Editorial

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:493–494 J. Klasen1 · M. Faulde2 DOI 10.1007/s00103-014-1944-1 1 Geschäftsführerin der Entwesungsmittelkommission des UBA, Umweltbundesamt, Online publiziert: 25. April 2014 Fachgebiet Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, Berlin © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Vorsitzender der Entwesungsmittelkommission des UBA, Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Koblenz und Institut für Immunologie, Medizinische Mikrobiologie und Parasitologie, Universitätsklinikum, Bonn, Koblenz Von Ratten, Wanzen und Mücken „Siedlungsungeziefer“ und Vektoren spielen in Deutschland eine wieder wichtiger werdende Rolle

Liebe Leserinnen und Leser, nung „Gesundheitsschädling“. Das Bei- spiel der Bettwanzen zeigt, dass sowohl nicht nur, dass gebietsfremde Gesund- der Befall als auch die Bekämpfung die- heits- und Hygieneschädlinge wie die ser Blutsauger für die Betroffenen ein Asiatische Tigermücke, Aedes albopictus, schwerwiegendes Problem darstellen, an der Schwelle zur Endemisierung in das nur durch konsequente Aufklärung Deutschland stehen, andere, wie die Ja- aller betroffenen Kreise erfolgreich ge- panische Buschmücke, Ochlerotatus ja- löst werden kann. Die Notwendigkeit, ponicus, oder die sich in Krankenhäu- eine aktuelle nationale Sachstandsana- sern häufig ansiedelnde und Erreger- lyse zum Thema Gesundheitsschädlinge verschleppende Schmetterlingsmücke, vorzulegen, war daher angezeigt. Clogmia albipunctata, sind bereits mehr Die Idee, ein Themenheft „Gesund- oder weniger angesiedelt. Darüber hi­ heitsschädlinge“ im Bundesgesundheits- naus breitet sich seit 2010 das durch Cu- blatt zu veröffentlichen, wurde in der lex-Stechmücken übertragene, poten- „Entwesungsmittelkommission“ des ziell humanpathogene Usutu-Virus in Umweltbundesamtes geboren. Diese Deutschland aus. Aber auch die „heimi- Kommission, deren vollständiger Name schen“ Gesundheits- und Hygieneschäd- „Kommission zur Bewertung der gemäß linge nehmen an Bedeutung zu: So wer- § 18 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ge- den beispielsweise ständig neue Infek- prüften Entwesungsmittel und -verfah- tionserreger in deutschen Schildzecken- ren sowie der Wirksamkeit von Mitteln populationen entdeckt, die wichtigste und Verfahren gegen Hygieneschädlin- deutsche Überträgerzecke, der Gemei- ge“ lautet, war von 1978 bis 1994 am Bun- ne Holzbock, Ixodes ricinus, nimmt of- desgesundheitsamt, und ist nach dessen fenbar an Individuenzahl zu und erobert Auflösung am Umweltbundesamt an- klimabedingt immer höhere Gebirgsla- gesiedelt. Die Geschäftsführung obliegt gen, und an synanthropen Fliegen wur- dem Fachgebiet IV 1.4 „Gesundheits- de eine höhere, artenreichere und Anti- schädlinge und ihre Bekämpfung“, das in biotika-resistentere Erregerlast gefun- seinen Prüflaboratorien selbst seit Jahr- den, als bislang erwartet. Auch Schäd- zehnten Wirksamkeitsprüfungen gegen linge, die keine Krankheitserreger über- Nage- und Gliedertiere gemäß IfSG tragen können, fallen unter die Bezeich- durchführt. Aktuell besteht die Kommis-

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sion aus 6 (geplant 7) ehrenamtlichen, raum. Hierbei werden nicht nur die tat- zu leisten, die tatsächlich bestehenden persönlich berufenen Mitgliedern, die sächlichen Methoden der Bekämpfung Probleme und aktuellen Gefahren durch sich durch eine besondere Expertise im behandelt, sondern auch die vielfältigen tierische Gesundheitsschädlinge darzu- Fachgebiet ausgezeichnet haben. Zu spe- bestehenden rechtlichen Rahmenbedin- stellen und zu diskutieren. zifischen Fragestellungen können weite- gungen vorgestellt. Während es mit dem re Sachverständige eingeladen werden. IfSG ein hervorragendes In­strument für Aufgabe der Kommission ist primär das Management von Krankheitserre- die Beratung des Umweltbundesamtes. gern und Infektionen – von der Surveil- Besonders wichtig sind dabei die Be- lance bis zur Behandlung – gibt, existie- richte aus den Bundesländern – sozusa- ren für tierische Überträger nur sehr we- gen „aus der Praxis“ der behördlich an- nige und insgesamt lückenhafte Hand- geordneten Schädlings- und Vektoren- lungsvorgaben und Regelungen. Eine Ihre Jutta Klasen bekämpfung. Inhaltliche Schwerpunkte zentrale Einrichtung, in der analog zu der Kommissionsarbeit sind unter ande- den Aufgaben des Robert Koch-Insti- rem: Bewertung der Relevanz von Schäd- tutes im Infektionsschutz koordiniert lingen – insbesondere Vektoren – für die Meldungen und Daten zusammenlau- Gesundheit der Menschen in Deutsch- fen, existiert für Gesundheitsschädlinge land, Bewertung der Wirksamkeit und bislang nicht – wird jedoch in der Fach- Anwendbarkeit von Schädlingsbekämp- welt seit Langem gefordert. Das Vorhal- Ihr Michael Faulde fungsmitteln und -verfahren, Einsatz ten einer Kompetenzinstitution für die flankierender sowie integrierter, mög- sachgerechte Bekämpfung von Gesund- lichst risikoarmer Bekämpfungsverfah- heitsschädlingen ist ein weiteres, deutlich Korrespondenzadresse ren, Resistenzsuppression und -prophy- komplexeres Thema. Dr. med. vet. J. Klasen laxe sowie der Anwender-, Betroffenen- Das Themengebiet Gesundheits- Geschäftsführerin der und Umweltschutz. In Zeiten zunehmen- schädlinge kann nur interdisziplinär be- ­Entwesungsmittelkommission den Personal- und Expertisenabbaus in arbeitet werden. So wie die sprichwört- des UBA, Umweltbundes- öffentlichen Einrichtungen kommt der liche Kanalratte durch den Lagerraum amt, Fachgebiet Gesund- Kommission mehr und mehr auch die einer Bäckerei und dann weiter in die heitsschädlinge und ihre ­Bekämpfung Aufgabe zu, die öffentliche Wahrneh- darüberliegenden Wohnungen und viel- Boetticher Str. 2, 14195 Berlin mung für die Schädlings- und Vektor- leicht auch noch weiter in das nebenan [email protected] problematik in Deutschland zu fördern befindliche Pflegeheim läuft: Hier müs- und Empfehlungen sowie Handlungsop- sen in sinnvoller Weise medizinische Prof. Dr. M. Faulde tionen für die Behörden vor Ort zu er- Entomologen, Mediziner, Veterinärme- Vorsitzender der Entwe- arbeiten. diziner, Zoologen, Ökologen, Chemiker sungsmittelkommission des Im vorliegenden Schwerpunktheft und Mikrobiologen synergistisch zusam- UBA, Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bun- wird ein Bogen gespannt von den Wir- menarbeiten. Dies wird durch die Beiträ- deswehr, Koblenz und Insti- kungen gesundheitsschädlicher Nage- ge interdisziplinärer Autorengruppen in tut für Immunologie, Medi- tiere, Bettwanzen, Mücken, Läusen und diesem Themenheft sehr gut wiederge- zinische Mikrobiologie und Zecken bis hin zu deren Allergenen, die geben. Allerdings ist das Fachgebiet der ­Parasitologie, Universitäts­ beispielsweise von Schaben erzeugt wer- medizinischen Entomologie in Deutsch- klinikum, Bonn Postfach 7340, 56065 Koblenz den. Die durch Vektoren in Deutschland land personell deutlich unterrepräsen- MichaelFaulde@bundes- übertragbaren Infektionserreger werden tiert. Entsprechende Aus- und Fortbil- wehr.org ausführlich und auf aktuellem Sachstand dungen sind bislang nur an sehr weni- vorgestellt. Darüber hinaus wird die gen Universitäten oder anderen wissen- Schädlingsbekämpfung aus verschiede- schaftlichen Einrichtungen möglich. Interessenkonflikt. J. Klasen und M. Faulde geben nen Blickwinkeln – von der Toxikologie Mangels belastbarer Daten und In- an, dass kein Interessenkonflikt besteht. und Umweltsicherheit bis hin zur Wirk- formationen zum tatsächlichen Vor- samkeit nach dem Tilgungsprinzip – be- kommen von Gesundheits- und Hygie- leuchtet. Es geht um großräumige Ma- neschädlingen wird in der Presse immer nagementmaßnahmen gegen Nagetiere, wieder unsachlich spekuliert und disku- um die Möglichkeiten und Grenzen bio- tiert. Durch Berichte über nicht belegba- logischer Bekämpfungen von Zecken im re Massenvorkommen von Ratten, Bett- Freiland, aber auch um die gesundheitli- wanzen oder Kopfläusen werden unge- chen Risiken durch die Anwendung che- rechtfertigte Bedenken und Ängste ge- mischer Bekämpfungsmittel im Innen- schürt. Dieses Heft soll einen Beitrag da-

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Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:495–503 M. Faulde1, 2 · J. Freise3 DOI 10.1007/s00103-013-1919-7 1 Laborgruppe Medizinische Entomologie/Zoologie, Zentrales Institut Online publiziert: 25. April 2014 des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Institut für Immunologie, Medizinische Mikrobiologie und Parasitologie, Universitätsklinikum, Bonn 3 Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Oldenburg Gesundheitsschädlinge Arthropoden und Nagetiere als Krank- heitsverursacher sowie Überträger und Reservoire von Krankheitserregern

Von Anbeginn ihrer Existenz wurden der von Erregern verschiedenster Infektions- derungen und nicht zuletzt durch klima- Mensch, Tiere und Pflanzen in ihrer un- krankheiten gekennzeichnet [1]. tische Veränderungen, brechen Seuchen mittelbaren Umgebung von Schädlingen Tiere mit Erregerüberträgereigen- vergangener Zeiten wieder aus [3, 4]. Das befallen. Zunächst waren für den Men- schaften werden als Vektoren bezeich- jeweils endemische Vektoren- und Erre- schen hauptsächlich blutsaugende Ek- net. Mit Vektoren assoziierte Infektions- gerspektrum und die damit verbundene toparasiten und die durch sie hervorge- krankheiten werden hauptsächlich durch Übertragung von Infektionskrankheiten rufenen Erkrankungen von Bedeutung. geeignete Spezies aus den Gruppen der variieren dabei deutlich mit den geografi- Mit der Schaffung einer Wohn-, Nutz-, Arthropoden (Insekten und Spinnentie- schen und klimatischen Bedingungen. In und Kulturlandschaft durch Sesshaftig- re) und der Nagetiere übertragen. Glo- Mitteleuropa sind Schildzecken, vor al- keit, Vorratshaltung, Nutztierhaltung bal betrachtet ist ihr Einfluss auf die Ge- lem der Gemeine Holzbock, Ixodes rici- und Ackerbau wurden zusätzliche öko- sundheit des Menschen erheblich. Infek- nus, qualitativ wie quantitativ die bedeu- logische Nischen für Tiere geschaffen, tionskrankheiten stellen – allerdings bei tendsten Vektoren [1]. Die häufigste von die bereits in archaischer Zeit als damals vermutlich künftig sinkender Tendenz – Vektoren übertragene Infektionskrank- „neue“ Gesundheitsschädlinge sowie als mit etwa 32% die weltweit häufigste To- heit in Deutschland ist – mit einer ange- Vorrats-, Material- und Agrarschädlinge desursache dar [2]. Nach Aussagen der nommenen jährlichen Inzidenz zwischen in Erscheinung traten [1]. WHO starben im Jahr 2004 weltweit über 60.000 und 214.000 Fällen – die sog. Oftmals ist die Differenzierung in die 17 Mio. Menschen an Infektionskrank- Schildzecken- (Lyme-)Borreliose [5, 6]; verschiedenen Schädlingsgruppen un- heiten [2]. Viele ihrer Erreger werden die häufigste Nagetier-assoziierte Infek- scharf, da einige Schädlingsspezies oder durch Vektoren übertragen. Zu den „big tionskrankheit ist die Hantavirus-Infek- -gruppen durchaus mehrere Schadeigen- six der vektoriell übertragenen Krankhei- tion mit einem bisherigen Maximum von schaften miteinander vereinen können ten“, d. h. zu den Krankheiten mit einer 2824 gemeldeten Fällen im Jahr 2012 [7]. [1]. Beispielsweise sind Ratten gleichzei- globalen jährlichen Inzidenz von über Im Zusammenhang mit den seit 1992 tig Gesundheits-, Vorrats- und Material- einer Million neuer Fälle bzw. mit mehr diskutierten „emerging and resurging schädlinge. als einer Million Infizierten (= Humanre- infectious diseases“ [3] findet auch eine Bei den Gesundheitsschädlingen han- servoire), zählen Malaria, Denguefieber, verstärkte Fokussierung auf die „emerg­ delt es sich im weiteren Sinne um alle Leishmaniose, lymphatische Filariosen, ing and resurging vector-borne diseases“ tierischen Schädlinge, die die Gesund- Chagas-Krankheit und die Onchozerkose statt [1, 8, 9]. Bei den Zooanthroponosen heit des Menschen negativ beeinflussen (Flussblindheit). Multifaktoriell bedingt, wurden allein von 1990 bis 1999 13 wich- können. Diese medizinisch relevanten z. B. durch die globale Überbevölkerung, tige Infektionserreger und die von ihnen Eigenschaften sind vor allem durch Para- durch eine Reduktion des gesamthygi- hervorgerufenen Krankheiten beschrie- sitismus am Menschen, die Funktion der enischen Standards, die Zunahme von ben [10, 11]. Während der „International Schädlinge als Erregerreservoir, als Al- Flüchtlingspopulationen, eine verstärk- Conference on Emerging Diseases“, die lergen- und/oder Toxinerzeuger, als Le- te Migration, einen erhöhten Güter- und im Juli 2000 in Atlanta (USA) stattfand, bensmittelverderber und/oder als aktive Warenverkehr sowie durch globale Tier- wurde die künftig zu erwartende gesund- oder passive (mechanische) Überträger transporte, anthropogene Umweltverän- heitliche Bedrohung des Menschen durch

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Tab. 1 Einteilung der Arthropoden gemäß ihren Eigenschaften als stationäre oder temporä- Zooanthroponosen deutlich herausge- re hämophage Ektoparasiten. (Nach [16], verändert) arbeitet [12]. Von den verschiedenen teil- Periodisch Permanent nehmenden Arbeitsgruppen wurde kon- Stationär Flöhe (Ischnopsyllidae, Sarcopsyllinae, Vermipsylla) Haar- und Federlinge statiert, dass zum Zeitpunkt der Konfe- Lange Zeit auf Myiasis – Fliegen Schaflausfliege renz bereits 1709 humanpathogene Er- dem Wirt Laufmilben Läuse reger nachgewiesen waren. Von die- Schildzecken Krätz- und Räudemilben sen waren wiederum 49% (832) Erreger Manche pupipare Fliegen Demodex u. a. Milben von Zooanthroponosen. Unter den im Temporär Flöhe (bis auf Ausnahmen, Bettwanzen Jahr 2000 als „emerging“ definierten In- Kurze Zeit auf s. oben!) Raubwanzen dem Wirt Stechmücken Dermanyssus- fektionskrankheiten waren erstaunliche Stechfliegen (ohne Pupipara) Milben 73% Zooanthroponosen. Ständig werden Auchmeromyia-Maden Lederzecken neue humanpathogene Erreger in aktiven Periodisch Permanent Vektoren oder neue Erreger-verschlep- Nur bestimmtes Entwick- Alle Entwicklungsstadien blutsaugend pende passive Vektoren entdeckt und be- lungsstadium blutsaugend schrieben. So wurde jüngst nachgewie- sen, dass auch die in Deutschland ende- Tab. 2 Übersicht über die epidemiologisch wichtigen Wirts- und Transmissionseigenschaf- mische, durch Schildzecken übertragene ten aktiver Vektoren. (Nach [25], verändert) Rückfallfieberborrelienart Borrelia mi- Eigenschaften Erläuterung Beispiel/Kommentar yamotoi humanpathogen sein kann [13, des aktiven Vek- 14] und dass sich mit der aus dem Mit- tors telmeerraum eingewanderten Schmet- Stenoxene = Nur an wenigen, im Idealfall nur Kopf-, Kleider- und Filzlaus des Men- terlingsmücke Clogmia albipunctata ak- monophage Wirts- an einer Spezies parasitierend schen, die als „anthropostenoxen“ be- tuell ein neuer „Keimverschlepper“ lan- spezifität zeichnet werden können desweit ausgebreitet hat, der insbeson- Euryxene = An vielen verschiedenen Spezies Schildzecken wie der Gemeine Holzbock, polyphage Wirts- parasitierend Ixodes ricinus; viele Stechmückenarten dere in Krankenhäusern an der Übertra- spezifität gung nosokomialer Erreger beteiligt sein Salivare Trans- Inokulation eines Erregers durch Übertragung der Malaria, FSME und die kann [15]. mission Speichelsekret; häufigster Trans- meisten Viren Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, missionsweg, Erreger müssen in den aktuellen Sachstand zu Gesundheits- der Speicheldrüse des Vektors schädlingen in Deutschland mit ihren vorliegen spezifischen Erregerübertragungsmög- Regurgitative Durch Regurgitation (Erbrechen) Bei Flöhen, Bremsen und einigen lichkeiten und den hierfür erforderlichen Transmission infektiöser Flüssigkeit, wobei In- Stechfliegen (Wadenstecher Stomoxys fektionserreger aus dem Gastroin- calcitrans), die auf diesem Wege physio- Bedingungen vorzustellen. Dieses Wissen testinaltrakt in Wunden oder auf logisch erforderliche Hilfsstoffe in die ist vor allem für epidemiologische Ana- Oberflächen freigesetzt werden Wunde einbringen, sowie synanthrope lysen und für Prädiktionsberechnungen Schaben- und Fliegenarten bei der Nah- sowie für die optimierte Anwendung von rungsaufnahme/zu Markierungszwecken Mitteln zur Entwesung und Schadna- Stercorare Trans- Über infektiöse Fäzes; häufig Bei Kleiderlaus-übertragenen Erkran- gerbekämpfung und für Bekämpfungs- mission aufgrund Kombinationswirkung kungen wie Läusefleckfieber (Rickettsia verfahren nach § 18 Infektionsschutzge- beim Blutsaugen; simultaner prowazekii), Fünftagefieber (Bartonella Abgabe von infiziertem Kot in quintana), bei der Chagas-Krankheit setz (IfSG), einschließlich persönlicher räumlicher Nähe der Einstich- (Trypanosoma cruzi) und vielen Rickett- Schutzmaßnahmen gegen den Befall oder stelle und Juckreiz durch Stich; siosen; einige Rickettsien wie der Q- den hämophagen Stich, erforderlich. die eigentliche Infektion erfolgt Fieber- und der Läusefleckfiebererreger durch Einkratzen oder Einreiben können auch inhalativ über getrocknete Definition von Gesundheits- des infektiösen Kotes in die Ein- infektiöse Fäzes übertragen werden stichstelle schädlingen Manipulative Über mechanische Freisetzung Verhaltensbedingter Sonderfall; in der Transmission von Infektionserregern mit an- Vergangenheit durch „Knacken infizierter Gesundheitsschädlinge schließender Inokulation/oraler Kleiderläuse“; aus dem Darmepithel der „im weiteren Sinn“ Aufnahme Kleiderläuse freigesetzte Rickettsien ge- langen durch Einkratzen in Wunden oder Im weiteren Sinne handelt es sich bei Ge- Einstichstellen sundheitsschädlingen um alle Tiere, die Aktive Auswande- Erreger befinden sich an den Betrifft infektiöse Wurmlarvenstadien die Gesundheit des Menschen negativ rung von Erregern Mundwerkzeugen von Arthro- und findet bei Filarien statt; in Deutsch- beeinflussen können. Eine Gefährdung poden land bei Dirofilarien, wie z. B. Dirofilaria repens der Gesundheit ist auf unterschiedlichen Wegen möglich. Dabei sind die folgen-

496 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract den, die Gesundheit beeinträchtigenden Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:495–503 DOI 10.1007/s00103-013-1919-7 Wirkmechanismen hervorzuheben: © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 M. Faulde · J. Freise Wirkung als direkter, endoparasitärer Gesundheitsschädlinge. Arthropoden und Nagetiere Krankheitserreger. Als Beispiele für ty- als Krankheitsverursacher sowie Überträger pische, obligate endoparasitäre Krank- und Reservoire von Krankheitserregern heitserreger sind hier die Krätzmilbe, Sar- coptes scabiei sowie ein Befall mit Fliegen- Zusammenfassung maden, der als Myiasis bezeichnet wird, Infektionskrankheiten stellen die derzeit häu- Tigermücke (Ae. albopictus) im Süden und die figste Todesursache weltweit dar. In etwa Japanische Buschmücke (Ae. japonicus) mitt- zu nennen. 50% der Fälle handelt es sich um Infektionen lerweile auch in der Mitte Deutschlands auf. mit Erregern von Zoonosen, die vom Tier auf Gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) wer- Wirkung durch Angriffs- oder Wehrgif- den Menschen übertragen werden können. den innerhalb der Gruppe der Gesundheits- te. Überwiegend handelt es sich hierbei Bei den Krankheiten, die derzeit als sich aus- schädlinge lediglich Vektoren berücksichtigt, um solche Tiere, die mithilfe eines mit breitend (= emerging) definiert werden, sind die über den Stechakt Erreger aktiv übertra- einer Giftdrüse verbundenen Stachels wiederum 73% Zoonosen. In Mitteleuropa gen oder Keime passiv verschleppen. Der Ein- besitzen Schildzecken die größte Bedeutung satz von Mitteln und Verfahren zur Infektions- bzw. von Mundwerkzeugen oder mittels als Vektoren für Krankheitserreger. Dabei ist kettenunterbrechung nach § 18 IfSG erstreckt ähnlicher Organe aktiv giftige Substanzen die Lyme-Borreliose mit geschätzten 60.000 sich bislang nur auf Gesundheitsschädlinge in den Körper injizieren können. bis 214.000 Fällen pro Jahr die häufigste im häuslichen Bereich, bei Wanderratten zu- durch Erreger in Zecken übertragene Infek- sätzlich auf die Kanalisation. Freilandvektoren Giftwirkung von Hilfsstoffen beim tionskrankheit in Deutschland. Kontinuierlich wie Zecken und Stechmücken werden nach werden hierzulande neue, bislang unbekann- IfSG derzeit nicht berücksichtigt. Daher sind Stech- oder Bissakt. Blutsaugende Glie- te Infektionserreger in heimischen Vektoren neben gesetzlichen Anpassungen detaillierte dertiere müssen, weil sie Säugerblut entdeckt, aber auch neu eingewanderte oder Analysen zu Vektorkartierung und eine ent- nicht in geronnenem Zustand aufneh- eingeschleppte Vektoren bzw. Infektionserre- sprechende Erregersurveillance erforderlich. men können, mit dem Stich Hilfsstoffe ger nachgewiesen. Fünf Stechmückenarten in die Stichwunde abgeben, die eine Ge- aus der Gattung Aedes breiten sich derzeit Schlüsselwörter Gesundheitsschädlinge · Aktive Vektoren · rinnung unterbinden [16]. Besonders be- in Europa aus, die in den letzten 5 Jahren in Südeuropa mehrere autochthone Epidemien Passive Vektoren · Infektionsschutzgesetz · kannt sind Speichelproteine, die als Anti- von Dengue- und Chikungunyafieber verur- Infektionskettenunterbrechung koagulanzien, Hämolysine, Apyrase oder sachten. Von diesen treten 2, die Asiatische als Neurotoxine fungieren. In Deutsch- land geben z. B. Kriebelmücken, Schild- zecken und Herbstmilbenlarven Neuro- Public health pests. and rodents as causative toxine beim Stich ab [17]. Im Jahr 1979 disease agents as well as reservoirs and vectors of pathogens führte eine Massenvermehrung von Krie- Abstract belmücken (Simuliidae) nach massiver Globally, infectious diseases pose the most rently reported to occur in Germany. The Ger- Stichbelästigung im Raum Jülich/Düren important cause of death. Among known hu- man Protection against Infection Act on- zum Verenden von ca. 50 Rindern. Über man pathogenic diseases, approximately ly covers the control of public health pests 500 Personen mussten in den umliegen- 50% are zoonoses. When considering emerg- which are either active hematophagous vec- den Krankenhäusern mit Vergiftungs- ing infectious diseases separately 73% cur- tors or mechanical transmitters of agents of rently belong to the group of zoonoses. In diseases. Use of officially recommended bio- erscheinungen zum Teil stationär behan- Central Europe, hard ticks show by far the cidal products aiming to interrupt transmis- delt werden [18]. biggest potential as vectors of agents of hu- sion cycles of vector-borne diseases, is con- man disease. Lyme borreliosis, showing an fined to infested buildings only, including Giftwirkung nach Ingestion, Inhalation estimated annual incidence between 60,000 sewage systems in the case of Norway rat oder Hautkontakt. Passiv giftige Tie- and 214,000 cases is by far the most frequent control. Outdoor vectors, such as hard ticks re lassen sich subdifferenzieren in pri- tick-borne disease in Germany. Continually, and mosquitoes, are currently not taken in- formerly unknown disease agents could be to consideration. Additionally, adjustments of mär giftige Tiere, d. h. Tiere, die in be- discovered in endemic vector species. Addi- national public health regulations, detailed stimmten Organen selbst produzierte tionally, introduction of new vec- arthropod vector and rodent reservoir map- Gifte speichern, sowie in sekundär gif- tors and/or agents of disease occur constant- ping, including surveillance of vector-borne tige Tiere, die ihr Gift mehr oder weni- ly. Recently, five mosquito species of the ge- disease agents, are necessary in order to miti- ger zufällig mit der Nahrung aufnehmen nus Aedes have been newly introduced to Eu- gate future disease risks. und speichern. Bekannt sind die toxiko- rope where they are currently spreading in different regions. Uncommon autochthonous Keywords logisch wirksamen Pfeilhaare des dritten transmission of dengue and chikungun­ya fe- Hygiene pests · Active arthropod vectors · Stadiums der Raupen des Eichen- und ver viruses in Southern Europe could be di- Mechanical vectors · German Protection Kiefernprozessionsspinners (Thaumeto- rectly linked to these vector species and of against Infection Act · Infection control poea sp.), die das Protein Thaumetopoein these Ae. albopictus and Ae. japonicus are cur- als Wirkkomponente enthalten [19, 20].

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Abb. 1 9 Prinzip der Über- tragung Vektor-assoziier- ter (durch Tiere übertrage- ner) Erreger von Infektions- krankheiten (schematisch)

Sekundärinfektionen nach Biss, Stich taminieren. Über ihren direkten Verzehr schen, evolutiven und epidemiologischen oder Verletzung. Infektionen können kommen Mensch und Tier mit den Erre- Grundlagen äußerst komplex [1, 25]. Erst nicht nur durch den Einstich selbst, son- gern in Kontakt bzw. nehmen diese auf. die Analyse, Kenntnis und Beachtung al- dern auch durch Einkratzen von ubiqui- ler dieser Grundlagen ermöglichen eine tär vorkommenden fakultativ humanpa- Phobien. Angst und Ekel vor Insekten effiziente, umfassende und ökologisch thogenen Erregern entstehen. Diese wur- (Entomophobie), Zecken (Acaropho- vertretbare Erarbeitung und Implemen- den somit „sekundär“ erworben und be- bie), Mäusen und Ratten (Rodentopho- tierung von Maßnahmen zur Infektions- dürfen – je nach Art und Umfang – der bie) stellen in der Regel ein individuelles kettenunterbrechung. medizinischen Behandlung. Die höchste Problem dar. Ihre Ausprägungen sind da- Grundsätzlich werden 2 unterschied- beschriebene Zahl an Stichen, d. h. bis zu bei häufig abhängig von der Anzahl, Grö- liche Wege der Erregerübertragung 280 Stiche pro Minute pro Person, wurde ße, dem Aussehen und dem Verhalten der durch Vektoren differenziert, die in der von Stechmücken verursacht [21]. Tiere. . Abb. 1 schematisch dargestellt sind: die passive, mechanisch-exkretorisch-sekre- Funktion als Zwischenwirt von Para- Gesundheitsschädlinge torische Keimverbreitung und die aktive siten. Insekten und Nagetiere können „im engeren Sinn“ Keimübertragung durch den Biss eines Zwischenwirte für humanpathogene Hel- Nagetieres bzw. durch den Stich eines hä- minthen sein, die unabsichtlich oder ab- Die weitaus relevanteste Eigenschaft von mophagen Gliedertieres. sichtlich ingestiert werden. Gesundheitsschädlingen ist die Möglich- keit zur direkten oder indirekten Über- Aktive Vektoren Allergisierende, mutagene oder kanze- tragung von Krankheitserregern auf den Bei der aktiven Erregerübertragung wer- rogene Wirkung. Analysen zur Bestim- Menschen. Im Vergleich zur mechani- den Krankheitserreger definitionsgemäß mung der qualitativen und quantitativen schen Keimverschleppung, die haupt- mit oder durch den Stech- (z. B. Stech- Allergenbelastung durch Glieder- und sächlich vom jeweiligen hygienisch-epi- mücken) oder Bissakt (z. B. Herbstmil- Nagetiere sind in Deutschland rar und demiologischen Umfeld sowie vom art- benlarven mit paarigen Mundwerkzeu- fokussieren sich unter anderem auf die spezifischen Synanthropiegrad des gen, Nagetiere) in den Wirtskörper ein- Deutsche Schabe [22, 23]. Bei den Mil- Schädlings abhängt, spielt hier die akti- gebracht. Während bei den Nagern Bis- ben sind vor allem die allergenen Poten- ve Erregerübertragung durch einen Stich se in aller Regel lediglich akzidentiell auf- ziale der Hausstaubmilbe (Dermatopha- oder Biss eindeutig die dominierende treten, fallen bei den Arthropoden poten- goides pteronyssinus) und der Bäckermil- Rolle. Durch die seuchenartige Ausbrei- ziell alle blutsaugenden Arten in diese be (Acarus siro) zu nennen [24]. tung aktiv durch Vektoren übertragener Gruppe. Zu den auf diese Weise übertra- Infektionserreger wurden wichtige ge- genen Erkrankungen zählen z. B. die Ma- Nahrungsmittelkontamination und schichtliche Ereignisse maßgeblich be- laria, die Frühsommer-Meningoenzepha- -verderb. Vorratsschädlinge und Flie- einflusst, Kolonialisierungswünsche ver- litis (FSME), das Gelb- und Denguefie- gen können durch Kontakt und Fraß Le- eitelt und Kriege verloren. Die Reser- ber, die Borreliose etc. Zur Analyse der bensmittel mit Krankheitskeimen, To- voir-Erreger-Vektor-Mensch-Beziehun- exakten Transmissionsmodalitäten sowie xinerzeugern und Fäulniserregern kon- gen sind in ihren ökologischen, bionomi- zur Bewertung der oftmals spezifischen,

498 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Tab. 3 Übersicht über die Mechanismen der passiven Erregerübertragung durch kommen- synanthropen Schabenarten, Pharao- sale Nager als Gesundheitsschädlinge. (Nach [25], verändert) ameisen, und synanthropen Schmet- Passive Überträger- Erläuterung Beispiel/Kommentar terlingsmücken [15, 25, 26, 27], eigenschaften von 2. die Keimverbreitung durch das Nagetieren Kropfsekret oder die Fäzes von nicht- Taktile Keimverbrei- Durch Kontamination von Besonders häufig durch Hausmäuse und hämophagen Schädlingen. Insbe- tung Erregern an Fell oder Fü- Wanderratten sondere bei der zyklischen Übertra- ßen; stark abhängig vom gung von Erregern können die Vek- hygienischen Umfeld sowie vom Synanthropiegrad der toren (z. B. synanthrope Schaben- Nagerspezies und Fliegenarten) in ihrem zu Mar- Exkretorische Keim- Durch Körperflüssigkeiten Übertragung von Hantaviren, Leptospira sp. kierungszwecken häufig abgegebenen verbreitung (Urin, Speichel) oder Kot und Francisella tularensis; besonders effizi- Kropfsekret sowie vor allem auch in ent durch Mikromiktion von Mäusen und den Fäzes erhebliche Erregermengen Ratten u. a. zur Reviermarkierung aufweisen [26]. Erregerverbreitung Durch Erreger in der Mund- Erregerkontamination und Nahrungsmittel- 3. Keimverbreitung durch den Fraß durch Fraß an Le- höhle verderb; vor allem bei vorratsschädlichen von Schädlingen an Nahrungsmit- bensmitteln Nagern wie Hausmaus, Hausratte und Wanderratte teln. Hierbei gelangen Keime von den Erregerverbreitung Durch Übertragung auf Viele Beispiele aus dem Veterinärwesen, Mundwerkzeugen, den Beinen so- auf Organismen mit Haus- und Nutztiere, aber z. B. Maul- und Klauenseuche-Virus, Yersinia wie aus dem Speichel/aus Regurgita- Kontakt zu Men- auch euryxene Ektoparasi- pestis (Nager → Hauskatze → Mensch) ten der Schädlinge auf die Nahrungs- schen ten (die sowohl Nager als mittel. Die Erreger selbst und/oder, auch den Menschen ste- falls gebildet, deren Toxine können chen); Synanthropiegrad der zu Nahrungsmittelverderb und/oder Nagerspezies oft sekundär zu Erkrankungen führen [1, 26, 28]. Alimentäre Erreger- Durch Verzehr ungenügend Keine Bedeutung dieses Übertragungsmo- übertragung gegarter Nagetiere dus in westlichen Industriestaaten; in Teilen Afrikas und Asiens werden Nagetiere als Von herausragender Bedeutung für die Proteinquelle verzehrt mechanische Keimverbreitung ist der An- passungsgrad (Synanthropiegrad) eines epidemiologischen Zusammenhänge demien ausgelöst werden können. Ähn- Gesundheitsschädlings an den menschli- zwischen dem Erreger-/Vektorkomplex liche Transmissionsbedingungen liegen chen Siedlungsbereich, da dieser das Aus- ist die genaue Kenntnis der Vektoreigen- für den Erreger des epidemiologisch de- maß des kontinuierlichen Erregerkon- schaften zwingend erforderlich. . Tab. 1 tailliert untersuchten Gelbfiebers vor. takts im Wohn- und/oder Arbeitsum- gibt eine schematische Übersicht über die Darüber hinaus sind nationale For- feld bestimmt. Vor allem in sensiblen Be- Einteilung von Arthropoden nach ihren schungen und Lageanalysen zu erreger- reichen wie Krankenhäusern und Groß- Eigenschaften als stationäre oder tempo- spezifischen Vektorkompetenzen, En- küchen ist diese mechanische Erreger- räre hämophage Ektoparasiten. Epide- demisierungsszenarien sowie die Auf- verbreitung bedeutsam. Besondere Re- miologisch wichtige Wirts- und Trans- klärung der molekularbiologischen und levanz bei der Übertragung nosokomia- missionseigenschaften aktiver Vektoren physiologischen Reservoir-Erreger-Vek- ler Infektionen haben passive Vektoren sind in . Tab. 2 zusammengefasst. tor-Zusammenhänge von großer Bedeu- dann, wenn sie multi- oder sogar panre- Zur Definition der optimalen Mög- tung. Auf eine Darstellung dieser, hier sistente, fakultativ oder obligat human- lichkeiten zur Unterbrechung von Infek- den Rahmen sprengenden Mechanismen pathogene Keime großflächig verbreiten tionsquellen ist die Kenntnis möglicher wird im Weiteren verzichtet. und gleichzeitig die verfügbare Erreger- und tatsächlich vorliegender Transmis- menge durch zyklische Übertragungs- sionswege der Krankheitserreger mit Be- Passive Vektoren wege erhöhen. Multiresistente human- zug auf ihre Erregerreservoire und den pathogene Bakterien an Arthropoden Menschen erforderlich [1]. Viele zoonoti- Arthopoden konnten innerhalb bzw. in unmittelbarer sche Erreger, wie z. B. das West-Nil-Virus Bei Arthropoden lassen sich die im Fol- Nähe von Krankenhäusern in Deutsch- (WNV), zirkulieren vornehmlich in Was- genden dargestellten Prinzipien der pas- land, Libyen, in Afrika südlich der Saha- servögeln, die mit den entsprechenden, siven Keimverbreitung differenzieren: ra sowie in Indien an synanthropen Flie- an Vögel adaptierten Stechmücken asso- 1. die taktile Verbreitung von Keimen gen, Schaben und an der Schmetterlings- ziiert sind. Sogenannte Brückenvektoren, an der Körperoberfläche der Arthro- mücke Clogmia albipunctata nachgewie- die sowohl Vögel als auch den Menschen poden, besonders an den die Ober- sen werden [15, 27, 29, 30, 31]. Die aktuel- stechen können, bringen das WNV in die flächen vergrößernden Schuppen, le Gesamtentwicklung deutet darauf hin, menschliche Population ein, in der dann Borsten, Haftlappen und Fußgliedern dass Gesundheitsschädlinge als mögli- über menschenadaptierte Stechmücken nichthämophager Schädlinge, wie cher Bestandteil der Infektionskette bei – vor allem im urbanen Bereich – Epi- z. B. bei synanthropen Fliegenarten, den sich weltweit ausbreitenden Erreger-

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chenfall basiert auf dem Infektionsschutz- Gesundheitsschädlinge gesetzt (IfSG). Zusätzlich sind internatio- nale und nationale Vorschriften und Ge- setze relevant. Gesundheitsschädlinge Gesundheitsschädlinge „im weiteren Sinn“ „im engeren Sinn“ (Vektoren) Das Infektionsschutzgesetz

§18 IfSG- Das Gesetz zur Verhütung und Bekämp- Vektoren innerhalb Mittel & Vektoren im fung von Infektionskrankheiten beim von Gebäuden Freiland Verfahren Menschen (IfSG) schreibt vor, dass Ge- sundheitsschädlinge unter bestimm- Abb. 2 8 Schematische Übersicht über den derzeitigen Handlungsbe- ten Umständen zu bekämpfen sind. Dies reich des § 18 Infektionsschutzgesetzes in Bezug auf Gesundheitsschäd- trifft dann zu, wenn Gesundheitsschäd- linge i. e. S.: Obwohl eine Mittelprüfung und -listung zur Bekämpfung von ­Vektoren in Gebäuden und im Freiland möglich ist, stehen wegen fehlender linge festgestellt werden und die Gefahr Listungsanträge momentan keine behördlich geprüften Mittel und Verfah- begründet ist, dass durch sie Krankheits- ren zur Vektorenbekämpfung im Freiland zur Verfügung erreger verbreitet werden können (s. § 17 IfSG). Danach hat die zuständige Behör- de die zu ihrer Bekämpfung erforderli- resistenzen und der zunehmenden Häu- derratte (Rattus norvegicus), Hausratte chen Maßnahmen anzuordnen. figkeit des Auftretens nosokomialer In- (R. rattus) und die Hausmaus (Mus mus­ Zurzeit stehen nur für die Anwendung fektionen eine größere Bedeutung ha- culus) mit ihren verschiedenen Unter- in Gebäuden nach § 18 IfSG geprüfte und ben, als bislang angenommen [15, 27, 32]. arten ein erhebliches Risiko für die Ge- gelistete Schädlingsbekämpfungsmittel In europäischen Krankenhäusern fand sundheit des Menschen dar [37, 38]. Die und -verfahren zur Verfügung, die haupt- sich einer Studie aus dem Jahr 2005 zu- genannten Nagerarten spielen eine Rol- sächlich passive Vektoren und Körperun- folge vor allem eine hohe Prävalenz an le als Reservoirwirte für vektorübertrage- geziefer abdecken. Die hierfür geeigne- Methicillin-resistenten Staphylococcus ne Infektionskrankheiten sowie als Trä- ten insektiziden und akariziden Entwe- aureus (MRSA), Vancomycin-resisten- ger und direkter Überträger von Patho- sungsmittel und -verfahren werden (ein- ten Enterococcus sp. (VRE) und Carba- genen des Menschen, der Haus- und der schließlich der rodentiziden Nagetier- penem-resistentem Acinetobacter-baum- Nutztiere. Ratten und Mäuse können epi- bekämpfungsmittel und -verfahren) ge- annii-Komplex [33]. Seither breiten sich demiologisch vielfältig in Übertragungs- prüft, gelistet und zur Infektionsketten- weltweit auch die neuen Extended-spec- prozesse von Pathogenen und Parasiten unterbrechung nach dem Tilgungsprin- trum-β-Lactamase (ESBL)- und Carba- auf Mensch und Tier eingebunden sein zip behördlich empfohlen. Eine Prüfung penemase-produzierenden Enterobac- (. Tab. 3). Dabei stellen sie sowohl den und Listung von Mitteln und Verfahren teriaceae mit einem immensen Poten- aktiven oder passiven Vektor für Erreger gemäß § 18 IfSG zur Freilandbekämp- zial für eine Morbiditäts- und Mortali- von Infektionskrankheiten dar bzw. sind fung von Vektoren, wie z. B. von Stech- tätserhöhung aus (darunter auch – Kleb- das natürliche Reservoir für Infektions- mücken-, Schildzecken- oder Forstna- siella pneumoniae und Stenotrophomonas erreger, oder sie dienen als Zwischenwirt gern, wurden seitens der Hersteller von maltophilia). Diese wurden oftmals auch für Parasiten. Bei der passiven Keimüber- Schädlingsbekämpfungsmitteln bislang an passiven Vektoren wie synanthropen tragung durch Schadnager gibt es – ana- nicht beantragt. Hier besteht derzeit eine Fliegen, synanthropen Schaben, Pharao- log zur Situation bei der oben beschriebe- sog. „Indikationslücke“. Eine schemati- ameisen und C. albipunctata nachgewie- nen, passiven Keimverschleppung durch sche Übersicht über den derzeitigen Gel- sen [15, 27, 28, 34, 35, 36]. Arthropoden – verschiedene Mechanis- tungsbereich des IfSG in Bezug auf Ge- men [39]. Besondere Bedeutung hat hier sundheitsschädlinge ist . Abb. 2 zu ent- Nagetiere die Eigenschaft von Nagern zur Mikro- nehmen. Berücksichtigt werden Schild- Der enge Bezug von Nagetieren zum miktion (kontinuierliche Abgabe kleiner zecken in Gebäuden (Ixodidae), Flöhe Menschen und die damit verbundene Urintröpfchen) zur Reviermarkierung. in Gebäuden (Siphonaptera), Bettwan- Möglichkeit eines permanenten Kontak- Durch den fein verteilten Urin können zen (Cimex lectularius), Kopf- (Pediculus tes werden, anders als bei den Glieder- Oberflächen effizient mit „nierengängi- humanus capitis) und Kleiderläuse (P. hu- tieren, nicht als „Synanthropismus“, son- gen“ Pathogenen wie Hantaviren, Lepto- manus corporis), synanthrope Schaben dern als „Kommensalismus“ bezeich- spiren oder mit Francisella tularensis kon- (Periplaneta americana, Blatta orienta- net. Neben der als temporär kommen- taminiert werden [39]. lis, Blattella germanica, Supella longipal- sal zu bezeichnenden Waldmaus (Apode- pa), Lederzecken (Argas sp.), synanthro- mus sylvaticus), der Gelbhalsmaus (Apo- Gesetzliche Grundlagen pe Fliegen (Brachycera), Pharaoameisen demus flavicollis) und der Rötelmaus (Monomorium pharaonis) sowie Haus- (Myodes glareolus) stellen vor allem die Die Anwendung von Entwesungs- und und Wegameisen im häuslichen Bereich. kommensalen Nagerarten wie die Wan- Nagetierbekämpfungsmitteln im Seu- Zur Bekämpfung der heimischen kom-

500 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 mensalen Schadnager nach dem Til- Einschleppungs- und Endemisie- Neben dem Vektormapping sowie der gungsprinzip werden für Haus- (Rattus rungspotenzial gebietsfremder Erreger- und Reservoirsurveillance sind rattus) und Wanderratten (R. norwegi- Gesundheitsschädlinge Laborversuche zu Vektorkompetenzen cus) sowie für Hausmäuse (Mus muscu- und vektorübertragener für bedeutsame Krankheitserreger von lus) Mittel und Verfahren für die Anwen- Infektionserreger großer Bedeutung [40]. Festgestellt wur- dung im häuslichen Bereich vorgehal- nach Deutschland de kürzlich, dass die in Deutschland mitt- ten, die im Falle von Wanderratten einen lerweile an verschiedenen Stellen ende- Einsatz in der nur für diese Art besiedel- Die potenzielle Gefährdung für Deutsch- misch gewordene Japanische Buschmü- baren Kanalisation als „urbanen Baube- land durch Einschleppung und Endemi- cke ein geeigneter Überträger für das ge- reich“ integrieren. Die Ausbringung von sierung gebietsfremder Vektoren, von fährliche Rifttalfieber-Virus (RVFV) ist Bekämpfungsmitteln hat nach der Ge- Erregerreservoiren und Krankheitserre- [49]. Entsprechende sofortige Ae.-japo- fahrstoffverordnung und ggf. nach der gern wurde bereits früh erkannt, analy- nicus-Bekämpfungsmaßnahmen werden Technischen Regel für den Umgang mit siert und unter Nennung von Fähigkeits- für die USA bereits empfohlen. gefährlichen Stoffen für die Schädlings- lücken und Handlungsoptionen disku- bekämpfung (TRGS) 523 zu erfolgen. tiert [1, 37]. Zunächst wurden neu einge- Fazit schleppte, vektorkompetente Stechmü- Die Internationalen cken in Italien, Frankreich und den Bal- Die Prüfung, Bewertung und Listung Gesundheitsvorschriften kanstaaten nachgewiesen. Seitdem brei- von Bekämpfungsmitteln nach dem Til- ten sich in Europa die Asiatische Tiger- gungsprinzip, die für eine ausreichend Seit dem 15.06.2007 sind die neuen, welt- mücke Aedes (Stegomyia) albopictus, die wirksame Infektionskettenunterbre- weit geltenden Internationalen Gesund- Gelbfiebermücke Ae. (Stegomyia) aegypti chung erforderlich sind, berücksichtigen heitsvorschriften (IGV) der Weltgesund- und die Japanische Buschmücke Ae. (Fin- bislang ausschließlich aktive und pas- heitsorganisation (WHO) in Kraft. Ihr laya) japonicus, Ae. (Ochlerotatus) atro- sive Vektoren von Krankheitserregern Ziel ist es, auf internationaler Ebene ein palpus sowie Ae. (Fin.) koreicus aus [40], des Menschen. Der Geltungsbereich des Maximum an Sicherheit vor der Ausbrei- die als kompetente Vektoren für human- IfSG erstreckt sich ausschließlich auf Ge- tung von Infektionskrankheiten oder Ge- pathogene Erreger alle einen Einfluss auf sundheitsschädlinge im engeren Sinn im sundheitsgefahren zu erreichen. das öffentliche Gesundheitswesen haben häuslichen Bereich, bei der Wanderrat- So wird von benannten Flughäfen, können. tenbekämpfung zusätzlich noch auf die Häfen und Landübergängen unter ande- Dass nach Endemisierung der ge- Kanalisation. rem gefordert, an Grenzübergangsstel- nannten Stechmückenarten parallel ein- Die Bekämpfung von Gesundheitsschäd- len ein Programm sowie ausgebildetes geschleppte Erreger nach Schließung der lingen im weiteren Sinne, z. B. von ein- Personal zur Bekämpfung von Vektoren entsprechenden Infektionsketten auch heimischen Stechmücken ohne Vektor- für und Tierreservoiren von Krankheits- Epidemien auslösen können, zeigen Bei- kompetenz, werden bei Massenvermeh- erregern vorzuhalten. Es sollen von der spiele wie der Chikungunyavirus-Aus- rungen in der aktuellen § 18 IfSG-Liste WHO empfohlene Methoden zur Entrat- bruch im Sommer 2007 in Italien [41], aufgrund fehlender Listungsanträge ge- tung, zur Desinfektion, zur Entseuchung der Denguevirus-Fieber-Ausbruch in nauso wenig betrachtet wie aktive Vek- oder zur sonstigen Behandlung von Ge- Kroatien im Sommer 2010 [42] sowie im toren im Freiland, wie z. B. die Schildze- päck, Fracht, Containern, Beförderungs- Jahr 2012 ein Denguevirus-Ausbruch auf cke, I. ricinus. Während sich der Kontakt mitteln, Gütern und Postpaketen zur An- der Insel Madeira (Portugal) mit mehr zu Vektorzecken im Freiland durch „Ex- wendung kommen. als 1891 Fällen [43]. Insgesamt wurden positionsverhinderung“, d. h. Meidung Gemäß diesen Bestimmungen müs- im Zeitraum zwischen 2007 und 2012 aus von Zeckenhabitaten, unterbinden lässt, sen an den Flughäfen Berlin, Düsseldorf, Europa 2237 autochthone Denguefieber- trifft dies bei Stechmücken – vor allem Frankfurt am Main, Hamburg und Mün- Fälle sowie 231 Chikunguyafieber-Fäl- während einer Massenvermehrung nach chen, an den Häfen der Städte Bremen le identifiziert [44]. In Deutschland wird größeren Überflutungen – nicht zu. Da- und Bremerhaven, Hamburg, Kiel, Ros- seit etwa 2 Jahren verstärkt über die Aus- mit gestaltet sich der Einsatz von Mit- tock sowie am Jade-Weser-Port in Wil- breitung von Ae. albopictus und Ae. japo- teln – auch biologischer Methoden – zur helmshaven seit dem 15.06.2012 die ge- nicus berichtet [45, 46, 47, 48]. Das Euro- Stechmückenbekämpfung schwierig forderten Kapazitäten zum Schutz der öf- pean Centre for Disease Prevention and oder er ist sogar unmöglich. fentlichen Gesundheit vorgehalten wer- Control (ECDC) in Stockholm nimmt Mit der derzeit beginnenden Endemisie- den. Der Hafenärztliche Dienst hat vor sich dieser Problematik auf europäischer rung Deutschlands durch neue, äußerst Ausstellung der Bescheinigung über die Ebene an. Damit kann – zumindest sai- vektorkompetente Stechmückenarten Durchführung von Schiffshygienemaß- sonal – auch Deutschland künftig als wie Ae. japonicus und vor allem Ae. al- nahmen Schiffe auf Vektoren- und Her- potenzielles Endemiegebiet für entspre- bopictus resultiert eine deutliche epide- denfreiheit zu überprüfen. chend kompatible Infektionserreger an- miologische Lageänderung dergestalt, gesehen werden. dass bei einem Auftreten übertragba- rer Erreger künftige Seuchengeschehen

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 501 Leitthema

potenziell möglich sind. Eine Vielzahl 14. Krause PJ, Narasimhan S, Wormser GP et al (2013) Korrespondenzadresse Human Borrelia miyamotoi infection in the United von bislang nicht in Deutschland trans- States. N Engl J Med 368:291–293 missiblen Erregern, wie z. B. Dengue- Prof. Dr. M. Faulde 15. Faulde M, Spiesberger M (2013) Role of the moth und Chikungunyaviren, könnten zumin- Laborgruppe Medizinische Entomologie/ fly Clogmia albipunctata (Diptera: Psychodinae) as a mechanical vector of bacterial pathogens in dest saisonal endemisch werden. Die Zoologie, Zentrales Institut des Sanitäts- dienstes der Bundeswehr Koblenz hos­pitals, Germany. J Hosp Infect 83:51–60 Vektorenbekämpfung ist aufgrund der 16. Russell RC, Otranto D, Wall RL (2013) The ency­ 56065 Koblenz Indikationslückenproblematik derzeit clopaedia of medical and veterinary entomology. [email protected] CABI, Wallingford nicht durch geprüfte und gelistete § 18 17. 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Faulde M, Dötsch W (2005) Toxisch-irritative Der- matitis durch Prozessionsspinnerraupen nach Por- nalen Vorkommen von Vektoren und mit Literatur tugalaufenthalt. Allergologie 28:290–295 ihnen assoziierten Erregern erforderlich. 21. Burgess NRH (1981) John Hull Grundy’s arthro- Hierzu gehören: 1. Faulde M, Hoffmann G (2001) Vorkommen und pods of medical importance. Curwen Press, Lon- Verhütung vektorassoziierter Erkrankungen des don F die Koordination der und die Koope- Menschen in Deutschland unter Berücksichtigung 22. Hirsch T, Stappenbeck C, Neumeister V et al (2000) ration zwischen den verschiedenen zoonotischer Aspekte. Bundesgesundheitsbl Ge- Exposure and allergic sensitation to cockroach al- national tätigen Arbeitsgruppen, sundheitsforsch Gesundheitsschutz 44:116–136 lergen in East Germany. Clin Exp Allergy 30:529– 2. WHO (2008) World Health Statistics 2008. World 537 F ein landesweites, kontinuierliches Health Organization, Geneva. http://who.int/who- 23. 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Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:504–510 A. Plenge-Bönig1 · E. Schmolz2 DOI 10.1007/s00103-013-1923-y 1 Institut für Hygiene und Umwelt, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburg Online publiziert: 25. April 2014 2 Umweltbundesamt, Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung (FG IV 1.4), Berlin © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Strategien nachhaltiger Bekämpfungen kommensaler Nagetiere Definitionen von Bekämpfungszielen auf kommunaler Ebene

Kommensale Nagetiere wie Wanderrat- ßer und sachgerechter Anwendung Tier- der Bekämpfungserfolg, sondern auch die ten (Rattus norvegicus), Hausratten (Rat- leid [4, 5]. Alternativen zu den genann- langfristigen Auswirkungen hinsichtlich tus rattus) und Hausmäuse (Mus muscu- ten Antikoagulanzien stehen in größerem der Nagerpopulationen und der Entwick- lus) sind sowohl Gesundheits- als auch Maßstab zumindest mittelfristig nicht zur lung von möglichen Resistenzen gegen- Vorratsschädlinge. Sie können verschie- Verfügung. Der Notwendigkeit, aus den über Rodentiziden sowie die verfügba- dene für Mensch und Tier gefährliche genannten Gründen auf eine Verwen- ren finanziellen Mittel einbezogen wer- Krankheitserreger übertragen und erheb- dung von umweltschädlichen, Resistenz den. Nachhaltiges Nagermanagement liche Schäden an gelagerten Nahrungs- und Tierleid verursachenden Wirkstoffen stützt sich „auf fundierte Kenntnisse bio- mitteln verursachen. Da sie in menschli- zu verzichten, steht der Imperativ gegen- logisch-ökologischer und agronomischer che Behausungen eindringen, Gänge gra- über, zum Schutz der menschlichen und Zusammenhänge, auf Umweltbewusst- ben und Rohre sowie elektrische Leitun- tierischen Gesundheit eine effektive, aber sein und auf soziokulturelle Aspekte, die gen annagen, besitzen sie auch ein nicht auch ökonomisch umsetzbare Nagerbe- die Auswahl und Kombination von Ma- zu unterschätzendes Schadenspotenzial kämpfung zu betreiben. Um die un- nagementtechniken maßgeblich beein- für Gebäude und die städtischen Versor- erwünschten Eigenschaften der einzuset- flussen. Diese Techniken beinhalten z. B. gungssysteme. Da Nagetiere ein sehr ho- zenden Rodentizide zu reduzieren, kön- die Minimierung von Nahrung und Re- hes Reproduktionspotenzial besitzen [1], nen einerseits Risikominderungsmaß- fugien, Fallen- und Barrieresysteme, bio- gleichzeitig aber im menschlichen Sied- nahmen, z. B. das Ausbringen von Gift- logische Schädlingsregulation, Repellen- lungsbereich natürliche Fressfeinde feh- ködern in sicheren Köderstationen, ange- tien und die fachgerechte Anwendung len, müssen Schadnagerpopulationen wendet werden. Andererseits ist zu unter- von Rodentiziden zu bestimmten Zeiten bekämpft werden. Dies geschieht in der suchen, ob nicht die Rodentizid-Ausbrin- in Schlüsselhabitaten“ [6]. überwiegenden Zahl der Fälle mittels Ro- gung zur Bekämpfung von Schadnager- Der folgende Beitrag setzt sich mit dentiziden mit blutgerinnungshemmen- populationen mit dem Ziel einer mög- Fragen zu den Zielen und den Gestal- den Wirkstoffen (Antikoagulanzien). lichst dauerhaften Reduktion der Popu- tungsmöglichkeiten kommunaler Nage- Diese Wirkstoffe haben jedoch hoch- lationsgröße im Sinne einer nachhaltigen tierbekämpfungen im Hinblick auf eine problematische Umwelteigenschaften: Es Bekämpfungsstrategie optimiert werden mögliche Verlagerung hin zu einer nach- handelt sich überwiegend um Stoffe mit muss. haltigen Strategie mit einer Verringerung PBT-Eigenschaften, d. h., sie sind persis- Eine nachhaltige Nagetierbekämp- der Ausbringung von Rodentiziden aus- tent, bioakkumulierend und toxisch [2]. fung lässt sich dadurch definieren, dass einander. Die Verringerung der Menge an Es besteht zudem dadurch, dass alle an- sie nicht nur einen punktuellen Erfolg, eingesetzten Rodentiziden ist aus ökolo- tikoagulanten Wirkstoffe auf dem glei- sondern langfristig wirkende Ergebnisse gischer sowie ökonomischer Sicht von chen Wirkprinzip beruhen, die Gefahr erzielt. Hierbei soll der Einsatz von Res- entscheidender Bedeutung für die Nach- einer Resistenzentwicklung im Zielor- sourcen optimal und in jeder Hinsicht so haltigkeit, kann aber nur durch ein gan- ganismus [3]. Darüber hinaus verursa- unschädlich wie möglich erfolgen. In die zes Paket an Maßnahmen erreicht wer- chen sie auch bei bestimmungsgemä- Zielformulierung müssen also nicht nur den. Hintergrund ist das Bedürfnis einer

504 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Qualitätsverbesserung im Lichte der ver- Praxis der Nagetierbekämpfung die Ordnungsämter, die Veterinärbehör- schiedenen oben angegebenen, bisher auf kommunaler Ebene den oder die Bürgermeister lenkend ein. unbefriedigend gelösten Problematiken. in Deutschland Kommt es zu Krankheitsausbrüchen, die Aus Platzgründen kann hier auf sozia- von Nagetieren ausgehen, ergeben sich le Aspekte bei der Nagetierbekämpfung Die Praxis der Nagetierbekämpfung Situationen, die eine sehr hohe Aufmerk- nicht eingegangen werden. wird auf kommunaler Ebene durch die samkeit und Aktivität bei den Behörden Verfügbarkeit zugelassener Rodentizi- und in den Kommunen nach sich zie- Kommensale Nagetiere de sowie durch die bundesweit gleichen hen, denn sie erfordern ein schnelles und und ihre Lebensweise übergeordneten rechtlichen Grundla- nachhaltiges Handeln zur Aufklärung gen der verschiedenen regelnden Geset- und Prävention weiterer Erkrankungs- Zu den kommensalen Nagetieren zählt ze bestimmt. Grundsätzlich sind mehrere fälle. Dies geschieht in der Regel in Zu- man in der Regel solche, die als Kulturfol- Gruppen von Akteuren in die Maßnah- sammenarbeit verschiedener Stellen bis ger in der Nähe des Menschen leben. In men involviert: Der Bürger, der die Be- hin zu Bundesbehörden wie dem Robert Deutschland sind dies im strengen Sinn kämpfung entweder selbst durchführt Koch-Institut [9]. nur die beiden Rattenarten Wanderratte oder veranlasst, die Landwirte und die (Rattus norvegicus) und Hausratte (Rat- Betreiber von Kanalisationsanlagen, die Umsetzung der gesetzlichen tus rattus) sowie die Hausmaus (die öst- selbst Nagetierbekämpfungen durchfüh- Regelungen in der kommunalen liche Unterart Mus musculus musculus ren oder veranlassen, die professionel- Praxis: Definition der und die westliche Unterart M. m. domes- len Schädlingsbekämpfer, die zur Durch- Bekämpfungsziele und ticus). Die Wanderratte lebt in Deutsch- führung von Bekämpfungsmaßnahmen Bekämpfungserfordernisse land natürlicherweise im Freiland sowie beauftragt werden, und schließlich die im bebauten Umfeld und in der Kanali- behördlichen Einrichtungen selbst, die Das IfSG schreibt in § 17 Absatz 2 die Ab- sation. Sie dringt bei Futterangebot oder Maßnahmen einleiten bzw. beauftragen wendung von durch Gesundheitsschäd- während der kalten Jahreszeit auch gerne sowie überwachende und lenkende Auf- linge drohenden Gefahren vor, wenn in menschliche Behausungen ein. Land- gaben haben. durch ihre Anwesenheit begründet ist, wirtschaftliche Betriebe, vor allem solche Da der Gesetzgeber den Kommunen dass durch sie Krankheitserreger verbrei- mit Nutztierhaltung, üben große Anzie- freie Hand lässt, wie weit sie in die Pra- tet werden. Die zuständige Behörde hat hungskraft auf Wanderratten aus. Der Le- xis der Nagetierbekämpfung auf kommu- die zu ihrer Bekämpfung erforderlichen bensraum der Hausratte befindet sich in naler Ebene eingreifen, ist das Bild einer Maßnahmen anzuordnen, wobei die Be- Mitteleuropa ganzjährig in Gebäuden. Sie „gängigen“ Praxis sehr heterogen, zudem kämpfung sowohl Maßnahmen gegen ist in Deutschland deutlicher seltener als ist die Datenlage in Deutschland für eine das Auftreten, die Vermehrung und die die Wanderratte anzutreffen und kommt wissenschaftliche Aufarbeitung unbefrie- Verbreitung sowie zur Vernichtung von vor allem im ländlichen Bereich in älteren digend. Ein bundesweites Schädlingska- Gesundheitsschädlingen umfasst. Wäh- Gebäuden sowie in Getreidespeichern, taster zum Vorkommen von kommen- rend Vorhergesagtes erst umgesetzt wer- und hier häufig in Binnenhäfen, vor [7]. salen Schadnagern existiert nicht. Eine den kann, wenn bereits Gesundheits- Hausmäuse leben immer in der Nähe des einzige, neuere veröffentlichte Befra- schädlinge vorhanden sind und durch Menschen und halten sich überwiegend gung macht zur momentan existieren- sie Krankheitserreger verbreitet werden, in Gebäuden auf [1]. Im Folgenden wird den Praxis der kommunalen Rattenbe- können die Länder und damit auch die im Wesentlichen auf die Wanderratte als kämpfung mit dem Schwerpunkt Kanali- Kommunen über § 17 (5) bereits „… weit Schadorganismus eingegangen, da die- sationsanlagen nur allgemeine Aussagen im Vorfeld der Verhütung oder Bekämp- se Art ubiquitär im menschlichen Sied- [8]. Von den befragten Kommunen und fung übertragbarer Krankheiten Rege- lungsbereich vorkommt, ihre Bedeutung Sielbetreibern beteiligten sich 508 (75%) lungen zur Feststellung und Bekämpfung als Überträger von Krankheiten unum- an der Umfrage. Von den Befragten Ins- von Gesundheitsschädlingen … erlassen“ stritten und ihre Bekämpfung am häu- titutionen ergreifen demnach 88% Maß- [10]. Diese können ebenso Maßnahmen figsten gesetzlich geregelt ist. Grund- nahmen zur Rattenbekämpfung und da- gegen ihr Auftreten, ihre Vermehrung sätzlich lassen sich aber die Erkenntnis- von 97% solche in der Kanalisation. Da- und Verbreitung sowie zu ihrer Vernich- se auf die Bekämpfung von Hausratten bei differenziert die Studie bei der Dar- tung umfassen. und Hausmäusen übertragen; es ist je- stellung der Ergebnisse nicht zwischen Das IfSG enthält damit ein klar formu- doch zu bedenken, dass es in der Regel Informationen von Kommunen und Ab- liertes Ziel zur Prävention vor Gesund- keine gesetzliche oder staatliche Regelung wasserbetrieben. Es zeigte sich auch, dass heitsschädlingen. Das Studium der gän- zur Erfassung von Befällen mit Hausmäu- die Zuständigkeiten in den Kommunen gigen Praxis der kommunalen Nagetier- sen gibt. Hausratten werden nicht geson- unterschiedlich geregelt sind. bekämpfung zeigt aber, dass Behörden dert behandelt, da sie relativ selten vor- Treten Probleme durch beispielswei- oft erst dann regelnd eingreifen, wenn kommen und oftmals bei der Befallser- se gehäuftes und vermehrtes Auftreten es zu Massenvermehrungen von gesund- fassung nicht zwischen Haus- und Wan- von kommensalen Nagern auf, so grei- heitsgefährdenden Schadnagern kommt. derratten unterschieden wird. fen bei Bedarf die Gesundheitsbehörden, Wohl werden durch die Landesgesund-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 505 Leitthema Zusammenfassung · Abstract

heitsämter auch Informationen verbrei- Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:504–510 DOI 10.1007/s00103-013-1923-y tet, die sich auf ein präventives Schäd- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 lingsmanagement beziehen. Definitio- A. Plenge-Bönig · E. Schmolz nen von Bekämpfungszielen und Be- Strategien nachhaltiger Bekämpfungen kommensaler Nagetiere. kämpfungserfordernissen gehen in der Definitionen von Bekämpfungszielen auf kommunaler Ebene Regel aber selten über allgemeine Maß- nahmen hinaus, die sich dann in den Zusammenfassung Länder- und Kommunen-spezifischen Die Zuständigkeiten und Aktivitäten der und zu verkleinern. Die A-priori-Vorausset- Verordnungen finden. In den Merk- und kommunalen Nagetierbekämpfung in zung zur Umsetzung einer nachhaltigen Ma- Deutschland haben zwar durch das Infek- nagementstrategie von Schadnagerpopula- Informationsblättern, die die Kommu- tionsschutzgesetz (IfSG) einen gemeinsamen tionen auf kommunaler Ebene ist, dass dies- nen herausgeben, findet sich aber durch- rechtlichen Rahmen, die Lenkung der Nage- bezüglich eine Zielformulierung vorgenom- aus in den allgemein formulierten Zielen tierbekämpfung auf kommunaler Ebene ist men und diese in Rechtsverordnungen ver- wie „Verhinderung einer Ausbreitung“, jedoch sehr heterogen, da die einzelnen Län- ankert wird. Die systematische Erfassung von „Verhinderung von Nager-freundlichen der unterschiedliche oder aber auch gar kei- Schadnagervorkommen aus einem kommu- Habitaten“ eine Zielsetzung hin zu einer ne Regelungen zum Management der Ver- nal betriebenen Monitoring bietet die ent- mehrung und Verbreitung von kommensa- scheidende Datengrundlage für ein geziel- nachhaltigen Nagetierbekämpfung, auch len Nagetieren (Wanderratten, Hausratten, tes Nagermanagement, das bereits in eini- wenn der Begriff der Nachhaltigkeit nicht Hausmäuse) getroffen haben. Bekämpfungs- gen deutschen und europäischen Großstäd- explizit verwendet wird. ziele und Bekämpfungserfordernisse wer- ten bzw. landesweit in Dänemark angewandt Dabei gibt das IfSG bereits die ent- den selten genau definiert und gehen oft wird. Ein solches nachhaltiges Nagermanage- scheidenden Schritte vor, um eine nach- nicht über allgemeine Maßnahmen und Zie- ment beinhaltet wegen gezielterer und lang- le hinaus. Der Begriff der Nachhaltigkeit fin- fristig geringerer Rodentizid-Ausbringungen haltige Nagetierbekämpfung in die Pra- det sich in entsprechenden Verordnungen als Einsparungspotenziale für die Kommunen, xis umzusetzen: Die Landesregierun- solcher nicht, wohl wird aber in kommuna- verringert den Eintrag der Substanzen in die gen können gemäß § 17 (5) IfSG Rechts- len Informationen auf notwendige Präven- Umwelt und wirkt der Gefahr der Resistenz- verordnungen über die Feststellung und tionsmaßnahmen zur Verhinderung der Eta- entwicklung im Zielorganismus entgegen. die Bekämpfung von Gesundheitsschäd- blierung von Nagetierpopulationen aufmerk- Schlüsselwörter lingen erlassen sowie die Ermächtigung sam gemacht. Eine zentral gesteuerte und Datenbank-gestützte kommunale Nagetier- Nagetierbekämpfung · Rodentizide · durch Rechtsverordnung auf andere Stel- bekämpfung ist nachhaltig, da sie ein syste- Infektionsschutzgesetz · Kommensale len übertragen. Dies bedeutet, dass sich matisches und analytisches Vorgehen ermög- Nagetiere · Monitoring von Nagetieren jede Kommune ihr eigenes Regelwerk licht, um Nagerpopulationen zu erkennen konstruieren kann. Der Gesetzgeber hat sehr detaillierte Angaben dazu gemacht, welche einzelnen Bestimmungen ge- Strategies for sustainable management of commensal schaffen werden können. Sie betreffen rodents. Definitions of control objectives at communal level die Verpflichtungen des Bürgers zur Fest- Abstract stellung von Schädlingen und deren An- The German Act on the Prevention and Con- establishment in legal decrees is mandatory zeige bei den zuständigen Behörden so- trol of Infectious Diseases in Man (Infektions- for the implementation of a sustainable man- wie die Verpflichtung zu deren Bekämp- schutzgesetz, IfSG) provides a legal frame- agement strategy of rodent populations at a work for activities and responsibilities con- local level. Systematic recording of rodent in- fung, sowie die Befugnis und Verpflich- cerning communal rodent control. Howev- festations through municipal-operated moni- tung von Gemeinden, Gesundheitsschäd- er, actual governance of communal rodent toring provides the essential data foundation linge festzustellen, zu bekämpfen und das control is relatively heterogeneous, as federal for a targeted rodent management which is Ergebnis der Bekämpfung zu überprüfen. states (Bundesländer) have different or even already implemented in some German and Bei der Bekämpfung kann über die Art no regulations for prevention and manage- European cities and nationwide in Denmark. ment of commensal rodent infestations (e.g. A sustainable rodent management includes a und den Umfang der Bekämpfung, den brown rats, roof rats and house mice). Control more targeted rodenticide application which Einsatz von Fachkräften, eine Mittei- targets and control requirements are rare- in the long-term will lead to an overall reduc- lungspflicht über Abschluss und Ergeb- ly precisely defined and often do not go be- tion of rodenticide use. Thus, the benefits of nis der Bekämpfung gegenüber der zu- yond general measures and objectives. Al- sustainable rodent management will be a re- ständigen Behörde sowie über die zuläs- though relevant regulations provide infor- duction of rodenticide exposure to the envi- sigen Bekämpfungsmittel und -verfahren mation about agreed preventive measures ronment, prevention of resistance and long- against rodents, the concept of sustainability term economical savings. verfügt werden. Hierbei müssen die bei is not expressed as such. A centrally managed der Zulassung der Mittel ausgesproche- database-supported municipal rodent con- Keywords nen Anwendungsauflagen beachtet wer- trol is a key factor for sustainability because it Rodent control · Rodenticides · Infectious den. Diese schließen unter anderem eine allows a systematic and analytical approach Diseases Protection Act · Commensal Minimierung von Rückständen und die to identify and reduce rodent populations. rodents · Rodent monitoring ordnungsgemäße Beseitigung von Be- The definition of control objectives and their kämpfungsmitteln sowie die Verpflich- tung, den Abschluss und das Ergebnis

506 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 der Bekämpfung zu dokumentieren, ein. men getragenen präventiven Strategie ve1 Maßnahmen in der Umwelt und eine Die Dokumentation der Maßnahme ist zum Ziel machen. Verhaltensprävention in der Bevölke- zudem auf Verlangen dem Auftraggeber Hierfür macht die Populationsdyna- rung eingeführt und umgesetzt werden, und der Überwachungsbehörde vorzu- mik von Nagetieren entscheidende nütz- erfordert dies, dass die Kommunen stär- legen. liche Vorgaben, um die Reduktion der ker als bisher regelnd in die Prozesse ein- Recherchen nach derartigen Verord- Tierpopulationen auf eine stark vermin- greifen und Nagervorkommen und ihre nungen und anderen Vorschriften erge- derte Größe und somit eine Verringe- Dynamik über Raum und Zeit systema- ben allerdings ein ungleiches Bild: Es fin- rung der Menge anzuwendender Roden- tisch erfassen sowie Qualitätssicherungs- den sich wenige verfügbare Ausführun- tizide zu ermöglichen: Wissenschaftliche systeme zur Überprüfung der Bekämp- gen, vor allem bei kleineren Kommu- Untersuchungen konnten zeigen, dass fungserfolge einführen. Einige Kommu- nen und Städten. Landesgesundheits- eine Reduktion der Population auf etwa nen haben durch Verordnung einer Mel- ämter haben in der Regel eigene Unter- 4% der Ausgangsgröße einen lange an- depflicht bereits dafür gesorgt, zumin- abteilungen in ihren Infektionsschutzbe- dauernden Effekt auf die Dezimierung dest mehr über ihre Nager-Populatio- reichen, die für die Schädlingsbekämp- der Populationsgröße hat. Eine komplet- nen zu erfahren. So hat die Stadt Köln für fung wichtige Informationen und Hin- te Tilgung der Populationen führt ohne die kommunale Rattenbekämpfung das weise auf entsprechende Verordnungen weitere Managementmaßnahmen frü- Stadtgebiet in Raster gegliedert. Häufige machen. So haben einige Städte und Ge- her oder später zu einer Wiedereinwan- Befallsorte werden zum Teil einmal mo- meinden Verordnungen zur Bekämp- derung von außen, und Populationen, natlich kontrolliert, um bei Bedarf Köder fung von Schädlingen oder speziell von die nur auf etwa 10% ihrer Ausgangs- auszulegen. Dadurch konnte die Ratten- Ratten erlassen (z. B. Hamburger Ratten- größe vermindert werden, erholen sich population verkleinert werden. Es besteht verordnung von 1963, Sächsische Schäd- sehr rasch [11]. Grundsätzlich gilt, dass ein Meldegebot. In Dortmund und ande- lingsbekämpfungsverordnung von 2009, die Zielvorgabe bei einer Bekämpfung ren Städten des Ruhrgebietes werden die Verordnung über die Rattenbekämpfung die Tilgung der Population sein muss, da Bürger einmal im Jahr dazu aufgerufen, im Lande Niedersachsen von 1977, Berli- im Hygienebereich, anders als im Pflan- gemeinsam gegen Nager vorzugehen.2 ner Schädlingsbekämpfungsverordnung zenschutz, eine Schadschwelle (d. h. ein Hierzu sei kritisch angemerkt, dass den 2011), andere wiederum nicht. Eine ab- ökonomisch zu akzeptierender Schaden) handelnden Personen in der Regel die schließende quantitative Angabe über nicht definierbar ist. Praktisch sind der Fachkenntnisse fehlen, um einen ausrei- die Zahl der Kommunen mit oder ohne Umsetzbarkeit eines solchen Ziels der chenden Schutz von Nicht-Zielorganis- entsprechende staatliche Regelungen zur vollständigen Eliminierung einer Nager- men und der Umwelt zu gewährleisten. Nagerbekämpfung kann an dieser Stel- population jedoch Grenzen gesetzt. Dies Daher wurde die Verfügbarkeit von Ro- le jedoch nicht erfolgen, da die Verfüg- ist vor allem von der Habitatstruktur ab- dentiziden für den nicht-sachkundigen barkeit der entsprechenden Informatio- hängig. Kleinräumige und relativ isolier- Anwender (d. h. Verbraucher) im Rah- nen zu schlecht hierfür ist. Grundsätzlich te Populationen sind grundsätzlich leich- men der Biozidproduktzulassung stark lässt sich jedoch feststellen, dass sich be- ter zu tilgen als großflächige Nagetier- eingeschränkt. hördliche Regelungen zur Bekämpfung vorkommen, die zudem möglicherweise In Hamburg besteht eine Meldepflicht von kommensalen Nagetieren praktisch räumlich kaum von anderen Populatio- für Ratten, und die Bekämpfung auf öf- ausschließlich auf Wanderratten bezie- nen abgegrenzt sind. Hier kann es immer fentlichem Grund wird durch die Stadt hen, obwohl sowohl Hausmäuse als auch wieder zu Einwanderungen kommen; durchgeführt. Seit 2007 wird die Stadtrat- Hausratten Gesundheitsschädlinge nach zudem kann es Rückzugsgebiete für Teile tenkontrolle durch die Verwendung einer § 2 IfSG sind und für behördliche An- der Population geben. Kanalisationssyste- Datenbank, die über eine Open-Data- ordnungen (§§ 16,17 IfSG) zur Bekämp- me wären hierfür ein Beispiel. base-Connectivity (ODBC)-Schnittstelle fung dieser Arten Bekämpfungsmit- Da es also ausgeschlossen ist, kom- mit einem städtischen Geodaten-Server tel und -verfahren in der Liste nach § 18 mensale Nagetiere großflächig und auf verknüpft ist, effektiv unterstützt. Sie be- IfSG (die sog. Entwesungsmittelliste) auf- Dauer vollständig zu eliminieren, bleibt inhaltet valide Daten zu Rattenvorkom- geführt sind. ein kontinuierliches Kleinhalten der men, da der Eingang von Befallsorten Populationen die einzige Möglichkeit in die Datenbank an die Erfüllung einer Nachhaltige Bekämpfungs- eines nachhaltigen kommunalen Na- „Falldefinition“ gebunden ist. Rattenvor- strategien kommunaler germanagements. Für Kommunen mit kommen werden durch die Verknüpfung Ebene: bestehende Ansätze großflächig vorkommenden und popula- mit Geo-Daten systematisch über Raum tionsstarken Nagetiervorkommen dürf- und Zeit dargestellt und analysiert, und Eine nachhaltige Bekämpfungsstrategie te dies zunächst einmal einen verstärkten 1 muss sich eine langfristige Minimierung Gifteinsatz erfordern. Sollen anschlie- Die Verhältnisprävention zielt nicht auf das Verhalten des Einzelnen, sondern auf die Ver- des Gifteintrages in die Umwelt und da- ßend systematisch Verhältnis-präventi- hältnisse, in denen der Mensch lebt. mit eine Verlagerung der Aktivitäten von 2 http://www.ksta.de/panorama/finanznot- der reaktiven Bekämpfung hin zu einer immer-mehr-ratten-in-nrw-staed- von einschlägigen proaktiven Maßnah- ten,15189504,12576990.html.

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 507 Leitthema

„Hotspots“ können identifiziert werden. deportals für den Bürger, der eine Mel- F Das kontinuierliche Monitoring der Dabei besteht eine enge Zusammenarbeit depflicht bei Rattenbefällen hat. Weite- Population ist eines der Grundins­ mit der die Siele betreibenden Stadtent- re fachliche Qualitäten dieses neuen Sys- trumente eines ökologisch basierten wässerungsbetrieben. Die durch die öf- tems bestehen u. a. in der Verpflichtung Rattenmanagements [14]. fentliche Hand ausgebrachten Rodenti- aller mit der Rattenkontrolle befassten F Privatisierung und reaktive Bekämp- zid-Mengen konnten seit 2007 um etwa Kommunen und professionellen Schäd- fung wirken sich nachteilig auf die ein Drittel gesenkt werden. In den ersten lingsbekämpfern, die Resistenzstrate- Kontrolle der städtischen Ratten- 4 Jahren des Betriebes reduzierten sich gie des Umweltministeriums zu befol- population aus, da es zum Einwan- die bestätigten Rattenmeldungen nach gen, die gemeinsam mit dem GIS-Kar- dern neuer Tiere aus der Nachbar- einer intensiven Bekämpfung im Jahr tenmaterial der Resistenzgebiete der letz- schaft kommt, wenn nur an einem 2008 um etwa die Hälfte, von 2214 und ten 8 Jahre auf der Homepage des Minis- Ort bekämpft wird. Daher sollten die 2507 (in 2007 und 2008) auf 1194 und 1419 teriums veröffentlicht werden. Es besteht Behandlungsmaßnahmen in einem in 2009 und 2010, bei einer Gesamtfläche für alle Schädlingsbekämpfer eine Ver- städtischen rattenbefallenen Gebiet der Stadt von 756,6 km2 und einer Ein- pflichtung zur Verwendung von Produk- immer großflächig und simultan sein wohnerzahl von 1.786.448 in 2010 [12]. ten mit den schwächsten antikoagulanten [15]. Seit 2011 schwanken sie zwischen ca. 900 Wirkstoffen, bevor auf stärker wirkende F Meyer [16] bewertet die reaktive und ca. 1400 bestätigten Meldungen pro Mittel gewechselt werden darf. Im Falle Kontrolle negativ, da in seiner Unter- Jahr. des Nachweises einer Resistenz gegen die suchung selbst bei kostenlosem Ser- Die Stadt Zürich betreibt bereits seit schwächeren Mittel gilt diese Einschrän- vice nur ca. 65% der befallenen Plät- der Jahrtausendwende ein ähnliches kung nicht. Alle Kommunen müssen ze professionell behandelt wurden. Er Verfahren, hier lagen die Meldezahlen einen Aktionsplan zur Prävention und sagt einen um 90% niedrigeren Befall auf öffentlichem Grund von 2006 bis Bekämpfung von Ratten festlegen, der bei proaktiver Kontrolle bei fast glei- 2010 unter 100, die Zahl der tatsächli- alle 3 Jahre auf seine Effizienz hin über- chen Kosten voraus. chen Bekämpfungen an diesen Melde- prüft wird. Damit hat das neue dänische F Prädiktorenmodelle werden im Ver- orten sogar unter 50, bei einer Fläche System auch qualitätssichernde Elemen- gleich zu Surveys als billiger angege- von 91.88 km2 und einer Einwohnerzahl te. Über befallene Gebäude müssen pri- ben, da sie eine gezielte Bekämpfung von 385.468 [13]. Beispielhaft ist auch vate Schädlingsbekämpfer einen Bericht in Bereichen mit hohem Risiko er- das Rattenmanagement einer mittleren schreiben, der von der Kommune ein- möglichen und sich nicht auf unsi- niedersächsischen Stadt, in der ein von gesehen werden kann und der detailliert chere Rattenmeldungen durch Bür- der Kommune betrauter privater Schäd- aufführen muss, warum es an dem betref- ger stützen müssen [17]. lingsbekämpfer durch ein Monitoring- fenden Ort zu Befall kam. F Essentiell für eine wirksame Ratten- gestütztes Verfahren und intensiv pro- Viele Kommunen in Deutschland ma- bekämpfung ist eine systematische klamierte Präventionsmaßnahmen bei chen zumindest auf ihren Websites oder Risikokommunikation [15]. der Bevölkerung die Rodentizid-Aus- mithilfe von telefonischen Beratungsan- bringung um etwa die Hälfte verrin- geboten oder Flyern ebenfalls einen wich- Hindernisse bei der gern konnte (Freise, pers. Mitteilung am tigen Schritt zur Prävention von Nage- Umsetzung eines nachhaltigen 22.11.11). Die hierbei eingesparten finan- tierbefällen. Die zur Verfügung gestellten Schadnagermanagements ziellen Mittel, die sonst für Rodentizi- Informationen beinhalten Hinweise zur auf behördlicher Ebene de ausgeben werden mussten, sind ein Einhaltung der allgemeinen Ordnung unternehmerischer Ansporn, denn sie und Sauberkeit auf dem Grundstück und Hindernisse in der Zielsetzung bestehen erhöhen den Gewinn. auf öffentlichem Raum, zur ordnungsge- insoweit, als eine Nachhaltigkeit in der Der Staat Dänemark hat einen „Plan mäßen Lagerung und Abfallentsorgung Nagetierbekämpfung in übergeordneten für die gezielte Prävention und Kontrolle von essbaren Materialien, speziell von Gesetzen wie dem Biozid-Gesetz zwar von Ratten in Dänemark“ verabschiedet.3 Lebensmitteln oder von Tierfutter, so- formuliert wird, diese aber bisher keine Das Verfahren ist mit dem in Hamburg wie Informationen zu den Gesundheits- Entsprechung in die Umsetzung regeln- das modernste von allen hier betrachte- gefahren, die von Nagetieren ausgehen den Verordnungen findet. Hindernis- ten und soll daher etwas ausführlicher können. se bezüglich der Zuständigkeit bestehen beschrieben werden. Seine Umsetzung Hinsichtlich der Vorteile von Monito- darin, dass es unklar ist, ob die Gesund- erfolgt unter anderem mit der Einfüh- ring-Verfahren beim Nagermanagement, heitsämter, die Nagetierbekämpfungen rung eines elektronischen Online-Mel- der Nachteile rein reaktiver Bekämp- zum Schutz der menschlichen Gesund- fungsstrategien und bezüglich der Fra- heit anordnen oder koordinieren, über- 3 Dänisches Umweltministerium, Naturbehör- ge der reinen Privatisierung kommuna- haupt für die Einführung und Durch- de/Miljøministeriet, Naturstyrelsen, abruf- len Nagermanagements über längere Zeit setzung einer nachhaltigen Nagetierbe- bar unter http://www.naturstyrelsen.dk/ NR/rdonlyres/6C6E770E-5EB8-4D42-A8DF- ohne staatliche Steuerung finden sich in kämpfung zuständig sind. Es ist auch un- 47CA0F03D2C0/118898/rotteplanendelig. der Literatur zumindest einige Ergebnis- klar, welche anderen behördlichen Struk- pdf, zuletzt aufgerufen am 11.09.2013. se wissenschaftlicher Studien: turen hierfür ggf. zur Verfügung stehen

508 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 könnten. Fachlich wären auch die Um- Auf regionaler Ebene gibt es in Deutsch- anordnenden Behörden und die pro- weltbehörden oder die Veterinärämter land bereits einige, zumindest in Ansät- fessionellen Schädlingsbekämpfer, wegen ihres naturwissenschaftlich/me- zen umgesetzte nachhaltige kommuna- ähnlich wie dies bereits in Deutsch- dizinischen Fachhintergrundes geeignet. le Schadnagermanagements mit guten land im Rahmen des Leitfadens für Hindernisse in der Umsetzung sowie Ergebnissen. Solche – zum Teil bereits die großräumige Rattenbekämp- deren Lenkung dürften darin bestehen, über viele Jahre umgesetzte und weiter- fung [18] geschehen ist oder wie sie dass bisher – mit wenigen Ausnahmen – entwickelte – Verfahren haben in ande- im Vereinigten Königreich über das kaum personelle innerbehördliche Struk- ren europäischen Ländern sehr überzeu- Chartered Institute for Environmental turen vorliegen, um eine nachhaltige Na- gende Ergebnisse erbracht. Daher soll- Health zur Verfügung stehen [19], getierbekämpfung mit Einführung und ten nun auf der fachlichen Ebene genü- F eine digitale Erfassung von Schadna- kontinuierlicher Einhaltung wirksamer gend Argumentationshilfen für den An- geraufkommen durch die Kommu- Präventionsmaßnahmen umsetzbar zu stoß einer Initiative unter Einbeziehung nen, machen. Der für die Bekämpfung von der in Deutschland zuständigen behörd- F hierfür dann unabdingbar das Ein- Nagern zuständige Bürger hat bei punk- lichen Ebenen erbracht worden sein, um führen einer Meldepflicht von Schad- tuellen Problemen mit Nagetieren keine eine nachhaltige Nagetierbekämpfungs- nagervorkommen für den Bürger Zielsetzung im Hinblick auf eine nach- strategie auch bundesweit regional und und die professionellen Schädlings- haltige Nagetierbekämpfung, da ihm da- überregional einzuführen und umzuset- bekämpfer, rüber in der Regel niemand Kenntnisse zen. F eine Verbesserung der Risikokom- verschafft und das Ziel als solches auch Der Gesetzgeber hat über das IfSG den munikation mit der Bevölkerung zu von keiner offiziellen Stelle ihm gegen- Kommunen ausreichend Spielraum ge- den gesundheitlichen Gefahren von über formuliert wird. schaffen, um ein nachhaltiges Nagerma- Nagetieren und von Bioziden, nagement zu initiieren und durchzufüh- F eine Verpflichtung der Rodentizide Perspektiven für eine ren. Dies muss nicht mit einer Verteue- herstellenden und vertreibenden In- regionale und über- rung der kommunalen Ausgaben einher- dustrie, in ihren Produktbeschrei- regionale nachhaltige gehen, im Gegenteil: Beispiele von bereits bungen ausführlich auf das Ziel der Nagetierbekämpfung umgesetzten Konzepten zeigen, dass eine Umsetzung einer nachhaltigen Nage- nachhaltige Nagetierbekämpfung über tierbekämpfung unter Verwendung Die rechtlichen Voraussetzungen zur den geringeren Rodentizid-Verbrauch Biozid-freier Alternativen einzuge- Umsetzung einer regionalen und überre- sogar finanzielle Mittel einsparen kann. hen, gionalen nachhaltigen Nagetierbekämp- Die auf diese Weise eingesparten Mittel F eine Aufnahme des Managements fung sind bereits gegeben. Für eine Per- können in langfristig wirkende Präven- nachhaltiger Nagetierbekämpfung in spektive müssen aber noch folgende all- tionsmaßnahmen fließen, wie z. B. in die die Lehrpläne der Ausbildung zum gemeine Inhalte berücksichtigt werden: Finanzierung eines für die Schädlingsbe- Schädlingsbekämpfer, F das Erkennen der Vorteile einer kämpfung zuständigen Sachkundigen auf F eine Verpflichtung der Dienstleis- nachhaltigen Nagetierbekämpfung Kommunen-, Kreis- oder Landesebene, tungen erbringenden Schädlingsbe- bei den zuständigen empfehlenden der für die Unterhaltung eines Monito- kämpfer, eine nachhaltige Nagetier- und steuernden Behörden und Fach- rings, die Information der Bürger und die bekämpfung zu propagieren und um- leuten, Zusammenarbeit mit den gewerblichen zusetzen. F die Notwendigkeit der Umsetzung Schädlingsbekämpfern zuständig ist. einer nachhaltigen Nagetierbekämp- Zur Umsetzung einer nachhaltigen Korrespondenzadresse fung vor dem Hintergrund der diese regionalen und überregionalen Nagerbe- fordernden bestehenden Gesetze, kämpfung erscheinen im Detail mindes- PD Dr. E. Schmolz F die Definition der notwendigen tens folgende konkrete Maßnahmen un- Umweltbundesamt, Gesundheitsschädlinge Schritte zum Umsetzen einer nach- verzichtbar: und ihre Bekämpfung (FG IV 1.4) haltigen Nagetierbekämpfung ggf. in F die Identifizierung der für die Um- Boetticher Str. 2, 14195 Berlin [email protected] Form von Rechtsverordnungen auf setzung einer nachhaltigen Nagetier- Landes- oder kommunaler Ebene auf bekämpfung zuständigen Behörden Grundlage des IfSG. auf Bundes- und Landesebene, Einhaltung ethischer Richtlinien F Implementierung der Bedeutung und F die Bewusstmachung der Problema- Umsetzung einer nachhaltigen Na- tik bei diesen Behörden, Interessenkonflikt. A. Plenge-Bönig und E. Schmolz getierbekämpfung in den Sachkun- F das Aufgreifen der Steuerung und des geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. deschulungen von beruflichen An- Managements einer nachhaltigen Na- Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen wendern und in der Ausbildung von getierbekämpfung durch die zustän- oder Tieren. Schädlingsbekämpfern. digen Behörden, F die Herausgabe von bundesweit ein- heitlichen Fachempfehlungen für die

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 509 Leitthema Fachnachrichten

17. Childs JE, Mclafferty SL, Sadek R et al (1998) Epi- AMBIT – Advanced Literatur demiology of rodent bites and prediction of rat infestation in New York City. Am J Epidemiol ­Management of ­Biological 1. Meehan AP (1984) Rats and mice. Their biolo- 148:78–87 Threats: Fortbildung für gy and control. The Rentokil Library, Rentokil Ltd, 18. LAVES (2009) Leitfaden zur großräumigen Ratten- ­ärztliches Personal im East Grinstead, S 30 ff bekämpfung. http://www.laves.niedersachsen. 2. Laakso S, Suomalainen K, Koivisto S (2010) Litera­ de/portal/live.php?navigation_id=20146&artic- ­Öffentlichen Gesundheits- t­ure review on residues of anticoagulant rodenti- le_id=73725&_psmand=23 dienst cides in non-target ; TemaNord 2010:541 19. CIEH (2011) http://www.cieh.org/policy/npap_ (Nordic Council of Ministers, Copenhagen) publications.html 3. Pelz HJ, Rost S, Hünerberg M et al (2005) The ge- Termin: 17. – 19.09.2014 netic basis of resistance in rodents. Genetics Veranstalter: Robert Koch-Institut 170:1839–1847 4. Mason G, Littin KE (2003) The humaneness of ro- Veranstaltungsort: Robert Koch-Institut, dent pest control. Welfare 12:1–37 Nordufer 20, 13353 Berlin 5. Paparella M (2006) Rodenticides: an animal wel­ Programm: Der Kursinhalt besteht aus fare paradox? Altex 23:51–52 6. Jacob J, Pelz HJ (2005) Regulierung von Nagetier- zielgruppenspezifischen Modulen für populationen – Aktuelle Ansätze und Zukunfts- das Management außergewöhnlicher aussichten. Nachrichtenbl Deut Pflanzenschutz biologischer Gefahren. Diese setzen sich 57:177–182 7. Endepols S, Dietze H, Endepols H (2001) The oc- nicht nur aus theoretischen Beiträgen zu currence of roof rats (Rattus rattus L. 1758) in Ger- Erregerinformationen, seuchenhygieni- many during the late 20th century. Mamm Biol schen Maßnahmen und Meldewegen, 66:301–304 8. Krüger G, Solas H (2010) Nachbarn im Kanalnetz – sondern auch aus vielen Praxisanteilen Ergebnisse einer Fragebogenaktion zur Rattenbe- zusammen. Hierzu zählen der Umgang kämpfung. KA – Korrespondenz Abwasser, Abfall mit persönlicher Schutzausrüstung und 2010:450–455 9. RKI (2008) Zahl der Hantavirus-Erkrankungen er- die Simulation von unterschiedlichen Sze- reichte 2007 in Deutschland einen neuen Höchst- narien in Form von Table-Top-Übungen in stand. Epidemiol Bull 19:147–149 kleineren Gruppen. 10. Bales S, Baumann HG, Schnitzler N (2003) Infek- tionsschutzgesetz, Kommentar und Vorschriften- sammlung, 2. überarbeitete Aufl. Kohlhammer Lernziele des Kurses sind u.a. Kommentare, Stuttgart • Die Sensibilisierung für das Erkennen 11. Emlen JT, Stokes AW, Winsor CP (1948) The rate of recovery of decimated populations of brown rats bioterroristischer Gefahrenlagen in nature. Ecology 29:133–145 • Die Vermittlung von Grundlagen des 12. Plenge-Bönig A, Zickert A, Baumgardt K, Sam- krankheitsspezifischen, medizinischen mann A (2011) Results of four years of digital urban monitoring of Rattus norvegicus with Rat- Managements Map in Hamburg including data on infestation • Grundlagen des Managements außer- near the surface and in underground sewers. Ju- gewöhnlicher biologischer Lagen unter lius-Kühn-Archiv Nr. 432: 8th European Vertebrate Pest Management Conference, Berlin, Germany, Public Health-Aspekten 26–30 September 2011 – Book of Abstracts, S 53 13. Schmidt ME (2011) Practical rat control in the ­city Anmeldung/Informationen: of Zürich – there is more than just baiting! Ju- lius-Kühn-Archiv Nr. 432: 8th European Vertebrate Bisher wurde der Kurs von der Ärztekam- Pest Management Conference, Berlin, Germany, mer Berlin mit 18 Punkten zertifiziert, die 26–30 September 2011 – Book of Abstracts, S 54 diesjährige Zertifizierung ist in Bearbei- 14. Colvin BA, Jackson WB (1999) Urban rodent con- trol programs for the 21st century. In: Singleton tung. Die Teilnehmerzahl ist auf 16 Plätze GR, Hinds LA, Leirs H, Zhang Z (Hrsg) Ecological- begrenzt. Das ausführliche Programm ly-based rodent management. ACIAR Monograph sowie das Anmeldeformular und weitere 59, ACIAR Books, Canberra, S 243–258 15. Marshall PA, Murphy RG (2003) Investigating resi- Informationen finden Sie unter dent’s perceptions of urban rodents in Manches- www.rki.de und ter, UK. In: Singleton LA et al (Hrsg) Rats, mice and dem Suchbegriff „AMBIT“. people: rodent biology and management. Austra- lian Centre for International Agricultural Research (ACIAR) Monograph No. 96:473–476 16. Meyer A (2003) Urban commensal rodent control: fact or fiction. In: Singleton LA et al (Hrsg) Rats, mice and people: rodent biology and manage- ment. Australian Centre for International Agricul- tural Research (ACIAR) Monograph No. 96:446– 450

510 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:511–518 J. Jacob1 · R.G. Ulrich2 · J. Freise3 · E. Schmolz4 DOI 10.1007/s00103-013-1924-x 1 Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Online publiziert: 25. April 2014 Gartenbau und Forst, Wirbeltierforschung, Julius Kühn-Institut, Münster © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald-Insel Riems 3 Task-Force Veterinärwesen, Fachbereich Schädlingsbekämpfung, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Oldenburg 4 FG IV 1.4 Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, Umweltbundesamt, Berlin Monitoring von gesundheitsgefähr- denden Nagetieren Projekte, Ziele und Ergebnisse

Hintergrund nen auch als Heimtiere gehaltene Nage- regern und ihren natürlichen Wirtsarten tiere („Schmuseratten“) Krankheitserre- sowie über deren Auswirkungen auf die Nagetiere sind Reservoire und Über- ger übertragen [3]. Kleinsäugerpopulationen oft gering. Die- träger von Krankheitserregern, die bei Wald- und Feldnager sind beispiels- se ungenügenden Kenntnisse beruhen Mensch und Tier z. T. schwere Erkran- weise auf land- und forstwirtschaftlichen zudem auch auf einem Fehlen systemati- kungen auslösen können. Dafür ist nicht Flächen, auf Bauernhöfen, in Kleingar- scher und langfristiger Monitoringsyste- immer ein direkter Kontakt mit den Na- tenanlagen, Parks und im periurbanen me – also der fehlenden kontinuierlichen getieren erforderlich, weil sich infektions- Raum präsent. Dort kommt es berufsbe- Erfassung von Nagetieren und ihren In- fähige Krankheitserreger in deren Aus- dingt bei Landwirten und Forstarbeitern, fektionen mit Zoonoseerregern. Solche scheidungen befinden können (z. B. Han- aber z. B. auch aufgrund zunehmender Monitoringaktivitäten könnten aber da- taviren) oder weil Vektoren wie Zecken Freizeitaktivitäten in naturnaher Umge- zu beitragen, die Verbreitung und Epide- die Pathogene transportieren (z. B. Borre- bung bei der Durchschnittsbevölkerung miologie der Infektionserreger bei den lien). Werden Krankheitserreger von Tier zur Exposition [4]. Nagetierwirten zu verfolgen und dieses zu Mensch übertragen, spricht man von Viele der von Nagetieren übertrage- Wissen zur Entwicklung von Frühwarn- „Zoonosen“. Von den gegenwärtig be- nen Infektionen verlaufen beim Men- systemen sowie für Prophylaxe- und Be- kannten humanpathogenen Krankheits- schen klinisch inapparent oder mit un- kämpfungsmaßnahmen im öffentlichen erregern sind etwa zwei Drittel zoono- spezifischer „Grippe-ähnlicher“ Sympto- Gesundheitsschutz zu verwerten. tisch [1] und über 70% der plötzlich neu matik und werden deshalb häufig nicht auftretenden („emerging“) Infektions- als solche erkannt. Deshalb beschränkt Populationsdynamik krankheiten sind auf Erreger zurückzu- sich die seit 2001 laut Infektionsschutzge- von Nagetieren führen, die ursprünglich vermutlich von setz (IfSG) geltende Meldepflicht für das Wildtieren stammen [2]. Auftreten einiger Zoonosen beim Men- Die Populationsdynamik vieler Feld- Eine Infektionsgefahr geht von Wald- schen meist auf symptomatisch gravie- und Waldnagetierarten wird von saiso- und Feldnagern (z. B. Apodemus spec.; rende Fälle, sodass die Dunkelziffer hoch nalen Effekten geprägt. Zudem kommt und andere Arten der Nagetierfamilien sein dürfte. es im Abstand von mehreren Jahren im- Cricetidae und Muridae) und von kom- Im Nagetierreservoir zeigen sich bei mer wieder zu Massenvermehrungen, de- mensalen Nagetieren (Wanderratten Rat- zoonotischen Infektionen meist keine ren Ursachen komplex und weitgehend tus norvegicus; und andere Arten der Na- dramatischen Effekte auf die Gesundheit ungeklärt sind. Zu den saisonalen Fakto- getierfamilie Muridae) aus, sodass so- oder Populationsentwicklung. Aus die- ren zählen beispielsweise die an die Ve- wohl der ländliche als auch der urba- sem Grund sind die Kenntnisse über die getationsperiode gebundene Verfügbar- ne Raum betroffen sind. Zusätzlich kön- Interaktionen zwischen den Zoonoseer- keit von Futter und Deckung. Außerdem

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 511 Leitthema

Tab. 1 Beispiele für zoonotische Erreger, die in den im Beitrag genannten Monitoringaktivitäten berücksichtigt wurden. (Nach [4]) Erreger Familie (Genus) Vektor Erkrankung Letalität Mensch Gesamtzahl gemelde- ter Fälle 2001–2013a FSME-Virus Flaviviridae (Flavivirus) Zecken Hirnhautentzün- 1(−40)% (abhängig vom Stamm) 4018 dung (FSME) Hantaviren Bunyaviridae (Hantavirus) – HFRS/NE 0,1–15% (abhängig vom Virus) 8669 Kuhpockenvirus Poxviridae (Orthopoxvirus) – Hautläsion Gering n.m. Leptospira spp. Spirochaetaceae (Leptospira) – Leptospirose 0–10% 892 Francisella tularensis Francisellaceae (Francisella) Zecken Hasenpest (Tula- 5(−30)% (abhängig von Stamm, 157 rämie) Behandlung) Rickettsia spp. Rickettsiaceae (Rickettsia) Zecken, Flöhe, Fleckfieber 0(−40)% (abhängig vom Stamm) 3 Läuse Brucella spp. Brucellaceae (Brucella) – Brucellose Gering 340 Hepatitis E-Virusb Hepeviridae (Hepevirus) – Hepatitis E 0,5–4%, bei Schwangeren 15–25% 1693 Escherichia coli (EHEC Enterobacteriaceae (Esche- – HUS, HC 3–5% (abhängig von Stamm, The- 19.132 sowie sonstige darm- richia) rapie und Risikofaktoren) pathogene E. coli) HC hämorrhagische Kolitis, HFRS hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom, HUS hämolytisch urämisches Syndrom, NE Nephropathia epidemica, EHEC enterohämor- rhagische E. coli, FSME Frühsommer-Meningoenzephalitis, n.m. nicht meldepflichtig. aQuelle: RKI SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 25.09.2013. bMeiste Infektionen wahrscheinlich durch Wild- und Hausschwein-assoziiertes Hepatitis E-Virus (HEV) verursacht; Rolle des Ratten-HEV für Humaninfektionen unklar.

spielt die Witterung eine wichtige Rolle während die Übertragung durch Vekto- In Niedersachsen gibt es 2 bereits län- [5]. Sie kann direkt auf die Populationen ren wie Zecken und Flöhe erfolgt. Ande- ger betriebene Monitoringansätze. Mit wirken, z. B. wenn nasskalte Perioden die rerseits kann eine Übertragung auch di- der gemäß Infektionsschutzgesetz im Jahr Sterblichkeit erhöhen. Andererseits gibt rekt durch Biss oder direkten Kontakt mit 2001 eingeführten Meldepflicht von hu- es indirekte Auswirkungen, z. B. wenn infizierten Tieren erfolgen. Bei einer Rei- manen Erkrankungsfällen durch Hanta- durch eine dichte Schneedecke der Zu- he weiterer Erreger ist die Rolle von Na- viren zeigte sich bald, dass es besonders griff für Fressfeinde verringert wird [6]. getieren für ihre Übertragung auf den betroffene Gebiete im Landkreis Osna- Das Auftreten von Massenvermeh- Menschen noch unklar [9]. brück gibt. Aus diesem Grund entschie- rungen ist bei manchen Kleinnagerarten Für bestimmte Erreger wurde eine den der Landkreis, das Niedersächsische ein bekanntes Phänomen, das etwa al- starke Wirtsspezifität gezeigt. So kommt Landesgesundheitsamt, das Niedersäch- le 2 bis 5 Jahre vorkommt [7]. Die dabei das Puumalavirus (PUUV), ein Hantavi- sische Landesamt für Verbraucherschutz auftretenden extrem hohen Populations- rus, das in Deutschland den größten An- und Lebensmittelsicherheit (LAVES) und dichten der Nagetiere können die Präva- teil humaner Hantavirusinfektionen ver- das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) ge- lenz zoonotischer Erreger innerhalb der ursacht, ausschließlich bei der Rötelmaus meinsam, dort ein Monitoring zu starten. Nagetierpopulationen erhöhen und in Myodes glareolus vor. Für viele bakteriel- Ziel war es, Informationen über die Sai- der Folge verstärkt zu Humaninfektio- le Erreger (z. B. Leptospiren) ist bisher sonalität, das Auftreten und die Prävalenz nen führen [8]. kein spezifischer Nagetierwirt identifi- von Hantaviren bei verschiedenen Nage- ziert worden. tierarten zu sammeln. Daraus entwickel- Nagetier-übertragene Zoonosen te sich ein regelmäßiges Monitoring, das Kurzdarstellung aktueller seit 2005 durchgeführt wird. Ein zweites Nagetiere sind seit langer Zeit als Über- Monitoringansätze Monitoring für Pathogene bei Nagetie- träger von Zoonoseerregern bekannt. Zu ren in Niedersachsen konzentriert sich den von Nagetieren auf Mensch und Tier Ein systematisches Monitoring der auf die Wanderratte. Zwar wurden bei übertragenen Zoonoseerregern zählt eine Populationsentwicklung von Nagetie- der Wanderratte zoonotische Bakterien Vielzahl von Viren, Bakterien und Endo- ren erfolgt in Deutschland im Wesent- wie Leptospiren nachgewiesen [10], aller- parasiten ([4, 8], . Tab. 1). Die Übertra- lichen zur Befallsabschätzung im Pflan- dings dies nur qualitativ an Einzeltieren. gung der Zoonoseerreger kann auf ver- zenschutz durch Landeseinrichtungen. Eine größere Zahl von Ratten wurde bei schiedenen Wegen erfolgen. Hantaviren Dort gehören Nagetiere traditionell zu den meisten Untersuchungen nicht be- und Leptospiren werden von Nagetieren den überwachungswürdigen Schädlin- rücksichtigt, und eine Prävalenzbestim- mit dem Urin ausgeschieden und kön- gen. Daher sind in den Bereichen Land- mung von z. B. Leptospira spp. in Nieder- nen indirekt über das Einatmen von Vi- und Forstwirtschaft Monitoringsysteme sachsen ist bisher nicht erfolgt. Da aber rus-kontaminierten Stäuben zu einer In- entstanden. Sie haben allerdings seit 1990 eine niedersächsische Rattenbekämp- fektion beim Menschen führen. Für eine vor allem wegen institutioneller Um- fungsverordnung und eine niedersächsi- Reihe von Erregern dienen Nagetiere strukturierungen einen starken Rück- sche Luftkurort- und Kurortverordnung (und andere Kleinsäuger) als Reser­voire, gang erfahren. existieren, in der u. a. die Rattenfreiheit

512 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract als Anerkennungskriterium für den Sta- Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:511–518 DOI 10.1007/s00103-013-1924-x tus als Kurort gefordert wird, lag es na- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 he, im Zusammenhang mit Rodentizid- J. Jacob · R.G. Ulrich · J. Freise · E. Schmolz resistenz-Untersuchungen auch auf aus- Monitoring von gesundheitsgefährdenden gewählte Pathogene zu untersuchen [10]. Nagetieren. Projekte, Ziele und Ergebnisse Dabei werden bei den Rattenbekämp- fungsmaßnahmen des LAVES gesam- Zusammenfassung melte Tiere berücksichtigt. Außerdem Nagetiere sind Reservoirwirte für zoonotische forstschädliche Nagetiere] beschränken. Je- Krankheitserreger, die auf Mensch, Haus- und doch gab es seit dem Jahr 2000 projektspe- erfolgt die Einbeziehung von Ratten aus Nutztiere übertragen werden können und zifische Arbeiten über jeweils wenige Jah- Beifängen der niedersächsischen Bisam- dort z. T. schwere Erkrankungen hervorrufen. re und Monitoringprogramme zum Vorkom- bekämpfung. Solche Zoonoseerreger repräsentieren mehr men vor allem von Wanderratten (Rattus nor- Das gehäufte Auftreten humaner Han- als zwei Drittel der heute bekannten human- vegicus) in Niedersachen und Hamburg. Dank tavirusinfektionen in Köln und die Fest- pathogenen Krankheitserreger. Die Epide- der intensiven Zusammenarbeit von Behör- stellung einer Exposition von erkrankten miologie einiger Zoonoseerreger (z. B. Hanta- den und Forschungseinrichtungen ist es ge- viren) ist an die Populationsdynamik von Na- lungen, zahlreiche Informationen zur Verbrei- Personen gegenüber Rötelmäusen führte getieren gebunden. Kommt es zu einer Mas- tung und Bedeutung Nagetier-übertrage- im Jahr 2005 zu einem erstmaligen Nach- senvermehrung bei der Reservoirart, kön- ner Zoonosen zu sammeln. Für das Verständ- weis des PUUV in diesen Mäusen im Köl- nen gehäuft Humanerkrankungen auftreten. nis der Verbindung zwischen Nagetier-Popu- ner Stadtwald [11]. Um die mögliche Ge- Bei anderen Nagetier-übertragenen Zoono- lationsdynamik und dem Zoonosegeschehen fährdung der Bevölkerung beurteilen zu seerregern sind solche Phänomene nicht be- und speziell zur Entwicklung von Risikoprog- kannt; z. T. ist die Nagetierwirtsspezifität die- nosen sind aber räumlich und zeitlich ausge- können, wird seitdem vom Kölner Ge- ser Erreger noch unklar. Ein Monitoring re- dehnte Monitoringprogramme erforderlich. sundheitsamt und vom FLI ein Monito- levanter Nagetierpopulationen und assozi- Dabei sollten bestehende Netzwerke und Ko- ring der Rötelmäuse im Stadtwald durch- ierter zoonotischer Pathogene ist unabding- operationsbeziehungen genutzt, weitere Ko- geführt. Die bisherigen Untersuchungen bar, um 1.) die Verbreitung und Epidemiolo- operationspartner (z. B. Schädlingsbekämp- belegen ein kontinuierliches Vorkommen gie der Zoonoseerreger zu verstehen und 2.) fungsfirmen) einbezogen und Synergien der des PUUV in diesen Tieren (Rosenfeld et Vorhersagesysteme für Zoonoseausbrüche zu unterschiedlichen Forschungsbereiche ge- entwickeln. Momentan existieren in Deutsch- nutzt werden. al., unveröffentlichte Daten). land aber keine systematischen und lang- fristigen Aktivitäten, weil sich Monitoring- Schlüsselwörter Struktur des vorhaben im Wesentlichen auf den Bereich Gesundheitsschutz · Monitoring · Nagetiere · Nagetiermonitorings Pflanzenschutz [Feldmaus (Microtus arvalis), Populationsdynamik · Zoonosen in Deutschland Monitoring populations of rodent reservoirs of Systematisches Monitoring zoonotic diseases. Projects, aims and results

Im Ackerbau erfolgen regelmäßige Er- Abstract hebungen zur Feldmausabundanz, bei Rodents can harbor and transmit pathogens ing rodents. However, during the last 10–15 that can cause severe disease in humans, years a number of specific research projects denen die Zahl aktiver Baueingänge companion animals and livestock. Such zoo- have been initiated and run for a few years („wieder-geöffnete Löcher“, WgL) be- notic pathogens comprise more than two and Norway rat (Rattus norvegicus) monitor- stimmt wird. Obwohl die WgL-Methode thirds of the currently known human patho- ing has been implemented in Hamburg and einfach und schnell durchzuführen ist, gens. The epidemiology of some zoonot- Lower Saxony. Based on close cooperation of existieren kontinuierliche Erhebungen ic pathogens, such as hantaviruses, can be federal and state authorities and research in- linked to the population dynamics of the ro- stitutions these efforts could be utilized to nur von wenigen Regionen in Deutsch- dent host. In this case, during an outbreak of gain information about the distribution and land. Die Bund-Länder Arbeitsgruppe the rodent host population many human in- importance of rodent-borne zoonoses. Nev- „Feldmaus-Management“ (http://feld- fections may occur. In other rodent-borne ertheless, for the integration of rodent pop- maus.jki.bund.de) etabliert zurzeit ein zoonotic diseases such phenomena are not ulation dynamics and zoonotic disease pat- bundesweites Feldmausmonitoring mit known and in many cases the rodent host terns and especially for developing predic- abgestimmter Methodik und Datenerfas- specificity of a given pathogen is unclear. The tive models, long-term monitoring is urgent- monitoring of relevant rodent populations ly required. To establish a systematic long- sung. and of the rodent-borne zoonotic pathogens term monitoring program, existing networks In der Forstwirtschaft erfolgt die Be- is essential to (1) understand the distribution and cooperation need to be used, addition- stimmung der Populationsgröße forst- and epidemiology of pathogens and (2) de- al collaborators (e.g., pest control operators) schädlicher Nagetiere (vor allem Erd- velop forecasting tools to predict outbreaks should be included and synergetic effects of maus, Microtus agrestis und Schermaus, of zoonoses. Presently, there are no system- different scientific fields should be utilized. Arvicola spec.) durch Schlagfallenfang. atic long-term monitoring programs in place for zoonoses in Germany. Rodent monitoring Keywords Die beteiligten Bundesländer führen die activities are largely restricted to the plant Health protection · Monitoring · Rodents · Erhebungen nach einem Standardproto- protection sector, such as for the common Population dynamics · Zoonoses koll durch, das vom Arbeitskreis „Mäu- vole (Microtus arvalis) and forest-damag- se im Forst“ der forstlichen Institutionen

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 513 Leitthema

Tab. 2 Beispiele für aktuelle oder kürzlich durchgeführte Forschungsvorhaben zu Zoonoseerregern in Nagetieren mit Monitoringbezug Projekttitel Laufzeit Koordination Zielarten Zoonoseerreger Biology and control of vector-borne infections in 2011–2014 Centre de cooperation Internationale en Mehrere Na- Hantaviren u. a. Patho- Europe Recherche Agronomique pour le Dévelop- getierarten gene pement, Montpellier, France Der Mensch im Ballungsraum unter Klima- und 2010–2012 Freie Universität Berlin Mehrere Na- Borrelien u. a. Zecken- Umwelteinflüssen getierarten übertragene Pathoge- ne, Endoparasiten Establishment of a rodent monitoring program in 2010 FLI, Insel Riems Rötelmaus PUUV hantavirus endemic regions Mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die 2009–2012 JKI, Münster Rötelmaus PUUV Verbreitung Hantaviren-übertragender Nagetiere Feldmaus TULV Apodemus DOBV spp. Netzwerk „Nagetier-übertragene Pathogene “ 2011–2015 FLI, Insel Riems Mehrere Na- Leptospiren, Rickett- getierarten sien und andere Monitoring sylvatischer Zoonosen 2012–2013 Landesgesundheitsamt Baden-Württem- Rötelmaus PUUV und andere berg, Stuttgart Regionalspezifisches Vorhersagesystem für das 2013–2016 JKI, Münster Rötelmaus PUUV Vorkommen gesundheits-gefährdender Nagetiere als Anpassung an den Klimawandel Rodent monitoring and frequency of human cases 2011 FLI, Insel Riems Rötelmaus PUUV in hantavirus endemic regions Vector-borne Infectious Diseases in Climate 2008–2011 Bayerisches Landesamt für Gesundheit Rötelmaus PUUV, Rickettsien und Change Investigations und Lebensmittelsicherheit, Oberschleiß- Feldmaus andere heim Wald-, Gelb- halsmaus PUUV Puumala-Hantavirus, TULV Tula-Hantavirus, DOBV Dobrava-Belgrad-Hantavirus, FLI Friedrich-Loeffler-Institut, JKI Julius-Kühn-Institut.

der Länder abgestimmt wurde und auch ratten, Hausratten (Rattus rattus) und Projektbezogene Erhebungen in wissenschaftlichen Studien Verwen- Hausmäusen (Mus musculus) im direk- dung findet (s. unten). ten menschlichen Siedlungsbereich ist Im Forschungsvorhaben „Mögliche Aus- Die bereits etablierten Systeme im problematisch. Dies liegt u. a. an der un- wirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenschutzbereich bieten die Mög- übersichtlichen Habitatstruktur im urba- Verbreitung Hantaviren-übertragen- lichkeit, auch im Hinblick auf die Ge- nen Raum, an rechtlichen Aspekten (pri- der Nagetiere“ (Umweltbundesamt FKZ sundheitsgefährdung durch Zoonose- vater Raum versus öffentlicher Raum) 3709 41 401) wurden Daten zur Abun- erreger wichtige Ergebnisse zu liefern. und an den unterschiedlich geregelten danz von Wald- und Feldnagern sowie Im Rahmen des Netzwerks „Nagetier- behördlichen Zuständigkeiten. Momen- zu deren Durchseuchung mit PUUV übertragene Pathogene“ geschieht das tan wird in einigen Städten und Kommu- und anderen zoonotischen Erregern er- bereits jetzt opportunistisch für Hanta- nen die Zahl der Befälle im Rahmen be- hoben (. Tab. 2). Diese Informationen viren u. a. Zoonoseerreger [12]. Neben hördlich erfasster Bekämpfungsmaßnah- können als eine methodische und inhalt- der Untersuchung von Pathogenen und men erhoben. Obwohl es auf kommuna- liche Grundlage für ein weiterführendes ihren Prävalenzen erlauben die Schlag- ler Ebene über Rechtsverordnungen und Monitoring dienen. Gegenwärtig wird fallenfänge aus dem Forstbereich auch die Einführung von Meldepflichten bei das Monitoring an ausgewählten Fang- Rückschlüsse auf den Zusammenhang Rattenbefällen durchaus möglich ist, die orten im Rahmen des von der EU-geför- zwischen den Pathogenvorkommen und entsprechenden Daten zu sammeln, gibt derten Projektes „Biology and control of der Nager-Populationsgröße. Da beim es nur wenige tatsächlich realisierte Mo- vector-borne infections in Europe“ (EDE- oben genannten Feldmausmonitoring nitoringprojekte, die diese Angaben sys- Next, FKZ HEALTH-F3-2010-261504) kein Fang, sondern lediglich eine Ab- tematisch nutzen [13]. Ein Problem bei weitergeführt. Im Rahmen eines vom schätzung der Populationsgröße erfolgt, der Datenerhebung ist möglicherweise BMBF über die Nationale Forschungs- können zoonotische Pathogene bei Feld- auch eine hohe Dunkelziffer an nicht ge- plattform für Zoonosen geförderten Pro- mäusen nicht direkt untersucht werden, meldeten Fällen, weil Befallsituationen jektes (Netzwerk „Nagetier-übertragene wohl aber populationsdynamische Pro- mit Ratten oder Hausmäusen in der öf- Pathogene“, FKZ 01KI1018) werden Na- zesse, die mit Humanerkrankungen zu- fentlichen Wahrnehmung stark stigma- getiere auf unterschiedliche Zoonoseer- sammenhängen können. Das Monito- tisiert sind. reger untersucht. ring der Populationsentwicklung kom- Im Projekt „Regionalspezifisches Vor- mensaler Nagetiere, d. h. von Wander- hersagesystem für das Vorkommen ge-

514 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Nagetierabundanz Jahrzehnten in Deutschland nicht zu- 3500 160 rückgegangen ist [18]. Dies entspricht auch den Erfahrungen im Pflanzenschutz 3000 140 der vergangenen Jahre [19]. 120 2500 Auch wenn Feldmäuse verschiedene zoonotische Erreger beherbergen kön- 100 2000 nen, scheint ihre Rolle für die Übertra- 80 gung gefährlicher Pathogene auf den 1500 Menschen – bis auf wenige Ausnahmen, 60 wie z. B. beim Leptospiroseausbruch bei 1000 Erdbeerpflückern im Jahr 2007 [20] – ge- 40 Feldmaus, Abundanzindex ring zu sein. Anders verhält es sich mit 500 Rötelmäusen, die PUUV tragen. Hier Wanderratte, Anzahl Befallsmeldungen 20 weisen bisherige Ergebnisse darauf hin, 0 0 dass ihre Populationsgrößen – ähnlich wie bei Feldmäusen – mehrjährig fluk- 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 tuieren, wenn auch mit deutlich geringe- ren Amplituden. In Mitteleuropa folgen Abb. 1 8 Abundanzdynamik von Wanderratten (durchgehende Linie) in Hamburg (Daten: A. Plenge- Bönig, Institut für Hygiene und Umwelt, Freie und Hansestadt Hamburg) und von Feldmäusen (gestri- Maxima in der Regel nach einem Bu­ chelte Linie) in Mitteldeutschland nach [18] im Zeitraum 1989 bis 2012 chenmastjahr [21]. Da große Rötelmaus­ populationen stark mit PUUV durch- seucht sein können und eine hohe Popu- sundheits-gefährdender Nagetiere als de das Vorkommen von Hantaviren und lationsdichte PUUV-seropositiver Rötel- Anpassung an den Klimawandel“ (Um- anderen Zoonoseerregern in Nagetierre- mäuse zu einem verstärkten Infektionsri- weltbundesamt FKZ 3713 48 401) wer- servoiren entlang eines Höhengradien- siko für den Menschen führt [21], dürf- den wetterbasierte Prognosen für die ten im Bayerischen Wald dokumentiert. ten auch hier Prognosen zur Rötelmaus­ Abundanz von Rötelmäusen entwickelt Im an der Freien Universität Berlin an- abundanz für die rechtzeitige Implemen- und Daten zu ihrem Vorkommen und gesiedelten und von der Exzellenzinitia- tierung von Managementmaßnahmen ihrer Durchseuchung mit PUUV gesam- tive geförderten Forschungscluster „Der hilfreich sein. melt, die ebenfalls in übergreifende Mo- Mensch im Ballungsraum unter Klima- Die Populationsdynamik kommensa- nitoringvorhaben eingebunden werden und Umwelteinflüssen“ wurde das Vor- ler Nagetiere zeigt in Deutschland keine könnten. kommen von Krankheitserregern in Na- ausgeprägten Massenvermehrungen, weil Im Rahmen der Projekte „Establish- getieren im urbanen und periurbanen der Befall meist anhält, solange die (in ment of a rodent monitoring program Raum untersucht. Auch im Rahmen ver- der Regel anthropogenen) Bedingungen in hantavirus endemic regions“ (Robert schiedener Biodiversitätsprojekte (Agro- einen Befall zulassen (. Abb. 1). Daher Koch-Institut, FKZ 1362/1-924) und „Ro- ScapeLab, Exploratorien zur Biodiversi- sind bei kommensalen Arten Vorhersa- dent monitoring and frequency of hu- tätsforschung) liefen bzw. laufen zeitlich gen zur Populationsdynamik für den Hy- man cases in hantavirus endemic regions“ begrenzte Nagetiermonitorings. giene- und Gesundheitsschutz weniger (Robert Koch-Institut, FKZ 1362/1-980) bedeutend. Stattdessen sind Systeme er- wurden die Grundzüge eines langfristi- Kernergebnisse des forderlich, die Befallsschwerpunkte iden- gen Nagetiermonitorings in Deutschland Nagetiermonitorings tifizieren, auf die sich Gegenmaßnahmen entwickelt und getestet. konzentrieren können [22]. Gegenwärtig wird vom Landesge- Populationsdynamik von Sowohl zur Entwicklung von Vorher- sundheitsamt Stuttgart im Querschnitts- Nagertierwirten und ihr sagesystemen für Massenvermehrungen projekt „Monitoringsysteme zur Erfas- Zusammenhang mit der bei Wald- und Feldnagern als auch zur sung von sylvatischen Zoonosen“ das Erregerverbreitung Prognose von Befallsschwerpunkten sind Vorkommen von Hantaviren und ande- Daten aus Langzeitmonitoringvorha- ren Zoonoseerregern in Rötelmäusen in Die Daten des Feldmausmonitorings ben erforderlich. Je feiner die Auflösung Baden-Württemberg untersucht. Ziel- wurden bereits für verschiedene Unter- der Monitoringinformationen ist, desto stellung dieses Projektes ist es insbeson- suchungen zu ihrer Populationsdynamik kleinskaliger können Prognosen entwi- dere, mögliche Ursachen für Humaner- einschließlich entsprechender Prognosen ckelt werden und umso aussagekräftiger krankungen zu identifizieren. In der vom verwendet ([7, 14, 15, 16, 17], . Abb. 1). können die Resultate und zielgerichteter Bayerischen Staatsministerium für Um- Hierzu gehört auch eine Arbeit, in der die Managementoptionen sein. welt und Gesundheit geförderten Stu- demonstriert werden konnte, dass die In- Bei vielen Zoonoseerregern muss von die „Vector-borne Infectious Diseases tensität und Rhythmik von Feldmaus- einer dichteabhängigen Durchseuchung in Climate Change Investigations“ wur- massenvermehrungen in den letzten ihrer Wirtspopulation ausgegangen wer-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 515 Leitthema

den [23]. Das Vorkommen von Antikör- eines neues Hepatitis E-Virus (HEV) Nagetieren würde – nach einigen Jah- pern (Seroprävalenz) gegen einige Patho- [39], das auch bei Wanderratten in Ber- ren – die Möglichkeit eröffnen, belast- gene (z. B. Hantaviren) im Blut des Nage- lin, Stuttgart, Esslingen und in anderen bare Aussagen zu ihrer Populationsdy- tierwirts ist enger mit den mehrjährigen Regionen zirkuliert [40]. Bei Wanderrat- namik zu treffen. Dazu zählt neben Er- Schwankungen der Populationsgröße als ten aus Berlin sind auch Extended Spec- kenntnissen zu den Verbreitungsmustern mit saisonalen Effekten korreliert [24, 25, trum β-Lactamase-produzierende ente- und Abundanzschwankungen vor allem 26, 27]. Dazu muss das Pathogen selbst- rohämorrhagische Escherichia coli nach- die Aufklärung der biologisch-ökologi- verständlich zunächst in der Population gewiesen worden [41]. Neben zoonoti- schen Prozesse, die für die Verbreitung vorhanden sein, was jedoch nicht immer schen bzw. potenziell zoonotischen Erre- und Populationsgröße der Nagetiere so- der Fall ist. gern wurde bei wildlebenden und kom- wie die Verbreitung der Krankheitserre- Die positive Korrelation zwischen Na- mensalen Nagetieren auch eine Reihe ger ausschlaggebend sind. Momentan getierabundanz und Antikörperprävalenz von vermutlich Nagetier-spezifischen sind zu manchen Nagerarten (Feldmaus, gilt nicht nur für PUUV [28, 29], sondern Erregern wie Herpesviren, Papillomavi- Rötelmaus) Basisinformationen vorhan- auch für andere Hantavirusarten wie das ren, Paramyxoviren und Hepaciviren ent- den, allerdings nur für bestimmte Regio- Sin-Nombre-Virus (SNV) [30], obwohl deckt [9, 42, 43, 44]. nen und Zeitabschnitte. Zu anderen Ar- es auch gegensätzliche Ergebnisse gibt Die Monitoringuntersuchungen zeig- ten (z. B. Wanderratte, Hausmaus) ist das [31, 32]. In den oben bereits genannten ten ein kontinuierliches Vorkommen des Wissen um die populationsdynamischen Studien wurde ebenfalls festgestellt, dass PUUV in Endemiegebieten in Baden- Prozesse bestenfalls rudimentär. ein positiver Zusammenhang zwischen Württemberg, Nordrhein-Westfalen, der Populationsgröße von Rötelmäusen Bayern und Niedersachsen ([45], Rosen- Vorhersagemodelle für mit ihrer PUUV-Durchseuchung exis- feld et al., unveröffentlichte Daten; Sheikh die Wirtsdynamik tiert (Reil et al., unveröffentlichte Daten). Ali et al., unveröffentlichte Daten). Die Noch deutlicher war der Zusammenhang Untersuchungen belegten auch erst- Zeitserien aus dem Monitoring eruptiver zwischen der Anzahl von in Deutschland malig das Auftreten von PUUV-Infek- Kleinnagerpopulationen sind eine unab- gemeldeten humanen PUUV-Infektio- tionen in Rötelmäusen aus dem westli- dingbare Voraussetzung zur Entwicklung nen mit der Abun­danz PUUV-seroposi- chen Teil Thüringens [46]. Die Untersu- von Systemen, die zur Prognose von Mas- tiver Rötelmäuse (Reil et al., unveröffent- chungen von Feldmäusen auf Tulavirus senvermehrungen und den damit ver- lichte Daten). (TULV) zeigten, dass auch dieses Han- bundenen Problemen im Gesundheits- Da weder europaweit [33] noch dar- tavirus geografisch weit verbreitet vor- bereich und in anderen Bereichen wie über hinaus [34] räumlich und zeitlich kommt (Schmidt et al., unveröffentlich- dem Pflanzenschutz dienen können. Für detaillierte Informationen zum Zusam- te Daten). Anders als das PUUV und die Feldmaus wurde anhand bestehender menhang zwischen Wirtsnagerabundanz TULV tritt das Dobrava-Belgrad-Virus Daten bereits ein Prognosesystem entwi- und humanen Infektionen mit Nagetier- (DOBV) nach bisherigen Untersuchun- ckelt, validiert und getestet. Mit ihm las- übertragenen Zoonoseerregern vorlie- gen in Brandmäusen (Apodemus agra- sen sich Massenvermehrungen in Sach- gen, sind abschließende diesbezügliche rius) eher lokal begrenzt in bestimmten sen-Anhalt und Thüringen zu ca. 85% Bewertungen und Aussagen zu den regu- Regionen Nord- und Ostdeutschlands auf korrekt vorhersagen [47]. Ein ähnliches, lierenden Mechanismen kaum möglich. (Schmidt et al., unveröffentlichte Daten). ebenfalls wetterbasiertes System ist für Die Auswertung von Daten aus Belgien Außer auf Hantaviren werden die Nage- Rötelmäuse in Vorbereitung (s. oben). [35], Finnland [36], Schweden [5] und tiere und andere Kleinsäuger im Rahmen Hier liegt der Schwerpunkt – anders als Deutschland [21] legt jedoch zumindest der Netzwerk-Studien auch auf das Vor- bei der Feldmaus – nicht auf dem Pflan- für Hantaviren einen deutlichen Zusam- kommen weiterer Erreger, wie z. B. auf zenschutz, sondern auf der Gesundheits- menhang nahe. Orthopockenviren, Leptospiren, multire- gefährdung des Menschen durch PUUV- sistente Enterobacteriaceen und Rickett- Infektionen. Erste Ergebnisse deuten da- Nachweis Nagetier-übertragener sien untersucht. Erste Ergebnisse weisen rauf hin, dass wetterbasierte Prognosen Krankheitserreger in bisherigen auf ein breites Vorkommen verschiede- gut geeignet sind, um den Populations- Monitoringstudien ner Erreger in den untersuchten Klein- verlauf auch bei dieser Art vorherzusa- säugern hin. gen [48]. Die Analyse von Proben aus unterschied- lichen Monitoringprogrammen erlaub- Nutzen und Auswirkungen Nutzen und Nutzung te den Nachweis von Frühsommer-Me- des Nagetiermonitorings der Ergebnisse durch ningoenzephalitis-Virus, Orthopocken- Gesundheitsbehörden und viren, Leptospiren und multiresistenten Erkenntnisgewinn andere Einrichtungen Bakterien in wildlebenden Nagetieren in Deutschland ([37, 38], . Tab. 1). Unter- Ein abgestimmtes, systematisches, kon- Da Rötelmäuse großflächig vorkom- suchungen an Wanderratten aus Ham- tinuierliches, deutschlandweites Mo- men, ist die Gesundheitsgefährdung burg führten zum erstmaligen Nachweis nitoring von gesundheitsgefährdenden durch diese über Bekämpfungsmaßnah-

516 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 men nur bedingt begrenzbar. Entspre- ten und damit auch unter einer gelegent- sam und weiterführende Arbeiten in den chend wichtig ist es daher, in den betrof- lichen Minimierung oder sogar komplet- Nationalen Referenzlaboratorien stattfin- fenen Regionen rechtzeitig über ein er- ten Einstellung von Nagetierfängen in den. Die Erfassung der Untersuchungs- höhtes Risiko für Hantavirusinfektionen bestimmten Bundesländern. Zudem sind ergebnisse kann z. B. mithilfe einer am zu informieren. Mit Prognosen lassen alle über die eigentlichen Fänge hinaus- FLI etablierten Datenbank „Kleinsäuger“ sich die Grundlagen für eine solche Sen- gehenden Arbeiten von den personellen erfolgen. sibilisierung der niedergelassenen Ärz- Kapazitäten der beteiligten Institutionen te, Kliniken, Behörden und Risikogrup- abhängig. Dies hat z. B. zur Folge, dass Schlussfolgerung pen und für zeitnahe Managementmaß- zwar theoretisch eine Vielzahl von Patho- nahmen legen. Dies kann z. B. über ge- genproben – und damit von Informatio- In den letzten Jahren wurden beim zielte Aufklärungskampagnen geschehen, nen – verfügbar ist, die hohe Probenzahl Screening von Nagetieren auf zoonoti- um potenziell Betroffene durch die Ver- aber aufgrund finanzieller und personel- sche Erreger und bei den Untersuchun- mittlung von Verhaltensregeln vor einem ler Engpässe praktisch nicht bearbeitet gen zur Erregerepidemiologie erhebli- erhöhten Expositionsrisiko zu schützen. werden kann. che Fortschritte gemacht. Die dafür er- Mit Blick auf Hantaviren ist eine räum- Deshalb muss die Frage gestellt wer- forderliche Zusammenarbeit zwischen lich ausreichend stark aufgelöste Vor- den, welche Minimalinformationen zur Behörden und Forschungseinrichtungen hersage der Nager-Populationsentwick- Einschätzung der Populations- und Er- ist etabliert, und methodische Ansät- lung von großer Bedeutung, da sich die regerdynamik gesundheitsgefährden- ze wurden harmonisiert. Erste Untersu- Durchseuchung von Rötelmauspopula- der Kleinnager erforderlich sind, um zu- chungsergebnisse belegen das Vorkom- tionen mit diesem Virus und damit der künftige Aktivitäten inhaltlich und me- men verschiedener Zoonoseerreger, wie Infektionsdruck auf den Menschen lokal thodisch auf diese Aspekte konzentrie- Hantaviren, Rickettsien und Leptospi- stark unterscheiden kann. ren zu können. Dabei sollte es prioritär ren, und von Nagetier-spezifischen, ver- sein, die für das Monitoring von Forstna- mutlich nicht zoonotischen Erregern in Diskussion gern bestehende Grundlage weiterhin für den Nagetierpopulationen. Des Weite- das Monitoring gesundheitsgefährdender ren deuten die Studien auf einen Zusam- Bisheriges Monitoring: Nagetiere (z. B. Rötelmäuse) zu nutzen. menhang zwischen der Massenvermeh- Probleme, Optimierungsbedarf rung der Rötelmaus, ihrer PUUV-Durch- und -möglichkeiten Strukturen und seuchung und der erhöhten Häufig- Verantwortlichkeiten für ein keit diesbezüglicher humaner Infektio- In Deutschland existiert kein großräumi- langfristiges Monitoring nen hin. Zur Aufklärung des Zusammen- ges und kontinuierliches Monitoring von hangs zwischen der Nagetierpopula- gesundheitsgefährdenden Kleinnagern. Der Aufbau eines langfristigen Nagetier- tionsdynamik und dem Zoonosegesche- Das einzige umfangreiche System, das monitorings kann sich auf bestehende hen sind jedoch langfristige und syste- derzeit genutzt wird, ergibt sich aus der Netzwerke, Projekte und Kooperations- matische Monitoringaktivitäten erfor- Zusammenarbeit zwischen dem Pflan- beziehungen stützen. Die systematische derlich, deren Umsetzung bisher nicht zenschutzsektor, dem FLI (Sektion, Er- Erfassung und Auswertung von Daten gewährleistet ist. Nur mit Informationen fassung, Artbestimmung, Pathogendia- zur Populationsdynamik sollten am JKI aus einem Langzeitmonitoring gesund- gnostik) und dem JKI (Auswertung der erfolgen. Nagetierfänge für das Erreger- heitsgefährdender Nagetiere lassen sich Populationsdaten). Dieses System wird monitoring sollten im Rahmen bestehen- die relevanten Mechanismen der Inter- von Arbeiten des LAVES (Rötelmausmo- der Aktivitäten nach dem Standardproto- aktion von zoonotischen Infektionen in nitoring Osnabrück) sowie durch pro- koll „Forst“ durchgeführt werden. Hier der Reservoir- und Humanpopulation jekt- oder anlassbezogene Vorhaben er- hat sich die Zusammenarbeit mit dem aufklären und zur Entwicklung von Risi- gänzt. Letztere sichern für kurze Zeiträu- LAVES und verschiedenen forstlichen koprognosen verwenden. Daher sollte me detaillierte Untersuchungen, eignen Einrichtungen bereits bewährt. Um ver- der Bereitstellung der hierfür erforderli- sich aber kaum für longitudinale Studien. stärkt flächendeckende Daten zu erhal- chen Strukturen und Ressourcen Priori- In dieser Konstellation ist es in der ten, ist die Einbeziehung weiterer Koope- tät eingeräumt werden. Vergangenheit gut gelungen, abgestimm- rationspartner wünschenswert. So könn- te Fangprotokolle zu entwickeln und zu ten Kooperationsbeziehungen zu Schäd- Korrespondenzadresse etablieren sowie gut funktionierende Ab- lingsbekämpfer-Verbänden ausgeweitet sprachen zu Probenlagerung und -ver- werden. Der gegenwärtig beim FLI lie- Dr. J. Jacob sand zu treffen. Außerdem kann in die- gende große Arbeitsaufwand bei den Na- Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, sem Verbund eine korrekte Artbestim- getiersektionen sollte auf verschiedene Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau und Forst, Wirbeltierforschung, mung und Datenerfassung gewährleis- Institutionen verteilt werden. Dafür böte Julius Kühn-Institut tet werden. sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit Toppheideweg 88, 48161 Münster Das System leidet aber unter finanziel- dem Veterinärwesen an [49]. Screening- [email protected] len, personellen und strukturellen Defizi- untersuchungen könnten dann gemein-

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14. Blank FB, Jacob J, Petri A, Esther A (2011) Topogra- 32. Graham TB, Chomel BB (1997) Population dyna- Einhaltung ethischer Richtlinien phy and soil properties contribute to regional out- mics of the deer mouse (Peromyscus maniculatus) break risk variability of common voles (Microtus and Sin Nombre virus, California Channel Islands. Interessenkonflikt. J. Jacob, R.G. Ulrich, J. Freise arvalis). Wildlife Res 38:541–550 Emerg Infect Dis 3:367 und E. Schmolz geben an, dass kein Interessenkon- 15. Heise S, Lippke J, Wieland H (1991) Beiträge zur 33. Heyman P, Ceianu CS, Christova I et al (2011) A flikt besteht. Populationsregulation der Feldmaus (Microtus ar- ­five-year perspective on the situation of haemor­ valis, Pallas, 1779) I. Reproduktionsintensität. Zool rhagic fever with renal syndrome and status of Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen Jahrb Syst 118:257–264 the hantavirus reservoirs in Europe, 2005–2010. oder Tieren. 16. Heise S, Wieland H, Wolna P (1992) Beiträge zur Euro Surveill 16 pii=19961 Populationsregulation der Feldmaus (Microtus ar- 34. Mills JN, Amman BR, Glass GE (2010) Ecology of valis, Pallas, 1779) II. Wachstum und Mortalität. hantaviruses and their hosts in North America. Literatur Zool Jahrb Syst 119:493–504 Vector Borne Zoonotic Dis 10:563–574 17. Imholt C, Esther A, Perner J, Jacob J (2011) Identi- 35. Tersago K, Verhagen R, Leirs H (2011) Temporal va- 1. Pfeffer M, Essbauer S, Nöckler K et al (2010) Ak- fication of weather parameters related to region­ riation in individual factors associated with hanta- tueller Kenntnisstand zu Nagetier-übertragenen al population outbreak risk of common voles (Mi- virus infection in bank voles during an epizootic: Zoonosen in Deutschland: Herausforderungen für crotus arvalis) in Eastern Germany. Wildlife Res implications for Puumala virus transmission dyna- die zukünftige Forschung. Rundsch Fleischhyg Le- 38:551–559 mics. 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518 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:519–523 A. Esther1 · S. Endepols2 · J. Freise3 · N. Klemann4 · M. Runge5 · H.-J. Pelz1 DOI 10.1007/s00103-013-1930-z 1 Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau Online publiziert: 25. April 2014 und Forst, Wirbeltierforschung, Julius Kühn-Institut (JKI), Münster © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Bayer CropScience AG, Monheim 3 Task-Force Veterinärwesen, Fachbereich Schädlingsbekämpfung, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES Niedersachsen) 4 Warendorf 5 Lebensmittel- und Veterinärinstitut Braunschweig/Hannover, LAVES Niedersachsen, Hannover Rodentizidresistenz und Konsequenzen

Hintergrund sen. Treten danach Vergiftungssymptome Dänemark, den Niederlanden, Deutsch- auf, lernen sie, diese auch Stunden später land und den USA hinzu [4, 5]. Die ers- Ratten (Rattus norvegicus, Rattus rat- noch mit dem neuen Geschmack zu asso- ten Antikoagulanzien waren unter prak- tus) und Hausmäuse (Mus musculus) le- ziieren, und meiden den Köder daraufhin. tischen Bedingungen gegen die resisten- ben in Europa überwiegend kommensal Dieses auch Köderscheu genannte Erler- ten Rattenstämme nicht mehr effektiv, ob- und ernähren sich u. a. von Erntegütern, nen einer Aversion ist ein wesentlicher wohl das Bekämpfungsmittel wie vorge- Tierfutter und Nahrungsmitteln. Sie sind Nachteil von Akutgiften wie Zinkphos- schrieben angewendet und von den Ziel- potenziell Reservoire und Überträger von phid. Sie ist insbesondere bei Wanderrat- tieren ausreichend aufgenommen wurde zahlreichen Pathogenen (s. [1] und die- ten bekannt, wurde aber auch schon bei [6]. Als Konsequenz daraus wurden die ses Heft). Die Nagetierbekämpfung dient Hausmäusen beschrieben [2]. Durch die antikoagulanten Wirkstoffe der zweiten deshalb nicht nur der Abwehr von Sach- verzögerte Wirkung von antikoagulanten Generation entwickelt. Sie sind potenziell schäden und Ernteverlusten, sondern sie Wirkstoffen ist es den Nagern nicht mög- umweltgefährdender, da toxischer und ist auch eine Aufgabe der öffentlichen Ge- lich, nach der Aufnahme subletaler Men- persistenter als Antikoagulanzien der ers- sundheitsvorsorge. Zur Bekämpfung der gen eine Vermeidung des Köders zu er- ten Generation. Gegen bestimmte Wirk- Schadnager werden seit den 1950er-Jah- lernen. stoffe der zweiten Generation treten bei ren meistens Antikoagulanzien (Blut- Nach Einführung der ersten antikoa- Ratten und Mäuse ebenfalls Resistenzen gerinnungshemmer) als chemische Be- gulanten Wirkstoffe in den 1950er-Jahren auf (. Tab. 1). kämpfungsmittel verwendet. Gegen ei- wurde 1958 erstmals über einen Warfarin- In Deutschland können derzeit Pro- nige dieser Mittel haben Schadnager je- resistenten Wanderrattenstamm berichtet dukte mit antikoagulanten Wirkstof- doch Resistenzen entwickelt, wodurch die (Schottland [3]). In den folgenden Jahren fen der ersten (Warfarin, Coumatetra- Wirksamkeit ausbleibt. Da es derzeit kei- kamen weitere Resistenznachweise aus lyl, Chlorphacinon) und zweiten Gene- ne praktikablen Alternativen zu den an- tikoagulanten Rodentiziden gibt, gilt der Tab. 1 Wirkstoffzuordnung, mittlere Effektdosis (ED50) bei normal empfindlichen Wander- Erforschung und dem Management der ratten und Hausmäusen (ohne VKORC1-Polymorphismen) im Blood-Clotting-Response-Test Resistenz besondere Beachtung. Im Fol- (BCR-Test) sowie Resistenzvorkommen gegen antikoagulante Wirkstoffe. (Nach [12, 13]) genden wird eine Übersicht zum diesbe- Wirkstoff ED50 (mg/kg) (♀/♂) Resistenz bekannt züglichen Kenntnisstand unter besonde- Wanderratten Hausmäuse rer Berücksichtigung von Resistenzvor- 1. Generation Warfarin 2,13/1,51 Ja kommen in Deutschland gegeben. Chlorphacinon 0,67/0,54 Antikoagulante Wirkstoffe sind Cu- Coumatetralyl 0,44/0,36 marin- oder Indandionderivate. Neben 2. Generation Bromadiolon 0,61/0,47 1,68/1,96 der Verfügbarkeit eines Antidots liegt der Difenacoum 0,79/0,65 0,56/0,85 wesentliche Vorteil dieser Substanzen in Flocoumafen 0,34/0,29 0,44/0,51 Nein ihrer verzögerten Wirkung. Oft beginnen Nager nur zögerlich von einer neuen Nah- Brodifacoum 0,23/0,22 0,35/0,39 rungsquelle, Z. B. einem Köder, zu fres- Difethialon 0,49/0,43 0,83/0,83

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 519 Leitthema

mauspopulationen gefunden, ohne dass Warfarin Chlorphacinon Brodifacoum eine Korrelation zu VKOR-Sequenzän- Coumatetralyl Flocoumafen derungen festgestellt werden konnte [8]. Bromadiolon Difenacoum Difethialon Bei Nagetieren könnten, wie bereits beim Menschen nachgewiesen, auch Verände- nniedrig Wirkung gegen resistente Tiere hoch rungen im Metabolismus zu einer erhöh- ten Toleranz gegenüber Antikoagulanzien Abb. 1 8 Wirksamkeit von antikoagulanten Wirkstoffen zur Bekämpfung führen, z. B. durch Polymorphismen im von Tyr139Cys-Wanderratten und Tyr139Cys-, Leu128Ser- oder spretus-Typ- CYP2C9- oder CYP4F2-Gen [9, 10]. Hausmäusen in Deutschland. Mit steigender Wirkung gehen eine höhere Toxizität und damit auch ein höheres Risiko für die Vergiftung von Nichtziel- arten einher. Resistenztests und Konsequenzen für die Bekämpfung ration (Bromadiolon, Difenacoum, Bro- in der VKOR. Bestimmte Sequenzände- difacoum, Flocoumafen, Difethialon) als rungen der VKOR haben eine Änderung Für den experimentellen Nachweis einer Rodentizide gegen kommensale Nager der Eigenschaften des Enzyms zur Fol- Resistenz bei Wildtieren und Laborstäm- im Biozid- und im Pflanzenschutzbereich ge, die die Blockierung des Targetenzyms men stehen verschiedene Methoden zur zugelassen und entsprechend angewendet durch die antikoagulanten Wirkstoffe ver- Verfügung. Wanderratten gelten als re- werden. In beiden Zulassungsbereichen hindern. Folge ist eine erhöhte Toleranz sistent, wenn sie eine 6-tägige Zwangs- bedarf es einer vorherigen Wirkstoffbe- gegenüber antikoagulanten Wirkstoffen, fütterung mit einer bestimmten Konzen­ wertung und Genehmigung (Listung) wie sie auch bei Menschen auftritt und die tration des zu testenden Wirkstoffs über- auf EU-Ebene. Die Produktzulassung als den therapeutischen Einsatz der entspre- leben, bei Hausmäusen liegt dieser Zeit- Biozid basiert seit September 2013 auf chenden Medikamente erschweren kann raum bei 21 Tagen [11]. Eine Alternative der EU-Verordnung (EU) Nr. 528/2012. [7]. Bei Ratten und Mäusen kann die To- zur Zwangsfütterung ist die Anwendung Die Produktzulassung für den Pflanzen- leranz so stark ausgeprägt sein, dass ent- der standardisierten Blood-Clotting-Res­ schutzbereich folgt der EU-Verordnung sprechende antikoagulante Bekämpfungs- ponse (BCR)-Methode zur Resistenzbe- (EG) Nr. 1107/2009. Vermarktet werden in mittel trotz fachgerechter Anwendung stimmung [12, 13]. Dabei wird den Tie- Deutschland derzeit alle genannten Wirk- keinen ausreichenden Bekämpfungserfolg ren eine Testdosis des Wirkstoffs injiziert, stoffe als Produkte im Biozidbereich und bewirken. Es wird dann bei guter Köder- nach 24 h die Blutgerinnungszeit gemes- Difenacoum als Pflanzenschutzprodukt. annahme durch die Nager von Resistenz sen und die International Normalized gesprochen, die genetisch bedingt ist und Ratio (INR) bestimmt. So können Dosis- Resistenzmechanismus entsprechend auch weiter vererbt werden Wirkungs-Beziehungen ermittelt und die kann [6]. mittlere Effektdosis (ED50-Werte) für be- Die Wirkung der Antikoagulanzien be- Sequenzänderungen im VKORC1-Gen stimmte Wirkstoffe stammabhängig kal- ruht auf einer Störung des Vitamin-K- wirken sich – je nachdem an welcher Stel- kuliert werden. Mithilfe dieser Werte ist Zyklus, verursacht durch die kompetitive le sie auftreten – unterschiedlich stark aus. es möglich, resistente Individuen zu iden- Hemmung des Enzyms Vitamin-K-Ep- Insbesondere Sequenzänderungen im Be- tifizieren und die Resistenzwirkung z. B. oxid-Reduktase (VKOR). Die VKOR re- reich zwischen den Positionen 120 bis 140 bestimmter VKOR-Polymorphismen zu duziert Vitamin-K-Epoxid zu Vitamin- des Gens vermitteln ein hohes Resistenz- bestimmen. K-Hydrochinon. Wird durch einen an- niveau bei Ratten und Hausmäusen. Da- Bei Fütterungsversuchen mit tikoagulanten Wirkstoff die VKOR ge- bei wirkt Homozygotie stärker als Hete- Tyr139Cys-Wanderratten von landwirt- hemmt, kann nicht genügend reduzier- rozygotie. Die beispielsweise in Deutsch- schaftlichen Betrieben in Deutschland tes Vitamin K zur Verfügung gestellt wer- land verbreitete Substitution der Amino- überlebten ca. 95% eine 6-tägige Fütte- den, was zu einer unzureichenden Carbo- säure Tyrosin durch Cystein an der Posi- rung mit Warfarin- oder Chlorphacio- xylierung bestimmter Blutgerinnungsfak- tion 139 der VKOR (Tyr139Cys) macht nonködern, 60% eine mit Bromadiolon- toren führt. Die Gerinnungsfähigkeit des Wanderratten und Hausmäuse nahezu ködern, 49% eine mit Coumatetralylkö- Blutes wird dadurch erheblich gestört, was völlig unempfindlich gegenüber Warfarin dern und 30% eine 3-tägige mit Difena- bei entsprechender Dosis zum Verbluten [7]. Individuen mit dieser VKOR-Varian- coumköder [14]. Feldversuche mit einer des Tieres führt. te sind in der Lage, auch bei hoher War- standardisierten Bekämpfung auf land- Wesentliche Ursache der Resistenz bei farin-Dosierung ihre Blutgerinnung auf- wirtschaftlichen Betrieben, bei denen Ratten und Hausmäusen ist eine Sequenz- rechtzuerhalten. vorab Resistenztests durchgeführt wur- änderung im Gen Vitamin-K-Epoxid-Re- Nicht alle Resistenzen lassen sich je- den, bestätigten die Praxisrelevanz der La- duktase-Complex-Subunit 1 (VKORC1). doch über Polymorphismen im VKORC1- borergebnisse bei Wanderratten. Bei einer Punktmutationen (Single Nucleotide Po- Gen erklären. In Feldversuchen wurden hohen Frequenz von Wanderratten mit lymorphisms, SNPs) in diesem Gen füh- hohe Anteile an Warfarin- bzw. Difena- dem Tyr139Cys-Polymorphismus waren ren zum Austausch von Aminosäuren coum-resistenten Individuen in Haus- neben den Wirkstoffen der ersten Genera-

520 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract tion auch Bromadiolon oder Difenacoum Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:519–523 DOI 10.1007/s00103-013-1930-z nicht mehr ausreichend wirksam [15, 16]. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Auf Basis dieser und anderer Untersu- A. Esther · S. Endepols · J. Freise · N. Klemann · M. Runge · H.-J. Pelz chungen werden die Wirkstoffe der ers- Rodentizidresistenz und Konsequenzen ten Generation, aber auch Bromadio- lon nicht für die Bekämpfung des durch Zusammenfassung den Polymorphismus Tyr139Cys gekenn- Seit 1958 sind Resistenzen kommensaler Na- fenacoum nicht möglich. Bei Hausmäusen zeichneten resistenten Rattenstammes in ger gegenüber antikoagulanten Bekämp- sind die Resistenzauswirkungen ähnlich, wo- fungsmitteln wie Warfarin bekannt. Sie ba- bei die Toleranz gegenüber den Wirkstof- Deutschland empfohlen. Auch bei der sieren hauptsächlich auf Polymorphismen fen bei den lokalen Vorkommen unterschied- Anwendung von Difenacoum muss mit im Gen für die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase- lich ausgeprägt sein kann. Die hochpotenten einer unzureichenden Wirksamkeit ge- Complex-Subunit 1 (VKORC1), die zum Aus- Wirkstoffe Flocoumafen, Brodifacoum und rechnet werden (. Abb. 1). Resistenzen tausch von Aminosäuren im Enzym VKOR ­Difethialon sollten wegen ihrer höheren To- gegenüber Brodifacoum, Flocoumafen führen. Die in Deutschland vorkommen- xizität und Persistenz nur bei bekannter Re- und Difethialon sind nicht bekannt. den resistenten Wanderratten sind durch die sistenz angewendet werden. Abseits von Re- Tyr139Cys-Sequenzänderung im VKOR-En- sistenzvorkommen sollten die weniger toxi- Ähnlich wie bei Wanderratten ist zym charakterisiert und im Nordwesten des schen Antikoagulanzien bevorzugt werden, aus Fraß- und Feldversuchen auch für Landes verbreitet. Resistente Hausmäuse mit um potenzielle Risiken für die Umwelt zu mi- Hausmäuse mit den VKOR-Varianten den VKOR-Varianten Tyr139Cys, Leu128Ser nimieren. Die Bedeutung weiterer VKORC1- Tyr139Cys, Leu128Ser und Arg12Trp/ und Arg12Trp/Ala26Ser/Ala48Thr/Arg61Leu Polymorphismen und deren Kombinationen Ala26Ser/Ala48Thr/Arg61Leu (spretus- (spretus-Typ) sind über Deutschland verteilt sowie die Bedingungen der Entstehung, Ver- an zahlreichen Orten zu finden. Resistenzen breitung und Zurückdrängung von Resistenz Typ) zu schlussfolgern, dass Warfarin, können den Bekämpfungserfolg mit allen müssen für die Weiterentwicklung des Resis- Chlorphacinon, Coumatetralyl und Bro- Konsequenzen für die Vorratshaltung, Hygi- tenzmanagements untersucht werden. madiolon für eine effektive Bekämpfung ene und Tiergesundheit beeinträchtigen. Ein nicht geeignet sind. Dies gilt auch für die effektives Management von resistenten Wan- Schlüsselwörter Anwendung von Difenacoum gegen Mäu- derratten ist mit Antikoagulanzien der ersten Rattus norvegicus · Rattus rattus · se des spretus-Typs [17]. Resistenznach- Generation (Warfarin, Chlorphacinon, Cou- Mus musculus · VKOR · Polymorphismus · matetralyl) sowie mit Bromadiolon und Di- Resistenzwirkung · Verbreitung weise gegenüber Brodifacoum, Flocou- mafen und Difethialon liegen für Haus- mäuse nicht vor (. Abb. 1). Rodenticide resistance and consequences Abstract Verbreitung von Resistenzen Resistance to anticoagulant rodenticides, way rats. The same applies for house mice such as warfarin was first described in 1958. whereby the tolerance to compounds can be Untersuchungen von Populationen kom- Polymorphisms in the vitamin K epoxide re- different between local incidences. Due to mensaler Nager auf Sequenzänderun- ductase complex subunit 1 (VKORC1) gene the higher toxicity and tendency to persist, gen in der VKOR sind derzeit die einzi- and respective substitutions of amino ac- the most potent anticoagulant rodenticides ge großflächig realisierbare Methode zur ids in the VKOR enzyme are the major cause brodifacoum, flocoumafen and difethialone for rodenticide resistance. Resistant Norway should be applied but only where resistance Bestimmung der Verbreitung von Re- rats in Germany are characterized by the Tyr- is known. In other cases less toxic anticoag- sistenzen. Während für Wanderratten 139Cys genotype, which is spread through- ulants should be preferred for rodent man- und Hausmäuse umfangreiche Untersu- out the northwest of the country. Resis- agement in order to mitigate environmen- chungsergebnisse vorliegen [1, 18, 19], gibt tant house mice with the VKOR variants Tyr- tal risks. Resistance effects of further VKOR es für Hausratten (R. rattus) zu wenige 139Cys, ­Leu128Ser and Arg12Trp/Ala26Ser/ polymorphisms and their combinations, the Ala48Thr/Arg61Leu (spretus type) are distrib- spread of resistant rats and conditions sup- Daten, um Aussagen zu treffen. uted over a number of locations in Germa- porting and reducing resistance should be In Deutschland wurden durch das Ju- ny. Resistance can reduce management at- investigated in order to improve resistance lius-Kühn-Institut (JKI) [18] und das LA- tempts with consequences for stored prod- management strategies. VES Niedersachen [1] mehr als zwei- uct protection, hygiene and animal health. tausend Wanderrattenproben aus dem Anticoagulants of the first generation (war- Keywords Rattus norvegicus · Rattus rattus · Zeitraum 1999 bis 2013 untersucht ([19], farin, ­chlorophacinone, coumatetralyl) as well as bromadiolone and difenacoum are Mus musculus · VKOR · Polymorphism · . Abb. 2a ). Dabei wurden die folgen- not an option for the control of resistant Nor- Resistance effect · Distribution den 5 VKOR-Polymorphismen, die im Tier stets einzeln vorkommen, nachge- wiesen: Tyr139Cys, Tyr139Phe, Ala26Thr, Ser79Phe und Ser56Pro [19]. Für Ort in Deutschland nachgewiesen wurde, Bisher wurden mehr als 500 Haus- Tyr139Cys und Tyr139Phe ist die Resis- ist Tyr139Cys in Nordwestdeutschland mäuse von mehr als 65 Vorkommen aus tenzwirkung bekannt. Anders als die Se- weit verbreitet (. Abb. 2a). Die Verbrei- Deutschland untersucht [19, 20]. Die Pro- quenzänderung Tyr139Phe, die in Belgien tung erstreckt sich bis weit in die Nieder- ben stammen von Orten mit und ohne und Frankreich verbreitet ist und die 2010 lande hinein (http://www.bruinerat.nl/re- chemische Bekämpfung. Insgesamt wur- erstmals und nur bei 2 Tieren an einem sultaten.html). den 14 VKOR-Polymorphismen iden-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 521 Leitthema

Abb. 2 9 a Nachweis von resistenzvermittelnden Sequenzänderungen im VKORC1-Gen bei Wander- ratten seit 1999 [19] und b Ergebnisse von Hausmaus- untersuchungen bezüglich bekannter resistenzvermit- telnder Sequenzänderun- gen im VKORC1-Gen von 2002 bis 2009 und 2010 bis 2013. (Quelle: [19, 20] und BayerCropScience/Rice University)

tifiziert, die auch kombiniert in Haus- zahlreichen Orten über Deutschland ver- dranten von je 1 km2 Fläche untersucht. mäusen gefunden wurden. Einige da- teilt nachgewiesen (. Abb. 2b). Die wei- In der Mitte befand sich ein bekannter von scheinen nicht im Zusammenhang te Verbreitung resistenter Hausmäuse ist „Hot Spot“ für Resistenz. Es wurden in mit einer erhöhten Antikoagulanziento- vermutlich auf die Verschleppung mit allen Quadranten resistente Ratten mit leranz zu stehen, und viele wurden noch z. B. Warentransporten zurückzuführen. Häufigkeiten von 20–80% ohne einen er- nicht auf ihre mögliche Resistenzwir- kennbaren räumlichen Gradienten gefun- kung untersucht. Nur für Tyr139Cys und Offene Fragen den [22]. Weitere systematische Untersu- Leu128Ser sowie Arg12Trp/Ala26Ser/ chungen sind erforderlich, um die Me- Ala48Thr/Arg61Leu (spretus-Typ) wur- Zur Verbesserung des Resistenzmanage- chanismen der räumlichen und zeitlichen de Resistenz gegen verschiedene antikoa- ments ist weitere Forschungsarbeit erfor- Ausbreitung, der Resistenzförderung und gulante Wirkstoffe nachgewiesen [20, 21]. derlich. So existiert kein systematisches -hemmung zu identifizieren. Die Auswir- Der spretus-Typ fiel im Vergleich zu al- deutschlandweites Monitoring der Ver- kung von Bekämpfungsmethoden und len anderen resistenten Stämmen durch breitung von Resistenzen bei Wander- der Frequenz der Anwendung einzelner die Kombination mehrerer Polymorphis- ratten, Hausmäusen und Hausratten. Ne- antikoagulanter Wirkstoffe auf das Vor- men auf. Der Vergleich der Genome ver- ben Bestimmungen von VKOR-Sequenz­ kommen resistenter Genotypen ist noch wandter Arten zeigte, dass dieser Genab- änderungen sollten deren Resistenzwir- unbekannt. schnitt durch eine „adaptive Introgres­ kung sowie weitere resistenzvermittelnde Resistenz ist ein Selektionsvorteil bei sion“ von der Algerischen Maus (Mus Faktoren systematisch untersucht werden. Bestehen eines Bekämpfungsdrucks durch spretus) in das Genom dieses Stammes Bei der Bekämpfung von Wanderrat- antikoagulante Mittel. Sie ist aber auch mit der Hausmaus (M. musculus) integriert ten geht man derzeit von einem definier- Nachteilen für die Tiere verbunden. So ha- wurde [21]. ten Resistenzgebiet in Nordwestdeutsch- ben homozygote Tyr139Cys-Ratten eine In den Jahren 2002 bis 2009 wurden land aus. Von Interesse ist in dem Gebiet geringere Reproduktionsrate und einen er- durch die Untersuchungen bei 70,6% von u. a. die Frage der kleinräumigen Verbrei- höhten Vitamin-K-Bedarf als Tiere ohne 34 Mäusevorkommen, 2010 bis 2013 bei tung von Resistenz im Umkreis von schon VKOR-Polymorphismen [23, 24]. Es gilt 90% von 40 Vorkommen die 3 bereits ge- länger bekannten Vorkommen resistenter zu klären, inwieweit solche Fitness-Kosten nannten resistenzvermittelnden Polymor- Ratten. In einer Pilotstudie des Rodenti- eine Rolle bei der Ausbreitung der Resis- phismen gefunden. Im Gegensatz zum re- cide Resistance Action Committee wur- tenz spielen und ob sie beim Management lativ stabilen und regional definierten Re- de die Häufigkeit des Auftretens resisten- durch z. B. Wirkstoffwechsel berücksichti- sistenzvorkommen bei der Wanderratte, ter Ratten mit der Tyr139Cys-Sequenzän- gen werden können, um den Anteil an re- wurden diese resistenten Hausmäuse an derung in 12 aneinandergereihten Qua- sistenten Tieren zu minimieren.

522 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Es fehlen bei der chemischen Bekämp- Einhaltung ethischer Richtlinien 15. Buckle AP, Endepols S, Klemann N, Jacob J (2012) Resistance testing and the effectiveness of fung bislang Alternativen, um z. B. die ­difenacoum against Norway Rats (Rattus norvegi- Rotation verschiedener Wirkstoffklas- Interessenkonflikt. J. Freise, M. Runge, N. Klemann cus) in a tyrosine139cysteine focus of anticoagu- und A. Esther geben an, dass kein Interessenkonflikt sen in ein Resistenzmanagement einbau- lant resistance, Westphalia, Germany. Pest Manag besteht. H.-J. Pelz ist als Berater für die Firma ­Reckitt Sci 69:233–239 en zu können. Der Einsatz der potentes- Benckiser Inc. (USA) tätig. S. Endepols ist Angestell- 16. Endepols S, Klemann N, Jacob J, Buckle A (2012) ten Mittel der zweiten Generation (Bro- ter bei der Bayer CropScience AG, Research & Develop- Resistance tests and field trials with bromadiolone ment. difacoum, Flocoumafen und Difethia- for the control of Norway rats (Rattus norvegicus) on farms in Westphalia, Germany. Pest Manag Sci Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen lon) ist wegen ihrer umweltgefährdenden 68:348–354 oder Tieren. Eigenschaften begrenzt. Die Entwicklung 17. Endepols S (2010) Die Hausmaus – ein kleines Por- von spezifischen Bekämpfungsstrategien trait. Pest Control News 44:6–7 18. Pelz H-J, Rost S, Hünerberg M et al (2005) The ge- mit den wenigen Bekämpfungsmitteln im Literatur netic basis of resistance to anticoagulants in ro- Rahmen einer integrierten Schädlings- dents. Genetics 170:1839–1847 bekämpfung und die Suche nach neuen 1. Runge M, Keyserlingk M von, Braune S et al (2013) 19. Esther A, Barten R, Benker M et al (2013) Strategie Distribution of rodenticide resistance and zoonot­ des Fachausschusses Rodentizidresistenz (FARR) Wirkstoffen bleibt daher eine Herausfor- ic pathogens in Norway rats in Lower Saxony and zum Schadnagermanagement bei Antikoagulan- derung. Hamburg, Germany. Pest Manag Sci 69:403–408 zien-Resistenz. Handbuch Schädlingsbekämpfer 2. Humphries RE, Sibly RM, Meehan AP (2000) ­Cereal 58:1–15 aversion in behaviourally resistant house mice in 20. Pelz HJ, Rost S, Müller E et al (2012) Distribution Schlussfolgerung Birmingham, UK. Appl Anim Behav Sci 66:323–333 and frequency of VKORC1 sequence variants con- (Elsevier) ferring resistance to anticoagulants in Mus muscu- Sowohl Wanderratten als auch Hausmäu- 3. Boyle CM (1960) Case of apparent resistance of lus. Pest Manag Sci 68:254–259 Rattus norvegicus to anticoagulant poisons. Nature 21. Song Y, Endepols S, Klemann N et al (2011) Adap­ se haben gegen antikoagulante Wirk- 188:517 tive introgression of anticoagulant rodent poi- stoffe Resistenzen entwickelt. Resistenz- 4. Lund M (1972) Rodent resistance to the anticoagu- son resistance between old world mice. Curr Biol vermittelnde Genpolymorphismen sind lant rodenticides, with particular reference to Den- 21:1296–1301 mark. Bull World Health Organ 47:611–618 22. Klemann N, Esther A, Endepols S (2012) Character­ bei Wanderratten in Nordwestdeutsch- 5. Brooks J, Bowerman A (1973) Anticoagulant re- istics of the local distribution of the Y139C resis- land und bei Hausmäusen über Deutsch- sistance in wild Norway rats in New York. J Hyg tance gene in Norway rats (Rattus norvegicus) in a land verteilt zu finden. Die Wirkstoffe der (Lond) 71:217–222 focus of resistance in Westphalia, Germany. J Kul- 6. Greaves JH (1994) Resistance to anticoagulant ro- turpflanzen 64:97 ersten Generation (Warfarin, Chlorpha- denticides. 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JKI-Flyer. http://www.jki. nachgewiesener Resistenz können der- ­difenacoum of house mice in relation to the occur- bund.de/rodentizidresistenz.html zeit nur Brodifacoum, Flocoumafen und rence of variants in the vkorc1-gene before and af- 26. Esther A, FARR (2013) Hausmäuse erfolgreich be- ter the treatments. Julius Kühn Archiv 432:70–71 kämpfen – Resistenz erkennen. JKI-Flyer. http:// Difethialon als wirksame antikoagulante 9. Aithal GP, Day CP, Kesteven PJL, Ak KD (1999) Asso- www.jki.bund.de/rodentizidresistenz.html Rodentizide empfohlen werden [25, 26]. ciation of polymorphisms in the cytochrome P450 Wegen ihrer potenziell umweltgefähr- CYP2C9 with warfarin dose requirement and risk of bleeding complications. Lancet 353:717–719 denden Eigenschaften können Bekämp- 10. Takeuchi F, McGinnes R, Bourgois S et al (2009) A fungsmittel mit diesen Substanzen aller- genome-wide association study confirms VKORC1 dings nur nach sorgfältiger Risikoanalyse CYP2C9, and CYP4F2 as principal genetic deter- minants of warfarin dose. PLOS Genet 5:e1000433 und unter Beachtung entsprechender Ri- 11. EPPO (1995) Guideline for the evaluation of resis- sikominderungsmaßnahmen angewen- tance to plant protection products. Testing rodents det werden. for resistance to anticoagulant rodenticides. EPPO Bull 25:575–593 12. RRAC (2003) A reappraisal of blood clotting re- sponse tests for anticoagulant resistance and a Korrespondenzadresse proposal for a standardised BCR test methodology. Tech Monograph. www.rrac.info Dr. A. Esther 13. Prescott CV, Buckle AP, Hussain I, Endepols S (2007) Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, A standardised BCR resistance test for all anticoa- Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau gulant rodenticides. J Pest Manag 53:265–272 und Forst, Wirbeltierforschung, 14. Pelz H-J, Hänisch J, Lauenstein G (1995) Wander- Julius Kühn-Institut (JKI) rattenresistenz in Nordwestdeutschland. Prakt Toppheideweg 88, 48161 Münster Schädlingsbekämpfer 47:19–24 [email protected]

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 523 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:524–530 C. Kuhn · A. Vander Pan DOI 10.1007/s00103-013-1922-z Fachgebiet IV 1.4 Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, Umweltbundesamt, Berlin Online publiziert: 25. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Die weltweite Ausbreitung von Bettwanzen stellt auch in Deutschland ein Problem dar

Hintergrund gungen bis zu 150 Eier ab [16]. Die hemi- Bettwanzen verbreiten sich pas- metabole Entwicklung verläuft über 5 Ju- siv über die Mitnahme befallener Ge- Nach Jahrzehnten der visuellen Abwe- venilstadien, die allesamt ebenfalls Blut brauchtgegenstände oder Reisegepäck- senheit in Industrieländern spielen die saugen müssen. Sie ist bei einer Tempe- stücke. Aus diesem Grund sind neben gemeine Bettwanze Cimex lectularius ratur von 22°C und ständig verfügba- Privathaushalten insbesondere Einrich- und die tropische Bettwanze C. hemip- rer Nahrungszufuhr innerhalb von etwa tungen mit hoher Personenfluktuation terus (in Australien) heute in der Schäd- 7 Wochen abgeschlossen [17]. Die vor- wie Hotels, Hostels oder andere Unter- lingsbekämpfung wieder eine bedeutsa- wiegend nachtaktiven Tiere leben in en- bringungsheime aller Art, aber auch Ge- me Rolle. Das Vorkommen der tempo- ger Assoziation mit dem Menschen und sundheitseinrichtungen, Gebrauchtmö- rären, obligat hämatophagen Ektopara- seinen Haustieren. Als temporäre Ek- belhandel und Transportmittel wie Flug- siten galt seit Mitte des 20. Jahrhunderts toparasiten verlassen sie ihre Verstecke zeuge und Bahnen betroffen [5]. Für den als überwiegend beschränkt auf Länder (beispielsweise in Bettgestellen und an- Aufbau einer neuen Bettwanzenpopula- mit niedrigen Entwicklungsstandards. deren Möbelstücken, hinter Tapeten, tion kann die Mitnahme eines einzelnen Die Ursachen für den damaligen Rück- Scheuerleisten oder Lichtschaltern usw.), befruchteten Weibchens – typischerweise gang von Bettwanzenbefällen in Indus- um überwiegend nachts an ihren Wir- im Reisegepäck – ausreichend sein. Un- triestaaten sind nicht endgültig geklärt, ten Blut zu saugen. Die Stiche können abhängig von den hygienischen Bedin- könnten aber u. a. durch den weitreichen- überaus unangenehm sein und durch- gungen vor Ort baut sich nach der Ein- den Einsatz von Insektiziden mit Residu- aus gesundheitliche Auswirkungen ha- schleppung innerhalb weniger Wochen alwirkung bedingt sein.1 Seit den 1990er- ben (s. unten). eine neue Population auf. Eigene Beob- Jahren wird weltweit von einer massiven Bettwanzen sind in der Lage, lange achtungen an Befallsstellen bei Privat- Ausbreitung der Insekten auch in hoch Hungerperioden zu überstehen, die ab- personen zeigen, dass ein Bettwanzen- entwickelten Ländern berichtet [3, 4, 5, 6, hängig von der Temperatur und Luft- befall im Allgemeinen erst mehrere Wo- 7, 8, 9, 10]. Diese stellt ein bedeutendes feuchtigkeit mehrere Monate umfassen chen nach dem Eintrag der Tiere bemerkt Problem im Bereich der öffentlichen Ge- können [16, 18, 19]. In eigenen Untersu- wird, d. h. zu einem Zeitpunkt, an dem sundheit dar [11, 12]. chungen mit 200 frisch geschlüpften Ju- die Population eine Größe erreicht hat, Daten zur Biologie von Bettwanzen venilstadien von C. lectularius überleb- bei der eine echte Stichbelästigung bei sind umfassend zusammengetragen wor- ten bei einer Umgebungstemperatur von den Betroffenen auftritt. Herumlaufen- den (z. B. [13, 14, 15]), und diese soll hier 21°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit de Wanzen werden bei schwächeren Be- nur in aller Kürze dargestellt sein. Bett- (RH) von 45±10% sogar 81% der Tiere fällen von Laien meistens nicht wahrge- wanzen sind dorsoventral stark abgeplat- ohne Blutaufnahme 9 Wochen lang. Bei nommen, zumal insbesondere die ersten tet (Tapetenflunder) und erreichen eine einer Temperatur von 23°C betrug die Nymphenstadien durch ihre helle Fär- Größe von etwa 4–6 mm (. Abb. 1). Überlebensrate hingegen nur 31,5%. bung und geringe Größe schwer zu er- Weibliche C. lectularius legen Zeit ihres In beiden Fällen kam es nach an- kennen sind (. Abb. 2). Lebens unter geeigneten Umweltbedin- schließender Fütterung und Anzucht Neben der gemeinen Bettwanze C. lec- der adulten Tiere zu Eiablagen. Wegen tularius treten in Deutschland die Fleder- 1 In diesem Zusammenhang wird immer wie- dieser enormen Hungerfähigkeit kön- mauswanzen C. dissimilis und C. pipistrel- der der Einsatz von DDT diskutiert. Allerdings nen sich Bekämpfungsmaßnahmen äu- li, die Taubenwanze C. columbarius und sind in Großbritannien schon vor der Einfüh- ßerst schwierig gestalten, wenn über- die Schwalbenwanze Oeciacus hirundinis rung von DDT Rückgänge von 80% bei Bett- wanzenbefällen zu verzeichnen [1, 2], sodass lebende Tiere ihre Verstecke nicht ver- auf. Auch diese Arten können den Men- hier andere Ursachen einen entscheidenden lassen und nicht mit dem Insektizid in schen zeitweilig als Wirt nutzen [20, 21, Einfluss gehabt haben müssen. Kontakt kommen. 22]. So kommt es im Herbst immer wie-

524 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 sondere in solchen Fällen können Infesta- tionen über lange Zeit hinweg unbemerkt bleiben, zumal der Bettwanzenstich wäh- rend des Blutsaugaktes schmerzlos ist. Hautreaktionen auf Bettwanzenstiche können zeitlich stark verzögert auftre- ten [31, 32]. Eigene Untersuchungen ha- ben dies bestätigt und ergeben, dass bei 5 von 8 untersuchten Personen Hautre- Abb. 1 9 Männliche aktionen erst nach 7 bis 10 Tagen beob- (links) und weibliche achtet werden konnten, während 2 Per- (rechts) Bettwanze Ci- sonen diese schon wenige Stunden nach mex lectularius (links: Einstich zeigten. Bei einer Person konnte mm-Skala) auch nach 2 Wochen keine Hautreaktion beobachtet werden. Auch diese Untersu- Abb. 2 9 Bettwanzen- chungen belegen die äußerst variable Re- befall in einem Sofa. aktion auf Bettwanzenstiche. Sie reichten Typischerweise finden von keiner Reaktion bis hin zu einer star- sich adulte und juve- ken Ausbildung von Pusteln oder Quad- nile Stadien sowie Eier und Häutungshüllen deln sowie unterschiedlich stark ausge- in einer Ansammlung. prägtem Juckreiz (. Abb. 3). Eine Per- Deutlich zu erkennen son, die in der Vergangenheit keiner- sind auch die schwar- lei Reaktionen auf Bettwanzenstiche ge- zen Kotspuren, die in zeigt hatte, reagierte nach der zehnten Ex- und um die Verstecke der Tiere hinterlassen position mit deutlicher Quaddelbildung werden und Juckreiz innerhalb von 7 bis 10 Ta- gen (s. . Abb. 3d). der zu Belästigungen, wenn Schwalben Gesundheitliche Bedeutung Als hämatophagenen Insekten kommt ihre Nester verlassen, die sich beispiels- eines Bettwanzenbefalls den Bettwanzen ein Potenzial zur Über- weise an Wohn- oder auch Krankenhäu- tragung von Krankheitserregern zu. In sern befinden. Mangels einer adäquaten Die häufigste klinische Folge eines Bett- diversen Laborversuchen wurde gezeigt, Nahrungsquelle nutzen die zurückge- wanzenbefalls ist die Hautreaktion auf dass Bettwanzen Träger von Infektions- bliebenen Schwalbenwanzen dann vor- Stiche, die mehr oder weniger stark aus- erregern wie beispielsweise dem Hepati- übergehend den Menschen als Wirt. Die geprägt sein kann. Häufig sind mehrere tis-B-Virus [33] sein können. Transmis- tropische Bettwanze C. hemipterus tritt Stiche in Reihe oder gruppenweise an- sionsversuche an Schimpansen ergaben überwiegend in den Tropen und Subtro- geordnet, aber auch einzelne Stiche wer- aber keine Übertragung von HBV durch pen auf, und auch diese Wanzenart brei- den beobachtet [26]. Die Stichreaktionen Wanzen [34]. Hingegen konnte Trypa- tet sich in Australien massiv aus [9]. Pub- sind äußerst heterogen, und die Diagno- nosoma cruzi von C. lectularius von süd- lizierte Daten zum Vorkommen am Men- se eines Bettwanzenbefalls ausschließlich amerikanischen Feldmäusen auf weiße schen in Deutschland sind uns nicht be- anhand von Stichen ist nicht möglich. Die Mäuse übertragen werden [35]. In dieser kannt. von Medizinern am häufigsten beobach- Studie wurde vermutet, dass eine Über- Wie auch in anderen Staaten, berich- tete Hautreaktion ist eine juckende, gerö- tragung der Erreger über die Regurgita- ten Schädlingsbekämpfer in Deutsch- tete und makulopapuläre Hautläsion in tion erfolgt, während andere Studien auf land von einer Zunahme der Anfragen einer Größe von 2–5 mm [27]. Es kann eine Infektion über den Kot der Wanzen zu Bettwanzen und auch der Zahl der aber auch zur Bildung von Quaddeln hinweisen [36]. Auch das HI-Virus [37] tatsächlich durchgeführten diesbezügli- [28] oder erythematösen Blasen [29, 30] konnte in tropischen Bettwanzen nach- chen Bekämpfungsmaßnahmen [23, 24]. kommen, und häufig werden die Stiche gewiesen werden. Der Nachweis eines Dennoch ist die Kenntnis zu Bettwanzen mit denen anderer Insekten verwechselt. Übertragungspotenzials im Feld wur- in der Bevölkerung gering [25], was da- Es wird auch beobachtet, dass Patienten de aber bislang für keinen der genann- zu führen könnte, dass die Problematik zunächst keinerlei Reaktion auf Bettwan- ten Erreger geführt. Es liegen auch kei- ihres Auftretens in Deutschland unter- zenstiche zeigen, es aber bei wiederholter ne Berichte darüber vor, dass Infektions- schätzt wird. Exposition zu Hautreaktionen kommen krankheiten auftreten, die mit Bettwan- kann [31]. Allerdings liegen auch Studien zen assoziiert sind. Im Hinblick auf die vor, die zeigen, dass Personen selbst bei weltweit massive Ausbreitung der Insek- wiederholter Exposition keinerlei Stich- ten ist das Risiko für eine Übertragung reaktionen aufweisen müssen [27]. Insbe- von Krankheitserregern durch Bettwan-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 525 Leitthema Zusammenfassung · Abstract

zen daher als äußerst gering einzuschät- Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:524–530 DOI 10.1007/s00103-013-1922-z zen [26]. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Ein Bettwanzenbefall wird in der Re- C. Kuhn · A. Vander Pan gel als äußerst ekelerregend empfun- Die weltweite Ausbreitung von Bettwanzen stellt den. Darüber hinaus kann die Stichbe- auch in Deutschland ein Problem dar lästigung zu massiven Schlafstörungen führen. Bei einzelnen Personen kommt Zusammenfassung es außerdem zu psychischen Belastun- Weltweit mehren sich die Berichte über die wicklung von Resistenzen gegen die verfüg- Ausbreitung der Bettwanzen Cimex lectula- baren Wirkstoffe spielen. Mangels offizieller gen wie Albträumen, Überwachsamkeit, rius und C. hemipterus (in Australien). Unab- Daten ist eine Quantifizierung des Auftretens Angstzuständen, sozialer Isolierung und hängig von den hygienischen Bedingungen von Bettwanzen in Deutschland nicht mög- persönlichen Einschränkungen [38, 39]. sind die Insekten insbesondere in Hotels und lich, aber Schädlingsbekämpfer und öffentli- Auch der Einsatz von chemischen Insek- Hostels sowie in anderen Ferienunterkünften, che Behörden berichten von zunehmenden tiziden bei Bekämpfungsmaßnahmen im Gesundheitseinrichtungen, Transportmitteln Fallzahlen und Problemen bei der Bekämp- Wohn- und Schlafbereich wird häufig als und im Gebrauchtwarenhandel zu finden fung. Letztere scheinen hier – wie auch in an- und breiten sich von dort in Privathaushalte deren Ländern – u. a. durch die Ausbildung sehr belastend empfunden, auch wenn aus. Ein Bettwanzenbefall kann durchaus ge- von Wirkstoffresistenzen (insbesondere Pyre- bei fachgerechter Anwendung in der Re- sundheitliche Auswirkungen haben und stellt throide) bedingt zu sein. Vor diesem Hinter- gel keine gesundheitlichen Auswirkun- für die Betroffenen eine starke Belastung dar. grund ist die Prävention und damit die Auf- gen zu erwarten sind. Eine erfolgreiche Bei der weltweiten Ausbreitung der Insekten klärung der Bevölkerung über die Lebenswei- Bettwanzenbekämpfung kann je nach Be- scheint es sich um ein multifaktorielles Ge- se und Ausbreitungswege der Insekten von fallstärke sehr kostenaufwendig sein und schehen zu handeln, dessen Ursachen kon­ entscheidender Bedeutung, um ihrer Aus- trovers diskutiert werden. Diese werden u. a. breitung entgegenwirken zu können. ist häufig auch mit der Entsorgung befal- in einer Zunahme der internationalen Reise- lener Möbelstücke verbunden. Aufgrund tätigkeit und des Gebrauchtwarenhandels Schlüsselwörter der finanziellen Belastung kann die psy- gesucht. Eine entscheidende Rolle könnten Cimex lectularius · Weltweite Zunahme · chische Belastung für finanziell schlech- die eingeschränkte Verfügbarkeit wirksamer Gesundheitliche Bedeutung · Bekämpfung · ter gestellte Bevölkerungsgruppen grö- Insektizide mit Langzeitwirkung und die Ent- Pyrethroid-Resistenz ßer sein. The worldwide expansion of bed bugs also Wirkstoffresistenzen constitutes a problem in Germany Während bis in die 1970er-Jahre der Abstract Wirkstoff DDT (Dichlordiphenyltri- Worldwide, reports of the spread of the bed velopment of resistance to available agents chlorethan) gegen Bettwanzen eingesetzt bugs Cimex lectularius and C. hemipterus (in could play a crucial role. In the absence of of- Australia) are increasing. Irrespective of hy- ficial data it is impossible to quantify the ex- wurde, werden heute aufgrund ihrer ge- giene conditions, the can be espe- tent of the spread in Germany but pest con- ringen Toxizität für Säuger, ihrer schnel- cially found in hotels and hostels as well as in trollers and public authorities report increas- len Wirksamkeit (Knock-down-Effekt) other holiday accommodation, health facili- ing numbers of cases and problems in con- und ihrer Langzeitwirkung hauptsächlich ties, transport and in the secondhand trade. trol. As in other countries the latter appear to Pyrethroide als Kontaktinsektizide ver- From these localities the insects spread to pri- be caused among other things by the devel- wendet. In Folge des massiven Einsatzes vate households. A bed bug infestation may opment of drug resistance (particularly py- well have health consequences and consti- rethroids). Against this background, preven- dieser Wirkstoffe sowie der Existenz von tutes a heavy burden for those affected. The tion and thus the education of the public on Kreuzresistenzen zwischen Pyrethroiden global spread of bed bugs appears to be mul- the habits and dissemination routes of these und DDT ist das Auftreten von Pyreth- tifactorially conditioned and the causes are insects remain crucial in order to counteract roid-resistenten Bettwanzenstämmen da- controversially discussed. The spread could the spread of bed bugs. her nicht überraschend. Erste Berichte la- be explained, among other things, by the in- crease in international travel and trade in Keywords gen schon in den 1950er-Jahren vor [40], used goods. The limited availability of insec- Cimex lectularius · Global increase · Health und heute mehren sich insbesondere in ticides with long-term effects and the de- ­significance · Control · Pyrethroid resistance Amerika und in Australien die Fälle von Pyrethroid-resistenten Bettwanzen [7, 41, 42, 43, 44]. Es sind mittlerweile in ver- schiedenen Bettwanzenstämmen unter- kanals, dem Wirkort der Pyrethroide [42, Enzyme sowie auch für kutikuläre Pro- schiedliche Pyrethroidresistenz-Mecha- 43, 45]. Auch erhöhte Transkriptionslevel teine und Abc-Transporter kodieren, in nismen detektiert worden, die einzeln beispielsweise verschiedener Gene für der epidermalen Schicht des Integuments oder in Kombination auftreten können. Cytochrom-P450-Enzyme, durch die eine exprimiert, sodass entsprechende Toxine Dazu gehören die kdr (knock-down re- Detoxifikation der Insektizide erreicht nicht oder langsamer zu ihren Zielorten sistance)-Punktmutationen V419L und werden kann, wurden nachgewiesen [46, gelangen [48]. Die multiplen Mechanis- L925I in dem Gen für die α-Unterein­ 47]. Außerdem werden Gene, die für di- men der Pyrethroidresistenz wurden so- heit des spannungsabhängigen Natrium- verse Resistenz-assoziierte metabolische wohl in Labor- als auch in Feldstämmen

526 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Probleme bei der Bekämpfung von Bett- wanzen unter Verwendung von Pyreth- roiden eindeutig auf das Vorhandensein Pyrethroid-resistenter Bettwanzenpopu- lationen hin. Da in Deutschland derzeit für chemische Bekämpfungsmaßnahmen gegen Bettwanzen überwiegend Pyreth- roide zur Verfügung stehen, muss im Zu- ge der Ausbreitung der Bettwanzen auch hierzulande mit der Ausbreitung Pyreth- roid-resistenter Wanzen gerechnet wer- den.

Ausbreitung

Für das oben bereits erwähnte, in unter- schiedlichen Ländern beobachtete ver- mehrte Auftreten der Bettwanzen in der jüngsten Vergangenheit werden diver- se Gründe diskutiert, wie beispielsweise die eingeschränkte Verfügbarkeit wirk- samer Insektizide mit Langzeitwirkung sowie die sich gleichzeitig verschärfen- de Resistenzsituation gegenüber Insekti- ziden (s. oben). Auch eine Zunahme der Reisetätigkeit und ein vermehrter Handel mit Gebrauchtwaren sowie eine mangeln- de Kenntnis der Öffentlichkeit von Bett- wanzen werden im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Insekten genannt [22]. Die Ursachen werden kontrovers diskutiert, und einige Autoren sehen in der Ausbildung von Wirkstoffresistenzen die Schlüsselrolle für das massive Auftre- ten der Bettwanzen [1, 2, 26]. Insbesondere aus den USA und Aus­ tralien [5, 9, 26] wird von einem massi- ven Auftreten der Bettwanzen berich- tet. Aber auch in Kanada [12], Asien [49, 50] und Afrika [28, 51] werden Proble- me mit der Ausbreitung der Insekten be- Abb. 3 8 a–g Unterschiedliche Hautreaktionen auf Bettwanzenstiche 7 bis 10 Tage nach Exposition. Bei einer Person (nicht gezeigt) trat keine Reaktion auf. Eine Person zeigte in der Vergangenheit eben- schrieben. Aus europäischen Ländern, falls keine Reaktion, aber nach wiederholter Exposition ist nun auch hier eine deutliche Stichreaktion u. a. in unmittelbarer Nähe zu Deutsch- sichtbar (d) land, kommen Berichte von zunehmen- den Bettwanzenbefällen, z. B. aus Groß- von Bettwanzen nachgewiesen [48], und In eigenen Untersuchungen wurden in ei- britannien [1, 8, 52] und der Schweiz [53]. es wird angenommen, dass sich ihre Re- nigen Berliner Bettwanzenpopulationen Auch Bürgerbefragungen in Frankreich sistenzlevel und -mechanismen weltweit im Filterkontakt-Bioassay erhöhte Re- belegen das vermehrte Auftreten von stark voneinander unterscheiden [46]. sistenzindizes (RI) gegenüber Pyrethroi- Bettwanzen bevorzugt in den südlichen Neben Pyrethroidresistenzen treten Re- den ermittelt, und auch die Punktmuta- Regionen des Landes. Hier wurde es mit sistenzen gegen andere Wirkstoffe auf, tion L925I im kdr-Gen wurde nachgewie- der intensiven Immigration und dem wie z. B. gegen Carbamate und Organo- sen (Vander Pan, Manuskript in Vorbe- vermehrten Reisetourismus sowie dem phosphate [49]. reitung). Insgesamt lagen aber die Resis- Warenhandel in Verbindung gebracht Aus Deutschland liegen derzeit keine tenzindizes weit unter denen in den USA [10]. Auch in Dänemark wird nach einem publizierten Daten zum Auftreten von oder Australien [7, 44]. Allerdings weisen vorübergehenden Rückgang bis Mit- Wirkstoffresistenzen bei Bettwanzen vor. Berichte von Schädlingsbekämpfern über te der 1980er-Jahre von einer Zunahme

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 527 Leitthema

der Bettwanzenproblematik seit Mitte dem professionellen Schädlingsbekämp- tons unter seinem Bett lagerte, in sei- der 1990er-Jahre berichtet [54]. Weitere fer erfolglos bleiben. ne Wohnung gekommen. Als Fol- Fallbeispiele stammen aus Spanien [55] Folgende Fallbeispiele zeigen das mas- ge dürften Wanzen und Eier auf dem und Italien [56]. Aus Deutschland lie- sive Ausbreitungspotenzial der Bettwan- Wege des Internethandels in diverse gen wenige publizierte wissenschaftliche ze und den dringenden Aufklärungsbe- Richtungen verbreitet worden sein. Daten zur Verbreitung von C. lectularius darf bei der Bevölkerung: 4. Auch der Fall einer Familie, die sich vor. Außerdem gibt es hier keine gesetzli- 1. Ein außergewöhnlich starker Befall zur Entsorgung ihres massiv befalle- che Meldepflicht für Bettwanzen, sodass wurde in einer Berliner Wohnung er- nen Schlafsofas einen Kleintranspor- im wesentlichen Erfahrungsberichte und mittelt. Eine 80-jährige Dame hat- ter bei einer Autovermietung ausge- Zahlen von Schädlingsbekämpfern die te seit etwa 12 Jahren mit den Bett- liehen hatte, zeigt, wie schnell und Basis für die Annahme bilden, dass sich wanzen gelebt; den Befall hatte sie einfach Bettwanzen verschleppt wer- die Insekten auch in Deutschland immer aus Scham über Jahre hinweg ver- den können. Das Sofa wurde oh- weiter ausbreiten. Schädlingsbekämpfer borgen gehalten. Die Tiere liefen un- ne jegliche Schutzumkleidung durch und Behörden aus Berlin berichten von typischerweise in großer Zahl tags- den Hausflur des Mehrfamilienhau- einer deutlichen Zunahme von Anfragen über auf der sonnenexponierten Gar- ses getragen und mit dem Transpor- zu Bettwanzen und der Zahl der tatsäch- dine herum – und auch auf der Be- ter zur Müllkippe gefahren. Abgefal- lich durchgeführten Bekämpfungsmaß- troffenen selbst. Sie wurden zwar lene Tiere im Hausflur wurden zwar nahmen. von Besuchern gesehen, aber als Kä- weggefegt, aber es ist davon auszuge- Eine Datenerhebung im Institut für fer identifiziert bzw. ignoriert. Zum hen, dass sie sowohl aus dem Flur als Tropenmedizin der Charité in Berlin im Zeitpunkt der eingeleiteten Bekämp- auch aus dem Umzugswagen unge- Zeitraum von 1994 bis 2008 ergab eine fungsmaßnahme waren mittlerweile hindert in andere Haushalte gelangen eindrückliche Zunahme der Zahl an ge- 5 benachbarte Wohnungen betroffen. konnten. meldeten Bettwanzenbefällen. Während 2. In einem anderen Fall waren Wan- 5. Eine andere Familie stellte etwa dort im Jahr 1994 noch <20 Fälle gemel- zen offensichtlich über ein befalle- 1 Jahr nach dem Einzug in eine frisch det wurden, waren es im Jahr 2008 be- nes Bild aus dem Gebrauchtwaren- renovierte Wohnung einen Bettwan- reits >130. Im Wesentlichen waren die Be- handel in ein untervermietetes Zim- zenbefall fest, und auch im Treppen- fälle auf den Reiseverkehr zurückzufüh- mer gebracht worden. Nach Auszug haus liefen Tiere herum. Die Befalls- ren [23]. Eine Erhebung des deutschen der Untermieterin wurde das Bild ursache war zunächst unklar. Nach Schädlingsbekämpferverbandes (DSV von der Vermieterin in eine ande- genauerer Befragung der Bewohner e.V.) Landesverband Berlin e.V. und re Wohnung gebracht und die deut- anderer Wohnungen stellte sich he- Brandenburg ergab unter den befragten lichen Wanzenspuren an der Wand raus, dass vor etwa 3 Jahren in einer Betrieben im Zeitraum von 2007 bis 2012 hinter dem Bild weggewischt. Die Wohnung 2 Stockwerke höher ein eine Zunahme der Zahl an Bettwanzen- Wanzen hatten sich in der Zwischen- massiver Bettwanzenbefall vorgele- bekämpfungsmaßnahmen von 210 auf zeit in dem Zimmer ausgebreitet. Die gen hatte, der sich auf mehrere Woh- 761 [24]. Person, die das Zimmer anschlie- nungen ausweitete. In den betroffe- Problematisch ist der geringe Wis- ßend bezog, hatte einen Sohn, der nen Wohnungen war dann bekämpft sensstand über Bettwanzen in der Be- in regelmäßigen Abständen bei ihr worden, allerdings immer wieder völkerung. Bei einer Umfrage in 4 Groß- übernachtete. Man kann davon aus- zeitversetzt, sodass der Befall auch städten konnten nur 13% der Befragten gehen, dass zum einen die Vormie- Jahre danach noch bestand. In dem eine Bettwanze identifizieren [25]. Eige- terin beim Auszug Tiere verschleppt Haus befanden sich auch Ferienwoh- ne Beobachtungen bestätigen die gerin- hat, der Sohn der aktuellen Mieterin nungen, sodass hier ebenfalls eine ge Kenntnis zu Bettwanzen in der Bevöl- Bettwanzen mit nach Hause nahm massive Ausbreitung der Tiere in an- kerung und bei den bei Stichen konsul- und außerdem Wanzen mit dem Bild dere Haushalte angenommen werden tierten Ärzten. Das Auftreten von Wan- in die andere Wohnung verschleppt kann. zen wird häufig mit vergangenen Kriegs- wurden. Auf diese Weise könnten zeiten assoziiert, sodass die Gefahr eines mindestens 4 neue Standorte durch Die aufgeführten Fälle sind nur Beispie- Befalls heute hier als eher unwahrschein- den Kauf des befallenen Bildes sowie le aus einer Reihe von Besuchen in befal- lich eingestuft wird. Bettwanzen werden durch Unwissenheit infestiert wor- lenen Berliner Privatwohnungen. Insge- außerdem oft fälschlicherweise mit man- den sein. samt weisen die Erfahrungen aus Besu- gelnder Hygiene in Zusammenhang ge- 3. Ein weiteres Beispiel ist der Fall eines chen in mit Bettwanzen infestierten Pri- bracht, was bei den Betroffenen wiede­ Betroffenen, der einen Internethan- vathaushalten darauf hin, dass die Unwis- rum zu Schamgefühlen führen kann. del mit DVDs betrieb. Den Spuren senheit der Bevölkerung ein wesentlicher Diese Unkenntnis führt dazu, dass sich nach zu urteilen, waren die Bettwan- Grund für die Ausbreitung der Bettwan- Befälle häufig unbemerkt ausweiten kön- zen über eine infestierte DVD, die zen sein kann. nen oder Bekämpfungsmaßnahmen er mit vielen anderen zum Weiter- Berichten zufolge treten die Tiere ins- durch mangelnde Zusammenarbeit mit verkauf bestimmten DVDs in Kar- besondere in Großstädten auf, allerdings

528 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 ist zu beachten, dass die Datenlage aus 16. Johnson CG (1941) The ecology of the bed-bug, Korrespondenzadresse Cimex lectularius L., in Britain. J Hygiene 41:347– Gebieten mit geringer Bevölkerungs- 461 dichte noch dünner ist. Da in Deutsch- Dr. C. Kuhn 17. Omori N (1941) Comparative studies on the eco- land keine bundesweite Erfassung von Fachgebiet IV 1.4 Gesundheitsschädlinge logy and physiology of common and tropical bed bugs, with special references to the reactions to Bettwanzenbefällen existiert und auch und ihre Bekämpfung, Umweltbundesamt Bötticher Str. 2, 14195 Berlin temperature and moisture. J Med Ass Formosa 60:555–729 eine bundesweite Umfrage unter Schäd- [email protected] lingsbekämpfern durch uns bislang kei- 18. Kemper H (1930) Beiträge zur Biologie der Bett- wanze (Cimex lectularius L.) I. Über den Einfluss ne verwertbaren Ergebnisse erbracht hat, des Nahrungsmangels. Zoomorphology 19:160– ist der eindeutige Beweis dafür, dass die Einhaltung ethischer Richtlinien 183 Zahl von Bettwanzenbefällen im gesam- 19. Polanco AM (2011) Survivorship during starvation for Cimex lectularius L. Insects 2:232–242 Interessenkonflikt. C. Kuhn und A. Vander Pan ge- ten Bundesgebiet zunimmt, derzeit nicht 20. Smaha J (1976) Die Fledermauswanze als Lästling ben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. möglich. Berichte von örtlichen Schäd- in Paneeltafelhäusern. Anz Schädlingskde Pflan- lingsbekämpfern und auch Behörden so- Alle nationalen Richtlinien zur Haltung und zum Um- zenschutz Umweltschutz 49:139–141 gang mit Labortieren wurden eingehalten und die 21. Haag-Wackernagel D, Bircher AJ (2010) Ectopara- wie die oben dargestellten, wenigen ver- notwendigen Zustimmungen der zuständigen Behör- sites from feral pigeons affecting humans. Derma- fügbaren Zahlen weisen aber deutlich den liegen vor. tology 220:82–92 darauf hin. 22. Pinto LJ, Cooper R, Kraft SK (2007) Bed bug hand- book. The complete guide to bed bugs and their control. Pinto & Associates, Inc., S 1–266 Fazit Literatur 23. Bauer-Dubau C (2009) Bettwanzen (Cimex lectu- larius) und ihre gesundheitliche Bedeutung. Pest 1. Boase C (2008) Bed bugs (Hemiptera: Cimicidae): Control News 42:8–9 Die Berichte und Zahlen von Schäd- an evidence-based analysis of the current situa­ 24. http://www.schadeberlin.de/aktuelles.php?a=27 lingsbekämpfern weisen darauf hin, tion. Proc Sixth Int Conf Urban Pests 7–14 (Zugegriffen: 28. Okt. 2013) 2. Boase C (2008) Bed bugs: research and resur­ dass auch Deutschland von der welt- 25. Seidel C, Reinhardt K (2013) Bugging forecast: un- gence. In: Takken W, Knols BGJ (Hrsg) Emerging known, disliked, occasionally intimate. Bed bugs weit zu beobachtenden Ausbreitung pests and vector-borne diseases in Europe. Wa- in Germany meet unprepared people. PLoS One der Bettwanzen betroffen ist. Vor dem geningen Academic Publishers, The Netherlands, 8:1–6 S 261–280 Hintergrund ihrer Verbreitungswei- 26. Doggett SL, Dwyer DE, Peñas PF, Russell RC (2012) 3. Doggett SL, Geary MJ, Russell RC (2004) The re- Bed bugs: clinical relevance and control options. se und der dramatischen Zunahme der surgence of bed bugs in Australia: with notes on Clin Microbiol Rev 25:164–192 Zahl von Bettwanzenbefällen in ande- their ecology and control. Environ Health 4:30–38 27. Goddard J, deShazo R (2009) Multiple feeding by 4. Hwang SW, Svoboda TJ, Jong IJ de et al (2005) Bed ren Staaten – wie beispielsweise in den the common bed bug, Cimex lectularius, without bug infestations in an urban environment. Emerg sensitization. MidSouth Entomol 2:90–92 USA oder in Australien – ist Entspre- Infect Dis 11:533–538 28. Gbakima AA, Terry BC, Kanja F et al (2002) High chendes auch hierzulande zu erwarten. 5. 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Richards L, Boase CJ, Gezan S, Cameron MM 30. deShazo RD, Feldlaufer MF, Mihm MC Jr, Goddard (2009) Are bed bug infestations on the increase der geringen Palette an verfügbaren J (2012) Bullous reactions to bedbug bites reflect within Greater London? J Env Health Res 9:1–9 cutaneous vasculitis. Am J Med 125:688–694 Wirkstoffen die Resistenzbildung und 9. Doggett SL, Orton CJ, Lilly DG, Russell RC (2011) 31. Reinhardt K, Kempke D, Naylor A, Siva-Jothy MT damit auch die Ausbreitung resisten- Bed bugs: the Australian response. Insects 2:96– (2009) Sensitivity to bites by the bedbug, Cimex 111 ter Tiere weiter befördert werden kön- lectularius. Med Vet Entomol 23:163–166 10. Bencheton AL, Berenger JM, Giudice P del et 32. Sansom JE, Reynolds NJ, Peachey RDG (1992) De- nen. Im Kampf gegen die Ausbreitung al (2011) Resurgence of bed bugs in southern layed reaction to bed bug bites. Arch Dermatol der Bettwanzen kommt daher der Prä- France. A local problem or the tip of the iceberg? 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Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 529 Leitthema

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Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:531–540 N. Becker1 · A. Krüger2 · C. Kuhn3 · A. Plenge-Bönig4 · S.M. Thomas5 · DOI 10.1007/s00103-013-1918-8 J. Schmidt-Chanasit6, 7 · E. Tannich6, 7 Online publiziert: 25. April 2014 1 KABS e.V., Waldsee © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Fachbereich Tropenmedizin, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg 3 Umweltbundesamt, Berlin 4 Institut für Hygiene und Umwelt, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Hamburg 5 Biogeografie, Universität Bayreuth 6 Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg 7 Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, Standort Hamburg-Lübeck-Borstel, Hamburg Stechmücken als Überträger exotischer Krankheitserreger in Deutschland

Stechmücken (Familie Culicidae) sind Infektionen und des vermehrten inter- gibt es eine Vielzahl von Culicinae-Ar- mit über 3500 Arten weltweit die größ- kontinentalen Luftverkehrs reisen im- ten, die vor allem als Vektoren von Vi- te Gruppe blutsaugender Insekten und mer häufiger Personen mit entsprechen- ren dienen. Hierunter fallen die ­Aedes- repräsentieren die wichtigsten medizi- den Infektionen nach Europa ein und bil- und ­Ochlerotatus-Arten (sog. Wiesen- nisch relevanten Arthropoden. Ihre Vek- den somit das Reservoir für weitere Über- und Waldmücken), von denen 27 in torkompetenz umfasst nahezu alle Grup- tragungen. Zum anderen beobachtet man Deutschland vorkommen. Die nächsten pen von Mikroorgansimen, einschließ- Veränderungen in der Stechmückenfau- Verwandten von Aedes und ­Ochlerotatus lich Viren, Bakterien, Protozoen und na. Insbesondere Stechmückenarten, wie in Deutschland sind Arten der Gattun- Helminthen. Die weltweit ­bedeutendsten etwa Aedes albopictus, die ein hohes Vek- gen Culex (6 Arten), ­Culiseta (8 Ar- Stechmücken-assoziierten Erkrankun- torpotenzial für die genannten Erreger ten), Coquillettidia und ­Uranotaenia (je gen sind virusbedingte Infektionen besitzen, konnten durch die Globalisie- 1 Art). Insgesamt sind aktuell 50 Stech- durch ­Dengue- (DENV), Chikungunya- rung und Ausweitung des Warenhandels mückenarten aus Deutschland bekannt (CHIKV) oder West-Nil-Viren (WNV), von ihren angestammten Verbreitungsge- (. Tab. 1), davon gelten 49 Arten als aber auch Infektionserkrankungen durch bieten auf andere Kontinente verbracht etabliert, und eine Art, Ae. albopictus, Parasiten wie Malaria und Filariosen ge- werden, um dort neue Regionen zu be- wird regelmäßig eingeschleppt, ohne bis- hören dazu. Bis vor wenigen Jahren wur- siedeln. Auch in Deutschland werden zu- her dauerhafte Populationen aufgebaut zu den diese Infektionen fast ausschließlich nehmend neue invasive Stechmückenar- haben (s. unten). in Afrika und Asien übertragen. In den ten beobachtet, und erste Untersuchun- Neben unterschiedlichen morpho- letzten 10 Jahren hat sich die Situation zu- gen zeigen, dass hier bisher in heimischen logischen Merkmalen besitzen die ver- nehmend verändert. Neuerdings können Stechmücken wenig bekannte Krank- schiedenen Gattungen vielfältige biolo- sie auch in Europa erworben werden und heitserreger gefunden werden. gische Besonderheiten. Die Unterschie- haben bereits zu kleineren Epidemien de reichen vom Eiablageverhalten über von West-Nil- und Chikungunya-Fieber Stechmücken in Deutschland Präferenzen hinsichtlich der Gewässer- geführt [1, 2, 3, 4, 5]. Auch autochthone beschaffenheit der Larvenbiotope bis hin DENV-Infektionen wurden aus verschie- Die Familie der Culicidae gliedert sich zum Flug-, Stech- und Überwinterungs- denen Ländern Europas berichtet [5, 6]. in 2 Unterfamilien, die beide eine me- verhalten sowie den Wirtspräferenzen Selbst die Malaria tertiana, die in Euro- dizinische Relevanz besitzen. So sind der blutsaugenden Weibchen (. Tab. 1). pa seit den 1960er-Jahren des letzten Jahr- für die Übertragung der Malariaparasi- So können beispielsweise die Larven von hunderts als ausgerottet galt, ist 2011 in ten des Menschen ausschließlich Arten Aedes/Ochlerotatus in der Eihülle längere Griechenland wieder aufgetaucht und hat der Gattung Anopheles aus der Unterfa- Trocken- und Winterphasen, z. T. meh- zu zahlreichen Erkrankungen geführt [7]. milie ­Anophelinae verantwortlich, die rere Jahre, überdauern. Daher nutzen sie Zwei Gründe sind vornehmlich für die- auch Gabel- oder Fiebermücken genannt meist temporäre, über längere Zeiträu- se Veränderungen verantwortlich. Auf- werden. Von ihnen sind in Deutsch- me im Jahr trockenliegende Brutgewäs- grund der globalen Zunahme exotischer land 7 Arten bekannt. Demgegenüber ser. Einige Arten, wie z. B. Oc. geniculatus

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Tab. 1 In Deutschland nachgewiesene Stechmückenarten und ihre wichtigsten biologischen Eigenschaften Art Bionomie Wirtspräferenz Art Bionomie Wirtspräferenz 1 Aedes Tagaktiv, urbaner Behälterbrüter Mammalo- und 26 Culiseta Selten Zoophil albopictusb anthropophil ochroptera 2 Aedes Tagaktiv, Waldmücke, exophil Mammalo- und 27 Culiseta Wie annulata? Mammalophil cinereus anthropophil subochrea 3 Aedes Tagaktiv, Waldmücke, exophil Mammalo- und 28 Ochlerotatus Tagaktiv, Frühjahrsart Mammalo- und geminus anthropophil annulipes anthropophil 4 Aedes Tagaktiv, Waldmücke, exophil Mammalophil 29 Ochlerotatus Tagaktiv, Frühjahrs-Waldmücke, Mammalo- und rossicus cantans exophil anthropophil 5 Aedes Tagaktiv, Überschwemmungsmü- Mammalo- und 30 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Mammalo- und vexans cke, exophil anthropophil caspius halophil, exophil anthropophil 6 Anopheles Dämmerungsaktiv, selten, exophil Mammalophil 31 Ochlerotatus Tagaktiv, Frühjahrswaldmücke, Mammalo- und algeriensis cataphylla exophil anthropophil 7 Anopheles Dämmerungsaktiv, halophil, endo- Mammalo- und 32 Ochlerotatus Tagaktiv, Frühjahrswaldmücke, Mammalo- und atroparvus phil, stenogam anthropophil communis exophil anthropophil 8 Anopheles Exophil Zoophil 33 Ochlerotatus Tagaktiv, Frühjahrsart Anthropophil claviger cyprius 9 Anopheles Wie messeae ? 34 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Anthropophil daciae detritus halophil 10 Anopheles Montane Art, Binnenmücke, endo- Zoophil 35 Ochlerotatus Moorwaldmücke Mammalo- und maculipennis phil, eurygam diantaeus anthropophil 11 Anopheles Binnenmücke, endophil, eurygam Zoophil 36 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Anthropophil messeae dorsalis halophil 12 Anopheles Dämmerungsaktiv, Waldmücke, Mammalo- und 37 Ochlerotatus Tagaktiv, Wiesenmücke Mammalo- und plumbeus Baumhöhlenbrüter, exophil, eu- anthropophil excrucians anthropophil rygam 13 Coquillettidia Dämmerungsaktiv, exophil Mammalo- und 38 Ochlerotatus Dämmerungsaktiv, Wiesenmü- Mammalo- und richiardii anthropophil flavescens cke, z. T. halophil anthropophil 14 Culex Mediterrane Art, nachtaktiv Zoophil 39 Ochlerotatus Tag- u. dämmerungsaktiv, Wald- Mammalo- und hortensis geniculatus mücke, Baumhöhlenbrüter, anthropophil exophil 15 Culex Mediterrane Art Zoophil 40 Ochlerotatus Frühjahrsart Mammalo- und martinii intrudens anthropophil 16 Culex Tagaktiv, exophil Mammalo- und 41 Ochlerotatus Tagaktiv, Behälterbrüter Mammalo- und modestus anthropophil japonicusa anthropophil 17 Culex Biotyp pipiens: nachtaktiv, eurygam Ornithophil 42 Ochlerotatus Frühjahrsart, Wiesenmücke, z. T. Mammalo- und pipiens Biotyp molestus: nachtaktiv, ste- Mammalo- und leucomelas halophil anthropophil nogam anthropophil 18 Culex Exophil Zoophil 43 Ochlerotatus Wiesen- und Überschwem- ? territans (Amphibien) nigrinus mungsmücke 19 Culex Nachtaktiv, eurygam Ornithophil 44 Ochlerotatus Tagaktiv, Moorart Zoophil torrentium pullatus 20 Culiseta Tagaktiv, Waldmücke Mammalo- und 45 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Mammalo- und alascaensis anthropophil punctor Moor-, Bruchwaldart anthropophil 21 Culiseta Tag- und nachtaktiv, endo- und Mammalo- und 46 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Mammalo- und annulata exophil anthropophil refiki Frühjahrsart, selten anthropophil 22 Culiseta Wie morsitans? Wie morsitans? 47 Ochlerotatus Waldmücke, selten ? fumipennis riparius 23 Culiseta gla- Montane Art Zoophil 48 Ochlerotatus Frühjahrsart Anthropophil phyroptera rusticus 24 Culiseta lon- Mediterrane Art Zoophil 49 Ochlerotatus Tag- und dämmerungsaktiv, Anthropophil giareolataa sticticus Überschwemmungsmücke 25 Culiseta Nachtaktiv Ornithophil 50 Uranotaenia Mediterrane Art, nachtaktiv? Zoophil? morsitans unguiculataa aInvasive Art (Neozoon). bBislang keine bestätigte Etablierung, aber kontinuierliche Einschleppung.

532 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract oder Oc. japonicus, haben sich zudem auf Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:531–540 DOI 10.1007/s00103-013-1918-8 ungewöhnliche Brutplätze wie wasserge- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 füllte Baumhöhlen, Blattachseln, aber N. Becker · A. Krüger · C. Kuhn · A. Plenge-Bönig · S.M. Thomas · J. Schmidt-Chanasit · E. Tan- auch Blumenvasen oder andere künst- nich liche Kleinstgewässer spezialisiert. Die Stechmücken als Überträger exotischer Adulten der Aedes/Ochlerotatus-Arten Krankheitserreger in Deutschland sind meist tag- oder dämmerungsaktiv und repräsentieren in der nördlichen He- Zusammenfassung Infolge der immer ausgeprägteren Globa- Arboviren könnte zusätzlich unterstützt wer- misphäre die wichtigsten Plageerreger, da lisierung im internationalen Warenhandel den durch das verstärkte Vorkommen neuer viele Arten, wie z. B. Ae. vexans, Oc. sticti- und der hohen Reisetätigkeit der Bevölke- sog. invasiver Stechmückenarten wie dem Ja- cus oder Oc. cantans, auch am Menschen rung gewinnen exotische Krankheitserre- panischen Buschmoskito Ochlerotatus japoni- Blut saugen. Demgegenüber zeigen die ger, die durch Stechmücken übertragen wer- cus oder der Asiatischen Tigermücke Aedes al- meisten Culex- und Culiseta-Arten kla- den, in Europa zunehmend an Bedeutung. bopictus, die hohe Vektorkompetenz für ver- re Präferenzen für tierische Wirte, vor al- In Deutschland kommen etwa 50 verschie- schiedene Pathogene besitzen und gleichzei- dene Stechmückenarten vor, von denen et- tig den Menschen als bevorzugte Blutquelle lem für Vögel, wobei die Mückenweib- liche Vektorkompetenz für Pathogene besit- nutzen. Um diesen Entwicklungen zu begeg- chen vorwiegend nachtaktiv sind. zen. So wurden in den letzten Jahren bereits nen und Risikoabschätzungen vornehmen zu Außerdem bevorzugen ihre Lar- verschiedene zoonotische Arboviren mit hu- können, wurden in den vergangenen Jahren ven semipermanente oder permanen- manpathogener Bedeutung in Stechmücken in Deutschland verschiedene Projekte zur Er- te Kleingewässer von unterschiedlicher aus Deutschland nachgewiesen, darunter fassung von Stechmücken und ihrer Patho- Usutu-, Sindbis- und Batai-Viren. Auch Fila- gene initiiert. Gleichzeitig müssen Bekämp- Wasserqualität. Teilweise nutzen auch rien wie der Hundehautwurm Dirofilaria re- fungsstrategien und Handlungsanweisungen sie anthropogen erzeugte, peridomesti- pens wurden wiederholt in Stechmücken aus erarbeitet werden, um möglichen Vektor-as- sche Brutstätten wie Regentonnen oder Brandenburg gefunden. Mit dem Auftreten soziierten Epidemien frühzeitig und effizient Gartenteiche. Einige Arten überwintern weiterer Erreger, insbesondere dem West-Nil- entgegenwirken zu können. im Adultstadium (z. B. Cx. pipiens s.l., Virus, muss in absehbarer Zeit in Deutschland Cs. annulata), andere als Larven (z. B. gerechnet werden, da es bereits in den Nach- Schlüsselwörter barländern Frankreich, Österreich und Tsche- Stechmücken · Vektoren · Arboviren · Vektor- Cs. morsitans). Die heimischen Anophe- chien zirkuliert. Die Übertragung exotischer übertragene Krankheiten les-Arten findet man dagegen überwie- gend in natürlichen oder ländlichen Be- reichen mit offenen Tümpeln oder Grä- Mosquitoes as vectors for exotic pathogens in Germany ben und hoher Gewässergüte. Eine Aus- nahme stellt An. plumbeus dar, deren Abstract As a result of intensified globalization of in- crease in Germany due to increased occur- Larven in wassergefüllten Baumhöhlen, ternational trade and of substantial travel ac- rence of new so-called “invasive” mosqui- aber auch in ungenutzten Jauchegruben tivities, mosquito-borne exotic pathogens are to species, such as the Asian bush mosquito zu finden sind. Die Wirtspräferenz der becoming an increasing threat for Europe. In ­Ochlerotatus ­japonicus or the Asian tiger mos- Anopheles-Weibchen liegt bei großen Germany some 50 different mosquito spe- quito Aedes albopictus. These invasive species Säugern, insbesondere Weidetieren, z. T. cies are known, several of which have vector are characterized by high vector competence aber auch beim Menschen. Einige Arten competence for pathogens. During the last for a broad range of pathogens and a prefer- few years a number of zoonotic arbovirus- ence for human blood meals. For risk assess- überwintern als Adulte (An.-maculipen- es that are pathogenic for humans have been ment, a number of mosquito and pathogen nis-Komplex), andere als Larven (z. B. isolated from mosquitoes in Germany includ- surveillance projects have been initiated in An. claviger, An. plumbeus). ing Usutu, Sindbis and Batai viruses. In addi- Germany during the last few years; however, tion, filarial worms, such as Dirofilaria repens mosquito control strategies and plans of ac- Neue invasive Stechmücken- have been repeatedly detected in mosqui- tion have to be developed and put into place toes from the federal state of Brandenburg. to allow early and efficient action against arten – Wege des Eintrags Other pathogens, in particular West Nile vi- possible vector-borne epidemics. und Möglichkeiten rus, are expected to emerge sooner or later der Etablierung in Germany as the virus is already circulating Keywords in neighboring countries, e.g. France, Austria Mosquitoes · Vectors · Arboviruses · Vector- Im Zuge von Stechmücken-Monitoring- and the Czech Republic. In upcoming years borne diseases oder -Surveillance-Programmen werden the risk for arbovirus transmission might in- gelegentlich neue Arten in Deutschland gefunden. Bei diesen sog. Neozoen han- delt es sich zum Teil um mediterrane Ar- sitzen sie relevante Vektorkompetenz für wohl diese Stechmückenarten bisher in ten wie Culiseta longiareolata oder Urano- humanpathogene Krankheitserreger. Im Deutschland noch nicht nachgewiesen taenia unguiculatus, die mitunter bis nach Gegensatz dazu, besitzen Oc. koreicus, wurden, müssen sie als potenziell invasi- Süddeutschland vordringen. Beide sind Oc. atropalpus und Ae. aegypti eine aus- ve Arten betrachtet werden, da sie in den jedoch weder für ein besonders aggressi- gesprochen hohe Vektorkompetenz für letzten Jahren nicht nur auf Madeira und ves Blutsaugverhalten bekannt, noch be- eine Reihe humanpathogener Viren. Ob- in Italien, sondern auch in den Nachbar-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 533 Leitthema

Asiens, in Albanien gefunden [11]. Seit- dem verlängert sich die Liste der Län- der, in der diese Mücke zu finden ist, na- hezu jährlich, nachdem sie zunächst in Südamerika, der Karibik, dem Pazifik und vor allem in Nordamerika heimisch wurde. Erstaunlich wenige Beobachtun- gen gibt es bislang aus Afrika. Dennoch gehört Ae. albopictus zu den „100 of the World’s Worst Invasive Alien Species“. Eine Etablierung in Europa ist seit der Einschleppung nach Italien ab etwa 1990 zu beobachten. Die Ursachen für die Ausbreitungs- welle liegen größtenteils in der Biologie der Tigermücke. Ae. albopictus ist ein Be- hälterbrüter, d. h., die Larven leben nicht in offenen Wasserstellen wie die von ­Culex- oder Anopheles-Mücken, sondern in wassergefüllten Hohlräumen jeglicher Art. Die Tigermücke hat sich insbesonde- re über den interkontinentalen Altreifen- handel sowie in neuerer Zeit mittels sog. „Lucky Bamboo“ (Dracaena sp.) -Exporte aus Asien verbreitet. Die Verschleppung findet in der Regel als Larve, Puppe oder als Ei statt. Aedes-Weibchen legen ihre Eier – im Unterschied zu anderen Mü- cken – nicht auf der Wasseroberfläche, sondern am Rand potenzieller Gewässer oder Behälter ab. Da die Eier zur Embry- Abb. 1 8 Gebiete in Deutschland, die klimatisch zur Etablierung von Aedes albopictus geeignet wären. onalentwicklung eine Trockenphase be- Statistisch basiertes Modell, A1B-Szenario für den Zeitraum 2011 bis 2040, verändert nach [16]. Die kli- matische Eignung kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen, dabei verweisen höhere Werte auf klima- nötigen, die sich über eine Zeitspanne tisch geeignete Bedingungen, Werte nahe null auf ungeeignete von mehreren Monaten erstrecken kann, sind für das Überdauern längere Trans- portwege, wie z. B. Schiffspassagen, op- ländern Belgien und den Niederlanden Oc. japonicus aus Frankreich und den timale Voraussetzungen. Eine weite- wiederholt nachgewiesen wurden [8]. Niederlanden berichtet. In Deutschland re Überdauerungsstrategie, die eine Be- Als neue invasive Arten mit hohem hat sich die Art seit 2008 von der Nord- siedlung gemäßigter Breiten ermöglicht, Vektorpotenzial gelten in Deutschland schweiz ausgehend zunächst in Baden- ist die Überwinterung (Hibernation) des momentan der Japanische Buschmos- Württemberg nahezu flächendeckend Eistadiums in der Diapause. quito Ochlerotatus japonicus [= Aedes ausgebreitet und kann mittlerweile als In Deutschland wurde die Asiatische (Finlaya) japonicus japonicus bzw. Hule- fest etabliert angesehen werden [9]. Seit Tigermücke seit 2007 mehrfach in Ba- coeteomyia japonica] und die Asiatische 2012 wurden dann auch stabile Popula- den-Württemberg und seit 2012 wie- Tigermücke Ae. albopictus (= Stegomyia tionen in Nordrhein-Westfalen und Nie- derholt auch im südlichen Bayern ent- albopicta). Beide Arten stammen ur- dersachsen beobachtet [10]. Aufgrund lang bestimmter Autobahnen gefunden sprünglich aus Asien, wobei Ae. albopic- der schnellen Ausbreitung über mehre- [12, 13, 14]. Über eine lokale Etablierung tus vor allem in warmen Gegenden behei- re entfernte Bundesländer innerhalb von von Ae. albopictus lassen sich gegenwär- matet ist, während Oc. japonicus nördli- 5 Jahren und ihrer starken Vermehrung tig noch keine abschließenden Aussagen chere Regionen in Japan und Korea besie- bei geringen klimatischen Ansprüchen, treffen. Offensichtlich ist eine vor allem delt. Im Zuge des internationalen Waren- muss davon ausgegangen werden, dass in den Sommermonaten kontinuierlich handels wurden beide Arten in den letz- sich Oc. japonicus in den nächsten Jahren stattfindende Einschleppung über die aus ten Jahrzehnten über weite Teile der Welt bundesweit in allen Gebieten mit entspre- Südeuropa kommenden Landverkehrs- verbreitet. chendem Baumbestand etablieren wird. routen. In diesem Zusammenhang stellt In Europa wurde Anfang dieses Jahr- Die Asiatische Tigermücke Ae. albo- sich die Frage, unter welchen Umständen tausends erstmals über Einzelfunde von pictus wurde erstmals 1979 außerhalb der regelmäßige Eintrag neuer Stechmü-

534 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Tab. 2 Laufende Projekte zur Erfassung der in Deutschland vorkommenden Stechmücken- Dazu zählen zum einen die Erfassung der arten sowie der durch sie übertragbaren Krankheitserreger einheimischen Stechmückenfauna sowie Titel Durchführende Institution Fördernde Institution und Untersuchungen zum Erregernachweis Förderzeitraum und zur Vektorkompetenz für exotische Vorkommen und Vektorkom- Bernhard-Nocht-Institut für Leibniz-Gemeinschaft Pathogene. Aber auch der Eintrag und petenz von Stechmücken als Tropenmedizin (BNITM), 2011–2014 die Etablierung exotischer Arten, ausge- Überträger von Arboviren in Senckenberg Deutsches En- löst durch den internationalen Reise- und Deutschland tomologisches Institut (SDEI), Warenverkehr, stellen in diesem Zusam- Kommunale Aktionsgemein- schaft zur Bekämpfung der menhang ein Risiko dar, das derzeit nicht Schnakenplage e.V. (KABS) genau abschätzbar ist. Monitoring der einheimischen Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), Robert Koch-Institut (RKI) Regional werden seit Jahren Daten zur Stechmückenfauna (Diptera, Leibniz-Zentrum für Agrarland- 2011–2014 einheimischen Stechmückenfauna erho- Culicidae) und Testung poten- schaftsforschung (ZALF) ben, auch in Kombination mit Untersu- zieller Vektorarten auf human- chungen zum Erregernachweis in Mü- pathogene Viren cken und humanen Proben. Seit dem Jahr Abschätzung des Vektorspek- ZALF Bundesministerium für Er- 2009 untersucht das Deutsche Arbovi- trums für die Übertragung/ nährung und Landwirtschaft Verbreitung von West-Nil-Virus (BMEL) rus-Surveillance-Programm (DASP), in- (WNV) und Rifttal-Fieber-Virus 2011–2014 itiiert durch eine bilaterale Kooperation (RVFV) des Bernhard-Nocht-Institutes (BNITM) Auswirkungen des Klimawan- BNITM und weitere 9 Partner Bundesministerium für Um- und der Kommunalen Arbeitsgemein- dels auf die Verbreitung Krank- welt, Naturschutz, Bau und schaft zur Bekämpfung der Schnakenpla- heitserreger übertragender Reaktorsicherheit (BMUB) ge e.V. (KABS), Stechmücken und huma- Tiere: Importwege und Etablie- 2011–2014 rung invasiver Stechmücken in ne Proben aus Deutschland auf Arboviren Deutschland und andere Pathogene [18, 19, 20]. Ergän- zend dazu, erfolgt seit dem Jahr 2011 eine systematische bundesweite Bestandsauf- ckenarten zu einer langfristigen Etablie- Aussagen zur künftig wahrschein- nahme von Stechmücken in diversen Pro- rung führen kann. Stechmücken sind ek- lichen Entwicklung werden durch die jekten, die durch staatliche Institutionen totherm, d. h., ihre Körpertemperatur ist Übertragung der ökologischen Nische wie das Robert Koch-Institut (RKI) und vollständig von der Umwelt abhängig und mittels räumlich und zeitlich differen- das Bundesministerium für Ernährung wird nicht von ihrem Stoffwechsel beein- zierter regionaler Klimamodelle auf die und Landwirtschaft (BMEL) sowie durch flusst; daher spielt die Umgebungstem- künftig zu erwartende Klimaentwick- die Leibniz-Gemeinschaft gefördert wer- peratur im Lebenszyklus der Stechmü- lung ermöglicht [15]. So können Progno- den (. Tab. 2). Neben dem reinen Mo- cke eine große Rolle. Hinzu kommt der sen zur künftigen Verbreitung eines Vek- nitoring werden auch hier Untersuchun- Einfluss des Niederschlags, der das Vor- tors abgeleitet werden. Für Aedes albopic- gen zur Pathogendiagnostik sowie zur handensein von Brutplätzen bestimmen tus sind aktuell bereits der Oberrhein und Vektorkompetenz für verschiedene Ar- kann, wobei der menschliche Einfluss das Kraichgau als klimatisch gut geeignet boviren unternommen. Im Rahmen die- durch künstlich geschaffene Brutplätze einzustufen, bis Mitte des Jahrhunderts ser Projekte ist eine am Friedrich-Loeff- nicht unterschätzt werden darf. auch das Allgäu, der Chiemgau und das ler-Institut (FLI) angesiedelte Datenbank Die einzelnen Arten weisen jedoch in- Niederrheinische Tiefland mit der Köl- eingerichtet worden, in der entsprechen- dividuelle Ansprüche an ihre abiotische ner Bucht (. Abb. 1 und [16]). Unter- de Daten von Forschungsgruppen zent- Umwelt auf, die aus ihrer bisherigen Ver- stützt werden die Modellierungen durch ral erfasst werden können. Unabhängig breitung sowie aus Experimenten abge- experimentelle Ansätze, wie z. B. die Be- davon, ist auch die Öffentlichkeit im Zu- leitet werden können. Diese artspezifi- stimmung der Minimumtemperatur für sammenhang mit einem sog. Mückenat- schen ökologischen Informationen wer- das Überleben von Embryonen im Mü- lasprojekt zum Sammeln von Stechmü- den mithilfe korrelativer Modelle mit den ckenei nach verschiedenen Kältebehand- cken aufgefordert worden [21]. In einem zu untersuchenden räumlichen Gegeben- lungen [17]. vom Bundesministerium für Umwelt, heiten und den aktuellen oder künftig zu Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit erwartenden Klimaverhältnissen in Ver- Aktuelle Monitoring- und (BMUB) geförderten FuE-Vorhaben wer- bindung gebracht. Die Ermittlung bevor- Surveillance-Programme den die Einschleppungswege und Etablie- zugter ökologischer Nischen einer Stech- rungsmöglichkeiten exotischer Stechmü- mückenart ermöglicht es dann, Risikoge- Eine konkrete Risikoabschätzung der von cken hingegen gezielt untersucht. Auf- biete für eine Etablierung der jeweiligen Stechmücken in Deutschland ausgehen- grund von Funden (wie z. B. von Ae. al- Art aufzuzeigen und darüber hinaus die den Gefahr für die menschliche und tieri- bopictus) werden hier Brutstätten vor Ort zu erwartende zeitliche Entwicklung die- sche Gesundheit bedarf langfristiger Mo- beseitigt, um einer Ansiedelung der In- ser Risikogebiete darzustellen. nitoring- und Surveillance-Maßnahmen. sekten frühzeitig entgegenzuwirken.

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 535 Leitthema

Tab. 3 In einheimischen Stechmücken nachgewiesene humanpathogene Viren und Filarien Virus/Filarie Erregerfamilie Nachweise in Nachweise in folgenden Stech- Krankheit Inkubationszeit Diagnostik: Krank- Deutschland mückenspezies aus Deutsch- heitswoche (KW)/ land Parameter/Material Tahyna-Virus Bunyaviridae 1968 Aedes vexans Valtice-Fieber 5 bis 15 Tage Ab 1. KW/IgG und IgM/ 1981 Serum 1995 Batai-Virus Bunyaviridae 2009 Culex pipiens Batai-Fieber 5 bis 15 Tage Ab 1. KW/IgG und IgM/ 2012 Culex torrentium Serum Culiseta annulata Anopheles maculipennis s.l. Sindbis-Virus Togaviridae 2009 Culex pipiens Ockelbo-Krankheit 2 bis 18 Tage Ab 2. KW/IgG und IgM/ 2012 Culex torrentium Pogosta-Krankheit Serum Anopheles maculipennis s.l. Karelisches Fieber Usutu-Virus Flaviviridae 2010 Culex pipiens Usutu-Fieber 5 bis 15 Tage 1. KW/RNA/Serum, Li- 2011 Culex torrentium quor, ab 2. KW/IgG und 2012 Culex modestus IgM/Serum 2013 Ochlerotatus cantans Aedes vexans Anopheles maculipennis s.l. Anopheles claviger Dirofilaria Onchocercidae 2011 Culiseta annulata Kutane Dirofilariose 6 bis 10 Wochen Mikroskopische und repens 2012 Aedes vexans molekulare Analyse ex- 2013 Anopheles maculipennis s.l. stirpierter Würmer aus Haut und Augen

Anhand der ermittelten Daten aller Usutu-Virus. Bei den nachgewiesenen 2009 kam es dann in Italien bei 2 im- derzeit durchgeführten Monitoring- und Viren (. Tab. 3) handelt es sich um zoo- mungeschwächten Patienten zu schwe- Surveillance-Programme sollen eine Be- notische Krankheitserreger, von denen ren ZNS-Infektionen mit dem USUV standsaufnahme der in Deutschland auf- insbesondere das Usutu-Virus (USUV) [23]. Im Rahmen des DASP wurde das tretenden Stechmücken sowie eine sich in den letzten beiden Jahren von Bedeu- USUV erstmalig im Jahr 2010 in Stech- daraus ergebende Risikoanalyse erfolgen. tung war, da es sich relativ schnell ausge- mücken aus Südwestdeutschland nach- Trotz unterschiedlicher Hintergründe der breitet hat und als Modellfall für das Auf- gewiesen [19]. Im Spätsommer des Jah- Projekte hinsichtlich ihrer human- bzw. treten neuer Erreger angesehen werden res 2011 verursachte es dann in Südwest- veterinärmedizinischen Bedeutung sind kann. Das USUV wurde erstmals 1959 in deutschland eine Epizootie unter Wild- die Daten aufgrund des zoonotischen Südafrika am Grenzfluss zu Mosambik vögeln, der u. a. mehr als 100.000 Am- Potenzials bestimmter Erreger [z. B. (Great Usutu River) aus Culex-­neavei- seln zum Opfer fielen [25]. Aufgrund der WNV, Rifttalfieber-Virus (RVFV)] nicht Stechmücken isoliert [22]. Es ist ein Fla- Vorbefunde des DASP aus dem Jahr 2010 voneinander getrennt zu betrachten. Al- vivirus und eng mit dem West-Nil-Vi- konnte die humanmedizinische Relevanz lerdings ist davon auszugehen, dass es rus verwandt. Bis zum Jahr 1996 wurde des USUV für die Bevölkerung in Süd- über den derzeitigen Förderungszeitraum das USUV nur aus Vögeln und Stechmü- westdeutschland in Kooperation mit den hinaus weiterer Datenaufnahmen bedarf, cken im südlichen und westlichen Afri- Blutspendediensten zeitnah untersucht um eine angepasste Risikobewertung für ka isoliert [23]. Hinweise auf seine ve- werden: USUV-spezifische IgM- und Deutschland erstellen zu können. terinär- oder humanmedizinische Be- IgG-Antikörper wurden bei einem von deutung gab es nicht, bis im Spätsom- 4200 untersuchten asymp­tomatischen Mit welchen exotischen mer 1996 in der Toskana mehrere Am- Blutspendern aus Südwestdeutschland Krankheitserregern seln an einer USUV-Infektion verstar- nachgewiesen [20]. Der Blutspender hat- ist zu rechnen ben [24]. Beginnend im Jahr 2001, verur- te somit eine asymptomatische USUV- sachte das USUV in Österreich Epizoo- Infektion im Spätsommer 2011 durchge- In den vergangenen 5 Jahren wurden im tien, denen sowohl Wildvögel als auch ge- macht [20]. Zu einer transfusionsbeding- Rahmen des DASP über 350.00 Stech- käfigte Vögel zum Opfer fielen [23]. Ins- ten Übertragung des USUV ist es dabei mücken aus unterschiedlichen Teilen besondere Amseln waren von der Infek- nicht gekommen [20]. Momentan ist die der Bundesrepublik auf Krankheitserre- tion betroffen, und in manchen Gebieten humanmedizinische Relevanz des USUV ger untersucht. Dabei wurden sowohl hu- Österreichs gingen die Amselpopulatio- für die Bevölkerung in Südwestdeutsch- manpathogene Viren als auch humanpa- nen um bis zu 89% zurück [23]. In den land eher als gering einzuschätzen. thogene Filarien nachgewiesen. Folgejahren verursachte das USUV auch in Italien, der Schweiz und Ungarn lo- Sindbis-Virus. Ein weiteres durch Stech- kal begrenzte Vogelsterben [23]. Im Jahr mücken übertragenes Virus, das insbe-

536 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 sondere in Skandinavien eine große hu- West-Nil-Virus. Neben diesen bereits zeigen sich meist nur wandernde Schwel- manmedizinische Relevanz besitzt, ist das nachgewiesenen Viren muss in Zukunft lungen und Knotenbildung an der Haut, Sindbis-Virus (SINV). Es wurde erstmals mit weiteren Arboviren in Deutschland oder man findet prämature Parasitensta- 1952 in Sindbis, einem Vorort von Kairo, gerechnet werden. Insbesondere das dien am Auge. Bei hoher Infektionslast Ägypten, aus Culex-sp.-Stechmücken iso- WNV hat bereits in vielen Ländern Euro- mit Entwicklung zur Geschlechtsreife liert [26]. Das SINV gehört zur Familie pas, seit den 1960er-Jahren Epidemien und Mikrofilarienbildung können beim Togaviridae und ist eng mit dem CHIKV hervorgerufen. Es hat im Vergleich zu Menschen in seltenen Einzelfällen aber verwandt. Humane Infektionen mit dem anderen Stechmücken-übertragenen Pa- auch generalisierte Krankheitsbilder bis SINV können zu Fieber, Hautausschlag thogenen momentan die größte human- hin zu eosinophilen Meningoenzephali- und lang anhaltenden Gelenkschmer- medizinische Bedeutung für die europäi- tiden entstehen [42]. Aktuelle Untersu- zen führen. Seit Beginn der 1980er-Jah- sche Bevölkerung [31]. Das WNV ist ein chungen aus tiermedizinischen Praxen re ist es zu mehreren SINV-Epidemien Flavivirus und eng mit dem USUV ver- in Brandenburg haben bei Hunden eine in Finnland und Schweden gekommen. wandt. Es wurde erstmals 1937 in Uganda relativ hohe Durchseuchung mit D. re- Das SINV konnte in Südwestdeutsch- aus dem Blut einer Frau isoliert [32]. Die pens von 10% ergeben [43], sodass mit land im Rahmen des DASP in den Jah- erste dokumentierte Epidemie fand sich einer weiteren Ausbreitung der Infektion ren 2009 und 2012 in Stechmücken nach- 1950 in Israel. Das WNV gilt als ein Pa- zu rechnen ist. Autochthone, in Deutsch- gewiesen werden [18]. Die humanmedi- radebeispiel für ein „emerging virus“. So land erworbene Infektionen mit D. repens zinische Relevanz des SINV für die Be- trat es 1999 erstmals in Nordamerika auf. beim Menschen wurden aber bisher noch völkerung in Südwestdeutschland wur- Es hat sich dort nahezu flächendeckend nicht beschrieben. de in Zusammenarbeit mit den lokalen ausgebreitet und bis 2010 zu 1,8 Mio. In- Gesundheitsbehörden und Blutspende- fektionen beim Menschen mit mehr als Plasmodien. Eine weitere Vektor-be- diensten untersucht: SINV-spezifische 1300 Todesfällen geführt [33]. Das WNV dingte Parasitose von globaler Bedeutung IgG-Antikörper wurden bei 4 von 3389 wurde trotz umfangreicher Surveillance- ist die Malaria. Regelmäßig wird speku- untersuchten asymptomatischen Blut- Programme bisher in Deutschland noch liert, ob diese Erkrankung durch Klima- spendern aus Deutschland nachgewiesen nicht nachgewiesen [31, 34, 35, 36]. Den- veränderungen nach Deutschland zu- [27]. Proben von 355 Patienten, bei denen noch muss hier in Zukunft mit autoch- rückkehren könnte. Auch wenn hier ge- klinisch der Verdacht auf eine SINV-In- thonen WNV-Infektionen gerechnet eignete Vektoren wie An. atroparvus oder fektion bestand, wurden hingegen nega- werden, da das Virus in den Nachbarlän- An. plumbeus vorhanden sind, halten Ex- tiv auf SINV-spezifische Antikörper und dern Frankreich, Österreich und Tsche- perten das endemische Wiederauftreten Nukleinsäure getestet [27]. Die human- chien bereits zirkuliert [31] und regelmä- der Malaria in Deutschland für sehr un- medizinische Relevanz des SINV für die ßig durch Reisende aus Endemiegebieten wahrscheinlich, insbesondere, da für eine Bevölkerung in Südwestdeutschland ist nach Deutschland importiert wird [37, stabile Übertragung eine ausreichend daher momentan ebenfalls eher als ge- 38]. Darüber hinaus sind hier kompetente große Zahl an chronisch infizierten Per- ring einzuschätzen. Stechmückenvektoren für das WNV wie sonen vorhanden sein muss. Plasmodien- Culex- und Aedes-Arten weit verbreitet. arten, die eine Malaria beim Menschen Tahyna- und Batai-Virus. Zwei weitere auslösen können, sind humanspezifisch Viren, die in Stechmücken aus Deutsch- Hundehautwurm. Bei den Untersu- und können ausschließlich Menschen land nachgewiesen wurden, sind das Ta- chungen von Stechmücken auf humanpa- und einige Menschenaffenarten infizie- hyna-Virus (TAHV) und das Batai-Virus thogene Parasiten wurde in Brandenburg ren. Reisende, die sich im Ausland mit (BATV) [28, 29]. Das TAHV war das ers- wiederholt Dirofilaria repens nachgewie- Plasmodien infizieren, erkranken in der te Virus, das in Europa – unter anderem sen [39]. Diese auch als Hundehautwurm Regel bereits kurz nach ihrer Rückkehr, auch in Deutschland – in Stechmücken bekannte Filarienart ist endemisch in werden dann umgehend antiparasitär be- nachgewiesen wurde [28, 30]. Das TAHV Süd- und Osteuropa sowie in vielen Län- handelt und stehen daher für die weitere und das BATV gehören zur Familie Bu- dern Afrikas und Asiens und wird durch Übertragung nicht zur Verfügung. Darü- nyaviridae, und Infektionen mit diesen verschiedene Stechmückenarten über- ber hinaus sind bei den zu erwartenden Viren können beim Menschen eine Som- tragen [40, 41]. Ihr Hauptreservoir sind Temperaturerhöhungen um einige Gra- mergrippe hervorrufen. Die bisher er- Hunde, aber auch wildlebende Carnivo- de die notwendigen klimatischen Bedin- mittelten TAHV- und BATV-Infektions- ren wie Marder oder Füchse. Infizierte gungen für die Entwicklung der Parasi- raten in der Stechmückenpopulation in Hunde sind oft symptomlos, können aber ten in den Stechmücken weiterhin subop- Deutschland sind sehr niedrig [29]. So- im Einzelfall unterschiedliche Hautaffek- timal, sodass sich infektiöse Sporozoiten mit ist die humanmedizinische Relevanz tionen zeigen. Der Mensch kann als Fehl- nur an sehr wenigen Tagen im Jahr entwi- der beiden Viren für die Bevölkerung in wirt akzidentell über Stechmücken infi- ckeln können. Dies gilt insbesondere für Deutschland momentan auch eher als ge- ziert werden. Da sich die Würmer nach die wichtigste und für den Menschen ge- ring einzuschätzen. Übertragung auf den Menschen in der fährlichste Parasitenart Plasmodium fal- Regel nicht zur Geschlechtsreife entwi- ciparum. ckeln und im Verlauf spontan absterben,

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 537 Leitthema

Möglichkeiten der Prävention Die Bakterien werden in Fermentern ge- die Ermittlung der Infektionsquelle, die und der Vektorkontrolle züchtet, die gebildeten Eiweißkristalle Identifizierung und Eindämmung von isoliert und zu einem Puder- oder Flüs- Ausbrüchen, die Prävention weiterer In- Wegen ihrer Bedeutung als Vektoren sigkonzentrat verarbeitet. Diese Pro- fektionen und die Bereitstellung von Ver- für pathogene Mikroorganismen und dukte werden seit mehr als 30 Jahren haltensempfehlungen. Daneben hat der ihres teilweise hohen Belästigungspoten- erfolgreich am Oberrhein vorwiegend ÖGD kritische Funktionen in der Ge- zials werden Stechmücken zeitweise be- gegen Überschwemmungsmücken (z. B. fährdungsbewertung, der Koordination kämpft, insbesondere bei hoher Mücken- Ae. ­vexans oder Oc. sticticus), aber auch der Gesamtmaßnahmen und der Amts- dichte in bewohnten Gebieten. Die wich- gegen Culex- und Anopheles-Arten ein- hilfe sowie in der Übermittlung von In- tigsten Methoden zur Bekämpfung kann gesetzt. Das Bti-Präparat kann in Sus- formationen, insbesondere im Rahmen man wie folgt einteilen: pension oder gebunden an Eiskristallen der Risikokommunikation. z. T. mit Hubschraubern großflächig aus- Die Europäischen Staaten sind Länder Umweltsanierung. Eine Umweltsanie- gebracht werden. Nach Aufnahme durch mit sehr hoher Reiseaktivität und inter- rung beinhaltet die Beseitigung oder die Mückenlarven bindet das Polypeptid nationaler Migration, beides mit der Fol- Manipulation von künstlichen und na- an Stechmücken-spezifische Rezeptoren ge zunehmender Importe exotischer Er- türlichen Brutstätten, um alle unnöti- der Mitteldarmzellen und führt anschlie- krankungen [44]. Im Zuge der Diskus- gen Wasseransammlungen zu vermei- ßend zur Lyse der Zellen. Zur Bekämp- sionen um die Anpassungsstrategien an den, in denen Stechmücken Eier ablegen fung von Container-brütenden Stech- den Klimawandel, haben Vektor-assozi- können. Diese Maßnahmen richten sich mücken wie Oc. japonicus, Ae. albopictus ierte Infektionskrankheiten inzwischen meist gegen künstliche Brutstätten im oder Cx. pipiens, können Bti-Sprudelta- auch Eingang in die Maßnahmenkatalo- Siedlungsbereich und können am effek- bletten eingesetzt werden. ge des Bundes und der Länder gefunden tivsten realisiert werden, wenn die Bevöl- [45, 46]. Die internationalen Gesund- kerung über entsprechende Öffentlich- Chemische Bekämpfung. Die chemi- heitsvorschriften sehen in den Points of keitsarbeit einbezogen wird. sche Bekämpfung sollte nur ergänzend Entry die Bereithaltung von Kapazitäten zur biologischen Bekämpfung und Um- zur Vektorkontrolle vor. Welche Möglich- Reduktion des Kontaktes zwischen Mü- weltsanierung in Erwägung gezogen keiten aber bietet das Gesetz dem ÖGD, cken und Mensch. Bei einem Aufenthalt werden, wenn Vektor-bedingte Infek- um auf eingeschleppte und sich ggf. etab- in Mückengebieten sollte Kleidung ge- tionen epidemisch auftreten und größe- lierende Arthropoden wie vektorkompe- wählt werden, die möglichst weite Teile re Gesundheitsgefahren bestehen. In die- tente Stechmücken oder sogar auf einen der Haut bedeckt. Im häuslichen Bereich sem Zusammenhang ist der flankieren- Stechmücken-vermittelten Krankheits- können Mückenfenster (sog. Window- de Aufbau eines guten entomologischen ausbruch angemessen zu reagieren? screens) oder Moskitonetze angebracht und epidemiologischen Überwachungs- Tiere, durch die Krankheitserreger werden, die das Eindringen der Mücken programms wichtig, damit beim Auftre- auf Menschen übertragen werden kön- in Häuser bzw. Schlafstätten verhindern. ten von Krankheitsfällen umgehend re- nen, sind im Sinne des IfSG Gesundheits- Im Freien bieten auch N,N-Diethyl-m- agiert werden kann. In solchen Fällen ist schädlinge (§ 2 IfSG). Wenn solche fest- toluamid- (DEET) oder Icaridin-haltige das Vernebeln von Pyrethroiden (z. B. gestellt werden und die Gefahr begrün- Repellenzien zumindest zeitweise Schutz Permethrin oder Deltamethrin) ange- det ist, dass durch sie Krankheitserre- vor lästigen Stichen. zeigt, um adulte Stechmücken abzutöten. ger verbreitet werden, hat die zuständi- ge Behörde die zu ihrer Bekämpfung er- Biologische Bekämpfung. Vorausset- Rolle der Öffentlichen forderlichen Maßnahmen anzuordnen zung für solche Maßnahmen sind eine Gesundheitsdienste [§ 17 (2) IfSG]. Die Bekämpfung um- behördliche Genehmigung sowie eine fasst Maßnahmen gegen das Auftreten, exakte Kartierung der Mückenbrutstät- Der Öffentliche Gesundheitsdienst die Vermehrung und Verbreitung sowie ten und eine funktionierende Infrastruk- (ÖGD) hat gemäß Infektionsschutzgesetz zur Vernichtung von Gesundheitsschäd- tur mit geschultem Personal. Die biolo- (IfSG) einen ganzen Katalog von Rechten lingen. Es liegt im Ermessen des Gesund- gische Bekämpfung umfasst im Wesent- und Pflichten, um im Falle des Auftretens heitsamtes oder auch der Landesbehörde lichen den Einsatz von Fressfeinden wie von übertragbaren Krankheiten notwen- zu entscheiden, ob eine Gefahr vorliegt. Fischen oder von mikrobiellen Produk- dige Schutzmaßnahmen anzuordnen und Grundsätzlich ist die Risikobewertung ten, z. B. aus Bakterien wie Bacillus thu- durchführen zu lassen. Dazu gehören so- vektorübertragener Erkrankungen aber ringiensis israelensis (Bti). Bti ist ein Bo- wohl die seit 2001 bundesweit einheitli- äußerst kompliziert [47]. denbakterium, das 1976 in Israel entdeckt che Surveillance und Ermittlungstätig- Das IfSG ermöglicht über § 17 Ab- wurde und weltweit natürlich im Boden keiten als auch Maßnahmen zur Gefah- satz (5) auch eine präventive Bekämp- vorkommt. Die Bakterien bilden Toxine renabwehr und Kontrolle wie Beobach- fung von Gesundheitsschädlingen, die (Eiweißkristalle), die gezielt Mückenlar- tung, Quarantäne und Tätigkeitsverbo- durch den Erlass einer Verordnung im- ven abtöten, während andere Organis- te sowie solche der Entwesung. Ziele sind plementiert werden kann. Auch gewäh- men weitgehend unbeschadet bleiben. die Unterbrechung von Infektionsketten, ren die rechtlichen Bestimmungen, dass

538 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 ggf. erforderliche systematische Untersu- 14. Becker N, Geier M, Balczun C et al (2013) Repeated Korrespondenzadresse introduction of Aedes albopictus into Germany, Ju- chungen von Risiko- und Sentinelpopula- ly to October 2012. Parasitol Res 112:1787–1790 tionen (Mensch, Tier, Vektoren) durchge- Prof. Dr. E. Tannich 15. Thomas SM, Beierkuhnlein C (2013) Predicting ec- führt werden, um Prävalenzen von Erre- Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin totherm disease vector spread – benefits from multidisciplinary approaches and directions for- gern und Inzidenzen von Krankheitsfäl- Bernhard-Nocht-Str. 74, 20359 Hamburg [email protected] ward. Naturwissenschaften 100:395–405 len zu ermitteln. Um aber beispielsweise 16. Fischer D, Thomas SM, Niemitz F et al (2011) Pro- einer plötzlich auftretenden WNV-Akti- jection of climatic suitability for Aedes albopictus Skuse (Culicidae) in Europe under climate change vität zu begegnen, wäre eine konzertier- Einhaltung ethischer Richtlinien conditions. Glob Planet Change 78:54–64 te Zusammenarbeit zwischen ÖGD, Ve- 17. Thomas SM, Obermayr U, Fischer D et al (2012) terinärbehörden und ausgewiesenen Ex- Interessenkonflikt. N. Becker, A. Krüger, C. Kuhn, Low-temperature threshold for egg survival of a A. Plenge-Bönig, S.M. Thomas, J. Schmidt-Chana- post-diapause and non-diapause European ae- perten in medizinischer Entomologie er- sit und E. Tannich geben an, dass kein Interessenkon- dine strain, Aedes albopictus (Diptera: Culicidae). forderlich. flikt besteht. Parasit Vectors 5(100). doi:10.1186/1756-3305-5- In den USA hat der dortige ÖGD im 100 Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen 18. Jöst H, Bialonski A, Storch V et al (2010) Isolation Zuge der West-Nil-Epidemien Fachbro- oder Tieren. and phylogenetic analysis of Sindbis viruses from schüren zum Umgang mit vektorkom- mosquitoes in Germany. J Clin Microbiol 48:1900– petenten Mücken und entsprechenden 1903 Literatur 19. Jöst H, Bialonski A, Maus D et al (2011) Isolation Krankheitsausbrüchen erarbeitet [48, of Usutu virus in Germany. Am J Trop Med Hyg 49]. Bezüglich solcher Maßnahmen be- 1. Angelini R, Finarelli AC, Angelini P et al (2007) An 85:551–553 outbreak of chikungunya fever in the province of treten wir in Deutschland im Moment 20. Allering L, Jöst H, Emmerich P et al (2012) Detec­ Ravenna, Italy. Euro Surveill 12:E070906.1 tion of Usutu virus infection in a healthy blood noch Neuland. Wie schnell sich aber auch 2. Danis K, Papa A, Theocharopoulos G et al (2011) donor from south-west Germany, 2012. Euro Sur- hier eine neue Stechmückenspezies etab- Outbreak of West Nile virus infection in Greece veill 17(50) 2010. Emerg Infect Dis 17:1868–1872 lieren und ausbreiten kann oder sich eine 21. Mückenatlas. http://www.mueckenatlas.de 3. Barzon L, Pacenti M, Cusinato R et al (2011) Hu- 22. McIntosh BM (1985) Usutu (SA Ar 1776), nouvel Stechmücken-bedingte Virusinfektion zu man cases of West Nile virus infection in north- arbovirus du groupe B. Int Catalogue Arboviruses einer Epidemie entwickelt, zeigen in be- eastern Italy, 15 June to 15 November 2010. Euro 3:1059–1060 Surveill 16(33). doi:pii: 19949 eindruckender Weise das Beispiel des Ja- 23. Bosch S, Schmidt-Chanasit J, Fiedler W (2012) Das 4. Sirbu A, Ceianu CS, Panculescu-Gatej RI et al Usutu-Virus als Ursache von Massensterben bei panischen Buschmoskitos und das Am- (2011) Outbreak of West Nile virus infection in hu- Amseln Turdus merula und anderen Vogelarten selsterben durch USUV. mans, Romania, July to October 2010. Euro Sur- in Europa: Erfahrungen aus fünf Ausbrüchen zwi- veill 16. doi:pii: 19762 Daher ist auch bei uns eine zeitnahe schen 2001 und 2011. Vogelwarte 50:109–122 5. Tomasello D, Schlagenhauf P (2013) Chikungun­ 24. Weissenböck H, Bakonyi T, Rossi G et al (2013) Auseinandersetzung mit Fragen zu prä- ya and dengue autochthonous cases in Eu­rope, Usutu virus, Italy, 1996. Emerg Infect Dis 19:274– ventiven Maßnahmen zur Verhinderung 2007–2012. Travel Med Infect Dis pii: S1477- 277 8939(13)00128-2 der Etablierung vektorkompetenter Mü- 25. Becker N, Jöst H, Ziegler U et al (2012) Epizoot­ 6. Schmidt-Chanasit J, Haditsch M, Schoneberg I et ic emergence of Usutu virus in wild and captive ckenpopulationen notwendig. Ein erster al (2010) Dengue virus infection in a traveller re- birds in Germany. PLoS One 7:e32604 Schritt in diese Richtung wurde bereits turning from Croatia to Germany. Euro Surveill 26. Taylor RM, Hurlbut HS, Work TH et al (1955) Sind- 15(40). doi:pii: 19677 mit der Einrichtung eines Fachgremiums bis virus: a newly recognized arthropodtransmit- 7. Danis K, Baka A, Lenglet A et al (2011) Autochtho- ted virus. Am J Trop Med Hyg 4:844–862 zu Aspekten der Kontrolle vektorkom- nous Plasmodium vivax malaria in Greece 2011. 27. Jöst H, Bürck-Kammerer S, Hütter G et al (2011) petenter Stechmücken unternommen, Euro Surveill 16(42). doi:pii: 19993 Medical importance of Sindbis virus in south-west 8. VBORNET (2013) Exotic Mosquitoes-Distribution das bei der Entwesungsmittelkommis- Germany. J Clin Virol 52:278–279 Maps. http://www.ecdc.europa.eu/en/activities/ 28. Spieckermann D, Ackermann R (1972) Isolation of sion am Umweltbundesamt angesiedelt diseaseprogrammes/emerging_and_vector_bor- viruses belonging to the California-encephalitis ist. Ein weiteres interdisziplinäres Ex- ne_diseases/Pages/VBORNET_maps.aspx grou group from mosquitoes in Northern Bavaria. 9. 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Science 334:323– ther specimens of the Asian tiger mosquito Aedes 327 albopictus (Diptera, Culicidae) trapped in south­ west Germany. Parasitol Res 112:905–907

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 539 Leitthema Fachnachrichten

34. Ziegler U, Seidowski D, Angenvoort J et al (2012) Neues zur Tuberkulose In Ballungszentren und Großstädten liegt Monitoring of West Nile virus infections in Germa- ny. Zoonoses Public Health 59(Suppl 2):95–101 in Deutschland die Inzidenz (Zahl der gemeldeten Fälle 35. Timmermann U, Becker N (2010) Mosquito-borne pro 100.000 Einwohner) deutlich über dem West Nile virus (WNV) surveillance in the Upper Die Zahl der Tuberkulosen sinkt kaum noch, Bundesdurchschnitt von 5,2. Zwei aktuelle Rhine Valley, Germany. J Vector Ecol 35:140–143 36. Seidowski D, Ziegler U, Rönn JA von et al (2010) bei multiresistenten Erkrankungen steigen Veröffentlichungen in der Zeitschrift Euro- West Nile virus monitoring of migratory and resi- die Fallzahlen sogar geringfügig. Das zeigt surveillance, an denen Wissenschaftler des dent birds in Germany. Vector Borne Zoonotic Dis der jährliche Bericht zur Epidemiologie der RKI mitgearbeitet haben, zeigen die Be- 10:639–647 37. Schultze-Amberger J, Emmerich P, Günther S, Tuberkulose für 2012, mit dem das Robert deutung dieses Problems im europäischen Schmidt-Chanasit J (2012) West Nile virus menin- Koch-Institut die Situation in Deutschland Kontext. Das Epidemiologische Bulletin vom goencephalitis imported into Germany. Emerg In- umfassend darstellt. „Die gemeinsamen An- 17. März 2014 greift dieses Thema mit einem fect Dis 18:1698–1700 38. Gabriel M, Emmerich P, Frank C et al (2013) In­ strengungen in der frühen Erkennung und Beitrag zu den besonderen Herausforde- crease in West Nile virus infections imported to Prävention von der Tuberkulose müssen rungen für Ballungszentren am Beispiel Germany in 2012. J Clin Virol 58:587–589 daher intensiviert werden“, sagte Reinhard München auf. Hier wird deutlich, welche 39. Czajka C, Becker N, Jöst H et al (2014) Stable trans- mission of Dirofilaria repens nematodes, Northern Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts, umfassende soziale, administrative und Germany. Emerg Infect Dis 20:328–330 anlässlich des Welttuberkulosetages am 24. sprachvermittelnde Unterstützung Gesund- 40. Genchi C, Kramer LH, Rivasi F (2011) Dirofilari- März.2014. „Der öffentliche Gesundheits- heitsämter zunehmend leisten müssen, um al infection in Europe. Vector Borne Zoonotic Dis 11:1307–1317 dienst braucht für die erforderlichen Maß- eine adäquate medizinische Versorgung 41. Simón F, Siles-Lucas M, Morchón R et al (2011) Hu- nahmen auch ausreichende Ressourcen“, von tuberkulosekranken und –gefährdeten man and animal dirofilariasis: the emergence of a unterstrich Burger. Menschen zu ermöglichen. Das Motto der zoonotic mosaic. Clin Microbiol Rev 25:507–544 42. Poppert S, Hodapp M, Krueger A et al (2009) Diro- Für das Jahr 2012 wurden dem Robert Koch- Weltgesundheitsorganisation für den Welt- filaria repens infection and concomitant meningo- Institut insgesamt 4.220 Tuberkulosen über- tuberkulosetag 2014, ins Deutsche frei über- encephalitis. Emerg Infect Dis 15:1844–1846 mittelt (4.317 im Jahr 2011). Damit sinken die tragen „Tuberkulose erkennen, verhindern, 43. Sassnau R, Kohn M, Demeler J et al (2013) Is Diro- filaria repens endemic in the Havelland district in Fallzahlen bereits das vierte Jahr in Folge heilen: alle erreichen“, ist somit auch für Brandenburg, Germany? Vector borne Zoonotic kaum noch. Zuvor waren die Erkrankungs- Deutschland von Belang. Dis 13:888–891 zahlen jedes Jahr deutlich zurückgegangen. Tuberkulose bleibt eine medizinische, 44. Gautret P, Cramer JP, Field V et al (2010) Infectious diseases among travellers and migrants in Europe. Im Jahr 2012 starben 146 Patienten an der sozialmedizinische und gesellschaftliche EuroTravNet. Euro Surveill 17(26) Tuberkulose (144 im Jahr 2011). Die Zahl der Herausforderung insbesondere für die 45. BMU (2008) Deutsche Anpassungsstrategie an Tuberkulosen bei Kindern, die seit 2009 kon- Gesundheitsämter und die behandelnden den Klimawandel: – Hintergrundpapier. http:// www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/ tinuierlich angestiegen waren, blieb 2012 Ärzte. Es gibt weiterhin einen großen Infor- allgemein/application/pdf/das_hintergrund.pdf mit 178 Fällen unverändert gegenüber 2011. mationsbedarf zum Thema, der die hohe 46. DAS (2011) Aktionsplan Anpassung der Deut- Aufgrund ihrer besonderen Empfänglichkeit Bedeutung, die Tuberkulose nach wie vor schen Anpassungsstrategie an den Klimawan- del, vom Bundeskabinett am 31. August 2011 be- und der Gefahr besonders schwerer Verläu- für die Gesundheit der Bevölkerung hat, schlossen. http://www.bmu.de/fileadmin/bmu- fe, sowie auch als Indikator für bestehende unterstreicht. import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/akti- Infektionsketten, bedarf diese Gruppe aber onsplan_anpassung_klimawandel_bf.pdf 47. Schmidt K, Dressel KM, Niedrig M et al (2013) Pub- weiterhin einer ganz besonderen Aufmerk- Quelle: lic health and vector-borne diseases – a new con- samkeit. Robert Koch-Institut, cept for risk governance. Zoonoses Public Health. Der Anteil von Erkrankungen durch multi- www.rki.de/tuberkulose doi:10.1111/zph.12045 48. ASTHO (2005) Public health confronts the mos- resistente Stämme liegt 2012 bei 2,3% (65 quito. Developing sustainable state and local Fälle) und ist damit höher als im Mittel der mosquito control programs. Association of State 5 Jahre zuvor (2007-2011: 1,9%) Bei Multi- and Territorial Health Officials (ASHTO) 2005. http://www.StatePublicHealth.org resistenz sind mindestens die wichtigsten 49. ASTHO (2009) Before the swarm: guidelines for zwei Standardmedikamente Isoniazid und the emergency management of mosquito-borne Rifampicin unwirksam. disease outbreaks. Association of State and Terri- torial Health Officials. http://www.astho.org/Pro- grams/Environmental-Health/Natural-Environ- ment/Before-the-Swarm/ 50. UN (2008) Contributing to one world, one ­health. A strategic framework for reducing risks of infecti- ous diseases at the animal-human-ecosystems in- terface.http://un-influenza.org/sites/default/files/ OWOH_14Oct08.pdf

540 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:541–548 G. Dobler1 · V. Fingerle2 · P. Hagedorn3 · M. Pfeffer4 · C. Silaghi5 · H. Tomaso6 · DOI 10.1007/s00103-013-1921-0 K. Henning7 · M. Niedrig3 Online publiziert: 25. April 2014 1 Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 2 Nationales Referenzzentrum für Borrelien, Dienststelle Oberschleißheim, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Oberschleißheim 3 Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene (ZBS-1), Robert Koch-Institut, Berlin 4 Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig 5 Lehrstuhl für Vergleichende Tropenmedizin und Parasitologie, Veterinärmedizinisches Department, Ludwig-Maximilians-Universität München 6 Institut für bakterielle Infektionen und Zoonosen, Friedrich-Loeffler- Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Jena 7 Nationales Referenzlabor für Q-Fieber, Institut für bakterielle Infektionen und Zoonosen, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Jena Gefahren der Übertragung von Krankheitserregern durch Schildzecken in Deutschland

Unter den durch blutsaugende Vektoren zureichend wider. Darüber hinaus wur- tragenen Arboviren direkt oder indirekt (Stechmücken, Sandmücken, Fliegen, den in neueren Untersuchungen wei- nachgewiesen werden [1]. Flöhe, Läuse, Wanzen, Zecken) über- tere Infektionserreger in Zecken nach- tragenen Infektionserregern haben in gewiesen (. Tab. 1), deren Bedeutung FSME-Virus Deutschland die durch Zecken übertra- als Gesundheitsgefahr für den Men- genen Erreger die größte medizinische schen allerdings noch unzureichend ge- Die wichtigste Arbovirus-Infektion in Bedeutung. Auch wenn durch Mücken klärt ist. Viren wie das Uukuniemi-Virus Mitteleuropa ist die durch Zecken über- übertragene Pathogene wie das West- (UUKV), Tribec-Virus (TRBV), Eyach- tragene Frühsommer-Meningoenzepha- Nil-Virus (WNV) in zahlreichen süd- Virus ­(EYAV), ­Erve-Virus (ERVV) oder litis (FSME). Das FSME-Virus (FSMEV) europäischen Ländern (u. a. in Griechen- auch Bakterien wie Francisella tularen- wird in die Familie der Flaviviren ein- land, Italien) immer wieder für Schlagzei- sis, Anaplasma phagocytophilum, Candi- gruppiert. Die Infektion tritt endemisch len sorgen und auch als Bedrohung für datus Neoehrlichia mikurensis (CNM) in Bayern, Baden-Württemberg und Tei- Deutschland diskutiert werden, sind die oder Coxiella burnetii sind vielen Ärzten len Hessens, Sachsens und Thüringens Zecken-übertragenen Infektionserreger nicht bekannt. Zu den entsprechenden auf. Aus anderen Bundesländern werden offensichtlich weit verbreitet, aber nach Krankheitsbildern liegen ebenfalls nur sporadische Erkrankungsfälle gemeldet. wie vor nur unzureichend untersucht. wenige bis gar keine Informationen vor. Dabei ist unklar, inwieweit es sich hier Infektionskrankheiten wie die Lyme- Im vorliegenden Beitrag sollen die aktu- um wenig aktive Herde oder um neu Borreliose (LB) und Frühsommer-Me- ellen Erkenntnisse zu diesen neuen In- eingeschleppte und etablierte Naturher- ningoenzephalitis (FSME), die durch fektionserregern vorgestellt werden, um de handelt. Etwa jeder 20. FSME-Fall in den Stich der häufigsten Schildzecke in die Ärzte sowie die Bevölkerung für die- Deutschland wurde auf Reisen im Aus- Deutschland, dem Holzbock (Ixodes ri- se potenziellen Gefahren zu sensibilisie- land erworben (RKI, SurvStat). Jährlich cinus), auf den Menschen übertragen ren und weiterführende Untersuchungen werden zwischen 200 und 500 Erkran- werden, sind zwar hinlänglich bekannt, anzuregen. kungsfälle registriert (RKI, SurvStat) mit aber es gibt auch hier weiterhin viele of- einer hohen Schwankungsbreite, die eine fene wissenschaftliche Fragestellungen, Durch Zecken übertragene Abhängigkeit der Inzidenz von Wetter- die insbesondere das tatsächliche In- Arboviren bedingungen und anderen ökologischen fektionsrisiko und die geografische Ver- und soziologischen Faktoren aufzeigt. Die breitung der Erreger betreffen. Die der- In Deutschland konnte seit Beginn der Infektion verläuft mit zunehmendem Al- zeitigen Verbreitungskarten spiegeln die 1960er-Jahre das autochthone Vorkom- ter tendenziell schwerer und führt in bis wirkliche Präsenz von FSMEV nur un- men von insgesamt 5 durch Zecken über- zu 10% der Fälle zu bleibenden neurologi-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 541 Leitthema

Tab. 1 Übersicht über die in Zecken nachgewiesenen Infektionserreger Infektionserreger Zeckenspezies Vorkommen/Verbreitunga Mögliche Erkrankung Frühsommer-Meningoenzephalitis- Ixodes ricinus Zentraleuropa, Skandinavien Enzephalitis Virus (FSMEV) Tribec-Virus (TRBV) Ixodes ricinus Tschechische Republik Nicht bekannt Uukuniemi-Virus (UUKV) Ixodes ricinus Finnland Nicht bekannt Eyach-Virus (EYAV) Ixodes ricinus Baden-Württemberg Nicht bekannt Erve-Virus (ERVEV) Ixodes ricinus Saarland Hämorrhagische Enzephalitis Borrelia burgdorferi sensu lato Ixodes ricinus, Europa, USA, Asien Erythema migrans, Neuroborreliose, (5 humanpathogene Genospezies) Ixodes persulcatus (Osteuropa, Asien), Borrelien-Lymphozytom, Lyme- Ixodes scapularis (USA Nordosten), Arthritis, Acrodermatitis chronica Ixodes pacificus (USA Westen) atrophicans Francisella tularensis Ixodes ricinus, Dermacentor margina- Zentraleuropa, Skandinavien Schmerzhafte Hautulzeration, tus, Dermacentor reticulatus Fieber, regionale Lymphknoten- schwellung sowie Kopf- und Glieder- schmerzen, Lungenentzündung, oropharyngeale Tularämie Coxiella (C.) burnetii Ixodes ricinus, Dermacentor Deutschland, europaweit Q-Fieber, grippeähnliche Erkrankung mit hohem Fieber, Kopfschmerzen und Lungenentzündung Rickettsia helvetica, Rickettsia slova- Ixodes ricinus, Dermacentor reticulatus, Europa Zeckenbissfieber, „Tick-borne lym- ca, Rickettsia raoultii Dermacentor maginatus phadenopathy“ (TIBOLA) Anaplasma phagocytophilum Ixodes ricinus, Ixodes persulcatus (Ost- Europa, USA, Asien Granulozytäre Anaplasmose europa, Asien), Ixodes scapularis (USA Nordosten), Ixodes pacificus (USA Westen) Candidatus Neoehrlichia mikurensis Ixodes ricinus, Ixodes persulcatus Deutschland Tschechische Repub- Neoehrlichiose in immunsuppri- (CNM) lik, Schweiz, Dänemark, Schweden mierten Patienten Babesia microti, Babesia divergens, Ixodes ricinus Deutschland, europäische Länder Hämolyse, Anämie, Ikterus bei im- Babesia venatorum munsupprimierten Patienten aNachweis des Infektionserregers in Zecken, Tieren oder Menschen über Isolation oder Genomnachweis mittels PCR.

schen Schäden. 1–2% der gemeldeten Er- breitung des TRBV und seine medizini- nische Bedeutung des EYAV in Deutsch- krankungsfälle versterben, meist indirekt sche Bedeutung in Deutschland sind völ- land sind unbekannt. an Folgeerkrankungen schwerer neuro- lig unbekannt. logischer Residuen [2]. Der Naturzyklus Uukuniemi-Virus des FSMEV, seine Periodizität und seine Eyach-Virus Pathogenese werden bisher nur sehr un- Das Uukuniemi-Virus (UUKV) wurde vollständig verstanden. Das Eyach-Virus (EYAV) wurde in einem erstmals in Finnland isoliert und iden- Waldgebiet nahe dem gleichnamigen Ort tifiziert [10]. Nachdem es lange Jahre als Tribec-Virus in Baden-Württemberg im Rahmen von Typvirus für eine eigene Gattung (Uuku- FSME-Untersuchungen an Zecken iso- virus) in der Familie Bunyaviridae auf- Das Tribec-Virus (TRBV) wurde erst- liert [6]. Es gelang die weitere Isolierung gelistet war, wird es nun in die Gattung malig in den gleichnamigen Bergen in eines sehr ähnlichen Virus in Frankreich Phlebovirus der gleichen Virusfamilie der ehemaligen Tschechoslowakei nach- [7]. Mittels molekularbiologischer Unter- eingruppiert und bildet dort das Typvi- gewiesen [3]. Es gehört der Gattung Or- suchungen konnte es am Ort der Origi- rus für die Zecken-übertragenen Phlebo- bivirus innerhalb der Familie Reoviridae nalisolierung in Zecken erneut nachge- viren. Auch in Deutschland konnte es zu- an. Aus Tschechien stammen viele Virus- wiesen werden [8]. fällig im Rahmen von FSME-Durchseu- isolate, während es in Deutschland in Ze- Beim EYAV handelt es sich um ein chungsstudien in Zecken nachgewiesen cken bisher nur zufällig im Rahmen von Coltivirus aus der Familie Reoviridae. werden [11]. Es errang in den letzten Mo- FSME-Untersuchungen entdeckt wurde. Der bisher einzige bekannte Verwandte naten wieder eine gewisse Aufmerksam- Auch ist der serologische Nachweis einer des EYAV ist das Colorado-Zeckenfieber- keit, da 2 neu entdeckte humanpathoge- Infektion in Hasen in Norddeutschland Virus, das nur im Westen der USA vor- ne Bunyaviren in China (Huaiyangshan- gelungen [4]. TRBV konnte in der ehe- kommt. In früheren Arbeiten wurde eine Virus) und in den USA (Heartland-Vi- maligen Tschechoslowakei verschiedent- Assoziation des EYAV mit einer ZNS- rus) genetisch mit UUKV nahe verwandt lich mit neurologischen Erkrankungen Symptomatik gefunden [9]. Die weitere sind. Die Humanpathogenität des UUKV assoziiert werden [5]. Die genaue Ver- geografische Verbreitung und die medizi- ist ungeklärt. Über seine Verbreitung und

542 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract medizinische Bedeutung in Deutschland Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:541–548 DOI 10.1007/s00103-013-1921-0 liegen bisher keinerlei Daten vor. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 G. Dobler · V. Fingerle · P. Hagedorn · M. Pfeffer · C. Silaghi · H. Tomaso · K. Henning · Erve-Virus M. Niedrig Gefahren der Übertragung von Krankheitserregern Eine weitere Arbovirus-Infektion scheint durch Schildzecken in Deutschland in Deutschland geografisch sehr begrenzt vorzukommen. Das Erve-Virus (ERVEV) Zusammenfassung Durch Zecken übertragbare Krankheitserre- weitgehend unklar, welche Bedeutung neu wurde erstmalig aus Spitzmäusen in ger haben eine große Bedeutung für die Ge- entdeckte Infektionserreger wie Candida- Frankreich in der Nähe des gleichnami- sundheit der deutschen Bevölkerung. Viren tus Neoehrlichia mikurensis oder auch lan- gen Flusses isoliert [12]. Es war dort mit wie das Frühsommer-Meningoenzephalitis- ge bekannte Erreger wie Rickettsien spielen, dem Auftreten einer hämorrhagischen Virus (FSMEV), das Uukuniemi-Virus, das Tri- die sich bisweilen in einem Fünftel der unter- Enzephalitis in Zusammenhang gebracht bec-Virus und das Eyach-Virus oder Bakterien suchten Zecken nachweisen lassen. Ob Kli- worden. Es handelt sich um ein Virus aus wie Borrelien, Rickettsien, Francisella tula- maänderungen zur weiteren Ausbreitung rensis, Anaplasma phagocytophilum, Can- der Zecken und der Infektionserreger beitra- der Thiafora-Gruppe der Gattung Nairo- didatus Neoehrlichia mikurensis (CNM) oder gen, bedarf ebenfalls weiterer Untersuchun- virus in der Familie Bunyavivirdae. Sero- Coxiella burnetii wurden in der in Deutsch- gen. Die Initiativen zur Schaffung natürlicher logisch konnte ein Zirkulieren des Virus land häufigsten Zecke, der Schildzecke Ixo- Lebensräume und der Trend zum häufigeren außerhalb Frankreichs durch den Nach- des ricinus, nachgewiesen. Während allge- Aufenthalt in der Natur im Rahmen von Frei- weis von Antikörpern gegen ERVEV in mein bekannt ist, dass Zecken FSMEV und zeitaktivitäten verstärkt die Gefahr, in Kontakt Nagetieren im Saarland nachgewiesen Borrelien übertragen können, ist selbst in mit Zecken und ihren Infektionserregern zu Fachkreisen nicht bekannt, dass sie auch die kommen. Folglich kann in Zukunft mit dem werden. ERVEV scheint an der Entste- anderen oben genannten Erreger tragen und Auftreten weiterer, bisher nicht bekannter Er- hung von starken Kopfschmerzen durch ggf. entsprechende Infektionen verursachen krankungen durch die Übertragung diese Er- Mikroblutungen im Gehirn beteiligt zu können. Auch wenn in Deutschland in Einzel- reger gerechnet werden. sein [13]. Über die genaue Verbreitung, fällen Erkrankungen nach Übertragung der die Ökologie des Virus und die medizi- zuletzt genannten Erreger durch Zecken be- Schlüsselwörter reits beschrieben wurden, fehlen systemati- Zecken-übertragene Arboviren · Lyme- nische Bedeutung dieses mit dem Krim- sche Untersuchungen über ihr Vorkommen Borreliose · Rickettsiose · Anaplasmose · Kongo-Hämorrhagischen-Fieber-Virus und ihre pathogenen Eigenschaften. So ist Rückfallfieber verwandten Virus in Deutschland und Europa existieren weiter keine Daten. Der direkte Nachweis von ERVEV in Zecken Threat of transmission of infectious pathogens ist bislang nicht gelungen, aber das Vor- by Ixodes ricinus ticks in Germany kommen in diesen aufgrund seiner ta- Abstract xonomischen Zugehörigkeit zum Genus Tick-transmitted diseases are of great im- tance of new infectious disease agents, such Nairovirus ist anzunehmen, da bislang al- portance for the general health of the Ger- as Candidatus Neoehrlichia mikurensis but le bekannten Vertreter dieses Genus von man population. Several viruses, such as tick- also of long known pathogens, such as Rick- Zecken übertragen werden. borne encephalitis virus (TBEV), Uukunie- ettsiae still remains unclear, while some of mi virus, Tribec virus, Eyach virus or bacte- them could be detected in 20 % of investigat- ria, such as Borrelia, Rickettsiae, Francisel- ed ticks. Whether climate change contributes Durch Zecken übertragene la tularensis, Anaplasma phagocytophilum, to the further distribution of these infectious Bakterien Candidatus Neoehrlichia mikurensis (CNM) agents remains unclear and requires further and Coxiella burnetii were detected in the investigation. The increasing initiatives to cre- Borrelia burgdorferi s.l. – Erreger most prominent tick in Germany, the hard ate natural environments and the trend to- tick Ixodes ricinus. While infections, such as wards spending more time in nature for rec- der Lyme-Borreliose TBE and Lyme disease are well known, oth- reational activities will increase the danger er infections are hardly known even among of coming into contact with ticks and the re- Mit der Entdeckung des Erregers Bor- experts. Although there have been a few de- spective infectious agents. Considering these relia burgdorferi und der Zusammen- scriptions of isolated cases in Germany, a sys- circumstances an increase of diseases caused führung bis dahin ätiologisch unklarer tematic investigation regarding the distribu- by these pathogens is to be expected. Krankheitsbilder zur nosologischen En- tion and the pathogenic potential of these pathogens is still lacking. In particular elder- Keywords tität „Lyme-Borreliose“ (LB) eröffnete ly people and people with underlying dis- Tick transmitted diseases · Lyme disease · sich die Möglichkeit einer spezifischen eases seem to be mostly affected. The impor- Rickettsiosis · Anaplasmosis · Relapsing fever Diagnostik und kausalen Therapie von Erkrankungen aus praktisch allen me- dizinischen Fachdisziplinen. Die LB gilt mittlerweile als die häufigste durch vek- breitungsgebiet deckt sich mit dem Vor- Larven, 10% der Nymphen und 20% der torübertragene Erreger ausgelöste Er- kommen ihrer Vektoren, Schildzecken adulten Zecken Borrelienträger. Von den krankung in den gemäßigten Klimazo- aus dem I.-ricinus-/I.-persulcatus-Kom- mittlerweile 18 beschriebenen B.-burg- nen der nördlichen Hemisphäre. Ihr Ver- plex. In Deutschland sind etwa 1% der dorferi-sensu-lato-Genospezies sind 5

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 543 Leitthema

gesichert humanpathogen und auch in Prophylaktische Maßnahmen be- Francisella tularensis– Deutschland vorhanden: B. burgdorferi schränken sich derzeit auf das Vermeiden Erreger der Tularämie sensu stricto, B. afzelii, B. garinii, B. ba- von Zeckenstichen, – d. h. das Meiden ze- variensis und B. spielmanii [14]. ckendurchseuchter Gebiete, die Anwen- Tularämie (Hasenpest, Hirschfliegenfie- Die klinischen Manifestationen dieser dung von Repellenzien und das Tragen ber, Ohara-Krankheit) ist eine durch das Multisystemerkrankung können außer- geeigneter Kleidung – bzw. die frühzei- Bakterium Francisella tularensis verur- ordentlich vielfältig sein und betreffen tige Zeckenentfernung, da die Wahr- sachte Zoonose. Derzeit werden 4 Sub- insbesondere die Haut, Gelenke, das Ner- scheinlichkeit der Übertragung von Bor- spezies unterschieden: F. tularensis tula- vensystem und das Herz [15]. Am häu- relien mit der Dauer des Saugaktes steigt. rensis, F. tularensis holarctica, F. tularen- figsten ist das nach Tagen bis Wochen um Eine Impfung, die die genetisch hetero- sis mediaasiatica und F. tularensis novici- den Zeckenstich sich zentrifugal ausbrei- gene Borrelienpopulation in Deutschland da. In Deutschland wurde bisher nur die tende Erythema migrans (Wanderröte). berücksichtigt, ist derzeit in der Entwick- Subspezies F. tularensis holarctica isoliert, Die häufigste disseminierte frühe Form lung. die einen etwas leichteren Krankheits- ist die Meningoradikulitis Bannwarth mit Insgesamt muss die derzeitige Daten- verlauf verursacht, als die in Nordameri- heftigsten, nachtsbetonten Schmerzsyn- lage zur Epidemiologie sowie auch zu ka vorkommende Subspezies F. tularensis dromen und Hirnnervenparesen. Spä- einzelnen Aspekten der Diagnostik und tularensis [20]. te Erkrankungen – mit Inkubationszei- Therapie der LB als unzureichend be- Die Übertragung des Erregers kann ten von Monaten bis Jahren – können als zeichnet werden. Für die Aufklärung des durch Haut- oder Schleimhautkontakt Lyme-Arthritis die großen Gelenke mit Bürgers, die Risikokommunikation, die mit infektiösem Tiermaterial, Verzehr mono- bis oligoartikulären voluminösen Implementierung von Präventionsmaß- von nicht ausreichend erhitztem, konta- Ergüssen betreffen, die Haut als Acroder- nahmen und für gezieltere Therapieemp- miniertem Fleisch (Hasen), Wasser, Inha- matitis chronica atrophicans mit papier- fehlungen sind belastbarere Daten – z. B. lation von infektiösem Staub oder durch dünner Epidermis und Abbau von Bin- über Sentinel- oder populationsbasierte den Stich blutsaugender Parasiten (Ze- de- und Fettgewebe („Zigarettenpapier- Studien – dringend zu erheben. cken, Mücken, Stechfliegen) erfolgen. Die haut“) und das Nervensystem mit vielfäl- Infektionsdosis ist mit ca. 10 bis 50 Bak- tigsten neurologischen Symptomen (En- Borrelia miyamotoi – Erreger terien sehr niedrig, weshalb auch immer zephalomeningomyelitis), die u. a. auch des Rückfallfiebers wieder Laborinfektionen vorkommen. einer multiplen Sklerose ähneln können. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel Bei einer prospektiven, populations- Erst kürzlich wurde B. miyamotoi als Er- 3 bis 5 Tage. basierten Studie im Raum Würzburg reger humanen Rückfallfiebers nachge- Der Krankheitsverlauf und die Symp- fand sich eine Inzidenz der Lyme-Bo- wiesen. Die Patienten zeigten ein unspe- tome beim Menschen sind von der durch relliose von 111/100.000 Einwohner und zifisches, Influenza-artiges Erkrankungs- die Subspezies bestimmten Virulenz des Jahr, was auf Deutschland hochgerechnet bild u. a. mit Fieber (z. T. auch Fieber- Erregers sowie von seiner Eintrittspfor- etwa 90.000 neuen Fällen pro Jahr ent- rückfälle), Muskel-, Gelenk- und Kopf- te in den Körper abhängig. Die häufigs- spricht [16]. Bei 89% der Patienten fand schmerzen. Einige Patienten hatten auch te klinische Form ist die ulzeroglanduläre sich ein Erythema migrans, bei 3% eine ein Erythema migrans [19]. Die nach mo- Tularämie mit schmerzhafter Hautulzera- Neuroborreliose, bei 2% ein Lymphozy- lekulargenetischen Analysen den Rück- tion an der Eintrittspforte, Fieber, regio- tom, bei <1% eine Karditis, bei 5% eine fallfieber-Borrelien zugeordnete B. miya- naler Lymphknotenschwellung sowie mit Lyme-Arthritis, bei 1% eine Acrodermati- motoi wird über dieselben Schildzecken Kopf- und Gliederschmerzen. Wichtig tis chronica atrophicans und eine chroni- wie die LB übertragen, bei uns durch I. ri- sind weiter die oropharyngeale Form (Be- sche Neuroborreliose in keinem Fall. Eine cinus. Relevante Studien aus Deutsch- läge und Geschwüre im Pharynx und an Studie, basierend auf Krankenkassen- land zur Häufigkeit und geografischen den Tonsillen, Lymphknotenschwellung), daten, geht von wenigsten 215.000 Lyme- Ausbreitung dieser Borrelie oder zur In- die okuloglanduläre Form (meist einseiti- Borelliose-Fällen/Jahr in Deutschland zidenz der Erkrankung fehlen weitest- ge Konjunktivitis, Lidödem, Lymphkno- aus [17], während Daten der länderspe- gehend. In Deutschland wurden bisher tenschwellung) und die schwer verlaufen- zifischen Meldepflicht (östliche Bundes- keine Erkrankungsfälle nachgewiesen. de pulmonale Form. länder) maximal 30.000 Fälle in Deutsch- Nachdem die ersten 2 Fälle aus Italien In den letzten Jahren wurden in land erwarten lassen [18]. und Holland bekannt wurden, sollte die- Deutschland nur einstellige Fallzahlen Insgesamt gilt die LB mittels einer se Erkrankung bei der Diagnose berück- gemeldet; auf der Halbinsel Eiderstedt in Antibiotikagabe über 2 bis 3 Wochen als sichtigt werden, insbesondere bei Influ- Nordfriesland gab es aber in den Jahren gut therapierbar [15], jedoch sind weite- enza-artigen Symp­tomen nach Zecken- 1950/1951 und 1957/1958 Ausbrüche mit re gut kontrollierte Studien zum Thera- stich. jeweils über 100 Erkrankten. Die meisten pieerfolg und zur Langzeitprognose spe- Tularämiefälle beim Menschen werden in ziell disseminierter Manifestationen an- Deutschland durch den Kontakt mit oder zustreben. den Verzehr von infizierten Feldhasen verursacht. Bei Feldhasen verläuft die Tu-

544 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 larämie zumeist tödlich, wobei die Tiere rium Coxiella (C.) burnetii hervorgeru- zur Klasse der α-Proteobacteria. Dort zunächst lethargisch werden und Krank- fen. In den letzten Jahren wurde in den werden sie in der Familie der Rickettsia- heitsherde in inneren Organen (z. B. Le- Medien vermehrt über Q-Fieber-Ausbrü- ceae innerhalb der Ordnung der Rickett- ber, Lunge, Milz) auftreten. che in Deutschland und in den Nieder- siales angesiedelt Es sind bislang 6 Arten Das natürliche Reservoir der Bakte- landen berichtet. Beim Q-Fieber handelt dieser Gattung in Zecken aus Deutsch- rien und die Rolle von Vektoren bei ihrer es sich um eine Zoonose, d. h. um eine land nachgewiesen worden [29]. Die häu- Übertragung sind noch nicht ausrei- Infektionskrankheit, die vom Tier auf figste hiervon ist Rickettsia helvetica, die chend untersucht. Kleine Nagetiere ster- den Menschen übertragen wird. Oftmals ein Zeckenbissfieber hervorrufen kann. ben rasch an der Infektion und dienen gehen die Erkrankungsfälle beim Men- In Schweden, Frankreich, der Schweiz vermutlich kaum als Reservoir [21]. Es schen von erkrankten Schaf- und Ziegen- und in Italien wurden klinische Fälle be- gibt Hinweise darauf, dass Feldhasen sel- beständen aus, aber auch Rinder können kannt, die durch eine Infektion mit R. hel- ten auch chronisch infiziert sein können die Quelle der Infektion darstellen. Beim vetica hervorgerufen wurden. Die Symp- und dann als Infektionsquellen fungie- Menschen löst der Erreger eine grippe- tome variieren stark und umfassen eine ren. Francisellen können auch in Amö- ähnliche Erkrankung mit hohem Fie- Perimyokarditis und Fieber mit und ohne ben überleben und über kontaminiertes ber, Kopfschmerzen und Lungenentzün- Ausschlag [30]. Welche Rolle dieses Pa- Wasser Menschen und Tiere infizieren. In dung aus. Die Übertragung erfolgt über- thogen bei anderen Erkrankungen spielt, Skandinavien spielen infizierte Stechmü- wiegend durch das Inhalieren erregerhal- ist unklar. Diskutiert werden in diesem cken und Stechfliegen eine relevante Rol- tiger Aerosole und kontaminierter Stäu- Zusammenhang unter anderem Fazia- le, in Deutschland hingegen kaum. Hier be und kann über weite Strecken stattfin- lisparesen und plötzliche Taubheit [31]. wurden Francisellen in Ixodes ricinus, den. Des Weiteren wird der Erreger auch Ähnliches gilt für die ebenfalls häufigen Dermacentor marginatus und D. reticu- durch Zecken übertragen. So konnte Rickettsienarten R. slovaca und R. raoul- latus nachgewiesen [22]. In Studien von C. burnetii in mehr als 40 Zecken-Spezies tii, die mit der Tick-borne lymphadeno- Tomaso und Kollegen wurden die Bakte- nachgewiesen werden [25]. Hierzu gehört pathy (TIBOLA) assoziiert werden. Die- rien aus Zecken isoliert, die von infizier- auch der internationale Referenzstamm se bislang ausschließlich in Dermacentor­ ten Hasen gesammelt wurden. Eine Rol- „Nine Mile“, der ebenfalls aus einer Ze- arten vorkommenden Rickettsienarten le der Zecken als Vektor für Francisellen cke isoliert wurde [26]. Die höchste Erre- könnten mit der räumlichen Ausbreitung ist damit aber nicht bewiesen. Selbst in gerkonzentration findet sich im Zecken- von D. reticulatus [32] und möglicherwei- Zecken (I. ricinus) von Vögeln, die kaum Kot [25], wodurch besonders bei der se auch D. marginatus an Bedeutung ge- empfindlich gegenüber Francisellen sind, Schafschur eine Gefährdung von Perso- winnen. Die ebenfalls in Deutschland konnte deren DNA mittels PCR nachge- nen ausgeht. Bei den einheimischen Ze- nachgewiesene Rickettsienart R. mona- wiesen werden [23]. So ist es vorstellbar, cken scheinen nur die beiden Dermacen- censis wurde als möglicher Auslöser einer dass Francisellen mit Zugvögeln über torarten eine Rolle zu spielen [27]. Dage- dem Mittelmeerfleckfieber ähnlichen Er- weite Strecken transportiert werden. gen ist die Bedeutung des Holzbocks für krankung beschrieben [33]. Phylogenetische Studien und Aus- die Verbreitung des Q-Fiebers vermut- bruchsuntersuchungen von F. tularensis lich vernachlässigbar gering, wie Unter- Anaplasma phagocytophilum – holarctica sind dadurch erschwert, dass suchungen in den Niederlanden ergaben. Erreger der Anaplasmose sich zwischen einzelnen Isolaten kaum Dort konnte Coxiella-DNA nur dann in genetische Unterschiede finden lassen. von Schafen gesammelten Zecken nach- Wie die Rickettsien gehört auch Ana- Bei Isolaten aus Feldhasen in Deutsch- gewiesen werden, wenn diese kurz zuvor plasma phagocytophilum zu der in der land konnten bisher nur 3 Genotypen mit einer Q-Fieber-Vakzine geimpft wor- Klasse der α-Proteobacteria angesiedel- unterschieden werden, wobei ein großer den waren [28]. ten Ordnung der Rickettsiales. In dieser Cluster im Nordosten vorherrscht, der Wie die Literatur zeigt, waren in den Ordnung befindet sich die Familie Ana- andere im Südwesten [24]. Die zukünf- meisten Fällen Wiederkäuer die Quelle plasmataceae mit der Gattung Anaplas- tige Sequenzierung von Gesamtgenomen für humane Q-Fieber-Erkrankungen. Ze- ma und der Art A. phagocytophilum. Es in größerem Umfang wird voraussicht- cken stellen allerdings ein Reservoir für handelt sich ebenfalls um ein intrazellu- lich eine genauere Differenzierung er- den Erreger dar, wodurch der Wildtier- läres Bakterium, das beim Menschen vor möglichen. zyklus und somit die Quelle für mögliche allem neutrophile Granulozyten infiziert Neuinfektionen der Nutztiere aufrecht- und sich in ihnen vermehrt. In Mittel- Coxiella burnetii – Erreger erhalten wird. Hierzu sind noch einge- europa wird es durch I. ricinus übertra- des Q-Fiebers hende Untersuchungen erforderlich. gen. Es löst beim Menschen die huma- ne granulozytäre Anaplasmose (HGA) Das Q-Fieber ist in Deutschland eine Rickettsia spp.– Erreger aus. Die Leitsymptome umfassen Fie- meldepflichtige humane Erkrankung der Rickettsiosen ber, Krankheitsgefühl, Muskelschmer- und eine meldepflichtige Tierkrankheit. zen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen Die Q-Fieber-Infektion wird durch das Die ausschließlich intrazellulär lebenden und Husten. Mehr als ein Drittel der Pa- obligat intrazellulär wachsende Bakte- Bakterien der Gattung Rickettsia gehören tienten weist ein makulopapulöses Exan-

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them auf. Häufig zeigt sich ein Rigor. Ob- nachwies [40]. Die Isolierung des Bakte- schnell fieberfrei wurden und eine Res- wohl die Prävalenz dieses Pathogens in riums gelang bisher nicht, phylogeneti- titutio ad integrum gelang [44]. Zecken in Deutschland zwischen 0 und sche Analysen führten zu der derzeit gül- 8,7% [34] schwankt, sind hier bislang kei- tigen taxonomischen Stellung und Be- Babesia spp. – Erreger ne klinischen Fälle beim Menschen be- zeichnung Candidatus Neoehrlichia mi- der Babesiose kannt. Dieses ist umso erstaunlicher, als kurensis (CNM). Außer in den bereits er- in Österreich schon 2006 klinische Fälle wähnten Ländern wurde CNM in unter- Babesien werden zur Ordnung Piroplas- beschrieben wurden [35]. Erkrankungen schiedlichen Prävalenzen in Zecken und/ mida gezählt, in der die Familie Babesii- ausgelöst durch A. phagocytophilum tre- oder Nagern auch in zahlreichen euro- dae enthalten ist. Die Gattung Babesia ten auch bei Hunden, Pferden, Rindern päischen Staaten (Schweiz, Tschechische enthält über 100 Babesienarten, die meist und Schafen auf und wurden bereits in Republik, Frankreich, Schweden, Däne- sehr wirtsspezifisch sind. Sporozoiten Deutschland beschrieben. Der Grund mark) nachgewiesen. Die derzeit bekann- der Babesien befallen die Erythrozyten für die Diskrepanz zwischen dem Vor- te geografische Verbreitung reicht somit von Wirbeltieren. Eine Übertragung der kommen von A. phagocytophilum in Ze- von Japan im äußersten Osten Asiens Sporozoiten ist bereits nach einem Tag cken und Wildtieren (bis zu annähernd über den nördlichen Teil des asiatischen mit dem Zeckenspeichel möglich. Der 100% in einer untersuchten Rehpopulati- Kontinentes bis nach Italien und Frank- Befall des Ovars und damit der Eier der on) und dem Fehlen klinischer Fälle beim reich in Europa [41]. Zecke stört die Entwicklung der Zecken- Menschen ist nicht bekannt [36]. Damit Die Tatsache, dass es auch seither larven nicht. Das bedeutet, dass Zecken ist die tatsächliche Bedeutung der Ana- nicht gelungen ist, CNM in vitro in gän- das Reservoir für Babesien bilden, in dem plasmose beim Menschen in Deutschland gigen Zellkultursystemen zu propagieren sie auch ohne Vorhandensein von Blut- bisher weder ausreichend geklärt noch oder mit anderen Methoden außerhalb wirten mehrere Generationen existieren umfassend untersucht. von Wirtstieren zu vermehren, erklärt, können. warum hier nur wenig bekannt ist. Man An der Entstehung einer symptoma- Candidatus Neoehrlichia weiß nur, dass es sich um ein obligat in- tischen Babesiose ist maßgeblich die Im- mikurensis – Erreger trazelluläres, Gram-negatives Bakterium munantwort des Wirtes beteiligt. In mild der Neoehrlichiose mit endothelialem Zelltropismus han- verlaufenden Babesiosen wird die Bil- delt. Bezüglich des Vektors konnte CNM dung von Cytokinen [z. B. von Tumor- Ende der 1990er-Jahre wurden von einer bislang ausschließlich in Zecken der Gat- nekrosefaktor-α (TNF-α) oder von Inter- Forschergruppe DNA-Sequenzen in Ixo- tung Ixodes gefunden werden [42]. leukin 6] hochreguliert. Es wird vermu- des-Zecken gefunden, die mit einer gene- Im Jahr 2007 wurde CNM bei einem tet, dass eine überschießende Produktion rischen DNA-Sonde für Ehrlichien hyb- 69-jährigen Mann mit immunsuppres- dieser Stoffe zu einer Pneumonie führt. ridisierten, aber mit keiner der verwen- siver Therapie nach Verdacht auf eine Der Befall der Erythrozyten löst darüber deten Spezies-spezifischen DNA-Sonden chronisch entzündliche, demyelinisie- hinaus eine Hämolyse aus, was direkt zu für die damals bekannten Ehrlichien­ rende Polyneuropathie sowie 1 Jahr spä- einer Anämie und einem Ikterus führen arten reagierten. Man fand diese taxo- ter (2008) bei einem 57-Jährigen mit in- kann. nomisch nicht gruppierbare Ehrlichien- trazerebralen und subarachnoidalen Blu- In Deutschland spielt die Babesien- DNA in 19 von 121 vollgesaugten I. rici- tungen und einem Aneurysma an der Ca- spezies Babesia divergens (rinderassozi- nus, die von 1998 in Holland erlegten Re- rotis interna diagnostiziert [41]. In den iert) eine Rolle bei immunsupprimierten hen stammten [37]. Bei einer Untersu- Jahren 2008 und 2009 wurden 2 Fälle bei Patienten. Die Krankheitsfälle sind meist chung von 357 I. ricinus, die zwischen ebenfalls immunkomprimierten Patien- schwerer, als bei den bisher seltenen Fäl- 1998 und 2001 von asymptomatischen ten in der Tschechischen Republik gefun- len, die durch B. microti (nager­assoziiert) italienischen Patienten gesammelt wur- den [41]. ausgelöst wurden. Babesia venatorum den, wurde diese DNA in 10 Zecken ge- 2009 wurden in der Schweiz und in (bisher nur in Rehwild nachgewiesen) funden. Für den entsprechenden Erreger Schweden 2 weitere Patienten mit Neo- kann nur molekularbiologisch von B. di- wurde dann der Name Candidatus Ehrli- ehrlichiose diagnostiziert, die ebenfalls vergens unterschieden werden. Daher ist chia walkeri sp. nov. vorgeschlagen [38]. eine Grunderkrankung hatten [41]. Bis unklar, ob und wie viele der vor der Ent- Auch in Deutschland wurden im Jahr zum Oktober 2012 waren diese 6 Fälle wicklung molekularbiologischer Metho- 2003 erstmals entsprechende DNA-Se- die einzigen labordiagnostisch bestätig- den beschriebenen humanen Babesiose- quenzen in I. ricinus beschrieben [39]. ten humanen Neoehrlichiosen. Dies än- fälle auf diese Babesienart zurückzufüh- Nachdem der Erreger 2003 auch in Chi- derte sich durch einen Bericht aus Chi- ren sind. na nachgewiesen wurde, erschien 1 Jahr na: Dort wurde bei 7 von 622 Fieberpa- Der erste Fall von humaner Babesio- später die Arbeit einer japanischen Grup- tienten im Nordosten des Landes CNM se wurde in Kroatien beschrieben [45]. pe, die die DNA des „neuen“ Erregers in mittels PCR im Blut nachgewiesen [43]. Er trat bei einer immunsupprimierten 7 von 15 Wanderratten (Rattus norve- Die derzeit letzten Fallberichte stammen Person auf. Der erste Fall einer humanen gicus) und in 5 von 128 einzeln oder in aus der Schweiz, wo 2 Patienten nach ent- Babesiose bei einer immunkompeten- Pools getesteten I. ovatus auf Hokkaido sprechender Doxycycline-Behandlung ten Person fand sich auf der Nantucket

546 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Island vor der Küste von Massachusetts lic Health“ wäre es daher durchaus sinn- 8. Hassler D, Oehme R, Kimmig P, Dobler G (2003) Eyach Virus: Erstmaliger Nachweis aus Zecken [46]. Seitdem wurden Fälle im Nordos- voll, die Bedeutung dieser derzeit in Ze- nach mehr als 25 Jahren in Südwest-Deutschland. ten und im höheren mittleren Westen cken nur seltenen nachgewiesenen In- Dtsch Med Wochenschr 128(37):1874 der USA berichtet. In Japan und Taiwan fektionserreger, d. h. ihre Verbreitung 9. Chastel C (1998) Erve and Eyach: two viruses iso- lated in France, neuropathogenic for man and verursachten Babesia-microti-ähnliche und ihr pathogenes Potenzial für den ­widely distributes in Western Europe. Bull Acad Erreger Erkrankungen, und in Südkorea Menschen, eingehender zu untersu- Natl Med 182:801–810 wurde ein neuer Babesienstamm (KO1) chen, um eine realistische Abschätzung 10. Oker-Blom N, Salminen A, Brummer-Korvenkon- tio M et al (1964) Isolation of some viruses other identifiziert. Sporadische Fälle der Babe- der gesundheitlichen Gefahren zu ermit- than typical tick-borne encephalitis virus from siose traten aber auch in Afrika (Ägyp- teln [50]. Ixodes ricinus ticks in Finland. Ann Med Exp Biol ten), Australien, und Südamerika (Ko- Fenn 42:109–112 11. Süss J, Schrader C (2004) Durch Zecken übertra- lumbien) auf [47, 48]. Im Jahr 2007 wur- Korrespondenzadresse gene humanpathogene und bisher als apathogen de der erste autochthone Fall von Babe- geltende Mikroorganismen in Europa. Bundes- gesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheits- siose in Westeuropa (Deutschland) be- Prof. Dr. M. Niedrig schutz 47:392–404 schrieben [49]. Zentrum für Biologische Gefahren 12. Wössner R, Grauer MT, Langenbach J et al (2000) und Spezielle Pathogene (ZBS-1), The Erve virus: possible mode of transmission and Fazit Robert Koch-Institut reservoir. Infection 28:164–166 Nordufer 20, 13353 Berlin 13. Treib J, Dobler G, Haass A et al (1997) Thunder­ [email protected] clap headache caused by Erve virus. Neurology Auch wenn die Zahl der Berichte über 50:509–511 einzelne Fälle von Anaplasmose, Babe- 14. Fingerle V, Schulte-Spechtel UC, Ruzic-Sabljic E et al (2008) Epidemiological aspects and molecular siose, Infektionen mit Candidatus Neo- Danksagung. Für die Anregungen und Unterstüt- characterization of Borrelia burgdorferi s.l. from ehrlichia mikurensis und Tularämie in zung bei diesem Beitrag möchten wir uns recht herz- southern Germany with special respect to the lich bei Prof. Jabbar Ahmed, Borstel, und Prof. Heiner Deutschland und angrenzenden Län- new species Borrelia spielmanii sp. nov. Int J Med Neubauer, Jena, bedanken. Microbiol 298:279–290 dern leicht angestiegen sind, fehlen 15. Stanek G, Fingerle V, Hunfeld KP et al (2011) Lyme noch wesentliche Erkenntnisse über das Einhaltung ethischer Richtlinien borreliosis: clinical case definitions for diagnosis Vorkommen dieser Infektionserreger in and management in Europe. Clin Microbiol Infect 17:69–79 diesen Regionen und über ihre mögli- Interessenkonflikt. G. Dobler, V. Fingerle, P. Hage- dorn, M. Pfeffer, C. Silaghi, H. Tomaso, K. Henning und 16. Huppertz HI, Bohme M, Standaert SM et al (1999) che gesundheitliche Bedeutung. Trotz M. Niedrig geben an, dass kein Interessenkonflikt be- Incidence of Lyme borreliosis in the Wurzburg re- der über die letzten 10 Jahre deutlich steht. gion of Germany. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 18:697–703 verbesserten diagnostischen Methoden Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen 17. Muller I, Freitag MH, Poggensee G et al (2012) stehen systematische Untersuchungen oder Tieren. Evaluating frequency, diagnostic quality, and zur Prävalenz und geografischen Ver- cost of Lyme borreliosis testing in Germany: a re- trospective model analysis. Clin Dev Immunol breitung dieser Infektionserreger in Ze- Literatur 59:5427 cken in Deutschland noch aus. Die ein- 18. RKI (2010) Lyme-Borreliose: Analyse der gemelde- zelnen Fallberichte zeigen, dass Perso- 1. Scheid W, Ackermann R, Bloedhorn H et al (1964) ten Erkrankungsfälle der Jahre 2007 bis 2009 aus Untersuchungen über das Vorkommen der Zen­ den sechs östlichen Bundesländern. Epidemiol nen mit Vorerkrankungen oder Immun- traleuropäischen Enzephalitis in Süddeutschland. Bull 12:101–107 supprimierte ein deutlich höheres Risiko Dtsch Med Wochenschr 89:2313–2317 19. Platonov AE, Karan LS, Kolyasnikova NM et al haben, entsprechende Krankheitssymp- 2. Kaiser R (1999) The clinical and epidemiological (2011) Humans infected with the relapsing fever profile of tick-borne encephalitis in southern Ger- spirochete Borrelia miyamotoi, Russia. Emerg In- tome zu entwickeln. Dies ist ein Aspekt, many 1994–98: a prospective study of 656 pa­ fect Dis 17:1816–1823 der aufgrund des immer größer werden- tients. Brain 122:2067–2078 20. Ellis J, Oyston PC, Green M, Titball RW (2002) Tula- den Anteils älterer Menschen an der Ge- 3. Libikova H, Rehaccek J, Gresikova M et al (1964). remia. Clin Microbiol Rev 15:631–646 Cytopathic viruses isolated from Ixodes ricinus 21. Kaysser P, Seibold E, Mätz-Rensing K et al (2008) samtbevölkerung an Bedeutung gewin- ticks in Czechoslovakia, Acta Virol 8:96 Re-emergence of tularemia in Germany: presence nen wird. Ohne weitere umfangreichere 4. Dobler G, Wölfel R, Schmuser H et al (2006) Sero- of Francisella tularensis in different rodent species Untersuchungen zu Verbreitung, Dyna- prevalence of tick-borne and mosquito-­borne ar- in endemic areas. BMC Infect Dis 17:157 boviruses in European brown hares in ­Northern 22. Gehringer H, Schacht E, Maylaender N et al (2013) mik und zu den Pathogenitätsfaktoren and Western Germany. Int J Med Microbiol Presence of an emerging subclone of Francisel- von durch Zecken übertragenen Infek- 296(Suppl 40):80–83 la tularensis holarctica in Ixodes ricinus ticks from tionserregern werden wir unsere Kennt- 5. Malkova D, Holubova J, Kolman JM et al (1980) south-western Germany. Ticks Tick Borne Dis Antibodies against some arboviruses in persons 4:93–100 nisse auch zukünftig nur aus den weni- with various neuropathies. Acta Virol 24:298 23. Franke J, Fritzsch J, Tomaso H et al (2010) Coexis- gen diagnostisch bestätigten Einzelfäl- 6. Rhese-Küpper B, Casals J, Rhese E, Ackermann R tence of pathogens in host-seeking and feeding len beziehen können. Inwieweit von den (1976) Eyach – an arthropod-borne virus related ticks within a single natural habitat in Central Ger- to Colorado tick fever virus in Federal Republic of many. Appl Environ Microbiol 76:6829–6836 berichteten neuen Erregern ein weit grö- Germany. Acta Virol 20:339–344 24. Müller W, Hotzel H, Otto P et al (2013) German ßerer Personenkreis betroffen ist, der 7. Chastel C, Main AJ, Couatar-Manac’HA et al (1984) Francisella tularensis isolates from European nach Zeckenstich mit unklarer Sympto- Isolation of Eyach virus (Reoviridae, Colorado tick brown hares (Lepus europaeus) reveal genetic fever group) from Ixodes ricinus and Ixodes ven- and phenotypic diversity. BMC Microbiol 13:61 matik gar nicht oder ggf. auch falsch be- talloi ticks in France. Arch Virol 82:161–171 handelt wird, lässt sich aufgrund der mangelnden Erkenntnisse bisher nicht einmal abschätzen. Aus Sicht des „Pub-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 547 Leitthema Lesetipp

25. Široký P, Kubelová M, Modrý D et al (2010) 41. Jahfari S, Fonville M, Hengeveld P et al (2012) Pre- Wie können wir die Patienten- ­Tortoise tick Hyalomma aegyptium as long term valence of Neoehrlichia mikurensis in ticks and carrier of Q fever agent Coxiella burnetii-evi­ rodents from North-west Europe. Parasit Vectors sicherheit verbessern? dence from experimental infection. Parasitol Res 5:74 107:1515–1520 42. Richter D, Matuschka FR (2012) „Candidatus Neo- Das Thema Patientensicherheit hat in der 26. Samuel JE, Frazier ME, Mallavia LP (1985) Corre- ehrlichia mikurensis“, Anaplasma phagocyto- lation of plasmid type and disease caused by Co- philum, and lyme disease spirochetes in quest­ Gesundheitsversorgung in den letzten xiella burnetii. Infect Immun 49(3):775–779 ing european vector ticks and in feeding ticks re­ Jahren zunehmend an Bedeutung ge- 27. Sting R, Breitling N, Oehme R, Kimmig P (2004) moved from people. J Clin Microbiol 50:943–947 wonnen. 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Int J Med Mi- von 36,- EUR zzgl. Versandkosten bei crobiol 296(40):297–301 Springer Customer Service Center 36. Overzier E, Pfister K, Herb I et al (2013) Detection of tick-borne pathogens in roe deer (Capreolus ca- Kundenservice Zeitschriften preolus), in questing ticks (Ixodes ricinus), and in Haberstr. 7, 69126 Heidelberg ticks infesting roe deer in southern Germany. Ticks Tel.: +49 6221-345-4303 Tick Borne Dis 4:320–328 37. Schouls LM, Van De Pol I, Rijpkema SG, Schot CS Fax: +49 6221-345-4229 (1999) Detection and identification of Ehrlichia, E-Mail: [email protected] Borrelia burgdorferi sensu lato, and Bartonella species in Dutch Ixodes ricinus ticks. J Clin Micro- biol 37:2215–2222 Suchen Sie noch mehr zum Thema? 38. Sanogo YO, Parola P, Shpynov S et al (2003) Genet­ Mit e.Med, dem Online-Paket von ic diversity of bacterial agents detected in ticks Springer Medizin, können Sie schnell und removed from asymptomatic patients in north­ eastern Italy. Ann N Y Acad Sci 990:182–190 komfortabel in über 500 medizinischen 39. Loewenich FD von, Baumgarten BU, Schröppel K Fachzeitschriften recherchieren. et al (2003) High diversity of ankA sequences of Weitere Infos unter springermedizin.de/ Anaplasma phagocytophilum among Ixodes ri- cinus ticks in Germany. J Clin Microbiol 41:5033– eMed. 5040 40. Kawahara M, Rikihisa Y, Isogai E et al (2004) Ul- trastructure and phylogenetic analysis of „Candi- datus Neoehrlichia mikurensis“ in the family Ana- plasmataceae, isolated from wild rats and found in Ixodes ovatus ticks. Int J Syst Evol Microbiol 54:1837–1843

548 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:549–556 P. Sebastian1 · U. Mackenstedt2 · M. Wassermann2 · E. Wurst2 · K. Hartelt1 · DOI 10.1007/s00103-013-1929-5 T. Petney3 · M. Pfäffle3 · N. Littwin3 · J.L.M. Steidle4 · P. Selzer4 · S. Norra5 · Online publiziert: 25. April 2014 D. Böhnke5 · R. Gebhardt5 · O. Kahl6 · H. Dautel6 · R. Oehme1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Ref. 93, Allgemeine Hygiene und Infektionsschutz, Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2 FG Parasitologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim 3 Abteilung für Ökologie und Parasitologie, Zoologisches Institut, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 4 FG Tierökologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim 5 Institut für Geographie und Geoökologie, Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 6 tick-radar GmbH, Berlin Ökologie von Zecken als Über- träger von Krankheitserregern in Baden-Württemberg und biologische Zeckenbekämpfung

Zecken und von Zecken übertragene lichtungen, aber auch in Parkanlagen über Zecken und zeckenübertragene Krankheitserreger sind von großer Be- und Gärten zu finden und kann das gan- Krankheiten publiziert wurde, konzen- deutung für die Gesundheit von Mensch ze Jahr über aktiv sein. Adulte Zecken trieren sich diese Studien nur auf Teil- und Tier. Zu den übertragenen Pathoge- und Nymphen haben ihre Aktivitäts- aspekte der Zecke-Pathogen-Dynamik. nen gehören Bakterien, Viren und Para- maxima im Frühjahr und Herbst, Lar- Bislang gibt es keine Langzeitstudie, die siten, darunter die Erreger der Lyme- ven eher im Frühsommer. Die beiden die komplexe Beziehung zwischen Ze- Borreliose (Borrelia burgdorferi sensu la- Dermacentor-Arten D. marginatus und cken, zeckenübertragenen Pathogenen to) und das Frühsommer-Meningoen- D. reticulatus kommen erheblich selte- und der biotischen und abiotischen Um- zephalitis-Virus (FSME-Virus). Bei al- ner in Deutschland vor als I. ricinus. Die welt umfassend untersucht und in der len Vertretern dieser Tiergruppe handelt Auwald­zecke tritt vor allem im Süden die Einflüsse von Umweltfaktoren, der es sich um blutsaugende Parasiten. Man und Osten Deutschlands auf, während Populationsdynamik der Vertebraten- unterscheidet zwischen Lederzecken (Ar- die Schafzecke nur in Süddeutschland wirte von Zecken, der Zecken selbst, gasidae) und Schildzecken (Ixodidae). anzutreffen ist. Beide Arten bevorzugen ihre eigenen Pathogene oder Parasiten Schildzecken spielen für den Menschen sonnige und warme Habitate. Sie bevor- und der von ihnen übertragenen Patho- eine zentrale Rolle als Krankheitsüber- zugen z. B. sonnenexponierte, offene und gene hinreichend dokumentiert werden. träger. Alle Schildzecken in Deutschland lichte, mit Büschen und Bäumen durch- Ohne gekoppelte Informationen über haben einen sog. dreiwirtigen Entwick- setzte Flächen in Wäldern, an Waldrän- diese Faktoren ist es allerdings unmög- lungszyklus. dern und -lichtungen oder Wiesen. Adul- lich, Veränderungen in der Abundanz Zurzeit sind für Deutschland 17 Arten te Zecken sind zwischen Februar und Mai und Ausbreitung von Zecken und ze- von Zecken bekannt, unter ihnen die 3 für und nochmals ab August bis Winterbe- ckenübertragenen Krankheiten des Men- Baden-Württemberg medizinisch und ginn aktiv. Dermacentor ist deutlich grö- schen richtig darzustellen und zu verste- veterinärmedizinisch wichtigsten Arten, ßer als Ixodes. hen. Gleiches gilt für die Entwicklung der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), Das Vorkommen zeckenübertragener und Einführung geeigneter Präventions- die Auwaldzecke ­(Dermacentor reticu- Krankheitserreger in einer Region wird und Kontrollstrategien. latus) und die Schafzecke (Dermacentor­ von einer Vielzahl verschiedener Fakto- marginatus) (. Abb. 1). Ixodes ricinus ist ren beeinflusst. So wirken sich z. B. öko- Ziele des Projekts die häufigste Zeckenart und ist deutsch- logische und mikro- bzw. makroklima- landweit außer in Gebirgsregionen über tische Faktoren auf das Vorkommen der Das vorrangige Ziel dieses im Rahmen 800 m bevorzugt in Wäldern (Laub- und Zecken und ihrer Wirte aus. Obwohl die des Förderprogrammes BWPLUS vom Mischwälder mit geschlossener Laub- meisten dieser Faktoren bereits bekannt Ministerium für Umwelt, Klima und streu), an Waldrändern und auf Wald- sind und in den letzten Jahrzehnten viel Energiewirtschaft Baden-Württemberg

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 549 Leitthema

Abb. 1 8 a Weibchen des gemeinen Holzbocks Ixodes ricinus (Foto: mit freundl. Genehmigung von www.zecken.de). b Männ- chen einer Auwaldzecke Dermacentor reticulatus (Foto: © Rainer Altenkamp, Titel „Dermacentor reticulatus“) (http://com- mons.wikimedia.org/wiki/File:Dermacentor_reticulatus_M_070825.jpg). c Weibchen einer Schafzecke Dermacentor margi- natus (Foto: ©Lucarelli, Titel „Dermacentor marginatus“) (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dermacentor_marginatus. JPG). Die Teilabbildungen b und c sind lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 International License (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/). Es wurden keine Modifikationen durchgeführt

Modul 1 Modul 2 Modul 3 1 lenz in ­Abhängigkeit von Mikrokli- Umwelt Detailstudien Pathogene ma, ­Habitatstruktur und Wirtspopu- - Großächige Verteilung - Mikroklima - Pathogenprävalenz lationen, und Landnutzung Borrelia burgdorferi s.l. und F auf die Analyse des Auftretens und - Säugetiere Rickettsia spp. - Klimadaten der Dynamik der wichtigsten hu- - Habitatfragmentierung - Vorkommen bzw. manpathogenen, zeckenübertrage- Abwesenheit FSME-Virus nen Erreger (Borrelia spp., FSME- - Zeckenaktivität (FSME-V) und Babesia spp. Virus, Rickettsia spp., Babesia spp.) in unterschiedlichen Habitaten Ba- den-Württembergs in Abhängigkeit Individuelle Analysen Individuelle Analysen Individuelle Analysen von Habitatstruktur, Mikroklima 4 und Wirtspopulationen, F auf die Entwicklung eines Modells Modul 4 zu Umwelt-Zecke-Wirt-Pathogen- 5 Zusammenfassung der Daten und Modellentwicklung Interaktionen in Baden-Württem- berg, auf dem dann eine zukünftige Mindestlaufzeit (Jahre) Risikokarte auf Basis der tatsächli- chen Häufigkeitsmuster von Zecken Abb. 2 8 Struktur des Projekts zur Erstellung eines Risikomodells für zeckenübertragene Krankheits- erarbeitet wird. erreger in Baden-Württemberg; die 4 Module und ihre jeweiligen Komponenten Diese Untersuchungen befassen sich vor- nehmlich mit der häufigsten Zecken- finanzierten Projektes ist die Erstellung gen. Im Gegensatz dazu, soll das geplante art Baden-Württembergs, dem Gemei- eines Risikomodells für zeckenübertra- Modell, basierend auf den untersuchten nen Holzbock Ixodes ricinus, mit den gene Krankheitserreger in Baden-Würt- Daten, über das Jahr hinweg dynamisch wichtigsten Kleinsäugerwirten für Lar- temberg (BW) unter Berücksichtigung anzeigen, wann und wo das Risiko erhöht ven und Nymphen dieser Art und mit des Einflusses abiotischer und biotischer ist, von einer infizierten Zecke gestochen den Krankheitserregern, die sie übertra- Faktoren auf die Dynamik von Zecken- zu werden. Auf folgende Punkte soll ge- gen. Das Projekt basiert auf einer Litera- populationen und der Verbreitung von nauer eingegangen werden: turstudie, die von Mitarbeitern des Pro- zeckenübertragenen Pathogenen. Bishe- F auf die Analyse des großflächigen jekts angefertigt und im Fachdokumen- rige Risikokarten zeigen zum einen die Verbreitungsmusters von Zecken in- tendienst FADO der LUBW veröffent- Inzidenzen bestimmter zeckenübertra- nerhalb Baden-Württembergs unter licht wurde [1]. gener Krankheiten. Sie basieren aber nur Berücksichtigung von Landschafts- auf den Orten, an denen die Krankheits- mustern, Habitatcharakteristika und Projektstruktur fälle gemeldet wurden, und nicht auf den lokalem Klima, Orten, an denen Patienten von Zecken F auf die Durchführung detaillier- In diesem Projekt arbeiten Spezialisten gestochen wurden. Zum anderen gibt ter, lokaler Langzeitstudien über Ze- aus verschiedenen Fachbereichen zu- es Karten, die das Risiko bewerten, von cken und ihre Kleinsäugerwirte zur sammen, um den Einfluss von Wetter, einer Zecke an einem bestimmten Ort ge- Erhebung von saisonalen und jähr- (Mikro-)Klima, Habitat, Landnutzung, stochen zu werden, ohne dabei die Prä- lichen Schwankungen in der Ze- menschlichen Eingriffen und der Wirts- valenz infizierter Zecken zu berücksichti- ckenaktivität und Pathogenpräva- tierpopulationsdynamik auf die Verbrei-

550 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract tung und Dynamik von Zecken und auf Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:549–556 DOI 10.1007/s00103-013-1929-5 die von ihnen übertragenen Krankheits- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 erreger für Baden-Württemberg zu be- P. Sebastian · U. Mackenstedt · M. Wassermann · E. Wurst · K. Hartelt · T. Petney · M. Pfäffle · stimmen. Neben dem Landesgesund- N. Littwin · J.L.M. Steidle · P. Selzer · S. Norra · D. Böhnke · R. Gebhardt · O. Kahl · H. Dautel · heitsamt Baden-Württemberg (Refe- R. Oehme rat 93) sind das Karlsruher Institut für Ökologie von Zecken als Überträger von Krankheitserregern Technologie (Abteilung Ökologie und in Baden-Württemberg und biologische Zeckenbekämpfung Parasitologie; Institut für Geographie Zusammenfassung und Geoökologie), die Universität Ho- Zecken und von Zecken übertragene Krank- hang mit dem Bestandesklima (Modul 2) und henheim (FG Tierökologie) und die tick- heitserreger sind von großer Bedeutung für mit dem Auftreten wichtiger, durch Zecken radar GmbH (Berlin) an der Durchfüh- die Gesundheit von Mensch und Tier. Über übertragener Pathogene befassen (Modul 3). rung dieses Projekts beteiligt. die Faktoren, die die Verbreitung und Dyna- Das vierte Modul beinhaltet eine übergrei- Die Studie ist in 3 Forschungsmodule mik von Zecken beeinflussen, ist allerdings fende Analyse und Synthese aller Daten, um (1 bis 3) unterteilt, die der Erhebung von nur wenig bekannt. In einem vom Ministe- die relative Bedeutung der untersuchten Fak- rium für Umwelt, Klima und Energiewirt- toren zu bestimmen und um damit ein Risi- Daten dienen, und in ein Modul (4), das schaft Baden-Württemberg im Rahmen des komodell zu entwickeln. Darüber hinaus wur- sich mit der Analyse der Forschungsmo- Förderprogrammes BWPLUS finanzierten den in den letzten Jahren intensive Versuche dule 1 bis 3 beschäftigt (. Abb. 2). Die Projektes arbeiten daher Spezialisten aus ver- mit verschiedenen entomopathogenen Pil- Module 1 bis 3 sind jeweils in mehrere schiedenen Fachbereichen zusammen, um zen, Nematoden sowie mit einer parasitoiden Submodule untergliedert, die sich mit be- den Einfluss von Wetter, (Mikro-)Klima, Ha- Erzwespe durchgeführt. Ziel dieser Versuche stimmten ökologischen Variablen befas- bitat, Landnutzung, menschlichen Eingriffen war und ist es zu überprüfen, ob diese natür- und der Populationsdynamik der Wirtstiere lichen Antagonisten eingesetzt werden kön- sen. Modul 1 untersucht das großflächi- auf die Verbreitung und Dynamik von Zecken nen, um die Anzahl der Zecken im Freiland ge Verbreitungsmuster von Zecken und und den von ihnen übertragenen Krankheits- wirksam zu reduzieren. zeckenübertragenen Krankheitserregern erregern in Baden-Württemberg zu unter- in Baden-Württemberg in Abhängigkeit suchen. Das Projekt ist in 4 Module unter- Schlüsselwörter von landschaftlichen, klimatischen und teilt, die sich mit dem großräumigen Verbrei- Zecken · Zeckenübertragene Krankheiten · tungsmuster von Zecken in Baden-Württem- Ökologie der Zecken · Biologische ökologischen Faktoren. Anhand eines berg (Modul 1), mit Detailstudien zu Zecken- Zeckenbekämpfung · Zecken-Wirt-Dynamik landschaftsökologischen Kriterienkata- Wirt-Pathogen-Interaktionen im Zusammen- logs wurden mittels eines geografischen Informationssystems (GIS) 25 Standor- te ausgewählt, die typischen Zeckenha- The ecology of ticks, tick-borne diseases and bitaten in Baden-Württemberg entspre- biological tick control in Baden-Württemberg chen und unterschiedliche Vegetations- Abstract gesellschaften, Böden und Klimate ab- Ticks and tick-borne diseases are of great sig- microclimate (module 2), and the spatial oc- decken. Einmal pro Monat und Standort nificance for the health of humans and ani- currence of important tick-borne pathogens werden aktive Zecken auf einer Fläche mals. However, the factors influencing their (module 3). The fourth module involves the von 100 m2 um die Klimamessstationen distribution and dynamics are inadequate- comprehensive analysis and synthesis of all mit einem 1 m2 großen Baumwolltuch ly known. In a project financed by the Baden- data in order to determine the relative impor- geflaggt. Zusätzlich werden an diesen Württemberg Ministry of the Environment, tance of the factors studied and to develop a Climate and Energy Industry, as part of the risk model. Recently, intensive investigations Standorten wichtige mikroklimatische program BWPLUS, interdisciplinary special- into tick control have been undertaken using und bodenkundliche Daten erhoben. ists work together to determine the influ- various entomopathogenic fungi and nem- Am Institut für Geographie und Geo- ence of weather, (micro)climate, habitat, land atodes as well as a parasitoid wasp. Our aim ökologie werden in einem Geoinforma- use, human activities, and the population dy- was to determine whether these natural en- tionssystem (GIS) die Daten der Zecke- namics of host animals on the distribution emies could be used to effectively reduce the nabundanzen mit den jeweiligen Land- and abundance of ticks and the diseases that number of free-living ticks. they transmit in Baden-Württemberg. The schaftsmustern und dem lokalen Klima project comprises four modules: the large- Keywords verknüpft, um die Lebensräume, die für scale distribution of ticks in Baden-Württem- Ticks · Tick-borne diseases · Ecology of ticks · Zecken besonders günstig erscheinen, zu berg (module 1), detailed studies of host– Biological tick control · Tick-host dynamics identifizieren. Im Modul 2 wird im Detail tick–pathogen interaction in relation to the untersucht, inwiefern Mikroklima, Habi- tat und Wirtstiere die Populationsdyna- mik von Zecken beeinflussen. An 5 In- dieses Moduls ist es, Schwankungen in hend die gleichen Sammelmethoden ver- tensivmessstationen werden monatlich der Zeckendynamik sowohl mit dem Mi- wendet. Um die Zeckenaktivität abhängig Kleinsäugerwirte lebend gefangen und kroklima als auch mit der Wirtsdynamik von Jahreszeit, Wetter und Tageszeit mes- auf Zeckenbefall untersucht, Zecken auf zu korrelieren. Um den statistischen Ver- sen zu können, haben das Karlsruher In- der Vegetation gesammelt und mikrokli- gleich aller Sammelstellen zu gewährleis- stitut für Technologie sowie die Universi- matische Daten aufgenommen. Das Ziel ten, werden für Modul 1 und 2 durchge- tät Hohenheim zusätzlich Zeckenstatio-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 551 Leitthema

Abb. 4 8 Lebenszyklus von Ixodiphagus hookeri (Fotos: mit freundl. Geneh- migung von J. Collatz)

Abb. 3 9 Karte der naturräumlichen Gliederung Baden-Württembergs und die für das Projekt ausgewählten Standorte

nen im Umland von Karlsruhe und Stutt- ben den beiden wichtigsten Krankheits- den-Württemberg spezifiziert werden gart aufgebaut, die mehrmals wöchent- erregern (Borrelia burgdorferi sensu lato (. Abb. 3). lich kontrolliert werden. Die Zeckenakti- und das FSME-Virus) werden die Zecken Erste Ergebnisse der Messreihen zei- vität wird nach einer Methode von Dautel auch auf das Vorhandensein von Rickett- gen die generelle Häufigkeitsabnahme et al. [2] erfasst. Sie umfasst das Sammeln sien und Babesien getestet. Im Modul 4 der Zecken mit der Höhe und der da- von Zecken im Freiland (Larven, Nym- findet eine übergreifende Analyse aller mit abnehmenden mittleren Temperatur phen, Adulte), ihre Fütterung im Labor Daten aus den vorherigen Modulen statt, des Standortes sowie einen Einfluss der (Insect-Services GmbH, Berlin) und die um die relative Bedeutung der untersuch- relativen Feuchte. Eine genauere Analy- Überführung der frisch gesogenen Ze- ten Faktoren zu bestimmen und um da- se zum Einfluss der von uns untersuch- cken auf Feldparzellen von jeweils 1 m2 mit ein populationsökologisches Modell ten Faktoren auf die Zeckenabundanz ist Größe mit einer 10 cm hohen Laubschicht der Zeckenaktivitäten in Baden-Würt- zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, aus Eichen- und Buchenblättern, die mit temberg zu erstellen. Dieses soll auch ge- da die ermittelten Zeitreihen der Klima- einem Drahtnetz bedeckt sind und in die nutzt werden, um die Bedeutung von Kli- und Zeckendaten noch nicht in ausrei- 48 Holzstäbe (jeweils 60 cm) in einem maveränderungen für zeckenübertragene chender Zeitdauer zu Verfügung stehen, 6×8 Gitternetz angeordnet sind. Nach Erkrankungen in Baden-Württemberg zu um eine genaue Aussage zur Gewichtung erfolgter Entwicklung der Zecken zum bewerten. bestimmter Faktoren zu tätigen. nächsten Entwicklungsstadium (Häu- Bisher einmalig in der Zeckenfor- tung) im darauf folgenden Sommer wird Erste Ergebnisse schung wird die Verwendung bereits vor- ihr Aktivitätsmuster über eine Zeitspanne handener geografischer Daten des Landes von bis zu etwa 1,5 Jahren in kurzen Ab- Modul 1 – großflächige Verteilung Baden-Württemberg (WIBAS) für weite- ständen bestimmt. Von März bis Oktober re statistische Auswertungen sein. Rele- finden 3-malige Kontrollen, von Novem- Zunächst wurden über thematische Kar- vant sind Grundwasserkarten, großflä- ber bis Februar 1- bis 2-malige Kontrollen ten zur Geologie, zur Topographie, zu chige Daten zu den Böden und zur Vege- pro Woche statt. Dazu parallel wird 1-mal den Bodentypen, zum Klima, zur poten- tationsbedeckung. Außerdem sollen zu- pro Woche in der Nähe dieser Standorte ziell natürlichen und zur real vorkom- sätzlich Satellitenkarten zum Klima, aber nach Zecken geflaggt (jeweils 24 Flaggen- menden Vegetation sowie zu naturräum- auch zur Landschaftsnutzung hinzugezo- züge à 10 m), soweit es die Wetterbedin- lichen Einheiten möglichst unterschied- gen werden. gungen und das Substrat zulassen. In Mo- liche, typische Bereiche Baden-Württem- dul 3 werden alle gesammelten Zecken bergs identifiziert. Die Standortwahl er- aus Modul 1 und 2 auf das Vorkommen folgte anschließend über Geländebege- verschiedener Erreger untersucht. Ne- hungen. So konnten 25 Standorte in Ba-

552 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Tab. 1 Vorkommen von Ixodes ricinus auf Kleinsäugern an den Intensivmessstationen im Modul 3 – Jahr 2012 (Prävalenzen der Zecken auf Kleinsäugern) Pathogenuntersuchungen Habitat Anzahl Anzahl abge- Abundanz Abundanz Abundanz ­Kleinsäuger sammelter Larven Nymphen gesamt Insgesamt wurden 2012 an den 4 Intensiv- Zecken messstationen 766 Zecken geflaggt. Die Michaelsberg 351 1855 5,28 (80,1%) 0,01 (0,6%) 5,28 (80,1%) Homogenate der Zecken wurden im ers- Hardtwald 316 1331 4,18 (70,9%) 0,03 (3,2%) 4,21 (71,2%) ten Schritt gepoolt untersucht (10 Nym- Auwald 386 1693 4,36 (72,8%) 0,03 (2,3%) 4,39 (72,8%) phen bzw. 5 adulte Zecken). Das FSME- Schwarzwald 405 828 2,03 (49,6%) 0,01 (1%) 2,04 (49,6%) Virus und Babesia spp. konnten nicht Alle 1458 5707 3,9 (67,7%) 0,02 (1,7%) 3,91 (67,8%) nachgewiesen werden. Die Prävalenzen für B. burgdorferi s.l. in den Zeckenpools lagen bei 22% im Hardtwald und bei 30% Modul 2 – detaillierte Die Auwaldzecke Dermacentor reticula- am Michaelsberg. Bei einzeln aufgerei- Langzeitstudien tus wurde, außer im Schwarzwald, in al- nigten Zecken konnten für Borrelien nur len Habitaten auf den Kleinsäugern ge- Prävalenzen von 0% (Schwarzwald und Im Jahr 2012 wurden in den Projektstand- funden, in hoher Anzahl allerdings nur Hardtwald), 2% (Michaelsberg) und 4% orten insgesamt 1458 Kleinsäuger gefan- im Hardtwald mit Peaks für Larven im (Auwald) ermittelt werden. Um diese Er- gen. Die dominierenden Arten in allen Juli und für Nymphen im August. In den gebnisse zu spezifizieren, werden weite- Habitaten sind die Gelbhalsmaus Apode- anderen Monaten wurden nur eine gerin- re Einzelaufreinigungen durchgeführt. mus flavicollis und die Rötelmaus Myodes ge Zahl an oder keine Auwaldzecken ge- Die untersuchten Zeckenpools zeig- glareolus. Weniger präsente Arten sind funden. Auf der Vegetation wurden nur ten eine hohe Rickettsia-spp.-Prävalenz die Zwergspitzmaus (Sorex minutus), im Mai im Hardtwald adulte Zecken ge- – zwischen 33% im Schwarzwald und die Waldspitzmaus (S. araneus), die Erd- funden. D. reticulatus zeigt eine andere 80% im Auwald. Die Einzelaufreinigun- maus (Microtus agrestis) und die Wald- Ökologie als der Gemeine Holzbock. Lar- gen ergaben eine Durchseuchung von ca. maus (A. sylvaticus). Insgesamt wurden ven und Nymphen leben möglicherwei- 20% an allen 4 Standorten. Daraus lässt auf den Kleinsäugern 4 verschiedene Ze- se in den Nestern ihrer Wirte, allerdings sich schließen, dass neben den bekannte- ckenarten gefunden, darunter der Ge- ist nicht bekannt, ob es Wirtspräferenzen ren Erregern wie dem FSME-Virus und meine Holzbock Ixodes ricinus, die Au- gibt. Es deutet sich allerdings an, dass Rö- B. burgdorferi s.l., auch Rickettsien eine waldzecke Dermacentor reticulatus sowie telmäuse die Hauptkleinsäugerwirte von wichtige Rolle als zeckenübertragene Pa- jeweils in geringer Anzahl I. acuminatus D. reticulatus sind. Untersuchungen an thogene spielen und dass hinsichtlich und I. trianguliceps. Für I. acuminatus ist Zeckenstationen wurden im Siebenmüh- ihrer Verbreitung und Typisierung weite- es in Deutschland die Erstbeschreibung. lental durchgeführt, da diese durch tick- re Untersuchungen notwendig sind. Der Holzbock ist in allen Habitaten radar und die Arbeitsgruppe in Stutt- Die im Modul 2 von Kleinsäugern ab- die dominierende Art auf den Wirten. gart (FG Tierökologie, Universität Ho- gesammelten Zecken wurden nach Art . Tab. 1 zeigt die Gesamtzahl, die Abun- henheim) bereits im Herbst 2009 instal- und Stadium bestimmt. Die Zecken wur- danz und Prävalenz der gefundenen I. ri- liert wurden. Die Zecken auf diesen Par- den in 3 Saugzustände eingeteilt: Klas- cinus auf den gefangenen Kleinsäugern. zellen wurden in größerer Zahl erstmalig se 1= Nichtgesogen; Klasse 2= Teilgeso- Im Schwarzwald wurden am wenigsten im Frühjahr 2011 aktiv, sodass es für die- gen und Klasse 3= Vollgesogen. Hier- Zecken gefunden, obwohl die Kleinsäu- sen Standort bereits für 2011 und 2012 lü- durch sollen Rückschlüsse auf die Über- gerdichte dort am höchsten war. Dies ckenlose Beobachtungsdaten gibt. Sie zei- tragung von Pathogenen vom Wirt auf hängt wahrscheinlich mit der Höhenla- gen für beide Untersuchungsjahre einen die Zecke gewonnen werden. ge und den entsprechenden klimatischen Beginn der saisonalen Zeckenaktivität Die Mehrzahl der gesammelten Ze- Bedingungen an diesem Standort zusam- Anfang März, wobei adulte Zecken frü- cken waren Larven. Larven vom glei- men. Beim Vergleich zwischen der Zahl her aktiv wurden als Nymphen. Eine Ten- chen Saugstatus, gleicher Art, gleichen an gefundenen Kleinsäugerarten mit der denz, die beim Fangen mit der Flaggme- Sammeldatums und vom gleichen Wirts- Zahl von I. ricinus, die jeweils auf diesen thode nicht erkennbar ist. In beiden Jah- tier wurden gemeinsam untersucht. Die Kleinsäugern gefunden wurde, fällt auf, ren ergab die engmaschige Beobachtung meisten abgesammelten Zecken gehör- dass die meisten Zecken auf A. flavicol- der Zecken in den Parzellen (von Anfang ten zu Klasse 2. Es wurde hauptsäch- lis zu finden sind. Dies gilt auch im Au- März bis Ende Oktober 3-mal pro Wo- lich I. ricinus auf den Kleinsäugern ge- wald und Schwarzwald, obwohl hier im che, ansonsten meist 1-mal pro Woche) funden. Bei den von Kleinsäugern ab- Verhältnis mehr M. glareolus als A. flavi- weniger stark fluktuierende Daten als der gesammelten Zecken wurden keine Ba- collis gefangen wurden. Im Vergleich zu meist wöchentliche Fang der Zecken mit besien nachgewiesen. Das FSME-Virus anderen Kleinsäugerarten scheint A. fla- Flaggen. Für eine statistische Analyse der wurde in 2 Larvenpools von 2 verschie- vicollis eine wichtigere Rolle für die Auf- Beziehung zwischen Zeckenaktivität und denen Kleinsäugerindividuen aus dem rechterhaltung von I.-ricinus-Populatio- Wetterbedingungen liegen aktuell noch Hardtwald gefunden. Insgesamt konn- nen zu spielen. zu wenige Daten vor. ten nur in I. ricinus Pathogene nachge-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 553 Leitthema

Abb. 5 8 Entwicklung von Metarhizium anisopliae als Beispiel für einen ­entomopathogenen Pilz. 1 Konidie heftet sich an die Zeckenkutikula an, Abb. 6 8 1 Nematoden dringen in den Wirt über natürliche Körperöffnun- 2 Konidie bildet einen Keimschlauch, 3 Keimschlauch durchdringt die Kuti- gen (Steinernema sp.) und Kutikula (Heterorhabditis sp.) ein, 2 Nemato- kula, 4 Keimschlauch bildet Blastosporen im Zeckenkörper, 5 M. ­anisopliae den entlassen Bakterien, 3 Zecke stirbt, Nematoden entwickeln sich, 4 ge- bildet ein Myzel, dass die ganze Zecke ausfüllt, 6 der Pilz durchbricht die schlechtliche (Steinernema sp.) oder zwittrige Vermehrung (Heterorhabdi- ­Kutikula der toten Zecke und bildet erneut Konidien tis sp.), 5 Entwicklung der infektiösen Larvenstadien (L3), 6 infektiöse Larven verlassen Zecke, 7 Behandlung mit infektiösen Larven

wiesen werden. Die Prävalenzen von Untersuchungen weiter entschlüsselt und henstandorten zum Einfluss von Über- B. burgdorferi s.l. und Rickettsia spp. lie- die Ergebnisse, falls möglich, pro Maus schwemmungen auf Zeckenpopulatio- gen mit 3–7 bzw. 7–11% für die unter- nach Art und Saugstadium analysiert. nen durchgeführt. suchten Larvenpools unter den Prävalen- Es wurde bisher gezeigt, dass neben Auch wird das untersuchte Patho- zen dieser Erreger bei den geflaggten Ze- B. burgdorferi s.l. vor allem Rickettsien genspektrum um den Erreger Candida- cken. Allerdings handelte es sich bei den in den untersuchten Zecken vorkom- tus Neoehrlicha mikurensis erweitert. geflaggten Zecken vorwiegend um Nym- men und diese sowohl in den geflaggten Schließlich sollen im weiteren Projekt- phen und Adulte, bei denen die Durch- als auch in den von Kleinsäugern gesam- verlauf Larven und Nymphen von Ixo- seuchungsrate mit Pathogenen meist hö- melten Zecken die höchsten Prävalenzen des ricinus auf das Vorkommen des na- her ist. Pathogene kamen nur in Larven- aufwiesen. Die Untersuchungen der ver- türlichen Antagonisten Ixodiphagus hoo- pools des Saugzustandes der Klasse 2 schiedenen Saugzustände der Zeckenlar- keri untersucht werden. Diese parasitoide und 3 vor. Dies lässt die Annahme zu, ven (von Mäusen) zeigten, dass Erreger Wespenart könnte zur Bekämpfung von dass die Erreger erst mit zunehmender erst nach einer gewissen Zeit des Saug- Zecken eingesetzt werden. Dauer des Saugaktes in die Zecke über- aktes in den Zecken nachweisbar sind. tragen wurden und keine transovariel- Um diese ersten Studienergebnisse zu Bekämpfung von Zecken le Übertragung stattgefunden hat. Die bestätigen und zu verfeinern, sind wei- höchsten Prävalenzen für Borrelien zeig- tere Untersuchungen zur Prävalenz und Schildzecken sind reine Blutsauger, d. h. te die Klasse 2 vom Standort Auwald mit eine genaue Artbestimmung der Erreger alle postembryonalen Zeckenstadien 11%, während in dieser Klasse am Stand- zwingend notwendig. (Larve, Nymphe, adulte Zecke) ernähren ort Michaelsberg keine Borrelien nach- sich ausschließlich vom Blut ihrer Wir- gewiesen wurden. Mit 17% Borrelia-posi- Ausblick te, das sie in einem Saugakt von meh- tiven Larvenpools der Klasse 3 zeigte der reren Tagen aufnehmen. Eine Bekämp- Schwarzwald die höchste Verbreitung Die durchgeführten Arbeiten wurden im fung von Zecken durch das Ausbringen dieses Erregers. Bei Rickettsien lag die Jahr 2013 weitergeführt. Durch den Ver- von toxischen Substanzen, die die Zecken Prävalenz in beiden Saugzuständen wie gleich der Daten aus dem Jahr 2012 mit mit der Nahrung aufnehmen müssten, ist in den geflaggten Zecken in einem hö- denen aus dem Jahr 2013 könnten even- daher nicht möglich. Auch der Einsatz heren Bereich von 7–19% (Klasse 2) bzw. tuell schon Einflüsse verschiedener Para- von direkt wirkenden Akariziden (z. B. 11–33% (Klasse 3; Auwald 0%). Auch meter auf die Zeckenabundanzen oder durch Flächensprühungen) scheidet aus hier zeigt sich die Dringlichkeit weite- die Pathogenprävalenzen erkennbar wer- Umweltgründen (Toxizität) aus. Versu- rer Untersuchungen im Hinblick auf das den. Zusätzlich zu den bisherigen Ver- che mit natürlichen Feinden von Zecken Vorkommen, die Verbreitung und die suchen werden Untersuchungen zur wurden bisher hauptsächlich in Israel, Übertragungshäufigkeit von Rickettsien. Variabilität des Mikroklimas, zum Ze- Amerika und Afrika durchgeführt, aller- Die Larvenpools werden in kommenden cken- und Pathogenvorkommen an Hö- dings nicht an Ixodes ricinus, dem Gemei-

554 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 nen Holzbock, der 95% der in Deutsch- der Rinder freigelassen wurden [5]. Die Entomopathogene Pilze land heimischen Zeckenpopulation aus- Versuche in Russland und in den USA macht [3]. Aus diesem Grund wurden in scheiterten, vermutlich weil dort zu we- Der Entwicklungszyklus entomopatho- den letzten Jahren intensive Versuche mit nig über die Lebensweise der eingesetzten gener Pilze umfasst mehrere Schritte verschiedenen entomopathogenen Pilzen Wespen bekannt war und weil teilweise (. Abb. 5). Nach dem Anheften der Ko- (Metarhizium anisopliae, Beauveria bass- standortfremde Wespen verwendet wur- nidie (asexuelle Spore = Dauerstadium) iana), Nematoden (Steinernema carpo- den [6]. Dies zeigt, dass die Bekämpfung an die Zeckenkutikula keimt die Koni- capsae, Steinernema feltiae, Heterorhab- von Zecken mithilfe der Zeckenerzwes- die unter Bildung eines Keimschlauchs ditis bacteriophora) sowie mit der para- pe prinzipiell möglich ist, allerdings nur, aus und dringt nach dem Ausscheiden sitoiden Erzwespe Ixodiphagus hookeri wenn die ökologischen Rahmenbedin- histolytischer Flüssigkeit in die Zecke durchgeführt. gungen hinreichend beachtet werden. ein. Zunächst vermehrt sich der Pilz in Ziel dieser Versuche ist es zu überprü- Um die Grundlagen für eine erfolgrei- der Hämolymphe, indem er Blastospo- fen, ob diese natürlichen Antagonisten che Zeckenbekämpfung mithilfe der Ze- ren ausbildet. Dabei wird er zu hefear- eingesetzt werden können, um die An- ckenerzwespe unter mitteleuropäischen tigen Hyphenkörpern, die durch Teilung zahl der Zecken im Freiland wirksam zu Bedingungen zu schaffen, wird an der und Sprossung der Hyphen entstehen. reduzieren. Universität Hohenheim seit einigen Jah- Schließlich durchzieht und erfüllt der ren ihre Ökologie untersucht. Nach Arbei- Pilz die ganze Zecke, die im Verlauf die- Die Erzwespe ten zum Wirtsfindungsverhalten [7] und ser Entwicklung abstirbt. In einem letz- Ixodiphagus hookeri der Anpassung der Wespen an die Phä- ten Schritt wächst der Pilz aus der Ze- nologie der Zeckenwirte [6] stehen aktuell cke heraus und bildet erneut Konidien. Die parasitoide Zeckenerzwespe Ixodi- ihre Häufigkeit und Verbreitung sowie die Entomopathogene Pilze sind in der Na- phagus hookeri ist der einzige bekann- ökologischen Bedingungen für ihr Auf- tur weit verbreitet und in Europa häufig te, natürliche Antagonist der Zecken in treten im Vordergrund. An ausgewähl- anzutreffen. Ihre Wirkung gegen Schäd- Europa. Da aus anderen Systemen be- ten Standorten werden Zeckennymphen linge wurde mehrfach untersucht und kannt ist, dass Parasitoide die Vorkom- in großen Mengen gefangen und im La- nachgewiesen, allerdings überwiegend mensdichte ihrer Wirte erheblich redu- bor mit molekularen Methoden auf eine in Laborversuchen und nicht an I. rici- zieren können, darf vermutet werden, Parasitierung durch I. hookeri untersucht. nus [8]. In den letzten Jahren wurden an dass auch die Zeckenerzwespe lokal eine Gleichzeitig wird das Habitat beschrie- der Universität Hohenheim umfangrei- wesentliche Rolle für die Häufigkeit des ben, in dem die Tiere gefangen wurden, che Versuche unternommen, um zum Auftretens von Zecken spielt. um Rückschlüsse auf ökologische Fakto- einen geeignete Pilze aus toten verpilz- Nach dem aktuellen Stand des Wis- ren ziehen zu können, die für die Wespen ten Zecken zu isolieren und zum ande- sens treten die Wespenweibchen in Mit- wichtig sind. Während das Auftreten der ren bereits charakterisierte Pilzstämme teleuropa nur im Hochsommer auf. Sie Zeckenerzwespe zu Beginn der Arbeiten auf ihre Wirksamkeit gegen Zecken zu finden ihre Zeckenwirte vermutlich über lediglich von 3 Standorten in Deutsch- klären. In Labor- und Parzellenversu- den Geruch der Säuger, auf denen die Ze- land bekannt war, konnte sie mittlerwei- chen zeigte sich, dass insbesondere Me- cken gerade saugen, und legen ihre Eier le an 19 weiteren Standorten nachgewie- tarhizium anisopliae alle Zeckenstadien in saugende Larven und Nymphen, wo- sen werden. Bislang wurden 20 Standor- abtötet. Die Wirkung des Pilzes ist do- bei Letztere deutlich bevorzugt werden te untersucht. Offenbar ist die Zecken- sisabhängig, und es werden Mortalitäts- (. Abb. 4). Unabhängig davon, ob Lar- erzwespe sehr weit verbreitet, wurde aber raten von nahezu 50% bei Larven und ven oder Nymphen parasitiert wurden, bisher aufgrund ihrer geringen Größe und Nymphen beobachtet. Bei adulten Ze- beginnt die Entwicklung der Eier erst, komplexen Biologie übersehen. cken ist die Mortalität geringer. Langwie- nachdem die Nymphen ihre Blutmahl- Darüber hinaus arbeiten wir an der rige Versuche zeigten, dass Metarhizium zeit abgeschlossen haben. Die sich entwi- effektiven Zucht der Wespen ohne Säu- anisopliae auch die Entwicklung der Ze- ckelnden Wespenlarven fressen die Ze- gerwirte im Labor. Hierbei sollen Zecken ckenstadien beeinflussen kann. So häu- cken von innen auf, verpuppen sich in der ihre Blutmahlzeit in einem Fütterungs- ten sich befallene Larven nur zu einem toten Zeckenhülle und schlüpfen nach 4 röhrchen durch eine Membran aufneh- sehr geringen Anteil zu Nymphen, Nym- bis 10 Wochen. men. Nachdem sich die Zecken in der phen häuten sich nach der Blutmahlzeit Versuche, Zeckenpopulationen durch Membran verankert haben und Blut sau- nicht zum Adultus, oder frisch gehäute- die massenhafte Freilassung von I. hoo- gen, sollen adulte verpaarte Wespen- te Zecken sterben ab. Da die Bedingun- keri biologisch zu bekämpfen, gab es im weibchen in das Fütterungsröhrchen ge- gen in Parzellenuntersuchungen den Be- letzten Jahrhundert in Russland, in den setzt werden, um die Zecken zu parasi- dingungen im Freiland sehr ähnlich sind, USA und in Kenia [4]. In Kenia konn- tieren. Der Vorteil dieser Methode wä- sollten hier durchgeführte Versuche mit te die Dichte der Zeckenart Amblyom- re eine kontrollierte Zucht der Wespen entomopathogenen Pilzen eindeutige ma variegatum auf einer Rinderfarm er- im Labor, ohne die sehr aufwendige Ver- Ergebnisse zur Wirkung ihres Einsatzes folgreich reduziert werden, indem über wendung von Kaninchen oder Mäusen gegen Zecken erwarten lassen. Parallel 4 Monate hinweg Wespen in der Nähe als Zeckenwirte. dazu wird untersucht, ob die eingesetz-

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ten Pilze Auswirkungen auf die Boden- den eine vielversprechende Strategie sein 4. Hu R, Hyland KE, Oliver JH Jr (1998) A review on fauna haben und wie lange diese nach- kann. Allerdings besteht bei allen bis- the use of Ixodiphagus wasps (Hymenoptera: En- cyrtidae) as natural enemies for the control of zuweisen sind. her untersuchten Antagonisten – bei Ze- ticks (Acari: Ixodidae). Syst Appl Acarol 3:19–28 ckenerzwespen, entomopathogenen Pil- 5. Mwangi EN, Hassan SM, Kaaya GP, Essuman S zen und Nematoden – die große Heraus- (1997) The impact of Ixodiphagus hookeri, a tick Entomopathogene Nematoden parasitoid, on Amblyomma variegatum (Acari: Ixo- forderung in der Entwicklung von Frei- didae) in a field trial in Kenya. Exp Appl Acarol Entomopathogene Nematoden werden setzungskonzepten, die gewährleisten, 21:117–126 schon seit vielen Jahren gegen Pflanzen- dass die natürlichen Feinde auch in aus- 6. Collatz J, Selzer P, Fuhrmann A et al (2011) A hid- den beneficial – biology of the tick-wasp Ixo- schädlinge in Gewächshäusern einge- reichender Dosis mit den Zecken in Kon- diphagus hookeri in Germany. J Appl Entomol setzt. So sind z. B. die infektiösen Larven takt kommen können. 135:351–358 von Steinernema-Arten käuflich zu er- 7. Collatz J, Fuhrmann A, Selzer P et al (2010) Being a parasitoid of parasites: host finding in the tick werben und können bereits jetzt ausge- Korrespondenzadresse wasp Ixodiphagus hookeri by odours from mam- bracht werden, um Zecken zu bekämp- mals. Entomol Exp Appl 134:131–137 fen. Die Nematoden dringen dann ak- 8. Kirkland BH, Westwood GS, Keyhani NO (2004) Pa- Dr. R. Oehme thogenicity of entomopathogenic fungi Beauveria tiv in ihre Wirte ein und entlassen zu- Ref. 93, Allgemeine Hygiene und bassiana and Metarhizium anisopliae to Ixodidae nächst Bakterien, die die Schädlinge ab- Infektionsschutz, tick species Dermacentor variabilis, Rhipicephalus Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg töten [9]. Die Entwicklung der Nemato- sanguineus, and Ixodes scapularis. J Med Entomol Nordbahnhofstr. 135, 41:705–711 den setzt sich weiter fort, bis erneut das 70191 Stuttgart 9. Samish M, Glazer I (2001) Entomopathogenic ne- infektiöse dritte Larvenstadium freige- [email protected] matodes for the biocontrol of ticks. Trends Parasi- setzt wird, das mit der Wirtssuche be- tol 17:368–371 10. Kocan KM, Blouin EF, Pidherney MS et al (1998) ginnt (. Abb. 6, [10, 11]). Entomopathogenic nematodes as a potential bio- In verschiedenen Labor- und Parzel- Danksagung. Die Arbeiten zur Ökologie von Ze- logical control method for ticks. Ann N Y Acad Sci cken als Überträger von Krankheitserregern in Baden- lenuntersuchungen wurde an der Uni- 849:355–364 Württemberg werden im Rahmen eines vom Förder- 11. Ehlers RU (2001) Mass production of entomopa- versität Hohenheim festgestellt, dass ins- programm BWPLUS finanzierten Projektes des Minis- thogenic nematodes for plant protection. Appl besondere Steinernema carpocapsae sehr teriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Ba- Microbiol Biotechnol 56:623–633 den-Württemberg durchgeführt. Die Untersuchun- wirksam gegen Ixodes ricinus ist und die gen zur biologischen Zeckenbekämfungen wurden Zecke auch als potenziellen Wirtsorga- teilweise vom Bundesministerium für Umwelt, Na- nismus erkennt, was eine notwendige turschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der Baden- Württemberg Stiftung (ehemals Landesstiftung Ba- Voraussetzung für den Einsatz dieses en­ den-Württemberg) finanziert. tomopathogenen Nematoden gegen Ixo- des ist. Die Nematoden dringen über Kör- Einhaltung ethischer Richtlinien peröffnungen wie den Anus in die Zecke ein und entwickeln sich im Zeckenkör- Interessenkonflikt. P. Sebastian, U. Mackenstedt, M. Wassermann, E. Wurst, K. Hartelt, T. Petney, M. Pfäff- per weiter. Neben der direkten Abtötung, le, N. Littwin, J.L.M. Steidle, P. Selzer, S. Norra, D. Böhn- insbesondere der Nymphen und adul- ke, R. Gebhardt, O. Kahl, H. Dautel und R. Oehme ge- ten Zecken durch die freigesetzten Bak- ben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. terien, wird auch die Entwicklung der Ze- Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen cken gestört, sodass sich nur ein kleiner oder Tieren. Teil der gesogenen Nymphen zu adulten Zecken häutet. Literatur Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass entomopathogene Pilze und 1. Petney T, Pfäffle M, Skuballa J, Taraschewski H (2011) Literaturrecherche zum Thema Zecken und Nematoden direkt gegen Zecken einge- zeckenübertragene Krankheiten in Baden-Würt- setzt werden können. Die Effizienz die- temberg – Stand des Wissens, Landesanstalt für ser natürlichen Feinde variiert und ist ab- Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden- Württemberg, FADO Schlussbericht L75 29006. hängig von der eingesetzten Dosis, aber http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuert- auch von den verschiedenen Zeckensta- temberg.de/servlet/is/101587/?COMMAND=Dis- dien. Es deutet vieles darauf hin, dass playBericht&FIS=203&OBJECT=101587&MO- DE=METADATA auch die Entwicklung der Zecken nach 2. Dautel H, Dippel C, Kämmer D et al (2008) Winter der Blutmahlzeit durch die Antagonisten activity of Ixodes ricinus in a Berlin forest. Int J Med gestört oder sogar unterbunden wird, so- Microbiol 298(Suppl 1):50–54 3. Samish M, Rehacek J (1999) Pathogens and preda- dass auch Langzeiteffekte auf die Anzahl tors of ticks and their potential in biological cont- der Zecken möglich sind. rol. Annu Rev Entomol 44:159–182 Zusammengefasst zeigen unsere Ver- suche, dass die biologische Bekämpfung von Zecken mit ihren natürlichen Fein-

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Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:557–567 C. Frank · M. Faber · W. Hellenbrand · H. Wilking · K. Stark DOI 10.1007/s00103-013-1925-9 Robert Koch-Institut, FG35, Berlin Online publiziert: 25. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Wichtige, durch Vektoren übertragene Infektionskrankheiten beim Menschen in Deutschland Epidemiologische Aspekte

Zahlreiche Krankheitserreger werden nen verursachten Krankheiten. Sie sind Gattung Anopheles übertragen. Die Inku- durch Vektoren übertragen. Als Vekto- aus Sicht der Autoren für Deutschland bationszeit variiert: Bei P. falciparum um- ren bezeichnet man lebende Organis- besonders relevant und wurden ausge- fasst sie 7 bis 28 Tage, bei P. vivax/P. ova- men, die Krankheitserreger von einem wählt, weil entweder eine Erregerüber- le 12 bis 18 Tage (aber auch Monate), bei infizierten Tier oder Menschen auf an- tragung in Deutschland eine beträchtli- P. malariae 3 bis 7 Wochen. Bei allen For- dere Menschen (oder Tiere) übertragen. che Krankheitslast verursacht und folg- men kann die Infektion zunächst auch la- Zu den wichtigsten Vektoren zählen Ar- lich wichtige Aspekte der Prävention und tent verlaufen und sich erst nach Monaten thropoden (Stechmücken, Zecken, Läuse Kontrolle berührt werden (Lyme-Borre- manifestieren. Bei der klinischen Symp- u. a.) und auch Nagetiere. Für Deutsch- liose, FSME, Hantavirus-Erkrankungen), tomatik steht in der Regel das Fieber im land spielen vor allem die endemischen weil im Rahmen der Meldepflicht eine Vordergrund. Es können weitere Sympto- Vektor-übertragenen Infektionserreger größere Zahl an importierten Infektio- me hinzutreten (z. B. Kopf- und Glieder- eine wichtige Rolle wie die durch Ze- nen erfasst wird und die Frage nach mög- schmerzen, gastrointestinale Symptome, cken übertragenen Erreger der Lyme- lichen autochthonen Infektionen besteht Anämie). Bei der Malaria tropica kann es Borreliose und Frühsommermeningoen- (Malaria, Dengue, Chikungunya) oder unbehandelt rasch zu einer hohen Parasi- zephalitis (FSME) oder die durch Nage- weil das Vorkommen von potenziellen tämie und zu komplizierten, teilweise le- tiere übertragenen Hantaviren oder die Erregervektoren und von Reservoirtieren talen Verlaufsformen mit Multiorganver- Erreger der Leptospirose. Aber auch die (Vögel) in Deutschland und die sich ver- sagen kommen. Besonders gefährdet sind nach Deutschland importierten, durch schärfende epidemiologische Situation in Personen ohne Malaria-(Teil-)Immunität Stechmücken übertragenen Erreger von den Nachbarländern eine besondere Auf- in den Endemiegebieten, inklusive Rei- Malaria, Denguefieber, Chikungunyafie- merksamkeit erfordert (West-Nil-Virus). senden aus Nicht-Endemiegebieten – vor ber und West-Nil-Fieber sind von wach- allem Kinder, Schwangere und Personen sender Bedeutung. Sie kommen in vie- Malaria mit eingeschränkter Immunabwehr [1]. len Regionen der Welt vor, und die Ver- Bei jeder Person, bei der während des hütung bzw. Früherkennung und The- Die Malaria wird durch Protozoen der Aufenthaltes in einem Endemiegebiet rapie der durch sie verursachten Krank- Gattung Plasmodien verursacht. Es exis- oder nach der Rückkehr aus einem sol- heiten stellen eine Herausforderung für tieren 4 humanpathogene Spezies: Plas- chen unklares Fieber auftritt, besteht zu- die medizinische Versorgung dar. Im Zu- modium (P.) falciparum (Malaria trop- nächst Malariaverdacht, der eine rasche sammenhang mit der zunehmenden Aus- ica), P. ovale und P. vivax (Malaria ter- diagnostische Klärung erfordert. Zur Be- breitung invasiver Mückenarten in Euro- tiana), P. malariae (Malaria quartana). handlung stehen wirksame Medikamen- pa und dem Klimawandel wird die Fra- In letzter Zeit hat P. knowlesi, ein Mala- te zur Verfügung. Abhängig vom jeweili- ge nach dem Risiko einer autochtho- riaerreger bei südostasiatischen Affen, gen Malariarisiko sind bei Reisen in En- nen Erregerübertragung (d. h. ortsstän- in mehreren Ländern schwere Erkran- demiegebiete eine Chemoprophylaxe und dig in Deutschland) relevant. Im Folgen- kungen auch bei Menschen verursacht. Expositionsprophylaxe angezeigt. den geben wir neben jeweils kurzen Hin- Etwa 40% der Weltbevölkerung in den In Deutschland gilt nach dem IfSG tergrundinformationen einen Überblick (Sub-)Tropen leben in Malaria-Endemie- eine Meldepflicht für den Labornachweis über die epidemiologische Situation und gebieten, und jedes Jahr treten dort über von Plasmodien-Spezies, die Malaria ver- die Meldedaten gemäß Infektionsschutz- 200 Mio. Malariaerkrankungen mit über ursachen (IfSG § 7 Abs. 3). Die Meldung gesetz (IfSG) bei ausgewählten, Vektor- 600.000 Todesfällen auf. Die Plasmodien erfolgt durch das Labor nicht-nament- übertragenen Erregern bzw. den von ih- werden durch weibliche Stechmücken der lich an das Robert Koch-Institut (RKI).

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 557 Leitthema

700 gen für die Anopheles-Mücken in vielen Fallzahl: 60 213 131 121 144 175 264 273 298 595 288 615 Gebieten (Trockenlegen von Sumpfgebie- 600 ten etc.) vor allem der hohe medizinische 500 Standard (Früherkennung und effiziente Therapie bei Malaria-Erkrankten und da- 400 mit Verhinderung von übertragungsfähi- gen Erregerreservoirs). 300 Anzahl der 200 Denguefieber

100 Ländernennungen in der Region Durch einen der 4 Serotypen des Dengue- 0 virus (DENV, Familie Flaviviren) wird das 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Denguefieber hervorgerufen. Als Vektor Meldejahr für das Virus fungiert die Gelbfiebermü- Europa (Franz. Überseeterritorien, Madeira, Kroatien) Australien/Ozeanien Afrika Karibik cke Aedes aegypti; auch die Asiatische Ti- Mittel- und Nordamerika (Festland) Süd-Amerika germücke Aedes albopictus kann als Vek- Vorderasien, Süd-Asien Sonst. Südost-Asien, Ost-Asien tor fungieren (für Stechmücken der Gat- Thailand tung Aedes wird auch der alternative Na- me Stegomyia verwendet). Abb. 1 8 In Deutschland diagnostizierte und an das RKI übermittelte Denguefieber-Erkrankungen (nach RKI Referenzdefinition) ausgewertet nach den Ländern, in denen diese Infektionen erworben Zumeist führt die Infektion zu einer wurden; Zeitraum: 2001 bis einschließlich 2012, n=3061 Landesnennungen bezogen auf 3177 Fälle selbstlimitierenden Erkrankung. Nach einer Inkubationszeit von meist 3 bis 7 Ta- gen beginnt die Krankheit abrupt mit ho- Zusätzliche Daten zu Demografie, Reise- ren (seit 2007) wurden hier jährlich 1 bis hem Fieber, Kopf- und Gliederschmer- land, Klinik u. a. werden ebenfalls anony- 3 malariabedingte Todesfälle registriert. zen. Häufig kommt ein Hautausschlag misiert über spezielle Meldebögen vom In Deutschland ist die Malaria eine hinzu. Nach ca. 1 Woche bilden sich die behandelnden Arzt übermittelt. klassische importierte Infektionskrank- Symptome in den meisten Fällen zurück. Die Fallzahlen gingen in Deutschland heit. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Bei einer kleinen Minderheit der Patien- von über 1000 importierten Fällen 2001 sie allerdings auch in bestimmten Regio- ten (vor allem bei Kindern und jungen auf jährlich zwischen 500 und 600 Fäl- nen Deutschlands endemisch. Erwachsenen) entwickeln sich nach eini- le seit 2006 zurück (2012: 547 Malariafäl- Es kommen auch hierzulande weiter- gen Tagen entweder hämorrhagische Ma- le) [2]. Am häufigsten erfolgte eine In- hin Anopheles-Mücken vor, die theore- nifestationen (Dengue-hämorrhagisches- fektion mit Malaria-Plasmodien in Afri- tisch Plasmodien übertragen könnten [4, Fieber, DHF) und/oder eine systemische ka (2012: 83%), gefolgt von Asien (2012: 5]. Die Vektorkompetenz der in Deutsch- erhöhte Gefäßdurchlässigkeit (Vascu- 17%). Dies entspricht dem Bild der letz- land nachgewiesenen Anopheles-Arten lar-Leak-Syndrom), verbunden mit Blut- ten Jahre. Lateinamerika trat als Infek- ist allerdings derzeit unklar. Im Rahmen druckabfall und Kreislaufschock (Den- tionskontinent eher selten in Erschei- der globalen Erwärmung könnten effizi- gue-Schock-Syndrom, DSS) mit z. T. töd- nung und Australien/Ozeanien und entere Vektoren für die Erreger der Mala- lichem Verlauf [7]. Eine konsekutive In- Südeuropa nur in Ausnahmefällen. Die ria nach Europa vordringen, und es könn- fektion mit einem zweiten DENV-Sero- wichtigsten Infektionsländer liegen vor ten sich die Entwicklungsbedingungen für typ erhöht die Wahrscheinlichkeit eines allem in Westafrika. In manchen Jahren diese in den Mücken verbessern. In Aus- schweren Verlaufs [8]. werden aus bestimmten Ländern über- nahmefällen wurde in Deutschland in den Zugelassene Impfstoffe gegen DENV proportional viele Malaria-Erkrankun- letzten Jahrzehnten eine autochthone und gibt es bislang nicht, ebenso wenig spezifi- gen importiert. Dies betraf 2012 Pakis- wahrscheinlich durch Mücken übertra- sche Chemotherapeutika. Präventiv wirk- tan mit 33 importierten Fällen (Vorjah- gene Malaria-Infektion beschrieben, zu- sam ist nur die Vermeidung von Mücken- re: 0 bis 8 Fälle) [3]. Solche Verschiebun- letzt 1997 bei 2 Patienten in einem Kran- stichen in Endemiegebieten. gen können unterschiedliche Ursachen kenhaus im Ruhrgebiet, in dem zeitgleich DENV ist weltweit in den Tropen und haben (z. B. Veränderungen in der epi- ein Malaria-Patient stationär behandelt Teilen der Subtropen endemisch (Den- demiologischen Situation und der Mala- wurde [6]. Seltene Einzelfälle von autoch­ gue-Risiko-Karte in [7]). Außer einem riakontrolle im Infektionsland, erhöhte thoner Malaria in Deutschland sind auch Fall einer nosokomialen Übertragung Migration, verändertes Reiseverhalten). in Zukunft nicht auszuschließen, grö- [9] ist kein weiterer Fall einer DENV- Die am häufigsten nachgewiesene Er- ßere Ausbrüche oder sogar eine länger- Transmission auf deutschem Boden be- regerspezies ist P. falciparum (2012: 73%), fristige Etablierung des Malaria-Erre- kannt. Jedoch infizieren sich immer wie- gefolgt von P. vivax (2012: 14%). Im Jahr gers sind aber äußerst unwahrscheinlich. der in Deutschland lebende Personen im 2012 verstarben in Deutschland 4 Patien- Die Gründe hierfür sind neben den ver- Ausland, zumeist in den klassischen En- ten an der Malaria (0,7%). In den Vorjah- schlechterten Reproduktionsbedingun- demiegebieten der Tropen und Subtro-

558 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract pen. Allerdings kam es in den letzten Jah- Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:557–567 DOI 10.1007/s00103-013-1925-9 ren auch zur DENV-Übertragung in Süd­ © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 europa. So infizierte sich im Jahr 2010 C. Frank · M. Faber · W. Hellenbrand · H. Wilking · K. Stark ein deutscher Reisender in Süd-Kroatien Wichtige, durch Vektoren übertragene Infektionskrankheiten [10]. Im gleichen Jahr wurde autochthone beim Menschen in Deutschland. Epidemiologische Aspekte DENV-Übertragung in Südfrankreich be- legt [11]. Vektor war in diesen Fällen wohl Zusammenfassung Aedes albopictus, die mittlerweile in vie- Humanpathogene, vektorübertragene Infek- obachtet werden, zum einen, um das Risi- tionserreger spielen für Deutschland eine be- ko für Reisende aus Deutschland einschätzen len Regionen Südeuropas etabliert ist [12]. deutende Rolle. Die endemischen, zoonoti- zu können, zum anderen, um das Risiko einer Im Herbst 2012 kam es auf der zu Portu- schen Infektionserreger sind entweder bun- möglichen autoch­thonen Übertragung ad- gal gehörenden Atlantikinsel Madeira zu desweit verbreitet (Borrelia burgdorferi sen- äquat bewerten zu können. Hierbei sind wei- einem Denguefieber-Ausbruch mit über su latu) oder kommen in bestimmten geo- tere Faktoren zu berücksichtigen (Etablierung 2000 Fällen [13], bei dem auch 78 euro- grafischen Regionen vor (FSME-Viren, Hanta- von invasiven Mückenarten in Deutschland, päische Reisende (19 Deutsche) betroffen viren). Sie verursachen eine erhebliche Krank- zunehmende Erwärmung). Unter diesen Er- heitslast. Ihre Prävention und Kontrolle beru- regern sind vor allem das West-Nil-Virus, das waren [14]. Auf Madeira kommt Aedes ae- hen im Wesentlichen auf Aufklärung und per- Denguevirus, das Chikungunyavirus und der gypti vor [15]. sönlichen Schutzmaßnahmen (FSME-Imp- Malariaerreger (Plasmodien) zu nennen. Im Eine Meldepflicht für in Deutschland fung, Schutz vor Vektoren). Eine gute Sur- vorliegenden Beitrag geben wir einen Über- diagnostizierte Infektionen mit DENV veillance, ergänzt um gezielte epidemiologi- blick über die epidemiologische Situation bei besteht seit 2001 einerseits für den Labor- sche Studien, ist Voraussetzung zur Bewer- ausgewählten, für Deutschland besonders re- tung der räumlich-zeitlichen Infektionsrisi- levanten, durch Vektor-übertragene Erreger nachweis einer akuten DENV-Infektion ken und der Wirksamkeit von Präventions- ausgelösten Infektionskrankheiten. (gemäß § 7 Abs. 1, IfSG, unabhängig vom maßnahmen. Neben den endemischen Er- Krankheitsbild als Nachweis eines ande- regern müssen die importierten, durch Vek- Schlüsselwörter ren „Erregers hämorrhagischer Fieber“) toren – zumeist Mücken – übertragenen Er- Vektor-übertragene Infektionen · sowie unabhängig vom Erreger für das reger im Rahmen der Surveillance-Aktivitä- Surveillance · Epidemiologie · Prävention · Mücken in Deutschland diagnostizierte Krank- ten ebenfalls systematisch und intensiv be- heitsbild eines hämorrhagischen Fiebers (gemäß § 6, Abs. 1 Nr. 1 g, IfSG) [16]. Seit Important vector-borne infectious diseases among 2001 wurden in Deutschland meist jedes humans in Germany. Epidemiological aspects Jahr zwischen 60 und 300 Fälle von Den- guefieber gemeldet; 2010 und 2012 waren Abstract es fast 600 Fälle (. Abb. 1), im Jahr 2013 Vector-borne infections pathogenic to hu- ly and intensively mon­itored as well, to as- wird diese Zahl noch deutlich überschrit- mans play an important role in Germany. The sess the risk of infection for German residents relevant zoonotic pathogens are either ende- trav­eling abroad and to adequately evaluate ten. Die starken Schwankungen bei den mic throughout Germany (e.g. Borrelia burg- the risk of autochthonous transmission. Re- Meldezahlen gehen wohl vor allem auf das dorferi sensu latu) or only in specific re­gions, lated issues, such as inva­sive species of mos- periodisch schwankende Infektionsrisiko e.g. tick-borne encephalitis (TBE) virus and quitoes in Germany and cli­mate change, ­have in beliebten Urlaubsgebieten zurück. In hantavirus. They cause a substantial burden to be taken into consideration. Such patho- allen Jahren war Thailand das am häufigs- of disease. Prevention and control largely rely gens include West Nile, dengue and chikun- ten genannte Infektionsland, meist gefolgt on public advice and the application of per- gunya viruses, as well as malaria parasites sonal protective measures (e.g. TBE virus vac- (Plasmodium species). The article presents an von anderen Ländern in Süd- und Südost- cination and protection against vectors). High overview of the epidemiological situa­tion of asien, Lateinamerika/Karibik. ­Diese Ver- quality surveillance and targe­­t­ed epidemiolo- selected relevant vector-borne infections in teilung wird stark vom Reiseverhalten be- gical studies are fundamental for the evalua- Germany. einflusst, und das Infektionsrisiko kann tion of temporal and spatial risks of infection in einem kleinen, selten bereisten Land and the effectiveness of preven­tive measures. Keywords Aside from endemic pathogens, vector-­borne Vector-borne infections · Surveillance · größer sein als im Pauschal-Fernreise- infections ac­quired ­abroad, mostly transmit- Epidemiology · Prevention · Mosquitoes ziel Thailand. Die Inzidenz von DENV- ted by mosqui­toes, have to be systematical- Infektionen in Deutschland ist in der Al- tersgruppe 20 bis 40 Jahre am höchsten. Schwere Verläufe (0,4% aller Fälle) wer- den nur selten übermittelt: 2001 bis 2012 Ob DENV auch in Deutschland über- funden [18, 19, 20, 21], jedoch konnte bis- gab es 8 DHF-Fälle und 5 DSS-Fälle; 12 tragen werden kann, hängt maßgeblich lang keine etablierte Population nachge- der 13 Fälle hatten sich in asiatischen Län- von der Ansiedelung kompetenter Vek- wiesen werden. Durch den Klimawandel dern infiziert. Eine 21-jährige Patientin toren ab, denn über virämische Reise- bedingte wärmere und längere Sommer mit nachgewiesener DENV-Zweitinfekti- rückkehrer steht das Virus hier zumin- könnten regional einer dauerhaften An- on verstarb im Zusammenhang mit einer dest punktuell ganzjährig zur Verfügung. siedlung von Aedes albopictus Vorschub Operation; [17] weitere Todesfälle wurden Gelege und Einzelexemplare von Aedes leisten. Somit sind ausgehend von virä- nicht bekannt. albopictus wurden in Süddeutschland ge- mischen Reisenden zwar einzelne auto-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 559 Leitthema

Tab. 1 An das RKI übermittelte Fälle symptomatischer Chikungunyafieber-Erkrankungen 2007, 2009 und 2010 relativ hoch. In den (nach RKI Referenzdefinition) ausgewertet nach den Ländern, in denen diese Infektionen Meldejahren 2006 bis einschließlich 2012 erworben wurden (Mehrfachnennungen und fehlende Angabe möglich, n=213); Zeitraum: wurden 215 Fälle von Chikungunyafieber 2006 bis einschließlich 2012 (n=215) übermittelt. Die häufigsten Infektionslän- 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Gesamt der waren Indien, Mauritius, die Maledi- Fallzahl 53 32 17 52 37 13 9 215 ven, Sri Lanka, Indonesien, die Seychel- Meistgenanntes Mauritius Indien Sri Male- Indien Indien Philip- len und Thailand. Europäische Infektions- Infektionsland Lanka diven pinen länder wurden bislang nicht genannt. Be- Länder im Einzelnen (Nennungen) trachtet man die Altersverteilung der Fäl- Indien 4 18 4 11 13 6 2 58 le, zeigt sich, dass Kinder und Jugendli- Mauritius 34 1 35 che kaum betroffen waren, 29% der Be- Malediven 1 23 4 28 troffenen waren junge Erwachsene (20 bis Sri Lanka 6 9 2 1 18 39 Jahre), 50% waren 40 bis 59 Jahre und Indonesien 2 1 10 2 2 17 18% ≥60 Jahre alt. Diese Muster sind be- Seychellen 9 7 1 17 einflusst durch die Altersverteilung der Thailand 1 10 4 1 16 Reisenden bezogen auf die Infektionslän- Malaysia 1 1 4 1 1 8 der. Bei insgesamt 18% der übermittelten Philippinen 1 1 3 5 Fälle wurde ein Krankenhausaufenthalt Madagaskar 2 1 3 angegeben. Kenia 1 1 2 Die Hauptendemiegebiete für das Myanmar 2 2 Chikungunyafieber liegen bislang in Af- Singapur 1 1 2 rika und Asien. Seit ca. 2005 ist ein star- China 1 1 kes Wiederaufflammen entsprechender Kambodscha 1 1 Epidemien in Ländern rund um den In- Nennungen 52 32 19 54 36 13 7 213 dischen Ozean zu beobachten [27]. Of- gesamt fenbar kam es im Jahr 2007 erstmalig in Europa, in der Emilia Romagna in Ita- lien, bedingt durch die Einreise einer ein- chthone Übertragungen dort denkbar, fe scheint mit zunehmendem Alter an- zelnen, in Indien infizierten virämischen wo kompetente Vektoren existieren. Da zusteigen. Ein vergleichsweise mild ver- Person und das Vorhandensein loka- jedoch auch die extrinsischen Inkuba- laufendes hämorrhagisches Fieber wur- ler Populationen von Aedes albopictus zu tionszeiten (in der Mücke) klimaabhän- de in seltenen Fällen beschrieben [25]. einem Ausbruch mit über 300 Fällen [28]. gig sind, wird die Übertragungsdynamik Die Erkrankung ist selbstlimitierend Auch in Südfrankreich wurden 2010 ver- selbst bei für Deutschland hohen Som- und fast nie tödlich. Impfstoffe oder spe- einzelt autochthone Übertragungen beob- mertemperaturen begrenzt sein. zifische Chemotherapeutika gegen Chi- achtet [11]. Seit dem Jahresende 2013 wer- kungunyafieber gibt es nicht. Präven- den erstmals auch CHIKV-Infektionen in Chikungunyafieber tiv wirksam ist nur die Vermeidung von Mittelamerika (insbesondere Kleine An- Mückenstichen. Eine Meldepflicht für in tillen) berichtet. Eine weitere Ausbreitung Das Chikungunyavirus (CHIKV, Alpha- Deutschland diagnostizierte Infektionen auf den amerikanischen Kontinenten er- virus, Familie Togaviren) ist der Erreger mit CHIKV besteht einerseits für den scheint möglich. Bezüglich einer mög- des Chikungunyafiebers. Das Virus kann Labornachweis einer akuten CHIKV- lichen autochthonen Übertragung von durch verschiedene Mückenarten über- Infektion (gemäß § 7 Abs. 1, IfSG, un- CHIKV in Deutschland gilt im Prinzip tragen werden; in Ausbrüchen werden in abhängig vom Krankheitsbild als Nach- das Gleiche wie für das DENV. der Regel Aedes aegypti, neuerdings auch weis eines anderen „Erregers hämorrha- Aedes albopictus als wesentliche Vektoren gischer Fieber“) sowie unabhängig vom West-Nil-Fieber beschrieben. Nach einer Inkubationszeit Erreger, für das in Deutschland diagnos- von 2 bis 10 Tagen [22] entwickelt sich tizierte Krankheitsbild eines hämorrha- Das West-Nil-Virus (WNV), ein Flavivi- ein von Fieber, Knochen- und Muskel- gischen Fiebers (gemäß § 6, Abs. 1 Nr. rus, ruft das West-Nil-Fieber (WNF) her- schmerzen geprägtes Krankheitsbild [23, 1 g, IfSG) [16]. vor. Das WNV wird durch eine große An- 24]). Weiterhin können Hautausschlag, Vor dem Jahr 2006 wurden dem zahl verschiedener Mücken übertragen, leichte Haut- und Schleimhautblutungen RKI keine Fälle von CHIKV übermittelt darunter die in Deutschland weit verbrei- sowie Gastroenteritis vorkommen. Das (. Tab. 1). Allerdings wurden bei Tro- tete „Gemeine Stechmücke“ Culex ­pipiens. Fieber klingt meist nach wenigen Tagen penrückkehrern schon vorher serolo- Vögel spielen als Reservoir eine bedeuten- ab, die Muskel- und Gelenkschmerzen gisch CHIKV-Infektionen nachgewie- de Rolle im Transmissionszyklus des Vi- können aber lange, zum Teil 1 bis 2 Jahre, sen (z. B. [26]). Die gemeldeten Fallzah- rus [29]; Menschen und andere Säugetie- anhalten. Das Risiko für schwere Verläu- len waren vor allem in den Jahren 2006, re (z. B. Pferde) sind meist Fehlwirte und

560 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 2.5

weiblich männlich ohner w 2.0

1.5

rankungen/100.000 Ein 2.23 1.99 1.0 1.91 1.76 1.53 1.32 1.15 1.14 0.5 1.06 1.03 0.92 1.00 0.79 0.72 0.76 0.74 0.79 0.57 0.57 0.46 0.45 Übermittelte FSME-Erk 0.36 0.37 0.43 0.0 0-4 5-9 10-14 15-19 20-24 25-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70+ Gesamt Alter (Jahre)

Abb. 2 8 Mittlere Jahresinzidenz der an das RKI übermittelten FSME-Erkrankungen in Bayern und Baden-Württemberg nach Alter und Geschlecht; Zeitraum: 2001–2012 als Virusquelle für die Mücken unbedeu- Meldepflicht. Allerdings sind Einzelfälle Jahr 2012 – als Ausbrüche in diesen Län- tend [30]. oder Häufungen von WNV-Erkrankung dern jeweils nicht allgemein bekannt wa- Die Inkubationszeit nach einer Infek- meldepflichtig, wenn sie als „bedrohli- ren – kann hingegen Ausdruck eines star- tion beträgt ca. 2 bis 14 Tage. Nur 20–25% che Krankheit“ eingeschätzt werden (ge- ken Infektionsdrucks im Vergleich zu der Infizierten entwickeln Symptome. Die mäß § 6 Abs. 1 Nummer 5, IfSG), ebenso den Vorjahren sein. Im Jahr 2013 wurde akut einsetzende Erkrankung äußert sich wie der gehäufte Nachweis von WNV im in Deutschland nur eine in Ungarn erwor- außer durch Fieber meist durch Sympto- Labor, der auf „eine schwer wiegende Ge- bene WNV-Infektion gemeldet. me wie Kopfschmerzen, Schwächegefühl, fahr für die Allgemeinheit“ hinweist (ge- Das WNV war ursprünglich nur in Hautausschlag, Muskel-, Gelenk- und Au- mäß § 7, Abs. 2, IfSG). Bedingt durch das Teilen Afrikas und Eurasiens endemisch, genschmerzen [30]. Die Erkrankungsdau- unspezifische Krankheitsbild, werden vie- wobei WNV-Infektionen außerhalb der er bzw. -schwere schwankt zwischen we- le – insbesondere leichter erkrankte – Fäl- Tropen nur saisonal im Spätsommer und nigen Tagen mit leichtem Krankheitsge- le vermutlich nie als WNV-Infektion dia- Herbst auftreten. In Australien ist der Sub- fühl und einigen Monaten mit schweren gnostiziert. In Deutschland sind bislang typ Kunjin-Virus verbreitet. Im Jahr 1999 gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Et- nur 9 im Ausland erworbene WNV-In- kam es zum Eintrag von WNV in den bis wa einer von 140 bis 240 West-Nil-Fieber- fektionen bekannt geworden: Insgesamt dahin WNV-freien amerikanischen Kon- Fällen entwickelt eine neuroinvasive Form wurden 2003 (n=2), 2004 und 2007 4 – tinent im Raum New York [38]. Seitdem (Meningitis, Enzephalitis), wobei die- immer in den USA erworbene – Infektio- hat sich das Virus in ganz Nordamerika ses Risiko mit zunehmendem Alter stark nen gemeldet [35]. Der Fall einer 2011 in bis hinein nach Mittelamerika ausgebrei- ansteigt [31, 32, 33]. Zirka 9% der Patien- Kanada infizierten jungen Frau wurde pu- tet und verursacht dort zum Teil massi- ten mit neuroinvasiver Infektion verster- bliziert [36]. 2012 wurden in Deutschland ve saisonale Ausbrüche [34]. In den USA ben [34]. Risikofaktoren für einen tödli- 4 importierte Infektionen gemeldet, er- wurden seit 1999 mehrere tausend Todes- chen Verlauf sind fortgeschrittenes Alter, worben in Griechenland (Korfu), Monte- fälle registriert. Für Ausbrüche von WNV- bestehende Vorerkrankungen, Immun- negro, Ägypten und Tunesien [37]. Ohne Erkrankungen beim Menschen und ande- schwäche und WNV-Enzephalitis. Impf- eine spezifische Meldepflicht für WNV- ren Säugetieren (z. B. Pferden) im Mittel- stoffe gegen die WNV-Infektion gibt es Infektionen sind diese Zahlen nicht als meerraum spielt offenbar kleinräumig nicht. Präventiv wirksam ist nur die Ver- repräsentativ für die Gesamtsituation in das Vorhandensein von Feuchtgebieten meidung von Mückenstichen in Endemie- Deutschland anzusehen. Möglicherwei- eine Rolle, in denen möglicherweise vi- bzw. Ausbruchsgebieten. Eine Mückenbe- se hat das Wissen um aktuelle West-Nil- rämische Zugvögel rasten und viele Mü- kämpfung kann den örtlichen Infektions- Fieber-Ausbrüche und das selektive Tes- cken vorhanden sind. Eine jeweils aktuelle druck vermindern. ten von Reiserückkehrern aus den USA Übersicht über Ausbrüche von West-Nil- Für WNV-Infektionen gibt es in zur Diagnose der ersten Fälle geführt. Fieber bzw. über Nachweise von WNV in Deutschland zurzeit keine spezifische Die 4 Fälle aus dem Mittelmeerraum im Europa bieten die Webseiten des Euro-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 561 Leitthema

Abb. 3 8 Bundesländer mit FSME-Risikogebieten im Jahr 2012 eingefärbt nach Höhe der FSME-Inzidenz. Zugrunde liegt im- mer die höchste Inzidenz, die im jeweiligen Kreis in einem der im Zeitraum 2002 bis 2012 enthaltenen 5-Jahres-Interval- le beobachtet wurde. Ein Kreis wird als FSME-Risikogebiet definiert, wenn die Anzahl der übermittelten FSME-Erkrankungen in den Zeiträumen 2002 bis 2006, 2003 bis 2007, 2004 bis 2008, 2005 bis 2009, 2006 bis 2010, 2007 bis 2011 oder 2008 bis 2012 im Kreis ODER in der Kreisregion (bestehend aus dem betreffenden Kreis plus allen angrenzenden Kreisen) signifikant (p<0,05) höher liegt als die bei einer Inzidenz von 1 Erkrankung pro 100.000 Einwohner erwartete Fallzahl. In den nicht dar- gestellten Bundesländern traten wenige Einzelfälle auf (Übersicht s. [64]), die jedoch nie zur Überschreitung der definierten Inzidenzgrenze führten

pean Center for Disease Prevention and rund um das Mittelmeer hat Konsequen- Der typische Verlauf einer FSME-Er- Control (ECDC) [39]. zen für die Praxis der Blutspendentestung krankung ist biphasisch. Sie beginnt mit Obwohl auch in Deutschland sero- in Deutschland [46]. Schon jetzt werden unspezifischen, grippeähnliche Beschwer- logisch und virologisch bei Menschen, Reiserückkehrer aus Regionen mit mehr den (Inkubationszeit meist 7 bis 14 Ta- Pferden, Vögeln und Mücken nach Evi- als einer autochthonen WNV-Infektion ge, Spanne: 2 bis 28 Tage) [54, 55]. Nach denz für WNV-Infektionen gesucht wur- für 4 Wochen von der Blutspende zurück- einem kurzen Intervall von ca. 1 Woche de, gibt es derzeit keinen Anhaltspunkt gestellt oder mittels WNV-PCR getestet. treten spezifische Symptome der FSME dafür, dass es hier zur WNV-Übertragung mit Beteiligung des zentralen Nervensys- kommt [40, 41, 42, 43, 44, 45]. Dennoch Frühsommermeningo- tems (ZNS) auf (Meningitis, Enzephali- scheinen auch in Deutschland zumin- enzephalitis (FSME) tis, Myelitis). Ein hoher Anteil der Infek- dest einige Voraussetzungen für mögli- tionen verläuft jedoch asymptomatisch, che Ausbrüche von WNV-Erkrankungen Das FSME-Virus (FSME-V, Gattung Fla- oder die zweite Krankheitsphase bleibt vorzuliegen (Vorhandensein kompeten- viviren) verursacht die Frühsommerme- aus, Schätzungen gehen von 70–95% aus ter WNV-Vektoren und von Zugvögeln ningoenzephalitis (FSME). Es wird in [47, 56]. Das Risiko für einen schweren mit Aufenthalten in Endemiegebieten). Deutschland durch die Schildzecke Ixodes Verlauf steigt mit dem Alter deutlich an Für die Surveillance des West-Nil-Fiebers ricinus übertragen [47]. Zecken werden [57, 58, 59, 60]. Die FSME-Impfung stellt wäre die Einführung einer spezifischen bei ca. 6°C aktiv [47]; daher sind Über- neben schützender Kleidung und Repel- Meldepflicht für WNV-Nachweise wich- tragungen vor allem zwischen Frühjahr lents die wichtigste Schutzmaßnahme dar. tig. Voraussetzung für belastbare Melde- und Herbst möglich. In seltenen Fällen Die beiden verfügbaren Impfstoffe sind daten wäre jedoch auch die routinemäßi- kann die Krankheit auch durch den Ver- sehr wirksam [61, 62] und ab dem Alter ge Einleitung einer virologischen Erreger- zehr von Rohmilch eines infizierten Tie- von einem Jahr zugelassen. Die Ständige suche bei Fällen von aseptischer Enzepha- res übertragen werden [48, 49, 50, 51, 52]. Impfkommission (STIKO) empfiehlt die litis und Meningitis, insbesondere bei äl- Die FSME kommt in weiten Teilen Zent- Impfung für Personen, die in Risikogebie- teren Erwachsenen im Spätsommer und ral- und Osteuropas vor; das Endemiege- ten gegenüber Zecken exponiert sind [63]. Herbst. Eine wesentliche Vergrößerung biet erstreckt sich über Sibirien und Teile Die FSME-Impfquoten in deutschen Risi- des Verbreitungsgebietes von WNV, ins- Asiens bis an die pazifische Küste (FSME- kogebieten sind in den letzten Jahren vor besondere in typischen Urlaubsländern Risiko-Karte in [47]) [53]. allem bei Kindern deutlich angestiegen,

562 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 250 Männlich Weiblich

n 200

wohner 150 Abb. 4 9 Kumulative In- 100 zidenz der in den Jahren 2009 bis 2012 aus den öst-

in 100.000 Ein 50 lichen Bundesländern an Jahres-Inzidenz (2009-2012)

4- das RKI übermittelten Er- 0 krankungen an Lyme-Bor- 00-04 05-09 10-14 15-19 20-24 25-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70 + reliose, ausgewertet nach Altersgruppen (in Jahren) Altersgruppen und Ge- schlecht stagnieren aber in den letzten Jahren. Bei nische Manifestationsrate bei Männern ist am höchsten an den Grenzen zu Ös- Erwachsenen bestehen noch große Impf- oder auf ein z. B. verhaltensbedingtes oder terreich, Tschechien und der Schweiz, im lücken [64]. beruflich bedingtes höheres Infektionsri- westlichen Baden-Württemberg entlang Nach dem IfSG ist die FSME seit 2001 siko zurückzuführen ist, ist unklar, da der- des Rheins, in Südhessen sowie in nörd- in Deutschland meldepflichtig. Die Er- artige Daten gemäß IfSG nicht erhoben licheren Regionen Baden-Württembergs krankungszahlen zeigen eine ausgepräg- werden. Die altersspezifische Inzidenz hat und Bayerns (. Abb. 3). In den letzten te Saisonalität: Im Zeitraum von 2001 bis einen ersten Gipfel bei 5- bis 14-jährigen Jahren kamen nur vereinzelt Risikogebiete 2012 traten 58% der Fälle im 3. Jahresquar- Kindern und steigt ab der 4. Lebensdeka- hinzu; diese grenzten alle – mit Ausnah- tal auf, 25% im 2. und 16% im 4. Quartal. de wieder deutlich an mit einem zweiten me des Saar-Pfalz-Kreises im Saarland – Die Inzidenz schwankt z. T. stark von Jahr Gipfel in der 7. Lebensdekade (. Abb. 2). an bestehende Risikogebiete an. zu Jahr. Bundesweit lag die Zahl der jähr- Im Zeitraum 2001 bis 2012 wurde bei 44% Sporadisch treten FSME-Erkrankun- lich übermittelten FSME-Erkrankungen der übermittelten Fälle eine ZNS-Sympto- gen jedoch auch außerhalb der Risikoge- zwischen 195 (2012) und 546 (2006) (Mit- matik angegeben (27% bei Kindern im Al- biete auf. Vor allem aus Sachsen werden telwert 312 Fälle). Die Mehrzahl der Fälle ter von <5 Jahren). Die Gesamtletalität lag immer wieder Fälle gemeldet, besonders (86%) trat in den beiden Bundesländern bei 0,5%; bei Personen in einem Alter von aus Gebieten, die an tschechische Kreise Bayern und Baden-Württemberg auf; hier ≥70 Jahren jedoch bei 2,5%. mit relativ hoher FSME-Inzidenz gren- lag die mittlere Jahresinzidenz bei 1,2 Er- Die Meldedaten bilden die Grundlage zen. Daher sollte eine FSME-Impfung er- krankungen/100.000 Einwohner. Die zur Ausweisung von FSME-Risikogebie- folgen, wenn Aufenthalte in diesen Ge- Schwankungen der Fallzahlen ergeben ten. Seit 2007 basiert diese auf der Bewer- bieten geplant sind. Einzelfälle wurden sich aus dem Zusammenspiel verschiede- tung der kreisbezogenen FSME-Inzidenz auch aus anderen Bundesländern berich- ner Einflüsse. So wirken sich klimatische unter Einbeziehung der Inzidenz in um- tet [64]. Zudem war die FSME in den und ökologische Faktoren sowohl auf die liegenden Kreisen ([65] und 3). Die FSME 1960er- und 1970er-Jahren in den neu- Aktivität und den Lebenszyklus der Ze- ist in Deutschland überwiegend auf den en Bundesländern verbreitet [70]. War- cken als auch auf die Wirtstierpopulation süddeutschen Raum begrenzt; eine star- um hier seitdem nur noch Einzelfälle auf- aus. Das Risiko für eine Zeckenexposition ke Ausbreitung in andere Regionen wur- getreten sind, ist unklar. Bei entsprechen- hängt wiederum vom wetterabhängigen de bislang nicht beobachtet. Dies reflek- der klinischer Symptomatik sollte daher Freizeitverhalten der Menschen ab. Nicht tiert vermutlich, dass eine nachhaltige auch außerhalb der ausgewiesenen Risi- zuletzt kann auch das Diagnose- und Mel- Etablierung des FSME-Virus in einem kogebiete eine sorgfältige FSME-Diagno- deverhalten eine Rolle spielen. Die FSME- Naturherd spezifischerer Bedingungen stik erfolgen, insbesondere während der Inzidenz liegt vor allem in östlichen Län- bedarf [66, 67] als bei der Lyme-Borre- Zeckensaison. dern Europas wie Slowenien, dem Balti- liose [68]. So ist die Durchseuchung von kum und Tschechien sowie Teilen von Zecken mit dem FSME-Virus gering; in Lyme-Borreliose Russland deutlich höher als in Deutsch- einer Übersicht von Zeckenuntersuchun- land [53]. Dies galt auch für Österreich, je- gen in Deutschland zwischen 1990 und Die Lyme-Borreliose ist in den gemäßig- doch konnte dort die Inzidenz aufgrund 2010 lag sie meist bei <2% mit einer Span- ten Breiten der nördlichen Hemisphäre hoher Impfquoten seit den 1980er-Jahren ne von 0–5,2%; höhere Werte wurden al- verbreitet und in Mitteleuropa die häu- deutlich gesenkt werden [62]. In allen be- lerdings in gesogenen Zecken beobachtet figste durch Vektoren übertragene Infek- troffenen Ländern schwankt die Inzidenz [69]. FSME-Risikogebiete befinden sich tionskrankheit. Sie wird durch Bakterien regional sehr stark. in Baden-Württemberg, Bayern, Südhes- der Spezies Borrelia (B.) burgdorferi sen- Die FSME kommt häufiger bei männ- sen, Thüringen und vereinzelt in Rhein- su lato (s. l.) ausgelöst. Es gibt mindestens lichen als bei weiblichen Personen vor land-Pfalz und dem Saarland (. Abb. 3). 5 humanpathogene Genospezies: B. burg- (. Abb. 2). Ob dies auf eine höhere kli- Die FSME-Inzidenz in den Risikogebieten dorferi sensu stricto, B. garinii, B. afzelii,

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 563 Leitthema

in Ostdeutschland insgesamt 18.894 Fälle gemeldet. Die Inzidenz ist besonders hoch bei älteren Erwachsenen; einen zweiten Gipfel hat sie bei Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren (. Abb. 4). Die akute Lyme-Borreliose zeigt auf- grund der temperaturabhängigen Akti- vität der Zecken eine ausgeprägte Saiso- nalität. Die Inzidenz steigt ab April mit einem Höhepunkt im August an und fällt danach wieder ab. In Mecklenburg-Vor- pommern wurde zwischen 2005 und 2011 ein stark zunehmender Trend beobachtet (Anstieg von 21,9 Fällen pro 100.000 Ein- wohner auf 74,8 Fälle). Die Meldeinzidenz im benachbarten Brandenburg fiel im gleichen Zeitraum von 90,1 auf 64,0 Fälle pro 100.000 Einwohner. Im Jahr 2012 war die Inzidenz überall ungewöhnlich nied- rig. Die mit Abstand häufigste gemeldete Abb. 5 9 An das RKI Manifestation war das Erythema migrans übermittelte Han- (95%). Eine akute Neuroborreliose betraf tavirus-Erkrankun- 630 Fälle (3,3%) und eine Lyme-Arthritis gen (nach RKI-Refe- 367 Fälle (2,0%). renzdefinition) pro Unterschiede in der Aufmerksamkeit 100.000 Einwohner nach Kreis, Deutsch- der Betroffenen und Ärzte, in der durch- land, 2012 geführten Labordiagnostik und der Inten- sität der Surveillance können die beob- achteten Inzidenzunterschiede zum Teil B. bavariensis und B. spielmanii [71]. In späten Stadium vor. Sie schließen Me- erklären. Auch unterschiedliches Frei- Europa sind vor allem die ersten 3 Geno- ningitiden, Hirnnervenlähmungen und zeitverhalten, berufliche Aktivitäten und spezies endemisch. Übertragender Vektor auch Störungen entlang peripherer Ner- veränderte ökologische Faktoren (Land- in Mitteleuropa ist die Zecke Ixodes rici- ven ein (Neuroborreliose) [75, 76]. Weite- schaftswandel, Klimawandel) beeinflus- nus (Gemeiner Holzbock). Die Erreger re, in Europa eher selten beobachtete Ma- sen die Borreliose-Häufigkeit. zirkulieren zwischen den Schildzecken nifestationsformen sind Lyme-Arthritis, Wertvolle Daten zur Verbreitung von und ihren Wirten, insbesondere Nagetiere Lyme-Karditis, das Borrelien-Lympho- Infektionen mit B. burgdorferi bieten die und einige Vogelarten. Rehwild und Rot- zytom und die chronisch fortschreitende bundesweiten, repräsentativen Gesund- wild sind für die Aufrechterhaltung signi- Hauterkrankung (Akrodermatitis chro- heitssurveys. Blutproben aus dem vom fikanter Zeckenpopulationen bedeutend, nica atrophicans) [77]. Es existiert eine RKI durchgeführten Kinder- und Jugend- erkrankten aber selbst nicht [72, 73]. Ixo- wirksame antibiotische Therapie. gesundheitssurveys (KiGGS, 2003–2006, des ricinus durchläuft 4 Entwicklungssta- Derzeit ist von einer endemischen In- Alter 0 bis 17 Jahre) wurden auf Antikör- dien: Ei, Larve, Nymphe und adulte Ze- fektionsgefährdung durch Borrelia burg- per gegen B. burgdorferi untersucht [78, cke. Die durchschnittliche Erregerpräva- dorferi s.l. in allen Teilen Deutschlands 83]. Die Seroprävalenz bei den Teilneh- lenz ist bei adulten Zecken (16,8%) höher und allen angrenzenden Ländern auszu- mern (n=12.614) betrug 4,0% (95%-Ver- als bei Nymphen (10,1%) [74]. gehen [78, 79, 80]. trauensintervall: 3,6–4,5%). Sie stieg ku- Die Lyme-Borreliose kann unter- Auf Bundesebene existiert nach IfSG mulativ mit dem Alter an. Bei männlichen schiedliche Organe wie Haut, Gelenke, keine Meldepflicht für die Lyme-Borrelio- Teilnehmern war die Seroprävalenz signi- Herz, Auge oder Nervensystem betref- se. Die Auswertung der seit über 20 Jah- fikant höher als bei weiblichen. Teilneh- fen. Der Verlauf wird in Stadien einge- ren bestehenden länderspezifischen Mel- mer im Süden von Deutschland und sol- teilt, und die Erkrankung kann in jedem depflicht in 6 ostdeutschen Bundeslän- che aus ländlichen Gebieten oder Klein- Stadium selbstlimitierend sein. Eine frü- dern (Berlin, Brandenburg, Mecklen- städten wiesen eine höhere Seroprävalenz he kutane Manifestation ist das Erythe- burg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen- auf. Kinder mit Migrationshintergrund ma migrans, eine mehrere Tage bis weni- Anhalt und Thüringen) bietet Einblicke hatten eine deutlich geringere Seropräva- ge Wochen nach Zeckenstich sich ringför- in zeitliche Trends und besonders betrof- lenz. Das Halten einer Katze war mit einer mig ausbreitende Rötung. Neurologische fene Bevölkerungsgruppen [81, 82]. Zwi- erhöhten Seroprävalenz verbunden, nicht Manifestationen kommen im frühen und schen den Jahren 2009 und 2012 wurden aber das Halten anderer Haustiere.

564 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Die Aufklärung der Bevölkerung und bildes kommen, das mit dem Oberbegriff rus-Infektionen sehr stark. Während in der Ärzteschaft über Maßnahmen zur „hämorrhagisches Fieber mit renalem den Jahren 2008, 2009 und 2011 im Mit- Vermeidung eines Zeckenstichs und der Syndrom“ (HFRS) bezeichnet wird. Im tel jährlich 243 Fälle übermittelt wurden, nachfolgenden Infektion ist derzeit die Gegensatz zum Vollbild des HFRS, das waren in den Ausbruchsjahren 2007, 2010 einzige wirksame Präventionsmaßnahme regelmäßig bei Infektionen mit in Asien und 2012 die Zahlen mit 1687, 2016 und [84]. Die Gefahr für Zeckenstiche besteht vorkommenden Virustypen auftritt und 2825 übermittelten Fällen deutlich höher. bei Aufenthalten im Freien mit Kontakt zu mit schweren Nierenfunktionsstörungen Als Ursache für diese PUUV-Ausbrüche bodennahen Pflanzen. Eine Bekleidung, und vermehrter Blutungsneigung einher- kommen am ehesten eine sehr starke lo- die möglichst viel Körperoberfläche be- geht, ist die durch PUUV und DOBV her- kale Zunahme der Populationsdichte und deckt, reduziert das Risiko. Repellenzien vorgerufene Form milder. Sie wird auch Durchseuchung des Tierreservoirs (der wirken für eine kurze Zeit (<2 h) auch als Nephropathia epidemica bezeichnet. Rötelmäuse) in Betracht [86, 88, 89, 90, 91, gegen Zecken. Nach Aufenthalten in Ge- Im Vordergrund stehen abrupt einsetzen- 92, 93]. Betroffen waren jeweils insbeson- bieten mit potenziellem Zeckenvorkom- de grippeähnliche Symptome, häufig ge- dere der Süden und Westen Deutschlands men während der Saison sollte der Kör- folgt von Lumbalgien, gastrointestinalen mit einer Inzidenz von bis zu 90 Neu- per (vor allem auch bei Kindern) sorgfäl- Symptomen und Sehstörungen. Die Nie- erkrankungen pro 100.000 Einwohnern tig nach Zecken abgesucht werden. Bei renfunktionsstörung präsentiert sich mit auf Kreisebene (. Abb. 5). Die Inzidenz Zeckenbefall sollte die Zecke schnellst- Hämaturie, Proteinurie und Nierenversa- und das Infektionsrisiko kann auch in- möglich und fachgerecht entfernt werden gen, das eine vorübergehende Dialyse er- nerhalb eines Kreises sehr unterschied- [84]. Das Risiko für eine Borrelien-Über- fordern kann. Hämorrhagien treten nur lich sein [94]. tragung ist in den ersten Stunden nach sehr selten auf. Die Letalität liegt bei PU- Insgesamt ist bei einer noch relativ Befall sehr gering und erhöht sich nach UV-Infektionen bei unter 0,1% [87]. kurzen verfügbaren Zeitreihe von 12 Jah- ungefähr 18 h stark. Aktive und passive Zu den Risikofaktoren für eine Infek- ren nach Einführung des IfSG ein Trend Immunisierungen stehen für Europa mo- tion, die vorwiegend im Rahmen von epi- hin zu häufigeren Ausbrüchen, höheren mentan nicht zur Verfügung. demiologischen Fall-Kontroll-Studien er- Fallzahlen pro Ausbruchsjahr und mög- mittelt wurden, zählen Aktivitäten in den licherweise auch eine Ausweitung der be- Hantavirus-Erkrankung Endemiegebieten, die zum Kontakt mit troffenen Gebiete („Endemiegebiete“) zu Nagetieren und/oder deren Ausscheidun- verzeichnen. Bei all diesen Beobachtun- Hantaviren sind RNA-Viren aus der Fa- gen führen, z. B. das Reinigen von Räu- gen kann jedoch auch das Diagnose- und milie der Bunyaviridae (Genus Hanta- men, in denen Nagetiere vorkommen, Meldeverhalten eine große Rolle spielen. virus). Sie kommen weltweit bei kleinen Gartenarbeiten, Holzschlagen, Zelten, Insofern sind Projektionen zum Verlauf Säugetieren, insbesondere Nagetieren und Arbeiten in der Forstwirtschaft oder im der jährlichen Erkrankungszahlen nicht Insektenfressern vor. Dabei ist eine Virus- Bauwesen [88, 89]. Hantavirus-Erkran- mit ausreichender Sicherheit möglich. spezies (synonym: Virustyp) häufig mit kungen treten in allen Altersgruppen auf, einer ganz bestimmten Tierspezies asso- sind jedoch bei Kindern sehr selten. Am Schlussfolgerungen ziiert. Die geografische Verbreitung dieser häufigsten wird die Erkrankung bei Män- Reservoirtiere bestimmt somit zum gro- nern im berufstätigen Alter beobachtet. Die Surveillance der in Deutschland mel- ßen Teil das Vorkommen der jeweiligen Eine spezifische medikamentöse Therapie depflichtigen Vektor-übertragenen In- Hantavirusspezies [85]. oder eine prophylaktische Impfung steht fektionserreger hat sich bisher als effizi- Humanmedizinisch relevant sind in in Deutschland nicht zur Verfügung. Die ent erwiesen. Sie erlaubt zum einen die Deutschland insbesondere das Puumala­ wirksamste Präventionsmaßnahme be- Langzeitüberwachung endemischer In- virus (PUUV), übertragen durch die Rö- steht in der Expositionsprävention (Ver- fektionserreger (räumlich-zeitliche Dy- telmaus (Myodes glareolus), und der Typ meiden des Kontakts zu Nagetieren oder namik etc.), und sie liefert die Grundla- Kurkino des Dobrava-Belgrad-Virus virushaltigem Staub). Bei unvermeidbarer ge für vertiefende epidemiologische Stu- (DOBV), übertragen durch die Brand- Exposition werden hygienische Barriere- dien zu den lokal bedeutsamen Risiko- maus (Apodemus agrarius) [86]. Der maßnahmen (z. B. Handschuhe, partikel- faktoren für ihr Auftreten (z. B. Hanta- Mensch infiziert sich in der Regel über das filtrierende Halbmasken) empfohlen. viren) und Hinweise für die Prävention Aufwirbeln und Einatmen von Staub, der Eine Meldepflicht besteht in Deutsch- (z. B. FSME). Veränderungen in der Häu- Exkremente von infizierten Reservoir- land einerseits für den direkten oder indi- figkeit von Infektionen durch diese Erre- tieren enthält, über den Kontakt verletz- rekten Labornachweis einer akuten Han- ger (lokale Häufungen, Ausbreitung auf ter Haut mit Exkrementen bzw. über den tavirus-Infektion (gemäß § 7 Abs. 1, IfSG), weitere geografische Gebiete) können Verzehr kontaminierter Nahrungsmittel. sowie unabhängig vom Erreger, für das in rasch erkannt werden. Zum anderen er- Nach Infektion mit einem der in Deutschland diagnostizierte Krankheits- fasst die Surveillance Trends bei impor- Deutschland vorkommenden Hantavi- bild eines hämorrhagischen Fiebers (ge- tierten Infektionskrankheiten wie Ma- rustypen und einer Inkubationszeit von mäß § 6, Abs. 1 Nr. 1 g, IfSG) [16]. laria, Dengue- oder Chikungunyafieber 2 bis 4 Wochen (maximal 5 bis 60 Tage) In den letzten Jahren variierte die Zahl (einschließlich Veränderungen bei der kann es zur Ausbildung eines Krankheits- der an das RKI übermittelten Hantavi- Bedeutung einzelner Reiseländer als In-

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Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 567 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:568–573 J. Klasen1 · E. Schmolz1 · N.-O. Hübner2 · I. Schwebke2 DOI 10.1007/s00103-013-1928-6 1 Fachgebiet Gesundheitsschädlinge und ihre Bekämpfung, Umweltbundesamt, Berlin Online publiziert: 25. April 2014 2 Robert Koch-Institut, Berlin © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Zur Bedeutung der Listen bekannt gemachter Mittel und Verfahren für behördlich angeordnete Entseuchungen, Entwesungen und zur Bekämpfung von Wirbeltieren auf Grundlage des § 18 Infektionsschutzgesetz

Die Listen nach § 18 Produkte dieser Listen zur Anwendung nach §§ 16, 17 und 18 IfSG sind aber wich- Infektionsschutzgesetz kommen. Für Hersteller oder Inverkehr- tige Instrumente zur Verhütung der Wei- bringer ist die Aufnahme ihrer Präparate terverbreitung von Infektionserregern Gemäß § 18 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in die Listen nach § 18 IfSG freiwillig und und damit von Erkrankungen des Men- [1] dürfen bei behördlich angeordneten keine Voraussetzung für den Marktzu- schen. Die dort festgelegten Eingriffs- Entseuchungen, Entwesungen und Maß- gang. Die Listen werden teilweise auf Ba- möglichkeiten der zuständigen Behörden nahmen gegen Wirbeltiere nur geprüfte sis eigener Prüfungen durch die zustän- sind sehr weitreichend, bis hin zur Aufhe- und von den zuständigen Bundesoberbe- digen Bundesoberbehörden auf wissen- bung der Unverletzlichkeit der Wohnung hörden jeweils in einer Liste bekannt ge- schaftlicher Grundlage erstellt und bie- des Einzelnen. Schon aus diesem Grund machte Mittel und Verfahren verwendet ten damit den wesentlichen Vorteil, von ist es unverzichtbar, dass im Ernstfall nur werden. Für die Entseuchung (Desinfek- wirtschaftlichen Interessen unabhängig solche Mittel und Verfahren zum Einsatz tion) sind diese Mittel in der Liste der ge- zu sein. Die Listen nach § 18 IfSG enthal- kommen, die für den gewünschten Zweck prüften und anerkannten Desinfektions- ten nur geprüfte Mittel und Verfahren, optimal geeignet sind und eine unabhän- mittel und -verfahren aufgeführt, die mit denen bei sachgerechter Anwendung gige staatliche Überprüfung bestanden vom Robert Koch-Institut (RKI) heraus- die Tilgung eines Befalls durch die aufge- haben. Im Rahmen von Zulassungen wie gegeben wird. Desinfektionsmittel wer- führten Schädlingsarten bzw. eine sichere der Biozidzulassung können solche spe- den angewendet, um die Zahl von Mik- Desinfektion im jeweils genannten Wir- ziellen Anwendungen meist nicht ausrei- roorganismen (Bakterien, Pilze, Viren) kungsbereich in einer den Erfordernissen chend berücksichtigt werden. Insbeson- so weit zu vermindern, dass es nicht zur entsprechenden kurzen Frist bzw. Einwir- dere in der Schädlingsbekämpfung wird Weiterverbreitung von Infektionskrank- kungszeit erreicht werden kann. Mittel in der normalen Anwendungspraxis häu- heiten kommen kann. Entwesungsmittel und Verfahren, die in der Wirksamkeits- fig nur eine Befallsreduktion erreicht oder richten sich gegen gesundheitsschädliche prüfung dieses Ziel nicht erreicht haben, sogar nur angestrebt, während nach IfSG Gliedertiere wie Schaben, Bettwanzen, werden nicht gelistet. Das heißt nicht, dass in jedem Fall die Tilgung eines Befalls er- Fliegen u. a. Die Mittel zur Bekämpfung diese Präparate gar nicht wirksam sind, sie reicht werden muss, um sicher eine mög- von Wirbeltieren richten sich derzeit aus- können jedoch nicht im Rahmen behörd- liche Infektkette zu unterbrechen. schließlich gegen Hausmäuse, Haus- und licher Anordnungen verwendet werden. Der größere Teil von Desinfektionen Wanderratten. Die Liste für Entwesungs- Behördliche Anordnungen von Des- und Schädlingsbekämpfungen sind Rou- mittel und Mittel für Maßnahmen gegen infektions-, Entwesungs- oder Maßnah- tineanwendungen im Rahmen allgemei- Wirbeltiere veröffentlicht das Bundesamt men gegen Wirbeltiere gemäß §§ 16 und ner oder spezieller Hygienemaßnahmen. für Verbraucherschutz und Lebensmittel- 17 IfSG stellen in der Anwendung der ge- Zu behördlichen Anordnungen kommt sicherheit (BVL). Im Fall einer behördlich nannten Mittel und Verfahren sicherlich es z. B. im Rahmen von Ausbrüchen bei angeordneten Maßnahme dürfen nur die eher die Ausnahme dar. Die Regelungen Patienten in Krankenhäusern (in der Re-

568 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 gel Desinfektionsmaßnahmen), aber auch Rahmen von Übergangsregelungen ver- reiche existieren spezifischen Prüfmetho- bei Massenvorkommen von Gesund- kehrsfähig sind, müssen gemäß der Bio- den, die zum Teil vom RKI eigens für die heitsschädlingen ohne spezifische Erre- zidmeldeverordnung vor dem erstmali- Erstellung der Desinfektionsmittel-Liste gernachweise, wenn eine Gefahr für die gen Inverkehrbringen der Zulassungsstel- entwickelt und in einer entsprechenden Gesundheit des Menschen begründet ist. le (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Bekanntmachung des RKI veröffentlicht Beispiele hierfür sind die vor einigen Jah- Arbeitsmedizin, Friedrich-Henkel-Weg wurden [7]. ren Schlagzeilen verursachenden groß- 1–25, 44149 Dortmund, http://www.baua. Der Risikobewertung für Gesundheit räumigen Schabenvorkommen in Nord- de) gemeldet werden. und Umwelt liegen die in den praxisna- deutschland [2]. Die Bedeutung tierischer Einen Sonderfall stellen die gelisteten hen Prüfungen ermittelten Daten zur Do- Überträger und Reservoire für Infektions- Kopflausmittel dar. Hier handelt es sich sierung und Einwirkzeit zugrunde. krankheiten in Deutschland wird in die- entweder um gemäß Arzneimittelgesetz Im Fall von Lückenindikationen, d. h. sem Heft ausführlich von Faulde und zugelassene Arzneimittel oder um Medi- Zielorganismen und Anwendungsberei- Freise dargestellt [3]. zinprodukte. chen, die bislang nicht in der Liste be- Desinfektionsmittel können ebenfalls rücksichtigt wurden, wird von den für Verkehrsfähigkeit der gelisteten anderen Rechtsbereichen unterliegen. In die Listung zuständigen Behörden ver- Mittel und Verfahren die Liste werden für die hygienische Hän- sucht, geeignete Mittel und Verfahren auf dedesinfektion nur Mittel aufgenommen, dem Markt zu identifizieren und eine An- Der größte Teil der in den Listen nach § 18 die als Arzneimittel zugelassen sind. Da- tragstellung zu erwirken. Alternativ wird IfSG geführten Präparate sind zulassungs- mit soll gewährleistet werden, dass grund- durch eigene Forschungstätigkeit insbe- pflichtige Biozide. legende Voraussetzungen für eine gefahr- sondere der für die Wirksamkeitsprüfung Das Inkrafttreten der Europäischen lose Anwendung wie z. B. die Hautver- zuständigen Behörden angestrebt, geeig- Biozidrichtlinie im Jahr 1998 [4] und träglichkeit dieser Mittel belegt sind. Des- nete Verfahren zur Bekämpfung der be- ihrer nationalen Umsetzung in Deutsch- infektionsmittel, die nicht zur Anwen- troffenen Zielorganismen zu erarbeiten. land 2002 [5] hat – neben der Zulassungs- dung am menschlichen Körper bestimmt Zu erwähnen ist, dass durch das IfSG die pflicht neuer Wirkstoffe und Produkte – sind (z. B. Flächen- und Wäschedesinfek- Wirksamkeitsprüfung der Entwesungs- ein langfristiges Programm zur Bewer- tionsmittel) und die kein Zubehör zu Me- mittel und der Mittel gegen Nagetiere an tung bereits auf dem Markt befindlicher dizinprodukten sind, unterliegen der Bio- den entsprechenden Zieltierarten expli- Wirkstoffe angestoßen. zidverordnung. Mittel zur Instrumenten- zit den zuständigen Behörden zugewie- Mit dem Inkrafttreten der Euro- desinfektion fallen als Zubehör zu Medi- sen wird. päischen Biozidverordnung (EU) zinprodukten in der Regel unter das Me- Nr. 528/2012 [6] am 01.09.2013 unterlie- dizinproduktegesetz. Dieses sieht für der- Mittel und Verfahren gen die Schädlingsbekämpfungsmittel artige Produkte eine CE-Kennzeichnung zur „Entseuchung“ und einige Gruppen von Desinfektions- vor. Abgrenzungsregelungen zu Biozid- – Desinfektionsmittel mitteln dieser VO. Biozidprodukte dürfen produkten sind zu beachten. ausschließlich Wirkstoffe enthalten, die in Unter Desinfektion versteht man Maß- der „Unionsliste genehmigter Wirkstoffe“ Aufnahmeverfahren in die nahmen, die Mikroorganismen irrever- aufgeführt sind. Solange eine Entschei- Listen nach § 18 IfSG sibel inaktivieren und damit Gegenstän- dung über die Genehmigung von Wirk- de oder belebte Oberflächen in einen Zu- stoffen noch aussteht, können für Biozid- Die Prüfung und Listung der Mittel und stand versetzen, dass von ihnen keine In- produkte mit sog. Altwirkstoffen für be- Verfahren in allen 3 Listen erfolgen in der fektionsgefährdung ausgehen kann und stimmte Produktarten [s. Anhang II der Regel auf Antrag des Herstellers bei der damit die Weiterverbreitung von Krank- Verordnung (EG) Nr. 1451/2007] Über- für die Veröffentlichung zuständigen Be- heitserregern verhindert wird. gangsregelungen in Anspruch genommen hörde (s. unten). Die Liste der geprüften und anerkann- und in Deutschland zulassungsfrei ver- Zur Prüfung der Wirksamkeit der ten Desinfektionsmittel und -verfahren marktet werden. Hierbei sind die Über- Mittel und Verfahren werden Metho- enthält chemische Desinfektionsmittel gangsmaßnahmen gemäß Artikel 89 ff. den eingesetzt, die die vorgesehene An- bzw. -verfahren sowie physikalische Des- der Biozidverordnung in Verbindung mit wendungspraxis in Fällen behördlich an- infektionsverfahren. Unter der Ru­brik der § 28 (8) des Chemikaliengesetzes in der geordneter Maßnahmen weitgehend be- chemischen Mittel und Verfahren werden Fassung vom 23.07.2013 zu beachten. rücksichtigen. Das heißt, die Prüfungen Mittel zur Hände-, Instrumenten-, Flä- Ist für in einem Produkt enthaltene müssen den jeweils schwierigsten denk- chen- und chemothermischen Wäsche- Altwirkstoffe bereits eine Entscheidung baren Fall simulieren. Im Fall der Desin- desinfektion aufgeführt. zur Genehmigung erfolgt, ist für die wei- fektionsmittel und -verfahren prüft das Für die Mehrzahl der Mittel wurde tere Vermarktung des Produktes die Zu- RKI deren Wirksamkeit unter den bean- die Wirksamkeit nicht nur gegen Bakte- lassung unter Einhaltung der entspre- tragten, durch Sachverständigengutach- rien und Pilze, sondern auch gegen Viren chenden Fristen zur Antragstellung er- ten belegten Anwendungsbedingungen. nachgewiesen. Die Wirkstoffe für Hän- forderlich. Alle Biozidprodukte, die im Für die verschiedenen Anwendungsbe- dedesinfektionsmittel unterliegen beson-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 569 Leitthema Zusammenfassung · Abstract

deren Anforderungen, da sie neben der Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:568–573 DOI 10.1007/s00103-013-1928-6 Wirksamkeit auch die Hautverträglich- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 keit gewährleisten müssen. Somit kann J. Klasen · E. Schmolz · N.-O. Hübner · I. Schwebke eine umfassende viruzide Wirksamkeit Zur Bedeutung der Listen bekannt gemachter Mittel und nur bei besonderen Formulierungen er- Verfahren für behördlich angeordnete Entseuchungen, reicht werden. Für viele Anwendungen ist Entwesungen und zur Bekämpfung von Wirbeltieren jedoch eine Wirkung nur gegen behüllte auf Grundlage des § 18 Infektionsschutzgesetz Viren, wie z. B. Influenzaviren (begrenzt viruzide Wirksamkeit), ausreichend. Die- Zusammenfassung ser Wirkungsbereich kann aufgrund der Zum Schutz des Menschen vor übertragba- für den Marktzugang in Deutschland. Dem ren Krankheiten dürfen bei behördlich ange- Anwender steht die Wahl des Mittels grund- Struktur dieser Viren mit einer größeren ordneten Entseuchungen (Desinfektion), Ent- sätzlich frei, soweit es sich nicht um behörd- Anzahl von Produkten erzielt werden. wesungen (Bekämpfung von Gliedertieren) lich angeordnete Maßnahmen, d. h. Entseu- Dies findet durch die Aufnahme der be- und Maßnahmen zur Bekämpfung von Wir- chungen, Entwesungen oder Maßnahmen grenzt viruzid wirksamen Händedesin- beltieren, durch die Krankheitserreger ver- gegen Wirbeltiere gemäß § 17 IfSG handelt. fektionsmittel seit dem 5. Nachtrag zur breitet werden können, nur Mittel und Ver- Es ist jedoch dringend zu empfehlen, auch 15. Ausgabe der Liste Berücksichtigung. fahren verwendet werden, die von der zu- bei routinemäßiger Anwendung die oben ge- ständigen Bundesoberbehörde in einer Lis- nannten Listen zu Rate zu ziehen, da bei den Wäschedesinfektionsverfahren neh- te im Bundesgesundheitsblatt bekannt ge- dort aufgeführten Mitteln und Verfahren die men einen großen Teil der chemischen macht worden sind. Die Aufnahme in die Lis- Wirksamkeit durch behördliche, teilweise im Verfahren ein. Sie werden in praxisna- te erfolgt nur, wenn die Mittel und Verfah- Rahmen von Akkreditierungen qualitätsge- hen Prüfverfahren in einer Testwasch- ren hinreichend wirksam sind und keine un- sicherten Prüfungen oder Sachverständigen- maschine mit einer im RKI entwickelten vertretbaren Auswirkungen auf Gesundheit gutachten belegt und von unabhängigen In- und Umwelt haben (§ 18 IFSG). Für Herstel- stitutionen bestätigt wurde. Methode geprüft, die auch die Grundlage ler von Desinfektionsmitteln und Schädlings- einer europäischen Norm ist. Ihre Wirk- bekämpfungsmitteln besteht keine Verpflich- Schlüsselwörter samkeit kann dementsprechend nur unter tung, ihre Präparate in die Listen nach § 18 § 18 IfSG · Desinfektion · gleichen praktischen Bedingungen garan- IfSG eintragen zu lassen. Insbesondere ist die Entwesung · Wirbeltierbekämpfung · tiert werden, d. h. in Trommelwaschma- Eintragung in die Listen keine Voraussetzung Gesundheitsschädlinge schinen, die eine exakte Einstellung der Verfahrensparameter wie Wassermenge, Temperatur und Einwirkzeit erlauben. In On the relevance of the official lists for notified products Wäschereien übliche Waschverfahren mit and measures for disinfection, disinfestation and control of Waschstraßen sind mit diesen Tests nicht vertebrate pests ordered by an authority on the legal basis generell berücksichtigt. of § 18 IfSG (German Protection against Infection Act) Neben dem seit vielen Jahren eingetra- Abstract genen Raumdesinfektionsverfahren mit In order to protect human health against German market. Users are free to choose a Formaldehyd beinhaltet die aktuelle Aus- communicable diseases, the German Protec- product as long as no officially ordered mea- gabe der Liste auch Begasungsverfahren tion against Infection Act (IfSG) requires the sure, i.e. disinfection, disinfestation or mea- use of officially approved products and meth- sures against vertebrate pests, according to für HEPA-Filter in Sicherheitswerkbän- ods for officially ordered disinfection, disin- § 18 ­IfSG applies. However, it is highly recom- ken mit Formaldehyd bzw. Wasserstoff- festation (control of arthropods) as well as mended to use approved products included peroxid. Begasungsverfahren für Räume, measures for the management of vertebrate in the abovementioned lists even for routine z. B. im Krankenhaus sind keineswegs für pests that spread pathogens. Official approv- application, as these registered products and Routineanwendungen vorgesehen, son- al is granted by registration in lists published methods have been tested, i.e. the efficacy dern besonderen Situationen vorbehal- by the responsible federal health authori- has been proven by means of specific, recog- ties and only for products and methods that nized and quality assured testing procedures ten. Bei der Anwendung solcher Verfah- have been tested and found to be sufficient- or by expert reports which have been con- ren ist auch zu beachten, dass sie immer ly effective and do not have an unacceptable firmed by independent institutions. mit einer Flächendesinfektion durch Wi- impact on health and the environment (§ 18 schen verbunden werden müssen. ­IfSG). It is not compulsory for manufactur- Keywords Thermische Desinfektionsverfahren ers to have their products and methods list- § 18 IfSG · Disinfection · Disinfestation · Pest ed in accordance with § 18 IfSG. In particular control · Public health pests gelten als sichere Verfahren, können je- listing is not a prerequisite for access to the doch nicht für jeden Anwendungsbe- reich eingesetzt werden. Die Liste enthält 3 Gruppen solcher Verfahren: Verfahren zur Desinfektion von porösen Gütern wie Energiebilanz finden thermische Verfah- se Rubrik keine neuen Verfahren eingetra- z. B. Bettenausstattungen, zur Abfalldes- ren zur Bettenaufbereitung kaum noch gen. Die Norm beinhaltet zwar überwie- infektion mittels Dampf sowie Instrumen- Anwendung. Seit Veröffentlichung der gend andere Prüfkriterien als die Testme- tendesinfektionsverfahren in Reinigungs- Europäischen Norm für Reinigungs- und thoden des RKI [8], stellt aber im Gegen- und Desinfektionsgeräten. Aufgrund der Desinfektionsgeräte wurden auch für die- satz zu diesen die Voraussetzungen für die

570 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Der Wegfall einer Reihe von Wirkstof- fen und Wirkmechanismen in den letz- Abb. 1 9 Zwangskon- ten 10 Jahren führte zu erheblichen Ein- takt-Versuch mit Bett- wanzen (Cimex lectula- schränkungen in der Liste der für behörd- rius) im Labor. Jeweils lich angeordnete Bekämpfungsmaßnah- 12 Wanzen werden für men geprüften Mittel. So stehen z. B. der- definierte Zeiträume zeit keine Organophosphate wie Chlorpy- zwischen 2 min und rifos, Dichlorphos oder Diazinon mehr 3 h auf mit der Prüf- substanz behandel- zur Verfügung. Als akut toxische Wirk- ten Oberflächen gehal- stoffe mit einer schnellen Sofortwirkung ten und anschließend sind gegen die meisten Zieltierarten vor in neutralen Gefäßen allem Pyrethroide in der Liste zu finden. beobachtet. (Foto: Mit Gerade gegen diese Wirkstoffgruppe lie- freundlicher Genehmi- gung des Umweltbun- gen aus Deutschland einzelne Untersu- desamtes) chungsergebnisse zu Resistenzen bei Flie- gen in Tierställen (­Musca domestica L.) vor [10]. Die Gründe liegen auch in der jahre- ordnungsgemäße Aufbereitung von Me- schiedene Listen für veterinärmedizini- langen suboptimalen Anwendung dieser dizinprodukten dar. Unter dem Aspekt sche Desinfektionsaufgaben, z. B. für den Wirkstoffe [10]. Systematische Resistenz- der Vermeidung der Weiterverbreitung Lebensmittelbereich und die Tierhaltung. untersuchungen an Gesundheitsschäd- von Krankheitserregern über das Abwas- lingen werden allerdings in Deutschland ser wurden nur Verfahren eingetragen, bei Entwesungsmittel (Mittel und nicht durchgeführt. Für die effektive Be- denen die Flotte erstmals nach der Des- Verfahren zur Bekämpfung kämpfung tierischer Schädlinge im Hy- infektionsphase abgelassen werden durf- von Gliedertieren) gienebereich – insbesondere für behörd- te. Ein solches Vorgehen erscheint unter lich anzuordnende Maßnahmen gemäß modernen hygienischen Bedingungen bei Gesundheitsschädlinge sind per Defini- Infektionsschutz- oder Tierseuchengesetz heutigem Kenntnisstand – Behandlung tion im § 2 IfSG „Tiere, durch die Krank- – sollte eine ausreichend große Palette an des Abwassers in Kläranlagen – in aller heitserreger auf den Menschen übertra- wirksamen Mitteln und Verfahren zur Regel nicht erforderlich. Damit erübrig- gen werden können“. Im Umweltbundes- Verfügung stehen. Dies bezieht sich so- te sich die Notwendigkeit, weiterhin neue amt als für die Wirksamkeitsprüfung zu- wohl auf die Zusammensetzung der Mittel Verfahren hierzu vorzuhalten. ständige Behörde sind im akkreditierten und hier besonders auf die Wirkstoffe als Für die Desinfektion infizierter Abfäl- „Prüflabor Gesundheitsschädlinge“ Prü- auch auf unterschiedliche Formulierungs- le sind nur thermische Verfahren geeig- fungen gegen folgende Schädlingsarten typen. Je nach Art des Zielorganismus, net. Deshalb werden in die Liste auch kei- möglich: Bettwanzen, Stubenfliegen, Flö- des Befallsortes, dessen Nutzungswei- ne chemischen Verfahren für diesen An- he, verschiedene Schabenarten, Stechmü- se und eventuell auch der Resistenzlage wendungsbereich eingetragen. Eine che- cken, Pharaoameisen, Haus- und Weg- muss für einen optimalen Bekämpfungs- mische Desinfektion würde die vollstän- ameisen, Kleiderläuse (als Substitut für erfolg das wirksamste Bekämpfungsver- dige Durchdringung der Abfälle voraus- Kopfläuse) und Taubenzecken. fahren ausgewählt werden. Berücksich- setzen, was aufgrund deren Inhomogeni- Auch wenn bei einigen der genannten tigt werden müssen dabei ganz allgemei- tät sehr unwahrscheinlich ist. Schädlingsarten bisher keine Nachwei- ne Wirkungsweisen des jeweiligen Wirk- Neben der RKI-Liste existieren wei- se einer erfolgreichen Krankheitserreger­ stoffes wie Atemgiftwirkung, Kontaktgift- tere Listen zur Wirksamkeit von Desin- übertragung auf den Menschen vorliegen wirkung oder Fraßgiftwirkung bis hin zu fektionsmitteln, für die die gutachterliche (z. B. Bettwanzen) werden auch gegen die- speziellen Effekten wie Austreibeeffekt, Prüfung und unabhängige Bewertung se sehr schwierig zu bekämpfenden Tie- Repellenteffekt, Knock-down-Effekt, der Gutachten nach transparenten Kri- re seit vielen Jahrzehnten Mittel und Ver- Kill-Effekt, ­Antifeeding-Effekt, Entwick- terien Voraussetzung für die Aufnahme fahren geprüft, da sie die Gesundheit des lungsstörung, Stoffwechselstörung, Steri- von Mitteln und Verfahren ist. Diese Lis- Menschen bei Befall deutlich schädigen. lisierung oder Ovizidie. Auch die Dauer ten sind jedoch nicht für behördlich an- Gerade zur Bekämpfung von Bettwanzen dieser Effekte muss bei der Auswahl des gewiesene Maßnahmen vorgesehen und benötigen sowohl Gesundheitsämter als Mittels berücksichtigt werden und rich- bewerten die enthaltenen Mittel teilwei- auch Betroffene sichere Hinweise zur er- tet sich wiederum nach Zieltierart und se nach anderen Kriterien. Für Routine- folgreichen Bekämpfung. Dies wird noch Befallsort. Selbstverständlich sollte bei desinfektionsmaßnahmen im humanme- brisanter vor dem Hintergrund sich ver- der Bekämpfung von Gesundheitsschäd- dizinischen Bereich gibt der Verbund für stärkender Resistenzprobleme und einer lingen nicht die ausschließliche Anwen- Angewandte Hygiene eine entsprechende eingeschränkten Wirkstoffpalette (s. auch dung chemischer Mittel empfohlen wer- Liste heraus. Die Deutsche Veterinärme- Beitrag von Kuhn & Vander Pan in die- den, sondern im Rahmen eines Schäd- dizinische Gesellschaft veröffentlicht ver- sem Heft, [9]). lingsmanagements sollten alle notwendi-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 571 Leitthema

im Wahlversuch unter Anbietung eines at- zur Selbstherstellung von Ködern. Auch traktiven giftfreien Beifutters getestet. In die Verwendung von Haftgiften wird stark allen Versuchen wird der Zeitraum, inner- eingeschränkt. halb dessen eine Tilgung der eingesetzten Neben den Wanderratten, Hausratten Tiere erreicht werden kann, in besonderer und Hausmäusen werden in der nächs- Weise berücksichtigt. ten Ausgabe der § 18 IfSG-Liste auch Mit- Begleitet werden die Wirksamkeits- tel zur Bekämpfung von Rötel- und Feld- prüfungen im UBA immer durch laufen- mäusen im Rahmen des Gesundheits- de Eigenforschung der Verhaltensweisen schutzes aufgenommen. Diese Anwen- von Gesundheitsschädlingen, ihrer Emp- dung ist jedoch strikt von der Bekämp- findlichkeit gegenüber Umwelt- und Gift- fung dieser Schadnager im Bereich des einflüssen sowie zu allen Faktoren, die Pflanzenschutzes abzugrenzen; für die- Abb. 2 8 Die Prüfungen von Nagetierbekämp- ihre Entwicklung beeinflussen. Ferner ist sen Verwendungszweck sind ausschließ- fungsmitteln werden an Wildstamm-Tieren das UBA in die Abstimmung von Prüfkri- lich Pflanzenschutzmittel zugelassen. Vor durchgeführt, die im UBA gezüchtet werden. Im terien auch international und im Rahmen allem Rötelmäuse, die im Winter in Ge- Bild eine Wanderratte (Rattus norvegicus). (Foto: der Biozidzulassung involviert. So konn- bäude eindringen, können aber als Über- Mit freundlicher Genehmigung des Umwelt- te z. B. das Prüfsystem für Schabenköder träger von Hantaviren (Serotyp PUUV) bundesamtes) erfolgreich in ein OECD-Guidance-Doc­ auch als Gesundheitsschädlinge von Be- ument einfließen [11], weitere Guidance- deutung sein [14]. gen integrativen einschließlich prophylak- Documents sind in Bearbeitung. Neben den Mitteln zur Nagetierbe- tischer bis hin zu baulichen Maßnahmen kämpfung sind auch Köderstationen als ergriffen werden. Auch die sachgerechte Mittel und Verfahren zur Verfahren zur Ausbringung von Roden- Anwendung der chemischen Mittel ist für Bekämpfung von Wirbeltieren tiziden gelistet. Diese haben nach der die Effektivität und die Resistenzprophy- neuen Biozidzulassung als Risikominde- laxe von großer Bedeutung. Die Listen nach § 18 IfSG zur Bekämpfung rungsmaßnahme zum Schutz von Kin- In den Laborprüfungen des Umwelt- von Wirbeltieren enthalten Mittel und dern und Nicht-Zielorganismen eine be- bundesamts wird in speziell entwickelten Verfahren zur Bekämpfung von Haus- sondere Bedeutung erlangt, da eine Kö- Wirksamkeitstests versucht, möglichst mäusen, Wanderratten und Hausratten. derausbringung in der Regel nur noch in viele der oben genannten Eigenschaften Dabei wird unterschieden zwischen Mit- Köderstationen erlaubt ist. Eine Prüfricht­ eines Präparates gegen die jeweilige Ziel- teln zur Anwendung in Innenräumen und linie zur Bewertung von Fallen zur Nage- tierart und gegen jedes hier zu bekämp- Tierställen, im Freiland und in der Kanali- tierbekämpfung wird momentan erarbei- fende Stadium zu prüfen. Dabei steht im- sation. Diese Anwendungsorte werden bei tet. Der Einsatz von Fallen ist insbesonde- mer als Ziel die Tilgung eines Befalls im der Prüfung und Bewertung der Produkte re bei Vorkommen von Resistenzen gegen Sinne einer Infektkettenunterbrechung berücksichtigt. Antikoagulanzien, aber auch in sensiblen im Vordergrund. Aus diesem Grund wer- Die blutgerinnungshemmenden ro- Bereichen, in denen eine Giftausbringung den auch ausschließlich solche Präpara- dentiziden Wirkstoffe Warfarin, Chlor- nicht ohne Weiteres möglich ist, als bio- te geprüft, die sich für großflächige/groß- phacinon, Coumatetralyl, Bromadiolon, zidfreies Bekämpfungsverfahren wichtig. räumige Einsätze durch professionelle Difenacoum, Brodifacoum, ­Difethialon Ebenso wie bei den Insektiziden ist bei Schädlingsbekämpfer eignen. Mittel, die und Flocoumafen sowie der Akutwirk- der Wirksamkeitsprüfung von Nagetier- für die Anwendung durch Laien im Haus- stoff Alpha-Chloralose und die gasför- bekämpfungsmitteln die Simulation mög- halt vorgesehen sind, werden in der Re- mig wirksamen Aluminiumphosphid, lichst realistischer Bedingungen im Labor gel nicht für die Listung nach § 18 IfSG ge- Blausäure und Kohlendioxid sind bereits von großer Bedeutung. Nahezu alle gelis- prüft. in den Anhang I der Biozidrichtlinie auf- teten und zur Listung beantragten Roden- Die Prüfmethoden versuchen, prakti- genommen worden. Das Zulassungsver- tizide sind Fraßgiftköder. Entscheidend sche Anforderungen in der Bekämpfung fahren für die Produkte ist zu einem gro- für den Erfolg einer Bekämpfungsmaß- zu berücksichtigen. So werden z. B. bei ßen Teil bereits erfolgt. Von den genann- nahme ist eine möglichst gute Köderan- Kontaktgiften im Zwangsversuch mehre- ten Wirkstoffen sind auf der § 18 IfSG-Lis- nahme. Die Prüfungen werden daher mit re repräsentative Materialien mit unter- te alle Antikoagulanzien vertreten sowie Zuchten von Wildstammtieren durchge- schiedlichen sorptiven Eigenschaften ge- Blausäure als Begasungsmittel. Durch die führt (. Abb. 2), die in ihrem Nahrungs- prüft, z. B. Holz, kunststoffbeschichte- Biozidzulassung scheiden einige Produkt- explorations- und Fraßverhalten Ratten te Platten wie Hornitex®, Tapete, Metall, formen durch Auflagen zur Risikominde- und Mäusen in den tatsächlichen Befalls- Beton (. Abb. 1). Im Fall von Köder- rung, die mit der Aufnahme der Wirkstof- habitaten entsprechen. Zudem wird die formulierungen werden die Attraktivi- fe in den Anhang I der Biozid-RL verbun- Wirksamkeit der Köder in Versuchen mit tät und Wirksamkeit der Köder in ausrei- den sind, vom Markt aus. So wird es zu- Gruppen von Nagetieren getestet, da so- chend großen Behältnissen mit möglichst künftig nur noch gebrauchsfertige Pro- ziale Effekte bei der Nahrungsaufnahme viel Bewegungsfreiheit für die Tiere sowie dukte geben, nicht jedoch Konzentrate von großer Bedeutung sind. Die Prüfun-

572 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 gen sind dabei an etablierte Prüfrichtli- tel/desinfektionsmittel_node.html) veröf- 4. Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das In- nien des Julius-Kühn-Instituts (ehemals fentlicht. Zurzeit gilt die 16. Ausgabe der verkehrbringen von Biozid-Produkten, publiziert BBA) angelehnt. Für den Anwendungs- Liste mit Stand vom 31.08.2013 [13]. im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L bereich der Rattenbekämpfung in der Die Entwesungsmittel- und Wirbeltier- 123 vom 24.04.1998 5. Verordnung über die Zulassung von Biozid-Pro- Kanalisation wurde zudem ein Verfah- mittellisten werden vom BVL im Bundes- dukten und sonstige chemikalienrechtliche Ver- ren entwickelt, in dem die Köder vor der gesundheitsblatt sowie auf der Internetsei- fahren zu Biozid-Produkten und Biozid-Wirkstoffen Ausbringung für mehrere Tage bei hoher te des BVL veröffentlicht. Derzeit gelten (ChemBiozidZulV, Biozid-Zulassungsverordnung vom 4. Juli 2002 (BGBl. I S. 2514), geändert durch Feuchtigkeit und Wärme gelagert werden, die Bekanntmachung der 18. Ausgabe der Artikel 15 des Gesetzes vom 22. August 2006 um eine mögliche Köderzersetzung und Entwesungsmittelliste und die 15. Ausga- (BGBl. I S. 1970) Schimmelbildung zu simulieren. be der Wirbeltierliste vom 20.06.2008, ge- 6. Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über meinsam bekannt gemacht [14], sowie der die Bereitstellung auf dem Markt und die Ver- Schlussfolgerung Nachtrag zu diesen Listen vom 13.07.2010 wendung von Biozidprodukten, publiziert im [15] (http://www.bvl.bund.de/DE/03_Be- Amtsblatt der Europäischen Union L 167 vom 27.06.2012 Die Prüfverfahren zur Listung von Mit- darfsgegenstaende/03_AntragstellerUn- 7. Bekanntmachung zur Liste der vom Robert Koch- teln nach § 18 IfSG müssen hohe Stan- ternehmen/05_Schaedlingsbekaemp- Institut geprüften und anerkannten Desinfek- dards an die Qualität der Prüfungen als fungsmittel/01_Infektionsschutz/bgs_in- tionsmittel und -verfahren (2013). Bundesgesund- heitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz auch strenge Maßstäbe zur Bewertung fektionsschutz_node.html). 56:1696–1701 der geprüften Mittel einhalten. Die über- 8. o A (2007) Mitteilung des Robert Koch-Instituts zur wiegende Zahl der Prüfmethoden zur Aufnahme von Reinigungs- und Desinfektionsge- Korrespondenzadresse räten in die Liste der geprüften und anerkannten Wirksamkeit wurden – teilweise inklusi- Desinfektionsmittel und -verfahren gemäß § 18 ve der Zucht der Prüforganismen – eigens Dr. J. Klasen IfSG. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Ge- für diesen Zweck entwickelt und sind in Fachgebiet Gesundheitsschädlinge und sundheitsschutz 50:128–129 ihre Bekämpfung, Umweltbundesamt 9. Kuhn C, Vander Pan A (2014) Die weltweite Aus- Europa an wenigen anderen Stellen in der breitung von Bettwanzen stellt auch in Deutsch- Boetticher Str. 2, 14195 Berlin land ein Problem dar. Bundesgesundheitsbl Ge- existierenden Form zusammen mit einer [email protected] entsprechenden Qualitätssicherung vor- sundheitsforsch Gesundheitsschutz 57:524–530 10. Jandowsky A, Clausen P-H, Schein E, Bauer B handen. Die staatlichen Prüfungen sind (2010) Vorkommen und Verbreitung von Insekti- Danksagung. Wir danken der Bundesstelle für Che- zidresistenzen bei Fliegen (Musca domestica L.) zudem von ökonomischen Interessen un- mikalien bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und in Milchviehbetrieben Brandenburgs. Praktischer abhängig. Es wird daher empfohlen, auch Arbeitsmedizin für die Informationen zur Biozidpro- Tierarzt 91(7):590–598 duktzulassung. Außerdem danken wir Frau Virginie bei routinemäßigen Entseuchungen, Ent- 11. Guidance document on essays for testing the effi- Lehmann und Frau Juliane Fischer für die Unterstüt- cacy of baits against cockroaches (2013) OECD; Se- wesungen und Bekämpfungen von Wir- zung bei der englischen Fassung des Abstracts. beltieren die hier vorgestellten Listen zu ries on Testing and Assessment No 183, Doc NV/ JM/MONO(2013)3. http://www.oecd.org/env/ehs/ Rate zu ziehen. Einhaltung ethischer Richtlinien testing/seriesontestingandassessmentothereg- pesticideresiduechemistry.htm Zuständige Behörden Interessenkonflikt. J. Klasen, E. Schmolz, N.-O. Hüb- 12. Jacob J, Ulrich R, Freise J, Schmolz E (2014) Moni- ner und I. Schwebke geben an, dass kein Interessen- toring von gesundheitsgefährdenden Nagetie- konflikt besteht. ren: Projekte, Ziele und Ergebnisse. Bundesge- Das RKI prüft Desinfektionsmittel und sundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz Alle nationalen Richtlinien zur Haltung und zum Um- -verfahren auf Wirksamkeit und veröf- 57:511–518 gang mit Labortieren wurden eingehalten und die 13. Liste der vom Robert Koch-Institut geprüften und fentlicht die entsprechende Liste im Ein- notwendigen Zustimmungen der zuständigen Behör- anerkannten Desinfektionsmittel und -verfahren. vernehmen mit dem UBA und dem Bun- den liegen vor. Stand vom 31.08.2013 (16. Ausgabe) (2013). Bun- desinstitut für Arzneimittel und Medizin- desgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesund- heitsschutz 56:1706–1728 produkte (BfArM), die die Unbedenklich- Literatur 14. o A (2008) Bekanntmachung der geprüften und keit für Umwelt und Gesundheit prüfen. anerkannten Mittel und Verfahren zur Bekämp- Das BVL veröffentlicht die Entwe- 1. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von In- fung von tierischen Schädlingen nach § 10 Infek- fektionskrankheiten beim Menschen (Infektions- tionsschutzgesetz. Bundesgesundheitsbl Gesund- sungsmittel- und Wirbeltierbekämp- schutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I heitsforsch Gesundheitsschutz 51:1220–1238 fungslisten im Einvernehmen mit dem S. 1045), geändert durch Artikel 4 Absatz 21 des 15. o A (2010) Bekanntmachung eines Nachtrags der UBA, das die Wirksamkeit und die Un- Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geprüften und anerkannten Mittel und Verfahren 2. Freise JF, Röttgers HR, Wehlage D (2006) Manage- zur Bekämpfung von tierischen Schädlingen nach bedenklichkeit für die Umwelt prüft, so- ment eines großräumigen Schabenbefalls in Nord- § 10 Infektionsschutzgesetz. Bundesgesundheitsbl wie dem Bundesinstitut für Risikobewer- deutschland. Amtstierärztlicher Dienst und Le- Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 53:1216– tung (BfR), das die Unbedenklichkeit für bensmittelkontrolle 13-2 1220 3. Faulde M, Freise J (2014) Gesundheitsschädlinge: die Gesundheit prüft. Im Fall von Kopf- Arthropoden und Nagetiere als Krankheitsverursa- lausmitteln erfolgt die gesundheitliche Be- cher sowie Überträger und Reservoire von Krank- wertung durch das BfArM. heitserregern. Bundesgesundheitsbl Gesundheits- forsch Gesundheitsschutz 57:495–503 Diese Desinfektionsmittelliste wird im Bundesgesundheitsblatt und im Internet (http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ Krankenhaushygiene/Desinfektionsmit-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 573 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:574–584 C. Pieper1 · D. Holthenrich2 · H. Schneider1 DOI 10.1007/s00103-013-1920-1 1 Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin Online publiziert: 25. April 2014 2 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund © The author(s) 2014. This article is published with open access at link.springer.com Gesundheitliche Risiken durch Schädlingsbekämpfungsmittel

Hintergrund und Einleitung Biozidprodukte als Schäd- Nr. 528/2012 ist zudem das Unionszulas­ lingsbekämpfungsmittel sungsverfahren als eine Möglichkeit der Für Schädlingsbekämpfungsmittel, die und gesetzliche Grundlagen europaweiten Vermarktung hinzugekom­ zu den Biozidprodukten zählen, gab es für die Zulassung men. in Deutschland bis vor wenigen Jahren Im Rahmen einer Zulassung sind keine gesetzlichen Grundlagen für ihre Schädlingsbekämpfungsmittel als Ober­ unter anderem die Risikobewertungen Zulassung und Vermarktung. Sie konn­ begriff umfassen eine Vielzahl an Präpa­ für Mensch und Haustier durchzufüh­ ten ohne eine behördliche Prüfung unter raten mit unterschiedlichen Wirkstoffen, ren. Dadurch soll der Schutz von nicht- Maßgabe des Chemikalienrechtes in Ver­ die in unterschiedlichen Anwendungs­ berufsmäßigen Anwendern, berufsmä­ kehr gebracht werden. Somit fand früher bereichen auf ein breites Spektrum an ßigen Anwendern, unbeteiligten Drit­ z. B. keine unabhängige gesundheitliche Zielorganismen wirken sollen. Sie unter­ ten und Tieren sichergestellt werden. Bewertung dieser Mittel statt. Lediglich liegen der europäischen Biozidgesetz­ Daneben werden die Auswirkungen auf Schädlingsbekämpfungsmittel, deren An­ gebung, die eine nationale Zulassung von die Umwelt sowie die Wirksamkeit und wendung von den zuständigen Behörden Biozidprodukten für verschiedene Pro­ mögliche Erzeugung von Resistenzen zum Schutz des Menschen vor übertrag­ duktarten, darunter auch für Schädlings­ bewertet. In Deutschland ist die Bundes­ baren Krankheiten nach § 18 des Infek­ bekämpfungsmittel, regelt. Die enthal­ stelle für Chemikalien in der Bundesan­ tionsschutzgesetzes (IfSG) [1] angeord­ tenen Wirkstoffe müssen jedoch zuvor stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi­ net werden kann und die dafür der Auf­ auf europäischer Ebene genehmigt wor­ zin (BAuA) für die Zulassung von Bio­ nahme in eine entsprechende Liste des den sein. zidprodukten zuständig. An der gesund­ Bundesamtes für Verbraucherschutz und Die Biozidgesetzgebung nach Richtli­ heitlichen Bewertung der Biozidprodukte Lebensmittelsicherheit (BVL) bedürfen, nie 98/8/EG [2] und ihre Umsetzung in sind das BfR und der Fachbereich 4 „Ge­ wurden vom Bundesinstitut für Risiko­ nationales Recht wurde am 01.09.2013 fahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe“ bewertung (BfR) bzw. seinen Vorgänger­ durch die Verordnung (EG) Nr. 528/2012 der BAuA beteiligt. institutionen hinsichtlich ihrer Risiken [3] abgelöst. Diese Verordnung gilt in al­ Auf Basis der europäischen Gesetzge­ für die menschliche Gesundheit einer len europäischen Mitgliedstaaten unmit­ bung sind Schädlingsbekämpfungsmittel Bewertung unterzogen. Durch die euro­ telbar. Grundsätzlich gilt, dass ein Wirk­ der Hauptgruppe 3 zuzuordnen. . Tab. 1 päische Gesetzgebung wurde auch in stoff, der in einem Biozidprodukt ver­ zeigt die verschiedenen Produktarten, die Deutschland ein Zulassungsverfahren wendet werden soll, zunächst auf EU- zu den Schädlingsbekämpfungsmitteln für Biozidprodukte und somit auch für Ebene bewertet und nach einer positiven gehören. Im vorliegenden Beitrag wird Schädlingsbekämpfungsmittel (haupt­ Entscheidung in eine Unionsliste der ge­ besonders auf die Produktarten 14 (Ro­ sächlich Rodentizide und Insektizide) nehmigten Wirkstoffe nach VO (EG) ­Nr. dentizide) und 18 (Insektizide) eingegan­ etabliert. Im Rahmen dieser Zulassung 528/2012 aufgenommen sein muss. Erst gen, da diese die wichtigsten Mittel inner­ erfolgt auch eine Bewertung der gesund­ nach dieser Aufnahme kann ein Zulas­ halb dieser Hauptgruppe umfassen. heitlichen Risiken für berufsmäßige und sungsantrag für ein Biozidprodukt ge­ Eine Vielzahl der in Schädlingsbe­ nicht-berufsmäßige Anwender, für unbe­ stellt und dieses in einem nationalen Ver­ kämpfungsmitteln eingesetzten Wirk­ teiligte Dritte und für Haustiere. fahren bewertet und zugelassen werden. stoffe hat das europäische Verfahren zur Neben der Zulassung von Biozidproduk­ Bewertung durchlaufen, sodass bereits ten in einem EU-Mitgliedstaat gibt es das zahlreiche Rodentizide, aber auch einige Verfahren der gegenseitigen Anerken­ Insektizide in Deutschland als Biozidpro­ nung von bereits in einem EU-Mitglied­ dukte zugelassen sind. staat bewerteten und zugelassenen Pro­ Das Infektionsschutzgesetz (IfSG, [1]) dukten. Mit der neuen Verordnung (EG) regelt, welche Krankheiten bei Verdacht,

574 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Tab. 1 Schädlingsbekämpfungsmittel als Biozidprodukte gemäß VO (EG) Nr. 528/2012 und Erkrankung oder Tod und welche labor­ ihre Verwendung diagnostischen Nachweise von Erregern Pro- Oberbegriff Art der Produkte meldepflichtig sind. Im IfSG ist auch fest­ duktart gelegt, dass gemäß § 18 bei behördlich an­ 14 Rodentizide Produkte zur Bekämpfung von Mäusen, Ratten und ande- geordneten Entseuchungen (Desinfek­ ren Nagetierenb tion), Entwesungen (Bekämpfung von 15 Avizidea Produkte zur Bekämpfung von Vögelnb Nichtwirbeltieren) und Maßnahmen zur 16 Bekämpfungsmittel gegen Produkte, die nicht unter andere Produktarten fallen, zur Bekämpfung von Wirbeltieren, durch die b Mollusken, Würmer und Bekämpfung von Mollusken, Würmern und Wirbellosen Krankheitserreger verbreitet werden kön­ andere Wirbellose nen, nur Mittel und Verfahren verwendet b 17 Fischbekämpfungsmittel Produkte zur Bekämpfung von Fischen werden, die in einer Liste im Bundesge­ 18 Insektizide, Akarizide und Produkte zur Bekämpfung von Arthropoden (z. B. Insekten, sundheitsblatt bekannt gemacht worden Produkte gegen andere Spinnentiere und Schalentiere)b Arthropoden sind. Die Aufnahme in die Liste erfolgt nur, wenn die Mittel und Verfahren hin­ 19 Repellenzien und Lock- Produkte zur Fernhaltung oder Köderung von Schadorga- mittel nismen (auch Produkte, die unmittelbar oder mittelbar für reichend wirksam sind und keine unver­ die menschliche Hygiene oder die Hygiene im Veterinär- tretbaren Auswirkungen auf Gesundheit bereich entweder direkt auf der Haut oder indirekt in der und Umwelt haben. Das BfR ist für die Umgebung von Menschen oder Tieren verwendet werden) Bewertung der Auswirkungen auf die 20 Produkte gegen sonstige Produkte zur Bekämpfung anderer als der in den Produkt- menschliche Gesundheit durch Anwen­ a b Wirbeltiere arten 14 bis 19 genannten Wirbeltiere dung von Mitteln zur Entwesung und a b Produkte dieser Produktart sind in Deutschland gemäß § 4 ChemBiozidZulV [4] nicht zulassungsfähig. Durch Bekämpfung von Wirbeltieren zustän­ andere Mittel als Fernhaltung oder Köderung. dig. Hierbei ist hervorzuheben, dass auf­ grund der geltenden Biozidgesetzgebung Tab. 2 Übersicht über die wichtigsten Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln, ihre Wirkmechanismen und ihre typischen Anwendungsgebiete praktisch nur in Deutschland zugelassene Schädlingsbekämpfungsmittel in die Lis­ Wirkstoff Produkttyp Wirkmechanismus Typische Anwendungen te der Mittel aufgenommen werden kön­ 4-Hydroxycoumarine (z. B. Rodentizid Vitamin-K-Antago- Fraßköder, Auslegen im nen. Brodifacoum, Coumatetralyl, (PT14) nisten, Hemmung Innen- und Außenbereich Difenacoum, Flocoumafen, der Blutgerinnung und in der Kanalisation Warfarin) Toxizität relevanter Wirkstoffe Difethialon Rodentizid Vitamin-K-Antago- Fraßköder, Auslegen im (PT14) nist, Hemmung der Innen- und Außenbereich Die Toxizität der meisten Schädlingsbe­ Blutgerinnung und in der Kanalisation kämpfungsmittel resultiert in erster Li­ Chlorophacinon Rodentizid Vitamin-K1-Antago- Fraßköder, Auslegen im nie aus den entsprechenden Eigenschaf­ (PT14) nist, Hemmung der Innen- und Außenbereich ten ihrer Wirkstoffe. Aus diesem Grund Blutgerinnung und in der Kanalisation wird im Folgenden auf eine Reihe von Alpha-Chloralose Rodentizid Depressive Wirkung Fraßköder, Auslegen im Wirkstoffen eingegangen, die für Schäd­ (PT14) auf das ZNS Innen- und Außenbereich und in der Kanalisation lingsbekämpfungsmittel von Bedeutung Pyrethroide und Pyrethrine Insektizid Hemmung der span- Sprühen, Streuen, Ver- sind. Die Bedeutung anderer Inhaltsstof­ (z. B. Deltamethrin, Pyrethrin, (PT18) nungsabhängigen dampfen, Schaumanwen- fe ist bei den meisten Schädlingsbekämp­ Cypermethrin, Cyfluthrin, Per- Natriumkanäle in dung, Behandlung von fungsmitteln relativ gering. Viele Mittel methrin) den Nervenzellen Textilien bestehen hauptsächlich aus Lock- und Wachstumsregulatoren (z. B. S- Insektizid Juvenilhormonanta- Fraßköder, Streuen, Fraßstoffen, wie sie auch als oder in Le­ Methopren, Pyriproxyfen) (PT18) gonisten Sprühen bens- und Futtermitteln verwendet wer­ Neonicotinoide (z. B. Imidaclo- Insektizid Bindung an nikotini- Fraßköder, Sprühen, den. Gesundheitliche Bedenken können prid, Clothianidin, Acetamiprid) (PT18) sche Acetylcholin- Streichen aber aus der Verwendung organischer rezeptoren Lösungsmittel resultieren, die die unter­ Phosphide (z. B. Aluminium- Rodentizid Hemmung der mi- Begasungsmittel für In- schiedlichsten akuten oder chronischen phosphid, Magnesiumphos- (PT14) tochondrialen Cyto- nen- und Außenbereich phid) Insektizid chromoxidase Wirkungen haben können. . Tab. 2 gibt (PT18) einen Überblick über die zu den im Fol­ Blausäure Rodentizid Hemmung der mi- Begasungsmittel für In- genden beschriebenen Wirkstoffen so­ (PT14) tochondrialen Cyto- nenbereich wie über ihre Wirkmechanismen und ty­ chrom-Oxidase pischen Anwendungen. Sulfuryldifluorid Insektizid Unspezifische Hem- Begasungsmittel für In- (PT18) mung des Energie- nenbereich stoffwechsels durch freigesetztes Fluorid

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 575 Leitthema Zusammenfassung · Abstract

Rodentizide Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:574–584 DOI 10.1007/s00103-013-1920-1 © The author(s) 2014. This article is published with open access at link.springer.com

4-Hydroxycoumarine C. Pieper · D. Holthenrich · H. Schneider Gesundheitliche Risiken durch Schädlingsbekämpfungsmittel Bei den Rodentiziden werden überwie­ gend Wirkstoffe aus der Gruppe der Zusammenfassung 4-Hydroxycoumarine eingesetzt. Die Schädlingsbekämpfungsmittel unterlie- Eigenschaften der enthaltenen Wirkstoffe, da gen der europäischen Biozidgesetzgebung. die toxikologischen Eigenschaften der ent- Wirkung dieser Stoffe beruht auf ihrer Sie bedürfen in Zukunft einer Prüfung und haltenen Beistoffe (z. B. Lebens- und Futter- Funktion als Vitamin-K-Antagonist und Zulassung durch die zuständigen nationa- mittel) im Vergleich zu denen der Wirkstof- der daraus resultierenden Hemmung der len oder europäischen Behörden. Demnach fe bei Schädlingsbekämpfungsmitteln oft- Blutgerinnungsfaktoren-Bildung. Die­ können Biozidprodukte nur zugelassen wer- mals nicht relevant sind. Bei den Rodentizi- ser Mechanismus bestimmt sowohl ihre den, wenn sie keine unannehmbaren Auswir- den werden häufig Antikoagulanzien ein- Wirksamkeit als auch ihre toxikologi­ kungen auf die menschliche Gesundheit ha- gesetzt, die auch beim Menschen wirksam ben. Die im Rahmen der Zulassung durchge- sind. Bei den Insektiziden sind für Vergiftun- schen Effekte. Da zunächst die im Blut führte gesundheitliche Risikobewertung um- gen insbesondere die Pyrethroide von Be- vorhandenen Gerinnungsfaktoren ver­ fasst zunächst die Ableitung von Grenzwer- deutung. Eine besonders hohe akute Toxizi- braucht werden, tritt die Wirkung verzö­ ten für die Wirkstoffe und andere bedenk- tät weisen Begasungsmittel mit Aluminium- gert ein. Man unterscheidet sog. Antikoa­ liche Beistoffe. Nach Abschätzung der auf- phosphid, Magnesiumphosphid, Blausäure gulanzien der ersten (z. B. Warfarin, Cou­ grund der Anwendung auftretenden Exposi- oder Sulfuryldifluorid auf. Ihre hohe Toxizität matetralyl) und der zweiten Generation tion gegenüber diesen Substanzen wird die steht in Verbindung mit der hohen inhalati- Risikocharakterisierung durchgeführt. Unter- ven Toxizität der gasförmigen Wirkstoffe oder, (z. B. Difenacoum, Brodifacoum, Flocou­ schreitet die ermittelte Exposition den rele- im Falle der Phosphide, des freigesetzten Ga- mafen und Bromadiolon). Die Antikoa­ vanten Grenzwert, werden keine unannehm- ses Phosphan. Die gesundheitliche Risikobe- gulanzien der ersten Generation werden baren Auswirkungen auf die menschliche Ge- wertung im Rahmen der Zulassung von Bio- aus dem Organismus schneller eliminiert, sundheit erwartet. Die toxikologischen Infor- zidprodukten soll, immer eine sachgerechte da sie rascher metabolisiert werden. Da­ mationen werden außerdem zur Einstufung und bestimmungsgemäße Anwendung vor- des Biozidproduktes herangezogen. Im Er- ausgesetzt, den sicheren Umgang mit diesen her ist für ihre toxikologische Wirkung gebnis können spezifische Anwendungsbe- Produkten gewährleisten. eine höhere Dosis bzw. ihre Aufnahme stimmungen und -einschränkungen formu- über einen längeren Zeitraum erforder­ liert werden, falls dies zur Risikominderung Schlüsselwörter lich als bei den Antikoagulanzien der erforderlich ist. Die gesundheitlichen Risi- Rodentizide · Insektizide · zweiten Generation. Die Antikoagulan­ ken von Schädlingsbekämpfungsmitteln ba- Infektionsschutzgesetz · Biozidverordnung · Risikobewertung zien der zweiten Generation sind folglich sieren überwiegend auf den toxikologischen meist giftiger [5, 6]. Die Therapie entspre­ chender Vergiftungen besteht in erster Li­ Health risks from pest control products nie in der Gabe von Vitamin K als Anti­ dot. Bei Vergiftung mit Antikoagulan­ Abstract According to European biocide legislation, in pest control products are of less concern zien der zweiten Generation ist aufgrund pest control products require assessment than the active substances (e.g., food ingre- ihrer langsameren Eliminierung und der and authorization by the responsible nation- dients and animal feed products). For exam- verlangsamten Neubildung von Gerin­ al or European authorities. Biocidal products ple, most rodenticides belong to the group of nungsfaktoren eine Langzeittherapie mit can only be authorized if they have no unac- anticoagulants, which are also effective in hu- Vitamin K erforderlich. Aufgrund ihrer ceptable effects on human health. The health mans. Regarding intoxications through insec- risk assessment performed for authorization ticides, the group of pyrethroids is of partic- blutgerinnungshemmenden Wirkung comprises (a) the derivation of reference val- ular importance. Fumigants containing met- werden Antikoagulanzien auch zu medi­ ues for the active substances and substanc- al phosphides, hydrogen cyanide, or sulfuryl zinischen Zwecken eingesetzt [7]. es of concern contained in the biocidal prod- difluoride are particularly toxic. This toxicity Für Warfarin ist zudem eine teratoge­ uct and (b) an exposure assessment. These is linked to the high acute inhalation toxicity ne Wirkung sowohl auf Basis von Beob­ parameters are required for risk characteriza- of the gaseous active substances themselves achtungen am Menschen als auch durch tion. No unacceptable health risks are expect- or, in the case of phosphides, of the released ed if the determined exposure is less than the gas phosphane. The aim of health risk assess- Tierversuche an der Ratte klar belegt. Es relevant reference value. In addition, the toxi- ment for the authorization of biocidal prod- wird angenommen, dass der Einfluss auf cological information is used for classification ucts is to ensure their safe application for us- die Blutgerinnung für die fruchtschädi­ of the biocidal product. The assessment may, ers and all other persons involved, assuming gende Wirkung verantwortlich ist [7]. Be­ where necessary, result in specific conditions an adequate and label-compliant use. züglich der anderen Hydroxycoumarine for use or other restrictions aimed at mini- Keywords sind die Ergebnisse aus Studien an Ratten mizing risk. The risk to human health from pest control products is mainly based on the Rodenticides · Insecticides · Infection und Kaninchen – meist aufgrund der ho­ toxicological properties of their active sub- protection act · Biocidal product regulation · hen maternalen Toxizität der Verbindun­ stances. Commonly, the coformulants used Risk assessment gen – nicht so eindeutig wie beim War­ farin. Zum Teil wurden überhaupt kei­ ne entsprechenden Effekte beobachtet.

576 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Dies wird insbesondere auf Unterschie­ Insektizide Menschen selten. Üblicherweise werden de im Übergang der Wirkstoffe durch die reversible Effekte beobachtet, die auf die Plazenta zurückgeführt. Aufgrund der Pyrethroide und Pyrethrine neurotoxische Wirkung der Pyrethroide strukturellen Ähnlichkeiten der Hydro­ zurückgeführt werden können (Benom­ xycoumarine und des zugrunde liegen­ Pyrethroide sind eine Klasse von syn­ menheit, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, den Wirkmechanismus wird jedoch von thetischen Insektiziden, die auf Basis Übelkeit, Erbrechen, Muskelzuckungen, vielen Experten eine generelle Einstufung der chemischen Struktur der natürlich Krämpfe, Bewusstlosigkeit). Bei über­ dieser Verbindungen als reproduktions­ in Pflanzen vorkommenden Pyrethri­ wiegend dermaler Exposition kann es zu toxisch befürwortet. ne entwickelt und optimiert wurden. Die ­Parästhesien kommen, die innerhalb we­ Pyrethrine sind die wirksamen Bestand­ niger Stunden reversibel sind. Difethialon teile des aus den Blüten von Tanacetum- Die chronische Toxizität von Pyreth­ Arten (z. B. Chrysanthemen) gewonne­ roiden wird im Allgemeinen als gering Difethialon ist ein Thiocoumarin-Deri­ nen Insektizids Pyrethrum. Es ist das am angesehen. Allerdings können bei chro­ vat. Es hat vergleichbare toxikologische meisten eingesetzte natürliche Insekti­ nischer Belastung dauerhaft akute Effek­ Eigenschaften wie die oben genannten zid. Aufgrund seiner Instabilität ist sei­ te auftreten. Es gibt Hinweise aus Tierver­ 4-Hydroxycoumarine. Es gehört zu den ne Anwendung jedoch begrenzt. Daher suchen, dass Pyrethroide bei wiederhol­ Antikoagulanzien der zweiten Genera­ wurden synthetische Derivate mit dem ter Exposition zu einem Absterben der tion [7, 8]. Ziel entwickelt, eine ausreichende Stabi­ Neuronen führen. Bleibende Schäden an lität, eine gute Wirksamkeit und eine im Nerven oder anderen menschlichen Zel­ Chlorophacinon Vergleich zur Wirksamkeit geringe Toxi­ len konnten jedoch bisher nicht festge­ zität für Säugetiere miteinander zu ver­ stellt werden. Ob Pyrethroide zum sog. Chlorophacinon ist kein Coumarin-Deri­ binden. Derzeit auf europäischer Ebe­ „Multiple Chemical Sensitivity“-Syn­ vat, sondern leitet sich vom 1,3-­Indandion ne positiv bewertete Biozidwirkstoffe aus drom beitragen, ist umstritten [11, 12]. ab. Wie die Coumarin-Derivate ist es aber der Gruppe der Pyrethroide sind Delta­ auch ein Gerinnungshemmer. Als Anti­ methrin, Lambda-Cyhalothrin und Me­ Insekten-Wachstumsregulatoren dot wirkt nur Vitamin K1, nicht aber Vi­ tofluthrin. Noch in der Bewertung be­ tamin K3 oder K4. Chlorophacinon wird finden sich Pyrethrin, Chrysanthemum-­ Die Wirkstoffe dieser Gruppe greifen in aufgrund seines Wirkmechanismus eben­ cinerariaefolium-Extrakt, d-Allethrin, die Insektenmetamorphose ein. Sie wir­ falls eine teratogene Wirkung zugeschrie­ Esbiothrin, ­Prallethrin, Cypermethrin, ken als Antagonisten der entsprechenden ben. Allerdings konnte diese Wirkung in alpha-Cypermethrin, Cyphenothrin, Wachstumshormone. Aus diesem spezi­ Tierversuchen an Ratten und Kaninchen ­Cyfluthrin, Esfenvalerat, Imiprothrin, fischen Wirkmechanismus ergibt sich im nicht belegt werden [7, 9]. Permethrin, d-Phenothrin, ­Tetramethrin, Allgemeinen eine im Vergleich zu ande­ d-Tetramethrin, Transfluthrin und Trans­ ren insektiziden Verbindungsgruppen Alpha-Chloralose methrin. (z. B. Pyrethroiden) geringe Toxizität für Pyrethroide sind Nervengifte; sie blo­ den menschlichen Organismus. Bei den Alpha-Chloralose ist ein Kondensations­ ckieren die spannungsabhängigen Na­ Schädlingsbekämpfungsmitteln sind ins­ produkt aus Glukose und Chloralhy­ triumkanäle der Nervenzellen, sodass die­ besondere die Juvenilhormonantagonis­ drat und zurzeit das einzige als Fraßkö­ se nicht mehr geschlossen werden kön­ ten von Bedeutung (z. B. S-Methopren, der eingesetzte Rodentizid, dessen toxi­ nen. Die akute Toxizität der ­Pyrethroide Pyriproxyfen) [13, 14]. kologische Wirkung nicht auf einer Hem­ ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Ihre mung der Blutgerinnung beruht. Im Or­ akut toxische Wirkung hängt von den ki­ Neonicotinoide ganismus erfolgt ein Abbau zu Chloral­ netischen Eigenschaften ab und korre­ hydrat, dem Hauptmetaboliten der al­ liert mit der Konzentration des jeweiligen Neonicotinoide (z. B. Imidacloprid, pha-Chloralose im Urin. Wie Chloralhy­ ­Pyrethroids im zentralen Nervensystem. ­Clothianidin und Acetamiprid) binden drat hat Alpha-Chloralose eine depressive Hinsichtlich ihrer akut toxischen Effek­ wie der in vielen Organismen vorkom­ Wirkung auf das zentrale Nervensystem te im Tierversuch lassen sich die meisten mende Neurotransmitter Acetylcho­ und wirkt narkotisierend. Im medizini­ Pyrethroide 2 Gruppen zuordnen: Typ-I- lin an nikotinische Acetylcholinrezepto­ schen Bereich wurde es beim Menschen Pyrethroide (meist ohne Cyano-Gruppe, ren der Nervenzellen. Da die Neonicoti­ als Schlafmittel und Anästhetikum einge­ z. B. Permethrin) führen im Tierversuch noide aber nicht durch die Acetycholin­ setzt. Im Vergleich zu den oben genann­ zu Tremor, während Typ-II-Pyrethroi­ esterase abgebaut werden, kommt es zu ten Antikoagulanzien ist die akute Toxizi­ de (meist mit Cyano-Gruppe, z. B. Del­ einem Dauerreiz und schließlich zu einer tät von alpha-Chloralose gering [10]. tamethrin) in erster Linie zu einer Cho­ Störung der Signalübertragung. Dieser reoathetose (Hyperkinese in Form un­ Mechanismus tritt sowohl bei den zu be­ willkürlicher, langsam schraubender Be­ kämpfenden Insekten als auch im Säuger­ wegungen) mit Speichelfluss führen. Ins­ organismus auf. Aufgrund der modifi­ gesamt sind schwere Vergiftungen beim zierten Bindungseigenschaften der als In­

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 577 Leitthema

sektizide verwendeten Neonicotinoide ist triphosphat. Folglich kann die Zelle den heitlicher Gefährdung durch Chemika­ die Bindung an die entsprechenden Re­ vorhandenen Sauerstoff nicht mehr zur lien und chemische Produkte im Sinne zeptoren im Säugerorganismus, und so­ Energiegewinnung nutzen. Ein wichti­ eines toxikologischen Monitorings regel­ mit auch die dadurch vermittelte Toxizi­ ges Antidot bei Blausäurevergiftungen ist mäßig ausgewertet und in den Ärztlichen tät, wesentlich geringer als für die Schad­ 4-Dimethylaminophenol. Dies wandelt Mitteilungen des BfR veröffentlicht. organismen. Akute Vergiftungen beim einen Teil des Eisen(II)-Ions im Hämo­ Aus den Ärztlichen Mitteilungen des Menschen sind selten [15, 16]. globin zum Eisen(III)-Ion um. Das Cya­ BfR aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass nid (Salz der Blausäure) kann an das ge­ akute Vergiftungen und Unfälle mit Che­ Begasungsmittel bildete Methämoglobin binden und wird mikalien, darunter auch Pestizide, in anderen, kritischeren Bindungspartnern Deutschland gemeldet werden. So zeigt Begasungsmittel werden sowohl als Ro­ entzogen [18]. eine Auswertung über den Zeitraum von dentizide als auch als Insektizide einge­ 1990 bis 2010, dass sowohl bei Erwach­ setzt. Die Bekämpfung von Schadorga­ Sulfuryldifluorid senen als auch bei Kindern Vergiftun­ nismen mit Begasungsmitteln sollte auf­ gen unter anderem mit Schädlingsbe­ grund der Gefährlichkeit der Mittel und Sulfuryldifluorid ist ein sehr giftiges, ät­ kämpfungsmitteln (z. B. Insektiziden wie der darin enthaltenen Wirkstoffe nur zendes Gas, das als Insektizid eingesetzt ­Pyrethroiden oder Rodentiziden wie An­ durch besonders ausgebildete, sachkun­ wird. Es dämpft das zentrale Nervensys­ tikoagulanzien und Phosphan-bilden­ dige Anwender erfolgen. tem und führt in erhöhten Konzentra­ den Produkten) sowohl nach beruflicher Neben den Phosphiden (Aluminium­ tionen zu Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, als auch nach privater Anwendung ange­ phosphid und Magnesiumphosphid) Krämpfen und Atemstillstand. Das Gas zeigt wurden [20]. Die Zahlen der Mel­ wird zur Bekämpfung von Nagern der wird im Organismus zu Sulfat und Fluo­ dungen von mittleren bis schweren Ge­ Wirkstoff Blausäure angewendet. Der rid abgebaut. Fluorid als primäres Toxin sundheitsbeeinträchtigungen sind für Wirkstoff Sulfuryldifluorid wird zur greift relativ unspezifisch in den Energie­ den Zeitraum von über 20 Jahren rela­ Schädlingsbekämpfung nur als Insekti­ stoffwechsel ein, sodass in den Zellen die tiv gering (z. B. mittlere bis schwere Ge­ zid eingesetzt. Glykolyse und der Zitronensäurezyklus sundheitsbeeinträchtigungen: Kinder: unterbrochen werden. Bei chronischer ­Pyrethroide: 3 Fälle, Antikoagulanzien: Aluminiumphosphid und Exposition kann es zu einer Fluorose von 0 Fälle, Phosphan: 2 Fälle; Erwachsene: Magnesiumphosphid Zähnen und Knochen kommen [19]. Pyrethroide: 87 Fälle, Antikoagulanzien: 4 Fälle, Phosphan: 6 Fälle). Die Gesamt­ Die Biozidwirkstoffe Aluminiumphos­ Vergiftungsfälle zahl der Meldungen umfasst auch leich­ phid und Magnesiumphosphid setzen te Gesundheitsbeeinträchtigungen, und bei Kontakt mit Feuchtigkeit gasförmiges, Voraussetzung für die Zulassung von dies zeigt, dass leichte Vergiftungen häu­ sehr giftiges, ätzendes Phosphan frei. Die­ Schädlingsbekämpfungsmitteln als Bio­ figer auftreten können (z. B. 424 Vergif­ ses wird sehr schnell insbesondere über zidprodukte ist neben ihrer Unbedenk­ tungen mit Pyrethroiden, 99 Vergiftun­ die Lunge absorbiert und ist sehr giftig. lichkeit für die Gesundheit von Mensch gen mit Rodentiziden, darunter 36 mit Phosphan ist stark nukleophil und bindet und Haustier, dass ihre Anwendung sach­ Antikoagulanzien und 38 mit Phosphan- daher an zahlreiche Biomoleküle. Insbe­ gerecht und bestimmungsgemäß durch­ bildenden Produkten). sondere die Hemmung der mitochond­ geführt wird. Die Einhaltung der im Rah­ Für die Wertigkeit der Meldungen rialen Cytochrom-Oxidase wird als Me­ men der Bewertung festgelegten, spezifi­ nach ChemG § 16e Abs. 2 ist es bedeut­ chanismus für die akute Toxizität ange­ schen Anwendungsbestimmungen und sam, dass das BfR im Vergleich zu den nommen [17]. Auflagen ist für eine sichere Anwendung deutschen Giftinformationszentren nur des Produkts dringend erforderlich. Im einen geringen Anteil der Fälle mit leich­ Blausäure Folgenden wird zunächst die Situation zu tem Verlauf spontan erhält, aber etwa ein gemeldeten Vergiftungsfällen mit Schäd­ Drittel der Fälle mit mittelgradigem und Blausäure ist ein sehr giftiges Gas. Luft­ lingsbekämpfungsmitteln in Deutsch­ schwerem Verlauf. In diesem Sinn ist die konzentrationen von über 300 mg/m3 land beschrieben. Anschließend werden Aussagekraft der Analysen aus der ärzt­ Luft sind innerhalb kürzester Zeit töd­ präg­nante Vergiftungsfälle (weltweit) auf­ lichen Meldepflicht in Bezug zu relevan­ lich. Blausäure und ihre Salze wirken grund nicht sachgerechter Anwendung ten Gesundheitsbeeinträchtigungen und insbesondere aufgrund ihrer Bindung sowie Entsorgung aufgezeigt. Risiken durch chemische Stoffe und Pro­ an metallhaltige Proteine, was eine An­ In der Giftinformationsdatenbank des dukte als gut einzuschätzen [20]. oxie verursacht. Hierbei wird die mito­ BfR werden die nach dem Chemikalien­ Bei nicht sachgerechter und nicht be­ chondriale Cytochrom-Oxidase a3 durch gesetz (§ 16e Abs. 2) vorgeschriebenen, stimmungsgemäßer Anwendung oder Bindung des Cyanid-Ions an das zentra­ meldepflichtigen ärztlichen Mitteilungen aber nicht fachgerechter Entsorgung le Eisen(III)-Ion gehemmt. So kommt es zu Vergiftungsfällen in Deutschland do­ kann von Schädlingsbekämpfungsmit­ zu einer Unterbrechung der Atmungs­ kumentiert. Die Vergiftungsfälle werden teln sowohl für den Anwender selbst, kette, also der Synthese von Adenosin­ zum Schutz der Verbraucher vor gesund­ aber auch für unbeteiligte Dritte (z. B.

578 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Kinder) eine Gefahr ausgehen. Einzelfälle Bewohner via Inhalation exponiert wa­ setzt sein. Im Zeitraum von 2003 bis 2010 zu gesundheitlichen Auswirkungen, z. B. ren [23]. In einem weiteren Fall starb ein wurden in 7 Staaten der USA Gesund­ aufgrund akzidenteller oraler Aufnahme Kind, nachdem es mit seiner Familie in heitsbeeinträchtigungen, die im Zusam­ von Rodentiziden (Verwechslung mit Le­ einem Raum mit Reissäcken, die Alumi­ menhang mit einer Pyrethroid- oder Py­ bensmitteln), sind in der Literatur berich­ niumphosphid-haltige Pellets enthielten rethrin-Exposition bei bzw. mit der Be­ tet. Watts et al. [21] berichten von einem und Phosphan freisetzten, geschlafen hat­ kämpfung von Bettwanzen standen, re­ 7-jährigen Kind aus den USA, das wahr­ te [24]. gistriert. Die Auswertung zeigt, dass scheinlich Pelletköder mit dem Antiko­ In Deutschland wurde in der Pres­ 111 Fälle verzeichnet wurden [29]. agulans Brodifacoum wiederholt aufge­ se ebenfalls von einigen Vergiftungsfäl­ Insgesamt lässt sich feststellen, dass nommen hat, die im Rahmen einer Rat­ len und Folgen unsachgemäßer Entsor­ Vergiftungsfälle zwar registriert werden, tenbekämpfung in der Küche ausgelegt gung berichtet. So mussten z. B. 28 Men­ diese jedoch in der Regel auf eine unsach­ und für das Kind erreichbar waren. Er­ schen zur Beobachtung in Kranken­ gemäße Anwendung oder Lagerung/Ent­ wähnenswert bei diesem Fall ist, dass die häuser gebracht werden, da ein Phos­ sorgung der Schädlingsbekämpfungsmit­ daraus resultierenden gesundheitlichen phan-freisetzendes Rodentizid im Kel­ tel zurückzuführen sind. Auswirkungen über einen langen Zeit­ ler eines Wohnhauses unsachgemäß aus­ raum (13 Monate) anhielten, bevor sich gelegt worden war [25]. In Bielefeld wur­ Gesundheitliche die Blutwerte (Koagulation) nach medi­ den 115 Kilo eines unsachgemäß entsorg­ Risikobewertung zinischer Behandlung wieder normali­ ten, Phosphan-freisetzenden Rodentizids siert haben. von einem Spaziergänger im Wald gefun­ Für die gesundheitliche Bewertung von Binks und Davies [22] berichten, dass den [26]. Biozidprodukten gelten die in Anhang VI nach einer einmaligen akzidentellen Ex­ Infolge eines Einsatzes von Sulfuryl­ der Verordnung (EG) Nr. 528/2012 [3] position über den dermalen Aufnahme­ difluorid als Holzschutzmittel zur Be­ aufgeführten Grundsätze. Die Risikobe­ pfad gegenüber einem Chlorophacinon- kämpfung eines Insektenbefalls in Ein­ wertung soll für alle Wirkstoffe sowie al­ haltigen Konzentrat bei einem berufsmä­ richtungsgegenständen einer Kirche kam le bedenklichen Beistoffe im Sinne des ßigen Anwender neben Schmerzen im es 2002 zu einem Unfall mit 10 schweren Art. 3 der oben genannten Verordnung Lendenbereich andauernde Symptome Vergiftungen und einem Todesfall. Das durchgeführt werden und etwaige ku­ wie Hämaturie und abnormale Blutge­ Begasungsmittel konnte aufgrund einer mulative oder synergistische Effekte be­ rinnungswerte aufgetreten sind. Der An­ nicht sachgerechten Anwendung (unzu­ rücksichtigen. wender hatte sich das konzentrierte Pro­ reichende Abdichtung) in ein benachbar­ Das Grundprinzip der (quantitati­ dukt versehentlich großflächig über die tes Wohngebäude eindringen [27]. ven) gesundheitlichen Risikobewertung Haut (Körper und Arme) geschüttet und Immer wieder diskutiert wird der Zu­ ist in . Abb. 1 dargestellt. An erster Stel­ die Haut anschließend mit Wasser gewa­ sammenhang zwischen einer Gesund­ le steht hier die Ableitung von Grenzwer­ schen. Der Wirkstoff wurde jedoch über heitsschädigung und der Anwendung ten für die Wirkstoffe und – falls vorhan­ die Haut in so einem Ausmaß absorbiert, pyrethroidhaltiger Schädlingsbekämp­ den – für die bedenklichen Beistoffe. Auf dass der Betroffene für 2 Monate insbe­ fungsmittel. Gemäß einer klinischen Be­ der Grundlage von Studien und Infor­ sondere mit dem Antidot Vitamin K me­ standaufnahme des BfR ergab eine Aus­ mationen zu diesen Stoffen werden die dizinisch behandelt werden musste. wertung keinen Hinweis auf irreversible wichtigsten Gefahren durch die Wirk­ Vergiftungsfälle mit tödlichem Aus­ Schädigungen, jedoch sollte insbesonde­ stoffe und/oder Beistoffe identifiziert. gang sind in Einzelfällen nach der (nicht re dem „Multiple Chemical Sensitivity“- Hieraus resultiert die erforderliche Ein­ sachgerechten) Anwendung von Phos­ Syndrom (MCS-Syndrom), der „vielfa­ stufung und Kennzeichnung für das ge­ phan-bildenden Begasungsmitteln zur chen Chemikalienüberempfindlichkeit“, samte Biozidprodukt gemäß Verordnung Bekämpfung von Ratten oder Wühlmäu­ Beachtung geschenkt werden, da es ein (EG) Nr. 1272/2008 [30], bzw. Richtli­ sen in Gängen aufgetreten. Im Jahr 2010 noch ungeklärtes umweltmedizinisches nie 1999/45/EG [31]. Im nächsten Schritt starben in den USA 2 kleine Kinder im Beschwerdebild darstellt. Hier sollen be­ wird die jeweilige Dosis-Wirkungs-Be­ Alter von 4 Jahren und 15 Monaten an reits kleinste Mengen verschiedenartiger ziehung für die relevanten Endpunkte be­ den Folgen einer Begasung mit einem chemischer Substanzen bei einer kleinen stimmt; dies ist für die Wirkstoffe in der Phosphan-freisetzenden Schädlingsbe­ Zahl von Personen vielfache Krankheits­ Regel bereits im Rahmen der Wirkstoff­ kämpfungsmittel. Das Mittel wurde im beschwerden hervorrufen. Neben ande­ bewertung auf europäischer Ebene er­ Rahmen einer Bekämpfungsmaßnahme ren Chemikalien könnten Pyrethroide folgt. Die dazugehörigen „No Observed überdosiert; zudem wurden die erforder­ bedeutende Auslöser dieses Syndroms Adverse Effect Lev­el“ (NOAEL) werden lichen Mindestabstände zu bewohnten sein [28]. Pyrethroide werden häufig z. B. möglichst für eine chronische, eine mit­ Häusern nicht eingehalten, sodass das ge­ gegen Schaben oder Bettwanzen in In­ telfristige und eine akute Exposition er­ ruchlose Gas Phosphan, das lediglich bei nenräumen angewendet. Auf diese Wei­ mittelt. Auf Grundlage dieser Bewertung Auftreten von Verunreinigungen nach se können Personen diesen Stoffen ins­ werden unter Berücksichtigung von Si­ Knoblauch riecht, unbemerkt in das be­ besondere bei exzessivem Gebrauch oder cherheitsfaktoren und der Toxikokine­ wohnte Haus eindringen konnte und die nicht sachgerechter Anwendung ausge­ tik systemische Referenzwerte („Accept­

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 579 Leitthema

Gesundheitliche Risiko- I. Gefahren- bewertung speziell für die Einstufung Identizierung des BP berufsmäßige Anwendung BP + SoC (?) Berufsmäßige Schädlingsbekämpfungen werden in Deutschland vor allem durch II. Dosis-Wirkungs- Referenzwerte Schädlingsbekämpfer sowie Landwir­ Beziehung des BP (AS) + SoC (AS & SoC ) te durchgeführt. Für die Verwendung Daten + von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit Studien sehr giftigen, giftigen und gesundheits­ zum schädlichen Stoffen und Zubereitun­ Biozidprodukt III. Expositions- Exposition gen sieht die Gefahrstoffverordnung be­ abschätzung sondere Vorschriften zum Schutz des Menschen und der Umwelt vor stoffbe­ dingten Schädigungen vor (s. Anhang I IV. Risiko- Einvernehmen zur Nummer 3 der Gefahrstoffverordnung charakterisierung Zulassung [33]). Die entsprechende Technische Re­ des BP Ablehnung gel für Gefahrstoffe (TRGS) 523 „Schäd­ lingsbekämpfung mit sehr giftigen, gif­ tigen und gesundheitsschädlichen Stof­ ggf. Verfeinerung fen und Zubereitungen“ [34] präzisiert (Exposition, dermale Absorption, RMM, AEL, diese Verordnung unter anderem hin­ Subpopulationen) sichtlich der personellen Ausstattung (z. B. Einsatz von Hilfskräften), weite­ Abb. 1 8 Allgemeines Schema der Risikobewertung im Rahmen der Zulassung von Biozidprodukten. rer Schutzmaßnahmen, arbeitsmedizi­ BP Biozidprodukt, SoC Substance of Concern (bedenklicher Beistoff), AS aktive Substanz (Wirkstoff), nischer Vorsorge und Dokumentation. RMM Risikominderungsmaßnahme, AEL Acceptable Exposure Level. Erläuterung s. Text Für die berufsmäßige Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit sehr able Exposure Lev­el“, AEL), ggf. rou­ weder von einem nicht annehmbaren ge­ giftigen, giftigen und gesundheitsschäd­ tenspezifische AEC („Acceptable Expo­ sundheitlichen Risiko auszugehen oder lichen Stoffen ist eine Sachkunde nach sure Concentration“) und der ADI („Ac­ eine Verfeinerung der Risikobewertung Gefahrstoffverordnung erforderlich, die ceptable Daily Intake“) sowie ggf. die durchzuführen. Diese kann zum einen z. B. in Deutschland Teil der Ausbildung ARfD („Acute Reference ­Dose“) abge­ im Bereich der Expositionsabschätzung von Schädlingsbekämpfern ist. leitet. Die wichtigsten Informationen zu ansetzen (z. B. durch detaillierte Parame­ Die Verwendung von Begasungsmit­ diesen Grenzwerten sind in . Tab. 3 zu­ ter zu den entsprechenden Expositions­ teln (z. B. Sulfuryldifluorid oder Phos­ sammengefasst. Mit geeigneten Modellen szenarien, spezifische Expositionsdaten, phan) wird ebenfalls durch die Gefahr­ und Daten wird dann die bei Anwendung Berücksichtigung von Risikominde­ stoffverordnung im Anhang I Num­ des zu bewertenden Biozidproduktes auf­ rungsmaßnahmen wie Schutzausrüstung, mer 4 geregelt. Auch hier ist eine speziel­ tretende Exposition gegenüber den ent­ technisch-organisatorische Maßnahmen) le TRGS (TRGS 512: „Begasungen“ [35]) sprechenden Substanzen ermittelt. Diese oder auch aufseiten der Ableitung der Re­ vorhanden, die das genaue Vorgehen bei Abschätzung umfasst sowohl die direkte ferenzwerte (z. B. durch weitere Studien einer Begasung beschreibt. So muss, wer Exposition des Anwenders während der und andere Daten zur Toxikologie und eine Begasung durchführt, eine Erlaub­ Anwendung als auch die Exposition un­ zur dermalen Absorption, Ableitung von nis und einen Befähigungsschein besit­ beteiligter Dritter während und nach der Referenzwerten für bestimmte Subpopu­ zen, die jeweils von der zuständigen Be­ Anwendung. Zur Abschätzung der Ex­ lationen) durchgeführt werden. Liegt die hörde auf Landesebene erteilt werden. position stehen Modelle für verschiede­ Expositionsmenge unter den abgeleite­ Des Weiteren sind auch für Begasun­ ne Szenarien zur Verfügung. Ein mög­ ten Grenzwerten, kann das Biozidpro­ gen spezifische Regelungen hinsichtlich liches Auftreten von Rückständen auf dukt aus Sicht der gesundheitlichen Risi­ der personellen Ausstattung (z. B. Ein­ oder in behandelten oder kontaminier­ kobewertung zugelassen werden. Etwai­ satz von Hilfskräften), weiterer Schutz­ ten Gegenständen und Flächen wird bei ge Anwendungsbestimmungen aufgrund maßnahmen, arbeitsmedizinischer Vor­ der Bewertung berücksichtigt. Die er­ der Einstufung und Kennzeichnung des sorge, Dokumentation usw. zu beachten. mittelten Expositionswerte werden den Produkts oder erforderlicher Risikomin­ Im Rahmen des Biozidzulassungsver­ entsprechenden Referenzwerten gegen­ derungsmaßnahmen sind hierbei zu be­ fahrens werden auf Basis eines gesund­ übergestellt. Wird dabei eine Überschrei­ rücksichtigen. heitsbasierten Referenzwertes die Risi­ tung des Referenzwertes durch die abge­ ken, die für den berufsmäßigen Anwen­ schätzte Exposition festgestellt, so ist ent­ der bestehen, bewertet. Werden dabei

580 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Tab. 3 Übersicht über die Grenzwerte und die ihnen zugrunde liegenden Parameter. (Mod. nach [32]) Grenzwert Zur Ableitung herangezogene Toxizitätsstudien Für die Ableitung eines Berücksichtigte Expositionsdauer Grenzwertes relevante Expositionsroute Effekte (NOAEL) a AELakut Studien mit einmaliger Verabreichung, die zur Ableitung eines NOAEL angelegt Für eine akute Exposition ≤24 h sind, oder Studien nach wiederholter Gabe, wenn relevante akute Effekte beobach- relevante Effekte Systemisch tet werden und geeignete akute Studien nicht vorliegen Beispiele: – Studie zur akuten Neurotoxizität – 28- oder 90-Tage-Studie, akute Effekteb – Studie zur Entwicklungstoxizität, akute Effekte

AELmedium-term Studien mit wiederholter Gabe, die zur Ableitung eines entsprechenden NOAEL an- Für eine entsprechende >24 h–3 Monate (maximal 6 Monate)c gelegt wurden und entsprechende Effekte zeigen Exposition relevante Systemisch Beispiele: Effekte – 28- oder 90-Tage-Studie – 90-Tage-Neurotoxizitätsstudie – 12-Monate-Studie am Hund – Studie zur Entwicklungstoxizität – 2-Generationen-Studie

AELlong-term Chronische Studien oder Studien mit wiederholter Gabe, die zur Ableitung eines Für eine chronische Ex- >6 Monate (mindestens 3 Monate)c entsprechenden NOAEL angelegt wurdend position relevante Effekte Systemisch Beispiele: – Studien zur chronischen Toxizität oder zur Kanzerogenität (18/24 Monate) – 2-Generationen-Studie – Studie zur Entwicklungstoxizität – 12-Monate-Studie am Hunde AEC Studien, in denen lokale Effekte, vor allem im Atemtrakt oder auf der Haut, beob- Je nach AEC unterschied- Expositionsdauer: variabel achtet werden (z. B. Reizung, Sensibilisierung); Studien, in denen routenspezifische, lich Route: variabel systemische Effekte beobachtet werdenf

ADI Siehe AELlong-term Basiert üblicherweise auf Chronisch dem gleichen NOAEL wie Route: oral der AELlong-term (externer Grenzwert)

ARfD Siehe AELakut Basiert üblicherweise Akut (einmalige Aufnahme) auf dem gleichen NOAEL Route: oral wie der AELakut (externer Grenzwert) a b LD50-Studien sind im Allgemeinen nicht geeignet für eine Grenzwertableitung. In einem konservativen Ansatz können auch andere Effekte aus solchen Studien herange- zogen werden, wenn diese in einer akuten Studie nicht adäquat untersucht wurden. cEine Entscheidung über den in Betracht zu ziehenden Zeitraum erfolgt von Fall zu Fall. Dabei sollen insbesondere die toxikokinetischen Eigenschaften berücksichtigt werden (z. B. eine langsame Eliminierung, die zu einer verlängerten systemischen Exposition führt, die auch nach einer Beendigung der externen Exposition andauert). dGrundsätzlich können auch kürzere Studien herangezogen werden, wenn der NOAEL aus dieser e Studie niedriger ist als der vergleichbare Effekt aus einer chronischen Studie. Im Allgemeinen ist diese Studie aufgrund ihrer Dauer eher zur Ableitung des AELmedium-term geeignet. fEine Ableitung kann erforderlich sein, wenn der AEC aus einer entsprechenden Studie niedriger ist als der systemische AEL, umgerechnet auf die entsprechende externe Konzentration, oder wenn der kritische routenspezifische Effekt sich deutlich von dem aus einer entsprechenden oralen Studie qualitativ und/oder quantitativ unter- scheidet (wichtigstes Beispiel: Arbeitsplatzgrenzwerte). unannehmbare Risiken identifiziert, gibt ne Projekte initiiert, die die berufsmä­ ten Produkt und der Ausbringungsart die bewertende Behörde (Fachbereich 4 ßige Verwendung von Biozidprodukten ab. Hierzu nachfolgend einige Beispiele: der BAuA) geeignete Arbeitsschutzmaß­ betrachten. So hat sich ein Projekt mit Beim Ausbringen von Wachsblöcken zur nahmen vor, die das Produkt selbst, die der Verwendung von Molluskiziden, In­ Nagerbekämpfung wird z. B. eine Exposi­ Verwendungsart oder den Anwender be­ sektiziden, Repellenzien und Lockmit­ tion der Hände erwartet. Die Art und Hö­ treffen können. teln [36] beschäftigt und dabei wertvol­ he der Exposition sind durch Messungen Zur Bewertung der unterschiedlichen le Hinweise zu den einzelnen Tätigkei­ in Studien belegt, und je nach Höhe der Arbeitsplätze sind eine genaue Kenntnis ten und den dabei auftretenden derma­ Exposition müssen daher zur Einhaltung der Tätigkeiten, die Einschätzung der da­ len bzw. inhalativen Expositionen und zu des Referenzwertes beim Ausbringen sol­ mit verbundenen Exposition und die Be­ Arbeitsschutzmaßnahmen, die geeignet cher Produkte Chemikalienschutzhand­ urteilung von praxistauglichen Arbeits­ sind, die Exposition zu verringern, ge­ schuhe getragen werden. schutzmaßnahmen notwendig. Neben liefert. Bei der Verwendung von granulatför­ der Auswertung von Literatur und Bege­ Die zu erwartende Exposition beim migen Rodentiziden in Gebinden größer hungen von Arbeitsplätzen hat der Fach­ Ausbringen von Schädlingsbekämp­ 10 kg kann es beim Umschütten des Pro­ bereich 4 der BAuA bereits verschiede­ fungsmitteln hängt von dem verwende­ duktes in einen Eimer oder in eine Kö­

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 581 Leitthema

Gesundheitliche Risiko- bewertung speziell für nicht-berufsmäßige Anwender und die allgemeine Öffentlichkeit

Für Schädlingsbekämpfungsmittel, die nach der gültigen Biozidgesetzgebung für den nicht-berufsmäßigen Anwender zu­ Abb. 2 9 Vernebe- lung eines Insektizids gelassen werden, sind Auflagen zur Risi­ in einem Silo. (Aufge- kominderung vorzuschreiben, wenn dies nommen im Rahmen auf Grundlage der gesundheitlichen Risi­ des Projektes F 2137 kobewertung erforderlich ist. [36]) Die meisten dieser Anwendungsbe­ stimmungen gehen über die nach Ge­ derbox neben einer dermalen Exposition werden Überschreitungen des Arbeits­ fahrstoffrecht vorgeschriebenen Anga­ zu einer inhalativen Exposition kommen. platzgrenzwertes für Phosphan (nach ben hinaus und fließen in die Kennzeich­ Die geringste Exposition ist beim Aus­ TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ nung des Biozidprodukts mit ein. Die bringen von Schädlingsbekämpfungsmit­ [39]) beobachtet. Aus diesem Grund ist Kennzeichnung weist z. B. auf gesund­ teln für Produkte zu erwarten, die mithil­ bei den entsprechenden Tätigkeiten ein heitliche Risiken hin, die auf Grundlage fe einer Dosierpistole als Gel ausgebracht Atemschutz zu tragen. In Bezug auf eine der gesundheitlichen Risikobewertung werden. Diese Ausbringungsart findet dermale Exposition wird beim Ausbrin­ identifiziert wurden, und dient dazu, de­ man sowohl bei Produkten gegen Nage­ gen von Aluminiumphosphid als Roden­ ren Auftreten vorzubeugen (z. B. „Nur im tiere als auch gegen Insekten. tizid der Einsatz eines sog. Applikators Außenbereich anwenden.“, „Nur in gut Flüssige Zubereitungen von Insektizi­ vorgeschrieben, um den dermalen Kon­ belüfteten Bereichen anwenden.“, „Haut­ den werden beim großflächigen Einsatz takt zu dem Mittel soweit wie möglich kontakt vermeiden.“, „Bei der Arbeit lan­ per Gießkanne ausgebracht, versprüht zu reduzieren. Mit diesem Gerät können ge Hose, langärmliges Hemd und festes oder vernebelt. Beim Versprühen oder die Pellets in die Nagetierbauten über ein Schuhwerk tragen.“). Es kann sich aber Vernebeln ist der Anwender beim Tra­ Fallrohr ausgebracht werden, ohne dass auch um Hinweise handeln, die dem gen von Handgeräten unmittelbar durch der Anwender mit dem Produkt in Kon­ nicht-berufsmäßigen Anwender die Ver­ den Sprühnebel belastet (. Abb. 2). Es ist takt kommt. wendung weitergehender persönlicher sowohl eine dermale Exposition größe­ Aufgrund der Ergebnisse der Risiko­ Schutzausrüstung empfehlen. Dabei ist rer Körperflächen als auch eine inhalati­ bewertung eines jeden Produkts werden aber zu berücksichtigen, dass gemäß den ve Exposition gegenüber Aerosolen zu er­ bei der Zulassung entsprechende spezi­ Technical Notes for Guidance on Human warten. Dies wurde ebenfalls im Rahmen fische Anwendungsbestimmungen for­ Exposure (2007) [40] die korrekte An­ eines BAuA-Projektes zu Sprühprozessen muliert. Diese können, falls erforderlich, wendung einer persönlichen Schutzaus­ [37] untersucht. Für die Höhe der Exposi­ die beantragte Anwendung beschränken rüstung durch den nicht-berufsmäßigen tion spielen das verwendete Sprühge­ und/oder bestimmte Risikominderungs­ Anwender aufgrund der fehlenden Fach­ rät, die Sprühdüse und die Richtung des maßnahmen vorgeben, wie z. B. die Ver­ kenntnisse in der Regel nicht vorausge­ Sprühens eine entscheidende Rolle. Ne­ wendung einer technischen Lüftung oder setzt werden kann. Selbst wenn es sich ben flüssigen Zubereitungen werden auch persönlicher Schutzausrüstung. Eine Ein­ lediglich um Schutzhandschuhe han­ pulverförmige Zubereitungen bei der In­ schränkung von Verpackungsgrößen ist delt, kann nicht davon ausgegangen wer­ sektenbekämpfung verwendet, die ver­ ebenfalls denkbar, um den Anwender – den, dass von nicht-berufsmäßigen An­ streut, verstäubt oder nach Verdünnung wie z. B. beim Umfüllen von Granulaten wendern geeignete Schutzhandschuhe mit z. B. Wasser ebenfalls versprüht wer­ beschrieben – vor einer inhalativen Ex­ ausgewählt und richtig angewendet wer­ den. Auch hier sind dermale und inhala­ position zu schützen. Eine weitere Risiko­ den. Sehr spezifische Schutzmaßnahmen tive Expositionen zu erwarten. minderungsmaßnahme ist die Beschrän­ – wie z. B. Atemschutz – sind dem berufs­ Bei der Verwendung von Begasungs­ kung der Anwendung auf den sachkun­ mäßigen Anwender vorbehalten. mitteln, wie z. B. Aluminiumphosphid digen Anwender, da hier aufgrund der Im Allgemeinen wird bei der Risiko­ in Form von Pellets, tritt bereits beim entsprechenden Ausbildung des Anwen­ bewertung davon ausgegangen, dass der Öffnen der Gebinde sowie während der ders mit einem sicheren Umgang und der Anwender sich an die in der Gebrauchs­ Ausbringung eine inhalative Exposition Einhaltung der in den Technischen Re­ anweisung beschriebenen Maßnahmen gegenüber Phosphan auf. Sowohl wäh­ geln vorgegebenen Maßnahmen zu rech­ hält und diese umsetzt. Dennoch ist vom rend der Ausbringung als auch nach der nen ist. Antragsteller und den zuständigen Be­ Begasung (z. B. beim Belüften von begas­ hörden von Fall zu Fall zu prüfen, inwie­ ten Objekten wie Frachtcontainer [38]) weit die Einhaltung der beschriebenen

582 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Vorgaben und Sicherheitshinweise durch kundärexposition Unbeteiligter sind spe­ Open Access den nicht-berufsmäßigen Anwender tat­ ziell bei Kindern beispielsweise das Krab­ This article is distributed under the terms of the ­Creative Commons Attribution License which sächlich vorausgesetzt werden kann. Eine beln auf behandeltem Teppich, das in den ­permits any use, distribution, and reproduction in Untersuchung auf EU-Ebene hat gezeigt, Mund nehmen behandelter Gegenstän­ any ­medium, provided the original author(s) and the dass die nicht-berufsmäßigen Anwen­ de, die orale Aufnahme über die Hand ­source are credited. der nicht unbedingt den Sicherheitshin­ nach Kontakt mit behandelten Oberflä­ weisen folgen [41]. Daher ist bei der Ver­ chen oder die akzidentelle Aufnahme von Literatur gabe entsprechender Risikominderungs­ nicht verbrauchten, im Haushalt gelager­ maßnahmen stets abzuwägen, ob die­ ten Produkten. Neben dem Anwender 1. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von In- fektionskrankheiten beim Menschen (Infektions- se tatsächlich zielführend sind und um­ und unbeteiligten Dritten stehen auch schutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. gesetzt werden können. Allgemein lässt Haustiere im Fokus. 1045), geändert durch Artikel 4 Absatz 21 des Ge- sich festhalten, dass eine zu hohe Zahl Denkbare Risikominderungsmaßnah­ setzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) 2. Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments an Hinweisen und eine komplizierte An­ men sind hier z. B. das Vorschreiben von und des Rates vom 16. Februar 1998 über das In- wendung dazu führen, dass die vergebe­ manipulationssicheren Köderstationen, verkehrbringen von Biozid-Produkten, publiziert nen Auflagen nicht eingehalten werden Anfärben von Ködern (Vorbeugung der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 123 vom 24.04.1998 und somit bei der gesundheitlichen Ri­ Verwechslung mit Lebensmitteln), Zu­ 3. Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen sikobewertung nicht berücksichtigt wer­ satz von Bitterstoffen, kindersichere Ver­ Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über den können. schlüsse oder vorgeschriebene Dekonta­ die Bereitstellung auf dem Markt und die Ver- wendung von Biozidprodukten, publiziert im Eine weitere Möglichkeit der Risiko­ minationsmaßnahmen. Amtsblatt der Europäischen Union L 167 vom minderung besteht in organisatorisch- 27.06.2012 technischen Maßnahmen. Darunter fal­ Fazit 4. Verordnung über die Zulassung von Biozid-Pro- dukten und sonstige chemikalienrechtliche Ver- len z. B. Maßnahmen, die die Eigen­ fahren zu Biozid-Produkten und Biozid-Wirkstof- schaften der Verpackungen oder des Bio­ Schädlingsbekämpfungsmittel bergen fen (ChemBiozidZulV, Biozid-Zulassungsverord- zidprodukts selbst betreffen. Das kön­ gesundheitliche Risiken. Daher unter- nung vom 4. Juli 2002 (BGBl. I S. 2514), geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 22. August nen zum einen kindersichere Verschlüs­ liegen sie der Biozidgesetzgebung 2006 (BGBl. I S. 1970) se, Beschränkungen in der Verpackungs­ und müssen im Rahmen der Zulassung 5. Vandenbroucke V, Bousquet-Melou A, De Backer größe oder der Verpackung beigelegte einer gesundheitlichen Risikobewer- P, Croubels S (2008) Pharmacokinetics of eight an- ticoagulant rodenticides in mice after single oral Schutzhandschuhe sein. Denkbar sind tung unterzogen werden. Die festgeleg- administration. J Vet Pharmacol Ther 31:437–445 aber zum anderen auch Beistoffe, die die ten Anwendungsbestimmungen müs- 6. Parmar G, Bratt H, Moore R, Batten PL (1987) Evi- physiko-chemischen Eigenschaften des sen umsetzbar sein, und die Befolgung dence for a common binding site in vivo for the retention of anticoagulants in rat liver. Hum Exp Biozidprodukts beeinflussen und so z. B. dieser Bestimmungen ist eine Grund- Toxicol 6:431–432 durch eine Erhöhung der Viskosität die annahme bei der Risikobewertung. Nur 7. WHO (1995) Environmental health criteria 175 Gefahr eines Verspritzens, etwa bei ät­ eine sachgerechte und bestimmungs- Anticoagulants rodenticides. http://www.inchem. org/documents/ehc/ehc/ehc175.htm (Zugegrif- zenden Formulierungen, verringern. Ein gemäße Anwendung kann gesundheit- fen: 24. Sept. 2013) Kontakt mit z. B. ätzenden Konzentra­ lichen Risiken und/oder Vergiftungsfäl- 8. Difethialone (PT 14) assessment report (2007). Fi- ten, die vom Anwender verdünnt werden len vorbeugen bzw. Fehlanwendungen nalised in the Standing Committee on Biocid­ al Products at its meeting on 21 June 2007 in müssen, wird mit Ready-to-Use-Produk­ auf ein Minimum reduzieren und den si- view of its inclusion in Annex I to Directive 98/8/ ten vermieden. Eine weitere Möglichkeit, cheren Umgang mit den Produkten ge- EC. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/bio_re- Exposition zu vermeiden, ist der Einsatz währleisten. ports/library?l=/assessement_directive/difethia- lone_210607pdf/_EN_1.0_&a=d (Zugegriffen: 24. von Dosierhilfen. Sept. 2013) Die gesundheitliche Risikobewertung Korrespondenzadresse 9. Chlorophacinone (PT 14) assessment report umfasst neben der Bewertung des Risi­ (2009). Finalised in the Standing Committee on Biocidal Products at its meeting on 20 February kos für den Anwender bei Applikation Dr. H. Schneider 2009 in view of its inclusion in Annex I to Direc­tive auch die erforderliche Betrachtung eines Bundesinstitut für Risikobewertung 98/8/EC. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/ Risikos für unbeteiligte Dritte während Max-Dohrn-Str. 8–10, 10589 Berlin bio_reports/library?l=/assessement_directive/ [email protected] chlorophacinonepdf/_EN_1.0_&a=d (Zugegrif- (Nebenstehende) oder nach der Anwen­ fen: 24. Sept. 2013) dung (z. B. durch Benutzung behandelter 10. Alphachloralose (PT 14) assessment report (2008). Gegenstände). Eine weitere, gesondert zu Finalised in the Standing Committee on Biocidal Einhaltung ethischer Richtlinien Products at its meeting on 30 May 2008 in view betrachtende Gegebenheit sind die Or­ of its inclusion in Annex I to Directive 98/8/EC. te, an denen der Anwender Biozidpro­ Interessenkonflikt. C. Pieper, D. Holthenrich und http://circa.europa.eu/Public/irc/env/bio_reports/ H. Schneider geben an, dass kein Interessenkonflikt dukte verwenden möchte. Hier muss die library?l=/assessement_directive/alphachloralo- besteht. se/_EN_1.0_&a=d (Zugegriffen: 24. Sept. 2013) entsprechende Dauer der Exposition der Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen verschiedenen Personengruppen, insbe­ oder Tieren. sondere empfindlicher Personen (Kinder oder ältere Menschen), berücksichtigt werden. Denkbare Szenarien für die Se­

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 583 Leitthema

11. WHO (2005) Safety of pyrethroids for pub- 27. Bundesinstitut für Risikobewertung (2003) Ärztli- 38. Fahrenholtz S, Hühnerfuss H, Baur X, Budnik LT lic health use. http://apps.who.int/iris/bits- che Mitteilungen bei Vergiftungen 2003, Seite 29. (2011) Messung von Phosphorwasserstoff neben tream/10665/69008/1/WHO_CDS_WHOPES_ http://www.bfr.bund.de/cm/350/aerztliche_mit- flüchtigen organischen Substanzen mittels Gas- GCDPP_2005.10.pdf (Zugegriffen: 24. Sept. 2013) teilungen_bei_vergiftungen_2003.pdf (Zugegrif- chromatografie. Zentralbl Arbeitsmed Arbeitssch 12. Hopmann D (2009) Klinisch- neurologische Unter- fen: 24. Sept. 2013) Ergon 61:414–417 suchung neurotoxischer Erkrankungen durch 28. Bundesinstitut für Risikobewertung (1996) Klini- 39. Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900 Pyrethroide. 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584 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:585–592 M. Raulf · I. Sander · D. Gonnissen · E. Zahradnik · T. Brüning DOI 10.1007/s00103-013-1926-8 Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut Online publiziert: 25. April 2014 der Ruhr-Universität Bochum (IPA), Kompetenz-Zentrum Allergologie/Immunologie, Bochum © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Schaben und Co. Die Rolle von Gesundheitsschädlingen als Allergenquelle

Etwa 20–30 Mio. Menschen leiden der- le Untersuchungen aus Deutschland zur lus) sowie verwilderte Haustauben (Co- zeit in Deutschland an mindestens einer Prävalenz von Sensibilisierungen gegen lumba livia domestica) zu den Gesund- Allergie; wobei die Tendenz steigend ist. Inhalations- und Nahrungsmittelaller- heitsschädlingen gezählt. Auch wenn die Daher kann die Allergie laut dem „Weiß- gene, erhoben an einer bevölkerungs- Abgrenzung zwischen Vorrats-, Material- buch Allergie in Deutschland“ als „Volks- bezogenen Stichprobe von 7025 18- bis und Gesundheits- bzw. Hygieneschädlin- krankheit“ bezeichnet werden. Vielfach 79-jährigen Erwachsenen mittels spezifi- gen nicht immer eindeutig ist, so übertra- ist auch von einer „Epidemie des 21. Jahr- scher IgE-Bestimmung, zeigten eine Sen- gen die Vorratsschädlinge selbst doch kei- hunderts“ die Rede [1]. Zu den häufigs- sibilisierungsprävalenz von 18,1% gegen ne Krankheitserreger. Vielmehr zerklei- ten allergischen Erkrankungen gehö- Lieschgras, von 17,4% gegen Birke und nern sie die Vorräte und feuchten sie an ren die allergische Rhinitis, die allergi- von 15,9% gegen die Hausstaubmilbe Der- und können auf diese Weise einen Sekun- sche Kontaktdermatitis, Nahrungsmit- matophagoides pteronyssinus als wichtiges därbefall mit Hygieneschädlingen oder telallergien sowie das Asthma bronchiale. Innenraumallergen [2]. In anderen Län- mit Schimmelpilzen ermöglichen. Aus Grundsätzlich versteht man unter einer dern – z. B. in den USA – sind auch ande- diesem Grund können auch die eigent- Allergie eine verstärkte, spezifische Ab- re Allergenquellen wie die Schaben Blat- lich nicht-pathogenen Vorratsschädlinge wehrreaktion des Immunsystems auf tella germanica und Periplaneta america- ein nicht zu unterschätzendes Gesund- einen an sich harmlosen Stoff im Sin- na oder Mäuse und Ratten in Innenräu- heitsrisiko darstellen. ne einer krankmachenden Überemp- men von Bedeutung. Der vorliegende Beitrag stellt die Be- findlichkeitsreaktion. Bei einer Allergie Auch Gesundheitsschädlinge, die deutung exemplarisch ausgewählter Ge- vom Soforttyp (Typ-I-Allergie) reagie- Krankheitserreger übertragen können sundheitsschädlinge und Vorratsschäd- ren allergenspezifische Antikörper (Im- oder die als Parasiten die Gesundheit bzw. linge als Allergenquellen anhand von munglobuline, Ig) der Klasse E (IgE) mit das Wohlbefinden des Menschen beein- Sensibilisierungsprävalenzen sowie iden- dem Allergen und lösen allergische Re- trächtigen, können Allergenquellen dar- tifizierter Einzelallergene vor (Beispiele aktionen aus. Das Vorhandensein von al- stellen. Die meisten dieser Gesundheits- für Gesundheitsschädlinge als Allergen- lergenspezifischen IgE-Antikörpern im schädlinge gehören zu den Gliederfüßern quelle zeigt die . Tab. 1). Blut bezeichnet man als Sensibilisierung. (Arthropoden). Zu nennen sind hier sy­ Allerdings ist eine Sensibilisierung nicht nanthrope Schaben (Blattodea), synan- Schaben als Allergenquelle mit einer klinischen Reaktion und mit thrope Fliegen (Brachycera), wenn sie dem Auftreten von Symp­tomen gleich- zahlreich im Zusammenhang mit hygie- Weltweit kommen Vertreter der Ord- zusetzen. Zu beachten ist, dass nicht je- nischen Missständen auftreten, stechen- nung Blattodea (Schaben) mit mehr als de Überempfindlichkeitsreaktion allergi- de Mücken (Culiciformia), Plattwanzen 4600 Arten vor, auch in Wohnungen. Sie scher Natur ist und auch nicht-immuno- (Bett-, Tauben- und Schwalbenwanze, stellen eine potente Allergenquelle dar. logische Überempfindlichkeiten und to- Cimicidae), Kleiderläuse (Pediculus hu- Schaben sind nachtaktiv und vorwiegend xisch-irritative Reaktionen auftreten kön- manus corporis), Flöhe (Siphonaptera), in den Tropen und Subtropen beheima- nen. Zu den häufigsten Allergenquellen, Pharaoameisen und gleichartig lebende tet. Die am besten als Allergenquellen in die ursächlich für die Reaktionen an den Ameisen (Formicidae), Zecken in Ge- Behausungen untersuchten Schaben sind oberen und tieferen Atemwegen sind, ge- bäuden (Argasidae). Bei den Wirbeltie- die Deutsche Schabe (Blattella germani- hören in Deutschland neben den Grä- ren (Vertebraten) werden die Wanderrat- ca), die in Amerika zahlenmäßig domi- sern und Bäumen auch Katzen und Hun- te (Rattus norvegicus), die Hausratte (Rat- niert, sowie die Amerikanische Schabe de und die Hausstaubmilben. Aktuel- tus rattus), die Hausmaus (Mus muscu- (Periplaneta americana) und die Orien-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 585 Leitthema

Tab. 1 Beispiele für Gesundheitsschädlinge als Allergenquelle Schädling Vorkommen Hauptallergen Klinik Sensibilisierungsprävalenz Schaben (Blattodea) Vorwiegend Tropen Bla g 1 und Bla g 2 In USA: Risikofaktor einer erhöhten 36,8% Schabensensibilisierung unter – Deutsche Schabe und Subtropen (s. . Tab. 2) Asthmamorbidität („Inner-City- 476 asthmatischen Kindern in USA [3] (Blattella germanica) Asthma-Problematik“); allergische Soforttypreaktionen, u. a. Rhino- konjunktivitis, allergisches Asthma Taubenzecke (Argas Mittel- und Südeuro- Arg r 1 18–19 kD [11], Lokale Entzündung nach Biss bis Spezifisches IgE: 8% von 148 mit Ar- reflexus) pa (gemeinsam mit im Immunoblot 22 kD hin zu anaphylaktisch-systemi- gas-Biss Haustauben) [10] schen Reaktionen Positiver Hauttest: 16% von 148 mit Argas-Biss [10] Kopflaus (Pediculus hu- Weltweit; allerdings 20 kD-Protein [15] Hautjuckreiz, bilaterale nasale Nicht systematisch untersucht; Einzel- manus capitis) regional unterschied- Obstruktion, Rhinorrhö, Atem- fall [15] licher Kopflausbefall wegsbeschwerden [15] Floh/Katzenfloh (Cteno- Weltweit Cte f 1 [18] Flohallergiedermatitis (FAD), häu- Nicht bekannt cephalides felis) 18 kD aus dem Spei- figste dermatologische Krankheit chel des Katzenflohs bei Katzen und Hunden, Sofort- und Spättypreaktionen Bettwanze (Cimex lec- Weltweit 32 kD-Protein cNP Zum Teil Soforttypreaktionen [20] Von 30 Patienten mit Wanzenbissen tularius) (Cimex lectularius Nit- hatten 57% spezifisches IgE gegen C.- rophorin) [20] lectularius-Extrakte, 30% spezifisches IgE gegen cNP [20] Maus (Mus musculus) Weltweit (auch be- Mus m 1: Allergische Soforttypreaktionen, In Europa [25]: 1,6% Sensibilisierung rufliche Exposition, 19 kD u. a. Rhinokonjunktivitis, allergi- ohne berufliche Nagetierexposition u. a. als Labortier) sches Asthma In USA [23]: 11 und 46% Ratte (Rattus norve- Weltweit (auch be- Rat n 1; Allergische Soforttypreaktionen, In Europa [25]: 0,6% Sensibilisierung gicus) rufliche Exposition, 17 kD u. a. Rhinokonjunktivitis, allergi- ohne berufliche Nagetierexposition u. a. als Labortier) sches Asthma In USA [24]: 21%

talische Schabe oder Gemeine Küchen- einer Studie in mehreren europäischen die man auch bei der Fruchtfliege Dro- schabe (Blatta orientalis). Durch den Be- Zentren, in der bei über 3000 Patienten sophila melanogaster und beim Mosquito fall von Containern, die per Schiff oder Hauttests mit unterschiedlichen Außen- Aedes egypti findet. Diese Proteasen kön- Flugzeug transportiert werden, verbreitet und Innenraumallergenen durchgeführt nen – unabhängig von ihrer Allergeni- sich weltweit auch die Schabe Periplaneta wurden, ergab sich eine Sensibilisie- tät und ihrer enzymatischen Aktivität – fuliginosa, die ursprünglich nur in Japan, rungsprävalenz gegen Schabe (hier Blat- an einen Protease-aktivierenden Rezep- Südostasien und in den Südoststaaten der tella germanica) von insgesamt 8,9% bzw. tor (PAR) 2 binden, der auf Atemwegsepi­ USA beheimatet war. unter den deutschen Patienten von 12% thelzellen exprimiert wird, und eine Ak- Studien, insbesondere aus den USA, [5]. tivierung induzieren, die letztendlich die zeigten wiederholt, dass eine Sensibilisie- In der Allergendatenbank des IUIS Entwicklung allergischer Erkrankungen rung gegen Schabenallergene bei der ein- Allergen Nomenclature Sub-Committee unterstützt. Darüber hinaus konnte in kommensschwächeren Bevölkerung in sind insgesamt 9 Allergene von Blattel- einer neueren Arbeit von Tsai et al. 2013 amerikanischen Städten zu den stärksten la germanica und 6 von Periplaneta ame- [7] gezeigt werden, dass insbesondere das Risikofaktoren für eine erhöhte Asthma- ricana beschrieben (. Tab. 2). Exempla- N-verknüpfte Glukan von Bla g 2 relevant morbidität zählt (sog. „Inner-City-Asth- risch werden im Folgenden die Einzelal- für die Bindung an CD206, einem Man- ma-Problematik“). Rosenstreich et al. [3] lergene der Deutschen Schabe näher er- nose-Rezeptor auf zirkulierenden Fibro- konnten bei 476 asthmatischen Kindern läutert. zyten, ist. Nach der Bindung kann es zu aus 8 US-amerikanischen Städten zeigen, Die beiden Allergene Bla g 1 und einer gesteigerten Ausschüttung von Tu- dass 36,8% von ihnen eine Sensibilisie- Bla g 2 stellen die Hauptallergene von mornekrosefaktor (TNF)-α und Interleu- rung gegen Schabenallergene aufwiesen. Blattella germanica dar mit Sensibilisie- kin (IL)-6 kommen. Die Untersuchung von Hirsch et al. [4] rungsprävalenzen von 30–50% bzw. von Bla g 7 gehört zu den Tropomyosinen, ergab, dass unter 2993 Kindern in Dres- 60% [6]. Insbesondere Bla g 2 wird als die an der Regulation der Muskelkon- den nur 4,2% spezifisches IgE (>0,7 kU/l) sehr potentes Allergen beschrieben, da traktionen am Zytoskelett und an ande- gegen Allergene der Deutschen Schabe es bereits in geringen Konzentrationen ren Zellfunktionen beteiligt sind. Bla g 7 (Blattella germanica) hatten. Bei den asth- (von 0,33 µg/g Staub) eine IgE-Antikör- besitzt eine 90%ige Aminosäuresequenz- matischen Kindern lag die Sensibilisie- per-Antwort induzieren kann. Bla g 2 ist identität zu Per a 7 (Tropomyosin der rungsprävalenz bei 6,1%. Die meisten be- eine Aspartatprotease und besitzt eine Schabe Periplaneta americana) und eine troffenen Kinder waren zusätzlich gegen dem menschlichen Pepsin, Chymosin 80%ige zu den Tropomyosinen Der p 10 weitere Allergene sensibilisiert. Auch in und Cathepsin vergleichbare Struktur, und Der f 10 aus den beiden Milbenar-

586 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Zusammenfassung · Abstract ten Dermatophagoides pteronyssinus und Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:585–592 DOI 10.1007/s00103-013-1926-8 Dermatophagoides farinae. Tropomyosi- © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 ne werden auch als Panallergene von In- M. Raulf · I. Sander · D. Gonnissen · E. Zahradnik · T. Brüning vertebraten bezeichnet. Allerdings zei- Schaben und Co. Die Rolle von gen Untersuchungen, dass nur etwa 17% Gesundheitsschädlingen als Allergenquelle der Schabenallergiker spezifisches IgE gegen Bla g 7 aufweisen und es daher ein Zusammenfassung Minor­allergen darstellt. Bla g 4 ist ein Einerseits stellen Gesundheitsschädlinge, da wie verwilderte Haustauben (Columba livia sie Krankheitserreger oder Parasiten über- domestica) zu den Gesundheitsschädlingen Calycin, und für rekombinantes rBla g 4 tragen können, eine indirekte Gefahr für den gezählt. Auch Vorratsschädlinge, die keine konnte eine IgE-Bindungshäufigkeit Menschen bzw. für andere Säugetiere dar. Krankheitserreger übertragen, können einen von 60% [8] gezeigt werden. Bla g 5 ge- Andererseits können sie als Allergenquelle Sekundärbefall mit Hygieneschädlingen oder hört zur Enzymfamilie der Glutathion- aber auch eine unmittelbare Gefahr sein. Al- mit Schimmelpilzen ermöglichen. Sie stellen S-Transferasen (GST) und besitzt eine lerdings ist zu dieser Thematik bislang nur daher auch ein nicht zu unterschätzendes Ge- 28%ige Homologie zum GST-Allergen wenig bekannt. Die meisten dieser Gesund- sundheitsrisiko dar. Im vorliegenden Beitrag heitsschädlinge gehören zu den Gliederfü- werden ausgewählte Gesundheits- sowie Der p 8 der Hausstaubmilbe. GST sind ßern (Arthropoden), d. h. zu den Schaben Vorratsschädlinge als Allergenquellen unter als Enzyme in die Detoxifikation von en- (Blattaria), stechenden Mücken (Culiciformia), Angabe der Sensibilisierungsprävalenz sowie dogenen und xenobiotischen Stoffen in- Wanzen (Bett-, Tauben- und Schwalbenwan- identifizierter Einzelallergene vorgestellt. volviert, und ihre Produktion in Insekten ze, Cimicidae), Kleiderläusen (Pediculus hu- könnte mit der Resistenz gegen Insektizi- manus corporis), Flöhen (Siphonaptera) und Schlüsselwörter Zecken in Gebäuden (Argasidae). Bei den Wir- Allergene · Gesundheitsschädlinge · de assoziiert sein [6]. beltieren (Vertebraten) werden die Wander- Vorratsschädlinge · Schaben · Maus · Ratte ratte (Rattus norvegicus), die Hausratte (Rat- Taubenzecken als tus rattus), die Hausmaus (Mus musculus) so- Allergenquellen

Bisse der europäischen Taubenzecke, Ar- Cockroaches and co. The role of health pests as allergen source gas reflexus, können die Ursache für lo- Abstract kale Entzündungsreaktionen aber auch In most of the cases health pests are car- as health pests. Also storage pests which are für anaphylaktisch-systemische Reaktio- riers of pathogens or parasites which have a not carriers of pathogens can induce secon- nen sein. Die Taubenzecke gehört zur Fa- negative impact on human health or affect dary infestation with hygiene pests or molds milie der Leder- bzw. Weichzecken (Ar- the ­health of other mammals. What is lesser and have an underestimated impact on hu- gasidae). Sie ist ein spezifischer blutsau- known is that they can also act as allergens. man health. In this article selected examples Most of the health pests in this sense belong of health pests and also storage pests as an gender Parasit der Taube und befällt nur to the arthropods, such as cockroaches (Blat- allergen source are described, taking into ac- selten andere Vögel. Argas reflexus kann taria), mosquitos (Culiciformia), lice (Pedicu- count the sensitization prevalence and iden- eine Lebenserwartung von mehr als lus humanus corporis), fleas (Siphonaptera) tified single allergens. 10 Jahren haben und steht im Verdacht, and ticks (Argasidae). In the group of verte- den Erreger des Q-Fiebers Coxiella bur- brates rats (Rattus norvegicus and Rattus rat- Keywords Allergen · Health pests · Storage pests · netii zu übertragen. Die Zecke lebt vom tus), house mice (Mus musculus) and pigeons (Columba livia domestica) are also classified Cockroach · Mouse · Rat Blut, das sie nur 1- bis 2-mal pro Jahr auf- nehmen muss. Ohne weitere Nahrung ist sie in der Lage, 3 bis 5, maximal 9 Jahre zu überleben. Diese Überlebensfähigkeit tiert die Taubenzecke auch Menschen als des Respirationstraktes sowie kardiovas- basiert auf einem geringen Metabolis- Wirt, allerdings als Fehlwirt. In der Fol- kuläre Symptome erfordern eine sofor- mus bei einer extrem niedrigen Gesamt- ge wurden in europäischen Ländern wie tige Notfallversorgung und ggf. die Ein- körperwasserverlustrate sowie auf einer Frankreich, Deutschland, Italien, Polen weisung in eine Klinik, wie es für Fälle in diskontinuierlichen Ventilation und auf und der Schweiz wiederholt schwere Re- Frankreich beschrieben werden konnte. der Bildung von stabilen Aggregaten in aktionen auf Argas-Bisse beobachtet. An- Ein erhöhtes Risiko, eine IgE-vermittelte Wandbrüchen und Holzspalten. Darüber fang der 1990er-Jahre gab es u. a. in Ost- Immunreaktion auf Argas-Allergene zu hinaus ist sie in der Lage, geringe Tem- deutschland eine sehr hohe Zahl an Häu- entwickeln, wird insbesondere für Kin- peraturen und auch Hitze zu überstehen. sern, die mit der Taubenzecke belastet der, ältere Personen, aber auch für atopi- Aufgrund der wachsenden Zahl von waren. Laut des Berichtes von Vater und sche Individuen vermutet (hier definiert Haustauben in Mittel- und Südeuropa Vater [9] zur Schädlingsbekämpfung in als Personen, die auf mindestens ein ubi- und daraus resultierend von Taubennes- Ostdeutschland galt Leipzig als Stadt mit quitäres Inhalationsallergen im Haut- tern gewinnt das „Argas-Problem“ hier der höchsten Taubenzeckenbelastung. test positiv reagierten) [10]. Als Haupt- an Bedeutung. Nach dem Entfernen der Bisse erfolgen in der Regel in der Nacht, allergen wurde Arg r 1 beschrieben. Die- Taubennester von Gebäuden oder bei da die Zecke nachtaktiv ist. Schwere Re- ses Protein konnte von Hilger et al. [11] in einer Überbevölkerung mit Argas akzep- aktionen unter Beteiligung der Haut und rekombinanter Form exprimiert werden.

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 587 Leitthema

Tab. 2 Identifizierte Einzelallergene Läuse als Allergenquellen dergärten oder Schulen auf. Es können bei der Deutschen und Amerikanischen dann 30% und mehr aller Kinder betrof- Schabe Die Kopflaus (Pediculus humanus capitis) fen sein. Läuse sind an sich nicht gefähr- Allergen Name/Funk- Molekularge- gehört wie die Kleiderlaus (Pediculus hu- lich, sie rufen aber Symptome wie mas- tion wicht (kD) manus humanus) zur Familie der Men- siven Juckreiz hervor, was wiederum die Blattella germanica schenläuse (Pediculidae; Gattung Pedicu- Möglichkeit erhöht, eine spezifische Im- (Deutsche Schabe) lus). Filzläuse oder Schamläuse (Phthirus munantwort auf Laus-Antigene auszulö- Bla g 1 Unbekannt 46 pubis) parasitieren ebenfalls ausschließ- sen. Genauere Zahlen über die Prävalenz Bla g 2 Aspartatpro- 36 lich den Menschen, gehören aber zur von allergischen Reaktionen auf Läuse tease Gattung Phthirus und zur Familie Phthi- konnten bis dato nicht erhoben werden. Bla g 3 Hemocyanin 78,9 ridae. Läuse sind flügellose Insekten von 2006 veröffentlichten Fernández et Bla g 4 Calycin 21 1,5–4,5 mm Größe [14]. Pediculidae be- al. [15] den Fall eines 6-jährigen Jungen Bla g 5 Glutathion-S- 23 fallen ausschließlich den Menschen – mit einer Allergie gegen Pediculus huma- transferase Kopfläuse nur das Kopfhaar, die Kleider- nus capitus. Der Junge litt unter wieder- Bla g 6 Troponin C 21 laus saugt hingegen Blut am gesamten holtem Kopflausbefall, der zu einem in- Bla g 7 Tropomyosin 31 Körper (mit Ausnahme des Kopfes) und tensiven Hautjuckreiz, bilateraler nasaler Bla g 8 Myosin, leichte besiedelt die am Körper anliegende Klei- Obstruktion, Rhinorrhö und nächtlichen Kette dung. Lebende Kopfläuse sitzen auf dem Atembeschwerden führte. Diese Symp- Bla g 11 Alpha-Amylase 57 kopfhautnahen Teil der Haare und ernäh- tome verschwanden nach 2 Applikatio- Periplaneta americana ren sich vom Blut, das sie an der Kopf- nen einer Pyrethrin-Lotion. Auch das (Amerikanische Schabe) haut regelmäßig innerhalb weniger Stun- Asthma und die Rhinitis konnten durch Per a 1 Unbekannt 45 den saugen. Ohne ihren menschlichen Entfernung des Lausbefalls eliminiert Per a 3 Arylphorin/ 72 Hemocyanin Wirt sterben sie innerhalb von 2 Tagen. werden. Anhand der Familienanam­ Per a 6 Troponin C 17 Die weibliche Laus legt in ihrer Lebens- nese lag keine allergische Prädisposition zeit von ca. 30 Tagen bis zu 300 Eier. Die vor. Zur weiteren Abklärung des Fal- Per a 7 Tropomyosin 33 silbergrauen, sehr kleinen Eier werden in les sammelte die spanische Arbeitsgrup- Per a 9 Argininkinase 43 einer chitinhaltigen Hülle mit einer Kitt- pe um ­Fernández lebende Kopfläuse aus Per a 10 Serinprotease 28 substanz direkt über der Kopfhaut an die dem Haar des Patienten, homogenisier- Haare geklebt. Die Larven schlüpfen nach ten diese, entfernten unlösliches Material Arg r 1 hat ein Molekulargewicht von 18– ca. 7 bis 10 Tagen aus und reifen inner- von löslichen Proteinen und verwende- 19 kD. In einer Immunoblot-Analyse [10] halb von 9 bis 12 Tagen zu geschlechts- ten diesen Extrakt für In-vitro-Hauttes- konnte gezeigt werden, dass die Mehrzahl reifen Läusen. Die leeren Eihüllen ver- tungen, konjunktivale Provokationen so- der Patienten, die auf einen Argas-Ganz- bleiben an den Haaren und wachsen mit wie zur Auftrennung des Proteinextrak- körperextrakt reagieren, im Immunoblot diesen nach oben. Kopfläuse werden von tes mittels SDS-Gelelektrophorese und eine 22 kD-Bande erkennt. Mensch zu Mensch hauptsächlich bei en- anschließendem IgE-Immunoblot mit Die Untersuchung von Commins et gem Körperkontakt übertragen. Sie wer- dem Pa­tientenserum. Bei diesem Patien- al. [12] belegte, dass in bestimmten Be- den nicht von Tieren übertragen und ten waren die Prick- und die Provoka- reichen der USA Zeckenbisse möglicher- können nicht springen wie die Flöhe, flie- tionstestung positiv. Mittels IgE-Immu- weise die Ursache für die Bildung von gen oder schwimmen. Kopfläuse sind – noblot konnte mit dem Patientenserum IgE gegen das Oligosaccharid Galactose- im Gegensatz zu Kleiderläusen – weltweit eine Bande im Bereich von 20 kD mar- α-1,3-Galactose (α-Gal) sind. Diese spe- verbreitet, die Häufigkeit ihres Auftretens kiert werden. Die Autoren resümierten, zifischen IgE-Antikörper gegen α-Gal, schwankt jedoch erheblich je nach Bevöl- dass IgE-vermittelte Reaktivitäten gegen einer Blutgruppensubstanz bei Nicht- kerungsgruppe. In der Regel sind Kin- Laus-Antigene bei atopischen Personen Primaten, stehen im Zusammenhang mit der häufiger betroffen als Erwachsene berücksichtigt werden sollten. einer neuen Form der verzögerten Ana- und Mädchen häufiger als Jungen. Dies phylaxie auf rotes Fleisch bei Patienten, hängt mit dem alters- und geschlechts- Flöhe als Allergenquellen die dieses vormals über Jahre hinweg to- spezifischen Verhalten zusammen, das lerieren konnten. Diese Sensibilisierung den Kopfläusen einen leichteren Wirts- Flöhe sind flügellose Insekten, die zur gegen Fleisch trat nach Stichen der Zecke wechsel ermöglicht, und nicht mit biolo- Ordnung der Siphonaptera gehören. Ne- Amblyomma americanum auf. Die immu- gischen Merkmalen des Wirtes. In Mittel- ben dem eigentlichen Menschenfloh, Pu- nologische Antwort auf den Ektoparasi- und Nordeuropa liegt die Häufigkeit von lex irritans, kann eine ganze Reihe von ten führt damit zu einer neuen und ver- Kopflausbefall im Kindesalter zwischen Floharten, deren Hauptwirte Tiere sind, zögerten Form der Nahrungsmittelaller- 2 und 20%, in Entwicklungsländern da- gelegentlich auf den Menschen überge- gie (Übersicht s. [13]). gegen bei bis zu 60%. Kopflausbefall tritt hen und zu hochgradigem Juckreiz und typischerweise in Form von Kleinepide- erythematösen Hauterkrankungen füh- mien in betreuten Einrichtungen, Kin- ren [16]. Die Häufigkeit derartiger Hu-

588 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 maninfestationen nimmt offensichtlich bei wird sie nur sehr selten gesehen, und Mäuse und Ratten als mit der Zahl von Haustieren, aber auch ein Bettwanzenbefall wird häufig durch Allergenquelle von Nutztieren zu. Obwohl die meisten einen massiven Geruch aufgespürt, der Parasiten bestimmte Vorzugswirte ha- durch ein öliges Sekret, produziert von Da Nagetiere (Rodentia) Überträger von ben, können die meisten mehr oder weni- spezifischen Drüsen, verursacht wird. Krankheitserregern sein können, stel- ger problemlos temporär auch auf ande- Das klinische Bild nach Wanzenbiss len sie ein Gesundheits- und Hygiene- re Tiere oder auf den Menschen überge- variiert von Individuum zu Individuum problem dar. Wanderratten (Rattus nor- hen. Aufgrund der in Mitteleuropa stän- und ist abhängig von der vorhergehen- vegicus) beispielsweise sind als Reservoir dig verbesserten hygienischen Verhält- den Exposition und dem Grad der Im- und Ausscheider von Leptospiren be- nisse im häuslichen Bereich hat sich die munreaktion. Neben üblichen irritativ- kannt und können auch dem Rattenfloh, Verbreitung des Menschenflohs stark ver- toxischen Reaktionen treten auch Symp- der Yersinia pestis tragen kann, als Wirt ringert. tome auf, die durch die immunologische dienen. Allergien gegen Mäuse und Rat- Die Empfänglichkeit für Flöhe ist bei Antwort auf Proteinantigene aus dem ten stellen ein wichtiges berufliches Ge- Menschen und Tieren individuell sehr Speichel hervorgerufen werden. Obwohl sundheitsproblem dar, da diese Tiere in unterschiedlich. Die diesbezüglichen die Inzidenz der allergischen Überemp- der medizinischen Forschung weit ver- Ursachen sind im Detail noch nicht ge- findlichkeitsreaktion auf Cimex-lectula- breitet sind. Zu den Betroffenen gehören klärt. Bei sensibilisierten Menschen bzw. rius-Speichel bisher unbekannt ist, kön- insbesondere Tierpfleger, Tierärzte und Tieren werden häufig durch Speicheldrü- nen systemische Reaktionen wie Asthma Wissenschaftler, die in der pharmazeuti- sensekrete der Flöhe, die Histamin-ähn- und Anaphylaxie durch Bettwanzen her- schen Industrie, in universitären Laboren liche Komponenten, proteolytische En- vorgerufen werden. Leverkus et al. [19] und in Tierversuchseinrichtungen arbei- zyme und Antikoagulanzien enthalten konnten bei einem Patienten mit bullösen ten. Im beruflichen Umfeld liegt die Prä- [16], entzündliche bzw. allergische Reak- Stichreaktionen durch längere Exposition valenz einer Labortierallergie je nach Stu- tionen hervorgerufen, die sog. Flohstich- gegenüber Cimex lectularius im Hauttest die zwischen 11 und 44% [21]. Die Sen- allergien. Unterschiedliche Immunreak- eine Soforttypreaktion auf den Speichel- sibilisierung und die arbeitsplatzbezoge- tionen wie Sofort- und Spättypreaktionen drüsenextrakt der Bettwanze nachwei- nen Symptome kommen in den ersten 2 sind beschrieben, wobei heftig juckende sen. Die Hautreaktion war von einer aus- bis 3 Jahren nach Beginn der Exposition Quaddeln mit ausgedehntem Erythem geprägten partiellen Bläschenbildung be- maximal zum Tragen. Sowohl eine atopi- auftreten können. Die Flohallergieder- gleitet. Immunoblot-Analysen des Drü- sche Prädisposition als auch die Exposi- matitis (FAD) ist die häufigste dermato- senextraktes und eines rekombinanten tionshöhe spielen eine sehr starke Rolle logische Krankheit bei Katzen und Hun- Cimex-lectularius-Speichelproteins mit für die Entwicklung der Allergie gegen- den [17]. Empfängliche Tiere entwickeln dem Patientenserum ergaben eine IgE- über Nagetierallergenen. eine sehr intensive juckende papuläre Antikörperreaktion gegen ein 32 kD-Pro- Wie die Studie von Krakowiak et al. Reaktion nach Bissen von Katzenflöhen tein. Dieses konnte als Cimex-lectularius- [22] zeigte, konnte bei Kindern von La- (Ctenocephalides felis). Bislang konnte ein Nitrophorin (cNP) identifiziert werden. bortierpflegern ein positiver Hautprick- 18 kD-Protein aus dem Speichel des Kat- Bei 30% der von Price et al. [20] unter- test gegen Maus-, Ratten- und Hamster- zenflohs als wichtigstes Allergen für die suchten Individuen, die über einen Wan- allergene häufiger nachgewiesen werden FAD identifiziert werden (Cte f 1). Die re- zenbiss berichteten und sichtliche Haut- als bei Kindern nicht exponierter Eltern. kombinante Herstellung von rCte f 1 wur- reaktionen zeigten, konnte eine IgE-Ant- Grund dafür ist die erhöhte Exposition de von McDermott [18] publiziert. wort auf cNP, ein Protein, das nur eine gegenüber Nagetierallergenen, die über geringe Homologie zu Proteinen anderer die Kleidung in den häuslichen Bereich Wanzen als Allergenquellen Spezies hat, nachgewiesen werden, sodass übertragen werden. man einerseits von einer spezifischen Darüber hinaus spielt eine ubiquitäre Obwohl Bisse der Gemeinen Bettwanze Immunreaktion auf Bettwanzen ausge- Allergenbelastung durch möglichen Be- (Cimex lectularius) in Zentraleuropa re- hen kann. Andererseits zeigten zahlrei- fall mit diesen Schädlingen eine wichtige lativ selten sind, kann man sie an vielen che Personen mit IgE auf Cimex-lectula- Rolle. Insbesondere Studien in den USA Örtlichkeiten, z. B. in alten Fachwerk- rius-Extrakt auch eine IgE-Reaktivität auf zeigen, dass die Nagetierallergenexposi- häusern, Hotels, landwirtschaftlichen Ge- Hausstaubmilben- und/oder auf Scha- tion in der häuslichen Umwelt ebenfalls bäuden oder auch in der Nähe von Vo- benallergene. Eine partielle Inhibition der von klinischer Relevanz ist. In den sog. gel- und Fledermausnestern finden. Eine IgE-Bindung von Cimex lectularius durch „Innercity-Asthma“-Studien mit Kindern Verbreitung über weite Entfernungen ist Hausstaubmilben- bzw. durch Schaben- liegt die Prävalenz für eine Maussensibili- auch über Reisegepäck möglich. Die Bett- extrakte belegt eine gewisse Kreuzreak- sierung zwischen 11 und 46% [23] und die wanze ist ein flügelloses, oval flaches und tivität zwischen den Wanzenallergenen Prävalenz für eine Rattensensibilisierung nachtaktives Insekt, etwa 3–5 mm groß, und den Schaben- bzw. Hausstaubmil- bei 21% [24]. Im Gegensatz dazu zeigen besitzt einen harten Körper und ist mit benallergenen. europäische Studien [25], dass die Sensi- dem Menschen assoziiert. Nachts verlässt bilisierungshäufigkeit gegenüber Nage- sie ihren Platz, um sich zu ernähren. Da- tieren in Europa in der städtischen atopi-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 589 Leitthema

schen Bevölkerung (hier definiert als Per- einer wesentlich geringeren Häufigkeit Ökologie sind auch für den Nagetierbe- sonen, die auf mindestens ein ubiquitäres (Schlafzimmer: 69% vs. 94%; Wohnzim- fall zu verzeichnen. 51% der Familien ga- Inhalationsallergen im Hauttest positiv mer: 74% vs. 96%; Küche: 56% vs. 88%) ben Mausbefall an, während nur 8% Rat- reagierten) ohne weitere berufliche Na- und 100-fach niedrigeren Konzentra- tenbefall berichteten. getierexposition relativ niedrig ist (1,6% tion (Schlafzimmer: 12 ng/g vs. 757 ng/g; für Maus- und 0,6% für Ratte). Nagetier- Wohnzimmer: 16 ng/g vs. 996 ng/g; Kü- Vorratsschädlinge als allergene findet man in den Hautschup- che: 7 ng/g vs. 2483 ng/g) als in der In- Allergenquelle pen, im Haar, im Urin, im Speichel und nenstadt gefunden. Diese Ergebnisse im Serum der Tiere. Sowohl für Ratte als scheinen nicht nur für Baltimore typisch Vorratsschädlinge wie der Mehlkäfer auch Maus ist Urin die häufigste Quelle zu sein, sondern konnten auch in anderen bzw. Mehlwurm (Tenebrio molitor), der der Allergenproteine. Die Hauptallergene Studien bestätigt werden. Sie spiegeln da- Kornkäfer Sitophilus granarius, der Reis- der Maus Mus m 1 (ungefähr 19 kD) und mit die Situation des hohen Mausbefalls mehlkäfer (Tribolium confusum) oder der Ratte Rat n 1 (ca. 17 kD) sind Präalbu- in den Innenstadtbereichen mit z. T. ein- die Mehlmotte (Ephestia kuehniella) und mine und gehören zur Proteinfamilie der kommensschwacher Bevölkerung wider. Dörrobstmotte (Plodia interpunctella) Lipocaline (Geruchsstoff/Pheromon-bin- Mausallergene konnten auch in Schulen sind ubiquitär vorkommende Insekten, dende Proteine). Sie werden in der Leber und in Kindertagesstätten nachgewiesen die sich von diversen eingelagerten Vor- und in anderen exokrinen Drüsen pro- werden. In 11 Schulen im Nordosten der räten wie Getreide und anderem pflanzli- duziert und hormonell kontrolliert, d. h., USA wurde Mus m 1 in 81% der gesam- chen Material ernähren. Sie sind speziali- männliche Tiere produzieren deutlich melten Stäube und in 89% der untersuch- siert auf die wasserarmen, trockenen Be- mehr Mus m 1 bzw. Rat n 1 als weibliche ten Klassenzimmer detektiert [30]. Dabei dingungen der Lagerhaltung, wo sie Vor- Tiere. Ein Speziesunterschied besteht in wiesen die mittleren Allergenkonzent- räte zerkleinern, diese anfeuchten und so der Glykosilierung: Während das Ratten- rationen eine sehr breite Streuung zwi- einen Sekundärbefall mit Hygieneschäd- allergen glykosiliert ist, liegt keine Glyko- schen den Schulen auf (0,21–133 µg/g). lingen oder Schimmelpilzen verursachen silierung beim Mausallergen vor. Mus m 1 In North Carolina waren 83% der unter- können. Obwohl sie im Gegensatz zu den wird durch Partikel verbreitet, die einen suchten Kindertagesstätten (n=86) in Be- Hygieneschädlingen selbst keine Krank- aerodynamischen Durchmesser zwischen zug auf Mus m 1 positiv [31]. Andere US- heitserreger übertragen, können sie den 0,4 und 10 µm besitzen (hauptsächlich amerikanische Studien verglichen die Al- Sekundärbefall mit Hygieneschädlingen zwischen 3,3 und 10 µm) [26]. Rat n 1 ist lergenexposition zwischen Schulen und fördern und daher auch ein Gesundheits- mit Partikeln assoziiert, die im Bereich Wohnungen [32, 33]. Dabei zeigten beide risiko darstellen. Vorratsschädlinge lassen von >5 bis 20 µm liegen (hauptsächlich Untersuchungen, dass die Mausallergen- sich in die beiden Ordnungen Coleoptera an >8 µm) [27]. Damit besitzen die Al­ konzentration in Klassenräumen signifi- (Käfer) und (Schmetterlinge lergene sehr gute Schwebeeigenschaften kant höher war als in den Schlafräumen – hierzu gehören auch die Motten) ein- und können somit leicht in ursprünglich der Schüler (1,66 µg/g vs. 0,41 µg/g [32] teilen. Bislang liegen einige Fallberichte unbelastete Bereiche übertragen werden. bzw. 0,65 µg/g vs. 0,10 µg/g [33]). über Vorratsschädlinge als Allergenquel- Neben den zahlreichen Untersuchun- Im Gegensatz zu Mausallergenen wer- le vor, aber sehr wenige Einzelallergene gen in Tierlaboratorien sind auch mitt- den Rattenallergene nur selten außerhalb sind identifiziert worden. Aus Plodia in- lerweile unterschiedliche Studien zur Al- von beruflichen Bereichen gemessen, was terpunctella wurden eine Argininkinase lergenverbreitung außerhalb des Arbeits- daran liegen mag, dass die Konzentration (Plo i 1) und Thioredoxin (Plo i 2) als Mi- umfeldes durchgeführt worden. Wie an Rattenallergenen im Innenraumbe- norallergene mit kreuzreaktiven Eigen- bereits dargestellt, handelt es sich bei reich deutlich niedriger ist. In der Studie schaften identifiziert [34, 35]. Die Sensi- Mus m 1 um ein in nordamerikanischen von Perry et al. [24] konnte Rat n 1 nur bilisierungshäufigkeit in Kollektiven von Städten weit verbreitetes Allergen, und in 33% der Staubproben von Innenstadt- über 100 Innenraumallergiepatienten lag es kann daher auch als relevantes Um- wohnungen gefunden werden. Das Rat- für Plodia interpunctella bei 51% [34] bzw. weltallergen bezeichnet werden. Phipata- tenallergen wurde häufiger in den Wohn- bei 39–48% für Ephestia ­kuehniella [24, nakul et al. [28] analysierten Hausstaub- zimmern mit 27% als in den Küchen mit 34]. Bei 50 Allergiepatienten mit Getrei- proben von 608 Wohnungen hauptsäch- 19% und in den Schlafräumen mit 21% de- oder Mehlkontakt wurde eine Sensi- lich im Innenstadtbereich US-amerika- nachgewiesen. Die Autoren erklären die- bilisierungshäufigkeit von 50% gegen den nischer Großstädte. In 95% dieser Haus- se unterschiedliche Prävalenz von Rat- Mehlwurm Tenebrio molitor nachgewie- staubproben konnte Mus m 1 in mindes- ten- und Mausallergenen mit den unter- sen [36]. Die Sensibilisierungen gegen tens einem Raum detektiert werden. An schiedlichen Lebensräumen der Nagetie- verschiedene Vorratsschädlinge, aber häufigsten fand man das Allergen im Kü- re. Ratten bauen häufig ihr Nest nicht in auch gegen Vorratsschädlinge und Scha- chenbereich. In der Studie von Matsui et Gebäuden, sondern in Untergrundhöh- ben sind stark miteinander korreliert [37, al. [29] wurde der Mausallergengehalt in len und in der Nähe zu Wasser, während 38]. Vermutlich sind Kreuzreaktionen der Wohnungen im Innenstadtbereich und Mäuse ihre Nester im Innenraumbereich Panallergene Tropomyosin, Argininkina- in Außenbezirken von Baltimore vergli- und auch in der Nähe von Nahrungsmit- se und Thioredoxin und weiterer homo- chen. In den Vororten wurde Mus m 1 mit teln bauen. Diese Unterschiede in der loger Allergene der phylogenetisch ver-

590 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 wandten Arthropodenspezies für diese achten, dass sich Verbreitungen der Ar- 6. Wu CH, Lee MF (2005) Molecular characteristics of cockroach allergens. Cell Mol Immunol 2:177–180 Korrelationen und auch die hohe Sensi- ten durch Klimawandel, veränderte Le- 7. Tsai YM, Hsu SC, Zhang J et al (2013) Functional bilisierungsfrequenz bei Allergiepatien- bensbedingungen (wie im Falle der Tau- interaction of cockroach allergens and mannose ten verantwortlich. benzecken), aber auch durch den welt- receptor (CD206) in human circulating fibrocytes. PLoS One 8:e64105 weiten Handel bzw. Tourismus und dem 8. Arruda LK, Vailes LD, Benjamin DC, Chapman MD Fazit und Ausblick daraus resultierenden Transport z. B. von (1995) Molecular cloning of German cockroach befallenen Containern durchaus ver- (Blattella germanica) allergens. Int Arch Allergy Immunol 107:295–297 Auch Gesundheitsschädlinge wie Scha- ändern können. Um aktuelle Aussagen 9. Vater G, Vater A (1992) Schädlingsbekämpfung in ben (Blattaria), Läuse (Pediculidae), über das Sensibilisierungsrisiko bzw. die Ostdeutschland, Teil 3. Prakt Schädlingsbekämp- Wanzen (Cimicidae), Flöhe (Siphonapte- Sensibilisierungsprävalenz und darüber fer 44:152–161 10. Kleine-Tebbe J, Heinatz A, Gräser I et al (2006) ra), Zecken in Gebäuden (Argasidae) so- hinaus auch über die klinische Relevanz ­Bites of the European pigeon tick (Argas reflexus): wie Mäuse (Mus musculus) und Ratten der Gesundheits- und Vorratsschädlin- risk of IgE-mediated sensitizations and anaphylac- (Rattus norvegicus/rattus) und Vorrats- ge als Allergenquellen in Deutschland tic reactions. J Allergy Clin Immunol 117:190–195 11. Hilger C, Bessot JC, Hutt N et al (2005) IgE-me- schädlinge, die zu den beiden Ordnun- bzw. Europa treffen zu können, sind wei- diated anaphylaxis caused by bites of the pigeon gen Coleoptera (Käfer) und Lepidopte- tere systematische Untersuchungen er- tick Argas reflexus: cloning and expression of the ra (Schmetterlinge bzw. Motten) gehö- forderlich. major allergen Arg r 1. J Allergy Clin Immunol 115:617–622 ren, stellen potenzielle Allergenquel- 12. Commins SP, James HR, Kelly LA et al (2011) The len dar. Allerdings liegen in vielen Fällen Korrespondenzadresse relevance of tick bites to the production of IgE an- nur Fallberichte und kaum systemati- tibodies to the mammalian oligosaccharide ga- lactose-α-1,3-galactose. J Allergy Clin Immunol sche Untersuchungen vor. Dementspre- Prof. Dr. M. Raulf 127:1286–1293 chend sind auch nur wenige Allergene Kompetenz-Zentrum Allergologie/ 13. Jappe U (2012) Allergie auf Säugetierfleisch. α- auf Proteinebene identifiziert, und kom- Immunologie, Institut für Prävention Gal: Neues Epitop, neue Entität? Hautarzt 63:299– 306 merziell stehen nur wenige Einzelaller- und Arbeits­medizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, 14. Steen CJ, Carbonaro PA, Schwartz RA (2004) Ar- gene bzw. Allergenextrakte für die aller- Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA) thropods in dermatogogy. J Am Acad Dermatol 50:819–842 gologische Diagnostik zur Verfügung. Im Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 15. Fernández S, Fernández A, Armentia A, Pineda F Rahmen der aktuell veröffentlichten Stu- 44789 Bochum (2006) Allergy due to head lice (Pediculus huma- die von Haftenberger et al. [2] zu Präva- [email protected] nus capitis). Allergy 61:1372 lenzen von Sensibilisierungen gegen In- 16. Lam A, Yu A (2009) Overview of flea allergy der- matitis. Applied Dermatology. Compend Contin halations- und Nahrungsmittelallerge- Einhaltung ethischer Richtlinien Educ Vet 31:E1–10 ne in Deutschland wurden die genann- 17. Bond R, Riddle A, Motteram L et al (2007) Survey ten Gesundheits- und Vorratsschädlin- Interessenkonflikt. M. Raulf, I. Sander, D. Gonnissen, of flea infestation in dogs and cats in the United E. Zahradnik und T. Brüning geben an, dass kein Inter- Kingdom during 2005. Vet Rec 160:503–506 ge als Allergenquellen nicht aufgenom- essenkonflikt besteht. 18. McDermott MJ, Weber E, Hunter S et al (2000) men. Folglich liegen auch keine bevöl- Identification, cloning, and characterization of a Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen kerungsbezogenen Daten für Deutsch- major cat flea salivary allergen (Cte f 1). Mol Im- oder Tieren. munol 37:361–375 land vor. Erschwert wird eine Ermittlung 19. Leverkus M, Jochim RC, Schäd S et al (2006) Bul- der Sensibilisierungsfrequenz für einzel- lous allergic hypersensitivity to bed bug bites me- ne Schädlinge – wie z. B. von phylogene- diated by IgE against salivary nitrophorin. J Invest Literatur Dermatol 126:91–96 tisch verwandten Arthropodenspezies 20. Price JB, Divjan A, Montfort WR et al (2012) IgE – auch durch das Vorkommen von ver- 1. Ring J, Bachert C, Bauer CP, Czech W (Hrsg) (2000) against bed bug (Cimex lectularius) allergens is Weißbuch Allergie in Deutschland. Urban & Vogel mutlichen Kreuzreaktionen durch Pan- common among adults bitten by bed bugs. J Al­ GmbH, München lergy Clin Immunol 129:863–865 allergene. Die regionale Bedeutung ein- 2. Haftenberger M, Laußmann D, Ellert U et al (2013) 21. Bush RK, Stave GM (2003) Laboratory animal aller- zelner Allergenquellen wird deutlich am Prävalenz von Sensibilisierungen gegen Inha- gy: an update. ILAR J 44:28–51 lations- und Nahrungsmittelallergene. Ergeb- Beispiel der Vertreter der Ordnung Blat- 22. Krakowiak A, Szulc B, Górski P (1999) Allergy to nisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener lab­oratory animals in children of parents occupa- todea (Schaben): Während in den USA in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl tionally exposed to mice, rats and hamsters. Eur Sensibilisierungen gegen Schabenal- 56:687–697 Respir J 14:352–356 3. Rosenstreich DL, Eggleston P, Kattan M et al lergene zu den stärksten Risikofakto- 23. Matsui EC (2009) Role of mouse allergens in aller- (1997) The role of cockroach allergy and expo- gic disease. Curr Allergy Asthma Rep 9:370–375 ren für eine erhöhte Asthmamorbidität sure to cockroach allergen in causing morbidity 24. Perry T, Matsui E, Merriman B et al (2003) The pre- unter der einkommensschwächeren Be- among inner-city children with asthma. N Engl J valence of rat allergen in inner-city homes and its Med 336:1356–1363 völkerung zählen, sind die Sensibilisie- relationship to sensitization and asthma morbidi- 4. Hirsch T, Stappenbeck C, Neumeister V et al (2000) ty. J Allergy Clin Immunol 112:346–352 rungsraten in Deutschland bzw. Euro- Exposure and allergic sensitization to cockroach 25. Liccardi G, Salzillo A, Sofia M et al (2012) Sensiti- pa deutlich geringer. Vergleichbares gilt allergen in East Germany. Clin Exp Allergy 30:529– zation to rodents (mouse/rat) in an urban ­atopic 537 auch für die nicht-berufliche Exposi- population without occupational exposure liv­ 5. Heinzerling LM, Burbach GJ, Edenharter G et al ing in Naples, Italy. Eur Ann Allergy Clin Immunol tion mit Nagetieren, d. h. für ihre Bedeu- (2009) GA(2)LEN skin test study I: GA(2)LEN har- 44:200–204 tung als häusliche Allergenquelle in den monization of skin prick testing: novel sensitiza­ tion patterns for inhalant allergens in Europe. All- USA im Zusammenhang mit dem sog. ergy 64:1498–1506 „­Innercity-Asthma“. Allerdings ist zu be-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 591 Leitthema Buchbesprechung

26. Ohman JL, Hagberg K, MacDonald MR et al (1994) L. Klimek, O. Pfaar, E. Rietschel So findet man in diesem Buch auch die Distribution of airborne mouse allergen in a ma- jor mouse breeding facility. J Allergy Clin Immu- Allergien bei Kindern altersabhängigen Referenzbereiche für das nol 94:810–817 und Jugendlichen Gesamt-IgE für Neugeborene und für Kinder 27. Gordon S, Tee RD, Lowson D et al (1992) Reduc­ Grundlagen und klinische Praxis in den ersten sechs Lebensjahren. Die große tion of airborne allergenic urinary proteins from laboratory rats. Br J Ind Med 49(6):416–422 Stuttgart: Schattauer 2013 Erfahrung des interdisziplinären Autoren- 28. Phipatanakul W, Eggleston PA, Wright EC, Wood 480 Seiten teams mit Kindern wird hier deutlich und RA (2000) Mouse allergen. I. The prevalence of (ISBN 978-3794527281), 89,99 EUR die Erwartungen des Lesers an ein Lehr- mouse allergen in inner-city homes. J Allergy Clin Immunol 106:1070–1074 buch, das auf allergologische Probleme bei 29. Matsui EC, Wood RA, Rand C et al (2004) Mouse al- Das hochwertig ausgestattete kompakte Kindern und Jugendlichen abzielt, werden lergen exposure and mouse skin test sensitivity Buch liegt sehr gut in der Hand und zeigt erfüllt. in suburban, middle-class children with asthma. J Allergy Clin Immunol 113(5):910–915 eine gute Druck- und Papierqualität, was Zusammenfassend handelt es sich um ein 30. Chew GL, Correa JC, Perzanowski MS (2005) sich zusammen mit den gut gegliederten sehr gutes Buch, das sich inhaltlich durch Mouse and cockroach allergens in the dust and Textblöcken und grau hinterlegten Tabellen Aktualität, Übersichtlichkeit, umfassendem air in northeastern United States inner-city public high schools. Indoor Air 15:228–234 und Textkästen sehr positiv auf die Lesbar- Material und Praxistauglichkeit auszeichnet. 31. Arbes SJ, Sever M, Mehta J et al (2005) Expo­sure keit auswirkt. Das Buch ist klar gegliedert: Das Buch eignet sich sowohl für den An- to indoor allergens in day-care facilities: results Beginnend mit den immunologischen fänger, der sich allergologische Grundlagen from 2 North Carolina counties. J Allergy Clin Im- munol 116:133–139 Grundlagen und diagnostischen Verfahren erarbeiten möchte, als auch für den Spe- 32. Sheehan WJ, Rangsithienchai PA, Muilenberg ML werden Therapieprinzipien und Krank- zialisten, der sein allergologisches Wissen et al (2009) Mouse allergens in urban elementary heitsbilder in sinnvoller Reihenfolge abge- bezüglich der Behandlung von Kindern und schools and homes of children with asthma. Ann Allergy Asthma Immunol 102:125–130 handelt. Ebenso logisch ist der Aufbau der Jugendlichen komplettieren möchte und 33. Permaul P, Hoffman E, Fu C et al (2012) Allergens einzelnen Kapitel. Die Hervorhebung wich- kann sehr empfohlen werden. in urban schools and homes of children with asth­ tiger Abschnitte sowie die gelungenen Zu- ma. Pediatr Allergy Immunol 23:543–549 34. Binder M, Mahler V, Hayek B et al (2001) Molecular sammenfassungen erlauben es bestimmte F. Decker, Heidelberg and immunological characterization of argi­nine Themenbereiche auch mal schneller durch- kinase from the Indianmeal moth, Plodia inter- zugehen und trotzdem zu überblicken. Ein punctella, a novel cross-reactive invertebrate pan- allergen. J Immunol 167:5470–5477 „Fazit“ ergänzt die didaktisch sehr gelun- 35. Hoflehner E, Binder M, Hemmer W et al (2012) gene Darstellung der einzelnen Kapitel. Für Thioredoxin from the Indianmeal moth Plodia in- alle, die sich noch tiefgreifender mit einem terpunctella: cloning and test of the allergenic potential in mice. PLoS One 7:e42026 Thema beschäftigen möchten, finden sich 36. Armentia A, Martinez A, Castrodeza R et al (1997) abschließend aktuelle weiterführende Lite- Occupational allergic disease in cereal workers by raturangaben. stored grain pests. J Asthma 34:369–378 37. Jeebhay M, Baatjies R, Lopata A (2005) Work-relat­ Wie im Titel nicht zu unrecht behauptet, ist ed respiratory allergy associated with sensitisa­ das Buch sehr praxisorientiert, ohne dabei tion to storage pests and mites among grain-mill wissenschaftliche Exaktheit und Aktualität workers. Curr Allergy Clin Immunol 18:72–76 38. Sander I, Meurer U, Merget R et al (2012) Sind zu vernachlässigen. Besonders gut haben Sensibilisierungen gegen Insektenallergene bei mir die praktischen Tipps zur spielerischen Bäckern häufiger als in anderen Berufen? Arbeits- Einbindung der diagnostischen Verfahren med Sozialmed Umweltmed 47:132 speziell für Kinder gefallen. Hier wird z. B. die Maske der rhinomanometrischen Einheit beim nasalen Provokationstest zur “Piloten- maske“. Auch werden immer wieder die Be- sonderheiten der Diagnostik im Kindesalter herausgearbeitet und alternative Methoden (z. B. akustische Rhinometrie alternativ zur Rhinomanometrie), die eine weniger aktive Mitarbeit der kleinen Patienten erfordern, genannt. Möglichkeiten, die Motivation der Kinder für eine SCIT zu erhöhen sind ebenso aufgeführt wie wichtige Detailinformatio- nen für das Kindes- und Jugendalter.

592 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:594–594 Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit DOI 10.1007/s00103-014-1948-x © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Zulassung von Spendewilligen mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen Stellungnahme

Bei der 77. Sitzung des ­Arbeitskreises Gemäß den geltenden Richtlinien zur Nach den Vorgaben der Hämothera- Blut am 24./25.02.2014 ­wurde Gewinnung von Blut und Blutbestand- pie-Richtlinien muss die ärztliche Per- ­folgende Stellungnahme (S 13) teilen und zur Anwendung von Blutpro- son beurteilen, ob die spendewillige Per- ­verabschiedet: dukten (Hämotherapie) der Bundesärz- son in der Lage ist, die Inhalte der Befra- tekammer ist bei jeder Voruntersuchung gung und der Einverständniserklärung Jeder Blutspender erbringt einen wichti- und Zulassung eines potenziellen Spen- angemessen zu verstehen. Ebenso darf gen Beitrag zur Sicherstellung der Blut- ders zu einer Blutspende zu prüfen, bei Spendewilligen mit körperlichen Ein- versorgung in Deutschland. Information, 1. ob mit dieser Spende für den Betrof- schränkungen ein erhöhtes bzw. zusätz- Aufklärung und Voruntersuchung von fenen ein zusätzliches erhöhtes Risi- liches Risiko für Spendekomplikationen Spendewilligen haben eine hohe Bedeu- ko einhergeht und nicht in Kauf genommen werden. tung und Priorität. 2. ob die Qualität und Sicherheit des Grundsätzlich kann eine ganze Grup- Im Sinne der rechtlichen und ethi- entstehenden Arzneimittels beein- pe von Menschen mit Einschränkun- schen Gleichstellung von Menschen mit trächtigt ist. gen, wie z. B. Erblindete oder Gehörlo- körperlichen und geistigen Einschrän- se, nicht insgesamt zur Blutspende zuge- kungen muss eine Beteiligung dieser Per- Diese Umsetzung der Richtlinien kann lassen oder kollektiv von der Blutspende sonen an der Blutspende grundsätzlich insofern nur medizinischen und arznei- ausgeschlossen werden. Für jeden Spen- ermöglicht und gefördert werden. Ent- mittelrechtlichen Kriterien folgen und dewilligen erfordert die Zulassung zur sprechend ist die Eignung zur Blutspen- muss bei Spendewilligen ohne und mit Blutspende stets die ärztliche Einzelfall- de bei Spendewilligen mit körperlichen körperlichen und/oder geistigen Ein- entscheidung als eine aktuelle Beurtei- und geistigen Einschränkungen in glei- schränkungen immer zu einer abgewo- lung unter Beachtung der Hämothera- cher Weise zu überprüfen wie bei Spen- genen individuellen ärztlichen Entschei- pie-Richtlinien. dewilligen ohne solche Einschränkungen. dung führen. Dabei ist vor jeder Blut- Die Richtlinien zur Gewinnung von spende festzustellen, ob eine erhöhte Für den Arbeitskreis Blut Blut und Blutbestandteilen und zur An- Gefährdung des Spenders anzunehmen wendung von Blutprodukten (Hämothe- ist oder ob die Einsichts- und Einwilli- Dr. R. Offergeld, Vorsitzende rapie) legen die Kriterien zur Spender- gungsfähigkeit eingeschränkt ist. Zudem Prof. Dr. R. Burger auswahl und somit zur Gewinnung von muss ausgeschlossen werden, dass eine Blut- und Blutbestandteilen fest. Gemäß Einschränkung der Qualität und Sicher- diesen Richtlinien sind die beiden nach- heit des Arzneimittels zu erwarten ist folgenden Prinzipien immer gleichzeitig (wie z. B. durch Risikoexpositionen). In und gleichermaßen zu prüfen und um- solchen Fällen kann eine Zulassung zur zusetzen: Spende nicht erfolgen. F der Erhalt des Wohls der Spendewil- Das Hinzuziehen einer Vertrauens- ligen und person zum gemäß § 6 Transfusionsge- F die Unbedenklichkeit und optimale setz verbindlichen vertraulichen Selbst- Sicherheit des gesammelten Blutes. ausschluss ist nicht zulässig.

594 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:595–596 Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit DOI 10.1007/s00103-014-1949-9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Erlaubnisfreie Gewinnung und Anwendung von Blut im Rahmen der maschinellen Autotransfusion (MAT) Stellungnahme

Bei der 77. Sitzung des ­Arbeitskreises Stoffe und Zubereitungen aus Stof- Blut am 24./25.02.2014 ­wurde fen, die zur Anwendung im menschli- ­folgende Stellungnahme (S 14) chen Körper bestimmt sind und als Mit- ­verabschiedet: tel zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankhei- Bei der autologen Hämotherapie werden ten bestimmt sind, fallen in den Anwen- dem Patienten perioperativ gewonnenes dungsbereich des Arzneimittelgesetzes eigenes Blut bzw. Blutkomponenten re- (AMG). Stoffe im Sinne des AMG sind transfundiert. Der Begriff „perioperativ“ auch Körperbestandteile von Menschen umfasst die Zeit vor (präoperativ), wäh- in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zu- rend (intraoperativ) und nach dem me- stand. Sofern Wundblut gewonnen und dizinischen Eingriff (postoperativ). Da einer Person rückübertragen wird, ist das jede autologe Hämotherapie Bestandteil Wundblut ein Arzneimittel bzw. ein zur der medizinischen Behandlung ist, bedarf Arzneimittelherstellung bestimmter Stoff sie der ärztlichen Indikation. menschlicher Herkunft, und daher findet Die Retransfusion innerhalb von 6 h das AMG Anwendung. von intra- und/oder postoperativ gewon- Eine Ausnahme vom Anwendungs- nenem Wund-/Drainageblut als gewa- bereich des AMG ist nicht eröffnet, da schene Erythrozytensuspension wird als Wundblut kein Gewebe im Sinne von § 1a „maschinelle Autotransfusion“ (MAT) Nr. 4 Transplantationsgesetz ist. bezeichnet. Wer berufsmäßig Stoffe menschlicher Der Arbeitskreis Blut hat anlässlich Herkunft zur Arzneimittelherstellung ge- der Überarbeitung seines Standpunktes winnen oder entsprechende Arzneimittel zur autologen Hämotherapie mit dem herstellen will, bedarf nach AMG einer Votum 32 vom 17.03.2005 („Aktuelle Erlaubnis der zuständigen Behörde. Einer Empfehlungen zur Autologen Hämothe- Erlaubnis bedarf jedoch nicht eine Per- rapie“) das Verfahren der MAT ausdrück- son, die Ärztin oder Arzt ist, soweit die lich befürwortet. In den Richtlinien zur Arzneimittel unter ihrer unmittelbaren Gewinnung von Blut und Blutbestandtei- fachlichen Verantwortung zum Zwecke len und zur Anwendung von Blutproduk- der persönlichen Anwendung bei einem ten (Hämotherapie) (zuletzt 2010) findet bestimmten Patienten gewonnen wer- die MAT ausdrückliche Erwähnung. den. Bei Wechsel der Verfügungsgewalt Bei der MAT muss geklärt sein, unter der Ärztin oder des Arztes über die Spen- welchen speziellen rechtlichen und fach- de oder das daraus entstandene Blutpro- lichen Voraussetzungen eine erlaubnis- dukt ist für die Gewinnung und die An- freie MAT möglich ist. wendung des intra- und/oder postopera-

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 595 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

tiven Wundblutes daher in der Regel eine Einhaltung des Standes der Erkenntnis- Herstellungserlaubnis erforderlich. se der medizinischen Wissenschaft und Wichtige Regelungen für den Fall, dass Technik wird vermutet, wenn die Richt- keine Herstellungserlaubnis erforderlich linie zur Gewinnung von Blut und Blut- ist: bestandteilen und zur Anwendung von Personen, die Arzneimittel berufs- Blutprodukten (Hämotherapie) beach- mäßig herstellen, haben nach AMG die- tet worden sind. Insbesondere die Kapi- se Tätigkeit vor Aufnahme der Tätigkeit tel 2.8 und 4.6 der Richtlinie finden An- der zuständigen Behörde anzuzeigen und wendung. unterliegen der Überwachung durch die Im Rahmen dieser Regularien kann zuständige Behörde. die Gewinnung und Anwendung von in- Die zuständige Behörde hat sich in an- tra- und/oder postoperativem Wund- gemessenem Umfang unter besonderer blut durch maschinelle Autotransfusion Berücksichtigung möglicher Risiken da- (MAT) bei entsprechender Organisation von zu überzeugen, dass die Vorschriften mit vertretbarem Aufwand zum Wohle des zweiten Abschnitts des Transfusions- der Patientinnen und Patienten durchge- gesetzes und des AMG eingehalten wer- führt werden. den und die Herstellung den anerkann- Der AK Blut bittet die Bundesärzte- ten pharmazeutischen Regeln entspricht. kammer, im Rahmen der anstehenden Die Verantwortung für die Einhal- Novellierung der Richtlinie zur Gewin- tung dieser Vorgaben obliegt der ärztli- nung von Blut und Blutbestandteilen chen Person, die diese Tätigkeiten ohne und zur Anwendung von Blutprodukten Herstellungserlaubnis durchführt. (Hämotherapie) die fachlichen Anforde- Die bei Menschen gewonnene Menge rungen der MAT im Hinblick auf Indi- an Blut oder Blutbestandteilen, die Arz- kation(en), Untersuchung auf Infektions- neimittel ist oder zur Herstellung von marker, Qualitätsanforderungen und Do- Arzneimitteln bestimmt ist, stellt eine kumentationspflichten sowie zu der zur „Spende“ im Sinne der Begriffsbestim- ordnungsgemäßen Durchführung der mungen des Transfusionsgesetzes (TFG) MAT erforderlichen transfusionsmedi- dar. zinischen Sachkunde zu konkretisieren. Im Falle der erlaubnisfreien, persön- lichen Gewinnung und Anwendung des Für den Arbeitskreis Blut intra- und/oder postoperativen Wund- blutes durch eine ärztliche Person ist Dr. R. Offergeld, Vorsitzende die Begriffsbestimmung „Spendeein- Prof. Dr. R. Burger richtung“ nicht erfüllt, da eine natürli- che Person keine Einrichtung im Sinne des Transfusionsgesetzes ist. Ob z. B. ein Operationssaal Teil einer Spendeeinrich- tung ist, unterliegt je nach Gestaltung des Einzelfalls der Entscheidung der zustän- digen Behörde. Von den Vorschriften des TFG sind daher, sofern zutreffend, insbesondere zu beachten: Die ärztlichen Personen, die eigen- verantwortlich Blutprodukte anwenden, müssen über ausreichende Erfahrungen mit der MAT verfügen. Bei der Gewinnung von Eigenblut ist die Tauglichkeit der spendenden Perso- nen nach den Besonderheiten dieser Blut- produkte zu beurteilen. Bei Eigenblutent- nahmen sind die Untersuchungen auf In- fektionsmarker nach den Besonderheiten dieser Entnahmen durchzuführen. Die

596 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:597–597 Bekanntmachung des Umweltbundesamtes DOI 10.1007/s00103-014-1947-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Neuberufung der Mitglieder der Trinkwasserkommission beim Umweltbundesamt

Auf der Grundlage des § 40 Infektions- F Herrn Dipl.-Biol. Hartmut Willmit- schutzgesetz berief das Bundesministe- zer, Thüringer Fernwasserversor- rium für Gesundheit am 17. März 2014 gung, Erfurt, und zu Mitgliedern der Trinkwasserkommis- F Herrn Dr.-Ing. Burkhard Wri- sion beim Umweltbundesamt für die Be- cke, Technologiezentrum Wasser, rufungsperiode 2014–2018 ­Außenstelle Dresden. F Frau Dr. Claudia Castell-Exner, Deutscher Verein des Gas- und Die Kommissionsmitglieder wählten ­Wasserfaches e.V., Bonn, Herrn Prof. Dr. M. Exner zum Vorsitzen- F Herrn Prof. Dr. Martin Exner, Hygie- den und Frau Prof. Dr. C. Höller zur stell- ne-Institut der Universität Bonn, vertretenden Vorsitzenden der Trinkwas- F Herrn Michael Gaßner MPH, Bun- serkommission. desverband Hygieneinspektoren e.V., Der wissenschaftlichen Geschäftsstel- Freiburg, le beim Umweltbundesamt ist die Orga- F Frau Dipl.-Ing. Felicia Hahn, Ge- nisation der Kommissionsarbeit übertra- sundheitsamt, Kreis Viersen, gen worden. F Frau Prof. Dr. Christiane Höller, Laut Geschäftsordnung können an ­Bayerisches Landesamt für Gesund- den Sitzungen der Trinkwasserkommis- heit und Verbraucherschutz, Ober- sion (als nicht stimmberechtigt) Vertre- schleißheim, terinnen und Vertreter des Bundesmi- F Herrn Dr. Dietmar Petersohn, nisteriums für Gesundheit, des Bundes- ­Berliner Wasserbetriebe, Berlin, ministeriums für Umwelt, Naturschutz, F Frau Dipl.-Chem. Uta Rädel, Landes- Bau und Reaktorsicherheit, des Bundes- amt für Verbraucherschutz, Magde- ministeriums für Verteidigung, des Um- burg, weltbundesamtes und der zuständigen F Frau Dr. Ulrike Schuhmacher-Wolz, Landesbehörden teilnehmen. Außerdem Forschungs- und Beratungsinstitut werden eine Vertreterin oder ein Vertre- Gefahrstoffe GmbH, Freiburg, ter des Bundesinstituts für Risikobewer- F Herrn Dipl.-Ing. Rainer Rog- tung und eine Vertreterin oder ein Ver- gatz, WSW Energie & Wasser AG, treter des Eisenbahn-Bundesamtes zu ­Wuppertal, den Sitzungen eingeladen. F Herrn Dr. Roland Suchenwirth, Nie- dersächsisches Landesgesundheits- (Siehe auch unter: amt, Hannover, http://www.umweltbundesamt.de/ ­ F Frau Dr. Ute Teichert, Akademie themen/wasser/trinkwasser/­ für öffentliches Gesundheitswesen, trinkwasserkommission) ­Düsseldorf, F Herrn Dipl.-Ing. Tim Westphal, Amt für Gesundheit, Frankfurt am Main, F Herrn Prof. Dr. Michael Wilhelm, Institut für Hygiene der Universität ­Bochum,

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014 | 597 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:598–598 Bekanntmachung des Umweltbundesamtes DOI 10.1007/s00103-014-1945-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Neuberufung der Mitglieder der Schwimm- und Badebeckenwasserkommission beim Umweltbundesamt

Auf der Grundlage des § 40 Infektions- Die Kommissionsmitglieder wählten schutzgesetz berief das Bundesministe- Frau Prof. Dr. Christiane Höller zur Vor- rium für Gesundheit am 10. März 2014 sitzenden und Herrn Priv.-Doz. Dr. Lo- folgende Experten zu Mitgliedern der thar Erdinger zum stellvertretenden Vor- Schwimm- und Badebeckenwasserkom- sitzenden der Schwimm- und Badebe- mission beim Umweltbundesamt für die ckenwasserkommission. Berufungsperiode 2014–2018: Der wissenschaftlichen Geschäftsstel- F Herrn Priv.-Doz. Dr. Lothar Er- le beim Umweltbundesamt wurde die Or- dinger, Universitätsklinikum, ganisation der Kommissionsarbeit über- ­Heidelberg tragen. F Frau Prof. Dr. Christiane Höller, Laut Geschäftsordnung können an ­Bayerisches Landesamt für Gesund- den Sitzungen der Schwimm- und Ba- heit und Lebensmittelsicherheit, debeckenwasserkommission (als nicht Oberschleißheim stimmberechtigt) Vertreterinnen und F Herrn Dr. Dr. Ansgar Knobling, Vertreter des Bundesministeriums für ­Ministerium für Soziales Schleswig- Gesundheit, des Bundesministeriums für Holstein, Kiel Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- F Herrn Jürgen Lober, Bundesverband sicherheit, des Bundesministeriums für der Hygieneinspektoren e.V. Verteidigung, des Umweltbundesamtes F Frau Dipl.-Biol. Gabriele Maibohm, sowie der zuständigen Landesbehörden Landesamt für Gesundheit und beratend teilnehmen. ­Soziales, Mecklenburg-Vorpommern F Herrn Dr. Axel Matthiessen, (Siehe auch unter: ­Universitätsklinikum Schleswig-­ http://www.umweltbundesamt.de/ Holstein, Kiel wasser/themen/badebeckenwasser/ F Frau Dr. Doris Reick, Regierungs­ subbwasserkommission.htm) präsidium, Stuttgart F Frau Dr. Nicole Riedle, Balneatech- nik GmbH, Wiesbaden F Herrn Priv.-Doz. Dr. Georg-Joachim Tuschewitzki, Hygieneinstitut des Ruhrgebietes, Gelsenkirchen F Frau Tatjana Wegert, Amtsärztin der Stadt Brandenburg an der Havel, Brandenburg (Havel) F Herrn Dr. Albrecht Wiedenmann, Landratsamt Esslingen

598 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5 · 2014