlerweile zur Regel gewor- chen Interessensvertretern im weitesten Sinne den. Politiker äußern sich seltener als Menschen, einerseits um die Nutzbarmachung von Exper- sondern häufiger als phrasendreschende „Poli- tenwissen, andererseits um eine urdemokrati- tikmaschinen“. Interviews werden im Nachhinein sche Miteinbeziehung von Gesellschaftsgruppie- frank und frei verändert, gleich was beim ei- rungen handelt, kann die öffentliche Kommuni- gentlichen Gespräch besprochen wurde. Um die kation solcher Entscheidungsprozesse nur von vergiftete Kommunikationssituation zwischen Vorteil sein, das Interesse für politische Belange dem Gros der Politiker und den Journalisten zu in der Bevölkerung fördern sowie zum Engage- normalisieren – und vor allem zu professionali- ment anregen. sieren – bedarf es keiner Pseudo-Annäherung des gemeinsamen „Sehen-und-Gesehen- ƒ Dass Politiker Medien für ihre Zwecke zu instru- Werdens“, sondern eines von Fairness und ge- mentalisieren suchen, ist weder bestreitbar noch genseitiger Achtung geprägten Verhältnisses.

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Literaturverzeichnis

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Anhang

Kurzbiografien der Gesprächspartner

Sabine Adler wurde am 6. Juni 1963 in Zörbig Parlament und Regierung in die Bundeshauptstadt geboren. Noch vor dem Abitur, als 14-Jährige, im Sommer 1999 die politische FAZ-Redaktion in begann sie als Korrespondentin für die Lokalzei- Berlin. tung zu schreiben. Nach dem Abitur und Zeitungs- volontariat folgte das Diplom-Journalistikstudium Iris Bethge wurde am 12. Dezember 1969 in an der Universität Leipzig. Der berufliche Einstieg Dannenberg/ Elbe geboren. Im hannoverschen 1987 war mit einem Wechsel des Mediums ver- Wendland aufgewachsen machte sie 1990 am Gymnasium Lüchow Abitur. Nach einem Freiwilli- bunden, von der Zeitung zum Hörfunk, Radio DDR. gen Sozialen Jahr studierte sie sechs Semester Nach der Wende 1989 verließ sie den Sender, ar- Medizin an der FU Berlin. Von den Naturwissen- beitete für den Privatfunk radio ffn. Ab 1994 arbei- schaften wechselte sei dann über ein Praktikum tete sie frei für das WDR-Fernsehen und für die zur Altmark-Zeitung in Sachsen-Anhalt. Dort volon- Deutsche Welle in Köln, wo sie bis 1997 im Funk- tierte Bethge 1996 bis 1998 und wurde anschlie- journal tätig war. Von dort folgte der Wechsel zum ßend innerhalb des Verlages in die Redaktion des Deutschlandfunk. Nach zwei Jahren Zeitfunk wurde Isenhagener Kreisblattes nach Niedersachsen übernommen. Dort leitete sie kommissarisch die sie für fünfeinhalb Jahre, von 1999 bis 2004, als Lokalredaktion, bis sie sich 2003 bei der damals Korrespondentin nach Moskau entsandt. Nach der neu gewählten niedersächsischen Landesregierung Rückkehr 2005 war sie als Korrespondentin des bewarb. Bethge wurde erste Sprecherin von Minis- Hauptstadtstudios tätig, das sie seit 2007 leitet. terin Ursula von der Leyen. Von 2003 bis 2005 leitete sie das Referat für Presse- und Öffentlich- Günter Bannas wurde am 8. Mai 1952 in Kassel keitsarbeit im niedersächsischen Ministerium für geboren. Die Schule besuchte er in Köln, wo er Soziales, Familie, Frauen und Jugend. 2005 wech- 1971 das Abitur machte. Nach vier Semestern selte sie mit Ursula von der Leyen nach Berlin. Seit Geschichte studierte er Volkswirtschaftslehre, Fi- dem leitet die Pressesprecherin das Pressereferat sowie den Leitungsstab des Ministeriums. nanzwissenschaften, Politische Wissenschaften und Sozialpsychologie und schloss sein Studium mit Martin Bialecki wurde am 25. Oktober 1967 in Diplom an der Universität Köln 1979 ab. Früh galt Nürnberg geboren. Er studierte Politikwissenschaf- sein Interesse dem politischen Journalismus, den ten, Geschichte und Soziologie und machte 1995 er zu Beginn der Studienzeit als Verantwortlicher ein Volontariat bei der dpa. Danach folgten Statio- einer katholischen Schüler- und Studentenzeit- nen in München und Hamburg. Von 1999 bis 2002 schrift (direct) einübte. Nach einer Hospitanz wur- war Martin Bialecki Ressortleiter Vermischtes/ Mo- de er 1977 beim Deutschlandfunk ständiger freier dernes Leben und daran anschließend bis 2004 Mitarbeiter in verschiedenen politischen Redaktio- Ressortleiter Politik Deutschland in Berlin. Seit nen. Im September 1979 erfolgte der Eintritt in die Januar 2005 ist Martin Bialecki Leiter des Bundes- Nachrichtenredaktion der Frankfurter Allgemeinen büros/ Ressort Politik Deutschland. Zeitung und im März 1981 wurde Bannas zur poli- tischen Berichterstattung nach Bonn entsandt. Von Roger Boyes wurde am 7. August 1952 in Here- Februar 1997 an leitete er das Berliner Büro der ford geboren. Er ist britischer Journalist und Buch- Süddeutschen Zeitung. Im Sommer 1998 kehrte autor. Seit 1993 berichtet er als Korrespondent der Bannas in die Bonner FAZ-Redaktion zurück. Seit alterwürdigen britischen Tageszeitung The Times Herbst 1998 leitet er das politische Ressort der aus Deutschland. Dem deutschsprachigen Publi- Zeitung zuerst in Bonn und nach dem Umzug von 79 kum wurde er vor allem durch seine bissig- daktionsgruppe auf. Im Mai 1987 wurde Deppen- ironischen kulturanthropologischen Betrachtungen dorf wieder auf dem Bildschirm aktiv und mode- der Deutschen aus der Sicht eines Ausländers be- rierte erstmals in der ARD die Wahlereignisse. In kannt. Boyes studierte zunächst am renommierten dieser Zeit entwickelte er mit Gerd Berger die Sen- King’s College in London Politikwissenschaft, Ge- dung „ZAK“. Seit 1988 war er Verantwortlicher rmanistik und Schwedisch. Im Anschluss arbeitete Redakteur für zahlreiche Sondersendungen und er in den 1970er Jahren für die Nachrichtenagen- „Brennpunkte“ zum politischen Umbruch in Europa. tur Reuters und die Financial Times. 1981 wechsel- Erst 1991 verließ Deppendorf den WDR und ging te er zur Times und war für sie als Korrespondent als Zweiter Chefredakteur zu ARD-aktuell nach in Warschau und Rom tätig. 1993 kam er in der Hamburg und wurde dort zwei Jahre später Erster gleichen Funktion nach Deutschland und berichtete Chefredakteur. 1999 wechselte er als Chefredak- aus Bonn, ab 1999 dann aus Berlin. Für den Ta- teur in das ARD-Hauptstadtstudio nach Berlin und gesspiegel begann er dort, seine Betrachtungen leitete dort das Gründungsteam. Gleichzeitig über- über die Stadt und die Deutschen in der Kolumne nahm er auch die Moderation für den „Bericht aus „My Berlin“ aufzuschreiben. 2006 folgte sein Buch Berlin“. Im Mai 2002 kehrte er als Programmdirek- „My Dear Krauts. Wie ich die Deutschen entdeckte“ tor Fernsehen zum WDR Köln zurück. Am 1. Mai und 2007 „How to be a Kraut. Leitfaden für ein 2007 übernahm Ulrich Deppendorf den Posten des wunderliches Land“. Studioleiters und Chefredakteurs Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio. Tissy Bruns wurde am 1. Januar 1951 geboren. Sie ist Journalistin und Leiterin des Parlamentsbü- Michael Donnermeyer wurde am 4. Februar ros des Tagesspiegel. Im ersten Beruf war sie Leh- 1960 in Mettingen (Westfalen) geboren. Er ist Ge- rerin für Mathematik und Geschichte. Von 1991 bis schäftsführer des IZ Klima und war von 2002 bis 1999 arbeitete sie als Parlamentskorrespondentin Ende September 2007 Sprecher des Berliner Se- in Bonn, dann war sie in Berlin tätig – für taz, nats. Zuvor war der ausgebildete Journalist Kom- Stern, Wochenpost und die Welt. Von 1999 bis munikationschef im Bundesministerium für Ver- 2003 war sie – als erste Frau in diesem Amt – kehr, Bau- und Wohnungswesen und Pressespre- Vorsitzende der Bundespressekonferenz. Tissy cher für die SPD, u. a. für den Parteivorstand, den Bruns lebt in Berlin, ist verheiratet und hat einen SPD-Landesverband Berlin und die SPD Landtags- Sohn. fraktion Brandenburg. Donnermeyer war außer- dem Gründungsmitglied und bis 2007 Vizepräsi- Ulrich Deppendorf wurde am 27. Januar 1950 in dent des Bundesverbandes deutscher Pressespre- Essen geboren. Er studierte nach dem Abitur 1970 cher. in Duisburg zunächst Rechtswissenschaften und schloss 1976 mit dem Ersten Staatsexamen ab. Brigitte Fehrle wurde am 19. Dezember 1954 in Nach sechs Monaten als Gerichtsreferendar am Stuttgart geboren. Mit 19 Jahren ergriff sie zu- Landgericht Duisburg absolvierte er ab November nächst den Beruf der Buchhändlerin und entschied 1976 sein Volontariat beim Westdeutschen Rund- sich erst spät für eine wissenschaftliche Ausbil- funk, bei dem er auch die folgenden 13 Jahre sei- dung. Von 1981 bis 1984 studierte sie Politik an ner journalistischen Laufbahn verbrachte. 1978 bis der Freien Universität Berlin und arbeitete wäh- 1979 stieg er beim WDR als Reporter und Redak- renddessen als freie Journalistin für den Süddeut- teur der Sendungen „Hier und Heute“, „Journal 3“, schen Rundfunk und die taz, wo sie nach ihrer „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ein. 1980 wech- Diplomierung eine Anstellung als Redakteurin im selte Deppendorf als Redakteur für Sonderaufga- Innenpolitik-Ressort bekam. Sechs Jahre später ben in die Chefredaktion WDR Fernsehen. Für die wechselte sie zur Berliner Zeitung, blieb in ihrer WDR-Redaktion „ARD-aktuell“ war Deppendorf Funktion als landespolitische Korrespondentin aber 1981 bis 1986 als Reporter und Redakteur tätig. ihrer innenpolitischen Perspektive treu und wurde Dort übernahm er 1986 bis 1989 die Leitung. 1996 zur Ressortleiterin, 1999 zur leitenden Redak- Gleichzeitig war er zunächst stellvertretender Leiter teurin und 2002 zur stellvertretenden Chefredak- der Redaktionsgruppe Zeitgeschehen Aktuell und teurin. Im August 2006 wechselte sie als stellvert- ab Dezember 1989 stieg er zum Leiter dieser Re- retende Chefredakteurin zur Frankfurter Rund-

80 schau. Nur ein Jahr später erhielt sie das Angebot Danach ging sie für zwei Jahre als Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit, Leiterin des Berliner nach Moskau, schloss zwei weitere Jahre als Reise- Redaktionsbüros zu werden und nahm an. reporterin an und berichtete über die Auswirkun- gen des noch jungen Kapitalismus in Mittel- und Peter Frey wurde am 4. August 1957 in Bingen Osteuropa. Zehn Jahre nach dem Mauerfall wech- geboren. Er leitet seit 2001 das ZDF-Hauptstudio. selte sie nicht nur das Blatt, sondern auch ihren Nach Abitur und Zivildienst studierte er Politikwis- Themenschwerpunkt: In der Hauptstadtredaktion senschaften, Pädagogik und spanische Philologie in der Financial Times Deutschland beschäftigte sich Mainz, wo er 1986 promovierte. Seine Karriere als Heckel fortan ausschließlich mit den Themen der Journalist startete Frey 1978 beim Hörfunk des Berliner Republik und wurde im Jahr 2000 zur Südwestfunks, 1983 wechselte er zum ZDF. Dort Teamleiterin Deutsche Politik/ Wirtschaftspolitik berichtete er als Reporter und Redakteur für das befördert. 2003 erfolgte die Ernennung zur stell- „heute-journal“ aus Mexiko, Nicaragua, Polen und vertretenden Ressortleiterin, 2004 zur Ressortleite- Spanien. Von 1988 bis 1990 war Frey persönlicher rin und damit Leiterin des Berliner Büros der FTD. Referent des ZDF-Chefredakteurs Klaus Bresser Seit April 2006 arbeitet Margaret Heckel als Res- und betreute redaktionell die Interviewreihe "Was sortleiterin Politik der Welt, Welt am Sonntag und nun, ...?". 1991 wurde er Korrespondent im ZDF- Berliner Morgenpost. Studio in Washington, von wo er auch über den Golfkrieg berichtete. Ein Jahr später kehrte er nach Ulrike Hinrichs wurde am 8. Februar 1969 im Deutschland zurück und baute das „ZDF- niedersächsischen Oldenburg geboren. Sie studier- Morgenmagazin“ mit auf, das er bis 1998 leitete te nach ihrem Abitur zunächst in Göttingen, später und mit Maybrit Illner und Gundula Gause auch in Wien die Fächerkombination Germanistik, Che- moderierte. Im Oktober 1988 übernahm Frey die mie und Sozialwissenschaften. Nach ihrem Stu- Leitung der ZDF-Hauptredaktion Außenpolitik so- dium schloss sie ein Fernseh- und Rundfunkvolon- wie die Moderation des „auslandsjournals“ und tariat beim Südwestfunk an und arbeitete unter zahlreicher „ZDF-spezial“-Sendungen. Darüber anderem für das Politikmagazin „Report“ und die hinaus unternahm Frey zahlreiche Reportagereisen „Innenpolitik“. Im Jahr 2000 zog es sie nach Mainz unter anderem nach Russland, in den Nahen Osten zum ZDF, das sie schließlich nach Berlin entsandte, und Osteuropa. wo sie für die Magazine „Kennzeichen D“ und „Frontal 21“ als investigative Reporterin Filme über Nico Fried wurde am 1. Oktober 1966 geboren. organisierte Kriminalität (Rechtsextremismus, Waf- Er leitet seit Oktober 2007 die Parlamentsredaktion fenschmuggel), Parteispenden und Sozialthemen der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Fried hat in drehte. 2005 erschien ihr Buch „Auf dem Rücken München und Hamburg Politikwissenschaft, Ge- der Patienten“. Seit dem Regierungswechsel im rmanistik und Staatsrecht studiert und die Jahre 2005 arbeitet Hinrichs nicht mehr als Journa- Deutsche Journalistenschule in München absol- listin, sondern fungiert als Leiterin der Presse- und viert. Er gehört dem Berliner SZ-Büro seit 2000 an. Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für Fried schrieb zunächst als freier Mitarbeiter, u. a. Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung, bevor er und untersteht damit Bundesminister Horst Seeho- 1996 als Redakteur der Berliner Zeitung in die fer. Hauptstadt wechselte. Gerhard Hofmann wurde am 3. August 1948 in Margaret Heckel wurde am 6. Juni 1966 in Miltenberg (Main) geboren. Er war politischer Heilbronn geboren. Sie absolvierte zunächst an Chefkorrespondent des Senders RTL und Leiter des den Universitäten Heidelberg und Amherst (Massa- Politik-Ressorts in Berlin. Seit November 2006 war chusetts) ein internationales Studium der Volk- Hofmann zusätzlich Chefkorrespondent von n-tv. swirtschaftslehre. Nach einem Volontariat an der Nach seinem Ausscheiden aus den Unternehmen Düsseldorfer Georg von Holtzbrinck-Schule für wurde der Posten des Chefkorrespondenten bei Wirtschaftsjournalisten begann sie als Korrespon- RTL und n-tv nicht neu besetzt. Hofmann arbeitete dentin bei der Wirtschaftswoche, für die sie von seit 1994 bei RTL, dabei zunächst als Studioleiter 1991 bis 1994 aus Leipzig über die ökonomische in Bonn und ab 1999 dann als politischer Chefkor- Entwicklung der neuen Bundesländer berichtete. 81 respondent in Berlin. Vor seiner Laufbahn bei RTL 1994 war er Chefredakteur der Jungen Welt und er arbeitete Hofmann beim Bayerischen Rundfunk ist Autor einer Biografie über Gregor Gysi. Sein und beim SWF, u.a. auch als ARD-Korrespondent gemeinsam mit Nadja Klinger publiziertes Buch in Buenos Aires. Sein Buch „Die Verschwörung der „Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die Journaille zu Berlin“ (Bouvier 2007) behandelt den neue Armut in Deutschland“ wurde 2007 mit dem Niedergang der Regierung Schröder-Fischer nach Literaturpreis „Das Politische Buch“ der Friedrich dem desaströsen Wahlergebnis für Rot-Grün in Ebert Stiftung ausgezeichnet. Das Interview wurde Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 bis zur Bun- im Dezember 2007 geführt. Zum damaligen Zeit- destagswahl im September. Seit Februar 2008 ist punkt arbeitete König noch bei der taz. Gerhard Hofmann als Lobbyist für die City Solar AG in Berlin tätig. Thomas Kröter wurde am 28. Juni 1951 in Kö- then (Anhalt) geboren. 1957 kam er in die Bundes- Dr. Gunter Hofmann wurde am 31. Dezember republik und wuchs in Moers am Niederrhein auf, 1942 in Oberwernersdorf (Sudeten) geboren. Er wo er am humanistischen Gymnasium Adolfinum studierte Politische Wissenschaften, Philosophie 1971 das Abitur ablegte. Er studierte in Marburg und Soziologie in Frankfurt und Heidelberg und Politische Wissenschaft und Germanistik bis zum promovierte in politischer Philosophie bei Dolf Staatsexamen 1978. Seit seiner Schülerzeit schrieb Sternberger. Danach arbeitete er zunächst sieben er für Lokalzeitungen. Später finanzierte er sein Jahre als Korrespondent in Bonn für die Stuttgarter Studium durch Urlaubsvertretungen. Nach seinem Zeitung, ab 1977 für Die Zeit, deren Bonner und Examen arbeitete Kröter erst als Politikredakteur, Berliner Büro er später viele Jahre leitete. Derzeit dann als Reporter bei der Neue Presse Hannover – arbeitet er als Chefkorrespondent der Wochenzei- mit kurzen Abstechern (1981) zur Mitgliederzeit- tung in Berlin. Für sein Buch „Abschiede, Anfänge schrift der IG Metall und zum Hessischen Rundfunk – Die Bundesrepublik, eine Anatomie“ erhielt er in Frankfurt. Nach fünf Jahren als politischer Nach- 2002 den Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung für das richtenredakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger war beste politische Buch des Jahres. Seine aktuellen er Korrespondent des Tagesspiegel erst in Bonn, Werke sind „Schuld & Sühne & Stolz & Vorurteil. dann in Berlin. Seit 2001 arbeitet Kröter in der Polen und Deutsche“ (gemeinsam mit Adam Krze- Berliner Redaktion der Frankfurter Rundschau. minski, Berlin 2007) und „Familienbande. Die Poli- tisierung Europas“ (München 2005). Henning Krumrey wurde am 6. April 1962 in Berlin geboren. Er leitet seit 1997 die Parlaments- Jürgen Hogrefe wurde am 21. April 1949 gebo- redaktion von Focus. Seine Themenschwerpunkte ren. Er leitet als Generalbevollmächtigter der EnBW sind die Bundeskanzlerin, die Koalitionsparteien Energie Baden-Württemberg AG seit Mai 2003 den CDU und CSU sowie die FDP. Wenig Zeit und Bereich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der Raum bleiben da für seine früheren Spezialthemen Holding mit Sitz in Berlin. Der gelernte Journalist Wirtschafts-, Sozial- und Ordnungspolitik. Parallel war 18 Jahre lang Redakteur beim Spiegel, von zum Studium der Volkswirtschaft und Politikwis- 1993 bis 1998 als Nahostkorrespondent mit Sitz in senschaft in Berlin und Köln absolvierte Krumrey Jerusalem. Bis Anfang 2003 berichtete er als Kor- die Kölner Journalistenschule. 1988 begann der respondent für deutsche Außenpolitik aus dem Diplom-Volkswirt seine berufliche Laufbahn als Hauptstadtbüro des Nachrichtenmagazins. Er ist Bonner Korrespondent der Wirtschaftswoche. 1992 Buchautor und -herausgeber mehrerer Bücher, wechselte er in gleicher Funktion in die Grün- zuletzt „Gerhard Schröder – Ein Porträt“ (Berlin dungsmannschaft von Focus. Als Leiter der Parla- 2002) und „Das Helle und das Dunkle“ sowie „Das mentsredaktion kehrte er in Folge des Regierungs- neue Denken – Das Neue denken“, (Göttingen umzugs 1999 an seinen Geburtsort Berlin zurück. 2005, mit Professor Utz Claassen). Es blieb Zeit für zwei Bücher: „Aufschwung Ost – Märchen oder Modell?“ (1992) und „Kinder – ein Jens König wurde am 17. Januar 1964 in Berlin Luxus?“ (1994, zusammen mit der ehemaligen geboren. Er ist Reporter im Hauptstadtbüro des „Focus“-Kollegin Nicola Brüning). Ehrenamtlich ist Stern. Davor leitete er jahrelang das Parlaments- Krumrey stellvertretender Vorstandsvorsitzender büro der tageszeitung (taz). König hat Journalistik in Leipzig studiert. Von November 1989 bis März 82 der Kölner Journalistenschule. Krumrey ist verhei- Dr. Richard Meng wurde am 18. Juni 1954 in ratet und hat drei Kinder. Gelnhausen (Hessen) geboren. Seit dem 1. De- zember 2007 ist er Staatssekretär und Sprecher Lars Kühn wurde am 12. Mai 1966 in Berlin gebo- des Senats von Berlin. Seine Schulzeit verbrachte ren. Seine Schulzeit verbrachte er in Wiesbaden er bis zum Abitur in Büdingen (Hessen) und absol- und schloss daran eine Ausbildung zum Techni- vierte ab 1972 ein Studium in Gießen. Ab 1980 schen Zeichner (Maschinenbau) in Wiesbaden an. arbeitete Meng neben dem Studium als freier Das Abitur erlangte er über den zweiten Bildungs- Journalist und berichtete über regionale und bil- weg in Darmstadt. Kühn publizierte in verschiede- dungspolitische Themen für Zeitungen und Fach- nen Fachmagazinen und arbeitete ab 1992 als magazine. Von 1980 bis 1982 machte Meng ein Redakteur bei einem Europamagazin in Berlin, das Lehramtsreferendariat an Gymnasien in Friedberg vom Berliner Senat herausgegeben wurde. Von (Hessen) und schloss daran 1984 eine sozialwis- 1993 bis 1995 war er in der Öffentlichkeitsarbeit senschaftliche Promotion in Gießen an. Ab 1984 bei dem international tätigen Beratungsunterneh- hatte Meng eine Redakteursanstellung bei der men BBJ in Berlin beschäftigt. Als freier Journalist Frankfurter Rundschau. Dort war er bis 1986 Hes- war er ab 1995 u. a. für die Süddeutsche Zeitung senreporter, bis 1988 dann in der Seite-3- tätig und erstellte klassische Reportagen für diver- Redaktion und bis 1996 landespolitischer Korres- se Magazine. Ab Oktober 1997 arbeitete Kühn im pondent in Wiesbaden. Seit 1996 war Meng bun- Bundestagswahlkampf der SPD mit, in der Kampa despolitischer Korrespondent mit Leitungsaufgaben in Bonn. Von 1998 bis Ende 1999 war er als Stell- in Bonn und danach ab 1999 in Berlin, ab 2006 vertretender Sprecher im Bundesministerium für stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Verkehr, Bau- und Wohnungswesen tätig in Bonn, Berliner Redaktion. Außerdem lehrt er an verschie- nach dem Regierungsumzug dann in Berlin. Von denen Institutionen und Hochschulen. Meng veröf- Ende 1999 bis 2001 folgte die Tätigkeit als Stell- fentlicht regelmäßig Fachbeiträge zu Fragen des vertretender Sprecher des SPD-Parteivorstandes, Parteiensystems und der Mediengesellschaft und anschließend war Kühn von 2002 bis zur Bundes- schrieb mehrere Bücher, zuletzt: „Der Medienkanz- tagswahl im September 2002 Sprecher des SPD- ler – was bleibt vom System Schröder“ (2002) und Parteivorstandes. Ab Oktober 2002 arbeitete Kühn „Merkelland – wohin führt die Kanzlerin?“ (2006). als Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und seit Mai 2004 ist er Sprecher des SPD-Parteivorstandes. Mainhardt Graf von Nayhauß-Cormons wurde am 1. Juli 1926 in Berlin geboren. Nayhauß, des- Carsten Lietz wurde am 11. März 1972 in Hanno- sen Vorfahren aus Schlesien stammen, ist der ver geboren. Seine ersten Artikel schrieb er noch Sohn eines Offiziers und lebte – mit zwei Jahren als Schüler über Lokales in Burgwedel für ein Wo- Unterbrechung – bis 1956 in seiner Heimatstadt, chenblatt (Marktspiegel). Mit dem Abitur 1991 wo er den Beruf des Wirtschaftsjournalisten erlern- wechselte er als freier Mitarbeiter zu den Regional- te. Anschließend zog er nach Bonn und wurde ausgaben der Hannoverschen Allgemeinen Zei- Korrespondent verschiedener Tages- und Wochen- tung, für die er bis zum Ende seines Studiums zeitungen (Der Spiegel, Stern, Bunte, Die Welt, schrieb. In Hannover und Bristol (GB) studierte er Welt am Sonntag, Wirtschaftswoche, Bild am Geschichte, Politik und deutsche Sprachwissen- Sonntag). Seit dem 5. Januar 1981 schreibt er schaft. Während dessen absolvierte er mehrere politische Kolumnen für die Bild-Zeitung (bis 1999 Praktika und Hospitanzen, u.a. bei Bild, bei der dpa unter dem Titel „Bonn vertraulich“, 1999 bis 2005 in Brüssel und AP in Frankfurt. Kurz vor dem Ma- unter dem Titel „Berlin vertraulich“, seit 5. August gister-Abschluss stieg er 1999 als Auslandsredak- 2005 unter dem Titel „Meine Top 10 der Woche“). teur bei Reuters in Berlin ein. Später erfolgte der Außerdem ist Nayhauß Kolumnist für die Illustrierte Wechsel in die Inlandsredaktion an den Slot und Bunte und Buchautor. Er veröffentlichte unter an- von dort 2002 nach Brüssel als der deutschspra- derem Biografien über Helmut Schmidt (1988) und chige EU-Korrespondent im internationalen Reu- Richard von Weizsäcker (1994). In Kürze erscheint ters-Büro. Nach fünfeinhalb Jahren bei EU und sein achtes Buch, zudem er erstmals nicht nur den Nato folgte im Sommer 2007 die Rückkehr nach Text schrieb, sondern auch 200 selbst geschossene Berlin. Seitdem ist er Leiter der Inlandsredaktion. Fotos beigesteuert hat: „Die Geheimnisse der 83 Kanzlerreisen – Unterwegs mit der Macht (Lingen richterstattung, entsandt. Ende 2001 wechselte Verlag, Köln). Nayhauß ist Träger des Bundesver- Schmitz ins Hauptstadtbüro von Bild in Berlin, dort dienstkreuzes 1. Klasse. Er ist verheiratet mit Sabi- war er vor allem zuständig für sozial-, wirtschafts- ne Gräfin von Nayhauß und hat zwei Töchter, von und finanzpolitische Parlamentsberichterstattung, denen die 1972 geborene Tamara, verheiratete zuletzt als Chefreporter. Im April 2006 erfolgte die Gräfin von Kalckreuth, als Fernsehmoderatorin Wahl zum Pressesprecher der Bundestagsfraktion arbeitet. Bündnis 90/Die Grünen, deren Pressestelle er seit Juni 2006 leitet. Thomas Rietig wurde am 5. Juni 1952 in Minden geboren. Von 1970 bis 1975 absolvierte er ein Christoph Schwennicke wurde am 20. März Studium der Germanistik und Romanistik in Frank- 1966 in Bonn geboren. Aufgewachsen im schwäbi- furt am Main. Seit 1972 ist er journalistisch tätig. schen Neu-Ulm machte er 1985 das Abitur am 1977 schloss er ein Volontariat bei der Frankfurter Nikolaus-Kopernikus-Gymnasium in Weißen- Neuen Presse an und wurde anschließend dort horn/Bayern. Danach folgten freie Mitarbeiten bei Lokalredakteur. Seit 1984 arbeitet Rietig bei der der Illertisser Zeitung (Lokalausgabe der Augsbur- Nachrichtenagentur Associated Press (AP). 1995 ger Allgemeinen), der Südwest Presse und dem übernahm er dort die Leitung des Bonner, seit Süddeutschen Rundfunk in Ulm. Schwennicke stu- 2000 des Berliner Hauptstadtbüros. Rietig ist ver- dierte Germanistik, Politik und Journalistik in Bam- heiratet und hat zwei Kinder. berg, verbrachte ein Auslandsjahr in Metz/Frankreich und besuchte die Deutsche Jour- nalistenschule München. Von 1993 bis 1995 war Schwennicke als Seite-Drei-Reporter der Badischen Holger Schmale wurde am 22. August 1953 in Zeitung in Freiburg tätig, dann wurde er Parla- Hamburg geboren. Er studierte Publizistik, Ge- mentskorrespondent in Bonn. Von 1996 bis 2007 schichte und Politische Wissenschaften. Ab 1978 arbeitete Schwennicke als Korrespondent der arbeitete er als Redakteur der Deutschen Presse- Süddeutschen Zeitung in Bonn, Berlin und London, Agentur (dpa) in West- und Ost-Berlin und ab zuletzt als Büroleiter der Berliner Redaktion. Seit 1987 war er als Korrespondent im Bundesbüro der Herbst 2007 ist er politischer Reporter des Spiegel dpa in Bonn tätig. Von 1997 war Schmale USA- in Berlin. Christoph Schwennicke erhielt 1992 den Korrespondent der dpa in Washington bis er 2001 Theodor-Wolff-Preis. Er ist verheiratet und Vater als politischer Korrespondent zur Berliner Zeitung einer Tochter. wechselte, wo er jetzt Leiter des Bundesbüros ist. Schmale veröffentlichte 2004 das Buch „John Ker- Michael H. Spreng wurde am 10.Juli 1948 in ry. Kandidat gegen Bush - Amerika vor der Ent- Darmstadt geboren. Er machte 1968 in Frankfurt scheidung“ (gemeinsam mit Jochen Arntz). Abitur und volontierte bei der Frankfurter Neuen Presse. 1971 ging der Journalist nach Hamburg in Christoph Schmitz wurde am 26. Oktober 1965 die Innenpolitik der Welt und wechselte 1973 als in Kevelaer am Niederrhein geboren. Dort machte Korrespondent in die Bonner Parlamentsredaktion er 1984 das Abitur und studierte bis 1991 an der der Welt. Von 1976 bis 1983 leitete er die Parla- Universität zu Köln Germanistik, Musikwissen- mentsredaktion von Bild und BamS. Von 1983 bis schaft, mittlere und neuere Geschichte. Schon 1989 war Spreng Chefredakteur des Express in während des Studiums arbeitete er als freier Mi- Köln, von 1989 bis 2000 Chefredakteur der Bild am tarbeiter für die Lokalredaktion der Rheinischen Sonntag in Hamburg. Nach seinem Ausscheiden Post in Geldern, 1991 dann Tageszeitungs- aus dem Springer-Verlag 2001 machte sich Spreng Volontariat bei der Rheinischen Post in Düsseldorf. als Medien- und Kommunikationsberater selbst- Dort übernahm er 1993 die Wirtschaftsberichters- ständig. 2002 war Spreng Kommunikationsmana- tattung in der Stadtredaktion Düsseldorf. Nach ger des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoi- einem Einsatz in der Regionalredaktion folgte 1997 ber, 2003 leitete er die Redaktion der Talk-Show der Wechsel in die Politische Nachrichtenredaktion „Maischberger“ und 2004 beriet er den nordrhein- der Rheinischen Post. Ende 1999 wurde Schmitz westfälischen CDU-Politiker Jürgen Rüttgers. als Korrespondent ins Parlamentsbüro der Rheini- Spreng gehört keiner Partei an. schen Post, mit Schwerpunkt sozialpolitische Be- 84 Dr. phil. Thomas Steg wurde am 6. Mai 1960 in mandu/Nepal, die dort als Entwicklungshelferin für Braunschweig geboren. Er ist seit 2002 stellvertre- die GTZ tätig war. Dort verfasste er den Krimi tender Sprecher der Bundesregierung und seit „Santiago“, der 2001 erschienen ist. Ab Herbst 2005 auch stellvertretender Leiter des Presse- und 2000 war Weiland als bundespolitischer Korres- Informationsamtes der Bundesregierung. Von 1980 pondent im Hauptstadtbüro der taz, ab Februar bis 1982 studierte er Psychologie an der Techni- 2002 dann für Spiegel Online im Berliner Büro schen Universität Braunschweig. 1981 begann er tätig. Seit Mai 2004 ist Severin Weiland stellvertre- an der Universität Hannover das Studium der Sozi- tender Leiter des Berliner Büros von Spiegel Onli- alwissenschaften und promovierte dort 1992. 1986 ne. Sein Schwerpunkt ist dabei die CDU/CSU. bis 1988 volontierte und arbeitete er als Redakteur bei der Braunschweiger Zeitung, bis er im Novem- Dr. Thomas Wittke wurde am 16. Juli 1953 in ber 1988 Pressesprecher des Deutschen Gewerk- Nienburg an der Weser geboren. Er besuchte in schaftsbunds Niedersachsen/ Bremen wurde. 1991 Hannover und in Bonn Grundschule und Gymna- wechselte er als Pressesprecher in das niedersäch- sium und studierte in der damaligen Bundeshaupt- sische Sozialministerium und wurde 1995 Presse- stadt Politikwissenschaft, Verfassungs-, Wirt- sprecher der SPD-Fraktion im niedersächsischen schafts- und Sozialgeschichte, Völkerrecht und Landtag. 1998 stieß Steg zu Gerhard Schröders Soziologie. Das Studium schloss er mit einer Dis- Team und war bis 2002 stellvertretender Leiter des sertation über die staatliche Reaktion auf die Kanzlerbüros im Bundeskanzleramt. Schleyer-Entführung und -Ermordung ab. Für diese Arbeit recherchierte er bei zahllosen damaligen Severin Weiland wurde am 24. November 1963 Entscheidungsträgern, was sein Interesse am poli- in Wilhelmshaven geboren. Mit seinen Eltern und tischen Journalismus mit prägte. Er begann in der seinen beiden Schwestern lebte er von 1972 bis Lokal-Redaktion des Bonner General-Anzeigers, Anfang 1977 in Chile, wo sein Vater Lehrer an der wechselte 1984 in das politische Ressort, um 1989 Deutschen Schule in Concepción war. 1984 machte in das Bonner Korrespondentenbüro der Zeitung er das Abitur in Wilhelmshaven. Während der einzutreten. Seit 1999 leitet er das Berliner Bun- Schulzeit war er Herausgeber einer Schülerzeitung. deshauptstadtbüro des Bonner General-Anzeigers. Im Herbst 1985 erfolgte die Aufnahme in die 24. Gleichzeitig ist er im Vorstand der Bundespresse- Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule konferenz u. a. für die Organisation des Presse- (DJS) in München. Parallel begann er an der Lud- balls zuständig. wig-Maximilians-Universität ein Studium der Kom- munikations- und Politikwissenschaften. 1990 folg- Dieter Wonka wurde am 15. Mai 1954 in Kauf- te der Abschluss als Diplomjournalist und als Re- beuren geboren. Er ist Hauptstadtkorrespondent dakteur an der DJS. Zunächst war Weiland als der Leipziger Volkszeitung in Berlin und Mitglied freier Journalist in München tätig, bis er im Früh- der BPK. Wonka studierte in München und Re- jahr 1991 nach Berlin wechselte. Im Januar 1992 gensburg und war danach als Politikredakteur bei wurde er Redakteur im Lokalteil der tageszeitung, verschiedenen deutschen Tageszeitungen tätig. später deren Korrespondent im Berliner Abgeord- Von 1981 bis 1989 arbeitete er für die Neue Pres- netenhaus. Ab 1996 bis 1999 war Weiland stell- se, erst in Hannover, dann in Bonn. Anschließend vertretender Ressortleiter Innenpolitik der taz. arbeitete er bis 1991 für den Stern. Seit 1992 ist er Vom Sommer 1999 bis Sommer 2000 nahm er sich Politikchef und Berliner Büroleiter der Leipziger eine Auszeit bei seiner heutigen Ehefrau in Kat- Volkszeitung.

85 8 Die Autoren

Leif Kramp ist Medienwissenschaftler und Journa- Dr. Stephan Weichert ist Kommunikationswis- list. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter senschaftler und Publizist. Er arbeitet am Institut des Berliner Instituts für Medien- und Kommunika- für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin, u. tionspolitik im Forschungsschwerpunkt „Qualitäts- a. als Projektleiter des Forschungsschwerpunkts journalismus und Prestige-Presse“. Studium der „Qualitätsjournalismus und Prestige-Presse“ und Journalistik und Kommunikationswissenschaft, als Chefredakteur des „Jahrbuchs Fernsehen“. Geschichte und Betriebswirtschaftslehre in Ham- Studium der Soziologie, Journalistik und Psycholo- burg. Autor für überregionale Tageszeitungen, gie, Promotion 2006 an der Universität Hamburg Fach- und Publikumszeitschriften sowie Branchen- mit einer Arbeit über den 11. September im deut- dienste (u. a. Frankfurter Allgemeine Zeitung, schen Fernsehen. Zuvor wissenschaftlicher Mitar- Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Blick- beiter am Institut für Journalistik und Kommunika- punkt:Film, epd medien, Rundfunk und Geschich- tionswissenschaft der Universität Hamburg und am te). Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Grün- dungschefredakteur und ehemaliger Herausgeber des Medienmagazins „Cover“. Autor für überregio- nale Tageszeitungen, Fachmagazine und Bran-

chendienste (u. a. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Rhei- nischer Merkur, Freitag, Medium Magazin, journa- list und epd medien) sowie Herausgeber diverser Bücher über Medienjournalismus und Krisenkom- munikation. Zuletzt erschienen: „Die Alpha- Journalisten: Deutschlands Wortführer im Porträt“ (gem. hrsg. m. Christian Zabel, Köln 2007). Außer- dem Mitglied der Jury des Adolf-Grimme-Preises und Dozent für Journalistik an der Hamburg Media School.

86 LEIF KRAMP/ STEPHAN WEICHERT

Journalismus in der Berliner Republik – Zielsetzungen für das „netzwerk recherche“ Wer prägt die politische Agenda in der Bundeshauptstadt? 1. Das „netzwerk recherche“ verfolgt das Ziel, die reichend wahrgenommen wurde: Der Leuchtturm jour nalistische Recherche in der Medien-Praxis zu – Preis für besondere publizistische Leis tung en. stärken, auf ihre Be deu tung aufmerksam zu machen und die intensive Re cher che vor allem in 7. Die Mitglieder des Netzwerkes setzen sich dafür der journalistischen Ausbildung zu fördern. ein, dass die Möglichkeiten der Recherche nicht eingeschränkt werden. 2. Zu diesem Zweck entwickelt das „netzwerk Das „netzwerk recherche“ äußert sich öffentlich recher che“ Ausbildungskonzepte für die Recher - zu Fragen der Recherche und der Bezüge zur jour- che-Ausbildung, vermittelt Referenten und berät nalistischen Qualität, wenn Begrenzung en oder In sti tutionen der journalistischen Aus- und Wei - Einschränkungen der Presse frei heit festgestellt ter bil dung in der Gestaltung und Umsetzung ent - werden. sprechender Ausbildungskonzep te. Das „netzwerk recherche“ veranstaltet zudem eigene Recherche- 8. Das „netzwerk recherche“ arbeitet mit anderen Seminare sowie Modell seminare zu verschiedenen Journalisten Organisationen und Gewerkschaft en Themen. zusammen, die im Grund satz ähnliche Ziele ver- folgen und ebenfalls dazu beitragen, den Aspekt 3. Das „netzwerk recherche“ bietet ein Recherche- der Recherche im Journalismus stärken um so die Mentoring für jüngere Kolleginnen und Kollegen Qualität der Medien insgesamt zu verbessern. an, um in einem intensiven Beratungs- und Aus - tauschprozeß über jeweils ein Jahr einen ent- 9. Das „netzwerk recherche“ trifft sich einmal im sprechenden Wissens-Transfer von erfahrenen Jahr zu einem Jahres-kongress und erörtert jeweils Rechercheuren zu interessierten Kollegin nen und aktuelle Tendenzen im Umfeld des „Recherche- Kollegen zu organisieren. Journalismus“ und setzt sich hier mit zentralen Themen im Zusammenhang mit der journalistis- 4. Das „netzwerk recherche“ fördert den umfassenden chen Recherche und konkreten Fall bei spielen Informationsaustausch zum Thema „Recherche“ auseinander. und bietet seinen Mitgliedern ent sprechende Foren Jedes Jahr wird ein „Infoblocker“ aus Politik oder an. Im Internet wird durch entsprechende news letter Wirtschaft mit der „Verschlossenen Auster“ aus- die Kommu ni ka tion untereinander gefördert. gezeichnet. Der Austausch über Projekte, konkrete Recher - Regionale Untergliederungen ermöglichen den che-Erfahrungen etc., aber auch der Hinweis auf Austausch in bestimmten Regionen. Weiter bildung und entsprechende Servicean ge - bote soll hier möglich sein. 10. Das „netzwerk recherche“ ist politisch unabhängig und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke. 5. Das „netzwerk recherche“ beteiligt sich am in ter - Der Zusammenschluß der Journalisten hat den na tionalen Austausch entsprechender Jour na listen Status der Gemein nütz igkeit erhalten. Die lau f - – Organisationen in Europa und in Übersee. ende Arbeit und die Projekte des „netzwerkes“ werden durch Spenden und Mit glieds beiträge 6. Das „netzwerk recherche“ vergibt einmal im Jahr (mindestens 60 Euro im Jahr) finanziert. einen Preis für eine aussergewöhnliche Recher che- Leistung, die Themen und Kon flik te beleuchtet, die in der Öffentlichkeit bislang nicht oder nicht aus-

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