Perspektiven
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146 MEDIENwissenschaft 02/2015 Perspektiven Eckart Voigts Mashup und intertextuelle Hermeneutik des Alltagslebens: Zu Präsenz und Performanz des digitalen Remix Remix und Mashup sind als typische gehenden kulturellen Veränderungen Erscheinungsformen künstlerischen zentral sind, scheinen sich ihre Kom- Alltagshandelns in einer medial satu- mentator_innen1 einig. In einem jüngst rierten Gesellschaft erkannt worden. Es erschienenen Sammelband heißt es handelt sich um „auditiv, visuell, audio- einleitend: „Unstrittig scheint, dass sich visuell ‚vermischte‘ Neuarrangements, im Zuge der Digitalisierung Produk- Collagen, Bricolagen in der Musik, tions- und Erscheinungsformen von in Videos, in Computerspielen, in der Medien, der Zugang und Umgang mit Bildenden (und aktuellen Medien-) Medien verändern“ (Mundhenke et al. Kunst, in der (Netz-)Architektur“ 2015, S.2). Euphorisch meint Dirk von (Wilke 2015, S.13) sowie in Literatur, Gehlen, digitales Kopieren ermögliche Fotografie und anderer künstlerischer eine „kreative Referenzkultur“ (von Praxis. Wilke betont das Moment kul- Gehlen 2011, S.19), da Inhalte „leichter tureller Aneignung durch die Akteure adaptiert, remixt und parodiert werden“ des Mashup, die wie in einem digita- (ebd.) können. Was sein Untertitel in len Figurentheater die Puppen tanzen irreführender Polemik als Lob der Kopie lassen: „Diskursobjekte werden zu benennt, ist eigentlich ein Plädoyer für einem Spielball von performativen die schöpferische Appropriation. Selbst Mashup-Techniken“ (ebd., S.37). Alles, in einem durchaus kritischen Beitrag was in digitalem Code verfügbar ist, lässt sich potenziell vervielfältigen, und 1 Uneinigkeit besteht darüber, wie innovativ das Kulturmaterial für dieses mashing die Praxis ist. Häufig wird auf vordigital etablierte Verfahren verwiesen, wie zum ist weithin kostenlos verfügbar sowie Beispiel die filmische Materialkompila- niedrigschwellig veränderlich. Schon tion (vgl. Mundhenke 2015, S.67). Wilke vor etwa zehn Jahren erklärte daher grenzt Mashup von Remix ab, denn bei letzterem trete „die Idee einer Aussage Lawrence Lessig den Remix zu einem durch Montage, Verfremdung, Collage zentralen kulturschaffenden Verfahren […] in den Hintergrund“ (2015, S.14). in der digitalen Read/Write-Welt (vgl. Navas (vgl. 2012, S.93) unterscheidet wie- derum regressive und reflexive Mashups Lessig 2008). In dem Punkt zumin- (nur bei letzterem erscheinen die neu dest, dass Remix und Mashup für die gemischten Bestandteile tatsächlich in digitale Welt und die damit einher- neuen Zusammenhängen). Perspektiven 147 zum Mashup konzediert Petra Misso- Der vorliegende Aufsatz schließt melius, der Remix sei „eine für die dabei an zwei Beobachtungen an, die digitale Medienkultur paradigmatische Mashups und Remixes als performativ Praxis“ (2015, S.239). und transgressiv beschreiben. Für Tim Im Folgenden sollen nach einer Glaser ist das Mashup nämlich eine Vorstellung des Mashup als perfor- grenzüberschreitende Strategie gegen mative Kulturpraxis zwei exemplari- die mediale Vereinnahmung und kul- sche Videocollagen („Vids“) analysiert turelle Normalisierung: „Jedes Mashup werden: (1) eine hybride Montage, der ist Arbeit am und gegen den etablierten sogenannte Supercut und (2) ein Literal kulturellen Code und jede Praktik der Video. Die Techniken der Videomon- digitalen Aneignung ein Gegenentwurf tage adaptieren dabei Collage- und dazu, selbst angeeignet zu werden“ Montageverfahren der modernen (2015, S.110). Avantgarden und greifen auf vordigitale Mashups und Remixes werden Videopioniere des „fannish vidding“ in der Tat häufig mit dem Gestus der zurück (vgl. Coppa 2008) – in Deutsch- Transgression und der Überwindung land zum Beispiel Sinnlos im Weltraum, einer monolithisch-zentralistischen die Star Trek-Synchronisationen in Medienkultur annonciert, wie sie den Siegerländer Platt seit 1994. Den- emanzipatorischen Medientheorien von noch ist es wichtig, diese Texte nicht Bertolt Brecht, Walter Benjamin oder rein textuell zu interpretieren, sondern des frühen Hans Magnus Enzensberger immer im Kontext ihres Mediendispo- zueignet. Die Frage nach dem trans- sitivs und ihrer Medienprotokolle zu gressiven, subversiven Potenzial steht beobachten. Wenn diese kompilierten bei den meisten Untersuchungen Videos also in YouTube erscheinen, so unausgesprochen oder ausgesprochen stehen sie in der höchst diversifizierten im Zentrum der Fragestellungen und Umgebung des digitalen Videopor- bestimmt bereits die Anfänge von tals und Ereignisarchivs YouTube (vgl. Mashup- und Remix-Kultur. Seit etwa Snickars/Vonderau 2009, S.11). Durch 2000 gibt es den sogenannten ‚Bastard tagging und weitere Kategorisierungen Pop‘ – den Remix verschiedener entwickelt sich die typische nutzerge- ‚bootlegged‘ Hits zu einem hybriden nerierte Taxonomie (‚folksonomy‘), die Musikstück. Bei Bootleg- und Bastard- YouTube erst als Datenbank nutzbar Pop-Partys bestimmt der Moment der macht. Als Mediendispositiv bietet Aufführung das transgressive Event. YouTube all die Funktionalitäten von Angekündigt auf Plakaten, die mit Relationierung und ‚Teilnahme‘, die Photoshop erstellte Star-Hybride vor- eine digitale Partizipationskultur aus- führen, zeigt die Präposition ‚vs.‘ die machen und die Aneignung der Inhalte gängige Kollisionsästhetik an. Begriffe ermöglicht, steuert und gegebenenfalls wie trashing oder shredding bezeichnen auch verhindert. die häufig anzutreffende satirische und 148 MEDIENwissenschaft 02/2015 zerstörerische Dimension von Mashup media practices, are inherently inter- und Remix, die nicht selten in parodi- twined and constitute something I stischer Absicht und anonym lanciert have brashly dubbed ‚bastard culture‘ to werden. Die kritischen Diagnosen zwi- indicate how the most heterogeneous schen selbstreferentieller Reproduktion, participants and practices are blended Narzissmus und kritisch-transgressivem together“ (Schäfer 2011, S.11). Potenzial erinnern sehr an die literatur- Schäfer geht es in erster Linie um wissenschaftlichen Diskussionen zur die Rolle von Software zwischen Dis- Parodie. Wie bei der literarischen Paro- tribution und Konsum – erst in zwei- die partizipiert das Mashup unweiger- ter Linie um die Textoberflächen oder lich an seinem Ausgangsmaterial. Kulturerscheinungen, die unter diesen Fernando Ramos Arenas diskutiert neuen Modalitäten erkennbar werden. Trailer-Mashups und resümiert, dass Die zentralen Begriffe für das Software- diese zwar die Filmindustrie untergra- Mashup, also die Verknüpfung unter- ben, jedoch filmindustrielle Konventio- schiedlichster Web-Anwendungen, sind nen letztlich bestätigen (vgl. 2015, S.92). die ‚Schnittstelle‘ und die ‚prozessför- Für Missomelius bringt die Mash up- mige Medialität‘, die den kreativen und Kultur keine Innovation, sondern eher kommerziellen Austausch zwischen eine Reproduktion von „Kontrolldis- den Agenten der ‚sozialen‘ Medien neu kursen und flexiblen Normalisierun- einrichtet. Die deutschsprachige Medi- gen“ (2015, S.229). Sie diagnostiziert enwissenschaft verhandelt diese Texte Spektakel und Exhibitionismus, der teils jenseits von Fragen nach Sinnge- nicht subversiv, sondern affirmativ sei bung oder Kunstwerken als Beispiel für (2015, S.233), obwohl doch die durch spätmoderne Netzwerk-Distribution Mashups provozierten Neuerungen von Kultur. Rezente medienwissen- im Urheberrecht die „Chance für eine schaftliche Ansätze zu Mashup und Entwicklung jenseits aktueller kapi- Vernetzung in den sozialen Medien talistischer Kategorien“ (Missomelius teilen insofern die Affekte gegen den 2015, S.238) böten. furor hermeneuticus, die Wut des Verste- Auch die medientheoretische Refle- hens (so Jochen Hörischs Titel) und xion über das Mashup geht von dieser wenden sich, durchaus im Einklang mit Kulturbeobachtung des Bootleg-Pop der maßgeblich von Friedrich Kittler aus, leitet daraus jedoch einen grund- geprägten Medientheorie, einer auf legend anderen Mashup-Begriff ab, der das Technische fokussierten Semantik auf die medientechnische Konnektivi- zu. Im Rahmen eben dieser Seman- tät abhebt und lediglich die Setzung tik geht die Medienwissenschaft nicht von ‚Heterogenität‘ und ‚Vermischung‘ auf Sinnsuche in Texten, sondern in (blending) aufgreift: „The interactions medialen Infrastrukturen. Eine solche between users and corporations, and Theoriebildung setzt den Werkbegriff the connectivity between markets and in Anführungszeichen. Zwar ist damit Perspektiven 149 nicht mehr – wie noch bei Kittler – die wesentlich erweiterte Zugangsmöglich- Hardware gemeint, aber immerhin doch keiten, um zu beobachten, was poor prin- die Software, als deren Spezialfall das cess audienza tut – poor princess audienza Mashup gilt. In der Formulierung von ist insofern aktiviert, als dass sie Inhalte Schäfer und anderen ist das Mashup generiert (user-generated content, UGC) geradezu synonym mit den APIs, den und auch die Zugangspfade zu den application programming interfaces, Orten legt, an denen sich big bad media die im Kontext von Webdiensten die einschalten oder zuschalten können: gegenseitige Einbettung von Inhalten „Users can rate content, indicate inap- ermöglichen. Henry Jenkins spricht propriate postings, and participate in vom Übergang von „distribution“ zu the indexing of the vast amount of data. „circulation“ ( Jenkins 2012, S.217). Es Information organization becomes a entstehen hybride Ästhetiken, die die key function of the information archi- Weberfahrung zunehmend zu den spe- tecture in the Web 2.0. When posting zifischen Nutzer_innen hin relationiert. content to websites, users contribute