Der Letzte Nazarener, Patrick Bahners, FAZ
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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MONTAG, 25. JULI 2016 · NR. 171 · SEITE 11 ann ist ein Heiligenbild ein nige Besucher. Der Name täuscht: Das Ewigkeit lang. So zieht die Andacht ins Kunstwerk? Wenn es nicht sogenannte Nationalmuseum ist in der Museum ein. mehr in einer Kirche hängt. Nachfolge der fürstlichen Kunst- und An den Altären der alten Kirchen wur- W Den Sammlern, die in der Wunderkammer viel eher eine eigenwilli- den mehrere Messen gleichzeitig gefeiert, Epoche der Französischen Revolution Der letzte Nazarener ge Variante des Universalmuseums. Im und so stört es hier nicht, dass die Tonkon- Bildwerke aus säkularisiertem Kirchen- Zuge der Generalsanierung des Hauses servensuppen benachbarter Räume in- besitz erwarben, war bewusst, dass sich wurde vor einem Jahr der Trakt mit den einanderfließen: Jörg Hubes Lesung aus der Funktionswandel von kultischer Ver- Im Bayerischen Nationalmuseum ruft der Videokünstler Christoph Brech Preziosen aus Barock und Rokoko wieder- Brechs Tagebuch einer Reise nach Jerusa- ehrung zu ästhetischer Bewunderung eröffnet. Dem Mittelalterflügel steht die lem und Wagners Lohengrin-Vorspiel, nicht von selbst versteht. Die aus dem Be- die Kunst der Museumsdekoration im neunzehnten Jahrhundert auf Sanierung noch bevor. Dort betritt man das live in einen baggerschaufelförmigen stimmungszusammenhang gelösten Al- heute ein seltsames Zwischenreich: In Schalltrichter übertragene Vorrücken des tarbilder „schienen in Privathäusern den Bauformen herrscht die Überwälti- Minutenzeigers der Museumsturmuhr nicht ganz an ihrer Stelle“. So gab Goe- gungsästhetik des Historismus, in der De- und der Ruf des Käuzchens aus dem Maul the 1816 im ersten Band seiner Zeit- koration regiert die Sprödigkeit der mittle- des Löwen aus Lindenholz, in dem, als schrift „Über Kunst und Altertum“ eine ren Bundesrepublik. Mit der Ausstellung der Löwe noch in der Zisterzienserabtei Ansicht wieder, die er bei einem Besuch eines zeitgenössischen Künstlers wird Heilsbronn stand, eine Glocke hing, die in Köln in der dortigen Sammlerszene an- hier nun der Geist Seidls beschworen, der von dem hinter dem Löwen postierten getroffen hatte. Primat der Stimmung. Das Raumerlebnis Skelett mutmaßlich im Stundentakt ge- Der „heitere, erfinderische Geist der verspricht wieder eine Zeitreise. schlagen wurde. „Ein Mensch stirbt, eine Besitzer und Künstler“ wusste sich zu hel- Christoph Brech, ehemals Assistent Eule krächzt, eine Uhr steht still, alles in fen: Die in der plötzlichen Isolation arg am Lehrstuhl für christliche Kunst der Einer Nachtstunde: sollte da nicht ein Zu- fremden und zu romantischen Tafeln und Bayerischen Akademie der Bildenden sammenhang sein?“ So karikierte Nietz- Figuren brauchten eine „schickliche Um- Künste, hat in München für Institutionen sche den Aberglauben, der bei den „Kul- gebung“. Daher bildeten die häuslichen wie das Symphonieorchester des Bayeri- turmalern“ unter den Historikern die Ein- Privatmuseen die abgerissenen Kirchen schen Rundfunks Auftragsarbeiten reali- heit der Epochengemälde stiftet. nach: „Man ersann scheinbare Hauskapel- siert, die mit synästhetischem Aufwand Brechs Verweismaschinerie produziert len, um Kirchenbilder und Gerätschaften aufs Ganze gingen. Er ist auch Fotograf Effekte, wie sie die von den Sammlern in altem Zusammenhang und Würde zu und legte 2012 einen vielbewunderten der Goethezeit beschäftigten Bühnenma- bewahren. Man ahmte die bunten Glas- Bildband über die Vatikanischen Museen ler erzielten. Auch er weiß einen perspek- scheiben auf Leinwand täuschend nach; vor. In der Mittelaltersammlung des Baye- tivischen klösterlichen Gegenstand als man wusste an den Wänden teils perspek- rischen Nationalmuseums hat er nun wirklich abzubilden: Er projiziert ein tivische, teils halberhobene klösterliche zwanzig Arbeiten installiert. Er stellt sie Schattenbild der Madonna im Strahlen- Gegenstände als wirklich abzubilden.“ nicht gebieterisch in den Museumsraum, kranz aus Weißenburg auf den Lamellen- Goethes Aufsatz war eine Hand- sondern passt sich, sozusagen in Umkeh- vorhang vor dem gegenüberliegenden reichung für hauptstädtische Kulturpoliti- rung der Aufgabe, die Goethe den Deko- Fenster. In der Rotunde mit den Glasfens- ker, denen nahegelegt wurde, die von Pri- rationsmalern stellte, den Raumgegeben- tern lässt er bunte Lichtstreifen über die vatleuten gesammelte altdeutsche Kunst heiten an. Das schummrige Licht lädt er Säule in der Mitte des Saals laufen: Täu- als national wertvolles Kulturgut anzu- atmosphärisch auf, die prosaischen Bau- schend ahmt er das Lichtspiel nach, das kaufen. Das für eine Nationalsammlung steine der Dauerausstellungsarchitektur sich ergeben müsste, wenn Sonnenlicht durch die Fenster fiele. zu bauende Museum stellte Goethe sich verwendet er für poetische Demonstratio- Verflüchtigt hat sich in den zweihun- nicht als weißen Würfel mit Säulenfassa- nen. Einige Werke sind neu; vor anderen dert Jahren nach Goethes Rheinreise der de vor. Durch die öffentliche Bestim- staunt man darüber, dass sie nicht für die heitere Geist der ersten Ausmaler der ab- mung eines Kunsthauses war eine schick- jeweiligen Orte geschaffen worden sind. geräumten Mittelalterwelt. Zu Goethes liche Umgebung noch nicht garantiert. In den Kirchen waren die Madonnen Missvergnügen inspirierten die Galerien Nötig waren Aufträge an Künstler, Fach- eingehüllt von Weihrauchschwaden und altgläubiger Meister in einer neuen Ge- leute für einen Wandschmuck „analog an- und abschwellenden Gesängen. Die- neration von Malerbrüdern das Projekt den Gegenständen“: das erste optische se Unruhe bringen Brechs Videos mit: einer Renaissance der christlichen Kunst. Medium der Museumsdidaktik. Die ein Flimmern und Rauschen an der Gren- Das Diffuse der nazarenischen Frömmig- Wandbemalung sollte Schaubilder des ze zum Unartikulierten, dem Chorge- keit mag man als modern empfinden. Epochenstilwandels bieten. Als „ange- sang der Mönche ähnlich, der am ande- Aber diese Unbestimmtheit war eine Kon- nehm unterrichtend“ empfand es Goe- ren Ende der Kirche als Murmeln an- sequenz der Vorliebe für entlegene allego- the, „wenn die Überreste des früheren kommt. Die Eucharistie wäre ohne die rische Sujets, die sich den Laien kaum er- Mittelalters von Verzierungen ihrer Art, stille Teilnahme der Gemeinde nur ein schlossen. Brechs Säulenkino verwendet die des späteren gleichfalls übereinstim- Mummenschanz. Brechs Bewegtbilder Bilder eines Spielautomaten in Black- mend bekleidet sind“. fordern zur Kontemplation auf, und wer Dieser Schwan entzückt auch Entenfreunde: Christoph Brechs Videoprojektion „Monsalvat“ Foto VG Bild-Kunst, Bonn 2016 pool. Das muss man wissen, um die profa- Ein gemäß diesem Programm eingerich- der Aufforderung folgt, lässt sich auf Par- ne Brechung der gotischen Lichttheo- tetes Haus ist das 1855 gegründete Bayeri- tizipation ein. Man sieht eine Wasser- logie zu erkennen. Solche Kunst ist fürs sche Nationalmuseum in München. Das Der Grundriss der Mittelalterabteilung kunst“, die ihren dienenden Charakter gen und nahm allzu suggestiv komponier- oberfläche, die ihre Farbe wechselt; ein Museum gemacht. Sie braucht erklärende im Jahr 1900 eingeweihte Museumsgebäu- mit romanischen und gotischen Muster- nicht verleugnete. In Seidls Bayerischem te Ensembles wieder auseinander. Die im abstraktes Gemälde, dessen Konturen im Schildchen. PATRICKBAHNERS de in der Prinzregentenstraße, entworfen kapellen, Ratszimmer, Kirchenschiff und Nationalmuseum übernahm die Dekora- Zweiten Weltkrieg verbrannte Ausstat- Wasser verlaufen; eine Landschaft hinter von Gabriel von Seidl, führt die Evolution den Gitterstäben eines Zugfensters. Der Überleben – Christoph Brech. Installationen im Rittersaal ist zwangsläufig verwinkelt. tion die Führung; die Epochenräume wa- tung der Neuzeitsäle wurde nicht restau- Dialog mit dem Mittelalter. Im Bayerischen Natio- der Baustile vor Augen, als monströse Wandschmuck, Podeste und Vitrinen wa- ren Gesamtkunstwerke. riert. Trotz der Nachbarschaft zum Haus Gegenstand bleibt derselbe; das Studium nalmuseum, München; bis zum 4. September. Schimäre: Auch die Außenwände sollen ren auf die Exponate abgestimmt. Goethe Schon bald begann ein diskreter Rück- der Kunst hat das Münchner Pendant des belohnt er nicht; man muss sich entschlie- Der im Deutschen Kunstverlag erschienene mit dem Ausgestellten übereinstimmen. gefiel am Rhein eine „anmutige Dekorier- bau: Die Direktion entfernte Ergänzun- Victoria and Albert Museum nur sehr we- ßen, ihn zu betrachten, eine gefühlte Katalog kostet 24,90 Euro. Ein Pop-Beat aus heißen Tagen Elektrisch, eklektisch: Das Album „Summer 08“ von Joseph Mount alias Metronomy Vor knapp einem Jahrzehnt war Joseph stand. Mit ein bisschen Wehmut, deutlich Party zitiert, samt Schnecke im Salat und Mount mit der Uni in Brighton fertig; er mehr Enthusiasmus und oft ein wenig sar- eifersüchtiger Szenebeobachtung: Behal- zog in den Nordosten Londons und um die kastisch lässt er eine Zeit wiederaufleben, te du deine Freunde, ich behalte meine. Häuser. Flirten und feiern, Leute kennenler- die für ihn geprägt war vom Rausch der Ein knochentrockener Beat, eine simple, nen, ausgehen und aus sich herausgehen. Nacht und der Großstadt, von Freiheit und aber unwiderstehliche Basslinie, Kuh- Und, am wichtigsten, sich die eigene Unsi- Verlangen. Und wie immer, wenn auch nur glocken-Rabimmel-Rabammel und auf- cherheit hinter einer Maske der Coolness ein Hauch Nostalgie im Spiel ist, geht es muckende Synthesizerklänge genügen, bloß nicht anmerken lassen. Eine erste Plat- um die Erinnerung an eine