13 Vetreibung und Vernichtung nenüberfälle und Heckenschützentätigkeit begannen, erhielt ich eines Tages einen Zettel, auf dem mir der Emmerich Frank, Franz Wilhelm Direktor der Nationalbank Sabac mitteilte, er sei mit seinem 17-jährigen Sohn auf offenem Feld am Stadt- Wie die Philosophie nach dem ersten Grunde der rand von Sabac interniert, ich möge seine Freilassung Dinge, die Kunst nach dem Ideale der Schönheit, so erwirken. Tatsächlich wurde die gesamte männliche strebt die Geschichte nach dem Bilde des Menschen- Bevölkerung von 16 bis 60 Jahren von Sabac auf kom- schicksals in treuer Wahrheit, lebendiger Fülle und munistische und Partisanen-Tätigkeit überprüft. Ich reiner Klarheit. begab mich zum deutschen General, der für diese Freiherr von Humboldt Aktion zuständig war und sich in befand, und bat um Freilassung des Direktors mit seinem Sohn. Die Beiträge dieses Kapitels wurden bewußt nicht Der General hielt mir vor, daß ich als Bürger volle in eine Gesamtbearbeitung einbezogen. Zu unter- Verantwortung trage. Ich verbürgte mich, und mein schiedlich geartet sind die Empfindungen der Leser- Schützling wurde am gleichen Tag freigelassen. Im gemeinschaft, und zu hoch ist die Achtung vor den Oktober 1944, als die deutsche Bevölkerung Syrmiens Verfassern der einzelnen Berichte, da sie deren per- evakuiert wurde, bekam ich wieder einen Zettel aus sönliche, teils schreckliche Erlebnisse wiedergeben. Sabac. Diesmal schrieb mir der Direktor, ich möge Wenn auch mittlerweile fünfzig Jahre vergangen nicht ins Ungewisse flüchten, sondern mit meiner sind, und die Verfasser einen gewissen Abstand zum Familie nach Sabac kommen, er werde mich im Ge- Erlebten gewonnen haben, so blieben seelische Wun- bäude der Nationalbank unterbringen! den doch Wunden, mögen sie auch klein geworden Schließlich will ich noch eine Begebenheit aus sein. der Zeit des Massenaufbruchs im Oktober 1944 Den Verfassern gebührt Dank für ihre Bereitschaft, erwähnen. Der Kaufmann Nikola Mileusnic, Mit- Schmerzliches für die Leser dieser Dokumentation inhaber der Firma Mileusnic und Hofmann,die das niedergeschrieben zu haben und dadurch jenen Le- Geschäft Nikola Gjurisic übernommen hatte, - als bensabschnitt geistig und seelisch erneut durchleben unser heftiger politischer Gegner bekannt - kam mußten. ganz aufgeregt in die Bank und sagte mir: »Wo will das Volk hin ins Ungewisse? Halten sie die Leute 13.1 Erinnerungen an das Zusammenleben auf! Wer wird in diesem Land noch arbeiten, wenn mit unseren serbischen Mitbürgern unsere Schwaben nicht mehr hier sind. Mein Freund und Kompagnon, Toni Hofmann, ist auch wegge- Franz Hanga gangen. Auch Sie persöhnlich können hierbleiben, ich habe mich bei den Partisanen erkundigt, Sie sind Mit Ausbruch des deutsch-jugoslawischen Krieges dort gut angeschrieben, Ihnen wird nichts geschehen. im April 1941, wurden wir von unseren serbischen Ich selbst werde sie beschützen!« Ich erwiderte ihm Mitbürgern mit dem größten Mißtrauen verfolgt darauf: »Ich werde mit meiner Familie auch gehen, und bespitzelt. Nur das rasche Ende des Krieges denn ich verlange für mich kein anderes Schicksal als bewahrte uns zunächst vor bösen Verfolgungen. für uns alle. Ihr Schutz würde mir nicht helfen, denn Den serbischen Mitbürgern war in der allgemeinen sie werden dann mir genau so nicht helfen können, Hetze nicht zu Bewußtsein gekommen, daß ihnen wie ich den 80 Rumaer Serben nicht helfen konnte, von uns keine Gefahr drohte. Aus aufgefundenen die erschossen wurden. Sie werden auch nichts zu amtlichen Geheimdokumenten geht hervor, daß bei sagen haben.« Tatsächlich konnte man später hören, Annäherung der Kampffront die gesamte deutsche daß Nikola Mileusnic aus seinem Geschäft vertrieben Bevölkerung Syrmiens in Konzentrationslager in wurde und nichts zu sagen hatte. Bosnien verlegt werden sollte Ich will mich mit dem Ausgeführten nicht als be- Ein Beispiel des friedlichen Zusammenseins mit sonderen Serbenfreund rühmen, sondern habe nur die den Serben soll hier auch erwähnt sein. Die Deutsche Absicht, dazu beizutragen, daß man die häßlichen und Volksbank AG, Ruma, war dem Sprengel der Filiale gemeinen Beschuldigungen von serbischer Seite über Sabac der Nationalbank des Königreiches Jugoslawien Landesverrat und schreckliche Untaten durch unsere (der jugoslawischen Notenbank) zugeteilt; sie stand Volksgruppe gegen das serbische Volk widerlegt. mit ihr in reger Geschäftsverbindung und konnte bei Auszüge Gucksloch Nr. 26/1988 ihr auch einen angemessenen Kredit in Anspruch neh- men. Der Direktor der Nationalbank hatte die Auf- 13.2.1 Vermißter Kindertransport sicht über alle Banken seines Sprengels. Wiederholt äußerte er sich lobend über die mustergültige und Franz S. Balogh korrekte Geschäftsführung der Deutschen Volks- bank. Als nach der Besetzung Jugoslawiens durch Die Väter kämpften an der Front, und ihre Kinder die Deutsche Wehrmacht im Herbst 1941 die Unter- warteten in Ungarn auf den Weitertransport. Den drei grundarbeit der Kommunisten zunahm und Partisa- mutigen Frauen Katharina Balogh, Katharina Gjur-

359 kowitsch und Agathe Jankovitsch ist es zu verdanken, mandanten überzeugen, daß die Information, die er daß die Rumaer Frauen mit Kindern von deutschen hatte, nicht richtig war. Er versprach den Frauen, daß Wehrdienstangehörigen aus Ruma in das Reich trans- er nächsten Morgen einen Offizier nach Boldogas- portiert wurden. Drei Kinder erinnern sich: Franz szonyfa senden werde, um die Lage zu erkunden. Balogh, Willy Frank und Martin Wagner. Die drei Frauen fanden für die Nacht Unterkunft und machten sich am nächsten Morgen wieder zu Die Chronik des verlorenen Flüchtlingstransportes Fuß auf den Weg zurück. Inzwischen war der Of- fing spät am Abend des 5. Oktober 1944 an. Die fizier schon eingetroffen, hatte sich von der Wahr- meisten jungen Rumaer Frauen, deren Ehegatten im heit der Situation überzeugt und einen männlichen Deutschen Heer Wehrdienst leisteten, wurden von »Helden« als Transportleiter bestimmt. Als die drei der Rumaer Ortsleitung benachrichtigt, daß sie am Frauen wieder ins Dorf zurückkamen, waren schon folgenden Morgen für einige Tage aus Ruma evakuiert alle Vorbereitungen für den Abtransport der verlo- werden. Der Sammelpunkt für diese Personengruppe rengeglaubten Rumaer Frauen und Kinder getroffen. war das Bezirksamtsgebäude in der Hauptstraße, die Sie hatten als erste Ruma verlassen und kamen nun Zeit 6 Uhr morgens. Es fanden sich über hundert als letzte nach Deutschland. Einige Tage später wur- Frauen mit über dreihundert Kindern ein. Über den die meisten Rumaer unseres Transportes nach zweihundert dieser Kinder waren fünf Jahre alt oder Schlesien evakuiert. jünger, davon mehr als hundert unter einem Jahr. Am gleichen Tag, an dem die drei Frauen aus Ka- Der Abtransport erfolgte am gleichen Tage nach posvar zurückkamen, erreichte die erste Rumaer Essegg. Es dauerte über 12 Stunden, da die Brücken Wagenkolonne Szigetvar, wo sie von einigen Mit- zwischen Ruma und Essegg zerstört waren und des- gliedern unseres Transportes begrüßt wurde. Die halb umfahren werden mußten. Am 9. Oktober ging Mitglieder der Familien Gjurkowitsch und Balogh es weiter nach Bolman in der Batschka, wobei der schlossen sich der Rumaer Wagenkolonne an. Die Transport diesmal von serbischen Bauern durchge- Gjurkowitsch-Familie mit ihrem Nachbarn Jakob führt wurde, deren Pferdegespanne die Wehrmacht Weger und unsere Familie mit Lm. Michael Joos, hierfür requirierte. beide aus der Lorenzigasse, erreichten die deutsch- In gleicher Weise erfolgte der Weitertransport am österreichische Grenze bei Ödenburg/Sopron am 8. 12. Oktober über Mohac, Fünfkirchen, Szigetvar November. Das war mein 14. Geburtstag! nach Boldogasszonyfa, einem Dorf, in dem viele Auszug - Rumaer Gucksloch Nr. 51/1994 Deutsche lebten. Während die Unterkünfte bisher notdürftig, teils 13.2.2 Frauen und Kinder zuerst in Pferde- und Kuhställen erfolgte, wurden hier alle Personen in Wohnhäusern gut untergebracht. Wilhelm Frank Es dauerte 14 Tage, an denen sich nichts ereignete, bis die Erwachsenen schließlich zu der Erkenntnis Am Morgen des 6. Oktober 1944, es war ein schö- kamen, daß der Transport einfach vergessen worden ner Herbsttag, begann mit dem ersten Transport die sein mußte. Flucht meiner Angehörigen und mir aus Ruma. Die Wir erfuhren, daß in Kaposvar eine deutsche Mi- Evakuierung wurde von Bürgern aus Ruma vorbe- litärkommandantur war, und diese Dienststelle uns reitet, die damals in verantwortungsvoller Position vielleicht helfen könnte. Die Frage aber war: Wer läuft waren. Dazu gehörten unter anderen Dipl. Ing. Her- 30 km zu Fuß nach Kaposvar? Unter den Älteren zog und Dipl. Volkswirt Punzengruber. Rumaer Männern, die mit dem Transport waren, Zuerst sollten Frauen mit Kindern in Sicherheit gab es keine Helden. Jeder hatte Gründe, weshalb er gebracht werden. Es war nur Handgepäck erlaubt. nicht mit anderen nach Kaposvar zur Kommandantur Den Transport übernahm die Wehrmacht. Die Reise gehen konnte. ging über , (wo auch Frauen und Kinder mit- Es blieb den Frauen die Verantwortung, uns aus genommen wurden, die man nach Voganj umgesiedelt dieser Lage zu befreien. Unsere Mutter entschloß hatte). Srem. Mitrovica, , Sid, Vukovar nach sich nach Kaposvar zu gehen, da mein Bruder und ich Essegg. Dort wurden wir im Deutschen Haus unter- alt genug waren, zwei Tage allein zu sein. Frau Gjur- gebracht und verpflegt. kowitsch war bereit, meine Mutter zu begleiten, denn Für den 6. Oktober 1944 wurde im Wehrmachts- ihr Sohn Franz war auch 12 Jahre alt. Frau Jankovitsch bericht folgende Lage festgehalten: Auf dem Balkan schloß sich den beiden an. dauern die schweren Kämpfe . . . im Raum Belgrad Es war der 30. Oktober, als die drei Frauen den . . westlich Arad . . . südwestlich Grosswardein und Fußmarsch nach Kaposvar antraten. Um 5 Uhr westlich Thorenburg an. . . morgens ging es los, und um 16 Uhr waren sie beim In Essegg trennten sich etliche Leute vom Transport deutschen Stadtkommandanten. Als sie ihm unsere und gingen eigene Wege. Nach ca. 3 Tagen wurden Situation schilderten, sagte er, daß dies nicht möglich wir von Bauern der Gegend mit Pferdewagen nach sei, da sich unser Transport schon seit zwei Wochen in Bolman in der Baranja, die damals ungarisch war, ge- Schlesien befände. Schließlich konnten sie den Kom- bracht. Einquartiert wurden wir bei Bauern. Verpflegt

360 wurden wir von einer Gemeinschaftsküche, in der Der Bauer, mit dem meine Mutter, mein Bruder die Frauen des Transportes kochten. Unter anderem und ich fuhren, besaß mehrere Ochsen. In der Nähe war dies Magdalena Riffert geb. Lehner. In Bolman von Zittau bekamen sie die Maul- und Klauenseuche. hatten wir auch den ersten Todesfall. Es starb das nur Wir mußten zurückbleiben und hatten dadurch den ein paar Wochen alte Kind der Katharina Schlenhardt Kontakt zum Rest des Transportes verloren. Als die geb. Noll. Krankheit der Tiere ausgeheilt war, fuhren wir bis Nach zehn Tagen ging es wieder mit dem Pferde- nach Reichsstadt (Zakupy) im Sudetenland, in der wagen drei Tage lang westwärts über Fünfkirchen Nähe von Böhmisch Leipa (Ceska Lipa). In Reichs- nach Boldogasszonyfa in der schwäbischen Türkei. stadt ging ich dann auch zur Schule. Dort erlebten Die Unterbringung zur Übernachtung während wir Anfang Mai 1945 das Ende des Krieges. Damit dieser drei Tage verlief nicht immer reibungslos. Es waren wir automatisch in Feindesland geraten. waren viele Säuglinge im Transport und es regnete. In Die Behörden der CSSR teilten uns mit, wir sollten etlichen Fällen mußte die Begleitmannschaft, donau- dahin gehen, von wo wir hergekommen sind. Von schwäbische SS-Männer, mit der Waffe drohen, um nun an begann eine abenteuerliche Reise. Wir fuhren für uns Einlaß zu erhalten. zum Beispiel mit offenen Güterzügen, die erbeutete In Boldogasszonyfa wurden wir wieder durch eine Werkzeugmaschinen und Waffen geladen hatten. Gemeinschaftsküche verpflegt. Auch in diesem Ort Wir sind oft umgestiegen und waren der Witterung starb ein Säugling. Die Mutter war nicht aus Ruma, schutzlos ausgesetzt. Das Begleitpersonal bestand aus hatte aber ein paar Tage vor der Flucht das Kind zur russischen Soldaten, die ich während der Aufenthalte Welt gebracht. des Zuges um etwas Brot bat. Die meisten von ihnen Ein Treck aus Ruma nahm seinen Weg über Sziget- haben mir etwas gegeben oder ihre Ration sogar mit var, ca. 17 km von unserem Standort entfernt. Als mir geteilt. Sie waren zwar auch nicht sehr gut ver- die Leute des Trecks von uns erfuhren, sind etliche sorgt, doch wir waren noch schlechter dran, wir hat- zu uns gekommen und haben ihre Angehörigen ge- ten gar nichts. Wir landeten schließlich in Subotica. holt. So wurde z. B. Juliane Lehner mit ihren beiden Dort wurden wir als Staatsfeinde verhaftet. Nach ca. Töchtern von ihrem Schwiegervater mitgenommen. einer Woche hat man uns nach Sekitsch verlegt. Nach Aussage von Frau Lehner war das am 1. No- Am 1. Oktober 1945 wurde das Lager Sekitsch vember 1944. nach Gakovo und Kruschevlje verlegt. Meine Mutter, Nach ca. 14 bis 16 Tagen Aufenthalt ging es mit dem mein Bruder und ich kamen nach Kruschevlje. Die Güterzug weiter. Unser Ziel war Kesselsdorf im Kreis Löwenberg in Schlesien, ca. 60 km östlich von Gör- litz. Die nächste größere Stadt dort ist Bunzlau. In Kesselsdorf wurden wir in den Sälen der beiden Gasthäuser untergebracht. In diesem Ort waren auch Ausgebombte aus dem Ruhrgebiet untergebracht. Ein Großteil unseres Transportes nahm Verbindung zu seinen Angehörigen auf und zog alleine weiter. Mitte Dezember 1944 hatte sich der Transport so verkleinert, daß wir alle im Gasthaus zur Linde zu- sammengelegt werden konnten. Betreut hat uns dort die Frau des Pastors. Im neuen Jahr wurden wir in Privatquartieren un- tergebracht. Mitte Februar 1945 wurde Kesselsdorf evakuiert. Die Leute, bei denen man wohnte, muß- ten auch ihre Flüchtlinge mitnehmen. Der Treck ging über das Riesengebirge. Der Winter 1945 war sehr kalt und schneereich. Am zweiten Tag der Flucht fuhr der Bauer, mit der Familie Josef Fischer aus Ruma, zurück, um die Schweine zu schlachten. Als sie wieder in Kesselsdorf angelangt waren, brach der Feind durch und sie ge- rieten dort in Gefangenschaft. Josef Fischer wurde mit seiner älteren Tochter nach Rußland verschleppt. Seine Frau blieb mit den kleineren Kindern alleine zurück. Wehrmachtsbericht 17. Februar 1945: . . . Beider- seits Bunzlau und Sagan konnte der Gegner zunächst Boden gewinnen, wurde aber abgefangen. Sagan fiel Aus dem Lager - Theresia Frank mit den Söhnen in die Hand des Feindes . . . Wilhelm und Emmerich 1947 (Foto Bohn)

361 Verpflegung verschlechterte sich radikal gegenüber Uns Kindern gefiel das neue Zuhause, aber meine der in Sekitsch. Die Sterberate stieg sprunghaft an. Eltern und Großeltern sprachen nur von Ruma und Manche Lagerinsassen verließen nachts das Lager, um Syrmien, wie es eben war und wo man auf den Feldern in den umliegenden Ortschaften zu tauschen oder etwas anbauen konnte, und von dem Weinberg in der zu betteln. Ich war bei den Bettlern. Die Aktionen Fruschka Gora. Nach einiger Zeit mußten wir in die waren nicht ungefährlich. Wenn man erwischt wurde, Schule. Maria ging in die Volksschule und ich in die ist man 5 Tage ohne Verpflegung eingesperrt worden. Oberschule, zu der ich jeden Morgen mit dem Bus Manchmal konnten Angehörige dorthin Essen brin- nach Judenburg fahren mußte. gen. Ich war zweimal so eingesperrt. Es wurden aber Nach Kriegsende wurden bald an verschiedenen auch Leute, die beim Verlassen des Lagers erwischt Orten Transporte für die Rückkehr in die Heimat wurden, erschossen. In der Zeit, als wir dort waren, zusammengestellt. Auch meine Eltern und Großel- haben wir das einige Male miterlebt. Eine vollstän- tern wollten möglichst früh dabeisein, weil man um dige Schilderung dieser Zeit würde diesen Rahmen diese Zeit noch Felder bestellen könnte. In Jugoslawi- hier sprengen. en bekamen wir dann zu spüren, daß es nicht darauf Im Januar 1947 verließen wir das Lager Kruschev- ankommt, unschuldig zu sein. Mancher stellte sich lje mit Billigung der dort Herrschenden und nach bald die Frage, ob es richtig war, schon mit dem ersten Zahlung des geforderten »Lösegeldes« in Form einer Transport die Heimreise anzutreten. Armbanduhr meiner Mutter! Beim Verlassen des La- Im September 1945 kamen wir in die Svilara. Wir gers waren wir über 100 Personen, die sich nach Über- wurden, getrennt nach Männern, Frauen und Kindern, schreiten der ungarischen Grenze jedoch zerstreuten. in einem häßlichen Backsteinbau untergebracht. Die In Ungarn bekam unsere Gruppe, die nur mehr aus Uprava (Verwaltung) war in einem Nebengebäude. 17 Personen bestand, dann einen Freifahrschein für Als Arbeitskolonnen gebildet wurden, kam mein Vater den Personenzug durch das Land. nach Kljestevci, die Mutter auf den Fischer-Salasch. Ende Januar 1947 erreichten wir nach einer ereig- Gegenüber der Svilara, im Kusmic-Haus, wurde das nisreichen Reise Linz/Donau in der amerikanischen Kinderlager eingerichtet. Dorthin kamen die Kinder Zone Österreichs. In Linz blieben wir 7 Jahre. Dort und einige Frauen mit ganz kleinen Kindern. machte ich meinen Schulabschluß und eine Lehre. Unterkunft und Essen waren hier genauso mise- Ende 1953 übersiedelten wir legal nach Deutschland. rabel wie vorher. Hinzu kamen noch die hygienischen Seit 1954 lebe ich in Stuttgart. Am Beginn der Flucht Verhältnisse und die Kälte, denn es war schon Ende war meine Mutter 33 Jahre, ich war 10 Jahre und mein September / Anfang Oktober. Viele Kinder bekamen Bruder 7 Monate alt. die Krätze und andere Krankheiten. Das Problem Un- geziefer, also Läuse und Flöhe, war so schlimm, daß 13.2.3 Auf der Flucht aus Ruma wir davon beinahe aufgefressen wurden. Eine Überlebensfähigkeit bestand nur für dieje- Martin Wagner jun. nigen, die Eßbares von außen bekamen. Unsere Mut- ter, die ja am Fischer-Salasch arbeitete, brachte uns ein Da der Vater, Martin Wagner sen., ebenfalls einen aus- Töpfchen Schmalz vorbei. Von dem schmierten wir führlichen Bericht vorlegt, bringen wir hier den Bericht uns jeden Tag eine Messerspitze aufs Maisbrot, das des Sohnes nur in Auszügen, soweit sie Aussagen des dann hervorragend schmeckte. Durch eine Öffnung Vaters ergänzen: im Zaun gingen wir in einen benachbarten Garten, wo Am 25. November 1944 fand mein Vater uns, das wir Zwiebelschloten, Petersilie und Reste von Meer- heißt unsere Mutter, meine beiden Schwestern und rettich fanden, die vom letzten Jahr übriggeblieben mich, nach langen Nachforschungen im schlesischen waren. Auch diese zusätzlichen Nahrungsmittel Kesselsdorf, wo die Frauen mit Kindern nach langer verbesserten unseren täglichen »Fraß«. Irrfahrt in einem großen Saal untergebracht waren. Durch diese Öffnung gingen wir auch hinaus zum Er und meine Großeltern hatten zu diesem Zeitpunkt Betteln. Manche Kinder hatten noch Kleidungs- schon eine Wohnung in der Steiermark. Von den ört- stücke, die sie für Essbares eintauschten. Um von lichen Behörden erfuhren wir, daß für die Einreise in der Wache nicht gesehen zu werden, mußten wir die Steiermark eine Zuzugsgenehmigung nötig war, morgens bei Dunkelheit das Lager verlassen und die uns unser Großvater nach vier oder fünf Tagen abends bei Dunkelheit zurückkehren. Es bestand ja vorbeibrachte. So ging es am 30. November mit der keine Gefahr, während dieser Zeit gesucht zu werden, Eisenbahn in Richtung Steiermark. In Wien mußten da niemand genau wußte, wieviele Kinder im Lager wir umsteigen. Schon auf dem Bahnhof spendierte uns waren, wieviele gestorben oder noch am Leben waren. der Großvater ein Wiener Würstchen mit Senf. Wien Aus der Svilara hörten wir, daß unser Großvater im war die erste Großstadt, die wir sahen. Und weiter November 1945 und im darauffolgenden Januar auch fuhren wir nach St. Peter bei Judenburg. Unterwegs die Großmutter gestorben waren. erzählte uns der Großvater von dem Haus im Wald, Natürlich war auch ich einige Male betteln oder von den hohen Bergen und von der Großmutter, auf ich tauschte auch für andere Kinder Kleider gegen deren Wiedersehen wir uns sehr freuten. Eßbares. Wir erfuhren, daß am orthodoxen Ostern

362 auf die Gräber Lebensmittel gelegt werden. An Os- war. Meine Schwester Maria erkrankte und mußte tern war ich darum auch auf dem Friedhof. Auf den kurzfristig ins Lagerkrankenhaus gegenüber von Gräbern lagen Ostereier, Schinken, Speck, Brot und unserem Lager. Man hörte, daß da niemand mehr anderes. Ich bepackte meine Tasche und verschwand heraus kommt, zum Glück aber blieb Maria nur ein in Richtung Lager. Das bedeutete, viele Tage nicht paar Tage dort. mehr hungern zu müssen. In der Tasche hatte ich Als Folge der Unterernährung waren die meisten Kuchen, Speck, Schinken, Brot und 17 Ostereier, Kinder krank. Viele hatten geschwollene Gesichter mit denen ich wahrscheinlich prahlte. Das war mein und Beine, also Wasser im ganzen Körper. Man sagte Verhängnis. Ich mußte alle Ostereier bis auf zwei, uns, daß Brennesseln ein gutes Mittel dagegen seien. eines für mich und eines für Maria, abgeben. Auch Wir sammelten welche, kochten davon Tee, den wir die anderen Lebensmittel wurden unter den Kindern tranken, und von den Überresten gab es Spinat. aufgeteilt. Unser Vater kam nach langer, schwerer Krankheit Unsere Lagerküche bestand aus einem Kesselhaus. aus Semlin in die Svilara zurück. Ich sah ihn, als er Dort hackte ich öfter Kleinholz zum Feuern, dafür im Kinderlager einen Zaun reparieren mußte, damit bekam ich manchmal etwas Einbrenn von der Mari- niemand abhauen konnte. Auch sein Körper war pasl auf das Brot geschmiert. Beim Betteln kam es vor, aufgequollen vom Wasser. daß wir von den Leuten fortgejagt wurden, aber die Im Juni 1946 kamen alle Insassen des Kinderlagers meisten hatten Mitleid mit uns und gaben uns etwas. mit in die Svilara. Da noch immer sehr viele Menschen So auch die Nachbarfamilie, die zwar arm war und wegstarben, gab es dort Platz auch für uns Kinder. Es- selbst mehrere Kinder hatte, aber immer etwas gab. sen und Unterbringung waren dort noch schlechter. Einmal brachten uns Nachbarn einige Schüsseln Noch immer gab es eine klare Trennung. Die Frauen und Töpfe mit Wurstsuppe (Sülze), die sie beim waren im Erdgeschoß, Kinder mit Betreuung im Schweineschlachten für uns aufgehoben hatten. Wir ersten Stock und die Männer im Dachgeschoß. Man mußten natürlich aufpassen, daß der Strazer (Wach- durfte sich nicht besuchen. Die Essenausgabe war mann) gerade um die Ecke war, damit er nicht sah, daß zeitlich getrennt, so daß es auch da keine Möglichkeit sie uns Essen über den Zaun reichten. Beim Zurück- gab, sich zu sehen. geben des leeren Geschirrs versteckten wir, d. h. eine Eines Tages wurde eine UN-Delegation angesagt. Frau und ich, uns mit den Töpfen im Schweinestall, Alles mußte für den hohen Besuch gereinigt werden. weil es von hier nur ein paar Schritte zum Gartenzaun Die Delegationsmitglieder kamen nachher gar nicht waren. Plötzlich stand der Strazer mit dem Gewehr in die Räume herein, sondern überblickten alles von hinter uns und schrie, was wir machten und wem das der Tür aus. Daher änderte sich auch hinterher gar Geschirr gehöre. Wir sagten, wir wüßten es nicht. Er nichts. sperrte uns in den Stall ein und kündigte an, daß er es An der Stirnseite der Svilara war ein Anbau, der dem Lagerkommandanten melden werde. als Schmiede und Schlosserei diente. Dort hielt ich Wir verbrachten die Nacht im Schweinestall, bei mich viel auf, weil es mir Spass machte, zu helfen. eisiger Kälte und in der Ungewißheit, was uns noch Ich durfte den Blasebalg für das Schmiedefeuer erwartete. Der Lagerkommandant kam am nächsten treten. Dafür bekam ich manchmal etwas zu essen, Tag, schrie uns an und fragte, wem das Geschirr ge- das nicht aus dem Lagerkessel kam. Es stammte von höre. Wir sagten wieder, daß wir es nicht wüßten. den Wachmannschaften, für die der Schmied Schlüssel Die Antwort war: »Dann bleibt ihr halt eingesperrt«. und andere Gegenstände anfertigte. So blieben wir noch zwei Tage und Nächte. Wir be- Im Juli wurden wir zur Ernte auf den Sikitzki-Sa- wegten uns und wärmten uns gegenseitig, um nicht zu lasch geschickt. Wir mußten dort viel arbeiten, be- erfrieren. Als wir endlich rausgelassen wurden, kam kamen aber auch besseres Essen. Der Ernteeinsatz es noch ganz schlimm für Traudl, die junge Frau. Sie dauerte nur einige Tage, dann ging es wieder in die mußte in die Svilara und wurde von ihren Kindern Svilara zurück. Auch Straßenkehren in Mitrovica war getrennt. Ich bekam am nächsten Tag von der Rumaer einmal eine Abwechslung. Angespornt vom besseren deutschen Lehrerin, die auch Insassin des Lagers war Essen, meldete ich mich freiwillig zum Laso. Laso aber eine Aufsichtsfunktion hatte, noch den Arsch war der Upravnik (Chef) eines Bauunternehmens versohlt. Nach einiger Zeit kam Traudl zurück. Sie in . Die Firma befand sich an der zeigte uns, wie ihr Hintern grün und blau von den Sava, gleich über dem Damm. Ich arbeitete dort sehr Peitschenschlägen des Dezurni war. schwer, mußte morgens die Pferde versorgen, den Nur Läuse und Flöhe fühlten sich wohl in unse- ganzen Tag mit dem Pferdewagen Sand von der Sava rer Unterkunft. Die Läuse waren harmlos, aber die in die Firma fahren und abends noch einmal die Pferde Flöhe stachen schlimm und ließen sich nicht fangen. versorgen. Das alles tagaus tagein, außer sonntags. Eines Tages kam ein Trupp mit großen Spritzen. Sie Mein Vater, der zu dieser Zeit bei einer Handels- spritzten uns weißes Pulver in Hosen, Hemd,in alle firma in Mitrovica arbeitete, besuchte mich und sah, Kleider und in die Haare, sofern jemand noch welche in was für einem erbärmlichen Zustand ich war. Er hatte. Das Pulver mußte 24 Stunden an uns bleiben. besorgte mir ein paar Schuhe mit Holzsohlen und Später erfuhren wir, daß es das sehr giftige DDT empfahl mir, in die Svilara ins Lager zu gehen. Er wer-

363 de uns schon ab und zu etwas zu essen besorgen. Den Tage später brachten uns die Engländer mit Last- restlichen Herbst und Winter verbrachten wir dann wagen an die jugoslawische Grenze bei Rosenbach. in der Svilara. Der Winter war besonders schlimm, Dort wurden wir von Jugoslawen übernommen und das Essen wie immer ein Fraß. in Viehwaggons verladen. Die Soldaten zeigten sich Die Läuse vermehrten sich auch hier unaufhaltsam. hier von ihrer besten Seite. Am selben Abend fuhr Im Hof stand ein Entlausungsofen, um die Kleidung der Zug in Rosenbach ab. Am nächsten Morgen hielt zu entlausen. Viele Kleider, die man aus dem Entlausen er auf einem Bahnhof in Slowenien. Wir mußten alle wegnahm, kamen verkohlt zurück. Manch einer hatte aussteigen, das Gepäck wurde durchsucht und, was buchstäblich nichts mehr anzuziehen. Viele machten den Soldaten gefiel, behielten sie. Nachher stiegen sich aus einem Sack einen Umhang und banden ihn wir wieder ein und fuhren einige Stationen weiter bis mit einer Schnur um den Körper, um vor Regen und zu einer gesprengten Eisenbahnbrücke, die unsere Schnee wenigstens etwas geschützt zu sein. Weiterfahrt behinderte. Das Gepäck mußten wir über Im Frühjahr 1947 wurde das Lager Svilara aufgelöst. eine Behelfsbrücke auf die andere Seite tragen und in Alle Insassen wurden nach Sremski umgesiedelt. einen anderen Zug verladen. Wir fuhren dann weiter Hier verbesserte sich die Lage. Viele Erwachsene, die bis Sveti Viet (St.Veit), in unmittelbarer Nähe von auf den Feldern arbeiten mußten, erhielten dort bes- Ljubljana (Laibach). Dort luden wir unser Gepäck vor seres Essen. Auch im Lager war es besser. Im Sommer einem großen Gebäude der ehemaligen Priesterschule fanden viele Kinder als Bostandzia (Melonenhüter) ab. Hier waren auch viele Kriegsgefangene. Die erste auf den Feldern eine sinnvolle Aufgabe. Der Dezurni Nacht verbrachten wir unter freiem Himmel. Am erlaubte das den Kindern aus dem Lager unter der nächsten Tag mußten wir in aller Frühe antreten und Auflage, ihm auch Melonen mitzubringen. unser Gepäck öffnen. Die slowenischen Partisanen, Die schlimmste Zeit war überstanden, aber es dau- auch Frauen in Uniform, machten sich an unsere erte noch viele Monate, bis wir endlich im März 1948 Sachen heran. Diesmal machten sie keine Ausnahme aus dem Lager entlassen wurden. Jetzt konnten wir mehr, sie nahmen alles Brauchbare mit. Sogar Lebens- uns frei bewegen, es gab keinen Strazar, Dezurni oder mittel, die wir für die Reise mitgenommen hatten, Lagerkommandanten mehr. Wir hatten uns allerdings nahmen sie uns ab. Manchen Leuten blieb nichts verpflichten müssen, drei Jahre im gleichen Betrieb übrig, als das, was sie am Leibe trugen. in Jugoslawien zu arbeiten. Und diese Verpflichtung Nachdem sie uns ausgeplündert hatten, wurden hielten wir ein. die Frauen mit Kindern von den Männern getrennt. Dutzende wurden in kleine Räume eingesperrt, in 13.3.1 Erschütterndes Erwachen denen man noch nicht einmal Platz zum Sitzen hatte. Zu dieser Zeit war es schon heiß, und wir blieben Martin Wagner sen. 17 Tage hier. Zweimal am Tag gab es getrocknetes Gemüse aufgekocht. Einige Male am Tag durften wir Im Oktober 1944 mußten die in Jugoslawien le- die Räume verlassen und auf die Toilette gehen, auch benden Deutschen ihre Heimat verlassen. Am 6. hier getrennt von Frauen und Kindern. Die Toiletten Oktober zuerst die Frauen mit Kindern, dann am bestanden aus einem Graben und einem Balken. 17. Oktober die Familien, darunter auch meine El- Am 28. oder 29. Juni ging es weiter Richtung Mari- tern und ich. Die Frauen mit Kindern fuhren mit bor nach Sterntal. Dort war ein sehr großes Lager im Lastwagen der Wehrmacht, unsere Fahrt erfolgte mit Wald mit Tausenden von Menschen. Nach einem sehr der Eisenbahn. langen Marsch erreichten wir das Lager mit seinen Am 23. Oktober kamen wir in der Steiermark, in Baracken. Und wieder wurden wir sofort von den St.Peter bei Judenburg, an. Bei dem Besitzer eines Frauen und Kindern getrennt. Sägewerks, der uns und unser Gepäck vom Bahnhof Gleich in der ersten Nacht kamen die Wachmann- abholte, fanden wir Obdach. Es war ein schönes Haus, schaften und trieben uns Männer aus den Baracken. und die Wohnung war gemütlich und so geräumig, Wir mußten uns in Reihen aufstellen, dann ging es daß meine Frau und meine Kinder darin Platz fanden. los mit »auf und nieder«. Etwa anderthalb Stunden Ich arbeitete im Sägewerk beim Götzenbrucker bis dauerte diese Qual. Manche Männer, die schon älter zur Abreise in die Heimat. waren, konnten nicht mehr, sie hatten schon blu- Nach Kriegsende war dieser Teil Österreichs engli- tende Ellenbogen und Knie. Vor mir war der Eck sches Besatzungsgebiet. Ein englischer Offizier sagte: Stefan-Vetter (Zimmermannmeister). Als dieser nicht Wenn wir glaubten, unschuldig zu sein, könnten wir mehr aufstehen konnte, trat ihn einer der Partisanen in unsere Heimat zurückkehren. Als wir das erfuhren, mit dem Stiefel an den Kopf. Da er sich nicht mehr waren wir begeistert, wie auch die meisten anderen bewegte, setzten sie ihn auf einen Schubkarren und Landsleute. schoben ihn hinter die Baracke und erschossen ihn. Wir wollten als erste daheim sein, um Kukurutz So erging es auch dem Schmee Jaki (Pernat aus der anzubauen und auch noch den Weinberg zu bestellen. Kleinjaraker Gasse) und einem Mann aus Essegg. In der Nähe von Judenburg wurde ein Sammellager Auch acht deutschstämmige Slowenen wurden in eingerichtet. Dorthin kamen wir am 4. Juni. Zwei dieser Nacht erschossen. Das Vorgehen der slowe-

364 nischen Partisanen war so grausam, daß man es sich schrechliche Irrfahrt. Meistens fuhren wir 2 bis 3 gar nicht vorstellen kann. Dieses Massaker, das hier Stunden am Tag, dann wurden wir auf ein Nebengleis veranstaltet wurde, geschah praktisch vor den Augen geschoben, weil entgegenkommende Züge vorbei der Frauen und Kinder, da deren Baracke nur ein paar mußten. Im Zug gab es überhaupt nichts zu essen. Meter davon entfernt war. Für die nächste Zeit waren Darum stiegen wir während der Wartezeiten aus, um alle eingeschüchtert, keiner traute sich aus der Ba- im nächsten Dorf zu betteln. Wir hatten noch einige racke heraus. Zum Essenholen wurden wir von den Zigaretten und Kleider von unserer Lisl, die in Sterntal Partisanen mit Maschinenpistolen aus den Baracken gestorben war; so konnten wir Eßbares eintauschen. getrieben. Unterwegs mußten wir Partisanenlieder Nach Österreich kamen wir nicht, aber bis Laibach. singen, die wir natürlich nicht kannten. Wenn das Dort sagte man uns, daß die Österreicher die Grenze Singen nicht richtig klappte, trieben sie uns zurück, dicht gemacht hätten. So schob man uns in Laibach ohne daß wir etwas gegessen hatten. Manchmal wur- wieder auf ein Abstellgleis, und wieder ging es auf Le- de einer aus den Reihen herausgeholt, wenn er nicht bensmittelsuche. Da uns die Österreicher nicht mehr ordentlich mitgesungen hatte. wollten, fuhren wir an einem Sonntag im September Trotz Singen und Marschieren wurde das Essen wieder nach Ruma zurück. Diesmal durften wir dort nicht besser. Durch die Mangelernährung waren den Zug nicht mehr verlassen. Jugoslawen sagten uns, hauptsächlich Kinder und ältere Leute sehr ge- daß kein Platz mehr für uns in Ruma sei. Noch am schwächt und konnten kaum noch laufen. Viele gleichen Abend verließen wir Ruma und kamen nach starben hier, am 23. Juli auch unsere Tochter Lisl im Sremska Mitrovica in die Svilara. Alter von dreieinviertel Jahren. Wir Älteren, mein Die erste Zeit war das Lager relativ leer. Ich wurde Vater, meine Mutter, meine Frau und die Kinder, zur Waldarbeit und meine Frau zur Maisernte einge- hielten uns am Leben, weil wir Zigaretten gegen teilt. Unsere Familie war auseinandergerissen. Meine Brot eintauschten. Eltern in der Svilara, die Kinder im Kinderlager, meine Am 14. August wurden wir endlich wieder in einen Frau am Salasch und ich im Wald bei Kljestevica, der Zug für den Weitertransport verladen. Nach drei Ta- etwa 25 km von Mitrovica entfernt war. gen kamen wir nach Warazdin in eine Kaserne. Hier Meine Nachbarn Vater und Sohn Jakob und Anton waren viele Leute aus der Batschka und dem Banat, Klein, Michaeli-Gasse, Anton und Sohn Johann Renn, die auch auf die Heimreise warteten. Endlich gab es Großjaraker-Gasse, die Brüder Stefan und Anton wieder etwas zu essen. Stolz brachte mein Vater uns Rupp mit ihrer Mutter geb. Joos, Georg Schlenhardt- ein Stück Fleisch, das er außerhalb des Lagers für Stadi, Jakob Ceckovic, Georg Oder, Gassler Juri und irgendein Kleidungsstück eingetauscht hatte. Anton Giener. Ein junger Mann mit Namen Müller Schließlich bekamen wir die Entlassungsbeschei- und seine Mutter eine geb. Pinter, der Sohn von Jo- nigung aus dem Lager, und man sagte uns, wir hann Österreicher mit Mutter Anna geb. Malok und könnten heimreisen. In Viehwaggons fuhren wir also Ferdinand Frank, Stier Ferdie, waren auch dabei. nach Ruma. Dort am Abend angekommen, gingen wir Als wir dort ankamen, gab uns der Förster ein durch die Eisenbahngasse und wurden von den neu- Säckchen Kukurutzmehl; wir hatten nun kein Koch- en Besitzern unserer Häuser mit Steinen beworfen. geschirr, um es zu kochen. Da fanden wir ein abge- Mein Vater ging direkt nach Hause, um zu erkunden, sägtes Blechfaß, das wir säuberten, um darin einen wie es dort aussah. Wir hatten einen Saisonarbeiter Kukurutzbrei zu kochen. Wir waren ausgehungert, aus Dalmatien, der bei unserer Flucht aus Ruma in da schmeckte der Brei auch ohne Salz und Fett. Die unserem Haus geblieben war. Mein Vater fand das nächsten Tage gab es Kukurutzbrot, das so hart war, Haus in gutem Zustand, er hatte aber Milan nicht daß man es kaum beißen konnte. Wir beschwerten angetroffen. uns beim Förster und bekamen besseres Brot, das die Alle Rumaer, die mit diesem Transport gekommen Frauen dort selbst gebacken hatten. waren, wurden in der Johannes-Gasse untergebracht. Der 9. September 1945 war der erste Arbeitstag. Im Dort blieben wir zwei Tage und Nächte unter freiem Wald wurde Holz von einer Gruppe aufgeladen und an Himmel. Viele wurden von den Partisanen verhört der Sava von anderen abgeladen. Solange das Wetter und geschlagen. Unsere Habseligkeiten bestanden in- trocken war, konnte man es hier ertragen, aber im zwischen meist nur noch aus dem, was wir an Kleidern Oktober und November wurde es immer schlechter. trugen. Wir hatten natürlich eine Menge an, weil wir Dafür hatten wir keine Kleidung und keine Schuhe, glaubten, daß es auf dem Leib am sichersten wäre. Im nur Holzschlappen an den Füßen. So gab es auch Haus der Miliz mußten viele ihre Kleider ausziehen. die ersten Kranken, die der Förster gleich ins Svilara Auch ich mußte meine Schuhe hergeben und bekam zurückschickte. Sein Name war Mischa Koschutic, dafür ein Paar mit Draht geflickte Schuhe. ein Serbe aus Sremski Jarak. In diesen Tagen gab es überhaupt nichts zu essen. Anfang Dezember hatten wir den ersten Schnee. Nur wer Freunde oder Verwandte in Ruma hatte, Die Unterkunft war wohl beheitzt, aber auf dem kam an Lebensmittel heran. Am 23. August wurden Fußmarsch zur Arbeitsstelle, die 3 bis 4 km entfernt wir abends wieder zum Bahnhof getrieben, um nach war, bekamen wir schon nasse und kalte Füße. Den Österreich zurückzukehren. Aber nun begann eine ganzen Tag brannte ein Feuer, so daß wir uns aufwär-

365 men konnten, nur die Füße blieben immer naß und aus dem Krankenhaus entlassen. Ein Polizist brachte kalt. Auch ich erkältete mich, so daß ich einige Tage mich und drei Männer von Semlin in das Lager Svilara nicht arbeiten konnte. Zu dieser Zeit hatten sich vier zurück. Dort traf ich meine Frau und die beiden Kin- Männer krank gemeldet, in erster Linie solche, die der. So erfuhr ich, daß meine Mutter am 21. Januar nichts anzuziehen hatten. Der Förster bemerkte das 1946 im Alter von 63 Jahren gestorben war. und er sagte uns, wenn jemand schwach oder krank Nur zwei Tage blieb ich im Lager, dann mußte ich, ist, so müsse er ins Lager in die Svilara zurück. Ich obwohl keineswegs gesund, zum Arbeiten nach Gre- fühlte mich nicht gut und meldete mich mit vier gurevci, wo Häuser zu errichten waren. Die Häuser Männern für das Lager. wurden noch so gestampft, wie es einst unsere Vor- Als wir im Lager ankamen, gab es gerade Mittag- fahren taten. essen. Da traf ich meine Mutter, die mir sagte, daß Die Leitung oblag einem Bauingenieur und zwei der Vater Ende November an seinem 66. Geburtstag Stampfmeistern aus Franztal. Der Bauingenieur gestorben war und hinter der Svilara in einer großen beschwerte sich beim Bürgermeister, weil wir bei Grube eingescharrt wurde. Als ich später die Gruben der miserablen Verpflegung nicht arbeiten konnten. sah, wäre ich am liebsten wieder in den Wald zurück- Nun gab es Kartoffeln, manchmal auch Bohnen gekehrt. Wir fünf Männer mußten beim Lagerkom- und besseres Brot. Anfang September 1946 waren mandanten antreten, denn der Förster hatte dem Kut- 13 Häuser fertiggestampft, dann hieß es, wir soll- scher ein Begleitschreiben mit unserer Beurteilung ten ins Lager zurück. Ich meldete mich sofort und mitgegeben. Jeder wurde einzeln aufgerufen, zuerst bereute es nicht, denn am zweiten Tag nach meiner die drei schlechten, dann die beiden guten Arbeiter. Rückkehr hatte ich die Gelegenheit, mit einer Gruppe Die ersten drei wurden ausgepeitscht; ihre Schreie von acht Leuten in einer Genossenschaft (»Sremska mußten wir uns draußen anhören. Als sie heraus ka- Zadruga«) in Mitrovica zu arbeiten. Gleich am ers- men, waren sie totenbleich und zitterten am ganzen ten Tag wurden wir auf verschiedene Arbeitsplätze Körper. Als nächster wurde ich hineingerufen. Im eingeteilt, und jeder von uns bekam 1 kg. Brot und Raum stand der Dezurni mit der Liste in der Hand, eine 400g-Dose Bohnen mit Fleisch, genug für zwei neben ihm zwei Wachtposten mit Schlagstöcken. Personen. Die Konserven kamen aus Beständen der Sie fragten mich nach meinem Namen und warum Care-Pakete (Unra). Unsere Tätigkeit bestand darin, ich aus dem Wald zurückgekommen sei. Ich sagte, angekommene Ware aus den LKWs auszuladen und daß ich krank sei und daß ich, wenn es mir wieder zu sortieren. Anfangs waren wir bis zu 15 Personen, besser geht, zurück in den Wald möchte. Nein, war später wurden nur noch vier Mann gebraucht, die sich die Antwort, du kommst hier nicht mehr raus, du der Geschäftsführer aussuchte. Ich gehörte dazu. Wir wirst hier krepieren. Dann schickte man mich hin- gingen von September 1946 bis Januar 1947 jeden Tag aus. Der letzte unserer Gruppe kam auch mit solchen alleine aus dem Lager in die Zadruga. Der Winter war Sprüchen davon. Die drei ausgepeitschten Männer sehr kalt, aber wir mußten wenig im Freien arbeiten starben in den nächsten zehn bis vierzehn Tagen, und bekamen noch Kleidung von Care. darunter auch ein Rumaer Polizist namens Georg Ende April 1947 wurde das Lager Svilara in Sremska Oder (»Gasler-Juri«). Mitrovica aufgelöst. Die Menschen aus dem Lager Ich war von Dezember 1945 bis Mitte Januar 1946 wurden nach Sremski Jarak gebracht, einem Nach- in der Svilara. Dann kam ich mit 14 jüngeren Männe- bardorf, ca. 6 km von Sremska Mitrovica entfernt. ren nach Semlin in eine Maistrocknerei. Dort waren Ich bat den Personalchef der Zadruga dort weiter schon einige Männer aus Semlin und Franztal in ei- arbeiten zu dürfen. Zwei Mann bekamen dann eine nem Haus einquartiert, das einem Deutschen gehört Bescheinigung für den Lagerkommandanten, daß hatte. Die Arbeit war sehr schwer. Wir arbeiteten in sie bleiben durften. Der Lagerkommandant bestä- zwei Schichten zu je 12 Stunden. Schon nach sieben tigte uns das. Am nächsten Tag packten wir unsere oder acht Tagen wurde ich krank. Nach ein paar Ta- Klamotten zusammen und gingen wieder zu unserer gen entschied der Verwalter (Upravnik), daß ich ins Arbeit in die Zadruga. Dort wies man uns einen klei- Krankenhaus mußte. Dort wuschen mich die Kran- nen Raum mit Kochgelegenheit zu. Es gab mehr und kenschwestern gleich im kalten Wasser. Die Diagnose besseres Essen, und wir mußten nicht mehr im Lager lautete auf Typhus. Vom 28. Januar bis 25. April, also übernachten. drei Monate, lag ich im Krankenhaus, davon hatte ich Als im Juli 1947 die Firma eine Frau für die Reini- sechs bis sieben Wochen 40 Grad Fieber. Ich war am gung der Büroräume brauchte, bat ich meinen Chef, ganzen Körper wundgelegen. daß ich außer meiner Frau auch meine Kinder - die Zuletzt hatte mich eine Militärkommission aus zwei Tochter 11 Jahre, der Sohn 14 Jahre - mitbringen dür- Offizieren und einer Ärztin nach Herkunft und Fa- fe. Dem stimmte der Chef zu. Meine Frau nahm ihre milie befragt, und die Ärztin hatte mir eine Spritze Arbeit auf, war aber nach 2-3 Stunden täglich fertig. gegeben. Endlich ging es mir allmählich besser. Das Anschließend half sie den Frauen der Angestellten in Fieber senkte sich langsam, aber meine Beine und Haushalt und Garten. Dort bekam sie immer ein gu- mein Gesicht waren aufgedunsen, das heißt noch vol- tes Essen, so daß die von der Firma gegebene Ration ler Wasser. Sobald ich wieder fieberfrei war, wurde ich für unsere Kinder übrig blieb. Mein Sohn verdiente

366 Gärtnerei des Internierungslagers Indija 1948, von den Rumaer Mädel sind drauf: Österreicher, Käfer, Frank, Taffanek und Giener. (Foto Anni Österreicher) sich dann als Küchenjunge in einer Mensa ein paar mir, daß er Befehl bekommen hätte, daß wir in das Dinar. Die Tochter war immer bei meiner Frau und Lager Jarak müßten. Gleich am nächsten Tag packten half ihr bei ihrer Arbeit. Aber unsere Freude dauerte wir unsere Habseligkeiten zusammen und fuhren ins nicht lange. Der Chef rief mich ins Büro und sagte Lager. Das war im November 1947.

367 Erst einige Tage später sagte man uns, daß wir in die Kohlengruben nach Serbien sollten. Beim Aufstellen des ersten Transportes konnte ich mich morgens her- ausmogeln, indem ich zu einem Bauern arbeiten ging. Mit diesem ersten Transport, der Mitte Dezember abging, fuhren auch zwei Rumaer, Michael Wolf und Sohn, nach Serbien in die Kohlengruben. Alle mußten sich verpflichten, zwei Jahre in den Gruben zu arbeiten. Im Januar 1948 kam der Lagerkommandant in unsere Baracke und fragte nach dem Mann, der in der Zadruga gearbeitet hatte. Ich bekam die Geneh- migung, in die Zadruga zurückzukehren. Ich ging sofort nach Sremska Mitrovica und bekam die Er- laubnis, auch meine Familie mitzubringen. Zunächst Am Bahnhof, 15. Oktober 1944 bekamen wir noch keine Barzahlung. Erst als wir am 4. März von der Zentralstelle Novi Sad die Entlas- pfercht in Personenwaggons, 10 bis 12 Tage über Graz sungspapiere erhielten und uns verpflichteten, drei bis St. Michael, Kreis Leoben. Für Pflug Martin und Jahre bei der gleichen Firma zu arbeiten, bekamen wir mich war die Fahrt angenehmer, weil wir zeitweise im unsere Arbeit bezahlt. So waren wir nach 33 Monaten Güterwaggon beim Gepäck mitfahren und uns besser Lagerleben endlich freie Menschen. ausruhen konnten. Für uns Kinder war die Zeit bei Solange wir jetzt noch in Jugoslawien waren, wurden den Bauern in der Steiermark eine schöne Zeit - es wir von allen anerkannt und von niemandem diskri- gab Berge, Wälder und Tiere. Die Bevölkerung war miniert. Im März 1951, als unser Vertrag abgelaufen freundlich und hilfsbereit, nicht nur zu uns, sondern war, stellten wir einen Antrag auf Ausreise nach auch zu den gefangenen Männern und den fremdspra- Deutschland. Noch einmal dauerte es zwei Jahre, bis chigen Frauen, die bei den Bauern arbeiteten. es soweit war. Am 7. März 1953 verließen wir Jugos- Der Krieg ging dem Ende zu - die Russen kom- lawien und kamen nach Deutschland ins Allgäu, wo men, hieß es Anfang 1945. Ein Offizier stand die Eltern meiner Frau lebten. Dort gab es nicht viele inmitten von deutschen Soldaten, und ich hörte, Arbeitsmöglichkeiten, so daß wir 1955 nach Mann- bevor er mich wegschickte, noch:»Der Krieg ist aus. heim umzogen, das unsere zweite Heimat wurde. Die Russen kommen. Jeder soll sich über die Berge durchschlagen«. Was soll uns schon passieren? Wir 13.3.2 Martyrium eines 10 bis 12-jährigen haben nichts verbrochen! Es passierte auch in den Jungen ersten Tagen nichts. An einem Abend wurden wir - 10 bis 15 Personen Josef Wagner - von einem Russen beim Nachbarn in ein Zimmer gesperrt, ausgenommen ein junges Mädchen, das Tee Mit drei Trecks und mehreren Bahntransporten für ihn kochen mußte. Nicht die Großmutter, die wurden die Deutschen aus Ruma evakuiert. Mit dem serbokroartisch mit ihm sprach, durfte mitgehen, vorletzten Bahntransport haben wir Mitte Oktober sondern das Mädchen. Am nächsten Morgen sind 1944 Ruma verlassen. Ich habe meine Geburtsstadt die Frauen mit uns Kindern auf die Alm marschiert. seither nicht gesehen. Der Krieg war aus. Fremde bekamen keine Le- bensmittelkarten mehr. Die Fremden sollen das Transport in das Deutsche Reich Land verlassen. Wenige Tage vor unserem Abtransport wurde ein Wir gehen nach Hause! Es war Frühjahr und die Teil des Viehbestandes auf die Straße gelassen. Der Landwirtschaft mußte betreut werden. »Was soll uns Rest der Tiere wurde am letzten Tag im Hinterhof schon passieren, wir haben niemandem etwas getan!« und im Garten freigelassen, die Gartenzäune zu den Die Habseligkeiten wurden im Zug verstaut und ab Nachbarn aufgerissen, im Hof Futterberge aufge- ging es in Richtung Süden, in die alte Heimat. streut, und so wurde das Vieh seinem Schicksal über- lassen. Das Radio wurde im Hühnerstall versteckt Häscher der Roten Macht und das schöne Speiseservice im Regenwasserbassin Nach Graz kam der erste Partisan und suchte versenkt. In wenigen Tagen ist alles vorbei, dann nach Wertgegenständen. Der Transportzug wur- kommen wir zurück, dachten wir. Einiges für den de nach Subotica umgeleitet. In Subotica mußten täglichen Gebrauch haben wir in Kisten verpackt alle aussteigen, und nur mit kleinem Handgepäck mitgenommen. Polster und Federtuchenten wurden marschierten wir in eine Fabrik. Von unserem Rei- zusammengerollt, mit Mehl- und Zuckersäcken und segepäck haben wir nichts mehr gesehen. In einer mit den Kisten in Eisenbahnwaggons verladen. Die Fabrikhalle waren mehrstöckige Lagerstätten für uns. Fahrt ging Richtung Deutsches Reich, zusammenge- Wir schliefen dort auf Brettern.

368 Nach wenigen Tagen an einem Morgen hieß es: Alte Häusern wurden fallweise Messen gelesen. 15-jährige Leute, Frauen mit Kleinkindern links, Jugendliche Mädchen versuchten, ihr Glaubenswissen, Rechnen und Arbeitsfähige rechts aufstellen! Viele wurden da- und Schreiben an jüngere Kinder weiterzugeben mals von ihren Verwandten getrennt. Meine Cousine Beerdigungen - Verstorbene wurden vor das Haus Franziska Wagner und andere blieben dort zurück, gelegt und mit einem Pferdewagen eingesammelt. mit uns ging es ab nach Sekic. Das ganze Dorf dort Waren noch Verwandte da, so wurde der Tote in eine war ein Lager. Decke eingerollt und mit einem Schubkarren zum In offenen Eisenbahnwaggons wurden wir nach Friedhof gebracht. Am Friedhof waren große Gru- wenigen Wochen in das Vernichtungslager Gakovo ben, in diese wurden die Toten geschichtet, mit einer gebracht. Bevor wir wie Tiere in die Waggons ge- dünen Erdschicht bedeckt, Kalk darübergeschüttet trieben und verladen wurden, wurden den Männern und dann endgültig zugeschüttet und eingeebnet. und Frauen die Oberkleider vom Laib gerissen. Mein Am Höhepunkt der Vernichtungsaktionen starben Großvater stand in der Unterhose da. Gedemütigte 80 bis 100 Personen täglich. und rechtlose Sklaven waren wir. Es hieß nur, dort, wo Folter, Mord und Selbstmord - Eine leere, leder- wir hingebracht werden, brauchen wir nichts mehr. ne Pistolentasche wude im Nebenhaus von einem Für sehr, sehr viele war dies der Fall. Gakovo, ein Partisanen gefunden. Die ehemalige Hausbesitzerin kleines Dorf bei Sombor an der ungarischen Grenze, wurde gequält, ihre Schreie hörte man viele Häuser war das Vernichtungslager für tausende Deutsche, für weiter. Eine Frau wurde in der Nähe der Kirche er- tausende die Endstation ihres Lebens. schossen. Hatte sie die Kirche zu langsam verlassen? Sie sind verhungert, an Epidemien erkrankt und Der Brunnen im Haus wurde ausgeschöpft. Ein Toter verstorben. Sie sind nicht vergast bzw. erschossen wurde hochgezogen. In der Nacht war er hineinge- worden. Dort verstarben auch meine Großeltern und sprungen. viele Rumaer. Zusätzliche Ernährung - Vögel wurden mittels Fal- len gefangen und verspeist. Ein Zimmermitbewohner Vernichtungslager Gakovo hatte eine der wenigen noch herumstreunenden Kat- zen geschlachtet und gegessen. Der Hunger der Kin- Unterkunft - In den ausgeräumten Zimmern der der trieb so manche Mutter bei Nacht aus dem Lager, Häuser hielten wir uns auf, rundherum war Stroh um in der Umgebung von den freien, ungarischen aufgelegt und dort schliefen wir einer neben dem an- Bauern ein Stück Brot oder sonst etwas Eßbares zu deren, wie Fische in einer Sardinenbüchse. Ein Teil erbetteln. Wurde sie erwischt, kam sie für mehrere der Bewohner hatte eine Decke auf dem Stroh liegen, Tage ins Gefangenenhaus; bei einer wohlwollenden ein Teil hatte eine zweite zum Zudecken. Bewachung gab es Trinkwasser, oder sie wurden in ein Essen - Ungefähr jedes zehnte Haus war ein Aus- Speisehaus gebracht, dort gab es Schrotsuppe. speisungshaus. Dort waren Kupferkessel in einer Nächtlicher Partisanenbesuch - Bei diesen »deut- Reihe aufgestellt. Maisschrot wurde geröstet und schen Schweinen« gab es noch immer etwas Brauch- mit Wasser aufgekocht - Schrotsuppe ohne Salz - bares zu holen. Mitten in der Nacht fanden Zimmer- und einmal oder zweimal ausgeteilt. durchsuchungen statt. Die Eheringe, Ohrringe usw. Sanitäre Einrichtungen - Im Hinterhof war eine waren ja in einem Stück Stofftuch verknotet unter längere Grube. Ein Holzbalken lag in Längsrichtung dem Strohlager zu finden. auf einer Höhe von 40 cm und dort konnten sich Persönliche Familienschicksale - Meine Großmut- mehrere Personen gleichzeitig daraufsetzen. Zum Wa- ter ist an den Folgen eines Durchfalls gestorben. schen und Reinigen der Wäsche gab es nichts. Es gab Großvater mußte bei klirrender Kälte, kaum beklei- keine Möglichkeit, sich vor Läusen zu schützen. det auf dem Feld arbeiten, dabei sind seine Finger Kinderstraßen - Wir Kinder wurden den Müttern und Zehen erfroren. In der Folge wurden sie ganz weggenommen und in eigenen Häusern zusammeng- blau; nach wenigen Tagen ist er daran gestorben. Sie elegt. Eine einzige Frau war für 40 bis 50 Kinder ver- liegen beide in Massengräbern. Ich lebte mit meiner antwortlich. Cousine in einem Kinderhaus. Eine weitere Cousine Waisenhäuser - Die Waisen wurden in eigenen Häu- und meine Schwester betreuten als 14-jährige jüngere sern zusammengefaßt und von weiblichen Partisanen Kinder. Weiters war ich »Gassenposten« bei Haus- »umerzogen«. Diese Kindergruppen zogen durch die gottesdiensten. Straßen und mußten serbische Lieder singen. Der Lagerkaplan in seinen Tagebuchaufzeichnugen: Ärztliche Betreuung - An Typhus und an Tuber- »Während die Kleinen halblaut ihre Gebete verrich- kulose Erkrankte wurden in eigenen Häusern zu- teten, hielt unser kleiner, 11-jähriger Seppi Wagner sammengelegt. Andere Kranke lebten, schliefen und aus Ruma als Ostiarius-Torhüter im Hof Wache, da- starben neben den Zimmergenossen in den Häusern. mit niemand ungerufen und unerwünscht eintrete.« Erfrierungen an Händen und Füßen und Durchfall Mein Vater diente beim Bahnschutz. Seine Familie waren häufige Todesursachen. suchend, ist er nach dem Krieg durch mehrere Kon- Seelsorgerische Betreuung - Zwei katholische Pries- zentrationslager gekommen. Nach einer 1 1⁄2 jährigen ter hielten in der Kirche Gottesdienst. Auch in den Odyssee hat er uns in Österreich gefunden.

369 Flucht aus dem Vernichtungslager - Ungefähr zehn wehren auf. Trotzdem sahen sie die Aussichtslosigkeit Personen bildeten eine Fluchtgruppe. Die Bewacher ein, bei Nacht im Wald 80 Personen nach Ungarn gingen in kurzen Abständen rund um das Dorfla- zurückzuschicken. Sie meinten, wir wären in Öster- ger. Es mußte der richtige Augenblick abgewartet reich unerwünscht, wären nur Schmarotzer und so werden, um den Patrouillenweg passieren zu kön- fort. Wir sollten dort hingehen, wo wir geboren und nen. Wir hatten Glück und konnten nach einigem hergekommen sind. Herumirren in einem Maisfeld den Tag abwarten. Tiefe Betroffenheit überfiel uns. Österreich, Graz Vor Schreck erstarrten wir, als wir sahen, daß am und Wien, die Ausbildungsstätten der geistigen Elite anderen Ende des Feldes abgeerntet wurde. Die der Rumaer, der Südostdeutschen, wollten uns nicht. Herbstsonne brannte auf uns herunter, wir hatten »Was haben wir verbrochen, wer will uns?« Wir waren nichts zu trinken. Qualvolle Stunden waren es, bis heimatlos und schutzlos. es Abend wurde und die Arbeiter heimgingen. Sie Wir marschierten weiter nach Fürstenfeld in die hatten sich auf Rufnähe vorgearbeitet. Am Abend Steiermark, wurden in das Auffanglager Spielfeld an mußten wir über die Grenze. Vor der Grenze war der jugoslawischen Grenze überstellt. Dort wurden ein großer Baum, an dem mußten wir vorbei. Rechts wir registriert und nach wenigen Tagen in das Lager neben dem Baum war noch Jugoslawien, links vorbei nach Eisenerz gebracht. Unmittelbar nach dem Krieg ging es weiter nach Ungarn. Nach der Grenze war ein war dies noch die russische Zone, zu dieser Zeit war es kleiner Bach, wenn er überschritten war, war man in bereits englische Besatzungszone. Von der Steiermark Ungarn. Vor Morgenanbruch waren wir am Bachbett, sind wir nach wenigen Wochen auf abenteuerlichen wir waren in Ungarn, wir waren frei. Wegen in der amerikanischen Zone in Oberöster- Zu Fuß durch Ungarn - Ein ungarisch sprechender reich bei unseren Verwandten eingetroffen. Bei Enns Bursche war in unserer Fluchtgruppe. Er begleitet uns mußten wir die russische Zonengrenze passieren. Bei ein Stück Richtung Österreich. Wir marschierten zu unseren Verwandten gab es genug zu essen. Sich mit Fuß auf der Landstraße dahin. Nach wenigen Stun- Milch und Kartoffeln richtig satt essen zu können den wurden wir von der Polizeistreife festgenommen. und im Winter nicht frieren zu müssen, das waren Wegen illegalen Grenzübertritts wurden wir vor ein unbeschreibliche Wohltaten. Man konnte sich auf ordentliches Gericht gestellt. Der Richter mit Talar, der Straße frei bewegen, am Sonntag ungestört ohne am Pult ein Kreuz mit zwei Kerzen - wir stehen im Angst und Furcht den Gottesdienst mitfeiern und mit Halbkreis vor ihm - verurteilte uns zu zehn Tagen Dank das Erlebte vorbeiziehen lassen. Haft. Ich wurde bei den männlichen Häftlingen un- Mit Ehrfurcht und Respekt gedenke ich der tergebracht. Nach unseren schrecklichen Erlebnissen Leistungen meiner Vorfahren. Ich danke ihnen für war der Aufenthalt im Gefängnis wie im Sanatorium. alles Schöne und Gute, das ich als Kind in meinem Es gab Betten und es gab Essen. Der tägliche Rund- Geburtsort Ruma erleben durfte, und ich werde es gang im Hof, der Morgen- und Abendbesuch mit immer dankbar in Erinnerung behalten. Abzählung durch die Bewacher oder der Besuch in der Werkstätte waren für mich keine Belastung. Ruma, du schöne Stadt, Nach Verbüßen der Haftstrafe bekamen wir eine die nicht viel gleiche hat, Bestätigung, daß wir durch Ungarn reisen dürfen. dich vergess’ ich wahrlich nicht, Nach der Entlassung gingen wir bettelnd zu Fuß von kleines Paradies! einem Ort zum anderen Richtung Österreich. Die ersten Tage wurde meine behinderte Cousine Band V: Das Schicksal der Deutschen aus Jugoslawien von uns abwechselnd auf dem Rücken getragen, bis - Seite 456 uns ein Ungarndeutscher einen alten Kinderwagen *Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien, schenkte. In Ungarn mußten wir nicht mehr Hunger Herausgegeben vom Bundesministerium für leiden. Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte Ein übereifriger Landpolizist sperrte uns ein Wo- (Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus chenende trotz unserer Bestätigung ein. Das war ein Ost-Mitteleuropa; Bd.V.) Düsseldorf 1961 längeres Wochenende, an dem wir überhaupt nichts zu essen bekamen - es waren die letzten bitteren 13.4 Schicksalstage Oktober 1944 Hungertage für uns. Bis zur österreich-ungarischen Grenze waren es nur mehr wenige Tagesmärsche. Stefan Günther, Rauchfangkehrermeister Ruma Am Grenzschlagbaum waren mehrere Gruppen, die nach Österreich wollten. Unmittelbar an der ös- Nacherzählt mit eingefügten Kilometern der Marsch- terreichischen Grenze begann die russische, wenige route; mit Genehmigung von Ernst Günther wird das Kilometer weiter die englische Bezatzungszone. Tagebuch veröffentlicht. Österreichische Grenzpatrouille: »Ihr Schmarotzer« Von Tag zu Tag bis spät in die Nacht zogen die Bei Nacht und Nebel marschierten wir mit einer endlosen Kolonnen mit vollbeladenen Wagen durch Gruppe von 60 bis 80 Personen los. Mitten im Wald unsere Stadt. Wir hatten alle Hände voll zu tun und tauchten zwei Männer einer Grenzpatroulle mit Ge- hatten keine Zeit, um uns mit eigenen Dingen zu

370 beschäftigen. Die Frauenschaft kochte für die durch- re Bombeneinschläge. Die Nachricht drang durch, reisenden Frauen, Kinder und Männer. Es war, als daß der Bahnhof in Vinkovci bombardiert wurde und ob wir bleiben und die anderen gehen mußten. Für es verbreitete sich eine große Unruhe unter unseren uns Männer von der Heimatwacht war es eine große Leuten. Am Morgen kam die Meldung: Der große Belastung. Am Tage bei der Arbeit und in der Nacht Transportzug mit unseren Rumaern stand vor Vin- auf der Wacht. Trotz dieser großen Strapazen klappte kovci und ist heil davongekommen. die Organisation vollkommen. 18. Oktober in Tovarnik (30 km) übernachtet. Den Am 16. Oktober kamen die schweren Tage über uns. Weg zu Fuß und auf den Wagen zurückgelegt. Die Stimmung wurde immer trauriger und um das 19. Oktober in Dalj (44 km) übernachtet. Herz wurde es schwerer. So erlebten wir die letzten Vom 20. bis 23. Oktober in Josipovac (32 km). Hier Tage in Ruma. wurde eine Rast eingelegt. Scheinbar sollten wir ei- Meine Frau war schon seit längerer Zeit von einem nen Fuhrdienst übernehmen. Ich habe den Ernst im schweren Leiden befallen und daher war daheim alles Lazarett in Essegg gefunden. Er sagte mir, daß das öd und leer. Da kam die Anordnung, daß am Bahn- Lazarett in das Reich verlegt wird. hof der Transportzug für die Evakuierung bereitsteht. 24. Oktober in Valpovo (16 km) übernachtet. Nun ging alles Hals über Kopf, und meine paar Hab- 25. Oktober bis Dolnji Miholjac (25 km) an die seligkeiten sollten mit meiner kranken Frau an den Fähre. Nach langem Warten wurden über die Drau Bahnhof gebracht werden. Ich hatte Dienst, und so nach Ungarn verfrachtet. Als alles übergesetzt war, besorgte mein Schwager Masthof diese schwierige setzte sich die Kolonne in Bewegung bis nach Matty Pflicht. Niemand hat an diesem Tage von dem ge- (12 km). Dort trafen wir am Abend ein und wurden kochten Essen etwas angerührt, denn alle im Hause einquartiert. Am nächsten Tag traf ich meinen Freund hatten kein Hungergefühl. Von meiner Frau konnte und Schulkameraden Franz Frank und Josef Schnei- ich mich nicht verabschieden, denn der Zug fuhr in der aus . In diesem Ort hatten wir eine der Nacht um ein Uhr ab. Wohin die Reise ging, sehr gute Unterkunft und durften in Betten schlafen. wußte ich nicht. Die Bewirtung war rührend und der Hauswirt hatte Am 17. Oktober kam der Treckbefehl. Um 9 Uhr mit uns ein großes Mitgefühl. Unser Gastgeber, ein sollten alle Wagen abfahrbereit sein. Der Befehl Ungar, sagte: »Bald wird uns das gleiche Schicksal wird kurz darauf zurückgezogen. Nach kurzer Zeit treffen! Wohin sollen wir hinflüchten?« wurde der zweite Befehl durchgegeben: Um 11 Uhr 30. Oktober haben wir einen langen Marsch, in Selly Aufstellung in den Straßen! Es war die zweite Hei- (46 km) übernachtet. matwachtkompanie unter Führung von Dr. Wagner. 1. November - Allerheiligen - mußten wir Nagy- Die Abfahrt wurde eingeteilt, zuerst die Südseite bis bajom (56 km) erreichen. Die Pferde und wir waren zur Hauptstraße und danach kam die Nordseite dran. sehr müde. Übernachtung unter freiem Himmel. Ein großes Durcheinander, bis sich alle Wagen in die 2. November in Nagykanizsa (51 km) eingetroffen Kolonne eingeordnet hatten. Nun rollte die endlose und übernachtet. Kolonne in Richtung Mitrowitz. 3. November in Taborhely (54 km) ein Lagerplatz Ein schöner klarer Tag, und die goldene Herbst- bei Zalaegerszeg. Bis zu diesem Platz wurden lange sonne zeigte: Die Weingärten waren beleuchtet in Strecken bewältigt, um den Verkehr auf den Straßen ihrer vollen Pracht und der goldgelbe Mais stand reif nicht ins Stocken zu bringen. zum Brechen da. 4. November wurde Ikevar (45 km ) erreicht und Ich war der Transportbegleitung zugeteilt und übernachtet. schritt neben den fahrenden Wagen her. Auf einmal 5. November ging es bis Alsopaty (20 km). An mußte ich stehen bleiben und machte noch einen Blick diesem Tage hat es so stark geregnet. Ich war naß zurück zu meinem Heimatort. Ich dachte: Jetzt zieh bis auf die Haut und habe stark gefroren. Eine gute ich betrübt und traurig von dir fort. Es geht an einen Frau hatte Mitleid mit uns. Wir konnten die Kleidung unbestimmten Ort. Dabei erinnerte ich mich an mein trocknen und bekamen ein Bett zum Schlafen. Es war Kind und meine Augen schweiften über die breiten die letzte Nacht, in der ich in einem Bett schlief. ebenen Flächen unserer syrmischen Heimat. Ich fragte 6. November. Die deutsche Grenze überschritten mich: Muß das sein und was wird nun kommen? und haben in Großhöflein (42 km) übernachtet. Ein Durch einen Anruf erschrocken, versuchte ich mit kalter und unfreundlicher Empfang im Reich. Alles raschen Schritten meinen verlassenen Platz wieder ging nach Kommando und Marschbefehl. einzunehmen. Die Kolonne rollte weiter und bei der 7. November. Die nächste Verpflegungsstelle war Durchfahrt in Voganj waren die Leute auf der Straße Leobersdorf (31 km). Eine gute und warme Unter- gestanden und sahen uns nach. Mein Schwager Weit- kunft in einem Elektrizitätswerk. mann nickte mir zum Abschied zu und rief: »In zwei 8. November. In Kaumberg (24 km) gelandet und Tagen werden wir auch folgen!« übernachtet. Am Abend sind wir in Mitrowitz (16 km) ange- 9. November. In St. Pölten (41 km) eingetroffen. kommen und ich habe neben einer Strohtriste mein Ein Freilager für den gesamten Treck. Auf dem Platz Nachtlager gefunden. In der Nacht hörten wir schwe- war Dreck bis zu den Knöcheln. In diesem Dreck

371 Treck mußte Quartier bezogen werden. Als wir im Reich ankamen, war es kalt. Regen, 10. November. In Melk (26 km) übernachtet. Schnee und Wind begrüßten uns. Auf dem Marsch 11. November. Wir erreichten Amstetten (39 km). konnten wir in mancher Nacht vor Kälte nicht schla- Auf dem Beton im Gang geschlafen. fen. Wir mußten auf den Wagen, in den Ställen, auf den (Seit der Grenze geht es von einer Verpflegungs- Heuböden oder im Freilager übernachten. Bei Nacht stelle zur anderen. Für jeden Tagesmarsch gibt es und Nebel wurden 1000 km zurückgelegt und Tiere einen Marschbefehl.) sowie Menschen waren vollkommen erschöpft. 12. November wird Enns (30 km) erreicht. In den Im Lager begann die Suche nach der Familie. Es Gräben der alten Festung wird auf den Wagen über- wurde kreuz und quer durch das Reich gefahren, nachtet. Von hier wurde die Kolonne aufgeteilt und d. h. der einen Anhaltspunkt hatte. Ich lag einige eingewiesen. Wochen im Lager ohne eine Nachricht. Eines Tages 14. November. In Wels (41 km) nach einer längeren erhielt ich von der Krämer Emma eine Postkarte, auf Fahrt angekommen und übernachtet. der sie mir mitteilte, daß meine Frau in Schafling in 15. November. Haag am Hausruck erreicht und in der Steiermark im Lager ist. Mit einem Aufnahme- das Nachtlager eingewiesen schein für meine Frau und Frau Gumpel fuhr ich am 16. November. Über den Hausruck nach Ried im 1. Dezember 1944 nach Schafling, um beide nach Innkreis (14 km) angekommen. Arolzmünster zu holen. Von Ried im Innkreis erfolgte von diesem Teil Die zweite Enttäuschung in diesen Schicksalstagen. unserer Kolonne die Aufteilung. Ich kam nach Au- Meine Frau wollte nicht mit mir gehen, sondern be- rolzmünster in das Flüchtlingslager; eine gewesene stand darauf, bis zu ihrer Genesung dort zu bleiben. Schule. Ich hatte Verständnis dafür und mußte unverrichteter Wenn ich zurückblicke auf unseren langen Marsch, Dinge alleine zurückkehren. Alles vergeben und ver- so war der Weg mit der Kolonne sehr schwer und gessen! gefährlich. Die ganze Transportbegleitung und die Im Lager Arolzmünster angekommen, erhielt ich Wagenführer hatten zum Schutze 2 MG und 20 Ge- eine Nachricht von Fany. Ich wurde vom Arbeitsamt wehre mit 6 Kisten Munition. Wenn man vergleicht, erfaßt und gleich als Rauchfangkehrer zur Arbeit daß wir ungefähr 250 Wagen hatten, so war dieser eingeteilt. Von meinem Meister wurde mir ein Bur- Schutz eine Selbsttäuschung. schenzimmer und ein Waschraum zugeteilt, in dem es feucht und kalt wie in einer Eisgrube war. Ich mußte bei Tag, sowie auch bei Nacht über Land bleiben,

372 Trotz unserer landwirtschaftlichen Lage wurde die allgemeine Situation von Tag zu Tag bedrohlicher. Die Russen waren im Anmarsch und standen vor der Tür. Die Umgebung mußte schwere Bombardierun- gen über sich ergehen lassen. Es brachen neue Sorgen und Nöte über uns herein. Vom Ernst hatte ich keine Nachricht. Die Feldpost kam zurück mit dem Ver- merk: »Die neue Feldpostnummer abwarten!« Auf diese Feldpostnummer wartete ich vergeblich, sowie auch auf den Ernst. Nach Ruma können wir nicht mehr zurück! Der Abschluß: Hier habe ich mein Nest aufgebaut. Alles weitere ist euch bekannt. Für meine Kinder und Enkelkinder zum Gedenken. Euer Vater. Veröffentlicht: Rumaer Gucksloch Nr. 3,1981 Seite 19 - 22

13.5 Katharina Geislinger

Katharina Geislinger erklärt:

Im November 1944 kam ich mit den übrigen Deut- schen aus ins Lager Hrvatski dom in Ruma. Dort befanden sich drei große Räume. Wir hatten schon erfahren, daß diejenigen Deutschen, die in den Raum eins eingeliefert wurden, erschossen werden. Ich befand mich bereits in diesem Saal, wo ein mir bekannter kroatischer Partisan mit einem Russen sprach. Dieser fragte mich, ob ich nicht wüßte, was mir bevorsteht. Als ich dies bejahte und sagte, ich könnte wohl nichts hiergegen machen, sagte der Treckwagen, Einweisung Gasthaus Kemmetmüller, Russe zu den Partisanen: »Dieses Mädchen wird Windischgarten. nicht erschossen!« Auf diese Weise gelangte ich in den Raum zwei. und ich mußte oftmals im Kuhstall schlafen. Nichts Dort wurde ich verhört. Man machte mir den zu Essen und die große Kälte mit dem vielen Schnee Vorwurf, daß mein Vater Hilfspolizist war. Als ich machten mich kaputt. den Raum verließ, sah ich splitternackte Männer und Ich wurde krank - ja, gemütskrank - und es packte Frauen durcheinander auf dem Boden liegen. Par- mich das Heimweh! Vom Ernst hatte ich keine Nach- tisanen trampelten auf ihnen herum und schlugen richt. Es plagte mich eine Unruhe und ich verließ wild auf sie ein. Erst nachdem sich die Partisanen meinen Arbeitsplatz. Mit meinen seelischen und kör- müde geschlagen hatten, durften die Mißhandelten perlichen Kräften war ich am Ende und das Alleinsein aufstehen. Letztere wurden nackt auf die Straße hatte ich satt. Ich raffte mich zusammen und ging geworfen. Dieser Vorfall, von dem ca. 200 Perso- zu meinen Eltern. Bei ihnen fand ich Trost und Zer- nen betroffen waren, spielte sich in der Nacht ab. streuung, sowie die gesuchte menschliche Ansprache. Nach kurzer Zeit forderte man die Unglücklichen In kurzer Zeit erholte ich mich gut. Zu einer neuen auf aufzustehen, was ihnen infolge der erlittenen Arbeit in meinem Fach ließ ich mich vom Arbeitsamt Mißhandlungen unmöglich war. Sie wurden, noch nicht vermitteln. Da traf ich die Entscheidung, nach immer nackt, auf einen Wagen geladen und zur Zie- Fretzing zu fahren. Dort war Ignatz Peller und seine gelei (Iriski Breg) gebracht. Dort wurden sie lebendig Frau, meine Cousine Mitzi. Wegen der verschneiten und tot eingescharrt. Straßen blieb ich ein paar Tage. Ignatz mußte zum Bis zum 18 Dezember 1944 wurde ich im Hrvat- Volkssturm, ebenso holten sie den Josef und den ski dom festgehalten. Bis zu diesemTage sind wir auf Sepp. Ich blieb von der Einberufung verschont. ganze 16 Deutsche aus den Gemeinden Hrtkovci, Nach meiner Rückkehr nach Großbisen zu meinen Klenak und Ruma zusammengeschrumpft. Wir wur- Eltern vermehrte sich unser Hausstand. Eines Tages den in die Seidenfabik (Svilara) in Sremska Mittro- kam Paula, Willis Frau, mit dem Kindern zu uns und wica überführt, wo wir sämtlicher noch verbliebenen etwas später traf auch Willi noch ein. Der Ort, in Habseligkeiten beraubt wurden. dem wir wohnten, war ein kleines Nest mit ganzen Leidensweg der Deutschen im komunistischen drei Bauernhöfen und einigen Häusern, in denen Jugoslawien, Band II, München - Sindelfingen 1993, Bergarbeiter wohnten. Seite 732.

373 13.5.1 Ein Volk ausgelöscht Nach dem Einzug der Partisanen wurden nicht nur sie, sondern auch die in den umliegenden Dörfern Leopold Rohrbacher zurückgebliebenen Deutschen verhaftet und in das »Kroatische Heim« (Hrvatski dom) gebracht, Män- In Ruma lebten vor dem Kriege über 10.000 Deut- ner, Frauen und Kinder. Hier ereigneten sich im sche. Die Gemeinde, die eine der schönsten Orte November 1944 entsetzliche Dinge, zu hunderten Syrmiens war, bildete das Zentrum der deutschen mußten sich nachts die Menschen nackt ausziehen Siedlungen in Syrmien. Kaum hatten die Partisanen und wurden dann bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen am 27. Oktober 1944 die Militärverwaltung einge- und gefoltert. Die Überlebenden jagte man nackt auf führt, als sie schon damit begannen, die Deutschen die Straße und brachte sie mit den Ermordeten zum des Ortes und der ganzen Umgebung zusammenz- Ziegelofen »Rausch«, wo sie unter unvorstellbar grau- ufangen und zu liquidieren. Aus , , samen Umständen nacheinander erschossen wurden. Kraljevci, Hrtkovci, , und von vielen Nach Rohrbacher sollen hier gegen 2800 Deutsche anderen Orten schleppten sie die Deutschen zu- verscharrt worden sein, Linzner beziffert die Opfer sammen, und zwar nicht nur die Männer, sondern mit »über 1000« Ing. Herzog schätzt, daß darunter auch die Frauen und Kinder. Sie wurden alle zuerst in »mehr als 1000 Deutsche aus Ruma« waren. dem »Hrvatski dom« eingesperrt. Dann mußten sie Nach dem neuesten Forschungsergebnis wird die sich nackt ausziehen, die Kleider zurücklassen und Schätzung von Ing. Herzog bestätigt, in Ruma sind hinaus an den Ziegelofen »Rausch« marschieren. Sie 1.047 Deutsche zurückgeblieben. wurden dort in die riesige Grube der Ziegelei, aus Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien, Ortsberichte der schon jahrelang der Grund zur Mauersteinerz- 1944-1948 eugung gegraben wurde, getrieben und so wie sie in Donauschwäbische Kulturstiftung, München 1991, Gruppen ankamen, erschossen. Auf die Leiber der Seite 713 und 714 Massakrierten mußten sich andere nackte Opfer le- gen. Wer sich nicht sogleich darauflegte, wurde mit 13.6 Kriegsgefangener - namenlos - wehrlos! Bajonetten gestochen. Viele wurden nur verwundet und in die Grube geworfen. Sie lebten noch, schrien Paul Lindmayer, geb. 11. 9. 1912, Sanitäter bei der und jammerten und gingen schließlich unter der Last Feldpost-Nr. 47199, berichtet in seinem Tagebuch. der übrigen, über ihnen sich häufenden nackten to- Auszüge ten Menschenleiber zugrunde. Gegen 2800 Deutsche Mai 1945 - In Celje gefangen. Erkennungsmarke haben hier an einem einzigen Tag den Tod gefunden. warf ich in die Latrine und das Soldbuch zerrissen Viele Deutsche wurden auch außerhalb Rumas ein- im Mund zerkaut. zeln erschossen, totgeschlagen oder erstochen. Lager bei Krainburg - Alles antreten! Je 10 Mann Leopold Rohrbacher - Selbstverlag - Salzburg 1949, heraustreten! - Sie wurden in einer Schlucht er- Seite 193 schossen. Das Exekutionskommando kam zurück, und wieder mußten einige Rotten heraustreten. Ich war dabei. 13.5.2 Ing. Franz Herzog Wir marschierten zur Schlucht. Ich wollte beten, aber konnte nicht. Meine Gedanken waren bei meinem Bei solchen Begleitumständen hatten Bemühungen Weib und den Kindern. Es flimmerte vor den Augen der Deutschen zugunsten ihrer serbischen Mitbürger . . . nur nicht in die Grube fallen! nicht immer Erfolg, aber im allgemeinen wird kaum Es kommen Zivilisten auf die Posten zu und reden zu bestreiten sein, daß in manchen Fällen Schlim- mit ihnen. Wir müssen umdrehen und werden in das meres für die serbische Bevölkerung verhütet werden Lager zurückgeführt. Wir sind vom Tode befreit! konnte. »Tatsache ist...«, schreibt Ing. Franz Herzog, Weihnachten 1945 - Gefangen sein, heißt, wehrlos »daß die deutsche Bevölkerung Rumas an den Un- und namenlos sein! Ich trage auf meinem Rücken die taten, die in Ruma im Zuge der von den Ustascha Nr. 121/436 im Straflager in Sisak. geschürten Haßexzesse verübt wurden, keinen Anteil Weihnachten 1946 - Straflager Bjelovar. Eine Be- hatten, daß sie vielmehr mit Scham darüber erfüllt schwerde war eingereicht. war und - soweit es bei damaligen Verhältnissen über- Der Kommissar ließ uns antreten. In seiner Rede haupt möglich war - dagegen Protest erhob und diese stellte er fest, daß wir Soldaten ohne Waffen sind. Die Untaten offen und eindeutig verurteilt hatte.« Nach Partisanen dürfen uns nicht schlagen; das ist streng der Evakuierung des Ortes durch den größten Teil verboten. der deutschen Bevölkerung, blieb eine beträchtliche Weihnachten 1947 - Straflager in Titograd. Im Anzahl Deutscher in Ruma zurück, meistens Alte, Arbeitskommando beim Aufbau, im Steinbruch Les- »Unpolitische Menschen, die unserer Aufforderung kopolje und beim Brückenbau an der Moraca. Nach zur Evakuierung keine Folge leisteten, weil sie (glaub- drei Jahren bekomme ich erstmals Bezahlung für ten), nichts zu fürchten (zu haben) und sich daher meine Arbeit. von der Heimat nicht trennen konnten«. September 1948 - Sonntags gehe ich mit Juri Weger

374 nach Danilovgrad zu bekannten Landsleuten. Zwi- chen Anton Djurkowitsch. Sein Sohn Franz liegt auch schen Titograd und Danilovgrad ist ein Kinderhort in der Grube. Am Abend gehen wir in die Promenade für volksdeutsche Kinder aus dem Banat. Ihre El- und schlafen auf den Sitzbänken. Nach einer Woche tern sind umgekommen oder nach Rußland ver- verlasse ich für immer meinen Geburtsort Ruma und schleppt. Die Kinder können nicht mehr Deutsch fahre zurück nach Beograd. sprechen. 10. November 1948 - Es gibt keine Verpflegung ohne 14. September 1948 - Die kriegsgefangenen Volks- Verpflichtung auf zwei Jahre Arbeit. deutschen werden zum Stab abkommandiert. Es wird 15. November 1948 - Wir verpflichten uns nach mitgeteilt: Wir werden entlassen, wenn wir uns für Knezevo an der ungarischen Grenze. Die nahe Gren- zwei Jahre - unter guten Bedingungen - zur Arbeit ze stärkt unsere Absicht, bei Gelegenheit stiften zu in Jugoslawien verpflichten. Georg Schoblocher sagt: gehen. In Knezevo ist ein Arbeitslager für Volks- «Wir sind vor vier Jahren als Verräter im Vaterland deutsche; darunter sind auch Rumaer: Paul Wagner, erklärt worden. Es sind dieselben Herren der Macht.” Anton Wagner, Juli Zitta und Theresia Lindmayer, Der Kommissar unterbricht ihn und gibt ihm eine meine Tante. Von ihnen erfahren wir, daß sie bereits Ohrfeige. Wegtreten! an der österreichischen Grenze waren und abgewiesen Lager Lenino brdo - Wie kamen alle in das Lager. wurden. Die volksdeutschen Flüchtlinge sind uner- Josef Peller fuhr zum Schweizer Konsulat und bat um wünscht. Der Innenminister Helmer betrachtet uns Vermittlung, daß wir zu unseren Familien entlassen als Ausländer. werden. Zur Arbeit werden 30 Mann aus Ruma nach Po- Im Lager waren schon einige hundert Volksdeut- povac zugeteilt. Wir wohnen in einem Haus mit drei sche, davon ca. 40 Landsleute aus Ruma: Lindmayer Zimmern und arbeiten in den Weinbergen. Peter, Weger Georg, Weger Josef, Weger Franz, Linz- 20. November 1948 Um 24 Uhr sind Franz Weger, ner Josef, Jankowitsch Adam, Frank Stefan, Frank Michel Oder und ich an der Grenze. Weger geht Matthias, Kaufmann Franz, Kaufmann Georg, Kauf- zurück. Wir überschreiten um 1 Uhr die Grenze bei mann Josef, Bonigut Josef, Hodina Josef, Hoffmann Mohac. Bis Fünfkirchen geht es zu Fuß. Die Ungarn Josef, Hoffmann, Hermann Peter, Habenschuß Mar- schnappen uns und stecken uns in Arrest. Nun wer- tin, Habenschuß Anton, Hanga Josef, Oder Michael, den wir verhört. Oder Anton, Krewedl Josef, Klein Josef, Dilmetz 1. Dezember 1948 - Wir werden nach Budapest Franz, Domenik Josef, Molnar Paul, Moser Anton, schupiert. Zentner Michael, Schmitt Paul, Schoblicher Georg, Heiliger Abend 1948 - Ein Pfarrer kommt in un- Wolf Martin, See Johann, Peller Josef, Dorn Adam, seren Bau. In der Christmette predigt er über unser Koch Georg, Kuppek Josef, Hummel Adam, Haben- Schicksal. Danach bekommt jeder eine Schale Honig, schuß Georg, Fischer Stefan, Greber Josef. ein Päckchen Keks und eine Schale Tee. Ich arbeite als Zivilist in Neubeograd und fahre 28. Dezember 1948 - Ein Transport mit 80 Personen nach Ruma. geht nach Sopron ab. Danach einige Kilometer im Allerheiligen 1948 - Ruma die Heimatgemeinde, wo Schnee, und wir waren in Nikolsdorf in Österreich. ich meine Kindheit und Jugendzeit verbracht habe! 29. Dezember 1948 - Wir haben in Stallungen bei Ich gehe auf den Friedhof mit Blumen und Kerze an Bauern übernachtet. Zeitig in der Früh ging der Zug meiner Großeltern Grab. Sie ruhen neben den Ahnen. nach Wien. Von der Volksdeutschen Vermittlung Da sind sie daheim. Die Kapelle und der Friedhof sind bekamen wir Papiere zur Weiterfahrt zu unseren einsam und öde - verlassen. Familien. In St. Valentin mußten wir über die Zo- Mein Weg führt mich zum Bencic Franz, meinem nengrenze. Bei Steyr haben wir sie bei Nacht über- Vetter. Er ist überrascht und fragt mich: «Paul wo schritten. kommst du her? - Mein Sohn Karl ist bei allen.«- Mein 31. Dezember 1948 - Freitag 9 Uhr bin ich am Jugendfreund ist tot! Hauptbahnhof in Linz angekommen. Leider war Ich gehe zu Serben und Kroaten: zu Bodor, Matesic, der Zug nach Ansfelden abgefahren. Mit der Tram- Lonkar und Jopic und werde gut aufgenommen. Sie way fuhr ich nach Ebelsberg und nach einer Stunde erzählen, wie die Partisanen grausam gehaust haben. Fußmarsch erreichte ich Ansfelden. Es geschah nach der Besetzung von Ruma am 27. Silvester 1948 - Beim Mosbauern im Grabenwinkel Oktober 1944 durch die Partisanen: Prälat Lakajnar fand ich mein Weib und meine Kinder. wurde an einen Roßwagen gebunden und zu Tode 1949 - Ich bin als Knecht beim Mosbauer, und mein geschleift. Im «Hrvatski dom« wurden die Deutschen Weib ist die Kuhmagd. Wir verdienen 340 Schilling mit Hacken niedergeschlagen, bis sie verbluteten, und im Monat. danach in der Erdgrube verschüttet. Mein Jugend- freund Josef Jambrez ist mit einer Gruppe vor der 13.7 Totengräber in der »Svilara« Srem. Grube erschossen worden. Er jammerte um Hilfe. Mitrovica Damjan Stolic konnte nicht mehr zuhören und erlöste ihn mit einem Genickschuß. In Ruma treffe ich Sepp Ich kam mit meinen Eltern, meinen beiden Schwes- Joos. Wir gehen tagsüber durch die Gassen und besu- tern und meiner Großmutter aus Ruma um den 20.

375 Dezember 1945 in das berüchtigte Lager »Svilara« der Westseite) und den ersten und zweiten Stock mit nach Sremska Mitrovica. Bei der Ankunft in »Svila- dem Treppenhaus (das waren die Männertrakte) und ra« Srem. Mitrovica wurden wir auf eine grobe und die waren mit einer L-förmigen Mauer im Treppen- unsanfte Art kurz ausgefragt und registriert. Bis auf haus vom Erdgeschoß abgetrennt. Der Eingang zum die Unterwäsche und Strümpfe mußten wir unsere Treppenhaus und somit zu den Stockwerken war im Bekleidung und das Schuhwerk abgeben. Im Verhör- Nordosten auf der östlichen Seite des Baues. raum waren wir alle noch zusammen und wurden vom Es waren mehr Männer als Frauen im Lager. Zwi- Dezurni der aus Lacarak gebürtig war (ich habe seinen schen dem Hauptverwaltungsgebäude und dem Namen vergessen), eine kleine, schmächtige Person, Hauptlagergebäude war ein Brunnen, der bereits als faschistisches Gesindel, das kein Recht auf ein verseucht war, so daß Cholera und Typhus auftraten, Leben hat und für welches eine Kugel zu teuer wäre, und eine Scheune, die als Lagerküche diente. beschimpft. Mein Vater und ich haben während dieser Während der Lagerarzt uns Männer vom Hauptver- Vernehmung auch Ohrfeigen bekommen, um uns ein- waltungsgebäude in das Lagerhauptgebäude brachte, zuschüchtern. Ich muß schon gestehen, daß uns die sprachen der Lagerarzt und mein Vater über die La- Art der Vernehmung und die Ohrfeigen tatsächlich gerverhältnisse und die Tagesordnung im Lager. Ich eingeschüchtert haben, wie auch das herumfuchteln war von dem, was ich auf diesem kurzen Weg alles sah, des Dezurni mit der Pistole und zweier Bewacher so benommen, daß ich dem Gespräch nicht folgen mit Gewehren. konnte und mich jedenfalls an keine Einzelheiten Während wir uns im Vernehmungsraum entkleiden mehr erinnere. Da der erste Stock des Männertraktes und auch allen Schmuck abgeben mußten, wurden der schon vollständig belegt war, führte uns der Lagerarzt Lagerarzt Dr. Franz Ehrlich, ein Volksdeutscher aus ins Obergeschoß. Hier waren vier Reihen Liegen auf Kernei und eine Krankenschwester Juliane Zentner, dem Holzboden für die Lagerinsassen, an beiden Au- Volksdeutsche aus Ruma, beide inhaftierte Lagerin- ßenwänden eine Reihe, wobei die Köpfe jeweils zur sassen, herbeigerufen, um zu begutachten, ob wir Wand lagen. In der Mitte war eine Doppelreihe; hier gesund oder krank, d. h. arbeitstauglich oder -un- lagen die Männer Kopf zu Kopf. Zwischen der mitt- tauglich waren. Meine jüngste Schwester durfte ihre leren Doppelreihe und den seitlichen Reihen waren Bekleidung wieder anziehen und wurde abgeführt. Sie Laufgänge von ca. zwei Meter Breite. kam in die Kinderabteilung unweit vom Zwangslager. Der Lagerarzt wies uns zwei Plätze in der west- Ich habe meine Schwester dann einige Jahre nicht lichen Reihe zu, ganz in der Nähe des nördlichen mehr gesehen. Endes. Er sagte uns noch, daß wir nicht viel Platz Wir Übrigen wurden in einem Nebenraum des haben, denn für jeden stünden nur 60 cm zur Verfü- Hauptlager-Verwaltungsgebäudes (bekleidet nur gung, man liege wie in der Sardinenbüchse. Man liege mit der Unterwäsche) gebracht, wo wir abgenutzte so jedenfalls beim Schlafen wärmer bei der dürftigen Lagerbekleidung erhielten, die wir uns anzogen. Bedeckung. Es dürfe uns nicht stören, wenn am Mor- Jeder von uns bekam noch eine Decke und einen gen der Schlafgefährte tot neben einem liegt oder Mantel. Unsere eigene Bekleidung war uns ja vorher man regendurchnäßt oder schneebedeckt aufwacht, abgenommen worden. Meine Großmutter (Jahrgang weil das Dach undicht ist. Alles dies habe ich nachher 1877) wurde bei der Vernehmung als arbeitsuntauglich tatsächlich erleben »dürfen«! begutachtet, wir übrigen vier (Vater, Mutter, ältere Schließlich ermahnte uns der Lagerarzt noch, auf Schwester und ich) als gesund und arbeitstauglich. die Decke und den Mantel sehr zu achten. Es sei Erst später wurde mir bewußt, was das für ein Raum nicht ungewöhnlich, daß sie abhanden kommen. war, in dem wir die Lagerbekleidung erhielten und Die Ernährung sei schlecht. Wir sollten uns immer anzogen. Hierhin hatte man zuvor die toten Lage- für tägliche Arbeit zur Verfügung stellen; das erhöhe rinsassen gebracht und vor der Beerdigung (komme die Überlebenschance, weil man manchmal etwas Es- später noch darauf zurück) ganz nackt entkleidet. sen, Schnaps oder Tabak bekomme. Denjenigen, die Diese Kleidungsstücke wurden nach Bedarf bzw. Nö- ständig im Lager verweilen oder kränkeln und nicht tigkeit den neuen Lagerinsassen, zum Beispiel uns, arbeiten, gab der Lagerarzt eine Lebenserwartung von weitergegeben. Nun brachte die Krankenschwester 4 bis 6 Wochen. Tagtäglich starben 30 bis 40 Personen die weiblichen Personen nach Anweisung des Dezurni (manchmal auch mehr), und die Lagerkapazität be- in den Frauentrakt und der Lagerarzt meinen Vater trug 1500 bis 1800 Personen. Die Fluktuation war und mich in den Männertrakt. Den Frauentrakt lernte groß; denn es kamen ein- bis zweimal wöchentlich ich erst später kennen. Neuzugänge, bis zu 100 Menschen, aus dem Banat Das Hauptgebäude für alle Zwangslagerinsassen der Batschka oder Syrmien oder ganze Transporte, war ein großer Bau mit Erdgeschoß, 1. Stock und die die Russen und Partisanen aus Kroatien oder Obergeschoß, ohne Dachboden, wo schon an vielen Österreich hierher brachten. Im Lager wurden auch Stellen Dachziegel fehlten. Nirgends wurde geheizt. Gruppen zusammengestellt von 20 bis 50 Personen, Das Hauptlagergebäude war ca. 50 m lang und ca. 15 die irgendwo zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft m breit; und dieses Gebäude hatte das Erdgeschoß (z. B. in Voganj, Srem. Jarak) oder ins Kohlebergwerk (das war der Frauentrakt und hatte den Eingang auf Vrdnik gebracht wurden und dort auch blieben.

376 Das berüchtigte Zwangslager »Svilara« lag im süd- wieviele davon krank? Wieviele fehlten bzw. waren westlichen Teil von Srem. Mitrovica und unweit vom gestorben? Diesen Rapport nahm entweder der De- linken Ufer der Save. Der ganze Komplex soll mal zurni oder ein Partisanenwachmann entgegen. Dann ein holzverarbeitender Betrieb oder ein Sägewerk wurde gründlich gezählt, um sicher zu sein, daß der gewesen sein. Die »Svilara« war mit einem Bret- Zimmerälteste die Wahrheit gesagt hatte. Ein Par- terzaun und einem einreihigen oder zweireihigen tisanenwachmann ging durch die Wohnräume und Stacheldrahtzaun ca. zwei m hoch umgeben. Die zählte die Toten. Sobald alles überprüft war, wurde Fluchtmöglichkeit war gering, da mehrere Wacht- die Arbeitseinteilung vorgenommen. Anschließend posten aufgestellt waren. Wenn Fluchtversucher er- war bis 7:45 Uhr Frühstück. wischt wurden, wurden sie kurzerhand erschossen. Um 8 Uhr gingen die verschiedenen Arbeits- Beim Fluchtversuch Gefangengenommene, wurden gruppen je nach Einteilung zur Arbeit. Wer krank einfach erschlagen, erstochen oder geschlachtet, d. gemeldet war, wurde vom Lagerarzt untersucht. Die h. es wurde ihnen die Luftröhre und Halsschlagader schweren Fälle kamen ins »Lager-Lazarett«, die leicht durchtrennt. Erkrankten gingen zu ihren Schlafstätten. Medika- Solange ich im Zwangslager »Svilara« gefangeng- mente gab es fast überhaupt nicht. Häufig traten ehalten war, vom 20. 12. 45 bis Anfang April 1946 Cholera und Typhus auf, sowie Erkrankungen der (Karsamstag) waren nur Volksdeutsche aus Syrmien, Atmungsorgane und Unterernährungserscheinungen. Banat, Batschka, Bosnien und Kroatien inhaftiert. Ca. Behandelt wurde mit Tee, Wickeln und zerriebener 20 Tage hiervon war ich nicht in Svilara, worauf ich Holzkohle. später eingehe. Die Arbeitsgruppen, die außerhalb des Lagers, oft in Das Zwangslager für Volksdeutsche »Svilara« der Stadt Mitrovica, arbeiteten, kamen mittags nicht umfaßte neben dem oben beschriebenen Komplex ins Lager, sondern erst abends bei Dämmerung. Unter noch ein Gebäude ca. 300 bis 400 m westlich von den im Lager Arbeitenden gab es mehrere ständige der Svilara, auf der gleichen linken Straßenseite. Dort Gruppen: zur Leerung der Latrinen, zur Entkleidung waren die Kinder untergebracht. Ich glaube, bis zum und Beseitigung der Toten; eine Gruppe reinigte 14. Lebensjahr.(Säuglinge blieben bei den Müttern, das Verwaltungsgebäude, eine andere säuberte die die sie im Kindergebäude betreuten und auch dort Schlafräume oder war für Ordnung und Sauberkeit schliefen.) Ich war niemals im Kindergebäude. des Hofes zuständig. Eine Arbeitskolonne bereitete Auf der rechten Straßenseite, schräg gegenüber, das Brennmaterial zum Kochen vor, eine Nähgruppe westlich von der Svilara war das sogenannte »La- flickte die zerrissene Bekleidung, die von den Toten zarett« für Kranke und Verletzte. Es war nicht so angefallen war. Schließlich gab es noch eine Schus- erbärmlich wie das Hauptlager. Es wurde geheizt, auf terflickgruppe und die Kochgruppe. dem Boden war viel mehr Stroh. Auch das Essen war Von 12 bis 13 Uhr war Mittagszeit, und um 18 Uhr etwas besser, fast immer gab es etwas Warmes. Ich bin gab es Abendessen. Bis 19 Uhr konnte man sich im etliche Male dort gewesen. So weiß ich , daß in drei Lagerhof aufhalten, aber ein Kontakt zwischen oder vier Zimmern ca. 50 Patienten lagen. Ich glaube, Männern und Frauen war streng verboten. Punkt 19 daß ein Zimmer für Frauen zur Verfügung stand. Uhr mußte alles in den Schlafstätten sein. Wenn ich Während meines Aufenthaltes in der Svilara konn- mich recht erinnere, brannte dort die ganze Nacht te ich jeden Tag mit meinem Vater und mit anderen hindurch ein dumpfes Licht. Männern sprechen, aber mit weiblichen Familienan- In der ersten Zeit bis etwa 20. oder 22. Februar gehörigen war dies absolut nicht erlaubt oder mög- 1946 hatte ich meinen Schlafplatz neben meinem lich. Es war den Männern verboten, den Frauentrakt Vater. Es kam vor, daß am Morgen der Mann neben zu betreten. Man konnte sich vielleicht mal in 20 bis mir oder neben meinem Vater nicht mehr aufwachte. 50 m Entfernung sehen beim morgendlichen Antritts- Er war einfach gestorben, vielleicht erfroren. Gerade rapport oder beim Essenfassen. über unserer Schlafstätte war eine von den Stellen, Der Tagesablauf in der Svilara verlief so: Morgens wo Dachziegel fehlten. Wenn es regnete, waren wir um 6 Uhr war Aufstehen. Man hatte angezogen ge- morgens durchnäßt, wenn es geschneit hatte, war schlafen, nur die Schuhe mit den schweren Holzsohlen Schnee oder Eis im Haar und auf den Decken. abgelegt, die meist als Kopfkissen benutzt wurden. Das Essen im Lager war eintönig und schlecht. Zum Vom Waschen und von morgendlicher Toilette keine Frühstück gab es ca. 100 g Maisbrot und einen Tee Rede; denn der einzige Brunnen war infiziert, was (überwiegend Eichenrindentee) ohne Zucker. Aber auch offiziell bekannt gegeben wurde. Die Notdurft der Tee war wenigstens warm. In der warmen Brühe, erledigten wir im Schlafraum in Kübel. die meist Bohnensuppe genannt wurde, mußte man Um 6:30 Uhr war Antreten im Hof. Die Frauen die Bohnen suchen. Ebenso dürftig waren die Rüben- auf westlicher Seite, die Männer auf östlicher Seite. oder Krautsuppen, von denen wir immer ca. ein Liter Auf der Männerseite waren wir zwei Gruppen. Es bekamen. Brot war in der Regel mittags nicht dabei. hatten immer alle Personen anzutreten. Jede Etage Das Abendessen bestand entweder aus ca. 200 g hatte ihren Zimmerältesten, der den Rapport ab- Maisbrot oder aus einem halben Liter Maisbrei. Zum geben mußte. Wieviele Personen waren angetreten, Essenfassen mußte man sich in eine Reihe stellen;

377 zuerst kamen die Frauen dran, dann die Männer. Bei de von denen gewarnt, die das »Spiel« kannten. Und flüssiger Nahrung, also Tee oder Suppen, erhielt man doch kam es etliche Male vor, daß ein Lagerinsasse bei einen Eßnapf und einen Löffel. Die meisten tranken der Begegnung mit dem Wachposten ein paar Schritte oder löffelten Suppe oder Tee gleich im Stehen und zum Schiff zurückging. Dann machten die Wachpos- wärmten sich bei dieser Gelegenheit die Hände ein ten kurzen Prozeß: Sie trieben den armen Mann aufs wenig. Nach dem Essen wurde das Geschirr wieder Ufer zurück und schlugen ihn gemeinsam mit den in der Küche abgegeben. Gewehrkolben zu Tode. Auf diese Weise wurde unter Gleich bei der Ankunft im Lager wurden jedem, ob anderem Herr Janee aus der Eisenbahnstraße in Ruma Mann, ob Frau, die Köpfe kahlgeschoren. Diese Pro- Mitte Dezember erschlagen. zedur wurde alle vier bis sechs Wochen wiederholt. Im Ich war froh, daß ich zum Jahreswechsel eine gleichen Abstand wurde mit einem Entlausungspuder andere Arbeit bekam. Ich war nun Waldarbeiter in entlaust. Aber wir hatten trotzdem Läuse und auch Kljesrtevica, westlich von Mitrovica. Dort ging es Wanzen. uns relativ gut, weil man das gefährliche winterliche Wie uns der Lagerarzt empfohlen hatte, versuch- Baden im eiskalten Wasser nicht mehr hatte und mit ten wir immer, uns für eine Arbeit zu melden, und serbischen Waldarbeitern gemeinsam arbeitete. Von natürlich, wenn es ging, für eine Arbeit außerhalb diesen Leuten bekamen wir auch mal Schnaps, mal des Lagers. Meine Schwester kam in die Landwirt- Speck oder Wurst und Brot; so hatten wir eine bessere schaft, zuerst nach Voganj und später nach Sremski Überlebenschance. Wir waren dort etwa zehn Mann Jarak. Ich verlor dann die Spur zu ihr, weil sie in den aus dem Lager, und öfter kam es vor, daß überhaupt genannten Ortschaften ständig blieb und dort auch kein Bewacher da war. Hier arbeitete ich eine Woche übernachtete. Erst Ende des Jahres 1947 konnte ich lang. wieder Kontakt mit der Schwester aufnehmen. Mit Die längste Zeit meines Aufenthaltes in der Svilara meiner Mutter konnte ich von der Inhaftierung bis mußte ich die abscheulichste Arbeit verrichten, und Anfang Februar überhaupt nicht sprechen. Auch das begann schon Heilig-Drei-Könige. Ich war einer gesehen habe ich sie in dieser Zeit fast nie, denn sie von zwölf Lagertotengräbern. Es waren zwei Grup- arbeitete mal auswärts, mal im Lager, so wie sie gerade pen von je sechs Mann. Die eine hatte die Aufgabe eingeteilt wurde. Mein Vater hat auch gearbeitet und Löcher zu graben, zwei Meter tief und drei Meter zwar überwiegend auswärts in Mitrovica selbst und breit. Ein solches Loch nahm 20 bis 25 Leichen auf. kam jeden Abend ins Lager zum Schlafen. In diesen Löchern wurden die toten Lagerinsassen Nun will ich über meinen Arbeitstag während mei- bis einschließlich 10. Januar 1946 gleich westlich vom ner hundert Tage in der Svilara (vom 20. 12. 1945 bis Lager, außerhalb des Stacheldrahtzaunes, begraben. Anfang April 1946 ) berichten. Gearbeitet wurde Danach wurden die Verstorbenen auf die gleiche Weise jeden Tag, auch am Sonntag oder Feiertag: auf dem katholischen Friedhof Mitrovica beerdigt. Ich befolgte den Rat des Lagerarztes gleich am ersten Ich gehörte zur eigentlichen Lagertotengräb- Tag nach der Einlieferung in die Svilara und meldete ergruppe. Wir jungen Leute vollzogen die Beerdigung. mich morgens zur Arbeit. Ich wurde einer Gruppe Täglich benötigten wir anderthalb bis zweieinhalb Gr- von 20 bis 30 Männern zugeteilt, die an der Save aus ablöcher. Nach dem Frühstück holten wir zunächst einem Schiff Holz abzuladen hatten. Unsere Aufgabe die Verstorbenen aus den Schlafräumen. Wir schlepp- war es, Holzstämme von zwei m Länge und 15 cm ten sie vom Sterbeplatz, samt Mänteln und Decken, Durchmesser vom Schiff an Land zu bringen und dort falls noch vorhanden, auf die Gänge. Mal geschah es im aufzuschichten. Jeder hatte so einen Stamm allein zu Männertrakt, manchmal bei den Frauen. Dabei sahen tragen. Vom Schiff zum Ufer führte eine 30 cm Schma- uns sehr geschwächte und kränkelnde Lagerinsassen le Pfostenbrücke. Drei bis vier Partisanen-Wachposten zu. Es war sicher, daß sie in den nächsten Tagen waren uns zugeordnet. Sie brachten uns vom Lager drankamen. Oft waren sie aber schon so apathisch, zur Arbeitsstelle und zurück und beaufsichtigten uns daß sie den Abtransport der Leichen nicht wirklich dort. Manchmal kamen die Posten aufs Schiff, um zu mitverfolgten. sehen, wieviel noch zu tun war. Obwohl für jedes Die Toten packten wir einfach an Händen und Fü- Schiff eine Pfostenbrücke für den Hinweg und eine ßen und schubsten sie auf die Gänge. Dann zogen für den Rückweg vorgesehen war, kam es vor, daß wir sie am Boden bis zu den Treppen. Es blieb keine ein Posten dem Stammtragenden entgegenlief. Dann andere Wahl, als sie von dort hinunterzuschubsen, erlaubten die Partisanenposten nicht, daß man zum bis sie alle unten vor der Eingangstür lagen. Draußen Schiff zurückging; beim Ausweichen zur Seite mußte wartete ein Pferdewagen. Wie trugen die Leichen vom der Arbeitende buchstäblich mit dem Stamm ins Was- Haufen weg zum Bretterkastenwagen und warfen sie ser springen. Auch mir ist das passiert und ich mußte dort hinauf. Wenn der Wagen voll war, fuhren wir zum vor Weihnachten so baden gehen und anschließend Lagerverwaltungsgebäude, wo auf der Westseite ein mit dem Stamm zum Ufer krabbeln. Schließlich hatte größerer Raum war. Dort mußten die Leichen wieder ich total durchnäßt weiterzuarbeiten, als ob nichts abgeladen und in den Raum getragen werden. Das geschehen wäre. Wir alle wußten, daß solche »Unfälle« Abladen der Toten geschah immer auf die gleiche immer wieder provoziert wurden. Jeder Neuling wur- Weise: Wir lösten am Wagen eine Kette, so daß eine

378 Bretterwand zu Boden fiel und die Leichen gleich sen Folgen am 26. Februar) kam eine Kommission aus hinterher. Die Toten wurden ins Haus und ins Zim- Neusatz mit dem Roten Kreuz, die die Ermordung mer geschleift, die Bretterwand wieder mit der Kette des Lagerarztes und der Krankenschwester und die am Wagen befestigt. Die Leichen wurden vollständig allgemeinen Lagerbedienungen untersuchte. Mein entkleidet. Bekleidung und Wäsche übernahm eine Beerdigungstrupp hatte die Aufgabe, die beiden Frauengruppe zum Waschen und Flicken, um sie nach Toten wieder auszugraben. Das war eine furchtbare Bedarf wieder an Insassen ausgeben zu können. Mit Arbeit; denn wir mußten auf bereits in Verwesung Meißel und Zange mußten wir Männer die Münder übergehenden Leichen stehen und die Toten aus dem öffnen, um eventuell vorhandene Goldzähne her- Loch holen, bis wir die gesuchten Leichname gefun- auszureißen. Schlimmer noch war, daß wir mit den den hatten. Nachdem die Kommission ein Protokoll Fingern auch in den After und bei Frauen auch in die gemacht hatte, warfen wir die Leichen wieder zurück Vagina greifen mußten, um dort versteckten Schmuck in das Massengrab und verscharrten sie. Nicht lange herauszuholen und in einen bereitgestellten Eimer zu danach wurde der aus Latscharak stammende Dezurni legen und dem Wachtposten zu übergeben. und der Lagerkommandant seines Postens enthoben, Nachdem ein Wachtposten die Zahl der weiblichen und es kam ein neuer Kommandant, der jedenfalls und männlichen Toten nach unseren Angaben no- besser war. tiert hatte, zerrten wir die nackten und geschände- Auf die geschilderte Weise habe ich viele Volksdeut- ten Toten wieder aus dem Raum und schmissen sie sche und Landsleute aus Ruma auf unwürdige Weise schließlich wieder auf den Bretterkastenwagen. Nun beerdigt, so auch meine beiden Großmütter und mei- fuhren wir zu den von der anderen Gruppe gegrabe- ne Mutter. Am 27. Februar bin ich vom katholischen nen Löchern, wohinein die Toten abgeladen wurden. Friedhof aus geflüchtet. Das war möglich, weil einige Sobald ein Loch bzw. Massengrab voll war, warfen wir Tage bevor die Kommission und das Rote Kreuz ins ca. 30 cm Erde darüber und machten einen kleinen Lager kamen, sich die Verhältnisse im Lager besserten Hügel. Da sich das Erdreich schon nach wenigen Ta- und wir z. B. keinen Wachtposten mehr bei uns hat- gen senkte, übernahm die andere Totengräbergruppe ten. Ich flüchtete, weil ich es nicht ertragen konnte, später die weiteren Erdarbeiten. So ging das mehrmals auch noch meinen Vater auf eine so unmenschliche täglich, bis alle Toten des Vortages und der Nacht Weise zu beerdigen. verscharrt waren. Tag für Tag wurden Massengräber Meine Flucht scheiterte aber nach einigen Tagen. ausgehoben, Tote abgeladen und verscharrt, bis das Am ersten Tag, dem 27. Februar, kam ich zu Fuß bis ganze Brachland westlich vom Svilarakomplex voll , wo ich mich im Feld in einem Maisschober mit Toten war. versteckte.Von da an ging ich nur nachts und hielt Da meine Großmutter väterlicherseits am 10. Ja- mich tagsüber in Maisschobern versteckt. Ich ernährte nuar verstarb, weiß ich genau, daß ab 11. Januar alle mich von Mais. Nach einigen Tagen wurde ich bei Lagertoten auf dem katholischen Friedhof beerdigt Morovic erwischt und in die Svilara nach Sr. Mitrovi- wurden. Meine Großmutter war hier bei der ersten ca zurücktransportiert. Dort wurde ich verhört und Gruppe. Meine Großmutter mütterlicherseits und geschlagen, dann kurzerhand zum Tode verurteilt. Bis meine Mutter habe ich am 21. 2. beerdigt. An der zur Vollstreckung des Todesurteils war ich in einem Vorgehensweise änderte sich nichts. Wenige Tage Keller innerhalb der Svilara mit noch zehn bis zwölf zuvor waren der Lagerarzt Dr. Ehrlich und die Leuten eingesperrt. Zu essen bekamen wir nichts. Krankenschwester Juliane Zentner, weil sie Medi- Eines Nachts kamen die Wachtposten und fesselten kamente und bessere Lagerbedienungen gefordert uns mit Schnüren die Hände am Rücken und brachten hatten, kurzerhand des Nachts ermordet worden. uns mit einem LKW zur Save. Wir wurden ausgeladen, Sie wurden blau und grün geschlagen, hatten zahllo- zur Save getrieben und am Ufer aufgestellt. Das war se Wunden am Körper, und zuletzt hatte man ihnen unweit von Svilara. Wir waren eine Gruppe von etwa die Kehle mit dem Messer durchtrennt. Wir mußten 12 Mann. Etwa 10 m hinter uns wurde ein Maschi- sie auf die übliche Weise beerdigen. Das war noch auf nengewehr aufgestellt. Als der Kommandierende das dem brachliegenden Platz westlich von der Svilara, Kommando »gotovs« gab, stürzte ich mich in den ganz in der Nähe des Stacheldrahtzaunes in einem Fluß. Ich glaube, noch Schüsse gehört zu haben, habe der Massengräber. aber nicht viel wahrgenommen, denn mein einziger Die Ermordung des Lagerarztes und der Kranken- Gedanke war das Überleben. Das war am 3. oder 4. schwester hatte Folgen. Die Tat hatte sich zuerst März. Die Exekution hatte ich erst mal überlebt. Ich im Lager und nachher auch in der Stadt Mitrovica ließ mich mit den gefesselten Händen im Wasser herumgesprochen und die kommunistische Behörde treiben für eine geraume Zeit. Ob noch ein anderer aus Mitrovica hatte sich eingeschaltet. Irgendwann überlebt hat, weiß ich nicht. Als ich nichts hörte und unmittelbar vor dem Tode meines Vaters in der ringsum absolute Stille herrschte, schwamm ich ans Svilara (er hatte sich am 23. oder 24. Februar bei Ufer, wo in der Nähe noch Wagonetten von einem der Lagerkommandantur beschwert, wurde deshalb Sägewerk waren. An so einem Wagonett konnte ich windelweich verprügelt und sogar krankenhausreif durch Reißen die Hände von der Fessel befreien. Ob- geschlagen, starb dann im Lagerkrankenhaus an die- wohl ich ganz naß war, verspürte ich die Kälte nicht.

379 Ich zog mich aus, windete meine Bekleidung, so gut Weiters hat die 2. Gruppe des Freischärlerbatallions es ging, aus und zog mich wieder an. Ich floh die im gleichen Abschnitt einen Güterzug mit Kriegsma- Save entlang in Richtung Westen. Wie bei der ersten terial in die Luft gesprengt, wobei die Lokomotive Flucht zog ich nur nachts weiter, tagsüber verkroch und sechs Waggons vernichtet wurden. ich mich wiederum in den Maisschobern auf den Ruma u srediste Srema 1991, S 581 Feldern. Ich ernährte mich von Mais und Kürbissen. Ungefähr nach einer Woche war ich in Essegg, wo Im Jahre 1934 hatte die Stadt 13.893 Einwohner. ich wieder erwischt wurde. Und abermals wurde ich Aus dem Jahre 1944 geben deutsche Statistiken fol- in die Svilara gebracht. genden Überblick: Ich wurde wider verhört und grob beschimpft, aber nicht geschlagen. Bis zur Urteilsverkündung Einwohner 17.279 arbeitete ich wieder als Totengräber. Anfang April Deutsche 11.039 wurde ich verurteilt, im Kohlebergwerk Vrdnik unter Serben 4.062 Tage zu arbeiten. Der Ostersonntag 1946 war mein Kroaten 1.697 erster Arbeitstag im Bergwerk. Ich blieb dort bis zur Ungaren 446 Entlassung im Februar 1949. In Vrdnik ist es mir gut Juden 0 gegangen, doch darüber will ich nicht berichten. Mein Andere 35 Anliegen war es, mit dieser Niederschrift den Alltag im Lager »Svilara Srem. Mitrovica« darzustellen und In Ruma haben die Deutschen in ihrem Stile die etliche Daten festzuhalten. Endlösung der Juden und die Zigeunerfrage durch- geführt. 13.8 Nicht kommentieren, sondern Sie deportierten in KZs 224 Juden und mehr als dokumentieren 100 Zigeuner. Ruma u srediste Srema 1991, S 592 Ing. Michael Joos Die befreite Stadt »Ruma im Zentrum Syrmiens« Ruma wurde von der 16. Vojvodiner Division unter (Ruma u srediste Srema) von Radislav Dordevic, Mithilfe der 5. Vojvodiner Brigade der 36. Division, Vladimir Tomic, Dusan Cudic, Radomir Prica, Dobri- sowie des Artillerie-Regimentes der Roten Armee voj Mitrovic. Novi Sad 1991, Institut za istriju Edicia befreit. » u Borbi«. Ruma u srediste Srema 1991, S 612 Auszüge aus diesem Buche, ins Deutsche übersetzt. Das Befreiungskomitee von Ruma organisierte am Brand der Hanffabrik ersten Tag nach der Befreiung die Unterbringung Ein großer und effektvoller Anschlag war der Brand sowie Verpflegung der Kriegsflüchtlinge, welche der Hanffabrik in der Nacht vom 6. auf den 7. August täglich eintrafen. 1943. Die Fabrik lag außerhalb der Stadt in einer En- Zu dieser Zeit gab es in der Stadt 1678 verlassene rfernung von 1500 m. Die Flammen waren so hoch faschistische Häuser und 1265 leere Häuser, welche und stark, daß ganz Ruma wie am hellichten Tag er- aus verschiedenen Gründen von den Rumaer Bürgern leuchtet war. Viele Rumaer vermuteten zu Recht, daß verlassen wurden. dies ein Anschlag der syrmischen Partisanen war. Bis Frühling 1945 kamen 1272 Familien mit 5537 Ruma u srediste Srema 1991, S 559. Angehörigen nach Ruma. Für alle mußte Verpflegung und Brennmaterial sichergestellt werden. Neue Sabotage-Aktionen Das 2. und 3. Batallion der syrmischen Abteilung Unterbringung und Verpflegung des Militärs. verübten einen Anschlag auf die Bahnlinie Ruma - Sa- Nach der Befreiung der Stadt mußte neben Ver- bac. Sie hielten den Zug auf und im Kampfgeschehen sorgung des Militärs und der Füchtlinge auch für die kamen 20 feindliche Soldaten und Eisenbahner ums restliche Bevölkerung der Stadt gesorgt werden. Die Leben. Die zur Hilfeleistung von den Okupatoren Lebensmittel wurden immer weniger. Aus diesem entsandten Kräfte aus Platicevo, wurden aufgehal- Grunde wurden alle Nahrungsmittel aus den verlasse- ten und zurückgeschlagen. 13 angehörige Zivilisten nen deutschen Häusern gesammelt und in Lagerhallen des Okupators wurden erschossen. Es wurde viel deponiert, von wo aus das Militär versorgt wurde. Kriegsmaterial, Waffen und Ausrüstung erbeutet. Der Auf diese Weise wurden im November 1944 Kampf dauerte ca. 15 Minuten. Von Rumaer Bürgern 119.059 kg Weizen, 567 kg Gerste, 345 kg Hafer, kamen folgende um: Emmerich Frank, Postbeamter; 1.149 kg Sonnenblumen, 2.679 kg Mais auf Kolben, Franz Schnur, Lokomotivführer; Stefan Reger, Kon- 118 kg Bohnen, 303 kg Kartoffeln, 293 Stück Schwei- dukteur; Wilhelm Prinz, SS-Mann auf Urlaub (aus ne, 94 Stück Kühe und 89 Stück Schafe gesammelt. Voganj). Auf der Bahnlinie zwischen Ruma und Kral- Die Sammlung der Nahrungsmittel aus deutschen jevci wurden zwei Güterzüge in die Luft gesprengt. Häusern wurde im Dezember 1944 fortgeführt. In

380 dieser Aktion wurde viel mehr eingesammelt: 11.935 Rettung in der Flucht. 275 Personen deutscher Ab- Zentner Weizen, 1.944 Zentner Mais, 314 Zentner stammung starben oder kamen ums Leben in Lagern Hafer, 535 Zentner Gerste, 5.500 Zentner Heu, für Zivilisten. Durch auftretende Epidemien starben 20.500 Zentner Stroh, 1.015 Zentner Kartoffeln und die meisten an Bauchtyphus. 1.015 Zentner Bohnen. Das Kleinvieh wurde für die Der Großteil der Rumaer siedelte sich in Österreich, Versorgung des Militärs verwendet. in Traun und Umgebung an. Weiters in Deutschland Nicht geernteter Mais wurde auf ca 7.500 Joch und in Kannada. geschätzt und Rüben auf ca 500 Joch. Mit 27. Oktober 1944 endete das deutsche Ruma. Ruma u srediste Srema 1991, S 616 und 617 Die Stadt wurde Militärstützpunkt für das weitere Kampfgeschehen in Syrmien. Stand der verlassenen und wiederbesiedelten Häu- Ruma u srediste Srema 1991, S 643 ser in Ruma, mit Stichtag 15. Mai 1945. Nach der Befreiung, der beendeten Agrarreform Verlassene Häuser: 1678 (deutsche Häuser) und der Kolonialisierung wurde die erste Nach- Leerstehende Häuser: 1265 *) kriegszählung der Einwohner 1948 durchgeführt. In Anzahl der neu ange Ruma waren 3.858 Haushalte mit 14.001 Einwohner. siedelten Familien: 1272 Die nationale Zusammensetzung der Einwohner war Familienmitglieder folgende: (Personen gesamt): 5537 Serben 10.599 *)verschiedene Nationalitäten, durch Kriegswirren Kroaten 2.258 verlassen Slowenen 109 Montenegriner 39 Die vierjährige Besetzung und die unbarmherzigen Muslemanen 14 Plünderungen der Bevölkerung, sowie die sechsmo- Bulgaren 4 natigen Kämpfe an der syrmischen Front in unmit- Tschechen 36 telbarer Nähe Rumas, haben sich sehr ungünstig auf Slowaken 26 den wirtschaftlichen Stand der Einwohner der Stadt Russen 32 ausgewirkt. Rusinen 21 Nach einem Verzeichnis vom 3. März 1945 wa- Schiftaren 5 ren in der Stadt 45 Geschäfte und 166 Werkstätten Ungarn 520 aufgelassen. Alle Geschäfte und Werkstätten waren Deutsche 244 ausgeräumt, nur vereinzelt konnte man in einigen Rumänen 1 deutschen Werkstätten noch geringfügige Arbeits- Italiener 1 geräte vorfinden. Romanos 23 Ruma u srediste Srema 1991, S 642 Andere 36 Zusammen 14.001 Einwohner Ende des zweiten Weltkrieges (Im Original übernommen) In den letzten zwei Kriegsjahren war Ruma das Zen- trum der deutschen Bewegung auf diesem Gebiet, es In dieser Zahl waren 6.583 männliche und 7.418 war Mittelpunkt der Besatzungsmacht in Syrmien. weibliche Personen enthalten. Die Volksdeutschen haben ihr Schicksal zur Gänze Ruma u srediste Srema 1991, S 653 mit dem Hitler-Deutschlands verbunden. Im Jahre 1944 fielen an verschiedenen Fronten 101 gebürtige Deutsche aus Ruma und 1945 waren es 89. Ruma gab der Deutschen Wehrmacht das Leben von insge- samt 288 seiner Bürger, die in deutschen Uniformen kämpften. In der Totenliste der Gefallenen findet man 12 mit Familiennamen Linzner, aber auch viele andere mit deutschen Namen. Es befanden sich aber auch einige in dieser Liste, deren Familienname eine sla- wische Endung hat; z. B. Bencic, Durkovic, Jankovic, Knezevic, Minic, Popovcak und andere. Die meisten der Gefallenen gehörten den Jahrgängen zwischen 1920 und 1930 an. Die restlichen Deutschen verließen ihre Häuser, Hab und Gut und ihre Heimat. Die Volksdeutschen verübten in Verbindung mit der deutschen Wehr- macht viele Verbrechen in dieser Region. Im Bewußtsein dieser Verbrechen suchten sie ihre

381 13.9 Quaesto facti Ruma führten den Genozid an den verbliebenen Deutschen durch. Da die Deutschen - Kind, Frau (Frage nach dem Geschehen) oder Mann - zu Verbrechern erklärt wurden, mußten sie sterben. H. v. Moltke sagt dazu: »Leidenschaftliche Ergüsse, Es ist verständlich, daß die fünf Geschichtsforscher auch wenn sie aus patriotischen Gefühlen fließen, er- in ihrer Schreibweise zuerst die Kultubündler und reichen nicht das Ziel aller geschichtlichen Forschung, nachher die Volksdeutschen an den Pranger stellten, die Wahrheit.« um die Untaten der Befreier zu verschleiern. Diese Feststellung belastete die fünf Geschichts- Von den genannten 1047 Deutschen sind in der forscher aus Ruma in ihrem Buche, »Ruma u srediste Statistik des Jahres 1948 noch 244 geblieben. In der Srema, 1991.« Sie haben mit ihren Angaben und Rumaer Dokumentation 1745 - 1945 wurden 275 Tote Statistiken jedes Detail der Ereignisse im serbischen erfaßt. Wo sind die weiteren 528 Deutschen aus Ruma? Ruma geschildert. Die Geschichte der Befreiung besteht nicht darin, sich Eines haben sie übergangen, und zwar den Verbleib die Vergangenheit vom Halse zu schaffen. der 1047 Deutschen, die noch am 27. Oktober 1944 Kehren wir zurück zu den Gedanken Humbodt’s, in Ruma gelebt haben. den wir diesem Kapitel vorangestellt haben: Es wurde herausgestellt, daß die Brigaden aus der Die Geschichte strebt dem Bilde des Menschen- Woiwodina Ruma befreit haben; denn nach der Taktik schicksals in treuer Wahrheit, lebendiger Fülle und der Partisanen kamen niemals einheimische Kämpfer reiner Klarheit zu. Wir können vergeben, aber nicht in den Heimatorten zum Einsatz. Die Befreier von vergessen!

»Aber in uns, den Verjagten, bricht sie auf, die Klage, die nie ruht.«

Jakob Wolf

Literatur Leopold Rohrbacher; Ein Volk - ausgelöscht, Selbstverlag, ischen Jugoslawien, Band III, Donauschwäbische Kultur- Salzburg 1949. stiftung, München - Sindelfingen 1995. Wendelin Gruber; In den Fängen der roten Drachen, Miriam R. Dordevic, V. Tomic, D. Cudic, R. Prica, D. Mitrovic; Verlag, Jestetten 1986. Ruma u srediste Srema, (Ruma im Mittelpunkt von Syrmi- Frau Müller-Wlossak; Die Peitsche des Tito-Kommissars, en), Institut za istoriju Edicia »Vojvodina u Borbi«, Novi Verlag Passavia, Passau 1987. Sad 1991. Martin Reinsprecht; Zwischen den Mühlsteinen, Orbis Franz Wilhelm; Rumaer Dokumentation 1745 - 1945, Band Druck, Haid 1987. I, Donauschwäbische Kulturstiftung, Stuttgart 1990. Österreichische Historiker; Völkermord der Tito-Partisanen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und 1944 - 1948, Oswald Hartmann Verlag, Altheim 1990. Kriegsgeschädigte (Hrsg.); Das Schicksal der Deutschen in Josef Beer; Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien, Orts- Jugoslawien. Dokumentation der Vertreibung der Deut- berichte 1944 - 1948, Donauschwäbische Kulturstiftung, schen aus Ost-Mitteleuropa, Band V, Düsseldorf 1961. München 1991. Josef Beer; Leidensweg der Deutschen im kommunist- ischen Jugoslawien, Band II, Donauschwäbische Kultur- stiftung, München - Sindelfingen 1993. Josef Beer; Leidensweg der Deutschen im kommunist-

382 Finale: Die neue Methode der Geschichtsforschung in Ruma

Rumaer Dokumentation 1745 - 1945, Band I, Seite 374, erschienen 1990 Bild 21 in »Ruma u srediste Srema« Ruma im Mittelpunkt von Srem Irrtum? Absicht!

Übersetzung: Treffen des Verbandes der Deutschen Jugend im Rahmen des Kulturbundes in Ruma 1939 Das Buch ist 1991 erschienen Redet nicht wider die Wahrheit! Jes. Sir. K. 4,V. 30 Die Wahrheit kann gedrückt, aber nicht unterdrückt werden.

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