„Es muß besser werden!“

Aby und im Dialog über Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit von Karen Michels Mäzene für Wissenschaft

hg. von Ekkehard Nümann

Gefördert von der Böttcher-Stiftung

Den Familien gewidmet, die durch ihre hochherzigen Stiftungen vor 108 Jahren die Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung ermöglicht und den Grundstein dafür gelegt haben, dass die Stiftung auch heute noch Forschung, Lehre und Bildung fördern kann.

Inhalt

Vorwort des Herausgebers ...... S. 3 1. Quellenlage ...... S. 4 2. Der Familien- und Firmengründer Georg Friedrich Vorwerk . . S. 6 3. Zur Kindheit und Jugend der Vorwerk-Brüder ...... S. 15 4. Eine Reise von Augustus Friedrich nach Nordamerika und Kuba ...... S. 23 5. Die Firmen in Chile und ...... S. 28 6. Friedrich, Adolph und deren Ehefrauen in den Erinnerungen dreier Enkel ...... S. 44 7. „Villa Josepha“ und „Haupthaus“ ...... S. 54 8. Gustav Adolph als Bau- und Gartengestalter ...... S. 60 9. Entwicklungen nach dem Tod der Brüder ...... S. 67 10. Anhänge ...... S. 70 11. Literatur ...... S. 72 12. Namensregister ...... S. 74 Inhalt

Vorwort des Herausgebers ...... 4 Vorwort ...... 5 1. Einleitung ...... 10 2. Was willst Du mit Kunstgeschichte? ...... 14 3. Lehr- und Wanderjahre: „Es muß besser werden!“ ...... 22 4. Wie man sich in Hamburg eine Existenz aufbaut ...... 33 5. Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung oder Kaufleute als „Ducatenmännchen“ ...... 56 6. 1918: „Unser Krieg“ und „die Judenfrage“ ...... 68 7. Neues Denken: Was hat man aus dem Krieg gelernt? ...... 75 8. Überzeugte Europäer ...... 81 9. Max Warburg verabschiedet sich selbst ...... 96 10. Zum Schluss ...... 98 11. Anhänge ...... 100 Stammtafel (Auszug) ...... 100 Aby und Max Warburgs Lebensdaten im Überblick ...... 102 12. Quellen, Literatur und Bildnachweis ...... 104 13. Namensregister ...... 107

| 3 | Vorwort des Herausgebers

Im Jahr 2007 feierte die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung ihr 100- jähriges Jubiläum. Der vorliegende siebzehnte Band ist Teil der zu diesem Anlass ins Leben gerufenen Schriftenreihe „Mäzene für Wissenschaft“. In ihr wird die Geschichte der Stiftung dargestellt; außerdem werden Stifter- persönlichkeiten und Kuratoriumsmitglieder in Einzelbänden gewürdigt.

Die Absicht, diese Reihe herauszugeben, entspricht dem dankbaren Gefühl den Personen gegenüber, die vor mehr als 100 Jahren den Mut hatten, die Stiftung zur Förderung der Wissenschaften in Hamburg zu gründen und erreichten, dass Hamburg eine Universität erhielt. Verknüpft damit ist die Hoffnung und Erwartung, dass nachfolgende Generationen sich hieran ein Beispiel nehmen mögen.

Dieser Hoffnung hat die Böttcher-Stiftung in hochherziger Weise entspro- chen, wofür wir ihr zu großem Dank verpflichtet sind.

Ekkehard Nümann

| 4 | Vorwort

Aby und Max Warburg, Hanseaten im besten Sinne des Wortes, haben auf ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern Herausragendes geleistet: Aby, der ältere der beiden Brüder, hat der Kunstgeschichtsforschung eine neue Richtung gewiesen, die bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität und Durchschlags- kraft eingebüßt hat, während Max nicht minder bedeutend für das Bank- wesen und Wirtschaftsleben seiner Zeit war. Seine Leistungen in der spä- ten Kaiserzeit, in den Jahren des Ersten Weltkrieges und in der Weimarer Republik sind vielfach analysiert und gewürdigt worden.

Gemeinsam strebten beide eine Symbiose zwischen dem merkantilen und dem geistigen Hamburg an, wie es Aby 1909 ausdrückte. Dieses Zusam- mengehen von Geld und Geist hat, wie man weiß, bemerkenswerte Früchte getragen, auch zugunsten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung. 1906 spendeten Moritz Warburg und seine Söhne 250.000 Mark, eine statt- liche Summe, die dabei half, die Stiftung, die die Einrichtung einer Uni- versität vorbereiten sollte, zu etablieren. Was an Finanzmit- teln für seine Forschungsambitionen vom Bankhaus M. M. Warburg, also von seinen Brüdern, zur Verfügung gestellt bekam, war ganz außerordent- lich. Kein Wunder, dass Max die Bibliothek seines Bruders als Zweigstelle des Bankhauses charakterisierte, die sich „kosmischen statt irdischen Auf- gaben“ widmete. Das Zusammenführen von Geld und Geist hat in der Stadtrepublik Hamburg bekanntlich eine lange Tradition, die bis in unsere Zeit anhält. Man denke nur an Jan Philipp Reemtsma und sein Hamburger Institut für Sozialforschung.

Dies ist ein Erzählstrang des ungemein gehaltvollen und berührenden Bu- ches. Ein weiterer gilt dem Judentum, in das Aby und Max hineingeboren wurden. Es geht um das Auf und Ab bei der Assimilierung und die gesell- schaftliche Akzeptanz ihrer religiösen Wurzeln, um die immer wieder auf- lebende Verzweiflung über das Verhalten ihrer christlichen Landsleute und die beständige Hoffnung auf eine Besserung des christlich-jüdischen Zu- sammenlebens. Karen Michels resümiert dazu: „Ihre so unterschiedlichen

| 5 | Lehr- und Wanderjahre ergaben in der Rückschau dennoch eine ähnliche Geschichte: Sie erzählt vom Wunsch, dazugehören zu dürfen, und von der bitteren Erkenntnis, dass dies, allen gesetzlichen Gleichstellungsmaßnah- men zum Trotz, nur partiell, nur momentweise gelingen konnte. Diese Er- fahrung wird beider Leben bis ans Ende prägen, und sie wird sowohl Aby als auch Max dazu animieren, auf immer neue und sehr persönliche Weise Wege der Integration zu suchen.“

„Wenn mehr Bücher gelesen würden, so würden weniger geschrieben wer- den“, hat uns Aby Warburg ins Stammbuch geschrieben. Wie dem auch sei: Dieses Buch musste geschrieben werden. Es fügt der umfangreichen Warburg-Literatur wichtige neue Aspekte hinzu. Und es darf als ein be- sonderer Glücksfall betrachtet werden, dass sich Karen Michels des Themas angenommen hat, die sich bereits in mehreren Büchern und Aufsätzen in- tensiv mit Aby Warburg, seinem epochalen wissenschaftlichen Denken und dessen Wirkung beschäftigt hat. Ihre Einschätzung der Person Aby War- burgs, dieses Leuchtturms der Kunstgeschichtsforschung, der bis heute un- vermindert hell strahlt, hat die Autorin 2010 in folgender Weise trefflich zusammengefasst: „Aby Warburg – eine der anregendsten Figuren der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, weitblickend, Grenzen sprengend, Horizont erweiternd, leidenschaftlich, jemand, der Wissenschaft mit hoher Emotion betrieb und den Mut zur Subjektivität und Partei- nahme hatte.“

Seine nach Seitenzahl schmale Dissertation über Botticellis „Geburt der Venus“ und „Frühling“ (1892, erschienen 1893), die in unseren Tagen als Gründungsurkunde einer gänzlich neuen Richtung kunstgeschichtlicher Forschung im Antiquariatshandel staunenswerte Preise erzielt, hat das „Lesen“ von Bildern revolutioniert. Die interdisziplinär vorgehende Kunst- wissenschaft war geboren, die Kunst von der „Abschnürung der eigentli- chen Lebenskräfte“ befreit. Und zugleich war es der Beginn einer Bücher- sammlung, die sich schrittweise zu der einzigartigen Kunstwissenschaft- lichen Bibliothek Warburg (K. B. W.) entfaltete.

Aby und Max Warburg waren zwei herausragende Söhne Hamburgs, ei- ner Stadt, zu der sich beide Zeit ihres Lebens hingezogen und der sie sich verpflichtet fühlten. Das Buch von Karen Michels gibt tiefe Einblicke in das Leben, Fühlen und die Wirkmächtigkeit der beiden Brüder, deren so unterschiedliche, aber auch gleichgestimmte Biographien eindrucksvoll miteinander verzahnt werden. Die Lektüre fesselt, bewegt und bietet vielerlei Neues, was den Leser mit großer Dankbarkeit erfüllt.

| 6 | Die Böttcher-Stiftung hat die alleinige Finanzierung dieses Bandes gerne übernommen. Ihr Gründer, Johann Max Böttcher (1920–2014), hätte ge- wiss das Buch mit größter Aufmerksamkeit und Anteilnahme gelesen, ha- ben doch seine eigenen jüdischen Wurzeln ihn in den Schreckensjahren 1933–1945 in mancherlei Bedrängnisse gebracht. Der Vorstand der Bött- cher-Stiftung wird sich auch weiterhin den Anliegen der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung gegenüber aufgeschlossen zeigen.

Der Verfasser dieser Zeilen ist stolz darauf, mit zwei Adepten von Aby Warburg, die diesen noch persönlich in der K. B. W. in der Heilwigstra- ße 116 erlebt haben, in freundschaftlichem Kontakt gewesen zu sein: René Drommert und Hermann Vogts. Und zum Schluss darf vielleicht auch noch erwähnt werden, dass der Unterzeichnende mit der auf S. 37 erwähnten Helene von Hornbostel (1840–1914) verwandtschaftlich verbunden ist.

Wilhelm Hornbostel

| 7 | | 8 | Aby und Max (ca. 1895)

| 9 | [1]

Einleitung

„Es muß besser werden“, schreibt Aby War- Londoner Archiv erhaltenen mehr als tau- burg 1889 seiner Mutter in einem Brief. Was send Briefe, ihr Leben in einem beständigen muss besser werden? Mit der Antwort auf Dialog. Dies lag sicher in einer herzlichen diese Frage beginnt der rote Faden, der brüderlichen Zuneigung und dem traditio- durch dieses Buch führt. Besser werden nellen jüdischen Familienzusammenhalt be- muss das Verhältnis zwischen christlichen gründet. Hinzu kam jedoch eine seltsame Deutschen und jüdischen Deutschen. Der Verschränkung, die Abys Verzicht auf die Dreiundzwanzigjährige hatte es gerade zum Nachfolge im familieneigenen Bankhaus ersten Mal erlebt, dass man ihn in der Öf- mit sich brachte. Es ist ein mehr als deutli- fentlichkeit als Jude identifizierte – und cher Fingerzeig, dass die Lebenserinnerun- seine Verunsicherung war groß. Früher als gen Max Warburgs dort, wo von der eige- andere erkennt und beobachtet er die wach- nen Kindheit und Jugend die Rede ist, sende Bedrohung. Die Frage, wie ein fried- zunächst den älteren Bruder beschreiben. liches Zusammenleben zwischen Christen „Aby, geboren am 13. Juni 1866, gestorben und Juden aussehen könnte, wird zu seinem am 29. Oktober 1929, hätte in das Bankhaus Lebensthema werden. Es ist, wie wir heute eintreten und später Teilhaber werden sol- wissen, ein existenzielles Thema. Er teilt es len, wie es der Tradition der Firma ent- vor allem mit seinem Bruder Max. sprach. Er hat es aber abgelehnt, Bankier zu ··································································· werden und studierte Kunstgeschichte an Die Gegensätze zwischen Aby und Max den Universitäten Straßburg und Bonn. konnten nicht größer sein: Der eine hatte Eine Reise in die Vereinigten Staaten schloss braune, der andere blaue Augen. Der eine sich an, und sie ist zum entscheidenden Er- war intellektuell, der andere Zahlenmensch. eignis seines Lebens geworden. Fünf Jahre Der eine galt als schwierig und cholerisch, lang hat er dann leitend am Deutschen der andere als leichtfüßig und charmant. Kunsthistorischen Institut zu Florenz mit- Aby begründete eine Bibliothek als For- gearbeitet und sich schließlich in Hamburg schungsinstitut, Max übernahm die famili- als Privatgelehrter niedergelassen. Berufun- eneigene Bank. Und doch gab es, so die Be- gen an verschiedene Universitäten lehnte er obachtung, die diesem Buch zugrunde liegt, ab. (…) Als ich 12 Jahre alt war, machte mir im Leben von Aby und Max Warburg auf- Aby den Vorschlag, daß ich ihm sein Erst- fällig viel Gemeinsames. Aby und Max ver- geburtsrecht abkaufen solle; nicht etwa für brachten, das zeigen nicht zuletzt die im eine Linsensuppe, sondern gegen meine

| 10 | Verpflichtung, ihm immer seine Bücheran- lein für die Wissenschaft, sondern für einen schaffungen zu bezahlen. Ich war ein Kind, gesellschaftlichen Wandel kommen. Dies und der Vorschlag erschien mir ausgezeich- geht nicht zuletzt hervor aus den Worten, net: das Geschäft vom Vater würde doch ge- mit denen sich Aby gegen Ende seines Le- wiß genug abwerfen, um mich Schiller, bens bei seinem Bruder Max bedankt: „Ich Goethe und vielleicht auch noch Klopstock werde es Dir und dem Vater nie vergessen – kaufen zu lassen. Wir haben den Pakt feier- und habe Euch das öfter wiederholt – daß lich mit einem Händedruck besiegelt. Die- Ihr, als ich bei Euch Unterstützung im ser Vertrag war wohl der leichtsinnigste mei- Kampf gegen den deutschen Herrlichkeits- nes Lebens; freilich habe ich ihn nie exhibitionismus unter staatlichem Schutz bereut.“1 Nicht ohne Hintersinn spielt Max verlangte, Ihr dem unoffiziellen, vereinzel- auf das „Linsengericht“ an, mit dem im Al- ten und unbewiesenen Zerebralmenschen ten Testament der ältere und dümmere Bru- einen moralisch blanko, wirtschaftlich statt- der Esau sein Erstgeburtsrecht auf den jün- lichen Kredit gewährt habt.“3 geren Jakob übertrug. Die von Aby ··································································· geforderte Gegengabe, auf den ersten und Der Kampf gegen den Nationalismus und kindlichen Blick so harmlos wie ein Teller gegen den Herrschaftsanspruch der „deut- Suppe, erwies sich im Laufe eines Lebens als schen Rasse“ bildete das Aby Warburgs kul- ein finanziell herausforderndes Projekt – turwissenschaftliche Arbeit speisende, von aber eben auch als eine existenzielle Not- Max verstandene und mitgetragene Leitmo- wendigkeit. tiv. Die griechische Kultur bot das Modell: ··································································· Es ist das ihr zumindest zugeschriebene ver- Wie gelingt Assimilation? Jeder der Brüder nunftgeleitete Denken, das gegen Irrationa- wird zeitlebens nach einer sowohl individu- lität, Barbarentum und Aberglauben ein ellen als auch gesamtgesellschaftlichen Ant- Gleichgewicht bieten kann. „Athen muß wort auf diese Frage suchen. Die Kulturwis- immer wieder neu aus Oraibi [von Aby be- senschaftliche Bibliothek Warburg war in suchtes Dorf der -Indianer in New dieser Hinsicht eine Konstruktion, die ei- Mexico, KM] erobert werden.“ Dem Natio- nem zunehmend national und völkisch ori- nalismus das zivilisatorische Potential des entierten Deutschland ein alternatives Humanismus entgegenzusetzen, ist das Ziel. Denk- und Lebensmodell vor Augen stelle. Max unterstützt dieses Projekt und vor al- Sie war, so sagt ihr Begründer selbst, „kein lem dieses Ziel. Als Verkörperung der Vita Raum für die Allüren eines reichen Man- activa versucht er jedoch, auf wirtschaftspo- nes“, sondern ein „Instrument für Jeder- litischem Terrain eigene Wege zu finden. mann, geschaffen aus dem Gefühl der geis- Zunächst vertraut er, wie so viele, auf die In- tigen Notlage Deutschlands vor etwa 25 Jah- tegrationskraft des Kaiserreiches. Nach des- ren u.s.w.“.2 Den (überwiegend jüdischen) sen Untergang und der Katastrophe des Ers- Mitarbeitern und Studierenden gilt sie in ten Weltkrieges dagegen wandelt Max sich den zwanziger und dreißiger Jahren, in An- zu einem überzeugten, frühen Europäer. spielung ausgerechnet auf das Wort Luthers Gleichzeitig erscheint ihm nun die wissen- von der „festen Burg“, als „feste Warburg“. schaftliche Analyse historischer und gegen- Von der „K.B.W.“ sollten Impulse nicht al- wärtiger Phänomene von weitaus größerer

| 11 | Aby und Max als „Buchstabe V“ aus dem 1909 gezeichneten „Fanö-Abc“ von Mary Warburg

| 12 | Bedeutung als früher. Wie sein Bruder legt schiede keine Rolle spielten. Zugleich be- er in den frühen zwanziger Jahren den deutete der Einsatz für die Wissenschaft in Grundstein für eine wissenschaftliche Ein- Hamburg die Förderung der Fähigkeit, ob- richtung, das Institut für Auswärtige Politik. jektiv und historisch zu denken. Und Es wird zum ersten Friedensforschungsinsti- schließlich erhoffte man sich von der Uni- tut überhaupt. Und mehr denn je versucht versität einer weltoffenen Handelsstadt Im- er – etwa mit der Gründung des Übersee- pulse, die dem anderswo gepflegten Natio- Clubs – das merkantile und das geistige nalismus und „Klerikalismus“ ein neues Hamburg zusammenzubringen und damit Modell entgegensetzten. In der spezifischen, eine neue Plattform jenseits aller Rasse- und realitätsbezogenen und zugleich freieren At- Religionsdifferenzen zu etablieren. mosphäre des durch eine starke Kaufmann- ··································································· schaft geprägten „Tors zur Welt“ ließ sich, Eines der von beiden Brüdern, wenn auch so die Hoffnung beider Brüder, ein neues mit durchaus unterschiedlichen Akzenten, Denken begründen, das echte Assimilation gemeinsam verfolgten Ziele war die Grün- möglich machte. dung einer Universität in Hamburg. In der ··································································· Frage der Einrichtung der „höchsten Form Was hat das alles heute noch mit uns zu einer geistigen Werkstatt, einer forschenden tun? In diesem Buch geht es um den Um- und lehrenden Hochschule“ ging es, so gang mit Minderheiten und damit einem schrieb Aby schon 1909, um nichts weniger heute in Europa mehr als brisanten Pro- als um „Hamburgs geistige Zahlungsfähig- blem. Aby und Max Warburg entwickeln keit“.4 Dass die Familie Warburg für diese für dieses Problem Lösungsvorschläge. Sie Universität in großem Stil Geld stiftete, be- sind, das hat die Geschichte gezeigt, tra- deutete auch, dass sie sich zum ersten Mal gisch gescheitert. Aber, so die Hoffnung der mit erheblichen Mitteln für eine Institution Autorin, sie sind es doch wert, im Hinblick engagierte, die keinen jüdischen Hinter- auf unsere gegenwärtige Situation noch ein- grund hatte. Was waren die Gründe? Per- mal aus der Nähe betrachtet zu werden. sönlich bot das Eintreten für eine Hoch- ··································································· schule in Hamburg Aby wie Max die Für vielfältige Anregungen und Hilfestel- Möglichkeit, sich an einem patriotischen, lungen danke ich sehr herzlich Ekkehard zukunftsweisenden Projekt zu beteiligen, in Nümann, Johannes Gerhardt und Eckart dem rassische und konfessionelle Unter- Krause.

·············································································································································· 1 Warburg, Aufzeichnungen, S. 5 f. 2 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (Archiv des Londoner , im Folgenden WIA, III.134.1.6.). 3 Zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 167. 4 Warburg, Pflichten, S. 305. ··············································································································································

| 13 | [2]

Was willst Du mit Kunstgeschichte?

Am 13. Juni 1866 wird dem Ehepaar Char- Name, den auch die noch folgenden vier lotte und Moritz Warburg ein Sohn gebo- Brüder tragen werden, ist der des Vaters, ren. In die Geburtsurkunde trägt man im Moritz. Abys Vater Moritz ist 28, als sein ers- Gedenken an den zehn Jahre zuvor verstor- ter Sohn zur Welt kommt. Zusammen mit benen Großvater den ungewöhnlichen Vor- seinem älteren Bruder Siegmund führt er namen Aby – nicht Abraham – ein; er ist das familieneigene Bankhaus. Eigentlicher wohl als dessen anglisierte, dynamisch klin- Chef der Firma M. M. (Moses Marcus) gende Variante zu verstehen. Der zweite Warburg jedoch ist die Mutter der beiden,

Das Wohnhaus von Sara Warburg in der Rothenbaumchaussee 49

| 14 | penheim aus Frankfurt geheiratet. Sie ent- stammte einer besonders frommen jüdi- schen, ebenfalls wohlhabenden und sehr ge- bildeten Familie. Ihr Vater Nathan handelte erfolgreich mit Edelsteinen, Perlen und An- tiquitäten, und er sprach, so die Legende, dreizehn Sprachen: kein Wunder, dass auch die Tochter Charlotte zeitlebens ein aktives Interesse an Kunst und Kultur an den Tag und somit vielleicht auch das Fundament für ähnlich gelagerte Passionen ihres ältesten Sohnes legte. Charlotte schrieb Gedichte, veröffentlichte Erzählungen in der Frank- furter Zeitung und entfaltete eine so zielstre- bige Persönlichkeit, dass die gefürchtete Sara in ihrer Schwiegertochter eine echte Geistesverwandte erkannte.5 Sparsam, ja spartanisch in der Lebensführung, nahm sie grundsätzlich nur auf ungepolsterten Stüh- Treppenwange, Gebäude der Kulturwissenschaft- len Platz und tat alles, um vor den Kindern lichen Bibliothek, Heilwigstraße 116 den erheblichen familiären Reichtum zu verbergen.6 Sara. Sie ist als ebenso erfolgreiche wie ener- ··································································· gische Matriarchin in die Geschichte einge- Fast auf den Tag genau ein Jahr nach Abys gangen, die sich weder von Geschäftspart- Geburt, am 5. Juni 1867, erblickt ein weite- nern noch von den eigenen Söhnen je hat rer Sohn das Licht der Welt, der den Namen die Butter vom Brot nehmen lassen; auch Max M. (für Moritz) erhält. Noch fünf wei- ihr Mann „stand unter dem Pantoffel“. Sara tere Kinder folgten: 1868 Paul M., 1871 Fe- leitet nicht nur die Bank, sondern ist auch, lix M., 1873 Olga und 1879 die Zwillinge wie es sich für Juden gehört, im Vorstand Fritz M. und Louise. Bereits im Geburtsjahr zahlreicher Wohltätigkeitseinrichtungen von Max hatte die Bank das Haus Ferdi- aktiv. Das repräsentative Haus Rothen- nandstraße 75 erwerben können; es wurde baumchaussee 49, das sie 1865 bezogen hat- zur Keimzelle des heute noch bestehenden, te, existiert nicht mehr; zwei der schönen, 1912–13 vom Rathausbaumeister Martin mit antikisierenden Ranken geschmückten Haller neu errichteten Geschäftsgebäudes. schmiedeeisernen Fenstergitter aber fügte Privat lebt man, versorgt von einigem Per- ihr ältester Enkel Aby in die Treppenwangen sonal, im Grindelhof 1a und damit in dem seines 1925 errichteten Bibliotheksgebäudes später als „Klein-Jerusalem“ bekannten Heilwigstraße 116 ein, wo sie noch heute zu Grindelviertel. Mit dem Erwerb eines groß- bewundern sind. zügigen Hauses am Mittelweg 17/Ecke ··································································· Johnsallee dokumentiert Moritz Warburg 1864 hatte Moritz Warburg Charlotte Op- 1871 den sozialen Aufstieg der Familie. Der

| 15 | Charlotte und Moritz Warburg mit Kindern und Verwandten, links außen Max, rechts außen Aby

Umzug bedeutet zugleich einen großen ··································································· Schritt in Richtung Assimilation. Erleich- Die Familie von Moritz’ Bruder Siegmund, tert hatte ihn die Auflösung der engen Ver- die zunächst über den Geschäftsräumen in bindung von Staat und lutherischer Kirche der Ferdinandstraße lebt, bezieht etwa in der Hamburger Verfassung. Dem Druck gleichzeitig eine herrschaftliche Villa am des Senates nachgebend, lockerte danach Alsterufer 18. Siegmund hatte mit der aus auch die Israelitische Gemeinde ihre Vor- Kiew stammenden Theofilia beziehungs- schriften: Sie spaltete sich in Orthodoxe und weise Théophilie Rosenberg eine schwerrei- Reformjuden und stellte es seit 1867 jedem che kosmopolitische Frau geheiratet, die der frei, sich einem der beiden Verbände anzu- Familie multinationale „byzantinische Ver- schließen oder auch nicht. Juden waren nun bindungen“ einbrachte.7 Sie pflegt einen gleichberechtigte Hamburger Staatsbürger. aristokratischen, französisch geprägten Le- So kam es, dass sich hier, in den an der Au- bensstil, was bei den hanseatischen Reeders- ßenalster gelegenen, im 19. Jahrhundert neu Gattinnen nicht gut ankommt. Siegmund erschlossenen Vierteln Rotherbaum und wird Vorsteher der jüdischen Gemeinde Harvestehude, die Bevölkerungsgruppen zu und richtet sich im Hause eine kleine Pri- mischen begannen. Etwa ein Fünftel der vat-Synagoge ein. Wenn er in ihr morgens Bewohner war jüdischen Ursprungs. seinen religiösen Pflichten nachgeht, ist er

| 16 | bereits für den Ausritt gekleidet. Rivalitäten Selbstverständlich beachtet man auch zwischen den Schwägerinnen Charlotte und im Hause Moritz Warburg die jüdischen Théophilie – die eine frankophil-internatio- Bräuche. Gekocht wird streng koscher. Die nal, die andere preußisch-national gesinnt – Jungen lernen hebräisch und begleiten ihren und die permanenten Auseinandersetzun- Vater, wenn auch sehr ungern und mit ste- gen zwischen den beiden unter ein gemein- tig abnehmender Regelmäßigkeit, in die Sy- sames geschäftliches Dach gezwungenen nagoge: „In einem Haus am Mittelweg war Brüdern spalten den Clan von nun an in ei- in einer Etage ein Raum als Synagoge einge- nen „Alsterufer“- und einen „Mittelweg“- richtet, sehr hässlich, mit schlechter Luft.“9 Zweig. Während die Familie von Siegmund Sie können Moritz dabei beobachten, wie er eine gesellschaftliche Position in der „jüdi- am Samstag auf seine Zigarre verzichtet, schen Aristokratie“ (Max Warburg) an- weil man am Sabbat erst nach Sonnenunter- strebt, legen die „Mittelweg-Warburgs“ stets gang Feuer machen darf. Und sie wachsen mehr Wert auf die „Einzelleistung“ ihrer mit der Überzeugung auf, dass man andere Mitglieder.8 Diese Idee der „Einzelleistung“ am eigenen Wohlstand selbstverständlich wird in der so ähnlichen Weltanschauung partizipieren lässt, dass Wohltätigkeit ein in- beider Warburg-Brüder einen zentralen Platz tegraler Bestanteil des eigenen Lebensstils einnehmen. sein müsse: Schon die Kinder werden ange- ··································································· halten, gemäß dem jüdischen Gebot, ein

Wohnhaus der Familie Moritz Warburg im Mittelweg 17, Ecke Johnsallee

| 17 | Die Familie Warburg (1895), obere Reihe zweite von links: Franziska Jahns

Zehntel ihrer Ersparnisse für wohltätige ··································································· Zwecke in die Spardose zu stecken.10 Moritz Unter diesem Aspekt ist es ungewöhnlich, hat ein Waisenhaus begründet, unterstützt dass Charlotte ein christliches Kindermäd- mit namhaften Beträgen das auf eine Stif- chen beschäftigt: Franziska Jahns. Sie war in tung Salomon Heines zurückgehende Israe- einem Waisenhaus aufgewachsen und of- litische Krankenhaus sowie die Talmud Tora fenbar in der Lage, selbst nicht empfangene Schule. Seiner Energie und Großzügigkeit Zuwendung den Warburg-Kindern in ho- ist auch der Bau der großen, 1906 fertig ge- hem Maße zuteil werden zu lassen. Mit 17 stellten Synagoge am Grindelhof zuzu- eingestellt, lernt sie sogar etwas hebräisch, schreiben, zu der auch Felix Warburg grö- um mit den Kindern Gebete sprechen zu ßere Summen beisteuert; diese sogenannte können. Wie ein 1895 entstandenes Famili- „Bornplatzsynagoge“ wurde in der Reichs- enfoto zeigt, ist sie selbstverständlich in den pogromnacht 1938 verwüstet und 1939 abge- Kreis der Warburgs integriert. „Mit der rissen. Zeit“, so erinnert sich Max Warburg, „nahm

| 18 | sie gewissermaßen die Stellung einer älteren Kind eine Typhuserkrankung nur knapp Schwester bei uns ein, wenn auch ihre Zu- überlebt hat, wird er auf Anraten der Ärzte rückhaltung und Bescheidenheit sie immer so geschont, dass er tyrannische und chole- als Gouvernante erscheinen ließ. In ihrer lie- rische Charakterzüge entwickelt. Er ist jäh- bevollen Weise war sie der gute Geist im zornig, aber auch witzig, ein brillanter Hause, der ausgleichend wirkte, der aber Schauspieler und Stimmenimitator. Wenig auch seinen Ordnungssinn auf uns zu über- sportlich veranlagt, entwickelt er sich zu ei- tragen verstand. Als wir dann später – sie- ner Leseratte. Und obwohl in den Naturwis- ben verheiratete Kinder sowie einundzwan- senschaften völlig unbegabt, kann er eine zig Enkelkinder – im Sommer bei den Klasse überspringen. Beide Jungen besu- Eltern auf dem Kösterberg wohnten, lebte chen das – wie für Kaufmannssöhne üblich Franziska noch und blieb auch hier der un- – Realgymnasium des Johanneums am entbehrliche gute Geist.“11 Noch Jahrzehnte Steintorplatz. Aby, der sich ja, wie erwähnt, nach ihrem Tod erinnert sich Aby an ihren im Alter von dreizehn gegen ein Leben als Geburtstag: Franziska Jahns sei eine „protes- Bankier entschieden hat, schreibt sich für tantische Caritas“ gewesen, die der „geld- ein weiteres, ergänzendes Schuljahr auf dem magnatischen Lebensführung“ der Familie humanistischen Zweig des Johanneums ein. das Ideal der Bescheidenheit entgegenhielt, Er nimmt Privatstunden in Griechisch und „womit sie bei meiner einfachen seligen Latein und besteht 1886 auch das altsprach- Mutter harmonierte“.12 liche Abitur. Ganz anders Max: „Ich bin im- ··································································· mer ein schlechter Schüler gewesen und Nach außen hin sind sie ein „Siebenge- trug mich keineswegs mit der Absicht, mich stirn“, aber innerhalb der Familie herrscht, dem Abiturientenexamen auszusetzen. Als wie unter Geschwistern üblich, ein perma- ich in der Unterprima war, legte ich meinem nenter Konkurrenzdruck. Besonders Aby Vater nahe, mich doch lieber aus der Schule und Max entwickeln sich sehr unterschied- zu nehmen – was habe es für einen Sinn zu lich: Während der Ältere mit seinen dunkel- studieren, da ich doch in die Firma eintre- braunen Augen und seiner kleinen, zur Fül- ten werde. Mein Vater aber erklärte, dass ligkeit neigenden Statur der Mutter gleicht, seine Söhne eine abgeschlossene Bildung kommt der blauäugige, groß gewachsene haben müssten. ‚Das hättest Du mir früher Max nach dem Vater. Von diesem – der sagen müssen‘, antwortete ich, ‚ich habe in noch in späteren Jahren als lässiger Dandy den letzten drei Jahren so gut wie nichts ge- durchgehen kann – hat er ein gewinnendes arbeitet.‘ Es war die reine Wahrheit; von Aussehen und, so ist überliefert, einen be- meinem 16. bis zu meinem 18. Lebensjahr trächtlichen Charme geerbt, der ihm schon habe ich wirklich viel mehr geflirtet als ge- in jungen Jahren das Leben leichter macht. lernt. (…) Wie ich zuguterletzt das Examen Schließlich müssen sich beide Brüder, nach- bestanden habe, ist mir noch heute unbe- dem sie in die Vorschule des Johanneums greiflich.“13 Im gleichen Jahr wie sein älterer eingeschult worden waren, in einer Umge- Bruder hat auch er es dann geschafft. Be- bung behaupten, in der sie als Juden zur rauscht vom eigenen Aufholerfolg, erwägt Minderheit gehören. Aby dagegen gilt als Max, nun lieber doch Chemie zu studieren sprunghaft und schwierig. Nachdem er als – was ihm der geschockte Vater nur müh-

| 19 | Aby (links außen) im Kreise seiner Mitabiturienten am Johanneum (1886) sam wieder ausreden kann. Abys Berufsziel nem Entschluss auf Verständnis gestoßen. dagegen steht fest: Archäologe. Als aber auch das vehement abgelehnt ··································································· wurde, war die gesamte Familie alarmiert: Es ist heute kaum noch nachvollziehbar, „Die Familie hat alles getan, damit er nicht welchen tiefgreifenden Schock Abys früher Kunstgeschichte studierte. Er sollte wenigs- Entschluss, die Leitung des Bankhauses sei- tens indirekt Geld verdienen. Arzt, Chemi- nem jüngeren Bruder zu überlassen, der ge- ker [werden]. Selbst wenn er nach Frankfurt samten Familie versetzte. Warum diese hef- kam, hat ihn jedes einzelne Mitglied der Fa- tige Reaktion? Kam es nicht öfters vor, dass milie nochmals bearbeitet: ‚Was willst Du Söhne sich der Familientradition widersetz- mit Kunstgeschichte‘?“14 Abys Liebe aber ten, und konnte man nicht bereits damals gehörte eben jenen Objekten, die für Juden sehen, dass sich Max tatsächlich sehr viel jahrhundertelang tabu gewesen waren, bild- mehr für das Bankgeschäft eignete? Ja – und lichen Darstellungen. Und sie gehörte geis- wenn er, wie Großmutter Oppenheim es teswissenschaftlichen Fragestellungen, ge- sich dringlich wünschte, sich für ein Leben hörte der Antike als Epoche, auch Lessings als Rabbi entschieden hätte, wäre er mit sei- berühmter Schrift „Laokoon oder über die

| 20 | Grenzen der Mahlerey und der Poesie“. Wer Juden dazu geführt, dass sie sich auf wenige eine solche Passion zum Beruf machte, Tätigkeiten konzentrierten – auf das aus wählte nicht nur „Brotlosigkeit“, sondern dem Geldverleih erwachsene Bankgeschäft, brach auch aus einem jahrhundertealten er- auf die Medizin. Archäologie, überhaupt die folgreichen System und letztendlich einem Beschäftigung mit Kunstwerken und damit schützenden Kokon aus. Seit dem Mittelal- auch Bildern, gehörte keinesfalls dazu. ter hatten die Berufseinschränkungen für

·············································································································································· 15 Chernow, Die Warburgs, S. 46 f. 16 Roeck, Warburg, S. 14. 17 Chernow, Die Warburgs, S. 33. 18 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). 19 Ebd. 10 Chernow, Die Warburgs, S. 46. 11 Max Warburg, Aufzeichnungen, S. 9. 12 Tagebuch der K.B.W., 18. Juli 1929: Warburg, Tagebuch, S. 472. 13 Max Warburg, Aufzeichnungen, S. 9 f. 14 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). ··············································································································································

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Lehr- und Wanderjahre: „Es muss besser werden!“

Beide Söhne verlassen unmittelbar nach elterlichen Hause gesehen und gehört Ende der Schulzeit das Haus. Ihre so unter- hat“.15 Der Vater hofft vergeblich: Schon zu schiedlichen Lehr- und Wanderjahre erge- Beginn seiner Studienzeit trifft der damals ben in der Rückschau dennoch eine ähnli- zweiundzwanzigjährige Sohn die folgen- che Geschichte: Sie erzählt vom Wunsch schwere Entscheidung, nicht weiter koscher dazugehören zu dürfen und von der bitteren zu essen. Bei „Rothschild“, einem ständigen Erkenntnis, dass dies, allen gesetzlichen jüdischen Mittagstisch, schmeckt es ihm Gleichstellungsmaßnahmen zum Trotz, nur nicht, und Alternativen sind rar. „Jüdische partiell, nur momentweise gelingen konnte. fromme Familien giebt es nach Dr. Unger 10 Diese Erfahrung wird beider Leben bis ans hier, von denen jedoch keine einen ständi- Ende prägen, und sie wird sowohl Aby als gen Gast versorgen würde.“ Das Thema auch Max dazu animieren, auf immer neue scheint schon länger Gegenstand intensiver und sehr persönliche Weise Wege der Inte- Erörterungen mit den Eltern zu sein, denen gration zu suchen. In manchen Lebenspha- der dahinter steckende grundsätzliche Los- sen verlaufen diese Wege parallel, in ande- lösungsprozess ihres Ältesten vom Juden- ren kreuzen sie sich oder bilden einen tum Angst macht. Aby antwortet seiner gemeinsamen Strang. Ihren Ausgangspunkt Mutter im Januar 1887 ausführlich auf dies- aber nehmen sie in jenen Jahren, die die bei- bezügliche Einwände: „Was Du mir, liebste den Brüder erstmals fern vom Elternhaus Mama, von dem schreibst, was mit dem An- und – teilweise – der schützenden Umge- dersessen wegfallen würde, so muß ich Dir bung jüdischer Netzwerke verbringen. bemerken, daß Du mir Unrecht thust. Daß ··································································· ich Jude bin, schäme ich mich ganz und gar- Aby beginnt an der Rheinischen Friedrich- nicht, sondern suche im Gegenteil den An- Wilhelms-Universität Bonn das Studium deren zu zeigen, daß Vertreter meiner Art der Archäologie und Kunstgeschichte. Bonn wohl geeignet sind, sich nach Maßgabe ih- war seit Mitte des 19. Jahrhunderts Ausbil- rer Begabung als nützliche Glieder in die dungsort der preußischen Prinzen und an- Kette der heutigen Cultur- und Staatsent- derer Angehöriger der Aristokratie; es galt wicklung einzufügen“.16 als „feudal“. „Hoffentlich“, schreibt Moritz ··································································· Warburg, „wird unser lieber Aby jetzt den „Einfügen“ ist das Stichwort. Voller Be- richtigen Weg weitergehen und in kindli- geisterung taucht Aby ein in die Welt der cher Liebe so fortleben, wie er es in seinem Studenten – in die Welt der echten Männer.

| 22 | Er bewegt sich in einem Kreis Hamburger sich im schwerblütigen Norden überhaupt Studenten, die offensichtlich die Gepflo- keine Vorstellung. Wenn so ein braver Ham- genheiten einer studentischen Verbindung burger Philister, im wohligen Gefühl seiner angenommen haben, in der man sich mit polizeilich beglaubigten Tugendhaftigkeit, „Lieber Leibfuchs“ anredet.17 Ein Gruppen- plötzlich hier in den Carnevalsstrudel ver- foto aus dem Wintersemester 1887/88 zeigt setzt würde, ihm schlügen die Haare über ihn in dieser Gruppe, zu der unter anderem dem Kopf zusammen und seine Hände Johannes Sieveking, Georg Melchior (der äl- stünden ihm zu Berge (…). Sonntag waren tere Bruder des Juristen Carl Melchior, der wir … in Köln und zwar als 5 Schornstein- 1902 in die Warburg-Bank eintreten und feger, die zusammen an einer zusammenleg- 1911 ihr Generalbevollmächtigter werden baren Leiter herumschleppten und exercier- sollte), John Hertz, Wilhelm Kiesselbach, ten; wir sahen sehr komisch aus: ganz Paul Ruben gehörten; auch Harry Graf schwarz, bis über den Kopf durch die Ka- Kessler schließt sich „dem Kreis“ zeitweise puze verhüllt, nach der Größe sortiert, … an. Das Besondere: Im Hamburger Kreis mit weißen Glaces und Halbmaske“.20 Auf spielt, anders als sonst in Studentenverbin- der anderen Seite wird den Eltern immer dungen, die Konfession keine erkennbare schmerzlicher bewusst, wie sehr sich ihr äl- Rolle – seine Mitglieder entstammen so- tester Sohn immer mehr vom Judentum wohl jüdischen als auch konservativ-protes- entfernt: Als die Eltern anfragen, ob er zum tantischen Elternhäusern. „Hamburg und Laubhüttenfest nach Hause kommen die Herkunft aus der Oberschicht der Stadt werde, lehnt er ab.21 Die Mutter gibt nicht fungierte als gemeinsamer Nenner des Mit- so schnell auf und hält ihm vor, dass der Va- einanders, der einen gefährlichen, feindse- ter sich noch nicht damit abgefunden habe, ligen Antisemitismus nicht aufkommen bei seinen Söhnen alles verloren zu sehen, ließ.“18„14. Mai: Bier, Sekt (Stiftungsfest), woran sein Herz hänge: „Er hat Dir – für Bowle“, notiert er im Tagebuch. „15. Mai: seine Grundsätze – schon weitgehende Con- Katerstimmung.“19 Der Wein fließt in Strö- cessionen gemacht und wird, wie ich vo- men, Wurstwaren und Butter werden von raussehe, auch bei Max und Paul stellen- der Mutter, Zigarren in Hunderter-Gebin- weise nachzugeben sich gewöhnen müssen. den vom Vater nach Bonn geschickt und zü- Während ich mehr mit den Verhältnissen gig konsumiert. Gründlich studiert man die rechne, die Umstände und Persönlichkeiten Lokale in Bonn und der näheren Umge- in Betracht ziehe, vollzieht sich bei Papa nur bung. Noch heute wirkt das Vergnügen unter wahrhaftem Kummer und vielfachen Abys bei der Schilderung von Ausflügen auf Aufregungen alles, was in dieser Beziehung den Petersberg, nach „Altenaar“ [Altenahr, nachgeben heißt.“22 Aby lässt sich nicht er- KM], nach Beuel zum Billardspielen anste- weichen – sein Weg wird aus dem Judentum ckend. Seine Formulierungskunst ist schon hinausführen. Immerhin – die Ferien ver- damals ausgeprägt. Besonders imponiert bringt man gemeinsam in Ostende. dem Hamburger der rheinische Karneval: ··································································· „Den Carneval habe ich gründlich mitge- Während Aby das Studentenleben in vol- macht“, schreibt er seiner Mutter Ende Feb- len Zügen genießt und gleichzeitig immer ruar 1887. „Was das heißt, davon macht man glücklicher wird mit der Wahl seiner beiden

| 23 | Fächer Kunstgeschichte und Archäologie, adlige Welt der deutschen Führungsschich- überlegt Max, ob ein Bankier nicht „der ten“ und Ausweis der Elitezugehörigkeit.26 Menschheit nützen kann, ohne sie auszu- Voraussetzung ist zunächst, dass man sich pumpen, ob er nicht den Vorteil der Welt als Einjährig-Freiwilliger meldet, sein Mili- auch zu seinem Vorteil machen kann“.23 tärjahr selbst finanziert und sich im Manö- Was aus heutiger Sicht wie ein naiv-roman- ver bewährt. Danach kann man durch Zu- tischer Jugendtraum klingt, wird sich zu ei- wahl in den Kreis der Offiziere aufgenom- nem Lebensthema entwickeln. Max War- men werden. Juden bleibt dies jedoch in der burg hört lebenslang nicht auf, über die Regel verwehrt. Trotz aller Proteste des Frage nachzudenken, wie er das Gemein- „Central-Vereins deutscher Staatsbürger jü- wohl nach Kräften befördern könne, und er dischen Glaubens“ vor dem Reichstag und findet seine ganz persönliche Antwort auf immer wieder aufflammender öffentlicher diese Frage. Zunächst aber erlernt er das Diskussionen existiert die militärisch-gesell- Bankgeschäft von der Pike auf. Zwei Jahre schaftliche Diskriminierung im deutschen lang, während derer er bei den Großeltern Kaiserreich fort. Nur in Bayern hatte es ganz Oppenheim wohnte, geht er beim Frankfur- vereinzelte Ausnahmefälle gegeben. Max ter Bankhaus J. Dreyfus & Co. in die fühlt sich ausgesprochen wohl in seinem Lehre.24 Danach folgt die erste Auslandssta- Kavallerie-Regiment. Er lebt auf großem tion: Sechs Monate arbeitete er beim Bank- Fuß, „gibt ein Schweinegeld aus“, wie sein haus Wertheim & Gompertz in Amster- jüngerer Bruder Fritz kolportiert,27 und dam. „In dieser Stellung hatte ich meinen identifiziert sich völlig mit der von Diszip- ersten geschäftlichen Erfolg: ich konnte der lin und Corpsgeist geprägten Welt. Wie sein Firma M. M. Warburg & Co. die Korres- Bruder Aby im Kreis der Studenten, erlebt pondentenstellung der Niederländischen er hier zum ersten Mal, dass die Leistung des Bank im Ausland sichern“, erinnert sich Einzelnen, nicht die Zugehörigkeit zu einer Max. „Im übrigen gewährte mir Holland die Religionsgemeinschaft oder gar Rasse, zählt. Gelegenheit, die Kunstgalerien gründlich Nach einem Jahr ist er Vizefeldwebel und – kennen zu lernen. Nie mehr habe ich ein als einer von dreien unter siebzehn „Einjäh- Museum so aufmerksam studiert wie das rigen“ – Offiziersaspirant. Er entwickelt Rijksmuseum und das Mauritshuis.“25 starke patriotische Gefühle, will, wie viele ··································································· Juden damals, vor allem ein guter Deut- Im Oktober 1888 aber beginnt ein anderes scher sein. In einem sechzehn Seiten langen Leben: Max tritt voller Begeisterung seinen Brief legt der Zweiundzwanzigjährige dem Militärdienst an – freiwillig, denn er ist auf Vater einen neuen Lebensplan dar: Er will dem linken Ohr fast taub, was er verheim- Berufsoffizier werden. Die Firma, die Fami- lichte. Er wählt das III. Bayerische Che- lientradition, das „gemachte Nest“ treten in vauxleger-Regiment in München: Warum den Hintergrund gegenüber der tiefen ausgerechnet München? Max strebt den Sehnsucht nach Akzeptanz. Vater Moritz ist Rang eines Reserveoffiziers an. Das Reserve- entsetzt. Er antwortet kurz, aber prägnant offizierspatent stellt im deutschen Kaiser- und den Sohn mit einem einzigen Wort an reich ein wichtiges Statussymbol dar. Es ist seine Wurzeln und die gesellschaftliche Rea- die „Eintrittskarte in die militärische und lität erinnernd: „Mein lieber Max, me-

| 24 | Max bei der Kavallerie (1888 oder 1889) schugge. Dein Dich liebender Vater.28 Mo- Vater rundweg ab. Ich lernte bald einsehen, ritz sollte recht behalten: Max wird gegen wie recht er damit hatte.“29 Moritz aktiviert den (nichtjüdischen) Enkel eines Ministers seine internationalen Verbindungen und mit gleichen Ambitionen ausgetauscht. Der lenkt die Schritte des Sohnes auf vertrautes, Traum von der Karriere beim Militär ist aus- internationales Territorium zurück: Er ver- geträumt. In seinen Lebenserinnerungen schafft ihm für das Jahr 1890 eine Beschäf- überspielt er seine Verletztheit mit zwei dür- tigung als Sekretär bei der Banque Impériale ren Sätzen: „Eine Anwandlung, die aktive Ottomane in . Offizierskarriere einzuschlagen, wies mein ···································································

| 25 | Es kann kein Zufall sein, dass Aby zur glei- tung: „Mich beherrscht doch noch immer chen Zeit sehr ähnliche Erfahrungen macht. dieser – eigentlich jämmerliche – Wunsch, Zuvor aber geht er mit einer neunköpfigen unter stillschweigender Anerkennung aller Studentengruppe unter Anleitung des Bres- Menschen mit denen ich zu thun habe, lauer Ordinarius August Schmarsow für meine Wege (in ehrlicher Arbeit, wie ich zwei Monate nach Florenz. Aus Schmarsows weiß) zu gehen. Finde ich doch nun auf im Palazzo Ferroni und in seiner Wohnung Schritt und Tritt, daß unser mit Recht so be- abgehaltenen Lehrveranstaltungen erwächst liebtes deutsches Volk sich, mit obrigkeitli- das bis heute bestehende renommierte cher Erlaubnis jetzt so recht darin gefällt, je- Kunsthistorische Institut in Florenz. 1897 den Juden zuerst einmal als einen fremden wird es in der Privatwohnung des Leipziger Eindringling von zweifelhaften Manieren Professors Heinrich Brockhaus, den man anzusehen, so bin ich deprimiert. (…) Die zum ersten Direktor ernannt hatte, eröffnet. Verhandlungen in der Commission des Aby führt in Florenz Ende 1888 den Vater ei- Reichstags sind auch nicht erfreulich: Mag nes Bonner Kommilitonen, den angesehe- immerhin keine offizielle Bestimmung be- nen Hamburger Kaufmann und Senator stehen, daß Juden nicht zu Reserveoffizieren Adolph Ferdinand Hertz und dessen Toch- gemacht werden: man hat doch alles eher als ter Mary durch die Uffizien. Aby und Mary den guten Willen, den Einzelnen anzuer- finden sich mehr als sympathisch – und be- kennen; nur das wäre doch wirklich der ein- ginnen einen intensiven Briefwechsel. Zum zige Weg, praktisch ein gesellschaftliches Wintersemester 1889/90 wechselt Aby an die Durchdringen anzubahnen: man merkt Universität Straßburg. Sie war nach dem doch an allem, daß man es mit Parvenus des Deutsch-Französischen Krieg und der An- Nationalgefühls zu thun hat, die sich ihrer nexion Elsass-Lothringens durch das Deut- selbst noch nicht sicher sind: ‚Es muß bes- sche Reich 1872 als „Kaiser-Wilhelm-Uni- ser werden!’“31 versität“ neu gegründet worden mit dem ··································································· erklärten politischen Ziel, ein „Bollwerk des Es berührt auch heute noch, wie offen der deutschen Geistes“ zu errichten – galt den- dreiundzwanzigjährige Aby seiner Mutter noch als modern und vergleichsweise libe- das Herz ausschüttet. Er fühlt sich ausge- ral.30 Hier in Straßburg wird er offenbar grenzt. Wie hat es der 1922 ermordete Wal- zum ersten Mal mit offenem Antisemitis- ther Rathenau formuliert: „In den Jugend- mus konfrontiert. Mehrmals am Tag hört er, jahren eines jeden deutschen Juden gibt es wie er der Mutter in einem Brief vom 25. einen schmerzlichen Augenblick, an den er November 1889 berichtet, auf der Straße sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ers- hinter seinem Rücken: „Desch ischt e Jud“, ten Male voll bewußt wird, daß er als Bür- was ihm schmerzlich bewußt macht, dass ger zweiter Klasse in die Welt getreten ist sein Aussehen „einen sehr ausgesprochen und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst orientalischen Anstrich“ haben muss. Die ihn aus dieser Lage befreien kann.“32 Es ist, Folge sei, dass man sich „ganz mit sich selbst vor allem im Rückblick, eine tragische Si- auseinanderzusetzen“ habe. „Dabei wird tuation. Aby wird daraus, wie wir noch se- man freilich nicht lebensfreudiger.“ Denn, hen werden, sein Lebensthema entwickeln: so konstatiert er in kluger Selbstbeobach- „Mir kommt oft der Gedanke, mich später

| 26 | praktisch der Lösung der Judenfrage zuzu- zum Kernthema seiner wissenschaftlichen wenden: hat man das Recht, sich vom Le- Arbeit werden. ben fernzuhalten?“ Der Vater antwortet mit ··································································· dem Hinweis, glücklicherweise gäbe es „hier Doch noch ein zweiter Aspekt verleiht die- bei uns in Hamburg keinen Boden für der- ser frühen Studie Warburgs historische Be- artige Gemeinheiten“.33 deutung: Während der Arbeit macht er, auf ··································································· den Spuren Jacob Burckhardts, die Entde- Charlotte Schoell-Glass hat beschrie- ckung, dass er weiter kommt in der Inter- ben, wie hinter allen professionellen und pretation von Kunstwerken, wenn er die kulturpolitischen Aktivitäten Abys dieser Umstände ihrer Entstehung genau kennt. eine Gedanke als roter Faden immer wieder Aby ist Hamburger, ist Kaufmannssohn. aufblitzt: die „Judenfrage“. Zu ihrer Lösung Der Sinn fürs Praktische, für die Realien des wird Aby ein ganzes wissenschaftliches Ge- Lebens ist ihm in die Wiege gelegt. Mit die- bäude errichten, an dessen Fassaden die sem Sinn erkennt er, dass Kunst nicht der Worte „Nachleben der Antike“ und „Mne- Gegensatz zum Alltag, nicht eine an die mosyne“ zu lesen sind; im Inneren aber wird Würdeformel des Museums gebundene er mit großer Intensität versuchen, den Ausnahmeerscheinung ist. Dass er ausge- Keim zu einer neuen Geisteshaltung zu ent- rechnet in Florenz zu dieser Überzeugung wickeln. Es wird ihm dabei nicht nur um kommt, ist kein Zufall: Die Stadt war, ganz das eigene Ich, um eine Suche nach der ei- ähnlich wie die Freie und Hansestadt Ham- genen Identität, sondern um eine allge- burg, die meiste Zeit ihrer Geschichte eine meine, gesellschaftliche Perspektive gehen. Stadtrepublik. Kaufleute wie die Medici Sein Interesse gilt der – an keine historische hatten große Vermögen gemacht, und sie in- Epoche gebundene – Frage, wie man primi- vestierten großzügig in Bauten, Gemälde tiven Instinkten eine zivilisatorische Kraft und Skulpturen. Reine Repräsentation ist entgegensetzen kann, die diese im Zaum allerdings nicht ihre Sache. Auch die Inves- hält. Die Metapher vom „Denkraum der tition in Kunst muss irgendwie gewinnbrin- Besonnenheit“ wird eine seiner Antworten gend sein. Diese neue, aus einer spezifisch auf diese Frage sein. Zunächst aber schließt hanseatischen Disposition entwickelte Fra- Aby in Straßburg bei Hubert Janitschek gestellung bringt Aby zu einem entscheiden- seine Ausbildung ab. Seine 1892 eingereichte den neuen Ansatz: „Was hat die Kunst mit Dissertation befasst sich mit Botticellis be- dem wirklichen Leben zu tun?“ wird von nun rühmten Gemälden „Die Geburt der Ve- an die Frage sein, die ihn umtreibt. Anstatt nus“ und „Frühling“. Sie gelten ihm als Kar- sich auf Künstlerviten und Museumskata- dinalbeispiele für die neue Erkenntnis, dass loge zu beschränken, untersucht er die Rech- die Künstler der Renaissance bei ihrer Wie- nungsbücher, Medizinschriften, Beschrei- derbelebung der Antike nicht etwa nach bungen von Theateraufführungen und Um- „edler Einfalt und stiller Größe“, sondern zügen sowie Horoskope der Zeit. Und er im Gegenteil nach heftigen Emotionen ge- wird damit überwältigende Forschungser- sucht haben. Die Frage, welche Aspekte der folge erzielen. Antike ausgewählt werden, wenn man sie ··································································· Jahrhunderte später zitiert und variiert, wird Öfters war es in den letzten Jahren zu Be-

| 27 | suchen Abys bei der Familie von Mary Hertz Mitglied der Seemannskasse, der Auswan- in der Ernst Merck-Str. 28 gekommen. Die dererdeputation und der Bürgerschaft. zahlreichen Briefe, die seit ihrem ersten ··································································· Kennenlernen gewechselt wurden, geben Dass Aby nach der Promotion zunächst Aufschluss über eine sich stetig intensivie- einmal in Berlin beginnt, Medizin zu studie- rende Liebe, die auch vom geistigen Aus- ren (mit Schwerpunkt Psychologie), mag tausch lebte. Selbst künstlerisch tätig, eine Konzession an die Familie sein. Aber nimmt Mary intensiv teil an seiner Arbeit, dieses Studium ist nur ein Intermezzo. Im fühlt sich sogar für seine Karriere verant- November 1892 erreicht ihn der Einberu- wortlich. Am 26. September 1892 verloben fungsbefehl. Aby leistet seinen Militärdienst sich beide heimlich, und die damals sechs- als „Einjähriger“ nicht in Bayern, sondern undzwanzigjährige Mary berichtet Aby beim 1. Badischen Feldartillerieregiment Nr. kurze Zeit darauf, dass sie seinen Ring im- 14 in Karlsruhe ab. Eine Flut ausgesprochen mer trüge – aber aufpassen müsse, dass ihn unterhaltsamer, vor allem an die „Liebe niemand sähe. Beide leiden unter der vor- Mutting“ gerichteter Briefe erreicht die Fa- läufigen Aussichtslosigkeit dieser Bezie- milie in Hamburg, die ausführlich von den hung, was Abys Gemüt eher verdunkelt. Im- Qualen und Mühen eines jungen Intellek- mer wieder zögert er, einmal löst er die tuellen berichten, der plötzlich körperlich Verlobung sogar wieder. Mary aber gibt mit gefordert ist. Vor allem das Reiten bereitet dem Hinweis auf ihr unbeirrbares Gottver- dem nur 1,60 Meter großen Aby gewaltige trauen und ihre Geduld immer aufs Neue Probleme; mit seinen kurzen „Stengeln“ die Richtung an.34 Für die Väter der beiden, kommt er kaum aufs Pferd und fällt an den vor allem aber für Moritz Warburg, kommt ersten beiden Tagen sechsmal herunter; eine Legalisierung gar nicht in Frage – nie- Mitteilungen an die Eltern unterschreibt er mand aus der Familie Warburg hatte bisher mit „Kurzbein“.36 Den Unteroffizieren hält einen Nicht-Juden oder eine Nicht-Jüdin er Vorträge über Kunstgeschichte, die ihm geheiratet. Anders verhält es sich mit Marys dafür den Dienst erleichtern.37 Wie Max ge- Familie, die eigentlich ebenfalls jüdischen nießt aber auch Aby letztlich das Aufgehen Ursprungs ist. Marys als Überseekaufmann in einer Welt, in der das tägliche Leben von und Reeder überaus erfolgreicher Großvater männlicher Disziplin geprägt ist. Auch er Adolph Jacob Hertz hatte sich 1822 luthe- wird – obwohl gegen Widerstände, die auch risch taufen lassen:35 ein Umstand, der aber antisemitische Untertöne tragen – zum Un- jetzt nicht als Argument in die Waagschale teroffizier befördert; vom Reserveoffizier geworfen werden kann. Im Gegenteil unter- aber kann gar keine Rede sein. Am 1. No- nimmt man offenbar alles, um die einmal vember 1893 wird er entlassen, und wie bei errungene gesellschaftliche Position als ge- seinem jüngeren Bruder schließt sich eine achtetes Mitglied des hanseatischen Bürger- längere Periode im Ausland an. Sie sollte, mit tums nicht wieder zu gefährden. Marys Va- Unterbrechungen, rund zehn Jahre dauern. ter Adolph Ferdinand war seit 1872 Senator ··································································· und bekleidete zahlreiche Ehrenämter und Max genießt seine Wanderjahre. Zwei auf- Positionen – unter anderem war er Präses schlussreiche Anekdoten aus jener Zeit cha- der Commerzdeputation, Handelsrichter, rakterisieren seine damaligen Lebensum-

| 28 | Aby (rechts) beim Militärdienst (1892 oder 1893) stände, aber auch seinen Status als Kron- am Ende des Monats mein Budget wieder prinz auf das Schönste. Sie sind zu Famili- ausgeglichen war. Daraufhin kehrte ich enlegenden geworden. Die erste ähnelt einer prompt in die üppige Wohnung Rue de Té- Opernszene aus „La Bohème“: Vater Moritz héran zurück, wo mich der übers ganze Ge- lässt ihm, was die Höhe des Budgets für den sicht strahlende Diener wie den verlorenen eigenen Lebensunterhalt betrifft, im Prinzip Sohn bewillkommnete.“38 Im folgenden freie Hand. „Allmonatlich aber gab ich bei Jahr volontiert Max bei N. M. Rothschild & weitem mehr aus als ich erhalten hatte. Ich Sons in . Fast jedes Wochenende schämte mich dann, nochmals zur Bank zu aber reist er, seinem Ruf als Womanizer alle gehen. Ich hatte eine zweite Wohnung im Ehre machend, nach Paris, um am Montag- Quartier Latin, zusammen mit dem mit mir mittag wieder bei Rothschilds zu erschei- befreundeten Maler Horsfall. Dort lebte ich nen. Hiervon handelt die zweite Geschichte: also während der Tage der Leere sehr einfach „Ein Hamburger Freund berichtete meinem – aber darum nicht weniger glücklich –, bis Vater, er habe mich in Paris getroffen, vor-

| 29 | Bankhaus M.M. Warburg & Co. in der Ferdinandstraße 75

| 30 | züglich aussehend und in glänzender Laune. Möglichkeit gab es nicht – Max gewöhnte Mein Vater schüttelte den Kopf: ‚Das muß sich in London ein. Krönender Abschluss ein Doppelgänger gewesen sein, denn mein der Ausbildung sollte eine Weltreise sein, die Sohn ist in London. Der andere aber war Max zusammen mit seinem Freund Paul von seiner Behauptung nicht abzubringen Kohn-Speyer unternehmen wollte. Die bei- und wettete schließlich mit meinem Vater den kannten sich aus London, wo Kohn- um zwanzig Mark. Der Vater forderte mich Speyer Seniorteilhaber der Firma Brandeis, auf, ihm eine Bestätigung zu schicken, da- Goldschmidt & Co., eines bedeutenden mit er seine zwanzig Mark einkassieren Metallhandelshauses, war. Mitten aus den könne. Mir blieb nichts übrig, als ihm zu Vorbereitungen heraus muss die Reise je- schreiben, daß ich ‚zur Erledigung dringen- doch abgesagt werden: Der Vater braucht der Angelegenheiten‘ an dem betreffenden dringend Unterstützung in der Bank. 1892 Tage in Paris gewesen war. Seine Antwort kehrt Max nach Hamburg zurück, um end- ließ nicht auf sich warten: Ich überlasse es gültig ins das Geschäft einzutreten. Und Dir, ob Du in London oder in Hamburg le- Bruder Paul geht an seiner Stelle auf Welt- ben willst; tertium non datur.“ Eine dritte reise.

·············································································································································· 15 Zitiert nach: Roeck, Warburg, S. 22. 16 Beides zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 235 f., vgl. auch ebd., S. 53 ff. 17 Vgl. Biester, Beruf, vor allem S. 56 ff. 18 Ebd., S. 58. 19 Zitiert nach: Roeck, Warburg, S.37. 20 Vgl. ebd., S. 28 ff. 21 Ebd., S. 58. 22 Zitiert nach: Ebd. 23 Zitiert nach: Hoffmann, Warburg, S. 24. 24 1939 wurde J. Dreyfus & Co. durch das Bankhaus Merck Finck & Co. „arisiert“; das Baseler Stammhaus der Firma besteht noch heute unter „Dreyfus Söhne & Cie. Aktiengesellschaft, Banquiers“. 25 Warburg, Aufzeichnungen, S. 11. 26 Hoffmann, Warburg, S. 26. 27 Ebd. 28 Zitiert nach: Chernow, Die Warburgs, S. 60. 29 Warburg, Aufzeichnungen, S. 11. 30 Roeck, Warburg, S. 66. 31 Zitiert nach: Schoell-Glass, Warburg, S. 254 f. 32 Rathenau, Staat, S. 188 f. 33 Zitiert nach: Chernow, Die Warburgs, S. 90. 34 Roeck, Warburg, S. 31; Mary Hertz an Aby Warburg. 26. August 1892: WIA, FC. 35 Hertz, Hertz, S. 708 f. 36 Vgl. Roeck, Warburg, S. 81 ff. 37 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). 38 Warburg, Aufzeichnungen, S. 12 f. ··············································································································································

| 31 | Max als junger Teilhaber der Bank

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Wie man sich in Hamburg eine Existenz aufbaut

Zwei Krisen hat Max gleich zu Beginn sei- ununterbrochen. Er will die Bank nach ner Tätigkeit als Prokurist in der Firma zu oben bringen, und er will in der hanseati- bewältigen: Die in St. Petersburg ansässige schen Gesellschaft eine Rolle spielen. Bank der Familie de Günzburg – über sei- ··································································· nen Onkel Siegmund mit ihnen verwandt – Zunächst geht auch er 1896, völlig über- ist in Schwierigkeiten geraten. Der risikobe- arbeitet, auf eine lange Reise nach Übersee; reite Junior gewinnt seinen vorsichtigeren sein Ziel ist Afrika. Er trifft den Präsidenten Vater und andere Finanziers dafür, das Haus der Südafrikanischen Republik Paul (Ohm) zu stützen. Die Sache geht gut aus – Jahre Krueger und besichtigt in Swasiland Zinn- später wird das Darlehen zurückgezahlt. Die minen. Bei der Heimkehr gibt es eine ange- Aktion verschafft ihm in der Finanzwelt ei- nehme Überraschung: Auf Ausritten hatte nen exzellenten Ruf. Dann bricht im August Max in einer Gegend, in der die Hambur- 1892 in Hamburg die Cholera aus. Während ger Familien schon lange ihre Sommersitze in Altona durch das Sandfiltrierwerk auf haben – in Blankenese –, ein zauberhaftes dem Kösterberg das Trinkwasser sauber und Grundstück entdeckt: wenn, dann dieses! die Bevölkerung praktisch verschont bleibt, Vater Moritz ist grundsätzlich bereit. Aber sterben in der Hansestadt etwa 8.000 Men- der geforderte Preis erscheint ihm viel zu schen. Pausenlos fahren Wagen mit Särgen hoch. Als einige Jahre später der damalige durch die Straßen, die Angestellten erhalten Besitzer seine Frau mit einem Liebhaber zunächst pro Kopf und Tag zwei Flaschen dort in flagranti erwischt, gibt er den alten Hennessy Cognac, den sie statt des verun- Sommersitz günstig ab. 1896 erwirbt Moritz reinigten Trinkwassers zu sich nehmen. Ein Warburg den „Kösterberg“ – vor allem, um paar Tage später dürfen sie ganz zu Hause im Sommer seine inzwischen weit verstreute bleiben. Der Hafen ist gesperrt. Unterstützt Familie dort um sich zu scharen. Die Rech- durch zwei Freiwillige arbeitet Max von nung wird aufgehen. Und Max hat endlich morgens sieben bis Mitternacht im Ge- sein Landhaus. Als man ihm mit 30 Jahren schäft: „Ich hatte das sichere Gefühl, immun jedoch die Möglichkeit bietet, in den Senat zu sein.“39 – 1893 kommt Bruder Paul von einzutreten, rät Moritz traurig ab, das sei der Weltreise zurück und wird ebenfalls Pro- nichts für Juden, so seine Reaktion, man kurist, während Max zum Teilhaber auf- würde Max nicht als ebenbürtig ansehen.40 rückt. In den folgenden Jahren arbeitet er ···································································

| 33 | Familie Warburg auf dem Kösterberg

Was tun nach abgeschlossener Disserta- ritorium der europäischen „Hochkultur“. In tion? Die Frage kann damals so ratlos dem Milieu aber, in dem Aby aufgewachsen machen wie heute. Aby ergreift im Septem- ist, ist es völlig normal, sich bei außereuro- ber 1895 die Gelegenheit, die Welt jenseits päischen Handelspartnern den Wind um der europäischen Kultur kennenzulernen. die Nase wehen zu lassen. Der Aufenthalt in Er reist zur Hochzeit seines Bruders Paul Übersee, in Südamerika oder Asien gehört mit Nina Loeb nach New York – ihr aus bis heute ganz selbstverständlich zur Ausbil- Deutschland stammender Vater Salomon dung hanseatischer Kaufmannssöhne. Eine Loeb ist ein schwerreicher Geschäftsmann ständige wachsende ethnografische Samm- und Bankier. Nachdem er den gesellschaft- lung bildet seit der Mitte des 19. Jahrhun- lichen Teil hinter sich gebracht hat, fährt er derts die weitreichenden Handelsbeziehun- nach Washington weiter, besucht dort die gen Hamburgs auch auf der Objektebene Smithsonian Institution und bricht dann in ab. Diese Sammlung ist unter dem Namen den Westen auf, um die Rituale der Pueblo- „Culturhistorisches Museum“ 1871–1878 in Indianer zu studieren. Aus akademisch- jenem Gymnasium untergebracht, das Aby kunsthistorischer Perspektive ist diese Reise zur gleichen Zeit besucht. eine höchst originelle Idee, ein ungeheurer ··································································· Schritt heraus aus dem eng begrenzten Ter- Abys Forschungsergebnisse sind unter der

| 34 | Überschrift „Schlangenritual“ inzwischen verstanden unter der Bedingung, dass beide vielfach publiziert und kommentiert wor- Parteien ihre Religionszugehörigkeit behiel- den. Nach seiner Rückkehr hält er im Lauf ten.42 Mary war inzwischen gelegentlich bei des Jahres 1897 zwei Vorträge in Hamburg den Geschwistern Abys eingeladen gewesen; und einen in Berlin über „Eine Reise durch wenn bei einer solchen Gelegenheit aber das Gebiet der Pueblo-Indianer in Neu-Me- Vater Moritz unerwartet das Haus betrat, xiko und Arizona“, einen in der Gesellschaft musste sie sich vor ihm verstecken. Nicht zur Förderung der Amateur-Photographie, nur in Fragen der Religion, sondern auch in den zweiten im „Amerikanistenclub“. der Mentalität stellt man Unterschiede zwi- ··································································· schen beiden Familien fest, so Max: „Das El- Danach zieht es Aby erst einmal zurück ternhaus Hertz war puritanisch, der einzige nach Florenz, wo er die Archive kennt, wo Luxus die rote Weinflasche. Alle Gänge ka- er seine Forschungen fortsetzen und auswei- men auf einmal auf den Tisch, aus Angst vor ten kann, wo er die Sprache inzwischen der Indiskretion der Dienstboten. Es war ziemlich gut beherrscht und wo er – klein das, was wir ungemütlich nennen als Stil.“43 und dunkel – überhaupt nicht auffällt. Er ist – Nun findet zunächst die offizielle Verlo- stolz, wenn man ihn für einen Italiener hält bung und im Oktober 1897 – nach neun und lebt, wie einst mit Max ausgemacht, von den regelmäßig aus Hamburg eintref- fenden Wechseln, deren Höhe immer mal wieder mit dem Vater verhandelt werden muss. Aby sei rücksichtslos und immer zu üppig gewesen, so Bruder Max in der Rück- schau, vor allem in Bücherankäufen, er habe aus dem Vater immer größere Summen he- rausgepresst.41 Für Literatur – auch kostbare Quellenwerke – gibt Aby so viel Geld aus, dass die Familie verständnislos den Kopf schüttelt und sich fragt, ob er das alles läse – aber darauf kommt es nicht an: Die Bü- cher sind nicht mehr nur Arbeitsmaterial, sondern sie bilden einen Organismus eige- ner Art. Doch obwohl man Abys Leiden- schaft nicht teilt und nicht recht versteht, nimmt die Familie – vor allem Bruder Max – an allem Anteil. In den gemeinsamen Sommerferien erläutert Aby ihm seine Pro- jekte. ··································································· Im April 1897 trifft endlich der ersehnte Brief ein: Marys Bruder John kann berich- ten, sein Vater sei mit der Verbindung ein- Aby in Adirondack (1895)

| 35 | konfliktreichen Jahren – die Hochzeit statt. mit seinem Vater: „Mein Vater betrachtete Die Trauung erfolgt auf dem Landhaus der eine Mischehe als ein Unglück und so muss- Familie Hertz außerhalb Hamburgs statt, te die Heirat gegen seinen Willen stattfin- die Eltern des Bräutigams bleiben ihr fern – den. Die Eltern wohnten der Hochzeit nicht sie treffen das junge Paar aber unmittelbar bei. Die Aufregung in Hamburg war natür- danach in Wiesbaden, wohin sie sich zu ei- lich eine grosse, nur wir Geschwister Paul, nem Kuraufenthalt begeben hatten. Max Nina [die Schwägerin, KM], Olga und ich Warburg erinnert sich an diese Zeit als eine waren als Vertreter der Familie bei Senator „zweite schwere Auseinandersetzung“ Abys Hertz und Frau. Kurz nach der Hochzeit

Humiskatchina-Tanz in Oraibi (1895)

| 36 | söhnten sich die Eltern dank des mildern- entgegensetzt. Die Liebe eben – am Tag den Einflusses der Mutter mit Aby wieder nach der Verlobung schreibt er Alice einen aus und die Schwiegertochter Mary wurde Brief, der mit den Worten „Für immer Dein von da an wie nur irgendeine Tochter von Dein Dein Max“ schließt.45 Drei Monate den Eltern verehrt und geliebt.“44 später wird im Hotel „Königlicher Hof“ in ··································································· der Altonaer Bahnhofstraße eine überaus Am 25. Dezember 1897 verlobt sich auch glanzvolle Hochzeit gefeiert: Ein zehngängi- Max – mit der sechs Jahre jüngeren Alice ges Menü, begleitet von sieben Weinen, of- Magnus. Sie ist eine Freundin der Familie, feriert von Kaviar bis Foie Gras alles, was gut speziell seiner Schwester Olga. Vater Moritz und teuer ist. Die Hochzeitsreise führt das wird erleichtert gewesen sein, denn wäh- junge Paar, das in Paris standesgemäß im rend sein ältester Sohn mit den Familientra- „Ritz“ absteigt, bis nach Sizilien. Nach ihrer ditionen bricht, verbleibt Max wenigstens Rückkehr beziehen Max und Alice (im Fa- äußerlich in dem Rahmen, den ihm seine milienkreis „Malice“ genannt) zunächst ein Herkunft vorgezeichnet hat. Alice ist Jüdin. kleineres Haus nicht weit vom Mittelweg Ihr Vater, ein Pelzhändler, war früh gestor- entfernt, in der Magdalenenstraße 68. Alice ben. Zurückgeblieben waren seine aus Russ- entwickelt gesellschaftlichen Ehrgeiz, ihre land stammende Frau Lola und neun Kin- Dîners sind legendär. 1898 wird das hun- der. Die Familie war verwandt mit Pius dertjährige Bestehen von M. M. Warburg & Warburg in Altona, dem Erben des Altonaer Co. gefeiert. Zum Jubiläum gründet die Bankhauses W. S. Warburg. Pius spielte im Firma für ihre 53 Angestellten einen Sozial- politischen und gesellschaftlichen Leben Al- fonds. tonas eine große Rolle. Er führte ein großes ··································································· Haus an der Palmaille, wo unter anderem Noch von Florenz aus macht sich Aby 1899 Johannes Brahms und Hans Christian An- in Hamburg einen Namen mit Veranstal- dersen zu Gast waren, er war Mäzen und ein tungen im Rahmen des breitgefächerten engagierter Kunstsammler. Mit Anfang zwan- „Allgemeinen Vorlesungswesens“: Aus dem zig geht Alice für drei Jahre zu ihrer Tante, „Akademischen Gymnasium“ erwachsen der Opernsängerin Helene von Hornbostel, und seit 1837 offiziell benannt, hatte sich mit nach Wien. Sie besucht Mal- und Zeichen- dem „Vorlesungswesen“ eine vor-universi- klassen (später wird man ihre Porträtkunst täre Einrichtung etabliert. Es vereinigte ver- rühmen) und taucht ein in das so viel glanz- schiedene wissenschaftliche Institute wie vollere Leben der vom kaiserlichen Hof ge- den Botanischen Garten, die Sternwarte, prägten Metropole. Obwohl eigentlich alles das Chemische Staatslaboratorium, das passt, erregt die Verbindung doch einiges Physikalische Staatslaboratorium, das Labo- Erstaunen, denn Alice ist mittellos. Wäh- ratorium für Warenkunde, das Institut für rend Max’ jüngerer Bruder mit der New Schiffs- und Tropenkrankheiten; 1908 wird Yorkerin Nina Loeb in den internationalen das Kolonialinstitut hinzukommen. Die Geldadel eingeheiratet hatte, wählte Max Direktoren dieser Einrichtungen waren zu die sprichwörtliche „arme Verwandte“, die öffentlichen Vorlesungen verpflichtet. Zu- zudem seiner charmanten Leichtlebigkeit sammen mit den für das „Vorlesungswesen“ ein streng-betuliches, diszipliniertes Wesen berufenen Dozenten bildeten sie einen

| 37 | Moritz Warburg und seine vier Söhne Paul (links), Aby und Max, darüber Felix

| 38 | | 39 | Aby und Mary (1897)

| 40 | Aby und Mary in Florenz (ca. 1900)

„Professorenkonvent.“ Der lockere Verbund 1899 im Hörsaal A des Johanneums an drei bot nicht nur Laien, sondern auch speziel- Tagen Vorträge über an. len Berufskreisen wie unter anderem Phar- Ihre Manuskripte haben sich, sorgfältig von mazeuten, Verwaltungs- und Zollbeamten Mary abgeschrieben und auf beinahe jeder und selbstverständlich Kaufleuten Aus- Seite rechts oben mit dem fürsorglichen und Weiterbildungsmöglichkeiten. 1895 be- Hinweis „langsam!“ versehen, im Archiv des schloss Werner von Melle, damals Mitglied Londoner Warburg Institute erhalten. Die des Präsidiums der Oberschulbehörde (und Leonardo-Veranstaltungen finden ein über- später Zweiter sowie Erster Bürgermeister raschendes Echo: Schon eine halbe Stunde der Hansestadt), die Neuordnung des „All- vor Beginn der Vorlesung, so berichtet die gemeinen Vorlesungswesens“. Dieses prä- Presse am Tag darauf, ist der etwa 200 Per- sentierte seitdem ein akademischen An- sonen fassende Hörsaal so überfüllt, dass spruch mit pragmatischem Nutzen verbin- man in die Aula umziehen muss.46 Einen dendes Tableau, in dem sich Aby eine aktive Sondertermin bietet er in der Kunsthalle an, Rolle vorstellen kann. Immer wieder denkt wo er seinem Publikum anhand der dort er in den Jahren nach seiner Promotion da- verwahrten Zeichnungen und Kupferstiche rüber nach, wie diese Rolle aussehen die Begegnung mit Originalen ermöglicht. könnte. Und regelmäßig diskutiert er diese Die gewünschte feste Anstellung in Ham- Frage mit Bruder Max. burg, etwa in der Kunsthalle, ergibt sich aus ··································································· dieser Aktivität zwar nicht: Aby hatte Kunst- Zunächst bietet er im Wintersemester hallendirektor schon frü-

| 41 | Max, Alice und Sohn Erich (1900)

| 42 | her zu verstehen gegeben, dass seinen „rein tatsächlich belastet zu diesem Zeitpunkt, theoretischen Forschungen“ in Italien das vertraut er einem Brief an, den er an seinen „Gegengewicht praktischer Bethätigung im drei Monate alten Sohn richtet und den die- eigenen Land“ fehle.47 Daraufhin bietet die- ser Jahrzehnte später in einem dicken Leder- ser ihm eine Stelle als Assistent des Direk- band entdecken wird:51 „Warum ich Dir ge- tors an. Eine solche untergeordnete Tätig- rade solches schreibe, wo Du noch nicht keit ist jedoch mit Abys eigenständigen drei Monate alt bist? Weil gerade jetzt um wissenschaftlichen Ambitionen nicht kom- Dich herum in der Welt Selbsttäuschung patibel. Der damals Vierunddreißigjährige und Lüge ihr Spiel treiben: Der Kaiser sen- schlägt Lichtwark im Gegenzug vor, ihn mit det seine Truppen nach China, wo seine der Neuordnung und Publikation der Missionäre den Glauben der Liebe verkün- Handzeichnungen und Kupferstiche zu be- den sollten und schwört Rache für die Er- trauen – auch, damit er in einem freieren mordung seines Gesandten in Peking. Der Beschäftigungsverhältnis seine Florentiner Czar, welcher die Friedensconferenz im Studien weiterführen kann.48 Leider liegt Haag einberufen, begeht Treubruch gegen weder den Entscheidungsträgern – der die Finnländer. Engländer und Buren beten Kommission für die Verwaltung der Kunst- zum gleichen protestantischen Gott der Ge- halle – noch dem Direktor selbst etwas an rechtigkeit, daß er ihnen Waffenglück gebe der Beschäftigung eines weiteren Wissen- und töten sich in christlicher Liebe. Wir schaftlers – und schon gar nichts an einer sind in einer Zeit des historischen Rück- kostspieligen Publikation. Die Pläne zer- schritts: Chauvinismus und Religionsfana- schlagen sich im Herbst 1900. Auch zwei tismus regieren die Welt; da muß jeder Ein- Besuche an der Kieler Universität, um sich zelne sich stärken, um nicht angesteckt zu dort als Privatdozent vorzustellen, bleiben werden und dazu beitragen, daß diese trau- ohne Ergebnis.49 Dennoch erwirbt Aby mit rige Wellenbewegung nur eine kurze sei. diesen und anderen Vorträgen in den fol- Schon wankt die Rechtsprechung (in Frank- genden Jahren von Florenz aus in seiner reich: Fall Dreyfus, in Deutschland: Fall Ri- Heimatstadt eine Reputation, die ihm die tualmord Konitz), da heißt es Kräfte sam- vollständige Wiedereingliederung in den meln, Rückgrat haben: d’rum trinke fix: hanseatischen Kosmos später erleichtern Milch, Milch und nochmals Milch, dann wird.50 wird die Harmonie, die ich Dir wünsche, ··································································· weil sie der Welt fehlt, nicht ausbleiben!“52 Am 15. April 1900 bringt Alice Warburg ei- ··································································· nen Sohn zur Welt, er erhält den Namen In dieser eigentlich leichthändig-humorvoll Erich Moritz. Ein Stammhalter ist da, alles formulierten Lebensanweisung ist die Ma- scheint perfekt zu laufen für Max und seine xime „Sich selbst Durchringen zur Selbster- Frau. Die Firma prosperiert – was nicht zu- kenntnis, und selbst schaffen durch sein letzt den inzwischen weitgespannten Fami- eigenes Ich“ von zentraler Bedeutung. Sie lienbanden zu verdanken ist. 1900 kann die erinnert an Aby Warburgs Wort von der Bank Reichsschatzanweisungen in Höhe „Leistung des Einzelnen“, an der jedes Indi- von 80 Millionen Mark in den USA platzie- viduum gemessen werden solle. Es ist eben ren. Was den erfolgreichen Bankier jedoch nicht mehr die Fortsetzung einer Familien-

| 43 | Die „Arche“ auf dem Kösterberg tradition, die Existenz innerhalb des (jüdi- tot aufgefunden worden. Seine Gliedmaßen schen) Schutzraumes, die Aby wie auch Max hatte man säuberlich abgetrennt, die Wir- Rückhalt gibt. Beide glauben an die Mög- belsäule durchgetrennt. Sofort fiel der Ver- lichkeit, sich als deutsche Juden durch indi- dacht auf den ortsansässigen jüdischen viduelle Leistung eine neue Identität er- Schächer. In der Presse kam das böse Wort schaffen zu können. Hier, ganz im Privaten, vom „Ritualmord“ auf, womit eine seit dem lässt Max erkennen, dass seine Position noch Mittelalter immer wieder zur Diffamierung lange nicht gefestigt ist, dass er noch immer der jüdischen Bevölkerung verwendete aus einer Defensive heraus agiert, der Gräuellegende neue Nahrung erhielt. In der schmerzliche Erfahrungen vorausgehen. ganzen Region wuchs sich daraufhin antise- Sorgen macht ihm sowohl die außenpoliti- mitische Propaganda zu regelrechten Pogro- sche als auch die innenpolitische Lage. In men aus. Juden mussten um ihr Leben Frankreich ist es die bekannte Dreyfus-Af- fürchten, die Konitzer Synagoge brannte färe, in Deutschland der „Ritualmord Ko- aus, die Situation eskalierte und war nur nitz“, der Max – wie viele andere Juden – noch durch fünfhundert preußische Solda- beunruhigt. Ritualmord – das Wort weckt ten unter Kontrolle zu bringen, die in dem auch heute noch ungute Assoziationen. Was kleinen Ort Stellung bezogen. Bis heute ist war geschehen? Im westpreußischen Nest der Mörder unbekannt. – Die Konitzer Vor- Konitz, etwa 130 Kilometer südlich von fälle und ihre propagandistische Aus- Danzig gelegen, war am 11. März 1900 auf schlachtung versetzen selbst dem grundsätz- einem noch gefrorenen See ein junger Mann lich optimistischen Max einen Stoß. Sie

| 44 | führen dem damals Vierunddreißigjährigen ger, die in der jüdischen Bevölkerung noch deutlich vor Augen, dass unter der Decke immer ein fremdes Element sehen, das der Zivilisation noch immer atavistische einem nicht geheuer ist. Bereits hier setzt er und destruktive Kräfte von ungeahntem gegen die irrationalen „primären Instinkte“ Ausmaß aktiv sind. Auch das Christentum ein Konzept, das er später einprägsam mit als „Religion der Liebe“, so schlussfolgert dem Schlagwort „Denkraum der Besonnen- Max, mache die Welt nicht zu einem besse- heit“ betiteln wird. ren Ort. Angesichts dieser fast physische Di- ··································································· mensionen annehmenden Bedrohungen ist Gegen die Bedrohung von außen hilft Ar- es vielleicht kein Zufall, dass man das alte beit. Aby sitzt mit Frau und Tochter Ma- Holzhaus auf dem Kösterberg-Grundstück rietta in Florenz und baut seine Bibliothek „Arche“ nennt. aus. Seine halbherzigen Versuche, im quasi ··································································· von ihm mitbegründeten, zunächst privaten Das Wiederaufflackern uralter Vorbehalte Kunsthistorischen Institut irgendwie Fuß zu Juden gegenüber wird in den Gesprächen fassen (heute ist es ein Max-Planck-Insti- der Brüder häufig Thema gewesen sein: tut), hatten nicht den gewünschten Erfolg Auch in den Aufzeichnungen von Aby hat gebracht – was auch an seiner damals schon der „Fall Konitz“ Spuren hinterlassen. Auf schwierigen, manchmal zwanghafte Züge einem von ihm selbst mit den Angaben aufweisenden Persönlichkeit gelegen haben „Konitz“ und „1900“ versehenen Blatt Pa- mag. Zudem sitzt seit 1897 Heinrich Brock- pier entwirft er einen Text, der durch viele haus auf dem Direktorenposten, den Aby Ausstreichungen und Verbesserungen nur überhaupt nicht schätzt. Für das Biblio- schwer im Zusammenhang lesbar ist; viel- theksprojekt benötigt er mehr Mittel. Schon leicht war er als Entwurf für einen Leserbrief im Juni 1900 deutet er in einem Brief an gedacht. Das Blatt dokumentiert einen Max die Idee an, „meine Bibliothek dem Denkprozess, in dem Aby Warburg um eine Geschäft, der Firma geradezu auf’s Conto persönliche Stellungnahme zu den „Ritual- zu setzen. (…) Ich bin eigentlich ein Narr, mord“-Vorwürfen ringt.53 Er fühlt sich zu daß ich nicht mehr darauf bestehe, daß der dieser Stellungnahme berufen, so schreibt Kapitalismus auch Denkarbeit auf breites- er, weil er bis zu seinem fünfzehnten Lebens- ter, nur ihm möglicher Basis leisten kann.“55 jahr ein gläubiger Anhänger der Orthodoxie Immer wieder erläutert er in Briefen dem gewesen sei, sich dann „unter schweren in- Vater und Bruder Max, dass sie ihn „als neren und äußeren Kämpfen losgemacht“ praktische und weitsichtige Kaufleute di- habe, um sich als Privatgelehrter der moder- rekt zur Rücksichtslosigkeit in Anschaffun- nen Wissenschaft zu widmen. „Das schwers- gen encouragieren“ müssten.56 te für einen christlich denkenden Deut- ··································································· schen ist vielleicht, seinem primären In- Zur gleichen Zeit arbeitet Aby über ein stinkte nicht Folge zu leisten (…). Das ist Fresko des Malers gerade der Augenblick, wo sich die Überle- in der Kirche Santa Trinità.57 Es ist etwa 1483 genheit der echten Ruhe zeigen sollte“.54 entstanden und handelt von der Lebensge- Aby geht das Problem psychologisch an. Er schichte des Hl. Franziskus. Mitten in die- versucht sich hineinzuversetzen in jene Bür- ser Heiligenvita erscheinen – überraschend

| 45 | groß und unübersehbar – weltliche Perso- sance gelingt es Aby in seinem im Novem- nen auf der Bildfläche. Es sind der Stifter des ber 1901 fertig gestellten, 1902 veröffentlich- Freskos, der florentinische Kaufmann Fran- ten Text, dem Leser einen Einblick nicht nur cesco Sassetti sowie der mächtige Lorenzo in die Kunst, sondern in das Leben einer ge- de’ Medici mit seinen Söhnen. Die Frage, samten Epoche zu vermitteln.58 Neue Be- wie dieses „unmotivierte[s] Eindringen des deutung erhält vor allem der Auftraggeber. weltlichen Elementes“ in die sakrale Sphäre Die pragmatische Frage nach dem, der das zu erklären sei, versucht Aby mit Hilfe neuer Geld gibt – und der aus seiner Investition ei- Verfahren zu beantworten. Er zieht „Hilfs- nen wenn auch nur ideellen Gewinn ziehen mittel aller Art, Schriftstücke, Medaillen, möchte, liegt einem hamburgischen Kauf- Bilder, Skulpturen“ und ganz gezielt das mannssohn nahe: „Es ist eine der Grund- neue Medium der Fotografie heran und thatsachen der Kultur der florentinischen kann so die Entstehungsbedingungen des Frührenaissance, dass Kunstwerke dem ver- Werks klären. Ausdrücklich unter Berufung ständnisvollen gemeinschaftlichen Zusam- auf und dessen bahnbre- menwirken zwischen Auftraggebern und chende Arbeiten zur italienischen Renais- Künstlern ihre Entstehung verdanken, also

Aby, Mary und Tochter Marietta in Florenz (ca. 1900)

| 46 | Aby am Schreibtisch in Florenz (ca. 1900) von vornherein gewissermaßen als Aus- schwierigen Aufgabe betraut, „die zerrütte- gleichserzeugnisse zwischen Besteller und ten Verhältnisse der Mediceischen Bank in ausführendem Meister anzusehen sind.“59 Lyon zu ordnen“,60 entstammt er einem Mi- Sicher hat Aby sein Thema auch mit einem lieu, das Aby sehr vertraut ist. Sein hier zu- Seitenblick auf die heimatliche Szenerie aus- tage tretendes spezielles Erkenntnisinteresse gewählt. Florenz als „Geburtsstätte moder- – den „stilistischen Zusammenhang zwi- ner selbstbewusster städtisch-kaufmänni- schen bürgerlicher und künstlerischer Kul- scher Kultur“ scheint nicht allzu weit von tur“61 darzustellen – macht unabhängig. Es Hamburg entfernt zu sein. Und auch mit weist über die Grenzen der herkömmlichen, Francesco Sassetti bewegt sich Aby auf ver- auf die ästhetische „Hochkultur“ konzen- trautem Gelände. Als „Geschäftsteilhaber trierten Kunstgeschichte weit hinaus. Man der Mediceischen Firma in Lyon“ mit der braucht keinen Leonardo, keinen Michelan-

| 47 | gelo, nicht einmal Ghirlandaio, um diese nes Leben in einem akademischen Elfen- Zusammenhänge zu untersuchen – es genü- beinturm zu führen gedenkt: 1902 stellt er gen die Glasfenster in der Lüneburger Rats- für das Hamburger Volksheim in Hammer- laube. Abys heute als revolutionär gefeierte brook eine Ausstellung mit Reproduktionen Neuausrichtung der wissenschaftlichen Per- zusammen. Das Volksheim war ein Jahr zu- spektive ist auf jede historische und jede to- vor – nach englischem Vorbild – von dem pografische Situation übertragbar – und sie evangelischen Theologen Walther Classen lässt dem um seine Karriere ringenden „Pri- gegründet worden mit dem Ziel, gesell- vatgelehrten“ die Freiheit, sich auch auf schaftliche Klassenunterschiede zu überwin- heimatlichem Boden zu betätigen, wenn den. Vor allem die Kluft zwischen Gebilde- sich die italienischen Optionen zerschlagen ten und Arbeitern sollte durch kostenlose sollten. Ganz ist die Verbindung nach Ham- Kurse in Deutsch und Literatur, durch Sonn- burg ohnehin nie abgerissen: Die Sommer- tagskonzerte, Lesezimmer und andere Akti- monate verbringt die junge Familie regelmä- vitäten überbrückt werden. Heute selbstver- ßig im Norden, vor allem – heuschnupfen- ständlich gewordene Einrichtungen wie die bedingt – auf Helgoland. Öffentlichen Bücherhallen und die Öffent- ··································································· liche Rechtsauskunft gehen auf diese Initia- Im Sommer 1901 nimmt der Plan Gestalt tiven zurück. Im „Bericht über das sechste an, die umfangreiche Büchersammlung des Geschäftsjahr“ wird er 1907 jedoch eine ne- Älteren in eine regelrechte Bibliothek zu gative Bilanz seiner Versuche, „durch Surro- verwandeln.62 Zwar muss Max, der unüber- gate die Volksseele ästhetisch anzuregen“, sehbare Kosten fürchtet, mühsam überzeugt ziehen.63 Künstler wie Dürer und Rem- werden. Aber wo andere reiche Familien brandt ließen sich nicht adäquat über Re- sich einen Rennstall hielten, so wird Aby produktionen vermitteln: „Gerade indem später gerne seinen finanziell zurückhalten- Rembrandt im Dunkel das Farbige sah, hat den Brüdern vorhalten, hätten sie eine Bi- er ein neues Instrument des farbigen Aus- bliothek, und das sei eben zehnmal mehr drucks durch Mitteltöne gefunden, die die wert. Denn nur, wenn er über ungewöhnli- Photographie eben auffrisst“. Man müsse che Mittel verfüge, könne er auch Unge- die Leute vielmehr dafür gewinnen, die Ori- wöhnliches leisten. Max bewilligt dem Bru- ginale in der Kunsthalle aufzusuchen. der für die von diesem geplante „Warburg- ··································································· Bibliothek für Kulturwissenschaft“ freie Seit dieser Zeit beteiligten sich Aby wie Hand, was in der Praxis bedeutet, dass die Max aktiv an den in Hamburg immer wie- Buchhändler ihre Rechnungen direkt an die der aufflammenden Überlegungen zur Grün- Bank schicken, die dann Abys Konto for- dung einer Universität. So berichtet der jün- mell damit belastet. gere Bruder dem älteren am 3. März 1909 ··································································· zunächst pessimistisch, dass man in Ham- 1902 wird in Hamburg der Stammhalter ge- burg nicht daran denke, eine Universität boren und nach Abys Bruder und seinem einzurichten. „Man braucht mindestens Schwiegervater Max Adolph genannt. Im 40–50 Millionen Mark, um eine wirklich selben Jahr demonstriert der junge Famili- anständige Universität zu schaffen, und es envater, dass er keineswegs ein abgeschiede- besteht nicht die geringste Aussicht, diese

| 48 | Summe zu erhalten, weder vom Staat noch ··································································· von privater Seite.“64 Eher sei es möglich, 1905 ergibt sich für Aby wieder einmal die Beiträge für den Ausbau des stark frequen- Gelegenheit, auf dem kulturellen Tableau tierten Vorlesungswesens zu erhalten. seiner Heimatstadt in Erscheinung zu treten ··································································· – und hier erneut eine Kostprobe seines 1904 kehrt Aby zusammen mit der Familie Könnens abzulegen. In Hamburg findet die nach Hamburg zurück. Im gleichen Jahr „48. Versammlung deutscher Philologen wird Tochter Frede geboren. Die Familie und Schulmänner“ statt – ein bedeutender zieht – mitsamt der inzwischen eigene und mehrtägiger Kongress, der die wichtigs- Räume verlangenden Bibliothek – zunächst ten deutschen Gelehrten aus den Natur- wie in die St. Benedictstr. 52. Für die Ordnung auch den Geisteswissenschaften zusammen- der inzwischen etwa 3500 Bücher wird eine führt.66 Vor über 300 Zuhörern spricht er Hilfskraft eingestellt. Den Gedanken an am 5. Oktober 1905 im heute nicht mehr eine reguläre akademische Karriere verfolgt existierenden, am Anfang der Reeperbahn Aby zwar zunächst weiter. Ein Besuch bei gelegenen Konzerthaus über „Dürer und die seinem akademischen Lehrer Carl Justi in italienische Antike“.67 Warum wählt er aus Bonn im Sommer 1905 hat den Zweck, sich dem reichen Schatz möglicher Themen aus- dessen Unterstützung zu versichern und gerechnet dieses aus? Zum einen, weil er das ihm den Arbeitsplan vorzustellen – es geht Thema an einigen Blättern aus dem Ham- um die Inventare der Medici.65 Aber das burger Kupferstichkabinett abhandeln kann Projekt wird Aby 1907 aufgeben. Parallel – das unbeachtete, sonst nur Spezialisten zu- dazu versucht er, sich in der halb-wissen- gängliche Material wird so einer breiten Öf- schaftlichen Szene der Hansestadt zu etab- fentlichkeit bekannt gemacht: Warburg lässt lieren. 1905 lässt er sich in die Kommission die Grafiken vervielfältigen und verteilt sie des Völkerkundemuseums wählen, und er an die Hörer. Zum anderen, weil Dürer im hilft dem Präses der Oberschulbehörde, Deutschen Reich gegen die kulturelle Hege- Werner von Melle, bei der Organisation des monie Frankreichs und Italiens zum „ger- ersten Volkskundekongresses in Hamburg. manischen“ Heroen geworden war. Ihn mit Die schwierige und langwierige Geburt der der italienischen Antike in Verbindung zu heute so selbstverständlich wirkenden bringen, garantierte einen wirkungsvollen Hamburger Universität ist in den letzten Überraschungseffekt. Aby verfolgt hier zum Jahren verschiedentlich ausführlich darge- ersten Mal ganz gezielt eine didaktische stellt worden: Ende 1904 beginnt Senator Mission. Er richtet sich an Gymnasialpro- Werner von Melle, Präses der Hamburger fessoren und Lehrer – modern ausgedrückt: Oberschulbehörde, mit Max über die Grün- Er spricht vor Multiplikatoren. Diesen dung einer Wissenschaftlichen Stiftung zu möchte er beweisen, dass sowohl das gän- beraten. Auch Vater Moritz ist bereit, sich zu gige Bild von Dürer als auch die Vorstellung engagieren. Melles Idee: mit der Stiftung von der Antike als einer Epoche „edler Ein- eine Basis für die Gründung einer Universi- falt und stiller Größe“ ein einseitiges Bild tät zu schaffen, die sich einer weitgehenden vermitteln. Wie auch die berühmte Skulp- Unabhängigkeit vom Hamburger Senat er- tur von Laokoon und seinen Söhnen zeigt – freuen kann. die Antike hat gleichermaßen Bilder der Lei-

| 49 | denschaft und pathetischen Gefühlsaufwal- nur bei Durchlässigkeit der Sphären, bei ge- lung kultiviert wie das des ruhigen Aus- genseitiger Befruchtung und bei offenem gleichs. Und die Renaissance hat eben jene Austausch. pathetischen Elemente aus den antiken ··································································· Bildwerken herausgefiltert und weiterver- Ebenfalls im Jahr 1905 notiert Aby Über- wendet. Die Lehrbücher sollten, so seine legungen, die auf eine maßgeschneiderte Empfehlung, um jene schon von Nietzsche akademische Lösung für die spezifisch ham- beobachtete „ekstatisch-dionysische“ Di- burgische Situation hinauslaufen. Gedank- mension der Antike erweitert werden. Für lich ist er dem merkantilen Geschehen in die anhand von Dürer und Mantegna beob- der Hansestadt weiter eng verbunden. Seine achteten „Superlative der Gebärdensprache“ im Londoner Archive of the Warburg Insti- wird Aby das Schlagwort von der „Pathos- tute bewahrten Notizen verraten, dass er formel“ erfinden. Es hat seitdem auch in an- sich mit der Gründung einer „Hochschule deren Sphären Karriere gemacht und erfreut oder Museum Archiv Akademie für Kauf- sich bis heute unveränderter Beliebtheit. männische Kultur“ befasst. Diese sollte ··································································· „zwei Abtheilungen“ bekommen, eine „Ein- Gleichzeitig aber kann Aby an dieser führende“ und eine „Fortbildende“. Das Stelle einen Gedanken platzieren, der zu sei- Stichwort „Kaufmännische Kultur“ zeigt, nem wissenschaftlichen und weltanschauli- dass er bereit ist, die eigenen Forschungen chen Credo werden wird: die Beobachtung, ganz direkt in den Kontext der hanseati- dass kulturelle Prozesse auf internationalen schen Bedürfnislage zu stellen. Seine Ge- „Etappenstraßen“ verlaufen. Es gehe auch danken kreisen um eine wie auch immer bei Dürer und seiner Beziehung zu Italien geartete Hochschule, „die den nächstliegen- nicht um das von der „älteren kriegspoli- den Zwecken der kaufmännischen Fortbil- tischen Geschichtsauffassung“ propagierte dung genügen wird“ – mit „zwei Facultäten: Motto „entweder Sieger oder Besiegter“, philosophische, volkswirtschaftliche“. Auch sondern um „Austausch“, um „Kreislaufvor- Begriffe wie „Kaufmännischer Instinkt“, gänge“.68 Diese über starre nationale Gren- „Erwerbskunst, Gefühlssache“ spielen in zen weit hinausschauende Vorstellung ist, dieser ersten Ideenskizze eine Rolle. Worauf wie wir gesehen haben, aus einer biographi- er insgesamt hinaus will, ist eine „Universi- schen Wurzel heraus erwachsen – der tät der Freiheit (Kampf gegen Reaction, schmerzhaften Erfahrung des Ausgegrenzt- Hanseatengeist u patriarchalische Gemüt- seins aus dem Deutsch-Sein, ausgegrenzt lichkeit)“. Damit wird deutlich, dass Abys also aus einer Gemeinschaft mit klar abge- Motivation einer kulturpolitischen Zielset- steckten Konturen. Sie erscheint aus heuti- zung entspringt. Von der noch zu begrün- ger Sicht sehr modern. Hier ist der Aus- denden Hamburger Hochschule erhofft er gangspunkt für eine Lebensperspektive zu sich Impulse für ein neues Deutschland, in suchen, die Aby sowohl auf kunsthistorische dem auch Minderheiten wie die Juden end- als auch auf weltanschauliche Fragen an- lich gleichgestellt wären. wendet. Für ihn und Max, für alle deut- ··································································· schen Juden ist die Frage „Sieger oder Be- Innerhalb dieses „Organismus“ könnte siegte“ keine Option. Entwicklung gibt es eine „Beobachtungsstation für die Entwick-

| 50 | lung der Gehirnausstülpung“ gute Dienste besitzt zu jener Zeit zwar eben keine Univer- leisten. „Wichtiger Krystallisationsmittel- sität, aber doch eine wissenschaftliche Land- punkt“ nämlich sei die „Errichtung eines schaft, die sich auf die oben bereits erwähn- Kulturwissenschaftlichen Instituts in fol- ten eigenständigen „Wissenschaftlichen An- gender Form“: Das Institut solle Wider- stalten“ stützt.70 Wie es scheint, möchte Aby stand bieten gegen „1. Klerikalismus 2. Na- sich in diese, vor allem naturwissenschaft- tionalismus 3. Dilettantismus“. „Wider- lich und auf die praktischen Bedürfnisse ei- stand gegen Nationalismus“ – das bedeutet ner Handels- und Hafenstadt ausgerichtete auch Widerstand gegen alle Bestrebungen, Landschaft mit einem eigenständigen Insti- über „rassische“ Klassifizierungen Zugehö- tut einfügen. Es soll als Scharnier zwischen rigkeit zu definieren. In der internationalen merkantiler und geistiger Welt vermitteln. Atmosphäre einer Kaufmannsstadt wie Damit bezieht er Position in einer damals Hamburg erkennt Aby eine Chance. Ham- landesweit geführten Diskussion über den burg versteht sich als „Tor zur Welt.“ Zwar Sinn und Zweck der Universität als solcher. herrschen auch hier, vor allem was das Sie gilt vielen inzwischen als reines „Ab- Kunstverständnis betrifft, geistige Enge und richteinstitut, aufgesucht von jenen, die „patriarchalische Gemütlichkeit“.69 Aber vom Staat einen Stempel darüber haben Nationalismus und Klerikalismus werden in wollen, daß sie wissen, was er verlangt; ob der ehemals unabhängigen „Freie und Han- sie es besitzen, ist Nebensache, oft auch für sestadt“ nicht gepflegt. Ein Leben lang wird den Staat“.71 Aby auch in seinen kunsthistorischen For- ··································································· schungen nachzuweisen versuchen, dass die Für die Organisation dieses „Kulturwissen- Identifikation mit der Nation als allein sinn- schaftlichen Instituts“ hat Aby bereits kon- stiftenden sozialen Raum weder in der Ge- krete Vorstellungen. Es solle über fünf Lehr- schichte noch in der Gegenwart sinnvoll ist. stühle und mehrere Mitarbeiter verfügen Kulturelle Entwicklungen, so seine Über- sowie eine Zeitschrift herausgeben, den zeugung, verdanken sich weiträumigen Be- „Hb. Anzeiger für Kultur der Vergangenheit wegungen, Begegnungen, Wanderungen. und Gegenwart“. Die eigene Bibliothek Wir werden noch sehen, welche schlagen- solle darin aufgehen – ein Etat zur Ablösung den Beweisführungen er für diese Beobach- sei bereits eingestellt. Eine eigene Abteilung tung immer wieder finden wird. solle der „Geschichte des Reisens“ – und da- ··································································· mit der Geschichte der Mobilität – gewid- Es fällt auf, dass Aby in dieser frühen Phase met sein. Und auch die altehrwürdige Com- nicht an die Eingliederung der Kunstge- merzbibliothek Hamburgs gerät in seinen schichte in das Gerüst einer staatlichen Suchscheinwerfer: „die Commerzbibliothek Hochschule, sondern ausschließlich an die bleibt selbständig oder wird eingegliedert“. Etablierung eines unabhängigen For- Vor allem die Internationalität der ganzen schungsinstitutes denkt. Diese Idee mutet Unternehmung ist Aby ein wichtiges Anlie- heute, wo das „Kunstgeschichtliche Semi- gen: „Man müßte den Mut haben, aus der nar“ längst integraler Bestandteil der Ham- praktischen Erkenntnis der Unzulänglich- burger Universität ist, merkwürdig an. Da- keiten d. heutigen (opportunistischen) Uni- mals aber liegt sie auf der Hand: Hamburg versität die Folgerung z. ziehen, daß nur ein

| 51 | internationaler mit wissenschaftlichen Mit- kritiker, sondern Kunsthistoriker, er verfüge teln arbeitender Idealismus uns weiter nicht über die nötige Spannkraft, er sei in bringt.“72 In den folgenden Jahren schwankt die Organisation des Kunsthistorischen Abys Existenz zwischen der Konsolidierung Kongresses zu stark eingespannt. Das wich- seines Privatgelehrten- und damit immer tigste aber: Er hoffe auf eine philosophische auch Außenseiterstatus, einer Mitarbeit am Fakultät in Hamburg, die mehr seinen Kunsthistorischen Institut in Florenz und Wünschen und Fähigkeiten entspräche – einer klassischen Universitätskarriere im und die damit auch ihm selbst, so seine im- Deutschen Reich. Aber als der „heimliche mer wieder angedeutete Hoffnung, eine se- Kultusminister“ in Preußen, Friedrich Alt- riöse Daseinsberechtigung in seiner Hei- hoff anfragt, ob er an die Universität Bres- matstadt liefern würde.76 lau gehen würde, lehnt er mit der Begrün- ··································································· dung ab, der dortige Ordinarius Richard Die Bank hat sich inzwischen auf interna- Muther stehe seinen Forschungen so kri- tionalem Tableau ein hohes Ansehen erwor- tisch gegenüber, dass eine Zusammenarbeit ben. 1904 werden M. M. Warburg & Co. unmöglich sei.73 eingeladen, sich an einem Konsortium zu ··································································· beteiligen, das eine Anleihe des Kaiserlich Grundsätzlich ist die Universität für Ju- Ottomanischen Reiches zur Finanzierung den noch immer ein schwieriges Berufsfeld. der Bagdadbahn plant. Entschieden gegen Als ein Beispiel sei hier der Werdegang des den Rat des Vaters, der einen Juristen in der mit Aby befreundeten Adolph Goldschmidt Bank für überflüssig hält, stellt Max als skizziert, den Christine Kreft detailreich re- neuen ständigen Rechtsberater 1902 Dr. konstruiert hat.74 Goldschmidt war, wie Carl Melchior ein; er entstammt einer jüdi- Aby, ein hamburgischer Bankierssohn und schen Gelehrten- und Kaufmannsfamilie. Kunsthistoriker. Eine Berufung nach Bonn 1905 vermittelt Kuhn, Loeb und Co. aus wurde zunächst durch den üblichen „stil- New York die Anfrage für die (riskante) len“, an den deutschen Hochschulen ver- Platzierung einer Japan-Anleihe, wofür Max breiteten Antisemitismus verhindert. 1904 sich die Erlaubnis aus dem Auswärtigen erreichte ihn immerhin ein Ruf aus Halle. Amt holt. Darauf folgt eine zweite Anleihe. Die Erlösung aus der akademischen Provinz „Der Erfolg beider Anleihen (…) machte winkte 1911, als er für die Nachfolge des pro- die in Japan bislang unbekannte Warburg- minenten Berliner Ordinarius Heinrich Bank berühmt und führte in der Folge zu Wölfflin ins Spiel gebracht wurde. Auf die mehrfachen Geschäftsabschlüssen mit japa- (übliche) Aufforderung, sich dafür taufen zu nischen Banken und Handelshäusern.“77 lassen, antwortete Goldschmidt mit einem Paul ist 1902 in die USA gegangen, er ist Telegramm, dessen Wortlaut berühmt ge- jetzt Teilhaber in der Firma seines Schwie- worden ist: „Bleibe Jude, bleibe Halle.“75 gervaters, der großen Investmentbank Seiner überragenden Qualifikation war es zu Kuhn, Loeb & Co. 1907 wird dann der verdanken, dass er die Stelle dennoch er- jüngste Bruder Fritz – ein promovierter Ju- hielt. Für seine Nachfolge in Halle scheint rist – Partner. Fritz hatte, wie Max, in Lon- ihm Aby Warburg geeignet. Dieser jedoch don einige Zeit bei Brandeis Goldschmidt lehnt ab. Er sei nicht wie Goldschmidt Stil- gearbeitet und kennt sich im Metallhandel

| 52 | gut aus. Ihm verdankt die Warburg-Bank ··································································· den Einstieg ins Metallgeschäft. Fritz wird Gleichzeitig engagiert sich die Bank in Mitbegründer und zeitweise Vorsitzender Übersee. „Ich darf wohl sagen“, so Max spä- der Hamburger Metallbörse sowie Vor- ter, „dass kein Bankhaus in Deutschland standsmitglied des Vereins der am Metall- sich so zielbewußt für die Betätigung handel beteiligten Firmen. Deutschlands in den Kolonien interessiert ··································································· hat wie das unsrige. (…) Ich konnte man- Max ist es gelungen, in der Ferdinandstraße chen Beitrag leisten: das eine Mal mit der einige Nachbargrundstücke zu erwerben. Gründung des Kolonialinstitutes in Ham- 1906 wagt man deshalb einen großen burg, das andere Mal mit der wiederholten Schritt, der die innere Entwicklung der Unterstützung des Tropenhygienischen In- Firma deutlich nach außen kommuniziert: stitutes in Hamburg, das durch unser Ein- Ein Neubau wird geplant. Als Architekten greifen zweimal aus finanziellen Schwierig- gewinnt man den renommierten Rathaus- keiten gerettet wurde.“80 Immer intensiver baumeister Martin Haller, der außerdem für gestalten sich die Verbindungen von M. M. Albert Ballin, für die Hamburger Freihafen- Warburg & Co. mit den unterschiedlichsten und Lagerhaus-Gesellschaft und zahlreiche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ein- andere Auftraggeber tätig war und ist. Jon- richtungen der Stadt. Max ist inzwischen gleur zwischen den Stilen, entwirft Haller geschäftlich und privat mit Albert Ballin für die Bank eine Neorenaissance-Architek- verbunden, dem Generaldirektor der Ham- tur, die wie das italianisierende Pendant zur burg-Amerika Linie (HAPAG). Auch des- „deutschen Renaissance“ des Rathauses aus- sen Interessen sind weitgespannt, sein sieht. Mit Sockel, Piano Nobile und Kranz- Motto lautet „Mein Feld ist die Welt“. „Im gesims, mit Dreiecksgiebeln, Girlandenfries deutschen Volk“, so Max später, „war er be- und der zum „Schein-Belvedere“ ausgebau- kannt als der geniale Jude, der mit dem Kai- ten Dachzone erinnert das prächtige Bank- ser befreundet war“.81 Ballin wird Patenon- haus an die Ursprünge der Gattung, etwa kel von Max’ Sohn Erich und ein enger den Medici-Palast in Florenz. 1913 wird man Freund der Familie. Über und mit Ballin das neue Kontorhaus beziehen. Inzwischen versucht Max in jenen Jahren, durch ver- erschließt sich Max Aufmerksamkeit auch schiedene, auch humanitäre Maßnahmen außerhalb der hamburgischen Landesgren- eine Entschärfung der kaiserlichen Aggres- zen. Im September 1907 hält er auf dem sionspolitik zu erreichen. Zur Abwendung Deutschen Bankiertag einen stark beachte- der Kriegsgefahr scheint vor allem eine Ver- ten Vortrag über die Frage, ob Deutschland ständigung mit England unabdingbar. Max auf einen möglichen europäischen Krieg fi- ist mit Walter Rathenau gut bekannt, er hat nanziell und wirtschaftlich vorbereitet sei – das Ohr des Kaisers, er finanziert große die Antwort fällt negativ aus.78 Vor allem er- Staatsaufträge und hat exzellente Kontakte kennt er angesichts der Erweiterung des in die Berliner Ministerien. Schließlich kau- deutschen Flottenprogramms klar die Ge- fen unter seiner Führung sechs Bankiers fahr eines deutsch-englischen Zusammen- dem Reich eine neue Kolonie, die beinahe stoßes. „Mit der Möglichkeit eines Krieges,“ die Größe der Britischen Inseln besitzt, das so erinnert er sich, „war zu rechnen“.79 nördliche Mosambik.82

| 53 | Aby und Max (ca. 1906)

··································································· man als Jude selbst dann noch vorsichtig la- Aus heutiger Sicht bestehen zumindest für vieren muss, wenn es um Wohltätigkeit Max zu diesem Zeitpunkt keine Grenzen geht: „Lieber Aby, Für den Aufbau der Mi- mehr zwischen dem jüdischen und nichtjü- chaeliskirche haben wir nichts gegeben, weil dischen Hamburg. Unter der Oberfläche wir finden, dass die Beteiligung an der aber bleiben die Vorbehalte virulent. Dass Sammlung aus christlichen Kreisen eine jeder Schritt, jede öffentliche Regung vor- sehr geringe ist. Wir sind principiell bereit sichtig abgewogen werden muss, zeigt ein gewesen, und sind es auch heute noch, zu Briefwechsel mit Bruder Aby vom August zeichnen. Wenn aber von christlicher Seite 1906. Am 3. Juli war das Wahrzeichen Ham- aus so wenig geschieht, würde man uns die burgs, die Hauptkirche St. Michaelis, bis auf Motive, aus welchen wir zeichnen, sehr die Grundmauern abgebrannt. Aby erkun- falsch auslegen, indem man es überflüssig digt sich bei seinem Bruder, warum das fa- findet, dass wir überall zeichnen, wo die Na- milieneigene Unternehmen die Sammlung men der Geber veröffentlicht werden. (…) zum Wiederaufbau nicht unterstütze. Die Mit herzlichen Grüssen, Dein treuer Bruder Antwort von Max zeigt deutlich, wie sehr Max.“83

| 54 | ·············································································································································· 39 Ebd., S. 14 f. 40 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). 41 Ebd. 42 John Hertz an Aby Warburg, 7. April 1897: WIA, GC. 43 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (ebd., III.134.1.6.). 44 Ebd. 45 Hoffmann, Warburg, S. 42. 46 Hamburgischer Correspondent Nr. 447 (23. September 1899). 47 Hurttig, Antike, S. 13. 48 Ebd., S. 13 f. 49 Ebd. 50 So etwa 1901 „Das Leben im Kreise des Lorenzo de Medici, veranschaulicht durch die Kunst Ghirlandajos“. 51 Warburg, Zeiten, S. 11 f. 52 Ebd. 53 Vgl. auch Schoell-Glass, Warburg, S. 95 ff. 54 WIA, III.52.2.: Notizen „Konitz“. 55 30. Juni 1900, zitiert nach: Gombrich, Warburg, S. 167. 56 28. Oktober 1900, zitiert nach: Ebd., S. 168. 57 Warburg, Bildniskunst. 58 Ebd., S. 76. 59 Ebd., S. 69. 60 Ebd., S. 72. 61 Ebd., S. 68. 62 Chernow, Die Warburgs, S. 158 ff. 63 Vgl. Warburg, Bilderaussstellungen. 64 Max an Aby Warburg, 3. März 1903: WIA, FC. 65 Vgl. Roeck, Warburg, S. 95 ff. 66 Vgl. Hurttig, Antike, S. 15 ff. 67 Der Vortrag wurde 1906 veröffentlicht, siehe Warburg, Dürer. 68 Ebd., S. 130. 69 Überlegungen zur Begründung eines Kulturwissenschaftlichen Instituts (WIA, III.133.4.1. und III.133.4.2.). 70 Brauer; Mendelssohn Bartholdy; Meyer, Forschungsinstitute. 71 Melle, Jahre, S. 52. 72 Überlegungen zur Begründung eines Kulturwissenschaftlichen Instituts (WIA, III.133.4.1. und III.133.4.2.). 73 Aby Warburg an Ernst Schwedeler-Meyer, 17. September 1906: Ebd., GC. 74 Kreft, Goldschmidt. 75 Ebd., S. 164. 76 Ebd., S. 167. 77 Kleßmann, Warburg, S. 40. 78 Ebd. 79 Warburg, Aufzeichnungen, S. 23. 80 Ebd., S. 24. 81 Ebd., S. 25. 82 Vgl. Hoffmann, Warburg, S. 65 f. 83 Max Warburg an Aby Warburg, 7. August 1906: WIA, FC. ··············································································································································

| 55 | [5]

Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung oder Kaufleute als „Ducatenmännchen“

1907 kann endlich die „Hamburgische Godeffroy zeigen, dass sich Teile des hansea- Wissenschaftliche Stiftung“ ins Leben geru- tischen Bürgertums für eine Intensivierung fen werden. Ihr Zweck ist es, „die Wissen- des wissenschaftlichen Betriebs erwärmen schaft und deren Pflege und Verbreitung in konnten. Noch bedeutender erscheint es al- Hamburg zu fördern“. Einer ihrer Mitbe- lerdings aus heutiger Sicht, dass – wie die gründer ist Moritz Warburg, der sich wie Familie Rosenstern, Adolph Lewisohn und sein Sohn Max darum bemüht, in Übersee Henry Budge – auch mehrere jüdische Bür- ansässige ehemalige Hamburger als Stifter ger in der Liste der Stifter erscheinen. 1907 zu gewinnen. Gemeinsam mit Senator Dr. besitzt die Stiftung ein Gründungskapital von Melle, Dr. Otto Dehn, Adolph Woer- von 3.815.000 Mark. Als erstes beruft sie den mann, Max Schinckel und Edmund J. A. Heidelberger Historiker Erich Marcks auf Siemers unterzeichnet er im Namen der eine Professur am „Allgemeinen Vorlesungs- Stifter die Gründungsurkunde. Möglich ge- wesen“.85 Man mag sich heute fragen, wa- worden ist dies durch eine enorme Spende rum sich Max Warburg so ungewöhnlich für von 2 Millionen Mark. Stifter ist der aus die Hamburgische Wissenschaftliche Stif- Hamburg stammende Alfred Beit, der nach tung und ihre Anliegen engagiert. Er selbst Südafrika ausgewandert ist und dort im hatte ja, im Gegensatz zu seinem Bruder, Diamantenhandel ein immenses Vermögen keine akademische Ausbildung erfahren, er erworben hat; der unverheiratete und kin- war kein Wissenschaftler. Wenn man jedoch derlose Magnat ist auf vielen Gebieten phi- im Hauptbuch der Stiftung die Liste der lanthropisch tätig und Besitzer einer bedeu- Geber betrachtet, fällt auf, dass hier jüdische tenden Kunstsammlung. Max kennt ihn und nichtjüdische Namen einträchtig beiei- und revitalisiert die Verbindung zu von nander stehen. Die Wissenschaftliche Stif- Melle, der mit Beit zur Schule gegangen tung ist eine Neugründung, von Traditio- war.84 Auch Beit stammt ursprünglich aus nen und Fragen der Religionszugehörigkeit einer jüdischen Familie – seine Eltern haben unbelastet – sie ist, um es mit einem Wort sich jedoch 1851 taufen lassen. Die zweite Abys zu formulieren, ein „Ausgleichserzeug- Spende von 250.000 Mark stammt von Mo- nis“.86 Ihr Ziel ist ein patriotisches. Unter ritz Warburg und Söhnen – danach geht es dem Vorzeichen einer höheren Dienstleis- weiter mit Beträgen von 100.000 bis zu tung für kaufmännische Interessen zum 2.000 Mark. Namen wie Amsinck, Woer- Wohle der Hansestadt können hier Gold- mann, Laeisz, Blohm, Diederichsen und schmidts und Amsincks, Warburgs und

| 56 | Die Unterschriften auf der Stiftungsurkunde der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung

Woermanns endlich einmal an einem Strang sich viele Kaufleute dabei dachten, als sie ziehen. Beiträge zur wissenschaftlichen Stiftung ga- ··································································· ben.“ „Es ist nach meiner Ansicht wichtig, Wie eng die Universitätsfrage auch Max daß ein Kaufmann sich äußert, wir sind und Aby immer wieder verbindet, zeigt ein doch nicht nur Ducatenmännchen, die sich Brief des Jüngeren an den älteren Bruder einem Hirten unterordnen sollen, der bei je- vom 10. Oktober 1907. Max denkt im Rah- der Gelegenheit nur das herkömmliche men seiner Mission für eine hamburgische ‚Bäh‘ sagt. Ich würde die Rede gerne Dir Hochschule daran, einen Vortrag zu halten, oder Embden87 überlassen, ich bin aber der dann auch in der Presse erscheinen soll ziemlich sicher, daß es mehr wirkt, wenn – und dies auch ohne die ausdrückliche Ge- kein Akademiker sich äußert (…). Meine nehmigung von Melles. Das Thema: „Was Disposition habe ich lange fertig, für Rosi-

| 57 | nen zum Einbacken bin ich empfänglich.“88 1908/09 finanziert die Hamburgische Wis- ··································································· senschaftliche Stiftung eine groß angelegte 1908 gelingt es Werner von Melle zusam- Expedition zum Bismarck-Archipel und an men mit Max und dem Direktor des Ham- die Küste des „Kaiser-Wilhelm-Landes“; im burger Museums für Völkerkunde, Georg zweiten Jahr werden auch die Karolinen und Thilenius, einen weiteren Schritt in Rich- Marshall-Inseln bereist. Ziel ist die Vergrö- tung Universität zu unternehmen. Sie schla- ßerung der völkerkundlichen Sammlung. gen, wie oben bereits erwähnt, dem Reichs- Tatsächlich bringt man etwa 15.000 Objekte kolonialamt in Berlin die Gründung einer mit. Aber nicht nur dies – die Expedition Ausbildungsstätte für Kolonialbeamte vor. hat erstaunlich breit gefächerte Forschungs- Sie soll Lehrstühle für Wirtschaft, Recht interessen. Es geht um Fragen der Religion, und Geographie erhalten. Am 20. Oktober der Medizin, der Sprache, es geht um Kunst 1908 wird das Kolonialinstitut feierlich er- und um Wirtschaft. Eine ähnliche themati- öffnet.89 Im Beirat sitzt – wie auch in dem sche Vielfalt wird Abys in diesen Jahren des neuen Hamburgischen Welt-Wirt- schon zügig im Ausbau begriffener Kultur- schafts-Archivs – Max. Thilenius gehört wissenschaftlicher Bibliothek zu eigen sein. dem Lehrkörper des neuen Instituts an. Das Es ist zumindest wahrscheinlich, dass ihn Kolonialinstitut bildet eine einzigartige, die durch die wirtschaftlichen Interessen der sehr hamburgische Schnittstelle aus wissen- Hafenstadt Hamburg motivierten ethnolo- schaftlichen, politischen und finanziellen gischen Aktivitäten in seiner unmittelbaren Interessen. Anders als sein Name es vermu- Umgebung zu seinem eigenen weiträumi- ten lässt, bietet es ein breites Fächerspek- gen Forschungsansatz, seiner Vision einer trum an, zu dem neben Völkerkunde auch „kulturwissenschaftlichen Station“ angeregt Geschichte, englische und romanische Spra- haben.90 chen und Kultur, Sprachen und Geschichte ··································································· Ostasiens, Japans und Indiens, Geographie, Auch innerhalb Hamburgs gewinnt Max Geologie, Mineralogie, Nationalökonomie, kontinuierlich an Reputation. Es scheint, als Öffentliches Recht und Philosophie gehö- solle sein Lebensplan, die nahtlose Integra- ren. Aus dieser Keimzelle soll, so von Mel- tion in die deutsche Gesellschaft durch Leis- les Plan, zukünftig eine öffentliche Univer- tung, aufgehen. Seit dem Jahre 1904 ist er sität erwachsen. Das Kolonialinstitut ist Mitglied der Bürgerschaft. Er wird gebeten, jedoch zunächst ein Raum, der den Kunst- in den Aufsichtsrat von Blohm und Voss historiker Aby (der sich längst als Kulturhis- einzutreten. Und obwohl weder er noch toriker versteht) aufs engste mit dem Ban- Melchior sich danach drängen, sitzt die ker Max verbindet. Aby hat die von seiner Bank bald in achtzehn weiteren Aufsichtsrä- eigenen Forschungsreise nach Übersee mit- ten. Kontinuierlich muss mehr Personal ein- gebrachten zahlreichen Objekte – Tonge- gestellt werden – 1913 hat die Warburg-Bank fäße und Katsina-Figuren – dem Museum mehr als 100 Mitarbeiter. Auch privat hat es für Völkerkunde gestiftet. Ein großer Teil eine Entwicklung gegeben: Seit 1907 be- befindet sich noch heute im – 1912 errichte- wohnen Max und Alice samt Kindern ein ten – Gebäude des Völkerkundemuseums. großes Haus in der Neuen Rabenstraße 27. ··································································· Und auf dem Kösterberg besitzt Max jetzt

| 58 | Aby und seine Familie, von links nach rechts: Frede, Max Adolph, Marietta, Mary und Aby (ca. 1912) ein neues, eigenes Haus aus rotem Klinker, die erste Etage verlegen könnte 3.) dann in dem vor eindrucksvoller Elbkulisse 48 würden die Räume vorläufig mindestens ? Gäste speisen können. Jahre ausreichen“. Doch Aby blickt schon ··································································· weiter: Um sich nicht „durch abgeschnit- Auch Aby und Mary suchen, durch die an- tene Expansionsmöglichkeiten nervös zu wachsende Bücherflut in Bedrängnis ge- machen“, möchte er „einen 6, besser 10 m. bracht, eine geräumigere Bleibe; inzwischen Landstreifen kaufen zu höchstens 45 M. pro umfasst die Bibliothek 9.000 Bände und qm. (740qm Fl.) M. 33000 + 8000 M. Auf- benötigt für die Katalogisierung kontinuier- schüttungskosten f. das Ufer.“ Aus eigenen lich die Hilfe eines Mitarbeiters. Im Januar Mitteln werde er nicht bauen, aber er brau- 1909, so berichtet er Max, besichtigen sie ein che Luft, könne warten. „Mit Vater sprach Haus in der Heilwigstraße 114.91 Danach ich: ihn bedrücken die möglichen Baukos- sind sie der Meinung, „dass 1.) dieses Haus ten der noch nicht vorhandenen Bibliothek.“ ein wirklich uns passendes behagliches ··································································· Wohnhaus für uns abgeben würde, dessen Das Projekt eines eigenen Bibliotheksge- Geräumigkeit 2.) erlauben würde, das Par- bäudes ist somit 1909 bereits angesprochen. terre vorläufig gänzlich als Geschäftsraum Aber Aby wird bis zur Realisierung dieses zu benützen indem man das Eßzimmer in Plans noch etwa 15 Jahre warten müssen.

| 59 | Der Einzug aus der St. Benedictstraße 52 in „Es wird wohl kaum eine Stadt in Deutsch- die nah gelegene Heilwigstraße 114 dagegen land geben“, so Abys Kommentar, „die den findet bereits Mitte 1909 statt und wird, wie antiken Göttern vor aller Augen ein so mi- in der Familie Warburg üblich, mit einem serables Asyl bietet, wie Hamburg. Im Halb- von Familienmitgliedern geschriebenen und dunkel zusammengepfercht, führen Götter aufgeführten Theaterstück gefeiert.92 Es un- und Heroen, die hoch im freien Licht die terhalten sich das alte und das neue Haus. Verehrer grüßen sollten, in der hamburgi- Abys Kinder spielen die Allegorien von Ge- schen Kunsthalle ein Dasein wie Auswande- lehrsamkeit (Max als Mönch), Häuslichkeit rer im Zwischendeck; und Hamburg sollte (Marietta als holländische Hausfrau) und diesen Importartikel nicht nur des äußeren Gastlichkeit (Frede, mit Flügeln). Humorig Eindrucks wegen besser behandeln.“ Prag- werden Probleme des täglichen Zusammen- matisch holt Aby die Entscheidungsträger lebens abgehandelt: „Was ist des Mannes ur- dort ab, wo sie stehen: Die Kinder der Stadt- eigenstes Wesen? Bücher lesen? Und was ist väter beklagten sich über die Trockenheit das Edelste, was er mag treiben? Bücher der gymnasialen Bildung – dem könne man schreiben! (…) sie fressen die Räume, sie abhelfen, wenn das „Wort“, also die Texte strömen, sie quellen/ sie füllen im Umsehn der antiken Autoren, durch das „Bild“, also Regal auf Regal;/sie wachsen an Umfang, die Skulpturen, ergänzt würden: „die visu- verdoppeln die Zahl/sie fluten herbei über elle Wiederbelebung des Gedächtnisstoffes Stufen und Schwellen/hinauf bis zum Bo- hier in Hamburg“ nicht ungestümer zu for- den, hinab bis zum Keller/den Eisschrank, dern, sei ein Fehler. Der zu berufene Ar- den Aufzug, die Badewann/wo immer ein chäologe könne und müsse für Hamburgs Hohlraum, sie füllen ihn an/schnell wie ein Kultur aber noch ganz anderes leisten: Platzregen oder noch schneller.“ „Durch ihn sollen Mächte reden, die dem ··································································· Niveauschwund und der Maßstablosigkeit Im gleichen Jahr bezieht Aby öffentlich Stel- eines tagedienerischen Geschmacks entge- lung in der Frage, inwieweit Hamburg sein genwirken.“93 akademisches Leben intensivieren solle. Es ··································································· geht, darum, ob man am „Allgemeinen Vor- In einem Punkt aber unterscheiden sich die lesungswesen“ eine archäologische Professur Brüder, und das wird unübersehbar, als am einrichten solle; ihr Inhaber hätte neben sei- 29. Januar 1910 Vater Moritz stirbt: Es ist ein ner Lehrverpflichtung auch die in der unumstößliches Gesetz, dass der Erstgebo- Kunsthalle befindliche Gipsabguss-Samm- rene am Grab des Vaters das Totengebet, das lung zu betreuen. In das Protokoll der Bür- „Kaddisch“, spricht. Trotz der Bitten von gerschafts-Sitzung vom 12. Dezember 1909 Mutter und Brüdern weigert sich Aby. Er, ist eine maschinenschriftliche Stellung- der inzwischen jede Religion als „Aberglau- nahme aufgenommen, die den kämpferi- ben“ betrachtet und der auch seine Kinder schen Titel „Kommunale Pflichten und all- nicht hat taufen lassen, hält das für Heuche- gemeine Geistespolitik“ trägt. Der Text ist lei. Max habe schon vor langer Zeit zu sei- glänzend formuliert und bedient sich so ner „ungetrübten und dankbaren Zufrie- deutlich maritimer Metaphern, dass er in denheit“ die Aufgaben übernommen, die Kaufmannskreisen Sympathien finden muss. im Judentum dem Erstgeborenen zufallen.94

| 60 | Aby nimmt weder an der Beisetzung noch Anerkennung ist einerseits aus der privaten am Trauergottesdienst teil. Moritz hatte sich Situation heraus zu verstehen – er muss es zwar auch in der Hamburgischen Wissen- seiner Familie beweisen! Andererseits ist es schaftlichen Stiftung engagiert, aber war immer wieder das auch auf ihn angewendete gleichzeitig den Traditionen des Judentums Stereotyp des wohlhabenden Juden, des in jeder Hinsicht treu geblieben: Noch zwei „Bankierssohns“, des „reichen hamburgi- Jahre zuvor hatte er zusammen mit seinen schen Kunstfreundes“, des „kunstbegeister- im Geschäftsleben aktiven Söhnen der Tal- ten hamburgischen Patriziers“, das ihn un- mud Tora Schule ein neues Gebäude gestif- ter Zugzwang setzt.95 Und nicht zuletzt ist tet. Zwar ist für Max die Befolgung der jü- es das aus der Erfahrung der Ausgrenzung dischen Gesetze und der Besuch der heraus entwickelte Lebensziel – sich durch Synagoge längst keine Herzenssache mehr. Leistung in die deutsche Gesellschaft zu in- Aber er wird sich zeitlebens in ihrem Rah- tegrieren – das ihn antreibt. Sein Ziel ist, so men und damit in den vom Vater vorgege- formuliert er bereits 1909, ein „institutsmä- benen Spuren bewegen. ßig arbeitendes Laboratorium“, um daraus ··································································· „eine neue Methode der Kulturwissen- Von außen betrachtet hat es den Anschein, schaft, deren Basis das ‚gelesene’ Bildwerk als würden die Wege der beiden Brüder auch ist“, zu entwickeln.96 darüber hinaus spätestens ab 1910 endgültig ··································································· auseinanderdriften. Max weitet seinen Ak- Dass Aby sich auch als Kunstkritiker betä- tionsradius auf das internationale Bankge- tigt, ist für einen Kunsthistoriker ungewöhn- schäft aus. Er investiert in Afrika, er ver- lich. Eine dieser Aktivitäten gilt den neuen strickt sich in undurchsichtige Kolonialge- Fresken im Hamburger Rathaus. Im Mai schäfte, er wird zu einem der großen 1910 erscheint in der Zeitschrift „Kunst und Akteure im Netzwerk aus Wirtschaft und Künstler“ eine kritische Besprechung. Sie Politik. Viel Energie investiert er – aus heu- wird vom „Hamburgischen Corresponden- tiger Sicht vielleicht naiv – in den Versuch, ten“ in voller Länge abgedruckt, woraufhin mitzuwirken in der Abwehr eines Krieges, Aby zahlreiche zustimmende Zuschriften dessen Bedrohung immer näher rückt. Sein erhält. Der Text gipfelt in dem wunderba- Verbündeter ist der in Köln als Sohn jüdi- ren, als Appell an die politischen Entschei- scher Eltern geborene Ernst Cassel, später dungsträger gerichteten Satz: „Wer das Amt Sir Ernest Cassel. Der in London lebende, repräsentativer Geschichtsverkündung öf- außerordentlich einflussreiche Magnat ist fentlich übernimmt, verpflichtet sich dazu, privater Finanzberater von König Edward als soziales Erinnerungsorgan zu funktionie- VII. Aby dagegen, der den politischen Am- ren, das zurückschauender Selbsterkenntnis bitionen seines Bruders kritisch gegenüber- auf die wesentlichen Entwicklungsmo- steht und ihn immer mal wieder zur Zu- mente verhelfen soll; wenn aber nun jenes rückhaltung auffordert, arbeitet über stil- Riesentryptichon (sic) von Strandidyll, reli- psychologische Phänomene, hält Vorträge giösem Zeremonialakt und Landungsplatz und versucht, sich sowohl auf internationa- die Quintessenz hamburgischer Kulturent- lem als auch auf dem heimatlichen Parkett wicklung ausreichend versinnbildlicht, so zu profilieren: Sein Ringen um öffentliche ist eben den Hamburgern und ihrem beru-

| 61 | fenen Organ im Augenblick höchster Ge- war entschieden dagegen, daß Hamburg dächtnisanspannung nichts aufregend Gro- eine Universität bekommen sollte. Er gab ßes, nicht einmal menschlich Wesentliches zu, daß die höhere Erziehung in Hamburg eingefallen, das zu so monumentalem Vor- eine ziemlich einseitige und nicht sehr tief- trage berechtigt.“97 Wo Goethes Zeit von gehende sei. Doch meinte er: liegt nicht ge- Kunstwerken noch erwartet habe, daß sie rade in dieser etwas beschränkten Bildung „aufregten“, sei man heute auf die banale eine gewisse Stärke? Das war“, so erinnert „Anregung“ heruntergekommen. Aby er- sich Max mit nicht ganz nachvollziehbarer scheint die Erzählung leer und hohl, es feh- Sympathie, „ganz richtig und traf den Na- len jene Momente, in denen das „eigent- gel auf den Kopf“.101 lichste und höchste Ausdrucksmittel der ··································································· Historie“ zur Geltung kommt, Momente 1911 listet Aby in einem Brief an den Freund „ideale[r] Humanität“ und „beseelten Men- Friedrich Bendixen seine Verdienste in Sa- schentums“.98 chen Universität auf: „Pace-macher für die ··································································· Akademische Idee seit 190?/ ohne ihn wäre Konsequent verfolgt von Melle, unter- Max Warburg nicht in Bewegung gekom- stützt von Max, weiter den Plan, die Wis- men und ohne diesen nicht Beit als Geldge- senschaftlichen Anstalten, das Vorlesungs- ber und ohne diesen hätte von Melle nichts wesen und das Kolonialinstitut in eine erreicht.“102 Immerhin kann 1911 dank einer ordentliche Universität zu überführen. Im- großzügigen Spende des Reeders Edmund mer wieder zieht letzterer seinen akade- Siemers ein Vorlesungsgebäude an der misch sozialisierten Bruder in Detailfragen Moorweide eingeweiht werden. Es steht so- zu Rate.99 1910 schlägt er vor, Aby in den wohl für die Veranstaltungen des Allgemei- Vorstand der Wissenschaftlichen Stiftung zu nen Vorlesungswesens als auch die des Ko- berufen. Deren größtes Problem liegt im er- lonialinstituts zur Verfügung; über dem klärten Widerstand, der den Universitätsbe- Portal ist es in Stein gemeißelt zu lesen: „Der fürwortern aus weiten Kreisen der Bevölke- Forschung – der Lehre – der Bildung.“ 1911 rung entgegenschlägt. Die Gegenargumente bereitet von Melle einen Antrag an die Bür- lauten unter anderem: „Fehlendes Bedürfnis gerschaft vor. Für die Verhandlungen wer- für eine Universität“, die „Gefährdung von den Vertrauensmänner aus allen politischen Hamburgs Handel und Schiffahrt“ – für de- Lagern gewählt, zu denen auch das Bürger- ren Bedürfnisse die Leistungsfähigkeit des schaftsmitglied Max Warburg gehört. Die- Staates uneingeschränkt erhalten bleiben ser plädiert für die Gründung einer „Über- müsse – sowie die „Entstehung eines gelehr- seeuniversität“, die zwar Unabhängigkeit ten Proletariats in Hamburg“ und, natür- besitzen, aber kontinuierlich von einem lich, die „zu geringe Veranschlagung der „kaufmännischen Beirat“ beraten werden Kosten“.100 Aber auch in Berlin findet die solle: eine Vorstellung, die bei den Verfech- Idee, Hamburg mit einer Hochschule aus- tern akademischer Selbständigkeit naturge- zustatten, wenig Freunde: Wenn Max, meist mäß auf Widerstand stößt. aus Anlass der Kieler Woche, auf Wilhelm ··································································· II. trifft, fällt diesem prompt das Stichwort Senatssyndikus Hermann Albrecht fasst „Universität Hamburg“ ein. „Der Kaiser es Anfang Januar 1912 so zusammen: „und

| 62 | Das Vorlesungsgebäude auf der Moorweide da scheint es mir so zu liegen, daß unser Vor- Beobachtungsstation“, deren besonderen lesungswesen, unsere Wissenschaftlichen Zwecken nach jeder Richtung hin entspro- Anstalten und unser Kolonialinstitut vor al- chen werden könne, sobald der „Beobach- lem bis zu einem gewissen Grade entwickelt tungspanzerturm drehbar“ gemacht werde, sind, dass einerseits in finanzieller und ma- „d. h. wenn die Klassische Kultur compe- terieller Beziehung nicht mehr viel an der tente Vertreter findet: ohne diese ist gerade Universität fehlt, andererseits aber gerade das Leben der Gegenwart in ‚wilden Län- das fehlt, was sie auf die Dauer zu existenz- dern‘ ganz unverständlich: afrikanischer berechtigten und lebensfähigen Gebilden Aberglauben ist eben z.T. altantikes Erbgut macht, nämlich die Zusammenfassung des (ich habe ja oft davon erzählt), und die Un- Ganzen zu einer geistigen Einheit und die bildung des Hamburgers – anderen Län- Studenten“. Wenn dies nicht gelänge, brä- dern gegenüber – kommt eben daher, daß che das Kolonialinstitut zusammen, die der heimatseelige Dilettant den kritischen tüchtigen Professoren liefen weg, die Wis- Maßstab, die Aufklärung, die die antike senschaftlichen Anstalten verkümmerten. Kultur jeder historischen Betrachtung „Es kommt dann eben dahin, daß das ganze bringt, entbehrt.“104 Er weiß, daß er den von uns in diesen Dingen investierte Kapi- Hamburgern höchstens mit dem Motto tal sich als nutzlos verwandt darstellt.“103 „Bildung schadet nichts“ kommen kann. ··································································· Dem in akademischen Fragen unerfahrenen Seinen möglichen Beitrag zu einer solchen Max rät er dringend dazu, das Recht zur Universität sieht Aby zu diesem Zeitpunkt, Promotion mit der Bedingung zu verknüp- wie er dem Bruder immer mal wieder erläu- fen, daß der Doktorand auch einige Semes- tert, in einer „kolonialwissenschaftliche[n] ter an der Universität studiert hatte: „die

| 63 | Doktorarbeit kann nicht irgendwo zum mir für meine Mutter“, so berichtet er ei- Schluß gemacht werden, sondern ist – bei nem Freund, „die sich z. Zt. an der Riviera der philosophischen Facultät das Endpro- in Cap d’Ail befindet Spass machen soll. duct der Zusammenarbeit zwischen Lehrer Auch mir ist es zur Erleichterung meines und Schüler“. Gar nicht einverstanden ist ganzen Betriebes recht willkommen.“107 Aby mit Max’ Wunsch, der Hamburger ··································································· Universität auch eine Theologische Fakultät Was hat die Kunst mit dem wirklichen Le- anzugliedern: „Bedenke doch, dass wir in ben zu tun? Diese Leitfrage wird 1912 erneut der glücklichen Lage sein können – was ein Thema, das beide Brüder in einem Pro- keine Universität in Deutschland kann – jekt zusammenbringt: die HAPAG-Impera- uns vom Einfluss des Klerikalismus, der al- tor-Affäre.108 les wissenschaftliche spaltet, freizuhalten!! ··································································· Die Idee von einer theologischen Facultät Eine weite Seereise auf einem der Schiffe darfst Du nicht in die Discussion werfen der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt- ohne Deine vorzügliche sonstige Situation Aktien-Gesellschaft“ hat Aby zwar im Leben ganz ernsthaft zu gefährden.“105 nicht unternommen, sein maritimer Akti- ··································································· onsradius blieb auf die regelmäßig aus Heu- Aby selbst ist grundsätzlich durchaus bereit, schnupfen-Gründen nach Helgoland unter- in dieser Universität eine aktive Rolle zu nommenen Schiffstouren beschränkt. Aber spielen: „Würde mir nun,“ so heißt es 1911 er muss doch die Kreuzfahrtschiffe Ballins in einem Brief an den in Hamburg schon gekannt, vielleicht im Hamburger Hafen bestallten Historiker Erich Marcks, „falls besichtigt haben, denn immer mal wieder man überhaupt daran denkt, mich etwa als kritisiert er die Ausstattung der Schiffe in ei- Hon. Professor einzugliedern (wie es nach nem falschen Louis XIV.-Stil. Max, der Ha- Ihrer freundlichen Idee möglich wäre) die pag-Schiffe von Seereisen her kennt, scheint alleinige Vertretung der Kunstwissenschaft mit ihm einer Meinung zu sein. Er gewinnt in der Facultät zufallen, d. h. würde ich ord. Ballin 1912 dafür, seinen Bruder zum künst- Hon. Prof. mit Sitz und Stimme in der Fa- lerischen Berater des neuen Flaggschiffes cultät werden können? Oder müßte ich mir „Imperator“ zu machen; das Schiff soll ein etwa mit den Museumsdirectoren in die Fa- schwimmendes Luxus-Hotel werden und cultätsgeschäfte theilen? Sollte letzteres ge- damit auf der Nordatlantikroute gegenüber plant sein, so würde ich bitten, gütigst von der britischen Konkurrenz neue Maßstäbe mir absehen zu wollen: ich wäre dadurch setzen. Der „Imperator“ ist eine patrioti- verhindert, mein bestes autoritativ zu vertre- sche, eine nationalistische Unternehmung. ten, ohne auf Reibungswiderstände zu stos- Name und Galionsfigur – ein aggressiver, sen, die zu überwinden mich zu viel Ener- bekrönter Adler, der auf einer Kugel sitzt – gie – dazu noch ohne Aussicht auf Erfolg – sind als überdeutliches politisches State- kosten würde.“106 Wie auch immer – im ment und als Referenz an Wilhelm II. zu Februar 1912 erhält Aby vom Senat in Aner- verstehen. Fotos vom Stapellauf am 23. Mai kennung seiner kunstgeschichtlichen Vorle- 1912 zeigen einen festlich gewandeten Max sungen und der Ablehnung des Rufs nach Warburg neben Ballin und dem Kaiser. Aby Halle den Professorentitel verliehen, „was jedoch scheitert mit seiner Mission. Die vor-

| 64 | gesehenen Bilder sortiert er als „frechen Sanatorium Dr. Heinsheimer in Baden- Kitsch“ und „Theatervedute zweiten Ran- Baden befindet, einen Brief: „Lieber Aby! ges“ aus und bestellt bei als fortschrittlich Es wird Dich freuen zu hören, dass es mir geltenden Hamburger Malern wie Paul gelungen ist, Ballin dazu zu bringen, ein Kayser, Friedrich Lissmann und Hermann Schiff dem deutschen Kunstgewerbe für die Bruck neue Gemälde. Als jedoch Ballin ei- Herstellung der Inneneinrichtung zu ver- genständig die Maler Ascan Lutteroth und schreiben. (…) Das von Ballin in Aussicht Friedrich Schwinge beauftragt, quittiert Aby genommene Schiff der Barbarossa-Klasse enttäuscht sein „Amt“.109 In seiner Antwort (Ostasienfahrt) war aber schon zu weit fort- auf einen Brief Ballins, der ihm offenbar ein geschritten, um in der von den Herren ge- Honorar und/oder eine Anstellung in Aus- wünschten Weise eingerichtet zu werden. sicht gestellt hatte, heißt es am 10. Juli 1913: Vielleicht wird es Prof. Schumacher gelin- „Hochverehrter Herr Ballin, (…) Ich sehe gen, endlich unser Ziel zu erreichen.“ Unser meine Dienste als vollständig dadurch kom- Ziel – zur Phalanx aus Aby und Max ist nun pensiert an, dass eventuell Bruck einen zwei- auch Baudirektor Fritz Schumacher gesto- ten Versuch machen darf und Lutteroth für ßen. Aber „das Schlimme ist nur, dass Bal- den Imperator nur als Provisorium anzuse- lin gegen alles Systematische, seiner natürli- hen ist. Es ist für mich bisher und auch wei- chen Anlage nach, Front macht. Auf alle terhin unbedingt selbstverständlich, dass ich Fälle aber sind wir einen guten Schritt in der die Beraterschaft rein ehrenamtlich ausge- Tendenz weitergekommen. Du siehst, daß führt habe, das war die einzigste Bedingung, man garnicht so zu schimpfen braucht, wie die ich meinerseits daran knüpfte, als Max Du es immer tust, um die Welt zu verbes- mich fragte, und die er Ihnen auf meinen sern.“111 Handschriftlich setzt er hinzu: ausdrücklichen Wunsch vorgetragen hat. – „Bruck hat den Auftrag bekommen, ein Da Sie sicherlich mit dem Angebot der neues Bild zu malen“ – der große Reeder ist Stelle mir eine Freude machen wollten (und somit zu Kompromissen bereit. es hat mir auch sehr gut getan), so bitte ich ··································································· Sie, mir unter allen Umständen die Befrie- Es darf trotz der weitgehend auf Hamburg digung zu lassen, etwas nur ehrenamtlich ausgerichteten Perspektive dieses Buches nicht ganz gut gekonnt zu haben. Wollen nicht unerwähnt bleiben, dass sich Aby in Sie mir aber noch einen Extragefallen tun, jenen Jahren auf dem internationalen kunst- so lassen Sie dem jungen Lissmann die historischen Parkett ein eindrucksvolles Möglichkeit, für die Kuppel des Speisesaals Renommee erwirbt. Er erregt Aufsehen mit in der Vaterland [das zweite Schiff der „Im- Arbeiten zu ungewöhnlichen Themen wie perator-Klasse“, KM] einen Entwurf unter „Arbeitende Bauern auf burgundischen den von mir vorgeschlagenen Bedingungen Teppichen“ oder, noch avantgardistischer, einzureichen.“110 „Luftschiff und Tauchboot in der mittelal- ··································································· terlichen Vorstellungswelt“. Er ist Mit-Or- Max jedoch, der vielleicht auch für den ganisator des Internationalen Kunsthistori- schwierigen Bruder eine Beschäftigung kertages in Rom 1912 und hält auf diesem sucht, gibt nicht auf. Am 18. September 1913 am 19. Oktober auch selbst einen Vortrag. schreibt er Aby, der sich gerade zur Kur im Dieser ist in die Geschichte der Kunstge-

| 65 | Aby und Sohn Max Adolph im Arbeitszimmer in der Heilwigstraße schichte deshalb eingegangen, weil er nach- ··································································· weist, wie man mit einer neuen Methode, In Hamburg dagegen ist 1913 die Universi- von einem veränderten Blickwinkel aus tätsfrage völlig ins Stocken geraten. Im ganz konkrete Fragen zu lösen vermag, auf Sommer lehnt die Bürgerschaft einen ent- die es bis dahin keine Antworten gab: Bis- sprechenden Antrag ab. Max und Aby müs- lang unverständliche, nicht gedeutete Re- sen sich zunächst geschlagen geben. Den- naissance-Fresken im Palazzo Schifanoia in noch erreicht Aby in dieser Zeit ein Ferrara ergeben nun einen Sinn. Aby denkt wichtiges Zwischenziel. Seine ursprünglich in neuen, weiteren Räumen. In der Nach- private Studiensammlung hat sich in eine folge Lamprechts, Riegls, von Falkes be- halb-öffentliche Institution verwandelt. trachtet er „Antike, Mittelalter und Neuzeit ··································································· als eine zusammenhängende Epoche“ und Es gibt Öffnungszeiten, es gibt Mitarbeiter, „die Werke freiester und angewandter Kunst und es gibt einen Namen – K.B.W., Kultur- als gleichwertig“. Für die akademische wissenschaftliche Bibliothek Warburg. In Kunstgeschichte gilt vor allem Letzteres als den „Aussendungen der Hamburger Ober- Regelverstoß.112 Der 19. Oktober 1912 wird schulbehörde“ ist zu lesen: „Kulturwissen- zur Geburtsstunde der Methode, Bilder zu schaftliche Bibliothek Warburg. Prof. Dr. „lesen“, der Ikonologie. phil. A. Warburg, 114 Heilwigstrasse. Aus ei-

| 66 | ner mit Abbildungssammlung verbundenen thek werktäglich Nachm. 5–7 offen. Buch- Handbibliothek zur Untersuchung der bestand 1914: etwa 18.000 Bde. Jährl. Zu- Frage nach dem Einflusse der Antike auf die gang etwa 1.000 Nrn. Wissenschaftliche Kunst der italienischen Renaissance entstan- Hilfsarbeiter: Dr. phil. Wilh. Printz. Dr. den, wird die K.B.W. seit 1902 auf breiterer phil. .“113 Bedeutsam ist vor allem Grundlage systematisch zu einer Studien- die Nennung Fritz Saxls, des aus Wien stam- stätte für Kulturwissenschaftliche Ikonolo- menden, halbjüdischen Kunsthistorikers, gie (unter besonderer Berücksichtigung der dem er im Januar 1914 eine Stellung ange- Verkehrsprobleme auf dem Gebiete interna- boten hatte und der zu Abys engstem Mit- tionaler Bilderwanderung) ausgestaltet; wis- arbeiter werden sollte. senschaftlichen Benutzern steht die Biblio-

·············································································································································· 184 Beit ist Hamburg immer verbunden geblieben. 1890 etwa baute er für seine Mutter im Mittelweg 1913 ein Haus und 1905/06 konnte ihn Lichtwark gewinnen, die Kosten für Liebermanns umstrittenes Gemälde „Der Hamburger Professorenkonvent“ zu übernehmen. Vgl. Albrecht, Beit, S. 96, 110. 185 Vgl. Ahrens, Stiftungsprofessur. 186 Warburg, Bildniskunst, S. 69. 187 Wohl Heinrich Embden, Neurologe, Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten in Hamburg und Hausarzt der Familie Aby Warburg. 188 Max an Aby Warburg, 10 Oktober 1907: WIA, FC. 189 Ruppenthal, Kolonialismus. 190 Michels, Bannkreis, S. 61. 191 Aby an Max Warburg, 22. Januar 1909: WIA, III.26.3. 192 Das neue Haus: Ebd., III.25.6. 193 Warburg, Pflichten, S. 305. 194 Chernow, Die Warburgs, S. 166 f. 195 Schäfer, Bibliothek, S. 119 f. 196 Ebd., S. 115. 197 Warburg, Wandbilder; siehe auch Warnke, Kunstgeschichte. 198 Vgl. auch Russell, Tradition, S. 165. 199 Aby an Max Warburg, 25. September 1911: WIA, IV, 153. 100 Melle, Jahre, S. 90 f. 101 Warburg, Aufzeichnungen, S. 31 f. 102 Aby Warburg an Friedrich Bendixen, 1911: WIA, IV, 30 f. 103 Warburg, Aufzeichnungen, S. 89. 104 Ebd. 105 Aby an Max Warburg, 1. Oktober 1911: WIA, IV, 159-160. 106 Aby Warburg an Erich Marcks, 23. Dezember 1912: Ebd., 424. 107 Aby Warburg an Victor Goldschmidt. 20. Februar 1912: Ebd., GC. 108 Vgl. Russell, Tradition, S. 168 ff. 109 Michels, Bannkreis, S. 69 f. 110 Aby Warburg an Albert Ballin, 10. Juli 1913: WIA, GC. 111 Max an Aby Warburg, 18. September 1913: Ebd. 112 Zitiert nach: Michels, Bannkreis, S. 77 f. 113 Ebd., S. 81. ··············································································································································

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1918: „Unser Krieg“ und „die Judenfrage“

Am 1. August 1914 erklärt Deutschland liären Verbindungen zum potentiellen Russland den Krieg. Der zu diesem Zeit- Kriegsgegner Amerika. 1916 muss Max ein- punkt 48 Jahre zählende Aby wird aufgrund sehen, dass das finanzielle Schicksal unserer seines Alters nicht mehr eingezogen, Max Firma vom politischen Schicksal Deutsch- ebensowenig. Die Bank, die in den letzten lands abhängt. „Sollte Deutschland den Jahren glänzende Geschäfte gemacht hatte, Krieg verlieren und die nicht in entwickelt als erste ein Hilfskassen-Projekt, der Lage sein, ihre Garantien uns gegenüber aus dem in Schwierigkeiten geratenen Fir- einzulösen, dann wird uns nichts übrig blei- men und Gewerbetreibenden Kredite ge- ben, als eine Annonce folgenden Wortlauts währt werden konnten. Auch ist sie an der in die Zeitung zu setzen: ‚Auf dem Felde der Gründung einer Seeversicherungsgesell- Ehre stellten ihre Zahlungen ein M. M. schaft und einer Kriegsmetallgesellschaft be- Warburg & Co.“114 teiligt. Zusammen mit Syndikus Carl Mel- ··································································· chior und Albert Ballin gründet Max die Aby versucht, das Kriegsgeschehen intel- (später halb-staatliche) Zentral-Einkaufsge- lektuell, als Wissenschaftler zu bewältigen: sellschaft, über die aus neutralen Staaten Er legt – wie viele seiner Zeitgenossen – ein und besetzten Gebieten Lebensmittel einge- Zeitungsausschnitt-Archiv an, und er gibt führt werden. Persönlich gut vernetzt, wird eine Zeitschrift heraus. Die Sammlung von Max vom Auswärtigen Amt ins neutrale Zeitungsausschnitten auch ausländischer Schweden geschickt, um das Land für die Organe soll der Wahrheitsfindung dienen. deutschen Ziele zu gewinnen; er resigniert Wem kann man glauben, was ist Propa- jedoch angesichts der Naivität und Schwer- ganda, was Tatsachenbericht? Das Stigma fälligkeit der deutschen Außenpolitik. 1915 der „falschen“ Geburt scheint von ihm, wie siedelt Bruder Fritz (dessen Frau Anna, geb. von so vielen Juden in den ersten Kriegsmo- Warburg in Schweden aufgewachsen war) naten, abzufallen. Einer seiner Zettelkästen mit Familie ganz nach Schweden über, mit wird mit „Unser Krieg“ betitelt. Anderer- der ebenfalls offiziellen Aufgabe, von dort seits will auch er, wenn schon nicht an der für die Verbesserung der Lebensmittel- und Front, mit seinen Mitteln einen patrioti- Brennstoffsituation des blockierten Deutsch- schen Beitrag leisten. Inzwischen hat er sich land zu sorgen. Was die persönliche und zum radikalen Parteigänger der „deutschen manchmal auch politische Situation der Sache“ entwickelt. In offiziellen Auftrag ent- Warburgs erschwert, sind ihre engen fami- wickelte er ein neues Propaganda-Organ,

| 68 | die „Rivista“. Mitstreiter sind Thilenius und reicht wird.116 Co-Autor ist, wie die im Lon- der italienisch-deutsche, am Kolonialinsti- doner Archiv erhaltenen Briefe aus jener tut tätige Phonetiker Giulio Panconcelli- Zeit belegen, Bruder Aby. Schärfer im Ton, Calzia. Die eher chauvinistische als völker- aber in der Sache genauso entschlossen, verbindende Zeitschrift will durch Beiträge, trägt er zum Text das Seine bei – „Das ist vor allem aber eine üppige und gezielte Bild- doch ganz selbstverständlich, daß ich Kor- auswahl „einen unmittelbaren Eindruck rekturen nicht übel nehme!“, lässt der jün- von Deutschlands Kultur im Kriege“ geben; gere Bruder den älteren wissen.117 nach zwei Nummern wird sie eingestellt.115 ··································································· ··································································· Was steht in diesem Text?118 Zunächst ein- Mitte 1916 ist es erneut die „Judenfrage“, mal schreibt der Autor „nicht als Jude“, son- die Aby und Max, um den militärischen dern als „Deutscher jüdischen Glaubens“; Ton jener Jahre aufzugreifen, zu einer Pha- seine Initiative dient nicht der Verbesserung lanx zusammenschmiedet. Zwar hatte Wil- der jüdischen Lebensbedingungen, sondern helm II. bei Kriegsbeginn einen „Burgfrie- dem Wohl des Staates. Es geht – immer den“ ausgerufen, der auch die jüdischen noch aktuell – um die Frage der Ehrenstel- Deutschen einbezog: „Ich kenne keine Par- lung des Reserve-Offiziers und die Frage, teien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! warum Juden in Deutschland zwar Richter, (…) ohne Parteiunterschied, ohne Stam- aber niemals Staatsanwalt werden können. mesunterschied, ohne Konfessionsunter- Es geht um Neid und Taufzwang, um Tole- schied.“ Viele Juden begrüßen begeistert ranz und Gerechtigkeit. An zahlreichen Bei- diese erste wirkliche Chance zur völligen In- spielen gibt Max Einblick in das bittere Er- tegration und melden sich freiwillig zum leben jüdischer Deutscher. Wenn es gelänge, Kriegsdienst; in den ersten Kriegsmonaten so sein Appell an die politisch Verantwortli- wird jüdischen Soldaten sogar die Beförde- chen, diese nicht mehr als unerwünschte rung in den Offiziersrang ermöglicht. Sehr Minderheit zu behandeln, könne das Deut- bald aber schlägt die Stimmung um, und in sche Reich auch außenpolitisch immensen Militär und Presse setzt eine massive antise- Gewinn daraus ziehen. „Die Lebensfrage mitische Hetzkampagne ein. Unter ihrem lautet: Wie machen wir jeden einzelnen Druck gibt Walter Rathenau schon im März Bürger zum nützlichen und freudigen Mit- 1915 sein Amt im Kriegsministerium auf. kämpfer in Krieg und Frieden?“ „Als Mit- Juden werden als „Drückeberger“ verun- glied einer Familie“, so lautet der Schluss, glimpft – und für die Notlage der Bevölke- „die väter- und mütterlicherseits seit 300 rung verantwortlich gemacht. „Jüdische Jahren nachweisbar in Deutschland gelebt Verfilzung“ ist wieder ein beliebtes Schlag- hat, die für die geschäftliche Entwicklung wort, und damit ist auch „das System Bal- Deutschlands ehrlich und erfolgreich mitge- lin-Rathenau“ gemeint. Max gerät so ganz wirkt hat, für Kunst, Wissenschaft und direkt in die Schusslinie der Antisemiten. Er Wohltätigkeit ihr ehrlich Teil beigetragen, reagiert mit der Erstellung einer Denkschrift ihre Blutopfer in dem Kriege 1870/71, wie in über „Die Judenfrage im Rahmen der deut- dem jetzigen gebracht hat, muß ich ohne schen Gesamtpolitik“, die zahlreichen Per- falsche Bescheidenheit und ohne falschen sönlichkeiten des politischen Lebens über- Stolz, als Deutscher auf diese Gefahr auf-

| 69 | merksam machen. November 1916, M.W.“ uneindämmbaren antisemitischen Bewe- ··································································· gung. 1922 wird eine Untersuchung erge- Zwar wiegelt der grundsätzlich optimisti- ben, dass der Anteil der zum Kriegsdienst sche Max in einem Brief an Aby vom 13. Juni eingezogenen Juden proportional dem der 1916 noch ab: „Ich nehme alle diese Dinge Nichtjuden entsprach. – Bemerkenswerte sehr kühl; ein zweijähriger Krieg, insbeson- Reaktionen sind auf Max’ Schrift über die dere wenn er schlecht verfuttert wird, kann „Judenfrage“ nicht bekannt. Als er versucht, nur schlechte Leidenschaften hervorrufen. nach der Absetzung Wild von Hohenborns Das geht auch wieder vorüber.“119 Aber sei- Ende Oktober 1916 mit dem neuen Kriegs- ner an die Vernunft appellierenden Denk- minister Hermann von Stein ins Gespräch schrift merkt man die emotionale Intensität, zu kommen, hält dieser ihm einen Vortrag mit der sie verfasst wurde, noch heute deut- über Heinrich Heine als „vaterlandslosen lich an. Denn mit dem Schwinden der Gesellen.“ Kriegshoffnung wird im Deutschen Reich ··································································· vermehrt nach Schuldigen Ausschau gehal- Im gleichen Jahr, im Oktober 1917, erhält ten; als Sündenbock eignet sich, wie so oft Aby von einem Verwandten seiner Frau, in der Geschichte, eine Minderheit – die Ju- dem Diplomingenieur Hans Hertz, einen den. Der Ernst der Lage wird Max spätes- Zeitungsausschnitt zugesandt, in dem die tens im Oktober desselben Jahres deutlich, Familie Warburg verunglimpft und behaup- als der preußische Kriegsminister Adolf tet wird, sie sei auch mit Max Liebermann Wild von Hohenborn eine „Judenzählung“ verwandt. Gravierender aber ist ein zweiter anordnet. Mit ihr soll der Anteil der Juden Punkt: Er läuft auf die aus Verschwörungs- an allen Soldaten des deutschen Heeres er- theorien und Verdrehungen historischer mittelt und somit – vorgeblich – dem Vor- Tatsachen zusammengebastelte Verleum- wurf entgegengetreten werden, sie würden dung hinaus, Warburgs seien schuld daran, sich mit dem Argument kriegswichtiger Tä- dass Amerika in den Krieg eingetreten sei tigkeit bevorzugt vom Heeresdienst befreien und damit auch, dass Deutschland diesen lassen. Ein immer aggressiverer Antisemitis- verloren habe. Wie immer, wenn Aby sich mus steigt aus den Tiefen der Gesellschaft an im Familien- oder Freundeskreis äußert, ihre Oberfläche. Diskriminierungen und reagiert er scharf: „Über das Gespräch, das extreme Demütigungen der jüdischen Sol- mein Bruder mit Protopopoff [dem dama- daten sind die Folge. Die Ergebnisse der ligen russischen Innenminister Alexander „Judenzählung“ wird man bis Kriegsende Protopopov, KM] führte, darf in Kriegszei- geheim halten, was Gerüchten schlimmster ten von uns nichts gesagt werden. Das wis- Art neue Nahrung gibt. Gleichzeitig ist klar, sen die Schweine. Ein Ersuchen um Rich- dass damit alle Integrationsbemühungen im tigstellung an das Blatt oder die Blätter wird Kaiserreich gescheitert sind; Antisemitismus unsererseits kaum erfolgen. Die deutschen ist staatlich sanktioniert. Einzig der Natio- Ehrabschneider müssen erst tiefer im Sumpf nalliberale Gustav Stresemann, der sich zu- sitzen, ehe man ihnen zu Leibe gehen wird. nächst für eine „offene Klarstellung“ und Was mich betrübt, ist nur, daß die gewissen- damit für die Zählung ausgesprochen hatte, losesten, dümmsten und gefährlichsten warnt 1917 öffentlich vor der Gefahr einer Journalisten sich als Vaterlandspartei auf-

| 70 | spielen dürfen, ohne daß sich im Jubiläums- kreisende Studie hat einen Subtext. Dieser jahr Luthers ein rechter deutscher Mann verrät sich gleich eingangs, als von der „Un- findet, der das Buch von dem freien Gewis- freiheit des abergläubigen modernen Men- sen des Zeitungsmenschen wider jeden Ka- schen“ die Rede ist. Aberglaube, magisches pitalismus rechts und links zu schreiben Denken, das Vertrauen auf die Sterne und wagt.“120 das eigene Horoskop durchzieht, so seine ··································································· Beobachtung, die Menschheitsgeschichte In der gemeinsam verfassten Denkschrift ist bis in die Gegenwart. Selbst im Umkreis Lu- es Aby wichtig, auf das Engagement der Fa- thers, in dem eigentlich das Vertrauen auf milie nicht nur für soziale Belange und Gott die oberste Maxime hätte sein müssen, Kunst, sondern auch für die „Wissenschaft“ ist die Sternengläubigkeit nicht ausgerottet. hinzuweisen. Dahinter verbirgt sich nicht Zu allen Zeiten besteht die Gefahr eines nur ein dezenter Hinweis auf persönliche Rückfalls in die Irrationalität. Immer wieder Verdienste, sondern auch ein allgemeines hat dieses irrationale Denken eine Diskrimi- Anliegen: Vor dem Hintergrund der identi- nierung der Juden ausgelöst: Im Mittelalter tätsmäßigen Zwickmühle der deutschen Ju- hat man ihnen den Ausbruch der Pest – den erscheint es heute nur allzu nachvoll- „Brunnenvergiftung“ – in die Schuhe ge- ziehbar, dass man in der Verbreitung einer schoben. Jetzt gerade macht man sie für die auf Objektivität und Neutralität gerichteten sich abzeichnende militärische Niederlage Denkweise eine Lösung sieht – vielleicht verantwortlich. Der dieser Auffassung zu- war auch dies ein Grund für das überpro- grunde liegenden, latenten Schicksalsgläu- portional intensive Engagement der War- bigkeit setzt Aby die historische Wiederbe- burgs für eine Universität in Hamburg. Aby lebung des Humanismus und einen selbst gibt dafür eine Probe ab. Während der virtuellen „Denkraum“ entgegen. Dieser Kriegsjahre arbeitet er an einer Studie, die entsteht aus der Einnahme einer anderen, 1920 publiziert werden wird: „Heidnisch- weiter vom Objekt entfernten Perspektive. antike Weissagung in Wort und Bild zu Lu- Erst aus der Distanz, so seine Überzeugung, thers Zeiten“.121 Dass sich ein Kunsthistori- aus Logik und dem Versuch, Phänomene in ker mit religiösen Fragen und ein Jude mit Begriffe zu fassen, entsteht die Möglichkeit Luther befasst, muss damals exzentrisch ge- objektiver Wahrnehmung und, so darf man wirkt haben – zumal Aby nicht etwa den be- folgern, vernunftgeleiteten Handelns. kannten Antisemitismus Luthers behandelt, ··································································· sondern diesen im Gegenteil als rational Es wundert angesichts dieser Hoffnung auf denkenden Kämpfer gegen primitives Den- die Wissenschaft nicht, dass sich Aby mehr ken würdigt: vielleicht ein Reflex seiner un- denn je für die Etablierung einer Hambur- mittelbaren Umgebung, denn Aby hat ja in gischen Universität bemüht. Seit 1916 ist er eine sehr protestantische Familie eingeheira- im Kuratorium der Hamburgischen Wis- tet, und er wird sich auf dem Ohlsdorfer senschaftlichen Stiftung. Inzwischen hat Friedhof auch in ihrem Grab, nicht etwa auf sich seine Einstellung geändert – er plädiert dem jüdischen Teil des Friedhofs, begraben nun für eine Hochschullandschaft aus selb- lassen. Abys um sein Lebensthema, den ständigen Forschungsinstituten plus Uni- Zwiespalt zwischen Ratio und Aberglauben versität. „Hochverehrte Magnifizenz!“, so

| 71 | schreibt er am 24. Dezember 1917 an von ter hinnehmen würden.“123 Am 9. Novem- Melle, „Nach meiner Darstellung der Sach- ber verkündet Reichskanzler Max von Ba- lage könnte ich zur Klärung der Meinungen den den Thronverzicht Wilhelm II. In inbezug auf die Universitätsfrage dadurch Hamburg übernehmen die Sozialdemokra- beitragen, dass ich einige Herren einmal an ten, kontrolliert von einem „Arbeiter- und meiner Bibliothek zeige, was ein For- Soldatenrat“, die Regierung. Senat und Bür- schungsinstitut ist (Anlage, Aufbau, Hilfs- gerschaft sind abgesetzt. Ende 1918 tritt Max kräfte, Kosten) und warum gerade ich, der in die liberal-konservative Deutsche Volks- wohl am frühesten hier in Hamburg von der partei, die Partei Gustav Stresemanns, ein. Notwendigkeit der Forschungsinstitute auf Am 10. November stirbt – für Max ein geisteswissenschaftlichem Gebiete innerlich furchtbarer Schlag – Albert Ballin, vermut- überzeugt war und tatsächlich (seit 1906) lich an einer Überdosis seiner Medika- geschaffen hat, doch zu der Ueberzeugung mente. Und während Max aufgefordert gekommen bin, dass ohne Universität ein wird, als Vertreter des Reichsschatzamtes an Forschungsinstitut nicht als lebendiger Or- den Friedensverhandlungen teilzunehmen, ganismus in den Gesamtkreislauf der deut- versinkt Aby in einer schweren Schizophre- schen Kultur einmünden kann, und da- nie. durch vor der Gefahr steht, provinzial zu ··································································· verkümmern.“122 Schon länger hatten Phobien, Zwangsvor- ··································································· stellungen und Wahnideen Aby und seine Der Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 Umgebung auf das heftigste tyrannisiert. Im wird von der Familie, deren Mitglieder sich Herbst 1918 droht er, seine Familie und sich nun als „Feinde“ gegenüberstehen, als uner- selbst mit einem Revolver zu töten. Die in trägliche Belastung empfunden. Bruder Fe- der Krankenakte angegebene Begründung lix muss – als amerikanischer Staatsbürger – lässt im nachhinein aufhorchen: „Er meinte, die Familienfirma verlassen. Der Briefkon- seine Familie, seine Frau, die drei Kinder takt bricht völlig ab, persönliche Nachrich- würden von unbekannten Verfolgern ent- ten werden von einem Zensor abgefangen. führt, verschleppt, gefoltert und getötet Max leidet unter der Verblendung der Ver- werden.“124 Aby, der Künstlern ohne weite- antwortlichen, die den bereits verlorenen res „seismographische“ Fähigkeiten attes- Krieg bis zur Hoffnungslosigkeit fortfüh- tierte, scheint hier selbst von schlimmen ren. Als sich im Oktober 1918 die völlige po- Vorahnungen überfallen zu werden: Wenige litische Wende abzeichnet, die der Krieg Jahre später wird sein Bruder Max einem nach sich ziehen würde, wird Prinz Max von Mordkomplott nur knapp entkommen Baden als Reichskanzler ins Spiel gebracht. können. Nun ist jedenfalls allen Beteiligten Er wiederum bittet Max um seine Mitarbeit deutlich, dass eine längere psychiatrische in der Regierung. Dessen Reaktion zeugt Behandlung unumgänglich ist. Am 2. No- von Illusionslosigkeit: „In meiner Antwort vember 1918 bringen ihn Max und Mary sagte ich ohne Zögern, daß ich mich ihm nach Eimsbüttel in die Privatklinik Dr. Lie- gern zur Verfügung gestellt hätte, aber ich nau. Im Aufnahmeprotokoll festgehaltene kenne die Deutschen und wisse, daß sie nie Äußerungen Abys zeigen, dass sein psy- und nimmer einen jüdischen Finanzminis- chischer Ausnahmezustand, seine Zerrissen-

| 72 | heit vor allem dem Kriegsgeschehen ge- Zerrbild, das weder als Forschungsanstalt schuldet sind: Besonders belastet ihn der noch als Lehrinstitut brauchbar sei.128 War- Umstand, dass sich nun seine Brüder – die burgs Entgegnung trägt den ungewöhnli- einen in Hamburg, die anderen in den USA chen Titel „Das Problem liegt in der Mitte“ – als politische und geschäftliche Feinde ge- und beginnt mit einer verschachtelt, aber genüberstehen.125 Acht Monate verbringt brillant formulierten Aussage: „Die Ent- Aby hier, ohne dass sich sein Zustand we- wicklung des Universitätsgedankens in sentlich bessert; am 12. Juli 1919 wird er un- Hamburg kann das erfreuliche Schauspiel geheilt entlassen. Nachdem es zuhause nicht einer gerade aufsteigenden Linie nicht bie- geht, liefert man ihn am 9. Oktober 1919 in ten; neben dem ‚Kolonialinstitut‘ und der die Psychiatrische Universitätsklinik Jena ‚Wissenschaftlichen Stiftung‘, durch deren ein, die bis zu seiner Emeritierung im Jahr Errichtung Hamburg schon 1907 die deut- 1919 Otto Binswanger geleitet hatte. Im sche Bildung auf neue Bahnen brachte, April 1921 beginnt Aby eine Behandlung in wurde von manchem die hergebrachte deut- der von dessen Neffen sche Universität zunächst wie ein alterndes geführten Prominenten-Klinik „Bellevue“ Erziehungsorgan empfunden, das, bedrückt im schweizerischen Kreuzlingen. „Meine durch die kräfteverzehrende Lehrpflicht im Krankheit besteht darin“, so notiert er am akademischen Großbetrieb, in steigender 16. Juli 1921 in einem autobiographischen Weltfremdheit die auffrischende Berührung Fragment, „daß ich die Fähigkeit, die Dinge mit dem wirklichen Leben mehr und mehr in ihren einfachen Kausalitätsverhältnissen zu verlieren verurteilt schien.“ Diese Berüh- zu verknüpfen, verliere, was sich im Geisti- rung von Wissenschaft und „wirklichem Le- gen wie im Realen widerspiegelt, so z. B. ben“ habe man in Hamburg ja bereits über mag ich deswegen nur einfache übersehbare die Gründung des Kolonialinstituts, Wis- Gerichte essen“.126 senschaftlicher Stiftung und Vorlesungen ··································································· herstellen wollen – aber im Grunde sei diese Im gleichen Jahr 1918 hatte sich Aby noch Konstruktion so unbefriedigend, dass man einmal deutlich zu Wort gemeldet mit ei- neu nachdenken müsse. Goethes „Wander- nem Beitrag, der in dem Sonderheft „Zur jahre“ zitierend, weist er darauf hin, dass Universitätsfrage“ erschien, das von der „Li- nicht „die Wahrheit“ in der Mitte liege, son- terarischen Gesellschaft zu Hamburg“ he- dern eben das Problem: „In der Mitte bleibt rausgegeben wurde; ihr Schriftleiter war das Problem liegen, unerforschlich viel- Gustav Schiefler.127 Anlass war eine heftige leicht, vielleicht auch zugänglich, wenn man Auseinandersetzung um die Gründung der es darnach (sic) anfängt!“ Ohne selbst einen Universität, die mit befremdender Schärfe aktiven Lösungsvorschlag anzubringen, gibt vor allem in der hamburgischen Presse aus- Warburg danach die Bahn frei für Beiträge getragen wurde. Eine Denkschrift vom 15. der Professoren Otto Franke, Wilhelm Wey- Mai 1918 ist von verschiedenen Professoren gandt, Georg Thilenius, Richard Salomon des Kolonialinstituts und des Allgemeinen und Heinrich Winkler (vom Kieler Institut Vorlesungswesens unterzeichnet; ihr Fazit: für Seeverkehr und Weltwirtschaft), die uni- Da man sich in Hamburg eine Volluniver- sono für die Gründung einer Universität in sität gar nicht leisten könne, entstünde ein Hamburg argumentieren. 1919 haben Aby

| 73 | und Max dann eines ihrer Lebensziele er- Sitzung am 28. März – nun ohne Beteili- reicht: In der ersten demokratisch, nicht gung der Wissenschaftlichen Stiftung – die mehr nach dem alten Klassenwahlrecht ge- Gründung einer „Hamburgischen Universi- wählten Bürgerschaft hat die SPD die abso- tät“.129 lute Mehrheit. Sie beschließt in ihrer dritten

·············································································································································· 114 Warburg, Aufzeichnungen, S. 46. 115 Zitiert nach: Michels, Bannkreis, S. 85. 116 Vgl. Schoell-Glass, Warburg, S. 133 ff. 117 Ebd., S. 137. 118 Abgedruckt: Ebd., S. 256 ff. 119 Zitiert nach: Ebd., S. 136. 120 Vgl. Schoell-Glass, Warburg, S. 178 ff. 121 Warburg, Weissagung. 122 Aby Warburg an Werner von Melle, 24. Dezember 1917: WIA, GC. 123 Warburg, Aufzeichnungen, S. 64. 124 Königseder, Warburg, S. 75. 125 Marazia; Stimili, Binswanger, S. 213. 126 Die Krankengeschichte ausführlich dokumentiert; ebd., S. 99. 127 Warburg, Problem. 128 WIA, GC. 129 Bolland, Gründung, S. 85. ··············································································································································

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Neues Denken – was hat man aus dem Krieg gelernt?

Schon 1918 hat Max’ Sohn Erich eine Aus- chen, und dann einen Weltraubzug unter- bildung bei der Disconto-Gesellschaft be- nehmen, den Keim zu neuen Kämpfen legen gonnen, wo er, kunsthistorisch vorgebildet und den Glauben an eine bessere Zeit töten, durch Onkel Aby und persönlich interes- heißt, die größte Weltsünde begehen, die in siert, nebenher die Vorlesungen von Adolph nächster Nähe zu erleben entsetzlich ist.“131 Goldschmidt besucht. Auch den ersten Vor- Am 25. April 1919 erlaubt man der Finanzde- trag Albert Einsteins über Relativitätstheorie legation, nach Versailles zu reisen. Alle deut- erlebt er als Hörer – später wird er sich vor schen Delegationsmitglieder sind schockiert allem daran erinnern, dass dieser durch laut- von der Härte der Reparationsforderungen. starke Proteste rechtsradikaler Studenten ge- Unterstützung erhalten sie von dem engli- stört wurde.130 Inzwischen hat das infame schen Unterhändler John Maynard Keynes, Wort von der „Dolchstoßlegende“ Karriere der aus Protest gegen die Vertragsbedingun- gemacht – vor allem der SPD und den Ju- gen von seinem Posten in der Delegation zu- den wird die Schuld gegeben am katastro- rücktritt. Am 24. Juni reist die gesamte phalen Ausgang des Krieges. Auf offizieller Kommission zurück nach Weimar, wo die Ebene kann und will man auf ihre Mitwir- Finanz- und Wirtschaftssachverständigen – kung nicht verzichten: Max wird, ebenso wie unter ihnen Wilhelm Cuno, Ballins Nach- der ihm inzwischen als Teilhaber noch enger folger bei der HAPAG, und Franz Heinrich verbundene Carl Melchior, aufgefordert, an Witthoefft, Vertreter der Hamburger Han- den Friedensverhandlungen teilzunehmen. delskammer – einstimmig empfehlen, die Melchior übernimmt die Leitung der Fi- Friedensbedingungen abzulehnen. Doch ihr nanzdelegation, der auch Max angehört. Am Votum ist bedeutungslos geworden. Als Max 31. März 1919 reist die deutsche Finanzdele- nach vier Monaten wieder in Hamburg ein- gation nach Frankreich; man quartiert sie trifft, verteilt der „Schutz- und Trutzbund“ nordöstlich von Paris im Château de Villette an der Börse Flugblätter, auf denen er per- bei Compiègne ein. Wochenlang lässt man sönlich, paradoxerweise, für die Annahme sie unter militärischer Bewachung warten. des „Schmachfriedens“ verantwortlich ge- Schließlich unterbreiten die Alliierten Vor- macht wird.132 schläge, deren Erfüllung Melchior wie Max ··································································· unmöglich erscheint. Hellsichtig schreibt er Für Max folgt eine hektische Zeit voller po- an seine Frau: „Der Welt eine neue Zeit ver- litischer Aktivitäten, Reparationsverhand- künden, von Liebe und Gerechtigkeit spre- lungen mit Belgien, England und Holland

| 75 | sowie intensiver Versuche, die galoppierende tergebracht. „Mein lieber Aby“, so schreibt Inflation aufzuhalten; auch sie wird dem An- Max dem Bruder am 12. Juli 1921 in die Heil- tisemitismus weiter Auftrieb geben. Im Juli anstalt nach Kreuzlingen: „Mit grosser 1920 wird Melchior zu einem der Unter- Freude lese ich jetzt überall anerkennende händler der Konferenz von Spa ernannt, auf Worte über Deine Arbeit. Ich nehme an, der die Frage der Reparationen erneut ver- dass Dir diese Kritiken immer zugesandt handelt wird. Als dieser sich wie Rathenau werden. Du hast mehr Erfolg in der Wissen- und der (nichtjüdische) Bankier Bernhard schaft als ich in der Praxis, denn mit Logik, Dernburg für die Annahme der Kohlenfor- Erfahrung und selbst gründlicher Arbeit derungen und damit gegen die drohende Be- kommen wir augenblicklich in dieser ver- setzung des Ruhrgebiets ausspricht, lässt rückten Welt doch nicht weiter. (…). Dein Hugo Stinnes das Wort „Rassenabstim- treuer Bruder Max.“135 mung“ fallen. „Er sagte, es seien die jüdi- ··································································· schen Experten gewesen, die zum nachgeben Aus seinen Zeilen spricht Resignation. Im- geraten hätten. Er veröffentlichte einen mer wieder bieten wechselnde Mitglieder Brief, in dem es hieß: ‚eine Anzahl Vertreter der Regierung Max sowie Carl Melchior in Spa haben aus einer fremdländischen Psy- Botschafter- und Ministerposten an – im- che heraus den deutschen Widerstand gegen mer wieder lehnen beide ab. Max muss für unwürdige Zumutungen gebrochen.‘“133 den Moment einsehen, dass alle Anstren- ··································································· gungen, aller Sachverstand und aller guter In Hamburg fällt Max die Verantwortung Wille den Hass auf die Juden nicht beseiti- für die Kulturwissenschaftliche Bibliothek gen können. Zwar gehört er (bis 1925) dem seines erkrankten Bruders zu. Vielleicht Zentralausschuss der Reichsbank an – aber nicht nur aus persönlicher Verbundenheit, er muss einsehen, dass man sich als deut- sondern auch aus Einsicht in die gerade jetzt scher, erfolgreicher Jude eine exponierte benötigte kulturpolitische Notwendigkeit Stellung nicht leisten kann. Aus Sicherheits- dieses Instruments beschließt die Familie ih- gründen vermeidet er jetzt auch den Besuch ren Weiterbetrieb auch bei Abwesenheit des der Synagoge – und die Hochzeit seiner Begründers. Schon im November 1919 Tochter Lola mit Rudolf Hahn, einem Bru- schreibt Max einen Brief an Fritz Saxl in der des Salem-Begründers Kurt Hahn, fin- Wien, in dem er ihn bittet, nach Hamburg det 1921 im eigenen Hause statt. Er beginnt, zurückzukommen. Am 1. April 1920 wird sich vermehrt auf internationale und ham- mit der Firma M. M. Warburg & Co. und burgische Aktivitäten zu konzentrieren. 1921 Prof. Dr. Aby Warburg der Einstellungsver- gründet er, zusammen mit Bruder Paul, in trag abgeschlossen.134 Eine seiner Aufgaben New York die International Acceptance ist es, das Institut, so wie es sich Warburg vor Bank, die den internationalen Handel über Ausbruch des Krieges gewünscht hatte, mit kurzfristige Kredite gegen Bankakzepte fi- dem neu gegründeten kunsthistorischen Se- nanzieren soll. Im November 1921 verleiht minar der Universität zu verzahnen, eine man Max in feierlicher, von Orgelklang be- andere, Warburgs Publikationsprojekte auch gleiteter Zeremonie den Ehrendoktor der in dessen Abwesenheit zu betreuen. Die Bi- Hamburgischen Universität.136 bliothek ist noch immer im Wohnhaus un- ···································································

| 76 | Während der langen Wochen des War- elle politische Lage einschätzen, zeigt der tens in Château de Villette hatten Max, Fall Walther Rathenau. Dieser war 1921 zum Melchior und der Diplomat Graf Brock- Wiederaufbauminister, im Januar 1922 zum dorff-Rantzau den Plan eines Instituts zur Außenminister ernannt worden – gegen die Aufarbeitung der politischen Kriegsursa- flehentlichen Bitten seiner betagten Mutter, chen entwickelt. Es soll – gegen die Konkur- die von den zahllosen Drohbriefen gegen renz von Berlin, München und Frankfurt – ihren Sohn weiß. Am 24. Juni 1922 wird in Hamburg angesiedelt werden. Schon 1918 Rathenau von Mitgliedern der rechtsextre- empfiehlt Max von Melle die Berufung mistischen Terrorgruppe „Organisation Albrecht Mendelssohn Bartholdys. Evange- Consul“ aus einem fahrenden Auto heraus lisch getaufter Jude, Urenkel des Komponis- erschossen. Sein Tod erschüttert die junge ten, Spezialist für Auslandsrecht mit Profes- Weimarer Republik zutiefst – und er hat un- sur an der Universität Würzburg, dem Kreis mittelbare Auswirkungen auf Max. Denn um Prinz Max von Baden und Kurt Hahn wenige Tage später erhält er vom Hambur- nahe stehend und mit Max schon zwanzig ger Polizeipräsidenten eine dringende War- Jahre bekannt, ist der damals schon hochbe- nung: Man wisse, dass auch er auf der To- rühmte Gelehrte derjenige, dem Max die des-Liste der Attentäter stehe. Er muss ihm notwendig erscheinende Kriegsursa- untertauchen, zieht, auf Schritt und Tritt chenforschung zutraut. 1920 wird der Völ- bewacht, in die Wohnung seiner Schwäge- kerrechtler auf einem für ihn geschaffenen rin Dora Magnus, dann zu einer Cousine, Lehrstuhl für ausländisches Recht berufen; geht für Wochen nach Holland, später für seine Vergütung wird durch einen Zuschuss Monate in die USA. Hier gewinnt er Bru- der Wissenschaftlichen Stiftung aufge- der Paul und einige andere – schon für stockt.137 1921 übernimmt er die Leitung der Spenden an die Wissenschaftliche Stiftung „Forschungsstelle für die Kriegsursachen“ be- herangezogene – jüdische Mäzene dafür, sei- ziehungsweise eines „Archivs für Friedens- ner Forschungsstelle für fünf Jahre lang eine verträge“. Mendelssohn und seine Familie finanzielle Unterstützung zuzusagen. „Das sowie das Archiv sind zunächst in unmittel- Institut“, schreibt er Paul am 23. Dezember barer Nähe von Max, im Haus von Paul 1922, „kann ein Kristallisationspunkt von Warburg auf dem Kösterberg untergebracht. großer Bedeutung werden, und es ist nötig, Im November 1922 bewilligt die Hochschul- wenn man die vollkommene Verwirrung behörde das aus diesem Archiv erwachsene sieht, in der sich viele Kreise in Deutschland Institut für Auswärtige Politik; seine Grün- noch befinden“.138 Es ist auffällig, dass er die dung wird am 31. Januar 1923 von der Ham- gleiche Vokabel verwendet wie sein Bruder burgischen Bürgerschaft – gegen die Stim- knapp zwanzig Jahre zuvor für das von ihm men der Deutschnationalen – formell be- geplante kulturwissenschaftliche Institut – schlossen. Es soll Richtlinien entwickeln für „Krystallisationspunkt“. eine dem Frieden dienende Außenpolitik. ··································································· Max Warburg wird so der Initiator des ers- Max’ Ansprache zur Eröffnung des von ten Friedensforschungsinstituts. ihm initiierten Übersee-Club in Hamburg ··································································· muss am 27. Juli 1922 im Gebäude der Pa- Wie klar Max und Carl Melchior die aktu- triotischen Gesellschaft Oberlandesgerichts-

| 77 | rat Wolfgang Fehling verlesen. Der Übersee- Der Name Max Warburg wird öffentlich Club, der heute eher gesellschaftlichen Zwe- nicht mehr genannt: Alle Aktivitäten, mit cken dient, galt seinen Begründern als poli- denen er in Verbindung gebracht wird, ge- tische Notwendigkeit: Dies geht schon aus ben der antisemitischen Hetze neue Nah- seinem ursprünglichen Namen „Gesell- rung. Auch das Institut für Auswärtige Po- schaft für wirtschaftlichen Wiederaufbau litik bleibt nicht verschont: „Dass es von na- und Auslandskunde – Überseeklub“ hervor. tionalistischer Seite scharfen Angriffen Zwar kreist alles Denken der Beteiligten ausgesetzt war, die sich persönlich gegen je- noch immer um die sogenannte Kriegs- den richteten, der an seinem Werden betei- schuldfrage – man hofft auf Deutschlands ligt gewesen war, konnte nicht überra- Rehabilitation. Aber eine Lehre, die Max schen“, wird sich Max Warburg erinnern.140 aus dem verlorenen Krieg gezogen hatte, be- Wie sein Bruder Aby setzt auch Max in die- traf die Kaufmannschaft, die sich, so seine ser Situation auf die wissenschaftliche Ana- Beobachtung, viel früher und viel intensiver lyse, auf das „Erkennen von Gesetzmäßig- politisch hätte betätigen müssen. Denn de- keiten“ als strategische Langzeitmaßnahme ren vitales Interesse am Freihandel sei stets zum Erreichen seiner politischen Ziele. Die auf einheitliche weltwirtschaftliche und von beiden ins Leben gerufenen Institute weltpolitische Räume mit für alle gültigen entwickeln sich in symptomatischer Paralle- rechtlichen Grundlagen gerichtet. Aus dem lität. Um die Standpunkte der Nachbarlän- Schluss seiner langen programmatischen Er- der beobachten zu können, legt Mendels- öffnungs-Rede lässt sich erkennen, dass er sohn Bartholdy – wie schon Aby Warburg inzwischen dem international orientierten zum Verlauf des Ersten Weltkrieges – eine hanseatischen Kaufmannsgeist mehr zu- umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung traut als der deutschnationalen Berliner an. Beide Institute treten mit Publikationen Denkungsart: „Nicht der Leitsatz der Eng- und Vortragsveranstaltungen an die Öffent- länder ‚right or wrong, my country‘ – alle lichkeit: Die von Fritz Saxl in Absprache mit Mittel, auch die eines Piraten heiligend, soll Aby und Max geführte K.B.W. gibt zwei ge- unser Wahlspruch sein, sondern uns soll der wichtige Schriftenreihen heraus: die „Stu- Spruch über dem alten Hamburger Nobis- dien“ und die „Vorträge der Bibliothek War- tor leiten, der allerdings nur als Wahrzei- burg“ (ab 1921/22). Wie die Kulturwissen- chen für später uns dienen kann, wenn schaftliche Bibliothek lädt das Institut für wahre Freiheit und Gleichheit für alle Völ- Auswärtige Politik regelmäßig zu Vorträgen ker gilt: ‚Nobis bene, nemini male! (Uns ein, und auch diese werden in Gestalt von Gutes, niemandem Schlechtes!)‘“139 Für den Publikationen dokumentiert. Außerdem ersten Vortrag ist – aus Anlass der achten, im erscheinen ab 1922 die „Europäischen Ge- Rahmen der Hamburger Übersee-Woche spräche – Hamburger Monatshefte für Aus- abgehaltenen Tagung des Weltwirtschafts- wärtige Politik“. Ab 1924 ist das Institut für kongresses – John Maynard Keynes eingela- Auswärtige Politik, das inzwischen auch den; er spricht am 26. August 1922, unter über eine umfangreiche Bibliothek verfügt, rauschendem Beifall, über „The Reparation im Turm von Hamburgs „Alter Post“ nahe Police of “. dem Hamburger Rathaus untergebracht. ··································································· Sechs fest angestellte Mitarbeiter unterhal-

| 78 | ten den Betrieb; Mendelssohn Bartholdy sentia den Titel Honorarprofessor. Saxl und selbst wird zu einer der Leuchtturm-Figuren Panofsky beginnen eine fruchtbare, lang- der jungen Universität. jährige Zusammenarbeit, und die K.B.W. ··································································· versteht sich, was Öffnungszeiten und Bü- Sowohl Aby als auch Max dürfen sich nun cherbestände sowie -ankäufe betrifft, als als Gründer eines wissenschaftlichen Insti- Komplementärinstitution zum Kunsthisto- tutes betrachten, das unabhängig arbeiten rischen Seminar. Wesentlichen Anteil an ih- kann, aber doch eng mit der jungen Ham- rer Fortexistenz haben die „amerikanischen“ burger Universität verzahnt ist. Die akade- Brüder Paul und Felix, die der K.B.W. ein mische Kunstgeschichte beginnt inoffiziell, Dollarkonto einrichten.142 indem die Direktoren der großen Museen, ··································································· so etwa von der Kunsthalle, ab Während Aby in Kreuzlingen weiter um 1919 Lehrveranstaltungen anbieten. Doch seine geistige Gesundheit ringt, verhaftet die schließlich beantragt der studentische Fa- Münchner Polizei im November 1922 den kultätsausschuss die Anstellung einer kunst- Initiator der Attentatspläne gegen Max, historischen Lehrkraft. Pauli schlägt den Hermann Ehrhardt. Max kehrt sofort nach frisch promovierten aus Hamburg zurück. In seiner wieder aufge- Berlin vor, dessen Dissertation er außeror- nommenen Korrespondenz mit Hugo Stin- dentlich schätzt. Dieser ist zwar gewillt, nes formuliert er seinen neu gewonnenen doch die Stadt hat eigentlich kein Geld. Pa- Standpunkt: Die „Judenfrage“ sei eine nofsky solle, so Paulis Idee, erst einmal mit Frage, die überall dort aufkomme, wo Mi- Vorlesungen beginnen, dafür könne man noritäten lebten. „Ich glaube nur an die Zu- ihm anbieten, ihn in Hamburg zu habilitie- kunft eines Staates, der alle seine Mitbürger ren, sodass er später den noch einzurichten- zur Arbeit und Liebe heranzieht, die in der den kunsthistorischen Lehrstuhl überneh- Schicksalsgemeinschaft Jahrzehnte und men könne. So geschieht es – Pauli stellt Jahrhunderte ihre Zugehörigkeit zum Staate Räume in der Kunsthalle zur Verfügung, bekundet haben. Wer will mir mein Vater- und im Juli 1920 ist Panofsky Privatdozent: land, mein Zugehörigkeitsgefühl nehmen, ohne Einkommen, aber mit Lehrverpflich- wenn ich nachweisen kann, daß meine tung.141 Dass die Zugehörigkeit zum Juden- Familie sowohl väterlicher- wie mütterli- tum in diesem Moment keine Rolle spielt, cherseits seit über vierhundert Jahren in verdankt sich zum großen Teil dem Um- Deutschland ist, und daß meine Vorfahren stand, dass die Hamburger Universität von die Vergangenheit Deutschlands miterlebt Traditionen und Rücksichten unbelastet und (an ihr) in verschiedener Weise, wie je- agieren kann. Im Oktober 1921 wird er de der Deutsche, zu ihrem bescheidenen Anteil facto Lehrstuhlinhaber, aber noch immer mitgearbeitet haben? Diese Schicksals- und ohne Gehalt; erst 1926 wird man ihn offiziell Kulturgemeinschaft ist die Grundlage für zum Ordinarius ernennen. 1922 habilitiert den Staat.“143 sich auch Fritz Saxl, Aby verleiht man in ab-

| 79 | ·············································································································································· 130 Warburg, Zeiten, S. 61 f. 131 Warburg, Aufzeichnungen, S. 79. 132 Ebd., S. 86 f. 133 Warburg, Aufzeichnungen, S. 90 f. 134 Schäfer, Bibliothek, S. 182 f. 135 Max an Aby Warburg, 12. Juli 1921: WIA, GC. 136 Max an Aby Warburg, 22. November 1921: Ebd. 137 Nicolaysen, Mendelssohn, S. 1. 138 Weber, Rechtswissenschaft, Anm. 72. 139 Übersee-Club, Der Übersee-Club, S. 27. 140 Warburg, Aufzeichnungen, S. 125. 141 Bredekamp, Ex nihilo, S. 31–47; inzwischen ist das Manuskript der Habilitationsschrift im Zentral- institut für Kunstgeschichte in München aufgefunden worden, vgl. Panofsky, Erwin Panofsky. 142 Vgl. Warnke, Privatbankier, S. 14 ff. 143 Zitiert nach: Hoffmann, Warburg, S. 112. ··············································································································································

| 80 | [8]

Überzeugte Europäer

Schließlich tritt ein, was Max befürch- schnell. Bis zu seinem Tod 1929 wird er Au- tet hatte: Deutschland kann die Reparati- ßenminister bleiben – und wir werden noch onsforderungen nicht bedienen, und die sehen, welche Hoffnungen sowohl Max als Franzosen besetzen am 9. Januar 1923 das auch Aby auf ihn setzen. Ruhrgebiet. Es gilt jetzt als Pfand. Unge- ··································································· decktes Geld aus der deutschen Notenpresse Aby kann – niemand, auch nicht der An- finanziert den passiven Widerstand, zu dem staltsleiter Binswanger hatte damit gerech- die Reichsregierung aufgerufen hat. Der da- net – am 12. August 1924 aus der Heilanstalt raus erwachsene Geldverfall ist ungeheuer. in Kreuzlingen entlassen werden. Vorausge- Sparguthaben werden wertlos, Familien ver- gangen waren immer wieder wochenlange armen von heute auf morgen, in der Bank Besuche von Fritz Saxl, der mit Aby arbei- hört die normale Geschäftstätigkeit auf. Im- tete, und am 21. April 1923 jener inzwischen merhin – durch die International Accep- legendär gewordene Vortrag über seine fast tance Bank kann die Hapag gestützt wer- zwanzig Jahre zurückliegende Reise zu den den. Gemeinsam mit drei anderen Privat- Hopi-Indianern, der heute unter dem Titel banken gelingt es auch, die Stadt Hamburg „Das Schlangenritual“ bekannt ist. Aby er- so weit zu stützen, dass Löhne und Gehäl- lebt, ebenso wie die staunenden Ärzte und ter gezahlt werden können. Gemeinsam mit die gleichermaßen überraschte, brieflich in- einem Konsortium von Hamburger Unter- formierte Familie, den Vortrag als eine nehmen gründet Max die „Hamburgische Selbstbefreiung, die ihm, so wird er jedoch Bank von 1923“, die das erste wertbeständige nicht müde zu betonen, nur mit Hilfe der Geld nach der Inflation herausbringt.144 Die Anwesenheit Fritz Saxls habe gelingen kön- K.B.W. in der Heilwigstraße wird aus Mit- nen. Auch der Besuch des inzwischen an der teln der amerikanischen Brüder finanziert. Hamburger Universität lehrenden Philo- Viele Gelehrte nehmen die Einladung zu sophen im Frühjahr 1924 Vorträgen auch deshalb gerne an, weil hier wird als ein weiterer Wendepunkt erlebt. noch anständige Honorare gezahlt werden Seitdem besteht, so schreibt Aby in einem können. Es ist der Nationalliberale Gustav Brief an die Leiter der Kuranstalt Bellevue, Stresemann, der die Krise bewältigt. Im Au- „Hoffnung, daß ich noch eine wirklich trag- gust 1923 wird er – zwar nur für drei Monate fähige neue Methode der kulturpsycho- – Reichskanzler, und die von ihm durchge- logischen Geschichtsauffassung skizzieren setzte Währungsreform stabilisiert die Lage könnte“.145

| 81 | ··································································· hove her, empfiehlt ihn an Außenminister Max dagegen sieht sich gezwungen, seinen Stresemann, spendet regelmäßig Geld für Aktionsradius, zumindest nach außen hin, dessen Paneuropa-Organisation und plant zu verkleinern. „Melchior und ich hielten mit ihm die Herausgabe einer Zeitschrift.148 uns so viel wie möglich von politischer und Coudenhove-Kalergi hat nach dem Zweiten ehrenamtlicher Tätigkeit zurück. Der Anti- Weltkrieg den Erfolg seiner Idee noch erle- semitismus, der immer größere Dimensio- ben dürfen: 1950 erhielt er als Erster den In- nen angenommen hatte, gebot Zurückhal- ternationalen Karlspreis der Stadt Aachen. tung. Was immer wir vertreten hätten, wir Die heutige Flagge der Europäischen Union würden immer angeschuldigt worden sein, und ihre Hymne, Beethovens Ode an die nur im international-jüdischen Interesse Freude, gehen auf seine Vorschläge zurück. gehandelt zu haben. Ich war froh, im Stil- ··································································· len wirken oder auch nur beraten zu kön- Bei seiner Rückkehr darf und muss Aby in nen.“146 Es ist gut nachzuvollziehen, dass Hamburg erkennen, dass sich die von ihm er – auch weltanschaulich – nach Neuorien- gegründete Einrichtung auch ohne seine tierung sucht. Als überzeugende Alternative Anwesenheit bestens entwickelt hat. Seine zum Nationalismus und zum faktischen Eingliederung in den laufenden Betrieb, Ausschluss von Minderheiten aus der dem inzwischen auch die Philosophin Ger- Gesellschaft erscheint ihm in den frühen trud Bing angehört, wird, wie er selbst es zwanziger Jahren die Vorstellung eines ge- einmal formuliert hat, „dornig“.149 Dazu meinschaftlich agierenden Europas von kommen die Probleme, die etwa 20.000 Bü- einzigartiger Überzeugungskraft. Sie wird cher und das sie verwaltende Personal sowie propagiert von dem damals noch nicht drei- Besucher inzwischen in einem Familien- ßigjährigen Grafen Coudenhove-Kalergi. wohnhaus hervorrufen. Die Lösung liegt Richard Coudenhove-Kalergi, Sohn eines nahe – und Aby hatte sie ja schon vor vielen aus brabantisch-byzantinischem Uradel Jahren angesprochen: ein Bibliotheksneu- stammenden Vaters und einer japanischen bau auf dem Nachbargrundstück. Max sorgt Mutter, als Österreicher in Böhmen lebend dafür, daß sich alle vier Brüder an dessen Fi- und international gut vernetzt, bringt ideale nanzierung beteiligen. Im Mai 1926 kann Voraussetzungen mit für die Entwicklung die Eröffnung gefeiert werden. Entstanden einer Vision, die er „Paneuropäische Union“ ist ein Klinkerbau, dessen rhythmisierte Fas- oder „Vereinigte Staaten von Europa“ nennt. sade ferne Erinnerungen an Fritz Högers Nur über einen supranationalen, humanis- Chilehaus in sich trägt. Aby, der es als Sym- tisch orientierten, wirtschaftlichen und po- bolforscher gewohnt ist, hinter die Oberflä- litischen Zweckverband, so seine Überzeu- chen der Dinge zu schauen, vermittelt mit gung, lässt sich ein erneuter Weltkrieg ver- der Gestalt seines Bibliotheksgebäudes nun hindern. In diesem vereinigten Europa selbst eine Botschaft. Kunstvoll gesetzte werden Fragen der Rassenzugehörigkeit Backsteine statt Putz – das erinnert in Ham- keine Rolle mehr spielen.147 Coudenhove- burg jeden an die offiziellen Bauten von Kalergi wird, aus heutiger Sicht, der Vorden- Fritz Schumacher, an die Finanzdeputation ker der europäischen Idee. Max – der homo oder das Schwesternhaus des UKE. Mit politicus – stellt Verbindungen für Couden- dem von ihm gewählten, kostspieligen Ma-

| 82 | Das Gebäude der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek – Fassade

| 83 | Der Lesesaal terial bekennt sich Aby – der übrigens gut befinden. Und schließlich erinnert sie an je- und gerne Plattdeutsch beziehungsweise nen bedeutungsvollen Moment in der Ge- missingsch spricht und mit Schumacher be- schichte der Wissenschaft, in dem Kepler freundet ist – einerseits zum bodenständi- gegen die vorherrschenden Denknormen gen Hanseatentum. Die eine klassische erkannt hat, dass sich Planeten nicht auf Tempelfront andeutende Fassade jedoch kreisrunden, sondern auf ellipsoiden Bah- kommuniziert andererseits das Programm nen bewegen. Mit dem selbständigen Den- der K.B.W. nach außen: Es geht um das ken, dem individuellen Erkenntnisvermö- „Nachleben der Antike“. gen des Menschen beginnt für Aby die ··································································· Befreiung aus der Irrationalität – und aus je- Von außen eher hanseatisch-sachlich, über- nen geistigen Fesseln, die das Judentum zum rascht das Bibliotheksgebäude im inneren ewigen Sündenbock der europäischen Ge- mit einem spannungsvollen, ellipsoiden schichte machen. Lesesaal, der in mehrfacher Hinsicht sym- ··································································· bolische Bedeutung besitzt. Die Ellipse mit Zwar hat Mary im Dachgeschoss ein Bild- ihren beiden Polen verkörpert Abys Vorstel- hauer-Atelier erhalten. Aber Aby, seit sei- lung vom „ewigen Pendelschlag“ der Ge- nem frühen Verzicht auf das Erbe unter ge- schichte. Dem Besucher vermittelt sie das wissem Legitimationszwang, sieht seine Gefühl, sich in einer „Arena des Geistes“ zu Institution wie eine Parallele zur Bank.

| 84 | Während über deren Eingang die Buchsta- Monster, daß die Firma die Sonnenflecken ben „M.M.W. & Co.“ stehen, wird die Fas- finanziert, damit die Orangen in Palaestina sade der Bibliothek mit den – allerdings in wachsen.“151 Mit der „Firma“ ist M. M. Backstein ausgeführten – Lettern „K.B.W.“ Warburg & Co. gemeint, die immer wieder versehen. Max hatte kurz vorher das Ge- in die antisemitische Schusslinie geraten; bäude in der Ferdinandstraße technisch mit Dr. Harriet Wegener ist eine Mitarbeiterin Rohr- und Seilpostanlage sowie einem haus- am Institut Mendelssohn Bartholdys, der eigenen Telefonnetz aufrüsten lassen: Auch auch selbst gelegentlich in der Bibliothek zu die K.B.W. erhält – etwas überdimensio- Gast ist. niert für das relativ bescheidene Gebäude – ··································································· eine Rohrpostanlage, ein Netz aus 22 Tele- Auch in der Hamburgischen Wissen- fonen, dazu zwei Bücheraufzüge sowie ein schaftlichen Stiftung sind beide Brüder wie- unter dem Fußboden verlaufendes Bücher- der aktiv. Die Stiftung unterstützt For- förderband. Einen Tresor braucht sie natür- schungsreisen und vergibt – trotz Inflation lich auch – Max lässt aus der Bank einen – Druckkostenzuschüsse sowie Mittel zur großen Safe anliefern, in dem die wertvolls- Anschaffung von Fachliteratur; gelegentlich ten Bücher und Leihgaben feuer- und werden überbrückungsweise auch Witwen- diebstahlsicher untergebracht werden kön- renten aufgestockt. Zahlreiche Anträge nen. Die Botschaft ist angekommen: Max kommen aus dem Wissenschaftler- und Stu- vergleicht, loyal wie stets, in seiner dentenkreis um die K.B.W. – die Max Eröffnungsansprache die Bibliothek mit ei- ner „Zweigstelle des Bankhauses M. M. Warburg, die sich kosmischen statt irdi- schen Aufgaben“ widme. ··································································· Mit der Aufnahme der Arbeit im neuen Bi- bliotheksgebäude beginnt Aby das bereits erwähnte Tagebuch, in das auch die beiden Mitarbeiter Saxl und Bing regelmäßig ein- tragen müssen. Gewisse Namen, gewisse Verweise in eben jenem Journal verraten, wie eng der gemeinschaftliche Einsatz für eine Welt, in der Juden gleichberechtigte Bürger sein können, Max und Aby noch im- mer verbindet. So erscheint im Oktober 1926 der Name Coudenhove-Kalergis im Tagebuch der K.B.W.: „Paneuropäischer Congress (Coudenhoves Idealismus trium- phiert!).“150 Unter dem 10. November taucht Coudenhoves Projekt erneut auf: „Gerücht, daß die Firma Paneuropa finanziert; schrieb Dr. Harriet Wegener: nächstens meint Frau Mary als Bildhauerin

| 85 | Bücheraufzug, Rohrpostanlage, Telefonautomat und Tresor

| 86 | durchaus nicht immer befürwortet. Im Ver- trem angespannte Situation, in der sich lauf der dreißiger Jahre wird ihre Bedeutung deutsche Juden im allgemeinen und War- immer größer werden, vor allem für jüdi- burgs im besonderen in den zwanziger Jah- sche Professoren und Studenten, die auf ren bereits befinden. eine andere, staatliche Unterstützung nicht ··································································· mehr hoffen dürfen. Am 16. April 1925 hält Außenminister Gus- ··································································· tav Stresemann im Übersee-Club einen Vor- Im September 1926 müssen sich Aby und trag. Sein Thema lautet „Politik und Wirt- Max, auch das wird im Tagebuch festgehal- schaft in ihren Weltbeziehungen“.153 Es ist ten, erneut mit einer direkten antisemiti- für ihn und seine Politik charakteristisch, schen Anfeindung befassen. „Erfahre durch dass er sich nicht scheut, inmitten von all- Max M. daß Fritsch einen Privatbrief von gemeineren Ausführungen zu wirtschaftli- mir an Hans Hertz vom November 1917 im chen Themen die „jüdische Frage“ anzu- Hammer März 1926 abgedruckt und der II- sprechen. „Ich habe die Empfindung, als Instanz vorgelegt hat um meine ‚Mentalität‘ wenn wir in den Zeiten des Glücks über den zu illustrieren. Der Brief muß im Zusam- grandiosen wirtschaftlichen Aufstieg etwas menhang verstanden sein. Er ist dem ver- von dem verloren hätten, was früher das storbenen Hans Hertz meines Erachtens Volk näher zusammenführte, den Gedan- nach seinem Tode entwendet worden.“ Es kenzusammenhang mit den großen Strö- geht um einen 1923 im völkischen Organ mungen der Literatur, der Kunst, der Phi- „Der Hammer“ veröffentlichten, massiv ge- losophie. Eine Frage, die oft in dieser Ge- gen Max gerichteten Artikel, in dem dieser genwart leidenschaftlich erörtert wird, die als „Der heimliche Kaiser“ und an Deutsch- Frage, woher das Übergewicht des jüdischen lands Niederlage Hauptschuldiger darge- Elements in vieler Beziehung käme, ist, stellt wird.152 Max und Melchior reichten glaube ich, am treffendsten nach der Rich- eine Beleidigungsklage ein, der das Gericht tung zu klären, daß gerade unsere jüdischen 1924 entsprach; es verurteilte den Autor des Mitbürger am ehesten in diesen Dingen Artikels, Theodor Fritsch, zu drei Monaten drinstehen und darin aufgehen und dadurch Gefängnis und der Auflage, das Urteil in sie- eine Überlegenheit haben, die jeder hat, der ben Zeitungen abzudrucken. Mehrfache geistig etwas bedeutet, über einen, der ihm Revisionsanträge aber zogen das Verfahren auf diesem Gebiet nicht zu folgen vermag. weiterhin in die Länge; 1927 endete es mit Lassen Sie im Wirtschaftlichen das Seelische einem deutlich abgeschwächten Urteil, das nicht erstarren.“154 Mag die Erklärung auch letztendlich auf die Zahlung einer Geldbuße etwas schwammig bleiben: dass ein Nicht- von 1.000,– Reichsmark hinauslief. Bei der jude und hochrangiger Politiker den wirt- Urteilsbegründung wird der oben bereits er- schaftlichen Erfolg von Juden nicht als Er- wähnte, 1917 an Hans Hertz gerichtete Brief gebnis einer „Verschwörung“, sondern einer Abys zwar zu einem den Bruder entlasten- geistigen Überlegenheit betrachtet und es den Beweisstück – aber allein der Umstand, wagt, diese Meinung auch öffentlich zu ver- dass dieser aus dem Nachlass des verstorbe- treten, muss auch und gerade Max Warburg nen Hertz entwendet und dem „Hammer“ eine Genugtuung und Beruhigung gewesen zugespielt worden war, beleuchtet die ex- sein.

| 87 | ··································································· gestellt, sämtliche staatlichen Hoheitszei- Kurz danach kann Stresemann seine Poli- chen – Münzen, Flaggen, Embleme, Post- tik des Ausgleichs und der Verständigung in wertzeichen – neu definieren zu müssen. die Realität umsetzen. Gemeinsam mit dem Dazu installierte sie die Position eines englischen und dem französischen Außen- „Reichskunstwartes“. In dem dynamischen minister, Joseph Austen Chamberlain und Kunsthistoriker Edwin Redslob fand sich Aristide Briand, gelingt ihm mit den „Ver- eine adäquate Besetzung.156 Aby, der im trägen von Locarno“ der erste Schritt zur Lauf seiner Forschungen immer wieder auf Überwindung der durch den Weltkrieg das Ausdruckspotential historischer wie ak- noch weiter aufgerissenen Gräben. Fortan tueller Staatsallegorien gestoßen war, lud werde es, so Chamberlain, „weder Sieger Redslob zu einem Vortrag in die K.B.W. ein noch Besiegte“ geben. Stresemann hob an- und garnierte diesen selbst mit ausführli- lässlich der Unterzeichnung der Verträge am chen Ergänzungen. Das politische Signal 1. Dezember 1925 in London hervor, dass es der Nobelpreisverleihung setzte 1926 neue gerechtfertigt sei, von einer „europäischen Energien in ihm frei, die ihn aus dem Sta- Idee“ zu sprechen: Er, der Republikaner aus tus des Beobachters in den des Gestalters Vernunft, hatte die Kraft gefunden, die Zu- versetzten. Er skizzierte selbst eine neue kunft der Weimarer Republik als eine euro- Luftpostmarke. Ihre Umsetzung vertraute päische zu gestalten. 1926 wurde Stresemann er dem jungen Grafiker Otto Heinrich und Briand für diese überragende Verhand- Strohmeyer an. Als Motiv wählte er stilisier- lungsleistung der Friedensnobelpreis verlie- tes Flugzeug, das sich aus einem Hangar in hen. Aby und Max müssen sich in diesem die Lüfte erhebt. Auf den Unterseiten seiner Augenblick bestärkt fühlen in ihrem Glau- Tragflächen sind die Worte: „Idea vincit“ zu ben an die Möglichkeit, dass der aktuelle lesen. Am unteren Rand sind die Namen Antisemitismus letztendlich zu überwinden „Briand Chamberlain Stresemann“ zu lesen. sei. Einen wichtigen Hinweis darauf liefert Idea vincit – die Idee siegt: Das grenzüber- erneut das Tagebuch der K.B.W., in dem für windende Medium der Briefmarke sollte das Jahr 1926 ein ungewöhnlicher Vorgang zum kulturpolitischen Botschafter einer dokumentiert ist: Aby Warburg entwirft neuen, europäischen, durch die Verträge eine Briefmarke. von Locarno begründeten Friedensordnung ··································································· werden. Sie ist es, der Aby hier ein dynami- Was hat die Kunst mit dem Leben zu tun? sches, aktives Denkmal setzt.157 „Die Luftpostmarke setzt die energetische ··································································· Verkehrsdynamik an Stelle der staatspoliti- Am 20. Dezember 1926 ist Stresemann tat- schen Willensübertragung“.155 Schon seit sächlich in der K.B.W. – sein Enthusiasmus längerem hatte Aby die Briefmarke als ein lässt allerdings zu wünschen übrig: „Freue Bildmedium im Blick, das knapp, unmittel- mich doch den Mann ‚an die Trambahn bar und subkutan kulturpolitische Inhalte rangebracht‘ zu haben“, so notiert Aby im vermittelte. Aus heutiger Sicht ungewöhn- Tagebuch. „Hinter Stresemann’s plumpen lich, verdankte sich sein Interesse einer da- Stil muß doch viel geistige Civil-Courage mals breiten öffentlichen Diskussion: Die stecken. Ich wollte ihm zeigen, daß man Weimarer Republik sah sich vor die Aufgabe seine Entwicklungskurven als Aufstieg auf-

| 88 | Idea vincit faßt. Mein Bruder Max ermahnt mich, kei- K.B.W. Briand und Chamberlain ein Exem- nen schlechten Nachgeschmack zu kultivi- plar schicke, was sie aber, weil sie zu beschei- ren (sic). Stresemann sei sehr beeindruckt den sei, wohl nicht wolle. Sehr richtig; ich gewesen von der Art wie ich mit der Biblio- schlage vor, von der Regierung aus die Blät- thek verknüpft sei, nur sei er krank und in ter an Stresemann zur Weitergabe zuzuschi- Folge der Krisen nicht aufnahmefähig.“158 cken.“159 Das „Linoblatt“ Otto Heinrich Die Wirkung des Blattes auf Stresemann Strohmeyers wird in 46 Exemplaren herge- blieb nicht aus: „Rat Merck sagte telepho- stellt und Briand und Chamberlain mit nisch, daß das Blatt Stresemann sehr gefal- Hilfe des Auswärtigen Amtes überreicht. len habe. Mein Bruder Max stärkte mich Gleichzeitig verschickt man es, wie im Ta- auch im Glauben. Nachmittags spät tele- gebuch penibel dokumentiert und aus der phonierte Max an, daß Petersen mich ante- Korrespondenz ersichtlich, an Korrespon- lephonieren werde um die Form zu finden, denzpartner in aller Welt.160 das Blatt an Briand und Chamberlain gelan- ··································································· gen zu lassen. Die K.B.W. solle dabei mög- Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich Max lichst zurücktreten. Ganz meine Meinung. nicht nur mit der Briefmarken-Idee, son- (…) Petersen telephoniert daß Stresemann dern insgesamt mit dem hochanspruchsvol- selbst die Idee ausgesprochen habe, daß die len, für Außenstehende nicht leicht ver-

| 89 | Die fünf Warburg-Brüder in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek (A

| 90 | k (August 1928), von links nach rechts: Paul, Felix, Max, Fritz und Aby

| 91 | ständlichen Projekt seines älteren Bruders „Ghetto-Wärme“. Am 23. Juni erscheint aus identifiziert: Als Aby ihm beispielsweise, im- der Feder von Aby ein flammender Aufruf mer in der Absicht zu zeigen, dass sich die im Hamburger Fremdenblatt „Warum Ham- Investition in die Bibliothek gelohnt hat, burg den Philosophen Ernst Cassirer nicht durch Bing einen Bericht über den Besuch verlieren darf.“164 Er zeigt Wirkung: Im Juli des Niedersächsischen Bibliotheksvereins 1929 wird Cassirer zu einem der ersten jüdi- am 10. April 1927 zukommen lässt, antwor- schen Rektoren einer deutschen Universität tet er: „Sehr verehrtes Fräulein Bing, Ihre gewählt. ausführlichen Zeilen (…) hat (sic) mich ··································································· außerordentlich interessiert und mir von Was auch festgehalten wird, sind die neuem den Beweis dafür gegeben, daß mein Schwierigkeiten mit der Familie. Vor allem Bruder und wir auf dem richtigen Wege Paul steht dem inzwischen ein Vermögen sind.“161 „Mein Bruder und wir auf dem verschlingenden K.B.W.-Projekt kritisch ge- richtigen Weg“162 – das bedeutet: Anerken- genüber und muss immer wieder von der nung durch Leistung, hier durch wissen- Unumgänglichkeit der hohen Ausgaben schaftliche Leistung, allmähliche Assimila- überzeugt werden. Dieser Etat wird jährlich tion nicht in New York, sondern hier, vor mit den Brüdern neu verhandelt. „Max M. der eigenen Tür, in der Region, in Nieder- ermahnte mich in Karlsbad zur energischs- sachsen. Aby lässt, hocherfreut über diese ten Einsparung im Einzelnen, die er mit Anerkennung, die Antwort seines Bruders Erfolg bei MMW durchführt.“165 Dazu als Abschrift in das Bibliothekstagebuch ein- kommt Abys extreme, fordernde Persönlich- tragen. keit, deren Intensität nur schwer auszuhal- ··································································· ten ist. Er fühlt sich abgelehnt, ausgeladen. 3. Januar 1928 – noch immer geht es zwi- Aber „bei der märchenhaft sympathischen schen den Brüdern um Hochschulpolitik: 60. Geburtstagsfeier meines Bruders Max Der in enger Arbeitsgemeinschaft mit den [am 5. Juni 1927, KM] sprach ich doch bei K.B.W. lebende Philosoph Ernst Cassirer Tisch: ich bedankte mich bei meinen Brü- erhält einen Ruf nach Frankfurt. „In Köster- dern (und besonders bei Max) daß sie dem berg“, notiert Aby ins Tagebuch. „Mit Max geistigen Abentheuer einen so großen Cre- in bester Form über Schwieriges gespro- dit eingeräumt hätten, wobei ich nicht hin- chen. Cassirers Rektorat. Max absolut dage- zuzufügen vergaß, daß es aber ein sehr ver- gen, weil er Cassirer den brutalen Ansprü- nünftiges (solides) Abentheuer sei, auf das chen des Amtes nicht für gewachsen hält sie sich eingelassen.“166 und weil er fürchtet, daß trübe Erfahrungen ··································································· im Amt Cassirer geradezu zum Verlassen Im April 1928 lädt Max Vertreter der Han- Hamburgs zwingen könnten.“163 Dass hin- delskammer in die K.B.W. und bittet seinen ter diesen Bedenken eigene Erfahrungen Bruder, für diese einen Vortrag auszuarbei- und die Angst vor starken antisemitischen ten. Er gilt dem „Festwesen der Renais- Reaktionen stehen, zeigt Abys Bemerkung, sance“ und damit einer für die handfesten dass Max gegen das Rektorat von Cassirer Kaufleute auf den ersten Blick exotischen Bedenken habe, um ihn zu schützen. Außer- Thematik. Aber Aby versucht, sein Publi- dem suche Frau Cassirer (in Frankfurt) kum dort abzuholen, wo es steht: Er spricht

| 92 | trifft sich exakt mit den Hoffnungen Abys und Max’ auf eine bessere Zukunft in einem geeinten Europa – und lässt die Briefmar- ken-Idee wieder anklingen. ··································································· Am 26. Oktober 1929 stirbt Aby, nachdem auch seine physische Konstitution schon länger angegriffen gewesen war, an einem Herzinfarkt. „Er hatte die Gabe“, so erinnert sich Max an seinen älteren Bruder, „kritische Zeiten direkt körperlich zu empfinden; sah unglaublich klar die Gefahr. In der Chole- razeit gab er genaue Angaben. ‚Ich habe ei- nen prophetischen Bauch‘ (Bolschewismus, Aby und auf der Italienreise 1929 Antisemitismus). (…) Er hatte Interesse und Verständnis für das Geschäft; sagte uns über das Wechselverhältnis zwischen Öko- Bescheid über die Kundschaft, warnte sehr, nomie und Kultur, er streicht die Bedeutung sich für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu der wirtschaftlichen Transferwege heraus, er stellen. War sehr gegen die Rolle, die wir in berichtet über die Überwindung der kosmi- späteren Jahren gespielt haben, ‚wir gäben schen Dämonenfurcht durch abstrakte Ge- eine zu große Angriffsfläche.‘ Er hatte eine setzmäßigkeit sowie den „clash of cultures“, direkte Börsennase. (…) Er erkannte schon den die Begegnung von nordeuropäischem während des Krieges den wachsenden Anti- Realismus und antikem Ideal zur Zeit der semitismus.“169 Die Bibliothek wird von Renaissance mit sich brachte; aus ihr entwi- den Brüdern weiterfinanziert. Sie soll, so ckelte sich, so seine Beobachtung, eine tief- bestimmt es Max, „ein Treffpunkt bleiben greifende Humanisierung und Intellektuali- von Mensch und Buch. Sie soll keine An- sierung: da schimmert seine auch für die sammlung von toten Büchern sein. In den Jetztzeit, auch für Hamburg geltende Hoff- nächsten 5 Jahren wird alles so weiterge- nung durch.167 Vom September 1928 bis führt, wie mein Bruder es wohl gewünscht zum Juni 1929 unternimmt Aby mit seiner hätte und gewünscht hat.“170 Assistentin Gertrud Bing eine Studienreise ··································································· nach Italien – beunruhigt, aber auch mit Durch seine engen familiären Verbindun- wissenschaftlichem Interesse an dessen aus- gen zu amerikanischen Großbanken wie gefeilter Symbol-Politik registrieren sie den Kuhn, Loeb & Co. und zur Bank of Man- Aufstieg von Mussolini.168 hattan, in der Bruder Paul Vorstandsvorsit- ··································································· zender war, kann sich Max auf die dringend Kurz vor seinem Tod am 3. Oktober 1929 notwendige Beschaffung von Auslandskre- hält Stresemann vor dem Völkerbund eine diten für deutsche Unternehmen, Länder Rede, die Berühmtheit erlangten sollte. Die und Gemeinden, auch für die Hansestadt in ihr gestellte Frage „Wo bleibt die europäi- Hamburg, spezialisieren.171 Als er dieser sche Münze, die europäische Briefmarke?“, kurzfristig einen hohen Schuldenbetrag

| 93 | Danksagung stundet, gerät auch er an den Rand der Zah- Oktober 1933) seinen Platz im Generalrat lungsunfähigkeit – aus der ihn die Brüder der Reichsbank. Reichsbankpräsident und Paul und Fritz mit einem erheblichen finan- Reichswirtschaftsminister ziellen Engagement retten. Da die Ham- schätzt die Kompetenz des Bankhauses War- burger Wirtschaft inzwischen Auslandskre- burg, das sich inzwischen als Spezialist für dite mehr denn je benötigt, behält Max das Auswanderungsfragen und Devisenrecht ei- Ohr der neuen Machthaber und auch (bis nen Namen gemacht hat, hoch.

| 94 | ·············································································································································· 144 Ebd., S. 112 ff. 145 Marazia; Stimili, Binswanger, S. 99. 146 Warburg, Aufzeichnungen, S. 125. 147 Coudenhove-Kalergi wird in den dreißiger Jahren immer wieder entschieden gegen den grassierenden Judenhass Stellung beziehen und die von seinem Vater verfasste Studie „Über das Wesen des Antisemitis- mus“ neu verlegen. 148 Vgl. Hoffmann, Warburg. 149 Tagebuch der K.B.W., 10. Juli 1929: Warburg, Tagebuch, S. 469. 150 Tagebuch der K.B.W., 4. Oktober 1926: Ebd., S. 15. 151 Tagebuch der K.B.W., 10. November 1926: Ebd., S. 24. 152 Schoell-Glass, Warburg, S. 178 ff, 181 ff. 153 Übersee-Club, Der Übersee-Club, S. 83–96. 154 Ders., Zeitgeschehen, S. 50. 155 Tagebuch der K.B.W., 28. Februar 1927: Warburg, Tagebuch, S. 62. 156 Vgl. hierzu Weizbacher, Redslob. 157 Mommsen, Freiheit, S. 216. 158 Tagebuch der K.B.W., 20. Dezember 1926: Warburg, Tagebuch, S. 37. 159 Tagebuch der K.B.W., 21. Dezember 1926: Ebd., S. 24 f. 160 McEwan, Facetten, S. 75–98, vor allem 88 f. 161 Vgl. Fleckner; Woldt, Bilderreihen, S. 99 f. 162 Tagebuch der K.B.W., 14. April 1927: Warburg, Tagebuch, S. 81. 163 Tagebuch der K.B.W., 3. Januar 1928: Ebd., S. 265. 164 Warburg, Cassirer. 165 Tagebuch der K.B.W., 7. Mai 1927: Warburg, Tagebuch, S. 90. 166 Tagebuch der K.B.W., 5. Juni 1927: Ebd., S. 99. 167 Vgl. Fleckner; Woldt, Bilderreihen, S. 277. 168 Michels, Warburg. 169 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). 170 Max Warburg, Erinnerung an Aby Warburg anläßlich seines Todes, 5. Dezember 1929 (Archiv der Warburg-Stiftung). 171 Kopper, Bankiers, S. 72 ff. ··············································································································································

| 95 | [9]

Max Warburg verabschiedet sich selbst

Doch letztendlich zerstoben Max’ Hoff- meine Art, von mir selber zu sprechen, aber nungen, die antijüdische Politik der natio- ich weiß, daß Sie mir gerne etwas sagen wol- nalsozialistischen Politik mäßigen zu kön- len, und sich vielleicht nur genieren. Erlau- nen. 1932 trat er aus der sich zunehmend ben Sie mir, Ihnen etwas nachzuhelfen. Zu antirepublikanisch entwickelnden DVP aus. unserem großen Bedauern haben wir davon ··································································· Kenntnis nehmen müssen, daß Sie den Ent- Auch die Hapag ist inzwischen, nach der schluß gefaßt haben, aus dem Aufsichtsrat letzten großen Liquiditätskrise, staatlicher der Gesellschaft auszuscheiden, ja, daß Sie Aufsicht unterstellt. Die neuen Machthaber diesen Entschluß als unwiderruflich bezeich- nutzen als erstes die Gelegenheit, Max War- nen. Es fällt uns schwer, von Ihnen scheiden burg aus dem Unternehmen zu entfernen. Im zu müssen, von einem Mann, der zusammen Frühsommer 1933 wird er, jetzt sechsundsech- mit dem seligen Albert Ballin unsere Gesell- zigjährig, aus dem Aufsichtsrat der Hapag schaft groß gemacht hat. Es fällt uns schwer, entlassen, offiziell nicht wegen seiner Zuge- in Ihnen einen Bürger zu verlieren, der sei- hörigkeit zum Judentum, sondern wegen sei- nem Vaterlande während des Krieges so nes Alters und seiner Nähe zur vorherigen große Dienste geleistet hat. Schließlich kön- Regierung. Seine Reaktion auf diese bittere nen wir auch nicht vergessen, daß nach dem und schmerzhafte Entscheidung – niemand Ausgang des unglücklichen Krieges Sie und protestiert, betretenes Schweigen breitet sich kein anderer unsere Gesellschaft aus Trüm- aus – nötigt aufgrund ihrer Souveränität mern wieder aufgebaut und mit Ihrem Gelde noch heute Bewunderung ab: Sarkastisch ge- saniert haben. Wir haben Ihnen das nicht nug, ergreift Max das Wort und hält eine An- vergessen. Und wenn wir, die neuen Leute sprache auf sich selbst: „Meine sehr geehrten hier, jetzt gezwungen sind, uns von Ihnen, Herren, lieber Herr Warburg! Wenn ich mich dem altbewährten Mitarbeiter, zu trennen, in diesen Kreisen umsehe, finde ich, verzei- tragen wir die Schuld. Erlauben Sie mir, daß hen Sie, kein Gesicht eines Mannes, der für ich mich von Ihnen verabschiede bis zum die deutsche Schiffahrt entscheidendes ge- Wiedersehen, das heißt bis zu dem Tage, an leistet hätte. Die große und mächtige deut- dem Sie wieder meiner bedürfen.“ Spricht, sche Schiffahrt ist vornehmlich das Werk erhebt sich, faltet seine Serviette und geht.172 zweier Juden. Der eine ist der verstorbene Al- ··································································· bert Ballin und der andere ist der Mann, der 172 Wiborg, Feld, S. 269. die Ehre hat, vor ihnen zu stehen. Es ist nicht ···································································

| 96 | Max in den dreißiger Jahren

| 97 | [10]

Zum Schluss

Wie ging es weiter? Saxl und Bing gelingt – Vorsitz des Hilfsvereins der deutschen Juden mitsamt sämtlicher Bücher und technischer und die Leitung der Ortsgruppe des Vereins Einrichtungen – Ende 1933 die Emigration zur Abwehr des Antisemitismus übernom- nach London. Geholfen hat eine von der men. Mit seinen eigenen Mitteln kämpft er Hamburger Oberschulbehörde gedeckte wie ehemals sein Bruder Aby „gegen die Tarnung der Bücherflucht als „Leihgabe“ Kräfte des Dunkels“, gegen barbarische, und der Umstand, dass Teile der K.B.W. als vorzivilisierte Strömungen, die sich dem amerikanischer Besitz gelten konnten. In Weg ins Licht der Zivilisation und Hu- England besteht sie noch heute als Teil der manität entgegenstellen wollen.174 Nach University of London und unter dem Na- der Machtübernahme der Nationalsozialis- men „The Warburg Institute“ fort. ten jongliert er zwischen nachdrücklichem ··································································· Eintreten für die verfolgten Juden und Un- Erwin Panofsky kann nach New York terstützung der neuen Reichsregierung, übersiedeln. Am 21. April 1933 schreibt er namentlich des Reichsbankpräsidenten Hjal- von dort einen Brief an Max: „Die wirkliche mar Schacht. 1937 schließt ihn nach fünf- Tragödie, die hier so wenig verstanden wird, undzwanzigjähriger Mitgliedschaft die Kai- besteht ja für unsereinen darin, daß wir, ser-Wilhelm-Gemeinschaft (heute Max- trotz allem, das Land, und besonders die Planck-Gesellschaft) aus. Max gründet im Stadt, in die wir hineingewachsen sind, so gleichen Jahr die Allgemeine Treuhandstelle lieb haben, und so finde ich denn, daß man für die jüdische Auswanderung und wird für wohl weggehen kann (wiewohl die hiesigen eine große Zahl Verfolgter zum Fluchthel- Aussichten nicht gerade rosig sind), aber fer – auch viele Kunsthistoriker aus dem nicht einfach wegbleiben.“173 Er kehrt tat- Umkreis der K.B.W. wenden sich an ihn mit sächlich noch einmal zurück, aber nur für der Bitte um Rat, Vermittlung und Unter- wenige Wochen. Sein Glück ist es, am Insti- stützung. Im Dezember 1937 legt man auch tute of Advanced Study in Princeton ein der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stif- neues Leben und eine neue Karriere begin- tung nahe, Max auszuschließen. Der von al- nen zu dürfen. len Kuratoriumsmitgliedern unterzeichnete ··································································· Brief schließt mit den Worten, dieser habe Max glaubt sehr lange, dass sich das Blatt sich „ein Denkmal, dauerhafter als Erz“ ge- noch wenden würde – und er will helfen. schaffen. Es nützt nichts: 1938 zwingt man Schon Ende der zwanziger Jahre hat er den Max, die Bank an „Arier“ zu übertragen.

| 98 | Ende August tritt er mit Alice eine Besuchs- wird es zu einer reinen Propaganda-Einrich- reise in die USA an. Erst nach den Gescheh- tung zur Rechtfertigung der deutschen Ex- nissen der „Reichskristallnacht“ und War- pansion und zur Herabsetzung der Gegner. nungen seines Vertrauten, des inzwischen Nach dem Krieg reaktiviert man in der zum Syndikus der Bank bestellten Kurt Sie- rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni- veking, lässt er sich überzeugen, dort zu blei- versität Hamburg um die gerettete Biblio- ben. Am 26. Dezember 1946 stirbt Max in thek das Institut für Auswärtige Politik, wel- New York. Sein Sohn Erich, der sich ches jedoch nicht an die internationale inzwischen Eric nennt, kehrt 1956 nach Reputation der Mendelssohn-Ära anknüp- Hamburg zurück und wird, auf ein Zusam- fen kann. Seine jahrzehntelange provisori- menwachsen der europäischen Nationen sche Existenz dauert bis 1973. Seitdem be- hoffend, erneut Teilhaber des Bankhauses. steht es unter dem Namen Institut für Seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, Brü- Internationale Angelegenheiten im Fachbe- cken zu bauen, haben dem Hamburg der reich Rechtswissenschaften der Universität Nachkriegszeit ein neues Gesicht verliehen. Hamburg fort.175 ··································································· ··································································· Albrecht Mendelssohn Bartholdy wird Die Europäische Gemeinschaft und die eu- 1934 ebenfalls in die Emigration gezwungen. ropäische Münze sind längst Realität. Trotz Er findet Aufnahme in Großbritannien, wo aller Probleme hat beides bis heute dazu bei- er noch kurze Zeit als Senior Fellow am Bal- getragen, Kriege in ihrem Hoheitsgebiet zu liol College in Oxford wirkt; dort verstirbt verhindern. er, zweiundsechzigjährig, 1936. Die renom- ··································································· mierten Instituts-Zeitschriften „Europäi- Abys sarkastischer Bemerkung „Ich hätte sche Gespräche“ und „Amerika-Post“ wer- ein brüllender Löwe in der Wüste Juda wer- den noch 1933 eingestellt. Das reduzierte den sollen, statt dessen bin ich ein kapitalis- Institut wird schließlich von Reichsaußen- tisches Schosshündchen in Harvestehude minister Joachim von Ribbentrop verein- geworden“ müsste man heute widerspre- nahmt, nach Berlin verlagert und dort mit chen.176 Dass sein Beitrag zur Fortentwick- dem Deutschen Institut für Außenpoliti- lung der Geisteswissenschaften inzwischen sche Forschung zusammengelegt. Sein Auf- eine so weitreichende, Disziplinen und Gren- trag, die Analyse von Kriegsursachen zur zen überwindende Bedeutung erlangen Vermeidung künftiger Konflikte, verkommt würde, hat er damals nicht ahnen können. zum Gegenteil: Spätestens mit Kriegsbeginn

·············································································································································· 173 Erwin Panofsky an Max Warburg, 21. April 1933: Archiv der Warburg-Stiftung, Hamburgische Wissen- schaftliche Stiftung, VII, Archiv No. 507, Hamburg; freundlicher Hinweis von Dr. Johannes Gerhardt. 174 Hoffmann, Warburg, S. 142. 175 Vgl. Nicolaysen, Mendelssohn. 176 Max Warburg, Erinnerungen von Max Warburg an Aby Warburg, o. D., wohl Dezember 1929 (WIA, III.134.1.6.). ············································································································································

| 99 | [11]

Anhänge

·············································································································································· Stammtafel (Auszug) ··············································································································································

Lion (Joshua) LewisohnMoritz M. (um Warburg 1783–?) ( OO1838–1910Fanny )Haarbleicher OO 1864 (1786–1857) CharlotteDer Oppenheim älteste Sohn ( 1842–1921ist )

Aby M. Warburg (1866–1929) Max M. Warburg (1867–1946) OO 1897 OO 1899 Mary Hertz (1866–1934) Alice Magnus (1873–1960)

Marietta Warburg Max Adolph Frede C.Warburg Erich Warburg Lola Warburg Renate Warburg (1899–1973) Warburg (1904–2004) (1900–1990) (1901–1989) (1904–1984) OO 1926 (1902–1974) OO 1938 OO 1946 OO 1921 OO 1927 Peter Braden OO 1938 Adolf Prag Dorothea Thorsch Rudolf Hahn Richard Samson (1900–1975) Josepha (Josi) (1906–2004) (1912–2003) (1897–1964) (1900–1943) Spiero OO 1940 (1902–1988) Walter Strauss (1908–?) OO 1959 Sir William Calder (1881–1960)

| 100 | Paul M. Warburg Felix Moritz Warburg Olga C. Warburg Fritz M. Warburg Louise Warburg (1868–1932) (1871–1937) (1873–1904) (1879–1964) (1879–1973) OO 1895 OO 1895 OO 1898 OO 1908 OO 1901 Nina Loeb Frida F. Schiff Paul Kohn-Speyer Anna B. Warburg Julius Derenberg (1870–1945) (1875–1958) (1868–1942) (1881–1966) (1873–1928) 2 Kinder keine Kinder 4 Kinder 3 Kinder 4 Kinder

Anita Warburg Gisela Warburg (1908–2008) (1912–1991) OO 1940 OO 1943 Max Wolf Charles F. (1899–1962) Wyzanski jr. (1906–1986)

| 101 | ·············································································································································· Aby und Max Warburgs Lebensdaten im Überblick ·············································································································································· 13. Juni 1866 Aby wird in Hamburg geboren 5. Juni 1867 Max wird in Hamburg geboren 1886 Aby beginnt das Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäo- logie in Bonn und setzt dieses später in München und Straßburg fort 1892 Aby reicht seine Dissertation ein über „Sandro Botticellis ‚Geburt der Venus‘ und ‚Frühling‘. Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance“ 1893 Max tritt nach seiner Lehrzeit beim Frankfurter Bankhaus J. Dreyfus & Co. und Aufenthalten in Paris und London als Prokurist bei M. M. Warburg & Co. ein 1904 nach langjährigen Aufenthalten in Florenz siedelt Aby endgültig nach Hamburg über 1906 Moritz Warburg und seine Söhne spenden 250.000 Mark für die ge- plante Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung; Moritz gehört 1907 dem ersten Kuratorium der Stiftung an, in späteren Jahren werden auch Max und Aby Warburg Mitglied dieses Gremiums 1910 nach dem Tod des Vaters übernimmt Max offiziell die Leitung bei M. M. Warburg & Co.; er weitet den Aktionsradius auf das internatio- nale Bankgeschäft aus 1912 Aby erhält vom Hamburger Senat den Professorentitel verliehen 1918 erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung bei Aby; Aufenthalt in der Privatklinik Dr. Lienau (Hamburg) 1919 Max ist als Finanzsachverständiger der deutschen Friedensdelegation in Versailles tätig 1921 Aby wird zum Honorarprofessor an der Philosophischen Fakultät der Hamburgischen Universität ernannt; Max bekommt von dieser die Ehrendoktorwürde verliehen 1921–1924 mehrjähriger Aufenthalt Abys in der Privatklinik „Bellevue“ in Kreuz- lingen (Schweiz) 1923 Gründung des Instituts für Auswärtige Politik 1925 Aby lässt für seine umfangreiche Bibliothek in der Heilwigstraße 116 ein eigenes Gebäude bauen, das 1926 als Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg eingeweiht wird 1925–28 Aby hält an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Lehrveranstaltungen für Studenten der Hamburgischen Universität ab 1927 Max wird Mitglied des Vorstandes des Hilfsvereins der deutschen Juden; von 1935 bis 1938 fungiert er als Vorsitzender des Vereins und als Rats- mitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden 26. Oktober 1929 Aby stirbt in Hamburg

| 102 | 1937 Max willigt notgedrungen in die „Arisierung“ der Bank ein 1938 Ende August reist Max in die USA; nach dem Progrom vom 9./10. November bleibt er in New York und wird 1944 amerika- nischer Staatsbürger 26. Dezember 1946 Max stirbt in New York

| 103 | [12]

Quellen, Literatur und Bildnachweis

Unveröffentlichte Quellen: Universität Hamburg/Warburg-Archiv Ham- Der Nachlass und die Korrespondenz von Aby burg; 3), S. 31–47 Warburg sind 1933 im Zuge der Emigration der Chernow, Ron: Die Warburgs. Odyssee einer Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg mit Familie, Berlin 1996 dieser nach London gegangen. Für die vorlie- Fleckner, Uwe; Woldt, Isabella (Hg.): gende Arbeit wurde in erster Linie auf die um- Aby Warburg. Gesammelte Schriften, Bilder- fangreichen Archivbestände des Warburg Institute reihen und Ausstellungen, Zweite Abteilung, in London zurückgegriffen, außerdem auf verein- Band II.2, Berlin 2012 zelte Bestände des Archivs der Warburg-Stiftung, Gombrich Ernst H.: Aby Warburg. Eine Hamburg, und des Archivs der Hamburgischen intellektuelle Biographie, Frankfurt/M. 1981 Wissenschaftlichen Stiftung, Hamburg. (Europäische Bibliothek; 12) ··································································· Günther, Horst: Aby Warburg und seine Literatur und veröffentlichte Quellen: Brüder, in: Deutsche Brüder. Zwölf Doppel- Ahrens, Gerhard: Die Hamburgische Stif- porträts, Berlin 1994, S. 254–287 tungsprofessur für Geschichte (1907–22), in: Zeit- Hamburgischer Correspondent Nr. 447 schrift des Vereins für Hamburgische Geschichte (23. September 1899): Tages-Neuigkeiten 74/75 (1989), S. 41–60 Hertz, Hans W.: Art. Hertz, Adolph Jacob, Albrecht, Henning: Alfred Beit. Hamburger in: Neue Deutsche Biographie, hg. von der und Diamantenkönig, Hamburg 22015 (Mäzene Historischen Kommission der Bayerischen Akade- für Wissenschaft; 9) mie der Wissenschaften, Band 8, Berlin 1969, Biester, Björn: Der innere Beruf zur Wissen- S. 708–709 schaft: Paul Ruben (1866–1943). Studien zur Hoffmann, Gabriele: Max M. Warburg, deutsch-jüdischen Wissenschaftsgeschichte, Berlin Hamburg 2009 (Hamburger Köpfe) 2001 (Hamburger Beiträge zur Wissenschafts- Hurttig, Marcus A.: Die entfesselte Antike. geschichte; 14) Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Bolland, Jürgen: Die Gründung der „Ham- Hamburg, Hamburg 2011 burgischen Universität“, in: Universität Hamburg Klessmann, Eckart: M. M. Warburg & CO. 1919–1969, Hamburg 1970, S. 17–105 Die Geschichte eines Bankhauses, Hamburg 1999 Brauer, Ludolph; Mendelssohn Bar- Königseder, Karl: Aby Warburg im „Belle- tholdy, Albrecht; Meyer, Adolf (Hg.): vue“, in: Galitz, Robert; Reimers, Brita (Hg.): Forschungsinstitute. Ihre Geschichte, Organisa- Aby M. Warburg. „Ekstatische Nymphe … tion und Ziele, zweiter Band, Hamburg 1930 trauernder Flussgott“. Portrait eines Gelehrten, Bredekamp, Horst: Ex nihilo: Panofskys Hamburg 1995 (Schriftenreihe der Hamburgi- Habilitation, in: Reudenbach, Bruno (Hg.): schen Kulturstiftung), S. 74–98 Erwin Panofsky. Beiträge des Symposions Ham- Kreft, Christine: Adolph Goldschmidt und burg 1992, Berlin 1994 (Schriften des Warburg- Aby M. Warburg. Freundschaft und kunstwissen- Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar der schaftliches Engagement, Weimar 2010

| 104 | Kopper, Christopher: Bankiers unterm Russell, Mark A.: Between Tradition and Hakenkreuz, München 2008 Modernity. Aby Warburg and the Public Purposes Marazia, Chantal; Stimilli, Davide (Hg.): of Art in Hamburg 1896–1918, Oxford, New York Ludwig Binswanger. Aby Warburg. Die unend- 2007 (Monographs in German History; 19) liche Heilung: Aby Warburgs Krankengeschichte, Schäfer, Michael: Die Kulturwissenschaft- Zürich, Berlin 2007 (Sequenzia) liche Bibliothek Warburg. Geschichte und Per- McEwan, Dorothea: Facetten einer Freund- sönlichkeiten der Bibliothek Warburg mit Be- schaft: Aby Warburg und James Loeb. Verwandte, rücksichtigung der Bibliothekslandschaft und der Freunde, Wissenschaftler, Mäzene, in: Salmen, Stadtsituation der Freien und Hansestadt Ham- Brigitte; Splieth-Locherer; Annette (Hg.): James burg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 2003 Loeb 1867–1933. Kunstsammler und Mäzen, (Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft; 11) Murnau 2000, S. 75–98 Schoell-Glass, Charlotte: Aby Warburg Melle, Werner von: Dreißig Jahre Ham- und der Antisemitismus. Kulturwissenschaft als burger Wissenschaft 1891–1921. Rückblicke und Geistespolitik, Frankfurt am Main 1998 persönliche Erinnerungen. Zweiter Band, heraus- Übersee-Club e.V. (Hg.): Zeitgeschehen im gegeben auf Anregung der Hamburgischen Übersee-Club 1922–1997. Kultur und Kommerz Wissenschaftlichen Stiftung, Hamburg 1924 im Amsinck-Haus am Neuen Jungfernstieg, Michels, Karen: Aby Warburg. Im Bannkreis Hamburg 1997 der Ideen, München 2007 Ders. (Hg.): „Der Übersee-Club sei gegrün- Dies. (Hg.): Aby Warburg. Mit Bing in Rom, det“. Vorträge und Reden aus den Jahren 1922 bis Neapel, Capri und Italien. Karen Michels auf den 1925. Eine Auswahl, Hamburg 2005 Spuren einer ungewöhnlichen Reise, Hamburg Warburg, Aby M.: Bildniskunst und florenti- 2010 (Corsolibro – Hamburg: Corso, 2010; 3) nisches Bürgertum I. Domenico Ghirlandajo in Mommsen, Hans: Die verspielte Freiheit. Der Santa Trinita. Die Bildnisse des Lorenzo de’ Weg der Republik von Weimar in den Untergang Medici und seiner Angehörigen [1902], in: 1918–1933, Berlin 1989 (Propyläen-Geschichte Wuttke, Dieter (Hg.): Aby M. Warburg. Aus- Deutschlands; 8) gewählte Schriften und Würdigungen, Baden- Nicolaysen, Rainer: Albrecht Mendelssohn Baden 1980 (Saecula Spiritalia; 1), S. 65–102 Bartholdy (1874–1936), in: Rabels Zeitschrift für Ders.: Dürer und die italienische Antike [1906], ausländisches und internationales Privatrecht 75 in: Wuttke, Dieter (Hg.): Aby M. Warburg. (2011), S. 1–27 Ausgewählte Schriften und Würdigungen, Baden- Panofsky, Gerda (Hg.): Erwin Panofsky. Die Baden 1980 (Saecula Spiritalia; 1), S. 125–135 Gestaltungsprinzipien Michelangelos, besonders Ders.: Die Bilderausstellungen des Volksheims in ihrem Verhältnis zu denen Raffaels, Berlin 2014 [1907], in: Bredekamp, Horst; Diers, Michael Rathenau, Walther: Staat und Judentum. (Hg.): Aby Warburg. Gesammelte Schriften. Eine Polemik [1911], in: Walther Rathenau, Studienausgabe, Erste Abteilung, Band I.2: Die Gesammelte Schriften in fünf Bänden, Band 1, Erneuerung der heidnischen Antike. Kultur- Berlin 1918, S. 183–207 wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der euro- Roeck, Bernd: Der junge Aby Warburg, päischen Renaissance. Reprint der von Gertrud München 1997 Bing unter Mitarbeit von Fritz Rougemont edier- Rosenbaum, Eduard: M. M. Warburg Co. ten Ausgabe von 1932, Berlin 1998, S. 589–592 Merchant Bankers of Hamburg. A Survey of the Ders.: Kommunale Pflichten und allgemeine First 140 Years, 1798 to 1938, in: Year Book of the Geistespolitik [1909], in: Wuttke, Dieter (Hg.): Leo Baeck Institute of Jews from Germany 7 Aby M. Warburg, Ausgewählte Schriften und (1962), S. 121–149 Würdigungen, Baden-Baden 1980 (Saecula Ruppenthal: Kolonialismus als „Wissenschaft Spiritalia; 1), S. 305 und Technik“. Das Hamburgische Kolonial- Ders.: Die Wandbilder im hamburgischen institut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007 (Historische Rathaussaale [1910], in: Bredekamp, Horst; Diers, Mitteilungen; 66) Michael (Hg.): Aby Warburg. Gesammelte

| 105 | Schriften. Studienausgabe, Erste Abteilung, Band Weber, Hermann: Rechtswissenschaft im I.2: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Dienst der NS-Propaganda. Das Hamburger Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte Institut für Auswärtige Politik und die deutsche der europäischen Renaissance. Reprint der von Völkerrechtsdoktrin in den Jahren 1933 bis 1945, Gertrud Bing unter Mitarbeit von Fritz Rouge- in: Gantzel, Klaus-Jürgen (Hg.): Wissenschaft- mont edierten Ausgabe von 1932, Berlin 1998, liche Verantwortung und politische Macht. Zum S. 579–587 wissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuld- Ders.: Das Problem liegt in der Mitte [1918], in: frage 1914, mit Versöhnungsdiplomatie und mit Die Literarische Gesellschaft. Sonderheft zur nationalsozialistischem Großmachtstreben. Universitätsfrage 4, 5 (1918), S. 149–150 Wissenschaftliche Untersuchungen zum Umfeld Ders.: Heidnisch-antike Weissagung in Wort und zur Entwicklung des Instituts für Auswärtige und Bild zu Luthers Zeiten [1920], in: Wuttke, Politik Hamburg/ Berlin 1923–1945, Berlin, Dieter (Hg.): Aby M. Warburg. Ausgewählte Hamburg 1986 (Hamburger Beiträge zur Wissen- Schriften und Würdigungen, Baden-Baden 1980 schaftsgeschichte; 2), S. 185–425 (Saecula Spiritalia; 1), S. 199–304 Weizbacher, Christian: Edwin Redslob. Ders.: E. Cassirer. Warum Hamburg den Philo- Biographie eines unverbesserlichen Idealisten, sophen Cassirer nicht verlieren darf, in: Hambur- Berlin 2009 ger Fremdenblatt Nr. 173 (28. Juni 1928) Wiborg, Susanne; Wiborg, Klaus: 1847– Ders.: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen 1997. Unser Feld ist die Welt. 150 Jahre Hapag- Bibliothek Warburg mit Einträgen von Gertrud Lloyd, Hamburg 1997 Bing und Fritz Saxl, hg. von Karen Michels und ··································································· Charlotte Schoell-Glass, in: Bredekamp, Horst; Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht Diers, Michael; Forster, Kurt W. u.a. (Hg.): Aby für alle Abbildungen die Rechteinhaber ermittelt Warburg. Gesammelte Schriften, Siebte Abtei- werden. Sollte jemand in urheberrechtlicher Be- lung, Band 7, Berlin 2001 ziehung Rechte geltend machen, so möge er sich Warburg, Max M.: Aus meinen Aufzeichnun- an die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung gen, Glückstadt 1952 wenden. Warburg, Eric M.: Zeiten und Gezeiten. ··································································· Erinnerungen, Hamburg 1982 Bildnachweis: Warnke, Martin: „Ich bin wissenschaftlicher Archiv der Hamburgischen Wissenschaftlichen Privatbankier, dessen Credit so gut ist wie der der Stiftung (S. 57) Reichsbank“. Aby Warburg und die Warburg- Archiv des Warburg Institute (restliche Bilder) Bank, in: Michels, Karen: Aby Warburg. Im Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte Bannkreis der Ideen, München 2007, S. 10–19 (S. 63) Ders.: Lebendige Kunstgeschichte. Mit Warburg Privatbesitz Marie Warburg (S. 32) im großen Festsaal des Hamburger Rathauses, Privatbesitz Max Warburg (S. 17, 30, 42, 44, 97) in: Zeitschrift für Ideengeschichte 8, 3 (2014), Universität Hamburg, Warburg-Archiv (S. 12, 14 f., S. 110–118 34, 83 f., 86)

| 106 | [13]

Namensregister

Verzeichnet sind die Namen von natürlichen Per- Budge, Henry 56 sonen, die in den Kapiteln 1 bis 10 genannt wer- Burckhardt, Jacob 27, 46 den. Anmerkungen bleiben unberücksichtigt, ··································································· ebenso die Namen Aby und Max Warburg. Ein * Campe, Hugo 77 verweist darauf, dass auf der angegebenen Seite Cassel, Sir Ernest 61 (auch) ein Bild der jeweiligen Person bzw. der Cassirer, Ernst 81, 92 Name des Malers erscheint. Bei den Vornamen Cassirer, Toni (geb. Bondy) 92 findet in den meisten Fällen eine Beschränkung Chamberlain, Sir Austen 88, 89 auf den Rufnamen statt Classen, Walther 48 ··································································· Coudenhove-Kalgeri, Graf Richard 82, 85 Albrecht, Hermann 62 Cuno, Wilhelm 75 Althoff, Friedrich 52 ··································································· Amsinck, Antonie 56 Dehn, Otto 56 Amsinck, Gustav 56 Derenberg, Carl 19 Andersen, Hans Christian 37 Derenberg, Gabriele (siehe Schiff, Gabriele) Assisi, Franz von 45 Derenberg, Louise (geb. Warburg) 15, 17, 18*, 19 Auerbach, Alice (geb. Kohn-Speyer) 19 Derenberg, Ruth (siehe Domela-Nieuwenhuis, ··································································· Ruth) Baden, Prinz Maximilian von 72, 77 Derenberg, Walter 19 Ballin, Albert 53, 64, 65, 68, 72, 75, 96 Dernburg, Bernhard 76 Beit, Alfred 56, 62 Diederichsen, Gustav 56 Bendixen, Friedrich 62 Domela-Nieuwenhuis, Ruth (geb. Derenberg) 19 Bing, Gertrud 85, 92, 93*, 98 Dürer, Albrecht 48, 49, 50 Binswanger, Ludwig 73, 81 ··································································· Binswanger, Otto 73 Edward VII., König von Großbritannien und Blohm, Georg 56 Irland 61 Blohm, Hermann 56 Ehrhardt, Hermann 79 Bondy, Toni (siehe Cassirer, Toni) Einstein, Albert 75 Boticelli, Sandro 27 Embden, Heinrich 57 Braden, Marietta (geb. Warburg) 19, 45, 46*, 59*, ··································································· 60 Falke, Otto von 66 Brahms, Johannes 37 Fehling, Wolfgang 78 Briand, Aristide 88, 89 Franke, Otto 73 Brockdorff-Rantzau, Graf Ulrich 77 Fritsch, Theodor 87 Brockhaus, Heinrich 26 ··································································· Bruck, Hermann 65 Gerhardt, Johannes 13 Buonarroti, Michelangelo 47 Ghirlandaio, Domenico 45, 48

| 107 | Goethe, Johann Wolfgang von 11, 62, 73 Liebermann, Max 70 Goldschmidt, Adolph 52, 75 Lienau, Cai 72 Goldschmidt, Regine (siehe Oppenheim, Regine) Lissmann, Friedrich 65 Gossler, Maria (siehe Hertz, Maria) Loeb, Nina 34, 36, 37 Grimson, Bettina (geb. Warburg) 19 Loeb, Salomon 34 Gutmann, Sophie (geb. Magnus) 37 Luther, Martin 11, 71 ··································································· Lutteroth, Ascan 65 Hahn, Kurt 76, 77 ··································································· Hahn, Lola (geb. Warburg) 19, 76 Magnus, Alice (siehe Warburg, Alice) Hahn, Rudolf 76 Magnus, Dora 37, 77 Haller, Martin 15, 53 Magnus, Gertrud (siehe Suse, Gertrud) Heine, Salomon 18 Magnus, Hermann Levin 37 Heinsheimer, Friedrich 65 Magnus, Lola 37 Hertz, Adolph Ferdinand 26, 28, 36 Magnus, Helene (siehe Hornbostel, Helene von) Hertz, Adolph Jacob 28 Magnus, Sophie (siehe Gutmann, Sophie) Hertz, Hans 70, 87 Mantegna, Andrea 49 Hertz, John 23, 35 Marcks, Erich 56, 64 Hertz, Maria (geb. Gossler) 36 Medici, Giovanni de’ 46 Hertz, Mary (siehe Warburg, Mary) Medici, Giuliano II. de’ 46 Höger, Fritz 82 Medici, Lorenzo I. de’ 46 Hornbostel, Helene von (geb. Magnus) 37 Medici, Pierro II. de’ 46 Horsfall, Charles 29 Melchior, Carl 23, 52, 58, 68, 75, 76, 87 ··································································· Melchior, Georg 23 Jahns, Franziska 18*, 19 Melle, Werner von 41, 49, 56, 58, 62, 72 Janitschek, Hubert 27 Mendelsohn Bartholdy, Albrecht 77, 78, 79, 85, Justi, Carl 49 99 ··································································· Merck, Heinrich 89 Kayser, Paul 65 Mussolini, Benito 93 Kessler, Graf Harry 23 Muther, Richard 52 Ketteler, Clemens August Freiherr von 43 ··································································· Keynes, John Maynard 75, 78 Nietzsche, Friedrich 50 Kiesselbach, Wilhelm 23 Nikolaus II., Zar von Russland 37 Klopstock, Friedrich Gottlieb 11 Nümann, Ekkehard 13 Kohn-Speyer, Alfred 19 ··································································· Kohn-Speyer, Alice (siehe Auerbach, Alice) Oppenheim, Charlotte (siehe Warburg, Char- Kohn-Speyer, Edmund 19 lotte) Kohn-Speyer, Marian (siehe Sander, Marian) Oppenheim, Nathan 15, 24 Kohn-Speyer, Olga (geb. Warburg) 15, 17, 18*, 19, Oppenheim, Regine (geb. Goldschmidt) 20, 24 36, 37 ··································································· Kohn-Speyer, Paul 31 Panconcelli-Calzia, Giulio 69 Krause, Eckart 13 Panofsky, Erwin 79, 98 Kreft, Christine 52 Pauli, Gustav 79 Kruger, Stephanus Johannes Paulus 33 Petersen, Carl Wilhelm 89 ··································································· Prag, Frede (geb. Warburg) 19, 49, 59*, 60 Laeisz, Sophie 56 Protopopov, Alexander 70 Lamprecht, Karl 66 ··································································· Lessing, Gotthold Ephraim 20 Rathenau, Walther 26, 53, 69, 76, 77 Lewisohn, Adolph 56 Redslob, Edwin 88 Lichtwark, Alfred 41, 43 Ribbentrop, Joachim von 99

| 108 | Riegl, Alois 66 Warburg, Eva (siehe Unger, Eva) Rijn, Rembrandt Harmenszoon van 48 Warburg, Felix 15, 17, 18*, 19, 34*, 39*, 60, 61, 79, Rosenberg, Théophilie (siehe Warburg, Théophi- 90*, 92 lie) Warburg, Frede (siehe Prag, Frede) Rosenstern, Ferdinand 56 Warburg, Fritz 15, 17, 18*, 19, 24, 34*, 52, 53, 60, Rosenstern, Max 56 61, 68, 91*, 92, 94 Rosenstern, Otto 56 Warburg, Gisela (siehe Wyzanski, Gisela) Ruben, Paul 23 Warburg, Ingrid (siehe Spinelli, Ingrid) ··································································· Warburg, James 19 Salomon, Richard 73 Warburg, Lola (siehe Hahn, Lola) Samson, Renate (geb. Warburg) 19 Warburg, Louise (siehe Derenberg, Louise) Sander, Marian (geb. Kohn-Speyer) 19 Warburg, Marietta (siehe Braden, Marietta) Sassetti, Francesco 46, 47 Warburg, Mary (geb. Hertz) 12*, 26, 28, 35, 37, Saxl, Fritz 67, 76, 78, 79, 81, 85, 98 41*, 45, 46*, 59* Schacht, Hjalmar 94, 98 Warburg, Max Adolph 19, 48, 59*, 60, 66* Schiefler, Gustav 73 Warburg, Moritz 11, 14, 15, 16*, 17, 18*, 19, 22, 23, Schiff, Gabriele (geb. Derenberg) 19 24, 27, 28, 29, 31, 33, 34*, 35, 36, 37, 38*, 49, 52, 56, Schiller, Friedrich 11 59 Schinckel, Max 56 Warburg, Olga (siehe Kohn-Speyer, Olga) Schmarsow, August 26 Warburg, Paul 15, 17, 18*, 19, 23, 31, 33, 34*, 36, Schoell-Glass, Charlotte 27 37, 38*, 52, 60, 61, 76, 77, 79, 90*, 92, 93, 94 Schumacher, Fritz 65, 84 Warburg, Pius 37 Schwinge, Friedrich 65 Warburg Renate (siehe Samson, Renate) Siemers, Edmund 56, 62 Warburg, Sara 14, 15 Sieveking, Johannes 23 Warburg, Siegmund 14, 16, 17, 33 Sieveking, Kurt 99 Warburg, Théophilie (geb. Rosenberg) 16, 17 Smulowicz, Charlotte Esther (geb. Warburg) 19 Wegener, Harriet 85 Spinelli, Ingrid (geb. Warburg) 19 Weygandt, Wilhelm 73 Stinnes, Hugo 76, 79 Wild von Hohenborn, Adolf 70 Stresemann, Gustav 72, 82, 87, 88, 89, 93 Wilhelm II., Deutscher Kaiser 43, 53, 62, 64, 72 Strohmeyer, Otto Heinrich 88, 89 Winkler, Heinrich 73 Suse, Gertrud (geb. Magnus) 37 Witthoefft, Franz Heinrich 75 ··································································· Woermann, Adolph 57 Thilenius, Georg 58, 73 Wolf, Anita (geb. Warburg) 19 ··································································· Wölfflin, Heinrich 52 Unger (Dr.) 22 Wyzanski, Gisela (geb. Warburg) 19 Unger, Eva (geb. Warburg) 19 ··································································· Vinci, Leonardo da 41, 47 ··································································· Warburg, Alice (geb. Magnus) 37, 42*, 43, 58, 99 Warburg, Anna Beata 68 Warburg, Anita (siehe Wolf, Anita) Warburg, Bettina (siehe Grimson, Bettina) Warburg, Charlotte (geb. Oppenheim) 10, 14, 15, 16*, 18*, 19, 22, 23, 26, 28, 34*, 36, 37, 60, 64 Warburg, Charlotte Esther (siehe Smulowicz, Charlotte Esther) Warburg, Erich 19, 42*, 43, 53, 75, 99

| 109 | | 110 | Aus der Reihe „Mäzene für Wissenschaft“ sind bisher erschienen:

Band 1 Die Begründer der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung Band 2 Sophie Christine und Carl Heinrich Laeisz. Eine biographische Annäherung an die Zeiten und Themen ihres Lebens Band 3 Eduard Lorenz Lorenz-Meyer. Ein Hamburger Kaufmann und Künstler Band 4 Hermann Franz Matthias Mutzenbecher. Ein Hamburger Versicherungs- unternehmer Band 5 Die Brüder Augustus Friedrich und Gustav Adolph Vorwerk. Zwei Hamburger Kaufleute Band 6 Albert Ballin Band 7 Ernst Friedrich Sieveking. Erster Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts Band 8 Franz Bach. Architekt und Unternehmer Band 9 Alfred Beit. Hamburger und Diamantenkönig Band 10 Hermann Blohm. Gründer der Werft Blohm & Voss Band 11 Gustav Amsinck. Ein Hamburger Großkaufmann in New York Band 12 Henry P. Newman. Hamburger Großkaufmann und Mäzen Band 13 Adolph Lewisohn. Kupfermagnat im „Goldenen Zeitalter“ Band 14 Johannes August Lattmann. Sozial und liberal im vordemokratischen Hamburger Senat Band 15 Heinrich Freiherr von Ohlendorff. Ein Hamburger Kaufmann im Spiegel der Tagebücher seiner Ehefrau Elisabeth Band 16 Edmund Siemers. Unternehmer und Stifter Band 17 „Es muß besser werden!“ Aby und Max Warburg im Dialog über Hamburgs geistige Zahlungsfähigkeit

In Vorbereitung sind: Stadt – Mann – Universität: Hamburg, Werner von Melle und ein Jahrhundert-Lebenswerk, Teil 1: Der Mann und die Stadt Julius Carl Ertel. Ein Hamburger Industrieller

| 111 | Impressum Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung Bibliografische Information der Deutschen Edmund-Siemers-Allee 1, Raum 113 Nationalbibliothek 20146 Hamburg Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet http://h-w-s.org diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Die Online-Version dieser Publikation ist auf der Verlagswebsite frei verfügbar (open access). Die Deutsche Nationalbibliothek hat die Netzpubli- kation archiviert. Diese ist dauerhaft auf dem Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek verfügbar.

Frei verfügbar über die folgenden Webseiten: Hamburg University Press – http://hup.sub.uni- hamburg.de http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/Hamburg UP_MfW17_Warburg

Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek – Recherche und Zugriff über https://portal.dnb.de

ISBN 978-3-943423-28-0 ISSN 1864-3248

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