EDITORIAL

Liebe Leser,

zum Einstieg ein Gedankenspiel: verlas- Weltweit wüten mehr als 40 kriegerische sen wir für einen Moment die Stadt und Auseinandersetzungen. Viele dieser Kon- wechseln vom Winter in den Sommer. flikte sind medial unterrepräsentiert, Wir befinden uns vor einem alten Strand- ganz in Vergessenheit geraten oder wer- haus am Meer. Die Sonne steht hoch am den nur schablonenhaft beschrieben: Himmel und blendet, also schlurfen wir unser Schwerpunktthema ab Seite 54. ins Haus. Drinnen ist es kühl und düster; Myanmar: Paranoide Generäle isolie- einem jeden Objekt erwachsen Schatten- ren das ehemalige Birma und unterdrü- Anomalien, bizarr und verzerrt. cken brutal jede Opposition. Eine Reise durch das traumhaft schöne Schatten- Seltsam: das Restlicht ist zwar diffus – reich bestätigt: Das Land blutet aus – ma- und doch wir sehen vieles klarer als im teriell und geistig. Sonnenlicht. Der Dichter Hans Magnus Die Künstlerin Oda Jaune spricht darü- Enzensberger sagt: »Wer das Licht sehen ber, wie sie ihr Image der »schönen Ehe- will, wie es ist, muss zurückweichen in frau« abstreifen will. den Schatten.« Holger Langer ist Hamburgs einziger praktizierender Thanatologe. Er bereitet Wir sehen uns um: Das Licht fällt die Körper Verstorbener für den schwie- scheibchenweise durch die Jalousien in rigen Moment vor, in dem die Angehöri- den staubigen, abgedunkelten Raum. gen Abschied nehmen. Die Möbel sind abgedeckt, die Zimmer Der Schatten bringt es an das Licht: nicht aufgeräumt – und doch folgt al- Unserem Titelfotografen Arne Magold les einer Ordnung. Das Inventar ist alt ist es gelungen, die geheimen Gedanken und neu zugleich; viele Gegenstände fin- von Studierenden einzufangen. Das Er- den seit langem keine Beachtung mehr. gebnis seines Streifzugs über den Cam- Die Mieter des Hauses gehen achtlos an pus zeigen wir ab Seite 119. ihnen vorbei. In der Dachkammer sta- peln sich die Erinnerungen und im Kel- INJEKTION lädt Euch ein, mitzugestal- ler, na klar, die Leichen. Wir haben einen ten. Lob und Kritik sind stets willkom- Rundgang durch dieses Haus gemacht, in men: [email protected] einige Räume gesehen und so manches Fenster aufgestoßen: Viel Spaß beim Lesen! Die Redaktion

TITELFOTO: ARNE MAGOLD INHALT INHALT

Schattengestalten Schattenmächte

Sag mal... was für einen Schatten hast du eigentlich? Die Überzeugungstäter Haben wir nicht alle unsere kleinen Macken? Ein paar ehrliche Antworten...... 06 Wie die Stiftung Einfluss auf die Politik nimmt...... 90

Die Unsichtbaren Das Motiv Berufe, über die wir uns normalerweise keine Gedanken machen...... 08 Gina Gorny inszeniert die Tatorte klassischer Kriminalromane ...... 97

»Meine Kunst muss mein eigenes Bild ausradieren!« Schweig oder stirb Die Künstlerin Oda Jaune wehrt sich gegen ihr Image als »schöne Ehefrau«...... 16 In Neapel wird die Mafia immer mächtiger...... 103

Schattendasein Schattenspiele

Die Sonne, mein Feind »Leih dem Schiri mal dein Glasauge!« Eine seltene Krankheit macht Sonnenlicht zur tödlichen Gefahr ...... 26 Blinde Hamburger Fußballfans leben ihre Leidenschaft aus ...... 110

Vergesslich, nicht vergessen Die Kunst zu Fragen Ein Hamburger Modellprojekt für Demenzkranke ...... 32 Wie Künstler in Australien auf kontroverse Themen aufmerksam machen ...... 114

Stefansheim Schattenspiele Fotoreportage: Zu Besuch in einem Heim für geistig Behinderte ...... 36 Eine Fotostrecke von Arne Magold ...... 119

Die Hoffnung stirbt zuletzt Ein Fall für zwei Die Alkoholsucht ihres Vaters bestimmt das Leben der 18-jährigen Nina ...... 42 Unser Autor hat Höhenangst. Wir werfen ihn aus einem Flugzeug...... 125

Kenias vergessene Kinder Junge Aidswaisen müssen sich prostituieren, um ihr Leben zu sichern ...... 48 Gewinnspiel ...... 113

Impressum...... 128 Schattenorte

Shadowlands Schwerpunkt Schattenkriege ...... 54

Auf dem Dachboden Europas Das estnisch-russische Grenzgebiet zwischen Aufbruch und Stagnation ...... 72

Im Straßengraben des Weltgeschehens Eine Reise in das Schattenreich Myanmar ...... 80

 INJEKTION SCHATTEN  Schattengestalten

Sag mal... was für einen Schatten hast du eigentlich? Haben wir nicht alle unsere Macken? Ein paar ehrliche Antworten 06

Die Unsichtbaren Berufe, über die wir uns nur selten Gedanken machen 08

»Meine Kunst muss mein eigenes Bild ausradieren!« Die Künstlerin Oda Jaune wehrt sich gegen ihr Image als »schöne Ehefrau« 16

Illustration: Rebecca Blöcher SAG MAL... was für einen Wir alle haben unsere kleinen Macken, die unseren Alltag prägen und uns einzigartig machen. Doch nicht jedem erzählen wir bereitwillig

Schatten hast du eigentlich? davon. Ein paar ehrliche Antworten.

JULIA, 23, ITALIENISCH JASPER, 32, ANGLISTIK CHRIS, 24, JURA FRIEDER, 22, POLITIK DIANA, 25, KULTUR- LINA, 25, KUNST- WISSENSCHAFT GESCHICHTE

»Schokolade! Und wer »Ich trage seit vielen Jah- »Ich habe totale Angst »Ich lasse immer den »Ich vergesse ständig alles »Ich kann einfach keine sich jetzt denkt ›Gut, ren nur noch schwarze vor Höhen und vor Kan- letzten Rest in Getränke- Mögliche. Immer wenn Folge vom Tatort verpas- Schokolade isst ja jeder Klamotten. Ich weiß ten. Erst neulich, in der flaschen. In der fünften ich aus dem Haus gehe, sen. Am Sonntagabend mal gern‹ – der kennt selbst nicht mehr so Europapassage, habe ich Klasse hat man mir mal fällt mir an der Bushalte- kann man sich mit mir ei- meine Macke nicht. Ich recht, wie es eigentlich das wieder gemerkt: Ich erzählt, dass der Rest in stelle ein, dass ich schon gentlich nur zu einer ein- brauche Schokolade wie dazu gekommen ist. Aber kann nicht am Rand ste- der Flasche immer aus wieder etwas vergessen zigen Tätigkeit verabre- die Luft zum Leben; sie ist inzwischen fühle ich hen und irgendwo run- Spucke besteht. Seit- habe. So war es auch in den: Tatort-Gucken. So mein Stimmungsmacher, mich richtig merkwürdig, ter gucken. Was ich auch dem trinke ich Flaschen meiner ersten Ballett- lange die Sendung dann meine tröstende Schulter wenn ich mal ein anders- gar nicht ertragen kann: nicht mehr ganz aus und stunde: die Ballettschuhe läuft, gehe ich meis- und meine Belohnung farbiges T-Shirt trage. Das Wenn sich mein kleiner lasse immer den letz- lagen natürlich zu Hau- tens nicht mal ans Tele- nach schwierigen Aufga- passiert höchstens zwei Bruder auf einen Stuhl ten Schluck übrig. Bei se. Und so geht das jeden fon. Toll, dass der Tatort ben. Wenn ich morgens Mal im Jahr – und alle stellt. Rational lässt sich Pfandflaschen kann das Tag! Es gibt nichts, was mittlerweile in so vielen zum Frühstück nicht min- Leute, die mich kennen, das nicht erklären – es manchmal richtig ner- ich noch nicht verges- Hamburger Kneipen ge- destens einen Schoko- sind dann irritiert und ist einfach nur die blan- vig sein, die muss man sen hätte. Das schlimms- zeigt wird.« keks gegessen habe, gehe müssen mehrmals hin- ke Panik, die mich da je- dann jedes Mal auslee- te: Den Bus verpasse ich ich gleich unentspannt gucken, bevor sie mich des Mal aufs neue über- ren, bevor man sie abge- so natürlich auch jedes PROTOKOLL & FOTOS aus dem Haus.« erkennen.« kommt.« ben kann.« Mal.« ANNA BOHAUMILITZKY & NADINE OTTO

 INJEKTION SCHATTEN  Die Unsichtbaren

Über einige Berufe wissen wir im Grunde nichts – weil wir sie nicht kennen oder uns keine Gedanken darüber machen. Bis jetzt.

DER MIT DEM FILM REIST

Andere starren gebannt auf die Kinoleinwand. Helmut Keller hat nur Augen für den Filmvorführer und die Filmkopie. Sein Job: Leibwächter für Blockbuster.

urchschnittlich 120.000 Kilometer Wir treffen uns im Kino Streit‘s; Helmut mittlerweile allerdings nicht mehr Dlegt Helmut Keller jedes Jahr zurück; kommt nach zehn Minuten – er musste sonderlich. Dennoch wird er sei- sein Job führt ihn quer durch Deutsch- erst einen Kollegen auftreiben, der wäh- nen freien Vormittag in Hamburg land, Österreich und die Schweiz. Nur rend unseres Gesprächs auf den Film auf- nutzen, um die Kunsthalle zu be- selten bleibt er dabei länger als einen Tag passt. Weil vor der Premiere des Fantasy- suchen. »Ein bisschen muss ich ja am selben Ort: Helmut ist Kopienbeglei- Streifens Eragon noch ein Probedurchlauf schließlich doch davon profitieren, ter. Für die Filmverleihfirmen UIP, Warner stattfindet, muss der Film mehr als zehn dass ich so viel in der Gegend he- und Fox transportiert er Kopien neuer Stunden lang im Kino bewacht werden; rum komme.« Filme; pünktlich und unversehrt müs- nur deshalb sind sie heute zu zweit. Zwischendurch bleibt Helmut sen sie zum Vorführtermin im Kino sein. In der letzten Woche war Helmut schon auch Zeit zum Lesen: »Wenn Helmuts Filme werden noch nicht regu- in München, dann in Hamburg, Düssel- ich mit der Filmkopie an- lär gezeigt. Er bringt sie zu Pressevorfüh- dorf und Frankfurt. Jetzt ist er wieder in komme, muss noch auf- rungen, Premieren oder zu so genannten Hamburg. Normalerweise schläft er des- und nachher wieder abge- Tradeshows, bei denen die Kinobetreiber halb im Hotel, manchmal fährt er aber baut werden«, berichtet neue Filme sehen können, bevor sie da- auch die ganze Nacht durch und schläft er. »Zusammen mit der rüber entscheiden, welche sie in ihr Pro- im eigenen Bett. Den Film nimmt er dann Vorführung dauert das gramm aufnehmen. natürlich mit nach Hause; schließlich an die fünf Stunden. Am meisten fürchten die Verleiher, dass trägt er die Verantwortung. Dabei muss ich den jemand Raubkopien der Filme machen »Inzwischen habe ich mich an diesen Vorführraum stän- könnte; Helmut darf die Filmrollen des- Lebensstil gewöhnt«, erzählt er. Auch Ver- dig im Blick haben; halb nicht einen Moment lang aus den kehrsstaus auf dem Weg zu einer wich- zwischendurch lese Augen lassen. Knapp zehn Fahrer sind für tigen Premiere lassen ihn mittlerwei- ich aber, um mir die die UIP in Deutschland unterwegs, die le kalt: »Man wird gelassener, je länger Zeit zu vertreiben.« meisten von ihnen sind durch Zufall zu ih- man den Job macht.« Im Hotel zu über- Eine weitere Sor- rem Job gekommen. Nur einige bewachen nachten, viele verschiedene Städte be- ge: dass Zuschauer Filme hauptberuflich, so wie Helmut. . sichtigen zu können – das begeistert ihn den Film von der

 INJEKTION SCHATTEN  Leinwand abfilmen, um ihn dann ins In- Kulissen oft Schauspieler und Regisseure, peinlich berührt und trauten sich kaum, den. Viele unserer Testerinnen kennen ternet zu stellen. Immer häufiger ist des- aber auch die Stars faszinieren ihn nicht noch weiter nachzufragen. Ihren Freun- sich aber auch untereinander und treffen halb sogar zusätzlich ein eigener Sicher- besonders. Über eines freut er sich aber den hat sie schon mehrfach angeboten, sich manchmal zum Kaffeeklatsch.« heitsdienst im Kinosaal unterwegs. doch: wenn er sich im Kino wohl fühlen sie in der Firma zu besuchen – die meis- Mittlerweile hat sich Simone Kalz an Helmut selbst sieht sich seine Filme kann. In den meisten deutschen Kinos sei ten reagieren aber eher zurückhaltend. ihren Job gewöhnt und findet es völlig fast nie an; aus dem Vorführraum heraus das der Fall – nur in einem einzigen wird Andere haben mit diesem Thema weni- normal, ihren männlichen Kollegen mit sei das einfach zu anstrengend. Außer- er wie ein Störfaktor behandelt, egal wie ger Probleme: die Testerinnen, die Schul- einem Vibrator in der Hand gegenüber zu dem interessieren ihn die meisten Filme dezent er auch auftritt. Den Namen des noten für Vibratoren und Dildos verge- sitzen und darüber zu sprechen, wie man nicht sonderlich: »Neulich war ich auf ei- Filmtheaters nennt allerdings Helmut ben. »Diese Bewertung ist eine wichtige ihn einführt. Manchmal ist sie über ihre ner Premierenfeier, das war so gar nicht nicht: Auch Verschwiegenheit gehört zu Hilfe für die Auswahl der Artikel, die dann Lockerheit selbst erstaunt, sagt sie. mein Ding.« Natürlich sieht er hinter den seinem Job. TEXT ANNA BOHAUMILITZKY tatsächlich in Produktion gehen.« Und Schlüpfrige Witzchen werden unter wie findet man diese Testerinnen? »Nor- den Kollegen natürlich ständig gemacht. malerweise sprechen wir einfach Frauen Die häufigste Antwort, wenn sie nach an«, sagt Simone. »Sie bekommen dann einem Mitarbeiter ruft: »Ich komme so- das Produkt und einen Bogen, auf dem fort!« Simone erwidert dann standard- KOMME SOFORT! sie es nachher anonym bewerten kön- mäßig: »Es reicht, wenn du anwesend nen; nur das Alter muss angegeben wer- bist.« TEXT ANNA BOHAUMILITZKY Auf ihrem Schreibtisch liegen Vibratoren und Dildos: Simone Kalz vertreibt Sex- spielzeug. Beim Gespräch mit dem Friseur verschweigt sie ihren Beruf aber lieber.

it dem »WM-Vibrator« fing es an. auch eine Frage der Generation«, sagt MAls Simone Kalz in einem Radio- sie. »Meiner Mutter fällt es noch immer EIN BOMBENSICHERER JOB gewinnspiel wenige Wochen vor Beginn schwer, sich an meinen Job zu gewöhnen. der Fußball-WM davon hörte, wurde sie Am Anfang hat sie mich sogar gefragt, Regelmäßig muss Jens Ehrling hinter dicken Stahlbeton: Der Katastrophenschüt- neugierig. Sie machte den Hersteller aus- wie sie ihren Freunden jetzt erzählen soll, zer hält Hamburgs Bunker in Schuss – falls es doch mal zum Atomkrieg kommt. findig, bewarb sich schließlich. Seit No- was ihre Tochter beruflich macht.« Eini- vember letzten Jahres ist sie beim Bremer ge Kollegen verheimlichen ihren Großel- illkommen« steht auf der Fußmat- Unternehmen Fun Factory als Produkt- tern noch immer, wie ihr beruflicher All- Wte, die gleich hinter der Türschwel- managerin für die Auswahl von Vibra- tag aussieht. le liegt. Das Schleusentor, durch das ich toren und Dildos zuständig. Nicht nur deshalb gibt die Firma in ih- gerade gekommen bin, soll Druckwel- Zuvor hatte die studierte Produkt- ren Stellenanzeigen weder Firmenna- len standhalten und Schutz vor radioak- designerin für eine Firma gearbeitet, die men noch Produktpalette preis: »Es gibt tiver Strahlung bieten. Ich stehe in einem Kinderspielzeug aus Holz herstellt. Jahre- immer wieder Designer und Ingenieure, Bunker. Der Regen von draußen ist nicht lang pendelte sie zwischen China und die abspringen, sobald sie Einzelheiten mehr zu hören. Deutschland hin und her – bis sie die Kin- erfahren. Vor allem wollen wir aber ver- Begleitet werde ich von Jens Ehrling; er derspielzeuge gegen Sextoys eintauschte. meiden, dass sich Hobbybastler oder ver- ist im Bezirksamt Hamburg-Nord für Be- Hatte sie nicht anfangs Bedenken, sich meintliche Erfinder bei uns bewerben.« völkerungsschutz und Katastrophenhil- für den neuen Job zu bewerben? Simo- Beim Friseurbesuch hat Simone ih- fe zuständig – dazu gehört auch die In- ne fängt an zu erzählen: Doch, zuerst ren Beruf neulich auch lieber verschwie- standhaltung der Hamburger Bunker. habe sie lange hin und her überlegt. Und gen: »Ich hatte einfach keine Lust auf die »Momentan liegt die Vorlaufzeit für wenn sie ihre Entscheidung gegenüber ganzen Fragen, die dann kommen. Viele eine internationale Krise bei sechs Mo- Freunden rechtfertigte, hatte sie häufig Leute hören gar nicht weiter zu, sondern naten«, erzählt Ehrling. So lange dauert

Zweifel. Auch ihren Eltern gegenüber tat lassen beim Stichwort ›Sextoys‹ sofort ih- es, die Bunker in seinem Bezirk einsatz- BLÖCHER REBECCA FOTO: sie sich zunächst schwer: »Das ist schon rer Phantasie freien Lauf.« Andere seien bereit zu machen. Insgesamt stehen in Jens Ehrling im Bunker am Poßmoorweg

10 INJEKTION SCHATTEN 11 Hamburg-Nord 9.000 Plätze in Bunkern geteilt ist, erinnern an Kriegsfilme. Nur Wasserrohre neu verlegen lassen: Das In der Enge des Bunkers besteht erhöhte zur Verfügung; in den Bunker am Poß- die aktuellen Gelben Seiten weisen da- Wasser stand zu lange in den Leitungen Selbstmordgefahr; deshalb dürfen die moorweg, in dem ich gerade stehe, pas- rauf hin, dass wir uns im Jahr 2007 befin- und drohte zu verkeimen. Jetzt lässt er die Menschen in keinem Raum alleine sein. sen 1.684 Menschen. Der Bezirk Ham- den. Rohre wöchentlich durchspülen. »Wir ha- Selbst vor den insgesamt nur vier Toilet- burg-Nord hat rund 250.000 Einwohner 14 Tage lang soll der Bunker den Insas- ben außerdem einen eigenen Brunnen in ten gibt es keine Türen, nur Vorhänge. – in Sicherheit bringen können sich nur sen Schutz bieten; danach soll sich der 150 Metern Tiefe«, erzählt Ehrling. »Da- Keiner der Spiegel ist aus Glas. die Schnellsten. radioaktive Fall-out theoretisch soweit mit sind wir unabhängig von draußen.« Jens Ehrling prüft, ob Funkanlage und Die Schleusenanlage zählt, wie viele verringert haben, dass die Menschen den Wir kommen an einem Krankenzimmer Stromgenerator funktionieren. Dann Menschen sich in den Bunker flüchten. Bunker verlassen und in eine andere Re- und dem »Entseuchungsraum« vorbei. Es schaltet er das Licht aus; Leuchtstreifen Ist die vorgeschriebene Höchstzahl er- gion gebracht werden können. ist schwer vorstellbar, welches Gedrän- weisen uns den Weg durchs Dunkel. »Die reicht, schließen die schweren Türen au- Nahrungsmittel lagern hier nicht; die ge im Ernstfall in diesen engen Gängen Außenwände sind aus 1,20 Meter dickem tomatisch. Wer zu spät kommt, findet vor letzten Konserven wurden in den siebzi- herrschen würde. Nur für ein Drittel der Stahlbeton«, weiß Ehrling. »Direktem Be- der geschlossenen Tür immerhin eine ger Jahren entsorgt – da waren sie schon Schutzsuchenden gibt es Sitzplätze; ein schuss würden sie aber nicht standhalten.« Klingel, um sich bemerkbar zu machen: längst nicht mehr haltbar. Im Notfall Schaumstoffpolster in Kopfhöhe soll Er- Eine Atombombe, die näher als in Har- in dieser Umgebung eine skurrile Requi- müsste Ehrling neue Vorräte beschaf- schütterungen abdämpfen. »Der Bunker- burg einschlägt, würde die Wände eben- site der Normalität. fen; im Moment fehlt dazu das Geld. Für Alltag wäre in einen Acht-Stunden-Takt falls bersten lassen. Der Katastrophen- Der Bunker wurde 1943 fertig gestellt; die elf Bunkeranlagen in Hamburg-Nord eingeteilt«, berichtet Ehrling: »Acht Stun- schützer freut sich, wenn Hamburgs Bun- seitdem hat sich nur wenig verändert. Die standen letztes Jahr 18.000 Euro zur Ver- den wird gesessen, acht gestanden, acht ker in Friedenszeiten genutzt werden Einrichtung ist spartanisch und grau; die fügung. »Das reicht gerade mal für die geschlafen.« Vorausgesetzt, man kann können – wie der Bunker am Steintor- alten Telefone und die Landkarten, auf Wasser- und Stromrechnungen«, ärgert schlafen: Die Lüftungsanlage ist so laut damm als Notunterkunft während der denen Deutschland in Planquadrate ein- sich Ehrling. Vor kurzem musste er die wie ein vorbeifahrender Lastwagen. Fußballweltmeisterschaft. TEXT ANNIKA DEMGEN

MAKE-UP FÜR EINE LEICHE

Damit die Angehörigen am offenen Sarg von einem Verstorbenen Abschied neh- men können, ist Holger Langer gefragt: Er bereitet die Toten für die Trauerfeier vor. ANZEIGE Zu Besuch bei Hamburgs einzigem praktizierenden Thanatologen.

ie Verwesung beginnt im Blinddarm: als Einbalsamieren bezeichnen.« Mit den DSelbst nach dem Tod des Menschen Praktiken der alten Ägypter hat das aber arbeiten die Kolibakterien weiter, wan- nichts zu tun: »Die Methoden sind an- dern durch den Darm in Richtung Magen, ders«, erklärt er. »Außerdem werden im dann durch die Speiseröhre. Langsam ver- Gegensatz zu damals auch keine Organe dauen sie den Körper von innen. Fäulnis- aus dem Körper entfernt.« Beim Groß- gase breiten sich aus; der Leichnam bläht hamburger Bestattungsinstitut (GBI) ist auf, verfärbt sich, die Augen fallen ein. Langer dafür zuständig, die Verstorbenen Vor keinem Organ machen die Bakterien vorzubereiten – weil die Verwandten am Halt; sie zersetzen das Gewebe so lan- offenen Sarg Abschied nehmen wollen, ge, bis es sich verflüssigt. Holger Langer weil bis zur Trauerfeier mehrere Wochen will sie stoppen: Er ist praktischer Thana- vergehen oder weil die Leiche ins Aus- tologe, »meine Arbeit könnte man auch land überführt werden muss. »Dann ist

SCHATTEN 13 die thanatologische Behandlung ohnehin Formaldehyd tötet die am Zersetzungs- Vorschrift«, sagt Langer. Ursprünglich ko- prozess beteiligten Bakterien größtenteils ordinierte er nur die Einsätze der Leichen- ab«, sagt er; dadurch wird die Verwesung wagen. In dieser Position, so hoffte er, zumindest kurzfristig aufgehalten. würde ihm die unangenehme Arbeit, der »Der Verstorbene soll aussehen, als ob Kontakt mit den Toten, erspart bleiben. . er schläft«, beschreibt Langer das Ziel sei- Doch dann kam der Tag, an dem so ner Arbeit. »Das ist das letzte Bild, das die viel zu tun war, dass Langer selbst mit Angehörigen sehen. Dieses Bild bleibt in anpacken musste. Die erste Leiche, die Erinnerung.« Deshalb ist dem Formal- er anhob, war ein Mann, der sich in sei- dehydkonzentrat ein Farbstoff beige- nem Gartenhaus erschossen hatte. Lan- mischt, der die natürliche Hautfarbe wie- ANZEIGE ger nahm die Füße. »Das war gar nicht so der herstellt. Häufig sind auch kosme- schlimm wie erwartet.« Beim nächsten tische Fähigkeiten gefragt, um den Einsatz nahm er die Hand, beim über- Verstorbenen natürlich aussehen zu nächsten den Kopf. Vor drei Jahren ließ er lassen. »Man braucht eine spezielle Grun- sich dann zum Thanatologen ausbilden. dierung«, sagt Langer. »Normales Make- »Der Hauptvorgang der Behandlung ist up hält nur auf warmer Haut.« Die Semi- der Flüssigkeitsaustausch«, erklärt Lan- nare, in denen man das lernt, tragen Titel ger. Das Blut des Verstorbenen wird durch wie »Perfect Finishing«. ein Formaldehydkonzentrat ersetzt, das Langers Arbeit ist nicht ganz ohne Ri- in eine möglichst große Arterie injiziert siko: Infektionskrankheiten wie Tuberko- und dann durch den Körper gepumpt lose und Hepatitis C sind auch nach dem wird. Die Flüssigkeit schiebt das Blut im Tod des Betroffenen noch eine Zeit lang Körper vor sich her; schließlich sammelt ansteckend. Deshalb behandelt Langer es sich in der rechten Herzkammer. Von grundsätzlich keine Erkrankten. »Natür- dort aus kann Langer es absaugen. »Das lich gibt es Fälle, bei denen erst hinter- her ans Licht kommt, dass diese Person eine ansteckende Krankheit hatte«, sagt er. »Ich versuche daher, möglichst wenig Körperkontakt zu haben und den Toten nicht zu bewegen – denn dabei kann in- fektiöse Luft aus der Lunge austreten.« Bereits obduzierte Leichen behandelt er nur ungern: Jedes Organ muss in die- sem Fall einzeln mit Formaldehyd be- handelt werden, weil die Arterien bereits durchtrennt wurden. Für einen Toten braucht Langer dann bis zu drei Stunden. Ansonsten mag er seinen Job aber, weil es ihm wichtig ist, dass Angehörige in Wür- de Abschied nehmen können. Dass er seinen eigenen Schwiegervater auch auf

FOTO: ANNA MUTTER FOTO: diese Weise behandelt hat, versteht sich Thanatologe Holger Langer bei der Arbeit da von selbst. TEXT ANNIKA DEMGEN

14 INJEKTION Oda Jaune ist eine etablierte Künstlerin. Von den Medien wird sie allerdings meist nur als die »schöne Ehefrau« des Malers und Bildhauers Jörg Immendorff wahrgenommen, der vor einigen Jahren wegen einer Kokain-Affäre Schlag- zeilen machte. Doch Jaune hat Wege gefunden, sich aus dem Schatten ihres Mannes zu lösen. Ihre Einstellung: Was Medien schaffen, ist vergänglich – Kunst bleibt ewig.

INTERVIEW SILVIA MÜLLER & KATHARINA KLOFAT Sie haben die Konfrontation bewusst ge- sucht? Bei einer Polizei-Razzia im August 2003 Ich wollte nicht, dass mir ein Stück Reali- wurde Ihr Ehemann, der berühmte Ma- tät entgeht. ler Jörg Immendorff, mit elf Prostitu- War das auch der Grund, warum Sie nur ierten und mehreren Gramm Kokain in wenige Tage später mit dem Stern ge- einem Düsseldorfer Hotel erwischt. Ha- sprochen haben? ben Sie die Berichte über den Skandal Eigentlich hatte ich damals geplant, gelesen? überhaupt nichts zu sagen. Aber eini- Oda Jaune: Mir war sehr wichtig, von An- ge Tage zuvor hatte die Bild geschrieben: fang an alles zu lesen, was darüber in der »Freunde des Ehepaars versichern: Sie hat Presse geschrieben wurde. Mein Mann ihm die Wohnungsschlüssel auf den Tisch hatte mich gebeten, es nicht zu tun. Er gelegt und ist gegangen.« Also wollte ich hat versucht, mich zu schützen. Ich woll- ein Zeichen setzen, indem ich auf dem te es trotzdem, wollte es bewusst erleben. Foto, das zu dem Artikel gemacht wurde, Damals haben mir Freunde die Zeitungen neben meinem Mann sitze. Die Journalis- besorgt, weil ich ein paar Tage lang das ten haben mir dann sehr viele Fragen ge- Haus nicht verlassen habe. Ich habe die stellt, auf die ich nicht geantwortet habe. Zeitungen auf einem Tisch ausgebreitet Nicht, weil ich daran gedacht habe, was und Seite für Seite gelesen. Und habe sie meine Antworten auslösen würden, son- dann dort liegen lassen. Nach einer Weile dern weil ich es nicht richtig fand, dass sie haben sie mich nicht mehr interessiert. überhaupt gestellt wurden. Weil die Pres-

Oda Jaune: Ohne Titel, Öl auf Leinwand Foto Oda Jaune: Jan Bauer 17 »Der Mensch, den ich mit so einer Stärke geliebt habe, hat mir wehgetan – und das wurde öffentlich. In dieser Zeit wurde vieles kaputt gemacht, das mir heilig war.«

se meiner Meinung nach nicht das Recht meines Mannes genutzt, diese bis da- glücklich zu machen. Ich versuche, mir hat, solche Fragen zu stellen. Und dann hin relativ unbekannte Krankheit ins öf- die Journalisten vorzustellen, die hinter habe ich nur gesagt, dass ich zu meinem fentliche Bewusstsein zu rücken. Durch den einzelnen Artikeln stehen – als Indi- Mann stehe und ihn nicht verlassen wer- die Initiative stehen der Charité in Berlin viduen mit eigenen Gedanken und Erfah- de, mehr nicht. Außerdem fand ich es finanzielle Mittel zur Verfügung, um ALS rungen. So kann ich jeden Artikel für sich sehr unangenehm, wie mein Mann an- genauer zu erforschen. betrachten. So, wie auch jedes meiner gegriffen wurde und mit welchen Mitteln Nach dem Skandal schrieb die Boule- Bilder für sich spricht und dem Betrach- die Presse gearbeitet hat. Es war mir sehr vardpresse unter anderem: »Schöne ter eine andere Botschaft mit auf den Weg wichtig, klar zu stellen, dass ich zu ihm Ehefrau flieht vor Sex-Professor« und gibt. Selbstverständlich merke ich mir, ob halte. »Guckte seine schöne Frau bei den Or- das ein guter oder ein schlechter Artikel Sie hätten auch eine Pressemitteilung gien zu?« Haben Sie diesen Blättern ver- war. Aber wenn ich an die Medien denke, Oda Jaune wird als Michaela Danovs- herausgeben können. ziehen? überwiegt das Gefühl der Vergänglichkeit. ka 1979 in Sofia, Bulgarien, geboren. Als Lieber spreche ich selbst. Weil ich die Ehe- Es geht nicht darum, diesen Blättern zu Wissen Sie, ich kaufe mir Zeitungen und jüngstes von drei Kindern verbringt sie frau von Jörg Immendorff bin, bin ich so- verzeihen. Wissen Sie, Leben ist Geben lasse sie ganz bewusst in meinem Atelier ihre Kindheit zwischen Sofia, New York wieso in der Öffentlichkeit. Das kann ich und Nehmen. In dieser Zeit wurde mir liegen. Dann sehe ich, wie sie langsam und Heidelberg. Mit 18 Jahren zieht sie gar nicht vermeiden. Wir könnten uns zu- sehr viel genommen: Der Mensch, der ausbleichen und vergilben. Sie werden nach Düsseldorf, um bei Jörg Immendorff rückziehen, aber statt uns zu verstecken, mir am nächsten stand, den ich mit so ei- wertlos. Erst dann werfe ich sie weg. An- an der Kunstakademie Malerei zu studie- verhalten wir uns sehr offensiv. Auch bei ner Stärke geliebt habe, hat mir wehge- ders als meine Bilder: Deren Farben blei- ren. Sie wird seine Meisterschülerin und etwas so Schwierigem wie der Krankheit tan und das wurde öffentlich. In dieser ben bestehen. im Juli 2000 seine Ehefrau. Ein Jahr später meines Mannes. Wir haben seine ALS-Er- Zeit wurde vieles, was mir heilig war, ka- Und wie war das, als Bild Ihnen mit der wird Tochter Ida geboren. Als Immendorff krankung (Amyotrophe Lateralsklerose, putt gemacht. Die Art, wie die Presse da- Schlagzeile »Skandal-Künstler Immen- 2003 mit Kokain und Prostituierten er- eine chronische Erkrankung des zentra- mit umgegangen ist, war so gewaltig und dorff und seine schöne Oda: Jetzt malt wischt wird, stürzen sich die Boulevardme- len Nervensystems, die zur Verkümme- hässlich, so respektlos – die Journalisten seine Ehefrau nackte Orgien-Mädchen« dien auf Jaune. Ihre erste Einzelausstellung rung der Muskulatur führt) so lange ge- haben vor nichts Halt gemacht, haben al- unterstellte, Sie verarbeiteten in Ihren hat sie 2004 in der Kunsthalle Koblenz. Die heim gehalten, wie es ging. Aber dann les mit Füßen getreten. Es geht nicht ums Bildern die Affären Ihres Mannes? Öffentlichkeit nimmt ihre düstere, figura- wurde es so offensichtlich, dass Ihre lie- Verzeihen, es geht um den Zeitgeist. Dem Das ist ein schönes Beispiel. Ich hatte tive Öl-Malerei positiv auf. 2006 präsentiert ben Kollegen angefangen haben zu spe- Zeitgeist kann ich nicht verzeihen, weil veranlasst, dass die Bild nicht zu meiner Jaune ihre Bilder in der Galerie Davide Di kulieren, welche Krankheit er wohl haben ich mich als Künstlerin mit dem Zeit- Ausstellungseröffnung in Koblenz kom- Maggio in Berlin. Eine weitere Ausstellung könnte. Also mussten wir an die Öffent- geist auseinandersetzen muss, sonst hät- men durfte. Daraufhin haben sich die wird im Frühjahr 2007 in Mailand zu sehen lichkeit gehen. Wir haben dann die Im- te ich versagt. Die Presse hat die Wahl: Sie Bild-Journalisten einen Katalog besorgt sein. Jaune lebt mit Mann und Kind in Düs- mendorff-Initiative zur Erforschung kann den Zeitgeist verändern oder sich und am nächsten Tag eines meiner Werke seldorf. FOTO: MICHAEL DANNENMANN der ALS gegründet und die Bekanntheit ihm anpassen, um möglichst viele Leser abgebildet und geschrieben, es stelle

18 INJEKTION SCHATTEN 19 eine der Prostituierten dar. Kurz darauf habe zu Diekmann gesagt: »Hätten Sie mein Gesicht bekannt, ich war die »junge, heiratet, lebe mit ihm und male meine hat mich ein Journalist von der Welt am vor drei Jahren gedacht, dass wir beide schöne Bulgarin«. Nicht mal mein Alter Bilder. Aber dieses Bild der Ehefrau Im- Sonntag auf den Artikel angesprochen – hier heute zusammen sitzen und eine Bi- war bekannt, zu unserer Hochzeit wur- mendorff, das die Medien geschaffen ha- ich wusste gar nicht, worum es ging und bel in der Hand halten?« de geschrieben, ich sei 29. Und auch jetzt ben, das ist wahnsinnig stark. So stark, war sprachlos: Wie kann man nur auf die- Was hat Kai Diekmann geantwortet? werde ich nicht mit Jörg verglichen. Wenn das ich als Künstlerin unheimlich gut sein sen Gedanken kommen? Er hat gelächelt. ich mir überlege, was er geschaffen hat, muss. Und die Bilder müssen wirklich gut Wie können Sie nach einem solchen Ar- Wie fühlen Sie sich heute, wenn Sie an als ich gerade ein Jahr alt war – man kann sein, falls sie es schaffen sollen, die schö- tikel noch mit Bild sprechen? den Skandal denken? uns nicht vergleichen. Ich denke deshalb ne Ehefrau zu überwinden. Ich habe danach zwei Jahre lang nicht Ich fühle mich befreit von der Vergangen- auch, den meisten ist klar, dass ich eine Ist das Ihre große Hoffnung? mit Bild gesprochen. Im März 2006 habe heit. Ich sehe das Ganze als erledigt an. junge Künstlerin bin, die am Anfang ihres Ich weiß, dass es so kommen wird (lä- ich dann ein Interview gegeben, weil ich Sie haben Jörg Immendorff geheiratet, Wegs steht und noch viel vor sich hat. chelt). auf diese Weise viele meiner Werke in als Sie 20 waren. Seitdem werden Sie von Haben Sie keine Angst, dass die Ehefrau Sie präsentieren sich halb nackt in der dem Blatt zeigen konnte. Wissen Sie, die der Öffentlichkeit vor allem als Ehefrau die Künstlerin erdrückt? Zeitschrift Park Avenue, zeigen Bild-Le- Bild hätte so oder so etwas über mich ge- von Jörg Immendorff gesehen. Stört es Ich bin beides: Ehefrau und Künstlerin. sern Ihre Kunstwerke, sprechen mit der bracht, und dann möchte ich doch lieber eine junge Künstlerin nicht, im Schat- Wenn ich die Stunden zähle, mehr Künst- Bunten über Ihre Ehe – welches Bild will mit meiner Arbeit dort erscheinen. Des- ten eines Künstlers zu stehen, der seit lerin. Und wenn ich mich mit meinem Oda Jaune über die Medien vermitteln? halb habe ich mich dafür entschieden. gut 40 Jahren die deutsche Kunstszene Mann unterhalte, könnte ich nicht sa- Ich glaube, ich will durch meine Auftritte Später am selben Tag haben mein Mann bewegt? gen, wann wir uns als Künstler sehen und in den Medien nichts über mich vermit- und ich zusammen mit dem Bild-Chefre- Also, anfangs wurden unsere Werke gar wann wir Eheleute sind. Es ist nicht mög- teln oder ausdrücken. Ich nutze die Me- dakteur Kai Diekmann bei uns zu Hause nicht verglichen, weil niemand mei- lich, das zu trennen. Das war auch nicht dien als Multiplikator für meine Arbei- die »Immendorff-Bibel« vorgestellt. Ich ne Arbeiten gekannt hat. Zuerst war nur mein Ziel. Ich bin mit diesem Mann ver- ten. Ich würde auch mit der Bäckerblume

ANZEIGE ANZEIGE »Mein Mann hat den Satz geprägt: Die Kunst muss uns zur Kartoffel werden. Das finde ich gut.«

sprechen. Meine Kunst hat keine Berüh- den Medien falsch gewesen ist. Ich weiß rungsängste, sie selektiert nicht. Mir sind nicht was, es ist schwierig herauszufin- alle Menschen wichtig. Mein Mann hat den, wo und wann man die Fehler ge- einen sehr schönen Satz geprägt: »Die macht hat. Aber es hat mich zum Nach- Kunst muss uns zur Kartoffel werden.« denken gebracht, darüber, dass man sich Das finde ich gut. nicht wehren kann, dass so etwas mög- Die meisten Künstler sprechen nicht mit lich ist. Und dann erschienen die Bilder Boulevardmedien. am nächsten Tag. Das waren sehr häss- Was die meisten machen, interessiert liche Bilder. Ich fand sie respektlos. mich nicht. Warum sagen Ihr Mann und Sie nicht: Stört es Sie nicht, dass Sie in den meis- Wir halten uns so weit wie möglich zu- ten Artikeln wesentlich größer abgebil- rück, weil je mehr wir uns zeigen oder det werden als Ihre Werke? sagen, um so mehr kann falsch interpre- Wie gesagt: Meine Bilder müssen es ir- tiert, falsch zitiert und geschmacklos fo- gendwann schaffen, mein eigenes Bild tografiert werden? ganz auszuradieren. Allerdings ist auch Das würde mir doch meine Freiheit rau- bei den anerkanntesten Künstlern oft die ben, und das will ich nicht. Ich werde Person größer abgebildet als die Werke, keinen Schritt anders setzen, als ich das das ist nicht nur bei mir so. ohne Presse täte. Oda Jaune: Ohne Titel. Öl auf Leinwand Haben Sie es trotzdem schon mal be- Aber jetzt, da der Skandal hinter Ihnen reut, sich gegenüber den Medien geöff- liegt, könnten Sie sich doch beispiels- net zu haben? weise weigern, Fragen zu Ihrem Ehe- Es gab einen Moment, als es meinem mann zu beantworten. Mann so schlecht ging, dass ich einen Das möchte ich auch beim nächsten die Essenz herausholen und dann weiter mer wieder scheitert. Obwohl ich mehr Krankenwagen rufen musste. Und als der Bunte-Interview tun (lacht). Aber ernst- geben. Und viele Menschen damit errei- Hoffnung habe als der Arzt, dass ich die Krankenwagen gekommen ist, waren da haft: Das habe ich nicht nötig. Gespräche chen, die sich dann darin entdecken und Vergänglichkeit überwinden kann. Weil Kollegen von Ihnen und Fotografen vor mit Journalisten, die sich entwickeln, fin- so Antworten finden. die Bilder länger hier sein werden als ich. unserem Haus. Später wurde mir gesagt, de ich spannend. Trotzdem werden Sie Ist es nicht leichtsinnig, sich den Medien Und wenn die Bilder dadurch, dass ich in die hätten wohl den Funk des Rettungs- niemanden finden, der so wenig über so zu überlassen? den Medien bin, mehr Menschen errei- dienstes abgehört. Von einem wehrlosen sich verrät wie ich. Für mich ist das wie Das mag sein. Im Grunde meines Her- chen, ist es mir das Risiko wert. Menschen, der bewusstlos getragen wird, ein Spiel, das ich genieße. Sie kommen zu zens bin ich eigentlich jemand, der abso- ein Bild zu schießen... Und das, obwohl mir und wollen sich annähern. Sie stellen lut niemandem vertraut. Ich glaube nur Das Interview ist ein für INJEKTION bearbeiteter Vor- mein Mann immer sehr offen mit sei- Fragen, die Sie sonst niemandem auf der an Bilder. An sonst nichts. Weil ich ge- abdruck aus dem Buch »Medienmenschen. Wie man ner Krankheit umgegangen ist, sehr viel Straße stellen würden, nicht der Kassie- merkt habe, wie vergänglich der Rest ist. Wirklichkeit inszeniert« (Hg. Jens Bergmann, Bern- preisgegeben hat. Da dachte ich mir: Hier rerin im Supermarkt. Das finde ich sehr Und genau diese Vergänglichkeit ist es, hard Pörksen; Solibro-Verlag), für das Hamburger wird die Grenze wirklich überschritten. interessant. Das ist beim Malen ähnlich. gegen die ich mit meinen Bildern jeden Journalistikstudenten mehr als 30 Prominente be- Und auch, dass einiges im Umgang mit Im Grunde wollen Sie auch etwas formen, Tag kämpfe. Wie ein Arzt, der auch im- fragten. Wir verlosen drei Exemplare (siehe S. 113)

22 INJEKTION SCHATTEN 23 Schattendasein

Die Sonne, mein Feind Eine seltene Krankheit macht Sonnenlicht zur tödlichen Gefahr 26

Vergesslich, nicht vergessen Ein Hamburger Modellprojekt für Demenzkranke 32

Stefansheim Fotoreportage: Zu Besuch in einem Heim für geistig Behinderte 36

Die Hoffnung stirbt zuletzt Die Alkoholsucht ihres Vaters bestimmt das Leben der 18-jährigen Nina 42

Kenias vergessene Kinder Junge Aidswaisen müssen sich prostituieren, um ihr Überleben zu sichern 48

24 INJEKTION Illustration: Rebecca Blöcher Die Sonne, mein Feind

Eine seltene Krankheit macht SONNENLICHT zur tödlichen Gefahr. Die Betroffenen versuchen trotzdem, ein normales

Leben zu führen. TEXT KATHARINA MOTYL

s ist Juli. In Maisach bei Mün- halb dazu, den Tages- und Nachtrhyth- chen planschen Kleinkinder in mus umzustellen. Doch Merves Familie ESchwimmbecken, daneben räkeln wollte sich diese Belastung nicht antun. sich ihre Mütter auf Sonnenliegen. In der »Das ist doch kein normales Leben«, sagt Eisdiele suchen Mädchen in Bikini-Ober- Merve. Ihr »normales« Leben hat aller- teilen und kurzen Röcken Schutz vor der dings seinen Preis: Ihre Schutzkleidung Hitze. Nur Merve Uluyardimci trägt lange kann sie tagsüber nur in geschlossenen Kleidung, feste Schuhe, einen Kopfschutz Räumen ablegen, deren Fenster abgedun- und Handschuhe. Denn Sonnenstrahlen kelt oder mit UV-Schutzfolie ausgekleidet können für die 21-Jährige tödlich sein. sind – wie in der Wohnung ihrer Eltern. Merve leidet an der Krankheit Xeroderma Pigmentosum, kurz XP. Dennoch muss Merve ständig aufpas- Abgedunkelte Fenster: Nur so braucht Merve, hier mit ihrem Vater, keine Schutzkleidung zu tragen. »XP ist eine sehr seltene, erblich be- sen: Selbst wenn sie Besuchern öffnet,

dingte Hautkrankheit«, erläutert der XP- verschanzt sie sich hinter der Wohnungs- DOMINIK BETZ FOTO: Spezialist Mark Berneburg von der Uni- tür, um dem wenigen Licht aus dem Trep- Merve am Telefon: Trotz ihrer Krankheit hat sie den Kontakt zur Außenwelt nicht verloren versitätsklinik Tübingen. »Sie äußert sich penhaus zu entgehen. Auch ohne Schutz- in einer extremen Lichtempfindlichkeit. kleidung ist die zierliche Frau von der Den Erkrankten fehlen jene Enzyme, die Krankheit gezeichnet. Sie trägt ein Mütz- sind aber immer noch die Reaktionen haben die Leute dann über ihn gelacht.« durch UV-Licht entstandene Schäden chen auf dem Kopf, um die kahlen Stellen der Leute.« Viele lachen über ihren Kopf- Es dauerte lange, bevor sie so selbst- am Erbmaterial reparieren. Daher ist das abzudecken, die durch die zahlreichen schutz und den schulterlangen, beigefar- bewusst mit ihrer Krankheit umgehen Hautkrebsrisiko 1000- bis 2000-mal hö- Operationen entstanden sind. Ihre Arme benen Schleier, der nur ihre Augenpartie konnte. Anfang der Achtziger Jahre kann- her als bei gesunden Menschen.« und ihr Dekolleté sind stark pigmen- frei lässt. Ein durchsichtiger UV-Schutz- ten die Mediziner in Merves Geburtsort, Merves Haut ist so lichtempfindlich, tiert; ihr Gesicht hingegen ist sehr hell: schild bedeckt zudem ihr Gesicht. Einige dem türkischen Mersin, XP noch nicht. dass sie einmal einen Tumor auf der Zun- Die ursprüngliche Gesichtshaut wurde fragen, ob sie Michael Jackson sei. »Das Zum ersten äußerte sich die Erkrankung ge bekam – weil sie im Sommer Eis ge- durch Transplantationen ersetzt. Deut- tut sehr weh«, sagt Merve. Früher trafen bei Merve im Alter von acht Monaten. gessen hatte. Mehr als 100 Operationen lich sind die Narben zu erkennen; Brauen sie solche Kommentare hart; mittlerweile Nach einem Tag am Meer war das klei- hat sie bereits hinter sich. Um Tumore zu und Lider fehlen völlig. Zudem sieht Mer- kontert sie selbstbewusst. »In der S-Bahn ne Mädchen am ganzen Körper puter- verhindern, müssen die XP-Patienten, im ve schlecht, ihre Augen tränen – das UV- fragte mich ein Mann, ob ich Bienenzüch- rot. Die Eltern liefen von Arzt zu Arzt – er- Volksmund oft »Mondscheinkinder« ge- Licht hat auch ihre Netzhaut zerstört. terin sei und lachte«, berichtet sie. »Ich gebnislos. Schließlich wurden sie an eine nannt, jeden Kontakt mit UV-Strahlen »Mein Aussehen ist mir mittlerweile habe entgegnet: ›Ein bisschen Mensch- Klinik in der Hauptstadt Ankara verwie- vermeiden. Früher rieten Mediziner des- egal«, erzählt Merve. »Das Schlimmste lichkeit würde Ihnen nicht schaden.‹ Da sen. Der ärztliche Rat: Sonnenverbot für

26 INJEKTION SCHATTEN 27 »Vor jeder Operation habe ich gebetet, dass ich sterbe. Ich war niedergeschlagen, als ich aus der Narkose aufwachte – ich war ja noch am Leben.«

Merve. Also sorgten die Eltern dafür, dass Auch Zeki Obuz hat XP. Trotzdem schützt sich ihre Tochter immer im Schatten auf- er sich nur mit starker Sonnencreme, hielt. Dennoch hatte das Mädchen jähr- Sonnenbrille und Baseballcap gegen die lich mehrere Tumore, die durch Operati- UV-Strahlen. Warum keine intensiveren onen entfernt werden mussten. Erst im Schutzmaßnahmen? »Meine Haut ist Alter von sechs Jahren wurde bei Merve schon geschädigt, die Tumore würden in einer Londoner Klinik schließlich die trotzdem kommen«, sagt der 29-Jährige. Krankheit XP diagnostiziert – mit der ent- Der sorglose Umgang mit der Krankheit sprechenden Anweisung der Mediziner, erstaunt, musste Zeki doch schon eine

nicht nur Sonnenstrahlen, sondern künf- Krebsmetastase an der Lunge entfernt DOMINIK BETZ FOTOS: tig jegliche UV-Strahlung strikt zu ver- werden. Er gibt zu: »Den Gedanken an Merve und ihr Vater im Wohnzimmer: Tag und Nacht bleiben die Fenster abgedunkelt meiden. Krebs verdränge ich.« Obwohl der in der Türkei geborene Hamburger äußerlich Die Eltern hatten Mühe, ihrem sechs- weniger von der Krankheit gezeichnet installateur Mitte 2003 zum Frührentner. und von Narben zerfurcht. Sie erinnert jährigen Kind verständlich zu machen, ist als Merve, hat XP auch bei ihm Spu- Dabei habe ihn seine Krankheit beim sich: »Ich stand stundenlang vor dem dass es auch bei Hitze den ganzen Körper ren hinterlassen: Teile der Ohren muss- Arbeiten nie eingeschränkt. »Ich wür- Spiegel, um mich zu schminken. Danach vermummen müsse. »Ich habe draußen ten ebenso entfernt werden wie das lin- de gerne wieder arbeiten«, sagt er. Der fand ich mich immer noch hässlich.« Die immer dicke Kleidung und einen Son- ke Augenunterlid. Zeki hat gelernt, seiner 29-Jährige hat sich neue Aufgaben ge- Krankheit nimmt ihr jegliche Motivati- nenschirm getragen, mich aber hartnä- Krankheit mit Gleichmut entgegenzutre- sucht: Über einen Freund kam er An- on. Sie versucht erst gar nicht, sich in der ckig geweigert, mein Gesicht abzudecken. ten: »Ich habe aufgehört, die OPs zu zäh- fang 2005 zu den Jusos. »Die Arbeit dort Schule anzustrengen, deutsch zu lernen, Das wollte ich einfach nicht hinnehmen«, len.« Mit seinem Aussehen hat er kein bringt unglaublichen Spaß«, sagt er. Au- Freunde zu finden. Merve schluckt, be- erzählt die 21-Jährige. Mitte der neun- Problem; auch Pöbeleien weiß er zu igno- ßerdem bezeichnet er sich als Familien- vor sie erzählt: »Vor jeder Operation habe ziger Jahre zieht die Familie nach Mün- rieren. »Meine Freunde akzeptieren mich mensch, wohnt bei den Eltern. Es ist auch ich gebetet, dass ich sterbe. Wenn ich aus chen, um Merve an der dortigen Uniklinik so, wie ich bin«, sagt Zeki. »Das ist das die Familie, auf die seine Kritik an Mer- der Narkose aufwachte, war ich niederge- behandeln zu lassen. »Ich war der tota- Wichtigste.« ve abzielt: »Sie übertreibt mit ihrer Pa- schlagen, denn ich war ja noch am Leben.« le Außenseiter«, erinnert sie sich heu- nik vor Licht«, so Zeki. »Damit macht sie te an diese Zeit. »Ich musste mit XP le- Die wöchentlichen Kontrollunter- ihre Familie und sich psychisch fertig.« Vor sechs Jahren muss Merve bei einer ben, sprach kein Deutsch und hatte keine suchungen am UKE und die regelmä- Tumoroperation am Kinn viel Haut ent- Freunde.« ßigen Fahrten nach Tübingen zum Ex- Was er als »Panik vor Licht« bezeich- nommen werden; eine Hauttransplan- Im Alter von 13 Jahren lernt sie dann perten Berneburg sind Teil des Alltags net, zahlt sich für Merve aus. Nach ih- tation wird erforderlich. Ein Münchner bei einem XP-Camp in New York andere geworden. Zeki kann der Krankheit so- rem Aufenthalt in New York nimmt sie Chirurg schlägt vor, Merves gesamte Ge- erkrankte Jugendliche kennen, die sich gar positive Seiten abgewinnen – der die Schutzmaßnahmen ernst – und muss sichtshaut mit Haut von Körperpartien intensiver schützen und dadurch weni- Schwerbehindertenausweis etwa brin- nun durchschnittlich nur noch einmal zu ersetzen, die in der Vergangenheit we- ger von der Krankheit gezeichnet sind als ge viele Vergünstigungen mit sich. Eines pro Jahr operiert werden. Selbstbewusst- niger UV-Strahlen ausgesetzt waren und sie. »Mir wurde auf einmal klar: Wenn du aber stört ihn gewaltig: Weil er nach Ope- sein und Lebensfreude mögen sich aber daher weniger pigmentiert sind. Im Ab- dich konsequent schützt, geht es dir viel rationen Auszeiten von der Arbeit neh- dennoch zunächst nicht einstellen. Mer- stand von jeweils drei Monaten wird die besser.« men musste, wurde der gelernte Elektro- ves Gesichtshaut ist stark pigmentiert Haut an Kinn und Stirn, dann an den

28 INJEKTION SCHATTEN 29 Im Chatroom weiß niemand von ihrer Krankheit: »Die Leute unterhalten sich nicht nur aus Mitleid mit mir.«

Wangen, schließlich an Nase und Augen- einem halben Jahr kommt der Aachener lidern gegen Haut von Bauchdecke, Bei- Merve in München besuchen. Sie erin- nen und den Unterseiten der Oberarme nert sich: »Ich sagte, wir könnten auch ausgetauscht. Bei der letzten OP geschieht einfach Freunde bleiben, falls er mich ein Kunstfehler: Die Nerven im rechten hässlich findet. Aber Ferhad nahm meine Oberarm werden durchtrennt. Der Arm Hand und sagte: ›Ich denke genauso wie ist bewegungsunfähig, Merve durchleidet früher.‹« Mittlerweile sind die beiden seit fürchterliche Schmerzen. »Meine Mut- drei Jahren zusammen und wollen heira- ter hat mir nachts so lange den Arm ge- ten, sobald der 30-jährige Lagerarbeiter schüttelt, bis er taub war, damit ich ein- in München Arbeit gefunden hat. schlafen konnte,« so die 21-Jährige. Erst Auch Merve sucht – nach einem Aus- nach einem Jahr kehrt schließlich das bildungsplatz zur Werbe- oder Industrie- Gefühl zurück. Anzeige gegen den Chir- kauffrau. Obwohl sie mit guten Ergebnis- urgen hat Merve dennoch nicht erstattet: sen die Mittlere Reife gemacht hat, erhielt »Dieser Mann hat mir ein neues Gesicht sie bislang nur Absagen. Merve fühlt sich geschenkt.« ungerecht behandelt: »Ich habe bei Be- werbungen einen doppelten Nachteil, Merve erkennt, dass sie an ihrer Krank- weil ich Ausländerin bin und XP habe.« heit nichts ändern, wohl aber ihr Le- Dabei müssten lediglich die Fenster in ben verändern kann: Sie lernt fließend ihrem Arbeitsraum mit UV-Schutzfo- Deutsch zu sprechen und schafft in lie bezogen werden – dafür würde die der Schule sogar den qualifizierenden Krankenkasse aufkommen. »In Vorstel- Hauptschulabschluss. Sie besucht eine lungsgesprächen wurde ich oft gefragt: Wirtschaftsschule – und findet dort end- ›Und was ist, wenn wir mal das Fenster lich Freunde. Die meisten Menschen aufmachen wollen?‹«, erzählt Merve. »Die lernt Merve aber über das Internet ken- Arbeitgeber sind unflexibel.« nen. Im Chatroom weiß niemand von ihrer Krankheit. »Die Leute unterhalten Doch sie ist durch solche Rückschläge sich meinetwegen mit mir, nicht aus Mit- nicht zu bremsen: »Ich will die Menschen leid«, sagt sie. »Das hat mir viel Selbstbe- auf die Krankheit aufmerksam machen, wusstsein gegeben.« Online lernt sie auch damit sich die Situation von XP-Kranken einen jungen Mann namens Ferhad ken- in Deutschland verbessert.« In den USA nen. Die beiden chatten täglich, irgend- und Großbritannien seien XP-Patienten wann klärt Merve ihn über ihre Krankheit keine Außenseiter, da die Krankheit be- auf. Er zeigt sich unbeeindruckt. Auf die kannter sei. Ihr größter Wunsch aber: Frage, wie er sich seine Traumfrau vor- »Endlich mit Ferhad zusammenziehen stelle, antwortet er: »So wie du.« Nach und heiraten«, sagt sie und lächelt.

30 INJEKTION mir die 85-Jährige, dass sie dringend nach VERGESSLICH, nicht vergessen Hause müsse, um dort in der Gärtnerei zu helfen. Ihr Zuhause heißt Ronnenberg und liegt bei Hannover. Auch der herbei geeilte Harald Reinhard kann sie nicht von ihrem Entschluss abbringen. Sein Ar- Mehr als 24 Millionen Menschen weltweit sind an DEMENZ gument, es sei doch viel zu heiß für solch einen langen Spaziergang, wird klug ge- erkrankt. Die Betroffenen leiden unter dem mitunter fast kontert: »Gerade bei diesem Wetter brau- chen meine Pflanzen viel Wasser!« Und so vollständigen Verlust ihres Gedächtnisses; viele von ihnen lassen wir sie gehen. »Eine Bewohnerin hat es schon mal bis nach Kiel geschafft«, verbringen ihren Lebensabend in Pflegeheimen. Dass für erzählt Reinhard und ist dabei eher be- lustigt als besorgt. Es gehört zum Selbst- sie ein würdevollerer Weg in das Vergessen möglich ist, verständnis der Wohngemeinschaft, dass die Bewohner jederzeit ein- und ausge- zeigt ein Modellprojekt aus Hamburg. TEXT JAN-MALTE AMBS LARS PETERSEN FOTO: hen können. Ist der Demenzkranke nach Haushälterin, WG-Bewohner: »Wir wollen hier wie einer Stunde nicht wieder zurück, wird in einer kleinen Familie leben.« die Polizei verständigt. Ruth Schulz sitzt schon bald wieder auf dem Sofa im ge- aria Borchert* schaut mich mit Mitte befindet sich eine offene Küche; Demenz ist ein Sammelbegriff für chro- meinsamen Wohnraum. Sie ist einmal Meinem feinen Lächeln an. Ich habe um sie herum zwei Esstische und eine ge- nische Veränderungen des Gehirns, die um das Haus herum gewandert und hat sie gefragt, ob sie Kinder habe. Sie ant- mütliche Sofaecke. In kleinen Gruppen ganz typische Symptome hervorrufen. festgestellt, dass es zu warm ist für einen wortet voller Ernst: »Ich bin jetzt 28 Jahre sitzen die Bewohner an den Tischen, auf Die häufigste Form ist die Demenz vom längeren Spaziergang. alt und will noch keine Kinder haben.« Sie dem Sofa schläft eine Frau im Blümchen- Typ Alzheimer; knapp 60 Prozent aller Be- macht eine Pause, dann ergänzt sie: »Au- kleid mit einer Papierserviette über dem troffenen leiden darunter. Aber auch In- Als sie in die WG aufgenommen wur- ßerdem fehlt mir ja noch der passende Gesicht. In der Küche schält die angestell- farkte, Vergiftungen oder Parkinson kön- den, befanden sich die Bewohner noch Mann.« Den allerdings hat sie schon; te Alltagsbegleiterin Kartoffeln; eine Be- nen zu Demenz führen. Darunter leidet im Anfangsstadium der Erkrankung. Jetzt Kinder ebenso. In Wirklichkeit ist Maria wohnerin hilft ihr dabei. vor allem das Kurzzeitgedächtnis: Cha- lassen sich zwischen ihnen deutliche Un- Borchert bereits 83 Jahre alt. Bei rekord- Harald Reinhard, Leiter des Pflege- rakteristisch ist der Verlust der Fähigkeit, terschiede feststellen: Erna Vogt ist mit 65 verdächtigen 39 Grad Celsius im Sommer heims, betont: »Wir wollen hier wie in ei- neue Informationen zu erlernen oder Jahren die Jüngste, doch ihre Demenz ist 2006 reicht der Schatten ihrer Demenz ner kleinen Familie leben.« Dazu gehört sich an jüngere Gedächtnisinhalte zu er- am weitesten fortgeschritten. Während noch weiter als an normalen Tagen. auch, dass jeden Tag selbst gekocht wird. innern. Hinzu können Probleme bei der des Essens muss sie immer wieder daran Zwei Tage lang bin ich zu Gast in der Die Mitarbeiter gehen mit den Bewoh- Wortfindung oder Lese- und Schreibstö- erinnert werden, die Gabel zum Mund zu WG für Demenzkranke im Max-Herz- nern einkaufen und essen gemeinsam rungen kommen. Im fortgeschrittenen führen. Ganz anders Clara Ramcke: Sie ist Haus des Hamburger Albertinen-Kran- mit ihnen. Außerdem wird die Wäsche in Stadium erkennen Betroffene auch be- 92 Jahre alt und spielt für mich die Frem- kenhauses. In der so genannten »auto- der Wohngemeinschaft gewaschen an- kannte Gegenstände und Personen nicht denführerin. Sie kennt sowohl die Vergan- nomen stationären Wohngemeinschaft« statt in einer zentralen Waschküche. Und mehr. Man spricht aber erst dann von De- genheit ihrer Mitbewohner als auch de- leben insgesamt zwei Männer und acht natürlich tragen die Betreuer auch kei- menz, wenn der Erkrankte Probleme bei ren Marotten. »Mein Arzt meint, er hätte Frauen. Maria Borchert ist eine von ihnen. ne Dienstkleidung. Wie in einer richtigen der Alltagsbewältigung hat. mich wohl ein bisschen zu früh hier ein- Die Unterschiede zu einem normalen WG hat jeder Bewohner sein eigenes Zim- gewiesen«, erklärt sie verschmitzt. Pflegeheim fallen sofort ins Auge: Das mer, meist mit eigenen Möbeln einge- An meinem zweiten Tag kommt mir an Eine Frage drängt sich mir auf: Was gemeinsame Leben spielt sich in einem richtet, in das er sich jederzeit zurückzie- der Haustür Ruth Schulz entgegen. Mit passiert, wenn sich der Zustand eines Be-

großen Gemeinschaftsraum ab. In der hen kann. geändert. wurden aller Bewohner Namen * Die entschlossenem Gesichtsausdruck erklärt wohners verschlechtert? Harald Reinhard

32 INJEKTION SCHATTEN 33 Die Bewohner können jederzeit ein- und ausgehen: »Eine hat es schon mal bis nach Kiel geschafft. «

erklärt: »Im Vertrag ist geregelt, dass wir stimmt, legen alle Bewohner die Texte dem Bewohner kündigen können, wenn beiseite und singen ohne Hilfe weiter. sich der Krankheitszustand ändert.« Da- Auch sonst eher schweigsame Bewohner mit soll zum einen der Charakter der wie Heinz Förster machen jetzt mit. Zum Wohngemeinschaft erhalten werden. Schluss wird Walzer gespielt. Maria Bor- Gleichzeitig dient diese Regelung aber chert tanzt mit einer anderen Bewohne- auch dem Schutz des Erkrankten und sei- rin; Heinz Förster mit der Haushälterin. ner Mitbewohner. »Jeder kann solange in der Wohngruppe bleiben, wie sein Verhal- Das Konzept der WG funktioniert. Ha- ten für ihn und die Gruppe noch tragbar rald Reinhard erläutert, dass die Lebens- ist«, sagt Reinhard. »Doch wir fühlen uns erwartung der Demenzkranken deutlich natürlich weiterhin verantwortlich und höher ist als in herkömmlichen Pflege- bieten eine Betreuungsalternative an.« einrichtungen – und das bei einer besse- Eine groß angelegte Studie aus dem ren Lebensqualität. Doch auch das Leben Jahr 2006 zeigt, dass mehr als 24,3 Mil- in der Wohngemeinschaft kann nicht ver- lionen Menschen weltweit an Demenz hindern, dass die Erkrankten das Endsta- ANZEIGE leiden. Jährlich kommen 4,6 Millionen dium der Demenz erreichen: In der so neue Fälle hinzu – das entspricht einer genannten »finalen Phase« vor ihrem Neuerkrankung alle sieben Sekunden. Tod erkennen die Patienten in der Regel Die Anzahl der Betroffenen wird sich alle ihre Angehörigen nicht wieder, verges- zwanzig Jahre verdoppeln, auf über 81 sen auch ihren eigenen Namen, sind de- Millionen im Jahr 2040. Nicht eingerech- pressiv und neigen nicht selten zu aggres- net ist die Tatsache, dass die Demenz bei sivem Verhalten. Bei den WG-Bewohnern vielen Senioren unerkannt bleibt. ist diese Phase allerdings deutlich kürzer als bei anderen Betroffenen. Es gibt da- »Kennt ihr die Zuckerpuppe aus der her zahlreiche Interessenten für die WG, Bauchtanzgruppe?«, singt Alltagsbeglei- doch bisher ist sie nicht mehr als ein Mo- terin Ines Hauseur mit kräftiger Stimme. dellprojekt. Ob das Konzept auch in grö- Auf dem Schoß hat sie ein Akkordeon; ne- ßerem Stil umgesetzt wird, ist ungewiss. ben ihr steht eine Kiste mit Tamburin, Tri- angel und anderen einfachen Instrumen- Maria Borcherts Mann wohnt in einer ten. Die meisten Bewohner sitzen um sie kleinen Angehörigenwohnung. Dort ist er herum, jeder hat eine dicke Textsamm- in der Nähe seiner Frau und gleichzeitig lung in der Hand. Begeistert schlägt Clara von der anstrengenden Pflege entlastet. Ramcke die Triangel mehr oder weniger Am Abend kommt er vorbei und holt sei- rhythmisch; die meisten anderen singen ne Maria zum Spaziergang ab. Sie erkennt oder summen mit. Mit jedem Lied steigt ihn sofort; fröhlich scherzend verlassen die Stimmung. Als Ines Hauseur »Auf der die beiden das Haus. Vielleicht fühlt sich Reeperbahn nachts um halb eins« an- Maria Borchert jetzt wieder wie mit 28.

34 INJEKTION Stefansheim

Wer an ein Pflegeheim denkt, sieht meistens alte oder behinderte Menschen vor sich. Kaum einer denkt daran, dass viele dieser Menschen einst mitten im Leben standen und erst durch Unfall oder Krankheit zum Pflegefall wurden. Eine Fotoreportage über Menschen, die eben noch Ehemann, Busfahrer oder Lehrer waren und nun auf die Hilfe anderer angewiesen sind. FOTOS MAXIMILIAN WESTPHAL

Die Fotos entstanden im »Stefanshjemmet« (Århus, Dänemark) einen alkoholabhängigen Vater. Sie hat hen. Auch sein Charakter hat sich immer versucht, ihn zu kontrollieren, hat seinen mehr verändert. »Es ist erschreckend, Alkohol weggekippt, überprüft, wie viel wie der Alkohol den Geist eines Men- er wirklich trinkt. Schon lange lebt er von schen zerstört«, stellt Marina fest. Heute der Familie getrennt. In Ninas Kopf ist er redet Nils schlecht über andere, beschul- aber praktisch immer präsent, alles dreht digt Freunde wegen Dingen, die sie nicht sich um ihn. Er hat versucht, vom Alkohol getan oder gesagt haben. »Das hätte er loszukommen. Die Erfolge waren jedoch früher nie gemacht!« Auch die Familie ist zumeist von kurzer Dauer. Immer wieder Lästereien ausgesetzt. Anfangs habe Ma- hat es Rückfälle gegeben. rina das noch gekränkt, mittlerweile habe Ninas Eltern haben sich scheiden las- sie einfach keine Lust mehr, sich darü- sen, als sie und ihre ältere Schwester ber Gedanken zu machen. Doch scho- Mara noch klein waren – auch wegen sei- ckierend sei, dass er Nachbarn und Men- ner Sucht. »Schon während unserer Ehe schen in seiner Umgebung erzähle, dass trank mein Ex-Mann regelmäßig viel Al- seine Töchter sich nie bei ihm blicken kohol«, erzählt Ninas Mutter Marina. lassen würden. »Wenn man bedenkt, was »Wir hatten damals abgemacht, wie viel Nina alles für ihn tut, ist das hart.« er wann trinkt. Damit wollten wir den Al- koholkonsum einschränken.« Die Krank- Über Jahre hinweg suchen die Kinder heit, die ihr Ex-Mann damals schon hatte, einen guten Kontakt zu ihrem Vater, be-

Szenenfoto aus »Gut möglich, dass ich fliegen kann...« (siehe 45) Seite aus »Gut möglich, Szenenfoto war mit solchen Verabredungen »nicht in suchen ihn regelmäßig und freuen sich, den Griff zu bekommen«, weiß Marina Zeit mit ihm zu verbringen. »Jedes zwei- heute. te Wochenende waren wir bei ihm und im Sommer sind wir immer zusammen nach Die Hoffnung stirbt zuletzt Alkoholabhängigkeit führt zu psy- Griechenland gefahren«, blickt Nina zu- chischen, körperlichen und sozialen Pro- rück. Es habe damals Phasen gegeben, blemen. Alkoholkranke können den Kon- in denen Nils trocken war, ergänzt ihre Nina ist 18 und hat einen ALKOHOLABHÄNGIGEN Vater. sum nicht kontrollieren, obwohl sie sich Mutter: »Wir hatten den Eindruck, dass der negativen Folgen bewusst sind. Die er es wirklich schaffen könnte«. Unbe- Schon lange lebt er von der Familie getrennt. In Ninas Kopf körperlichen Konsequenzen: Kurzfris- schwerte Wochenenden oder Urlaube tig führt der Konsum einer großen Men- mit dem Vater sind inzwischen undenk- ist er dennoch immer präsent: Ihr Leben dreht sich um ihn. ge Alkohol zu lebensgefährlichen Vergif- bar geworden. Schuld ist der Alkohol. tungen. Als ihre Töchter etwa acht und zehn Jah- Langfristig führt schon der kontinuier- re alt sind, findet Marina heraus, dass liche Konsum relativ kleiner Mengen zur ihr Ex-Mann trinkt, wenn er seine Kin- TEXT JULIA STANEK zum Essen zu ihm. Mit dem Haushalt, Störung wichtiger Körperfunktionen von der sieht. Sie bekommt mit, dass er mit den Einkäufen kommt er dann zurecht. Leber, Bauchspeicheldrüse und Herz. Es ihnen betrunken Auto fährt. Die Mutter s gibt Phasen, in denen es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, er es nicht mehr gibt fast kein Organ, das nicht geschädigt wird sich bewusst, dass jede Mühe, ihrem EZwar verwaltet sie auch in die- schafft, den Hörer abzunehmen, fährt sie wird. Weitreichende Folgen von Schä- Ex-Mann zu helfen, vergeblich ist. »Ich sen Zeiten sein Geld, gibt ihm alle paar zu ihm, um sich zu vergewissern, dass er digungen des Gehirns sind Psychosen, habe in den vielen Jahren alles versucht, Tage das Bargeld, das er für seinen All- noch am Leben ist. Häufig findet sie ihn schwere Gedächtnisstörungen, Demenz alle Möglichkeiten ausgeschöpft.« Es gab tag braucht. Das haben sie so verabre- dann stark alkoholisiert in seiner Woh- und Persönlichkeitsveränderungen. Die Zeiten, in denen sie sich viel um ihn ge- det. Doch sonst passiert nichts Außer- nung vor, kaum ansprechbar, unfähig, massiven körperlichen Folgeschäden kümmert habe: Sie hat Besorgungen für gewöhnliches. Hin und wieder fährt sie sich zu artikulieren. Nina ist 18 und hat sind auch bei Ninas Vater nicht zu überse- ihn gemacht, seine Post für ihn bearbei-

42 INJEKTION SCHATTEN 43 »Es ist ein Wunder, dass mein Vater überhaupt sehr sie die Situation ihres Vaters belastet. ten sie sich anders und werden unange- Wenn Nina den Verdacht hat, dass ihrem nehm.« Außerdem schmecke ihr Alkohol noch lebt. Er hat wohl gute Schutzengel.« Vater etwas zugestoßen sein könnte, etwa gar nicht und sei auch zu teuer. Zudem weil sie seit Tagen nichts von ihm gehört befürchtet sie, dass sie so etwas wie eine hat, begleitet Marina sie zu ihm. Mit in Tendenz zur Sucht haben könnte, wenn die Wohnung kommt sie allerdings nicht. sie erst damit anfinge. Die Statistik gibt Für den schlimmsten Fall ist sie aber zu- ihr Recht: Kinder von Alkoholkranken mindest in Reichweite. sind einem sechsfach höheren Risiko ausgesetzt, selbst süchtig zu werden. tet, sich zusammen mit ihren Töchtern Ninas Umkreis wird das Thema nicht tot- Dieses ständige Bewusstsein, der dau- Ob alkoholabhängige Menschen den und anderen Verwandten um Therapien geschwiegen – glücklicherweise, wie sie erhafte Gedanke an den bevorstehen- Absprung schaffen, hängt im Wesent- bemüht, ihn zum Entzug motiviert. Sie findet. Ihr seien die Menschen wichtig, den Tod ihres Vaters ist schrecklich für lichen von ihrem Willen ab. Fehlt das ei- hat ihn zu sich eingeladen, ihm hand- die über ihre Sorgen Bescheid wüssten Nina. »Der Alkohol macht seinen Körper gene Bestreben, die Sucht zu bekämpfen, werkliche Aufgaben in ihrem Haus gege- und sie darauf auch ansprechen: »Mei- kaputt«, weiß sie, »eigentlich ist es ein sind Therapieversuche aussichtslos. Des- ben, um ihm sein Selbstwertgefühl wie- ne Lehrerin hat Verständnis dafür, wenn Wunder, dass er überhaupt noch lebt«. sen ist sich Nina bewusst, es ändert je- derzugeben. »Früher war mein Ex-Mann es mir nicht so gut geht, weil mein Vater Dazu kommt, dass ihr Vater oft nachts im doch nichts an ihrer unerbittlichen Hoff- ein künstlerisch begabter Tischler.« Doch wieder eine schlechte Zeit hat. Mit ihrem Rausch die Wohnung verlässt, um sich Al- nung. Was jedoch bewegt sie dazu, all ihre durch die Krankheit kann Nils nicht mehr Engagement hilft sie mir. Sie hört mir zu, kohol zu besorgen. Dann torkelt er be- arbeiten, wird ein Sozialhilfefall. Diverse macht mir Mut und gibt mir Tipps zum trunken über die Straße. »Anscheinend Entzugsversuche bricht er ab; behauptet, Entspannen«. Auch in der Klasse wurde hat er viele gute Schutzengel«, meint sich selber helfen zu können. Eine ty- das Thema bereits offen diskutiert. Erst Nina und lächelt kurz. pische Ausflucht Suchtkranker.» Ich habe war ihr das unangenehm, aber wenn sie irgendwann die Hoffnung aufgegeben, darüber nachdenkt, finde sie es besser, Ob die ständige Sorge um ihren Vater dass mein Ex-Mann ein Leben ohne Alko- als die Krankheit ihres Vaters zu verheim- ihr Leben stark beeinträchtige? Nein, das hol führen würde«, gibt Marina zu. Auch lichen und dann alleine damit dazuste- findet Nina nicht. Eigentlich ist sie nicht ihre ältere Tochter Mara sieht die Lage hen. anders als ihre Klassenkameraden: Sie mittlerweile so: »Wenn er nicht aufhört trifft Freunde, geht shoppen. Früher hat zu trinken, verliert er uns.« Anders sei Dass sich Nina noch immer an die Vor- sie auch viel Tennis gespielt, aber dazu GUT MÖGLICH, DASS ICH FLIEGEN ihm nicht zu helfen, meint sie. Dadurch stellung klammert, sie könne ihren Vater bleibt gerade nicht so viel Zeit – sie macht KANN... Nina hat bei den Treffen zu die- dass sie sich konsequent von ihm abwen- dazu bewegen, abstinent zu werden, be- momentan ihren Führerschein. Außer- sem Text nicht zum ersten Mal über sich det, sobald er zur Flasche greift, lasse der drückt ihre Mutter: »Natürlich möchte dem stehen schon bald die Abiturprü- und die Alkoholabhängigkeit ihres Vaters Kontakt zwischen ihnen nach, bedauert eine Mutter ihre Kinder vor Enttäu- fungen an. Und doch ist da etwas, das in der Öffentlichkeit gesprochen. In dem 28- sie. Nina schafft das nicht: »Ich kann ihn schungen bewahren. Aber wie soll man Nina von Gleichaltrigen unterscheidet: minütigen Kurzfilm »Gut möglich, dass ich nicht im Stich lassen«, entgegnet sie. Im- der eigenen Tochter erklären, sie solle Immer wenn sie einen Moment Pause fliegen kann…« von Hanna Doose (Szenen- mer wenn sie ihren Vater besucht, könne sich nicht mehr um ihren Vater küm- hat, nichts tut, findet sie, sie könne sich foto) ist sie die Hauptdarstellerin. Sie spielt es schließlich das letzte Mal sein. mern?« Obwohl sie vollkommen unter- in diesem Augenblick eigentlich auch um die 16-jährige Nora, Tochter eines alkohol- schiedliche Sichtweisen haben, ist Marina ihren Vater kümmern. »Das macht mir abhängigen Vaters. Zwar ist die Geschichte Es macht ihrer Mutter Sorgen, dass Nina für ihre Tochter da, wenn sie nach einem ständig ein schlechtes Gewissen.« Und Noras nicht identisch mit Ninas Leben und sich ständig verantwortlich fühlt und ein Besuch bei ihrem Vater niedergeschlagen noch etwas anderes hebt sie von jungen Nina handelt nicht genau so wie Nora. Doch schlechtes Gewissen hat, wenn sie sich nach Hause kommt: »Es ist dann, als wür- Leuten in ihrem Alter ab: Nina trinkt kei- teilweise ist die Geschichte angelehnt an einmal nicht bei ihrem Vater meldet. Sie de Nina sich unter einem Panzer verkrie- nen Alkohol. »Das habe ich nicht nötig«, die Beziehung, die zwischen Nina und ihrem hofft für ihre Töchter, dass sie mit dieser chen, unter dem sie verbirgt, wie traurig sagt sie. Sie sei auch nicht gerne mit Men- Vater existiert. Der Film wurde 2006 für den psychischen Belastung fertig werden und sie ist.« Sie hat Verständnis für die Emp- schen zusammen, die trinken: »Wenn Deutschen Kurzfilmpreis nominiert. ermutigt sie, viel darüber zu sprechen. In findungen ihrer Tochter und weiß, wie sich Leute auf Partys betrinken, verhal-

44 INJEKTION SCHATTEN 45 Kraft aufzuwenden, wenn doch so deut- und sieht nach, ob etwas zu essen da ist. lich ist, dass dieser Mensch so weit von ei- Sie hilft ihm beim Wechseln der Kleidung ner Überwindung der Sucht entfernt ist? und bezieht das Bett neu, wenn ihr der Für Nina ist die Antwort so klar: »Er ist Geruch von Urin und Schweiß entgegen- doch mein Vater. Und ich möchte nicht, kommt. Sie stellt die Wäsche an und war- dass er stirbt.« tet, dass er wieder zu sich kommt. Das Poltern der Maschine im Ohr, blickt sie Nina hat in all den Jahren viel über auf den schlafenden Menschen neben die Krankheit ihres Vaters gelernt. Ihr sich. Traurigkeit, Angst, Mitleid im Wech- ist es wichtig zu betonen, dass alkohol- selspiel. Angst, Mitleid, Trauer. abhängige Menschen nicht alle gleich sind: »Mein Vater ist kein aggressiver Typ, wenn er Alkohol trinkt«, meint Nina. »Er wird einfach ruhig, ungesprächig und traurig. Meistens weint er dann.« Oft macht sich Nina Gedanken darüber, wa- rum er die Finger nicht vom Alkohol las- ANZEIGE sen kann. Fragt sie ihn, antwortet er nur, er wisse es nicht. Nina hat sich schon viele Theorien überlegt: Es kämen verschiedene Auslö- HILFE FÜR ANGEHÖRIGE VON ALKO- ser in Betracht, sei es sein sensibles Ge- HOLABHÄNGIGEN 60.000 Kinder in Ham- müt, von Außen kommender Druck, dem burg haben einen alkoholabhängigen El- er nicht standhalten kann oder die Tatsa- ternteil. Sie vereinsamen schnell, weil ihre che, dass seine Eltern früh gestorben sind. Freunde nicht mehr zu ihnen kommen. Sie Vielleicht trinke er auch, um zu verges- verstricken sich in einem Netz aus Lügen, bis sen, dass er trinkt, sinniert Nina. Es stört die Situation zu einem Teufelskreis wird, aus sie, dass alle Alkoholiker in einen Topf ge- dem auszubrechen schwer fällt. worfen werden. »Die Leute haben Vorur- Die Beratungsstelle Such(t)- und Wende- teile und denken, alle Alkoholabhängigen punkt e.V. bietet ein breites Informations- seien schlechte Menschen, die ihre Part- und Beratungsangebot speziell für Ange- ner und Kinder schlagen.« Das Bild der hörige. Wie kann man sich bei Alkoholpro- pöbelnden Säufer im U-Bahnhof domini- blemen im Familienkreis verhalten, um dem ere die öffentliche Meinung. »Doch mein Abhängigen effektiv zu helfen? Wie wird man Vater ist ein guter Mensch und er verdient selbst mit dieser Situation fertig? Für diese es, dass ich mich um ihn kümmere.« Auf- Fragen stehen dort erfahrene Berater zur gegeben hat sie ihn noch nicht, einen Verfügung. Satz wiederholt Nina immer wieder: »Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Such(t)- und Wendepunkt e.V. An der Alster 26, 20099 Hamburg Manchmal findet sie ihn zusammenge- Telefon (040) 280 543 89 sackt auf dem Bett, nach einem Sturz am www.suchtundwendepunkt.de Boden. Dann verarztet sie seine Wunden, Kostenloses Nottelefon: (0800) 280 280 1 beseitigt die Unordnung in der Wohnung

46 INJEKTION Kenias vergessene Kinder

Weil ihre Eltern an den Folgen von AIDS starben, bleibt vie- len Kindern in Kenia nur ein Weg, um Geld zu verdienen und ihr Überleben zu sichern: die Prostititution. Für einen Typische Behausung in einem der Armenviertel: »Wir müssen den Kindern eine Perspektive geben.« Euro verkaufen sie ihre Körper – und tragen dazu bei, dass sich die tödliche Krankheit ausbreitet. TEXT JENNIFER DOMNICK aufmerksam zu. »Zunächst war mein On- Gesichter«, sagt Omwenga. »Sie sind hart, kel der einzige«, berichtet Emily weiter, abgestumpft und voller Verachtung.« »aber inzwischen mache ich es für Geld mit jedem Mann, der will.« An »guten« Tagen verdient Emily etwa drei Euro. Viele Freier bevorzugen junge SCHATTEN. Es heißt, der Sex mit einer Prostituierte: Es heißt, Jungfrauen hät- Zehn Uhr abends in Kayole, einem der Ar- Eltern war sie auf sich alleine gestellt – Jungfrau könne AIDS heilen. ten kein Aids. Viele glauben sogar, der menviertel Nairobis: Das Leben bricht in ohne Geld, Nahrung und Unterkunft. Sex mit einer Jungfrau könne die Immun- Kayole ein wie die Dunkelheit drei Stun- Etwa 1,3 Millionen Menschen sind laut Seit drei Jahren wartet das Mädchen schwächekrankheit heilen. den zuvor. Der Staub der trockenen Stra- UNAIDS, der Aids-Organisation der Ver- jede Nacht in den Pubs der Umgebung Emilys Onkel ist jetzt 60 Jahre alt; ihn ßen brennt in den Lungen. Tom findet einten Nationen, in Kenia bereits mit dem auf »Kundschaft«; manchmal verabredet interessiert ihre Situation überhaupt Emily in einem zwielichtigen Pub in der Virus infiziert; die Menschen haben eine sich Emily auch an anderen Orten mit ih- nicht. Wenn alles seinen gewohnten Gang Nähe der Hauptstraße. Die 15-Jährige zö- Lebenserwartung von 50 Jahren. ren Freiern. Die Schule hat sie seit dem läuft, wird das junge Mädchen bald eben- gert nicht einen Moment, mit dem frem- Tod ihrer Eltern nicht mehr besucht; da- falls den HI-Virus in sich tragen, ihn auf den Mann zu gehen. Für umgerechnet ei- Ihr Onkel holte die damals zwölfjährige mals war sie in der fünften Klasse. »Ich ihre Kinder übertragen – und diese wie- nen Euro will sie ihm ihren Körper geben. Emily aus ihrem Heimatdorf im Hinter- habe weder die Zeit noch das Geld, um in derum auf ihre Partner. Die Kinder dieser Noch weiß sie nicht, dass Tom kein Frei- land in die Hauptstadt Nairobi und ver- die Schule zu gehen, weil ich für mich sel- Familien werden höchstwahrscheinlich er ist. sprach, sie dort zur Schule zu schicken. ber sorgen muss.« zu Vollwaisen: Der Kreislauf schließt sich. »Aber mein Onkel hatte schon in der ers- In Kenia leben nach Schätzungen des ten Nacht Sex mit mir«, erzählt Emily. »Er Mittlerweile stehen dutzende Mädchen LICHT. Kinderhilfswerks UNICEF rund 900.000 sagte, es sei in Ordnung – und weil ich ihn an der Straße: überschminkte Kinderge- »Ich fand diese sexuellen Affären nor- Waisenkinder, deren Eltern an den Fol- respektierte, glaubte ich ihm.« Tom Om- sichter und Kleider, die keinen Platz für mal«, sagt Emily. »Ich habe erst gemerkt, gen einer Aids-Erkrankung starben. Emily wenga, der als Sozialarbeiter einer Hilfs- Phantasien lassen. »Was mich an diesen dass es falsch ist, als meine Nachbarn sich ist eins dieser Kinder. Nach dem Tod ihrer organisation in Kenia tätig ist, hört ihr Kindern am meisten erschreckt, sind ihre anfingen, Sorgen zu machen und als du

48 INJEKTION SCHATTEN 49 daraufhin hergekommen bist.« Tom Om- rufen, das helfen soll, die sexuelle Ausbeu- dern eine neue Chance zu geben, bleibt Tag auf der Straße verbracht oder ist ih- wenga, der ihr gegenüber sitzt, arbeitet tung von Kindern in Kenia zu beenden. die Kinderprostitution ein massives Pro- nen zu ihren häufig nur aus wenigen ehrenamtlich für Childaid, eine der vie- blem. Brettern und Abfällen errichteten Be- len Nichtregierungsorganisationen, die Das größte Problem von Kindern wie hausungen gefolgt. Ein amerikanisches sich in Kenia engagieren. Sie sind häu- Emily ist der Geldmangel: Sie können sich Nach Schätzungen prostituieren Filmteam hat ihn dabei begleitet; im fig die einzigen, die den Menschen vor nach dem Tod ihrer Eltern weder Nahrung sich in Kenia zwischen 10.000 nächsten Jahr soll ein Dokumentarfilm Ort helfen – mit wenig Geld, aber großem noch Unterkunft, geschweige denn den und 30.000 Kindern veröffentlicht werden. »Den Mädchen Einsatz. Schulbesuch leisten. Ohne Bildung oder nur zu erzählen, dass sie mit der Prosti- Berufsausbildung bleibt den Mädchen Nach Schätzungen von Childaid pros- tution aufhören sollen, weil Gott sie sonst Zusammen mit einer kenianischen (und manchmal auch den Jungen) häu- tituieren sich in Kenia zwischen 10.000 bestrafen wird – das sonst übliche Blabla Menschenrechtsorganisation hat Child- fig keine andere Wahl, als sich zu prosti- und 30.000 Kinder. Tom Omwenga hält der Kirchenvertreter –, nützt leider gar aid vor kurzem ein Projekt ins Leben ge- tuieren. Die Helfer versuchen daher, die die Angaben sogar noch für zu niedrig: nichts«, begründet Omwenga seine Ar- Kinder von der Straße zu bekommen. Seit »Angesichts dessen, was ich hier jeden beit. »Die meisten haben einfach keine kurzem unterstützt Childaid auch Heime Tag sehe, sind diese Zahlen ein Under- andere Wahl. Viele von ihnen sind sogar und Schulen anderer Hilfsorganisationen statement.« regelmäßige Kirchgänger. Sie machen es finanziell, um den kenianischen Kindern Seit drei Jahren versucht er deshalb nur für Geld, das ist alles.« Er klingt re- ein sicheres Zuhause zu bieten, in dem nun schon, auf die Situation der verges- signiert und zuckt kurz mit den Schul- sie mit Nahrung versorgt werden und kei- senen Kinder Kenias aufmerksam zu ma- tern. Dann macht er sich wieder auf den ne Angst mehr vor Zuhältern, Vergewalti- chen. Mittlerweile hat er schon viele der Weg, zurück auf die staubigen Straßen gern oder Dieben haben müssen. Mädchen interviewt, hat mit ihnen den Nairobis.

»Zunächst einmal müssen die Kinder beschützt werden, damit sie gar nicht erst in die Lage kommen, sich prostituieren zu müssen«, erklärt Omwenga. »Gleich- zeitig müssen wir auch dafür sorgen, dass sie eine Perspektive haben.« Deshalb ver- KARTE: NORA COENENBERG KARTE: anstaltet seine Hilfsorganisation Work- KENIA ist eines der am stärksten von shops, in denen die Mädchen zum Bei- HIV und Aids betroffenen Länder im süd- spiel die Grundlagen des Friseurberufs lichen Afrika. 1,3 Millionen Menschen, da- erlernen und so ihre Chancen auf einen ANZEIGE von 150.000 Kinder unter 15 Jahren, sind Ausbildungsplatz steigern können. mit dem HI-Virus infiziert. 1,1 Millionen Kin- Außerdem versuchen Omwenga und der haben ein oder beide Elternteile durch seine Kollegen, die Menschen in Kenia zu Aids verloren. Im vergangenen Jahr starben sensibilisieren: Sie sollen lernen, Kindes- 140.000 Kenianer an den Folgen von Aids. missbrauch endlich als Verbrechen wahr- Allein in der Hauptstadt Nairobi sind 17 Pro- zunehmen. Die Mitarbeiter von Childaid zent der Einwohner infiziert. Die Versorgung sprechen mit Nachbarn, mit Schulen und mit lebensverlängernden Medikamenten Verwandten, damit diese sich melden, ist oft nicht möglich: 60 Prozent der Ein- wenn sie einen Verdacht haben. wohner der Drei-Millionen-Metropole leben in Slums und können sich die Behandlung Doch die Helfer wissen: Trotz aller nicht leisten. QUELLEN: UNAIDS, BMZ Hilfsprogramme, die in den vergangenen Jahren initiiert wurden, um den Kin-

50 INJEKTION Schattenorte

Shadowlands Schwerpunkt Schattenkriege 54

Auf dem Dachboden Europas Das estnisch-russische Grenzgebiet zwischen Aufbruch und Stagnation 72

Im Straßengraben der Weltgeschichte Eine Reise in das Schattenreich Myanmar 80

Illustration: Rebecca Blöcher SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

Schwerpunkt Schattenkriege Shadowlands

Stell dir vor, es ist Krieg – und keiner sieht hin: Alltag im globalen Nachrichtengeschäft. Wir haben Journalisten, Medienverantwortliche und Wissenschaftler zum Thema befragt.

Der dänische Fotojournalist Jan Grarup richtet seine Linse auf bekannte und verborgene Krisenherde der Welt. Das Gespräch mit ihm ist der Auftakt zu unserem Schwer- punktthema »Schattenkriege«.

54 RUANDA. FOTO: JAN GRARUP. AUS DEM BUCH »SHADOWLAND« SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

»Ein Bild darf nie zu einfach lesbar sein.«

Der preisgekrönte Fotograf JAN GRARUP über verges- sene Konflikte, die Last der Erinnerung und das Span- nungsfeld von Ästhetik und Kriegsgrauen.

INTERVIEW DOMINIK BETZ / ALLE FOTOS AUS DEM BUCH »SHADOWLAND« VON JAN GRARUP Trauernde in Darfur: »Der Genozid destabilisiert zunehmend die ganze Region.«

Sie sagen, einige Kriege seien »sexy«, doch die Mühe macht, einen Blick hinter Geld kostet. Im Nachrichtengeschäft ist den benachbarten Tschad aus und de- andere nicht. Was macht einen Konflikt den Vorhang zu werfen, findet eine Viel- das etwas anderes: Du hüpfst in ein Flug- stabilisiert zunehmend die ganze Regi- attraktiv? zahl an persönlichen Geschichten, mit zeug, mietest dich irgendwo in ein Luxus- on. Bis jetzt wurde meine Geschichte in Jan Grarup: Die Medien entscheiden denen er sich identifizieren kann. Die hotel ein, gehst zur Front und schwenkst neun Ländern gebracht. darüber, ob ein Konflikt sexy ist. Wenn Medien sollten Denkprozesse anstoßen. einmal übers Schlachtfeld. Das ist alles. Versuchen Sie, bestimmte Konflikte ja, ist der Ablauf stets der gleiche: Etwa Aber das passiert fast nirgendwo. Ich ar- Sehr einfach – aber gefährlich. auf die mediale Agenda zu setzen? drei Monate lang wird sehr viel berich- beite für eine Vielzahl an Publikationen, Was machen Sie anders? Ich konzentriere mich auf jene Kon- tet – dann lässt das Interesse rasch nach. für den Stern, Newsweek oder den Nou- Ich nehme mir Zeit für meine Ge- flikte, die andere Medien vernachlässi- Plötzlich ist der Konflikt keine Schlagzei- velle Observateur. Das Problem ist, dass schichten. Vor wenigen Tagen bin ich gen. Eine der interessantesten und wich- le mehr wert. Ein typisches Beispiel: In die verantwortlichen Redakteure oft nur aus dem Tschad zurückgekehrt, nach tigsten Geschichten ist im Augenblick einer Phase, in der sonst nicht viel zu be- sehr wenig über die betreffenden Regio- 18 Tagen in einer abgelegenen Region. der Genozid in Darfur. Es ist entschei- richten ist, bricht in einem kleinen Land nen wissen. Also lehnen sie Story-Ideen Es war schwierig, überhaupt dort hin- dend, dass wir es nicht genauso versau- plötzlich Krieg aus. Die Medien-Armada ab. Zieht man aber auf eigene Faust los zukommen. Vor Ort war es eine Her- en wie in Ruanda. Ich werde so lange setzt sich daraufhin in Bewegung. Zuerst und zeigt ihnen anschließend die Bilder, ausforderung, Nahrung zu finden. Die meine Geschichten von dort machen, kommen die gro-ßen Fernsehstationen sind sie begeistert. Geschichten von dort sind wirklich er- bis sich der internationale Medien- wie CNN, alle anderen folgen auf dem Sie als etablierter Fotograf können viel- schreckend. Und die Strapazen der Rei- zirkus mit der Geschichte beschäftigt. Fuß. Drei Monate später zieht CNN sei- leicht so arbeiten. Doch was ist mit den se zehren an mir, geistig und körperlich. Dann haue ich ab, temporär, und lasse ne Reporter und Lichtcrews ab – von nun zahlreichen Kollegen, die sich Voraus- Am Ende musste uns die französische die Kollegen ihre Arbeit tun. Vielleicht an wird nicht mehr berichtet. kasse nicht leisten können? Armee evakuieren, in einem Herkules- zieht es mich in dieser Zeit in andere Was könnte die Qualität der Berichter- Das ist in der Tat ein Problem. Magazine Kampfhubschrauber und vier Mirage- vergessene Krisengebiete: Tschetsche- stattung verbessern? und TV-Stationen investieren nicht ge- Fliegern als Eskorte. Diese Arbeit ist alles nien, Sierra Leone oder Angola. Nach Für die Schlagzeilen ist ein Nachrichten- nug in sorgfältige Recherche. Fakt ist,dass andere als glamourös, aber sie ist wich- Darfur werde ich jedoch zurückkehren, journalismus à la CNN okay. Wer sich je- hochwertiger Journalismus viel Zeit und tig. Der Darfur-Konflikt breitet sich in wenn die anderen wieder weg sind. >

56 57 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

»Ich bin frustiert und beschämt, dass ich in einer Gesellschaft lebe, die einfach wegschaut.«

Den Machthabern in der Hauptstadt Hat Ihre Arbeit etwas bewirkt? Khartoum ist das sicher nicht entgan- Schwer zu sagen. Zumindest haben mir gen. Gewährt man Ihnen noch Zutritt viele Menschen mitgeteilt, dass ihnen in den Sudan? meine Arbeit etwas bedeutet. Vielleicht Nein. In den letzten zehn Monaten ist es kann ich nicht das Denken von Tausen- mir nicht gelungen, ein Visum zu erhal- den beeinflussen. Aber selbst, wenn es ten. nur hundert Menschen sind, habe ich Ist überhaupt noch ein Vertreter der etwas bewirkt. Presse vor Ort? Fotojournalismus ist Journalismus, Nein, derzeit nicht. Alle wurden rausge- aber auch Kunst. Reduziert die Ästhetik

schmissen. einer fein justierten Bildkomposition JAN GRARUP Die Berichterstattung wurde also er- nicht die Radikalität eines Moments? Verwundeter in Darfur: »Ich wollte zeigen, dass Krieg kein Hollywood-Film ist – aber die Leute über- folgreich lahm gelegt? Ästhetik ist mir sehr wichtig. Es gab Mo- blättern die unangenehmen Stellen einfach.« Na ja, unsere Reise in den Tschad führ- mente in meinem Leben, in denen ich te uns an die Grenze zum Sudan. Wir sehr frustriert war ob der mangelnden Aber ein Bild darf nie zu einfach lesbar weil ich in einem Land und einer Ge- machten Geschichten über die Flücht- Ausdruckskraft meiner Bilder. Also habe sein – die Betrachter müssen schon den sellschaft lebe, die es fertig bringt, ein- linge aus Darfur, aber auch über Vertrie- ich experimentiert. In einer Phase habe Willen mitbringen, den tatsächlichen In- fach wegzuschauen. Wut, Scham und bene innerhalb des Tschad. Wir haben ich absolute Hardcore-Bilder gemacht: halt des Bildes zu entschlüsseln. Frustration liefern den Treibstoff für dann die Grenze überquert, was illegal Kinder, die halb weggeschossen wa- Ihre Arbeit ist anstrengend, gefährlich weitere Arbeiten. und ziemlich schwierig ist – und sehr ren und ähnliches. Ich wollte den Men- – und das Publikum nur schwer zu be- Ziel Ihrer Fotografie ist es letztlich, Not gefährlich. Selbst ein offizielles Visum schen einfach zeigen, dass Krieg kein eindrucken. Woher nehmen Sie die Mo- leidenden Menschen zu helfen. Wie ist kein Freifahrtschein. Wir Journalisten Hollywood-Film ist, sondern wirklich tivation, stets aufs Neue loszuziehen? stark ist der Impuls, Ihre distanzierte stehen unter permanenter Beobachtung furchtbar und dreckig. Später habe ich Ich habe ganz einfach eine humanisti- Rolle aufzugeben und direkte Hilfe an- der Staatsführung. Aber all das ist keine gemerkt, dass zu aggressive Bilder die sche Weltsicht. In meinen Geschichten zubieten? Ausrede, es nicht wenigstens zu versu- Leute einfach abschrecken; sie überblät- steckt Herzblut und ein großer Teil von Dieser Konflikt ist mein ständiger Be- chen. Eine große Anzahl von Journalis- tern die unangenehmen Stellen einfach. mir selbst. Ich mache das nun bereits gleiter. Ich helfe vor Ort so viel, wie ich ten, die ins Land drängt, kann durchaus Dann habe ich das genaue Gegenteil ge- seit 1989, seit dem Fall Ceauşescus. Aber kann. Wenn wir kranke Kinder sehen, Druck auf die Staatsführung ausüben. macht, nämlich eine sehr ästhetische erst nach dem Genozid in Ruanda hat- fahren wir sie natürlich zum Kranken- Riskieren die Medien zu wenig? Fotografie. Doch es war wohl zu kom- te ich das Gefühl, dass Journalismus tat- haus. Aber ich bin mir auch sehr stark Jede Gesellschaft hat die Medien, die sie pliziert, aus diesen Bildern den jour- sächlich etwas bewirken kann. Seit die- meiner Rolle als Fotograf bewusst. Ich verdient. Die Verantwortung ist also nalistischen Inhalt herauszulesen. Die ser Erkenntnis fühle ich, dass ich eine bin vor Ort, um zu dokumentieren. Was nicht nur bei den Medien zu suchen, Drucke wurden zur Verschönerung des Verpflichtung habe und Verantwortung bedeutet, dass ich in diesen Situationen sondern auch bei der Bevölkerung. Wohnzimmers gekauft, und das war ja trage – gegenüber den Menschen, deren mental sehr stabil sein muss. Natürlich Es gäbe nicht so viel Mist im Fernse- nun wirklich nicht meine Absicht. Heu- Leben ich zeige. Es ist nicht angenehm, verspürt man Mitgefühl mit den Betrof- hen, nicht so viel Schrott am Kiosk, te versuche ich, beide Ansätze zu verei- an diese Orte des Schreckens zu gehen, fenen, oft möchte man sich hinsetzen wenn es nicht die entsprechenden Ab- nen: journalistische Fotografie, die in ei- diese Geschichten zu machen. Aber ich und einfach nur weinen. Aber ein sol- nehmer gäbe. nen ästhetischen Rahmen eingefasst ist. bin wirklich frustriert und beschämt – ches Verhalten würde den Menschen

58 59 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

rein gar nichts bringen. In schwierigen meinte damit, dass man sich vor Ort pro- paar Tage, ja Wochen, um in dieser an- Situationen muss ich mir immer wie- fessionell verhalten muss, auch wenn es deren Welt anzukommen. der aufs Neue klar machen, warum ich einem das Herz bricht. Ihre Frau muss Angst um Sie haben – an diesem Ort bin. Ich bin Fotograf, des- Wie viel menschliches Leid können Sie wie geht sie mit der Situation um? halb fotografiere ich diese Sachen – auch ansehen, bevor es zur Krise kommt? Na ja… sie weiß nicht immer die volle wenn es sehr voyeuristisch erscheint, Das lässt sich nicht messen. Wichtig ist Wahrheit. Ich komme nicht von einer Not leidende Menschen abzulichten. vielmehr, dass ich Freunde wie Stanley gefährlichen Reise zurück und begin- Der amerikanische Fotograf Stanley habe, die in solchen Momenten für mich ne ein Gespräch mit dem Satz: »Hör Greene fotografierte Ende März 2004 in da sind. Die wissen, wie man sich in einer zu, diesmal steckten wir richtig in der Falludscha die geschändeten Leichen solchen Situation fühlt. Es gibt ein Netz- Scheiße, fast hätte es uns erwischt!« Ich mehrerer US-Amerikaner. Später erin- werk unter Fotojournalisten, man hilft würde eher sagen, dass die Situation nerte er sich an diesen Moment: »Als sich gegenseitig. Aber ab und zu macht angespannt war, aber ganz okay. Das ist ich diese toten, verbrannten Körper mich der Job fertig, dann ist es wichtig keine Lüge, sondern ein Umschreiben sah, bin ich zutiefst erschrocken. Spä- eine Pause zu machen, Abstand zu fin- der Wahrheit. Es nützt mir ja nichts, JAN GRARUP, Jahrgang 1968, ist Foto- ter, im Hotel, bin ich dann zusammen- den. Andernfalls könnte es zu ernsthaf- wenn sie sich zu große Sorgen macht. graf der dänischen Zeitung Politiken. Seit gebrochen, und habe zum ersten Mal ten psychischen Problemen kommen. Denken Sie manchmal daran, Ihrer über 16 Jahren dokumentiert er Kriege geweint. Ich wusste, dass ich an diesem Das Erlebte wird Teil der eigenen Per- Familie zuliebe auf die Kriegs- und und Konflikte auf der ganzen Welt –un- Tag etwas verloren hatte, das ich nie sönlichkeit; jetzt, in diesem Augenblick, Krisenfotografie zu verzichten? ter anderem in Sierra Leone, Liberia, Ruan- wieder zurückbekommen würde.« Ha- kann ich mich en detail an Geschichten Nein, ich höre nicht auf. Aber ich habe da, Darfur und im Irak. Grarups Arbeit wur- ben Sie eine vergleichbare Erfahrung erinnern, die ich vor fünfzehn Jahren fo- meine Arbeitsweise angepasst; ich ar- de mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, gemacht? tografiert habe: an bestimmte Gerüche, beite nun in Blöcken. Statt anderthalb darunter vier Mal »World Press Photo of Stanley ist ein sehr guter Freund von die Geräusche, das Gelächter der Portrai- Monaten am Stück reise ich nur noch the Year« in den Kategorien »People in the mir. Wir sind oft zusammen unterwegs tierten. Manchmal erinnern mich ganz für etwa drei Wochen. Dann bleibe ich news« und »Daily life stories.« Zuletzt wur- und reden über diese Dinge. Ja, ich war alltägliche Situationen an einen Auftrag, eine Zeit lang bei meiner Familie, bevor de er für das Foto eines verletzten Mäd- schon oft in Situationen, in denen ich etwa, wenn der Wind auf eine bestimm- ich zurück in die Krisenregion fliege. chens nach dem Erdbeben in Kaschmir schreckliche Dinge gesehen habe. Aber te Art und Weise weht. Die Erinnerungen Hilft Ihre Familie Ihnen dabei, mit mit der Auszeichnung »Unicef-Foto des vor Ort versuche ich, so abgeklärt wie verblassen nicht, sie bleiben sicher ver- psychischen Belastungen besser fertig Jahres« geehrt (siehe Seite 63). Grarup möglich zu agieren. Die Emotionen bre- wahrt in meinem Gedächtnis. Was ganz zu werden? veröffentlicht weltweit unter anderem in chen meist erst zu Hause durch, zeitver- entscheidend ist, weil es mir zeigt, dass Das ist das eine. Das andere ist die Tat- Newsweek, Stern und Sunday Times. Er lebt zögert. Dann realisiere ich, in welcher ich auf die Konflikte noch emotional re- sache, dass ich durch die Geburt mei- mit Frau und drei Kindern im dänischen Situation ich mich da eigentlich befun- agiere. Um guten Fotojournalismus zu ner Kinder ein besserer Fotograf ge- Holbæk. WWW.JANGRARUP.COM den habe. Das setzt mir hart zu. Ich bin machen, muss man einen emotionalen worden bin. Weil ich mich nun leichter mir sicher, dass Stanley unzufrieden mit Zugang zu den Ereignissen haben. mit Familien in Notlagen identifizieren DAS BUCH »SHADOWLAND« wurde seiner emotionalen Reaktion ist. Ein sol- Sie haben Frau und Kinder – eine Sel- kann. Kinder haben mich immer faszi- im vergangenen Jahr in Dänemark ver- ches Ereignis kann den ganzen Auftrag tenheit unter Kriegsfotografen? niert, weil sie diesen ungeheuren Über- öffentlicht und dokumentiert Grarups bes- ruinieren. Das Problem ist doch: Auf der Ja, das ist schon ungewöhnlich. Viele lebenswillen haben. Sie können die te Reportagefotos seit 1989. Die Fotos in einen Seite möchte man sich möglichst haben gescheiterte Ehen hinter sich. schlimmsten Situationen überstehen – diesem Schwerpunkt sind dem Buch ent- professionell verhalten. Aber gar keine Selbstverständlich wirkt sich unser Be- und darüber hinwegkommen. Ich foto- nommen und werden von uns mit freund- Reaktion zu zeigen wäre unmenschlich. ruf auf unser Privatleben aus. Und es ist grafiere fast immer Zivilisten, nur sehr licher Genehmigung von Jan Grarup abge- Der Fotograf Robert Capra sagte ein- sehr schwer, meinen Job zu machen und selten Soldaten. Ich meine, Soldaten druckt. www.shadowland-book.com mal: »Mit Tränen in den Augen lassen anschließend in den Alltag zurückzu- sind Soldaten; die werden fürs Töten sich keine scharfen Fotos schießen.« Er finden. Normalerweise brauche ich ein bezahlt. >

60 61 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

»Einige Kollegen bekommen eine Kriegsneurose: in brenzligen Situationen erstarren sie einfach.«

Wie bereiten Sie sich auf eine Auslands- Haben Sie für diese Fälle stets Bargeld reise vor? bei sich? Es gibt Hunderte Dinge zu beachten. Zu- Manchmal. Viele Menschen lassen sich nächst mal musst du dich genauestens schmieren, doch auch das funktioniert über die Situation vor Ort informieren. nicht immer. Dann muss man seinen Du musst wissen, wo und wie du genau sechsten Sinn benutzen. Zunächst mal hinfährst. Visa und Genehmigungen zum gilt es herauszufinden, wieso man - ver Fotografieren müssen beantragt werden. haftet wurde, wer das Kommando hat Wenn du nicht an alles denkst, werden und wie aggressiv die Stimmung ist. dich die Behörden mit einer technischen In diesen Situationen ist es wichtig,

Kleinigkeit drankriegen – das bedeutet, die notwendige Erfahrung mitzubrin- JAN GRARUP dass du gar nicht erst arbeiten kannst. gen und ruhig zu bleiben. Sobald du Unicef-Foto des Jahres: Die fünfjährige Rahila wurde im Oktober 2005 beim Erdbeben in Kaschmir Daneben ist die Logistik ein Alptraum: überreagierst, sitzt du in der Scheiße. schwer verletzt. Grarup sagt: »Ihr Lächeln zeigt, welche Kraft in Kindern steckt.« Brauche ich einen Schlafsack? Muss ich Ein Beispiel: Ich fahre mit dem Auto auf mein eigenes Essen mitbringen und an einen Checkpoint zu, und die Soldaten von einer hundertprozentigen Überle- an dem Tag, an dem dein Leben ernst- Chlortabletten denken? Das sind ent- richten ihre Waffen auf mich. Sie sind of- benswahrscheinlichkeit ausgehen. Des- haft in Gefahr ist. Kein Kick mehr. Die- scheidende Fragen, denn wenn ich krank fenbar nervös. Es ist nun überlebenswich- halb ist es auch nicht wirklich ein ser Moment war für mich bereits An- werde, verliere ich wertvolle Arbeitstage. tig, ruhig zu bleiben, auszusteigen und Schock, wenn jemand sein Leben ver- fang der neunziger Jahre gekommen. Die sichersten Unterkünfte befinden sich mit den Soldaten zu reden. Wer hier Pa- liert. Aber natürlich löst ein solcher Vor- Ich habe Angst, erkenne die Gefahr, innerhalb von Lagern internationaler nik zeigt, umdreht und wegfährt, ist in Le- fall Trauer aus; die Kollegen fühlen sich in der ich mich befinde, und kann Organisationen; ich komme häufig bei bensgefahr. Ich war in Kriegsgebieten, in schrecklich und spülen ihre Sorgen mit doch weiterarbeiten. Einige Kollegen den Médicines sans Frontières oder dem denen junge Journalisten und Fotografen Alkohol herunter. Letztes Jahr wurden 91 bekommen eine Art Kriegsneurose; in UNHCR unter. Es ist gefährlich, als umkamen, weil sie sich dumm verhalten Journalisten getötet, die meisten davon brenzligen Situationen funktionieren reicher Weißer zu reisen, mit Geld und haben. Weil sie schlicht zu unerfahren im Irak. Zwei davon kannte ich sehr gut. sie nicht mehr richtig, erstarren einfach. wertvoller Kamera-Ausrüstung. Diebe waren. Einige gute Freunde sind umge- Ein italienischer Fotograf, mit dem ich Ich jedoch kanalisiere meine Angst in und Banditen sind allgegenwärtig. kommen. mich gerade im Tschad getroffen habe, meine Arbeit. Wenn du dir über dei- Wurden Sie schon einmal bedroht oder Wie beeinflusst so etwas Ihre Arbeit? wäre beinahe die Nummer 92 geworden. ne Ängste im Klaren bist, kannst du eingesperrt? Wir Kriegsfotografen denken realistisch. In Afghanistan schoss ihm ein Taliban die Angst der Menschen besser verste- In unserem Gewerbe gehören Repressa- Wir wissen, dass wir uns nicht in einer ro- mit der Kalaschnikow in den Bauch – er hen, die du fotografierst. Außerdem bin lien zum Alltag. Ich wurde schon oft ver- mantischen Kriegsfilmkulisse bewegen. überlebte, dank kugelsicherer Weste. ich mittlerweile sehr erfahren und ma- haftet, konnte mich aber stets rasch he- Bis zu einem gewissen Grad kannst du Suchen Sie nicht auch nach dem Aben- che keinen Unsinn mehr. Na ja… nicht rauswinden. Früher oder später betritt dich schützen, aber in vielen Situationen teuer, dem Rausch der Gefahr? mehr so oft. Ich konzentriere mich auf man einfach eine Sperrzone oder macht hängt dein Leben von höherer Gewalt ab. Als ich jung war, suchte ich manchmal meine Geschichten. Wer konzentriert etwas falsch und wird dabei erwischt. Du bist etwa unterwegs und ein Hecken- den Kick. Du kannst dich in einer Stadt ist, trifft bessere Entscheidungen. Ein Dann lautet die Herausforderung, Film schütze nimmt deinen Wagen ins Visier. aufhalten, die unter Beschuss steht, ohne Kollege brachte es einmal auf den und Kamera nicht aus der Hand zu ge- Manchmal trifft er, manchmal nicht. Du in direkter Gefahr zu sein. Das kann aufre- Punkt: Tote Fotografen machen keine ben und nicht im Knast zu landen. kannst diesen Beruf nicht ausüben und gend sein. Die Abenteuerlust endet aber Bilder.

62 63 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

Die Kriegserklärer

Für uns Europäer ist KRIEG zumeist ein abstrakter Be- griff. Ausgewählte Konflikte werden von den Medien vereinfacht, ästhetisiert und konsumgerecht aufbereitet. Und selbst wenn berichtet wird, bleibt die Wirklichkeit

meist verborgen. TEXT SWENJA KOPP UND LINDA LADDACH JAN GRARUP Mordwerkzeug Machete: Eingesetzt während des Genozids in Ruanda

ehr als 40 Kriege und Konflikte und wieder wird das Material vom glo- aber dennoch nur auf beschwerlichem rige Ausnahme? »Ja, hoffentlich«, sagt Mverzeichnet die Arbeitsstel- balen Medienzirkus verwertet – bis sich Wege zu bekommen, besonders an Or- er. »Aber die Medien hätten das, was le Kriegsursachenforschung (AKUF) keiner mehr davon beeindrucken lässt, ten, an denen man fühlt, dass das eigene dort passierte, niemals verhindern kön- an der Universität Hamburg. Die meis- selbst wenn punktuell einem Reporter Leben in Gefahr gerät. Wenn Flughäfen nen. Es war ja nicht so, dass niemand ten davon in afrikanischen und asia- die Demaskierung der Kriegsgräuel ge- geschlossen und die Grenzen dichtge- wusste, was in Ruanda geschah: Die tischen Ländern. Für viele Menschen lingt. Die Berichterstattung aus Kriegs- macht werden, ist die Zahl der an den Botschafter und Geheimdienste wuss- im Sudan, im Kongo, auf den Philip- regionen in Afrika und Asien findet hin- Grenzen aufgehaltenen Journalisten ten genau Bescheid.« pinen oder in Kolumbien gehört Krieg gegen vor allem in den Meldungsspalten groß«, erzählt Michael Franzke, langjäh- zum Alltag. Die Medien sind dabei: Live der Zeitungen statt. In fünf Zeilen findet riger Afrika-Korrespondent des WDR. esonders in Krisenregionen stellt vor Ort, 24 Stunden am Tag. Die Beob- der Leser spärliche Fakten über aktuelle »Doch plötzlich findet man ein Loch im Bsich die Frage, was Journalis- achtungen der Journalisten füllen Son- Entwicklungen. Hintergrundinformati- Zaun oder einen Piloten, der bereit ist, ten unter den gegebenen Umständen dersendungen und Extraseiten. In der onen: Fehlanzeige. dich und eine Handvoll Kollegen in ein überhaupt leisten können. Oft sind es Informationsgesellschaft des 21. Jahr- Kriegsgebiet zu fliegen.« Während des praktische Gründe, die Recherche und hunderts gibt es keine weißen Flecken riegsberichterstattung hat einen ho- Völkermordes in Ruanda 1994 gelang es Berichterstattung erschweren. Korres- auf der Landkarte. Oder? Khen Stellenwert in den Medien. Bis Franzke jedoch nicht, diesen Piloten zu pondenten leben gefährlich, besonders zu 1.000 Korrespondenten der globa- finden. »Von Nairobi aus kam ich nach in Gebieten mit unklaren Machtstruk- »Es gibt keinen Krieg, über den nicht len Nachrichtenagenturen AP und Reu- mehrtägiger beschwerlicher Autofahrt turen. Reporter werden verhaftet und berichtet wird«, sagt Wolfgang Schrei- ters liefern Material aus allen Teilen der an der Grenze an. Tagelang stand ich vor bedroht, manchmal verletzt und getö- ber, Koordinator der AKUF. »Die Unter- Welt. Wo kein Korrespondent sitzt, kann versperrten Übergängen und bekam kei- tet. Und doch sind Krisenberichterstat- schiede in Qualität und Quantität der häufig auf Informanten zurückgegriffen ne Einreiseerlaubnis. Und das mit dem ter Meister in Flexibilität, Organisation Medienberichterstattung sind allerdings werden, die vor Ort leben und mit den Wissen, dass ein paar Kilometer hinter und Improvisation. Am Anfang steht enorm.« Der Irak-Krieg etwa dominierte Agenturen zusammenarbeiten. »Me- der Grenze Menschen regelrecht abge- das permanente Warten auf ein Visum. wochenlang die Schlagzeilen. Wieder dial verkäufliche Bilder oder Töne sind schlachtet wurden.« Ruanda, eine trau- Sobald das Visum da ist, wird Kon-

64 65 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

»Sollen wir jeden Tag berichten, dass in Darfur weiter gehungert wird? Das will keiner lesen.«

takt zu einem sogenannten »Fixer« auf- sche Medien interessant – ebenso wie genommen. Dabei handelt es sich um Kriege, an denen US-Amerikaner teil- eine Kontaktperson in dem jeweiligen nehmen, UN-Einsätze oder militärische Land, die sich um Fahrer, Übersetzer, Si- Missionen unter Führung der EU. Ein cherheit und mögliche Quellen vor Ort Krieg wird für die Medien spannend, so- kümmert. Ohne diese Helfer im Hinter- bald sie beim Leser oder Zuschauer eine grund wären Journalisten häufig hilflos. psychologische Nähe zu den Ereignissen vermuten. ie Kommunikationswissenschaft Dhat festgestellt, dass Journalisten uch andere Faktoren spielen eine Themen nicht willkürlich auswählen, ARolle: Krisenjournalismus ist ein JAN GRARUP sondern es bestimmte inhaltliche Eigen- globales Geschäft. Fotomaterial wird in Afrikakorrespondent Franzke: »Es war ja nicht so, dass niemand wusste, was in Ruanda geschah.« schaften gibt, die ein Thema interessant diversen Publikationen weltweit einge- machen. Ganz entscheidend: die räum- setzt. Journalisten orientieren sich bei liche oder emotionale Nähe zu einem der Themenauswahl an anderen Jour- lebt von Neuigkeiten. In vielen Ländern den innerstaatlich statt – und das be- Ereignis. Afghanistans Hauptstadt Kabul nalisten. »Wie berichten andere Medien? ist der Krieg zur Normalität geworden. deutet, dass eine Vielzahl von unter- ist von Berlin geographisch etwa 6.500 Haben wir etwas verpasst? Diese Fragen schiedlichen Rebellengruppen spe- Kilometer Luftlinie entfernt. Vor dem beeinflussen, ob und in welchem Um- n der westlichen Wahrnehmung spie- zifische Interessen vertritt, die sie 11. September 2001 lag sie, gemessen an fang wir berichten«, sagt Klare. Er hat Ilen afrikanische und asiatische Län- gegenüber der Regierung, aber auch der gefühlten Distanz, am Ende der Welt. beobachtet, dass Kriegberichterstattung der generell eine eher geringe Rolle. So gegenüber anderen Gruppen durchset- Nach dem Beginn des UN-Einsatzes der meist wellenförmig verläuft. »Wenn ei- ist es kein Wunder, dass auch die Kriege zen wollen. Diese Kriege leserfreund- Bundeswehr in Afghanistan war Kabul ner etwas schreibt, ziehen die anderen auf dem »vergessenen Kontinent« oft im lich aufzubereiten, empfindet Hans- plötzlich ganz nah. Der deutsche Vertei- nach. Das kann dazu führen, dass in kur- Schatten liegen. Gekämpft wird unter Hermann Klare als Herausforderung. digungsminister sprach von Deutsch- zer Zeit der Umfang der Berichterstat- anderem im Sudan, in Somalia, in der El- »In vielen Fällen können wir beim Le- lands Freiheit, die am Hindukusch tung von Null auf Hundert ansteigt.« fenbeinküste, dem Kongo, Uganda und ser nicht voraussetzen, dass er die Hin- verteidigt werden müsse. Die Folge: Af- Meist endet der Berichterstattungsboom dem Tschad. Kaum ein Zeitungsleser, der tergründe dieser oft jahrelang andau- ghanistan avancierte zum Top-Thema in ebenso plötzlich, wie er begonnen hat. diese Kriege aufzählen könnte. ernden Konflikte kennt. Der Journalist den deutschen Medien. »Wenn deutsche Kontinuierliche Kriegsberichterstattung Die Ursachen und Zusammenhänge muss erst den Boden bereiten für sei- Soldaten beteiligt sind, steht ein Krieg in ist selten. sind komplex. Während die genaue Re- ne Berichterstattung über die aktuelle den Schlagzeilen«, bestätigt Hans-Her- zeptur variiert, sind die Zutaten stets die Entwicklung in einem Konflikt.« Dazu man Klare, Leiter des Auslandressorts »Kein Wunder«, sagt WDR-Mann gleichen. Historische, ökonomische, eth- gehöre, den Sachverhalt auf die wich- beim Stern. Der Journalist berichtete Franzke. »Sollen wir jeden Tag berichten, nische und religiöse Konfliktlinien ver- tigsten Aspekte zu reduzieren. Verein- selbst als Korrespondent aus den Krisen- dass in Darfur noch immer gehungert mischen und verstärken sich. Am Ende fachung und Verknappung sind not- gebieten der Welt. Heute entscheidet er, wird, dass in Uganda noch immer Bür- steht die bewaffnete Auseinanderset- wendige Werkzeuge des Journalisten. welche Nachrichten es ins Blatt schaf- gerkrieg ist und auch der Kongo nicht zur zung. Kriege zwischen zwei Staaten, mit Vielfach kommt jedoch Sensationalis- fen. Die direkte Beteiligung deutscher Ruhe kommt? Das will doch keiner lesen klar benennbaren Kombattanten, sind mus, Einseitigkeit und Populismus hin- Soldaten macht einen Krieg für deut- oder hören.« Nachrichtenjournalismus selten geworden. Die meisten Kriege fin- zu. >

66 67 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

»Wenn der Stern einen Krieg in Afrika auf den Titel setzt, verkauft sich die Ausgabe schlecht.«

s kommt vor, dass Journalisten bei mutet er. »Der Berichterstattung über Euns anrufen, um sich bestätigen zu Afrika müssten dieselben Qualitätsstan- lassen, dass es im Irakkrieg ausschließ- dards zugrunde gelegt werden, wie der lich um Öl geht«, sagt Wolfgang Schrei- Berichterstattung über europäische The- ber von der AKUF-Forschungsstelle. Die- men.« se Journalisten muss er enttäuschen. »Die Ursachen für Kriege sind niemals mfangreichere Berichterstattung monokausal. Meist ist es eine Gemenge- Uwird die »vergessenen« Kriege lage unterschiedlicher Faktoren, die sich nicht sichtbarer machen, meint Stern- im Kriegsverlauf immer wieder ändern.« Auslandschef Klare, »entscheidend ist,

In manchen Medienberichten vermisst dass die Berichterstattung strukturierter JAN GRARUP er den Anspruch, der vielschichtigen und qualitativ besser werden muss.« Die Cholera-Epidemie unter ruandischen Flüchtlingen Wirklichkeit nachzuspüren. Der Kampf Inhalte und nicht der Umfang sind ent- um Ressourcen, das Machtstreben skru- scheidend. Es liegt in der Verantwortung pelloser Diktatoren oder religiöse Kon- der Journalisten, die Leser oder Zuschau- kontrovers diskutiert. »Die Medien ha- dungsvorgänge der politischen Gre- flikte sind zwar Auslöser vieler Kriege, er bestmöglich zu informieren – und den ben eine Wächter- und Alarmfunkti- mien haben die Medien wenig Einfluss. doch niemals kann ein Puzzlestein al- Blick des Publikums auch auf Regionen on«, sagt Franzke. Sie sollten möglichst Was sie jedoch erreichen können, ist lein den Ausbruch von Gewalt erklären. der Welt zu lenken, die gemeinhin im vor dem Ausbruch eines Konflikts im ein erhöhter öffentlicher Druck auf die Stereotypen sind ein weiterer Fallstrick: Schatten liegen. Genau hier agieren die Land sein und die Weltöffentlichkeit auf- Akteure des politischen Systems. Vor- »Gerade afrikanische Kriege werden oft etablierten Medien häufig zu mut- und wecken. Allzu oft werden Kriege nicht ausgesetzt, die Leser, Zuschauer und pauschal als Stammeskämpfe beschrie- fantasielos. Ferne und schwer greifbare nur von den Medien ignoriert, sondern Zuhörer nehmen wahr, was die Journa- ben, sogar Rassencharakterisierungen Konflikte werden selten behandelt, das auch von den politischen Institutionen. listen aus den Kriegsgebieten der Welt aus der Kolonialzeit hervorgekramt«, Potential an persönlichen, emotionalen Aber zieht die Aufmerksamkeit der Me- berichten. »Was nützt die beste Predigt, sagt Schreiber. »Das ist einfach großer Geschichten wird nicht ausgeschöpft dien automatisch auch ein Engagement wenn die Kirche leer bleibt?«, fragt Kla- Unsinn.« (siehe auch das Interview mit Jan Gra- der Politik nach sich? »So einfach funk- re und ergänzt: »Wenn der Stern einen rup auf Seite 56). Hinzu kommt laut taz- tioniert der Mechanismus leider nicht«, Krieg in Afrika auf den Titel setzt, verk- laf Krems, Kommunikationswis- Afrikaspezialist Dominic Johnson ein sagt Klare. Auf die komplexen Entschei- auft sich die Ausgabe schlecht.« Osenschaftler und Journalist, un- typisches Vorurteil deutscher Redak- tersuchte in seiner Dissertation die teure: »Afrika interessiert ja doch kei- Afrika-Berichterstattung in deutschen nen.« Massenmedien. Er fand heraus, dass GEWALT global Afrika vor allem als Kontinent der haus- Klare ist sich bewusst: »Die Medi- gemachten Krisen und der Hoffnungs- en konstruieren unsere Wirklichkeit, sie Mehr als 40 bewaffnete Auseinandersetzungen gibt es derzeit weltweit. losigkeit in Erscheinung tritt. »Das prägen unser Weltbild. Sie tragen Ver- Einige von ihnen dauern schon seit Jahrzehnten an und sind in Vergessenheit frustrierende Element in der Berichter- antwortung.« Wie weit diese Verantwor- geraten. Andere sind zwar medial präsent, ihre Ursachen jedoch kaum be- stattung hemmt die Offenheit gegenü- tung reicht, wird in der Wissenschaft, kannt. Die folgende Doppelseite zeigt eine Auswahl dieser Schattenkriege. ber Nachrichten aus dieser Region«, ver- aber auch von den Journalisten selbst,

68 69 SCHWERPUNKT SCHATTENKRIEGE

TÜRKEI (KURDISTAN) PHILIPPINEN Die offizielle Auflösung der bekannten Eine Anschlagsserie im vergangenen kurdischen Rebellenorganisation PKK Jahr brachte den fragilen Friedenspro- im Jahre 2002 hat keinen Frieden in zess auf den Philippinen zum Erliegen. die traditionell kurdischen Gebiete im In den 1970er Jahren begann auf den Südosten der Türkei gebracht: In ge- Philippinen der bewaffnete Kampf der waltsamen Auseinandersetzungen islamischen Minderheit (Moro) gegen zwischen der Regierungsarmee und die Regierung; bisher sind Friedensver- der PKK-Nachfolgeorganisation Kon- handlunen stets gescheitert. Das er- gra Gelê Kurdistan starben in den letz- klärte Ziel der Rebellenbewegungen ten drei Jahren mehr als 1.000 Men- MNLF und MILF ist die Unabhängig- schen. Als Ursache des Konflikts gilt keit des traditionell muslimischen der 1923 geschlossene Friedensvertrag Siedlungsraumes vom philippinischen von Lausanne; damals wurde die Auf- Zentralstaat. Schwierigkeiten in den teilung der kurdischen Gebiete auf die laufenden Friedensgesprächen erge- heutigen Staaten Türkei, Irak, Iran und ben sich aus der Frage, wie eine isla- Syrien besiegelt. Kurdische Schulen so- misch autonome Zone gestaltet wer- wie der Gebrauch der kurdischen Spra- den könnte. Ebenfalls problematisch: che blieben verboten. Erst im Juni 2004 Die MILF unterhält Beziehungen zur wurde unter dem Einfluss der EU-Bei- Terrororganisation Abu Sayyaf, die für trittsverhandlungen erstmals ein Ra- eine Reihe von Attentaten und Entfüh- dioprogramm in kurdischer Sprache rungen verantwortlich ist. auf türkischem Boden gesendet.

KOLUMBIEN KONGO SUDAN NEPAL 1964 traten marxistische Guerilla- Nach dem Bürgerkrieg, der 1997 bis Im Sudan herrscht Bürgerkrieg an vier Der Krieg der maoistischen Rebellen gruppen in den Krieg, um die Situation 2002 nicht nur die Demokratische Re- Fronten: Seit 1989 befindet sich die gegen die Regierung Nepals ist (vor- der verarmten Kleinbauern im Land zu publik Kongo, sondern große Teile Oppositionsbewegung Sudan Peop- erst) beendet. Beide Parteien unter- verbessern; der Konflikt hält bis heute Zentralafrikas destabilisierte, sind auch les’ Liberation Movement/Army aus zeichneten im November einen Frie- an. Allerdings ist der revolutionäre Ge- heute noch vor allem die Provinzen im dem christlich geprägten Südsudan im densvertrag. 1996 hatten die Rebellen danke weitgehend Profitdenken und Osten Schauplatz von Krieg und Ge- Krieg mit den islamischen Regierungs- den »Volkskrieg« gegen die Regierung Drogengeschäften gewichen. Dies gilt walt. Die angrenzenden Nachbarländer vertretern in Nordsudan. 2005 unter- des einzigen hinduistischen Staates insbesondere für die mächtige, rund , Ruanda und Uganda haben zeichneten beide Parteien einen Frie- der Welt ausgerufen. 20.000 Mann starke FARC im Süden des die rohstoffreichen Provinzen geplün- densvertrag, die Umsetzung gestaltet Rund 70% der Bevölkerung werden Landes. Kolumbiens amtierender Prä- dert. Ethnische und politische Konflikte sich jedoch schwierig. aufgrund des herrschenden Kastensys- sident Alvaro Uribe Velez trat 2002 mit der Nachbarländer wurden (und wer- Auch der brutale Bürgerkrieg in Dar- tems benachteiligt; die Rebellen leh- dem Versprechen ins Amt, härter denn den) auf kongolesischem Boden aus- fur im Westen des Landes dauert seit nen diese Diskriminierung ab und kön- je gegen die Guerillas vorzugehen. Der getragen. So zum Beispiel der Konflikt 2003 unvermindert an. Dort kämpfen nen deshalb auf Unterstützung in der Erfolg ist gering; die Kriegsparteien zwischen ruandischen Hutu und Tutsi. Rebellenorganisationen gegen die ländlichen Bevölkerung zählen. Seit befinden sich in einer Pattsituation. Eine Vielzahl von Milizengruppen be- Regierungsarmee und die Milizen der dem Beginn des Krieges starben etwa Erfolgreiche Friedensverhandlungen herrscht die Provinzen im Osten des Janjaweed, die mit großer Grausam- 13.000 Menschen, mehr als die Hälfte zwischen FARC-Guerilla und der Re- Landes und liefert sich heftige Kämpfe keit gegen die Zivilbevölkerung vorge- der Opfer waren Zivilisten. Ob der of- gierung unter Uribe erscheinen un- mit den Regierungstruppen. Der Staat hen. Innerhalb von drei Jahren wurden fizielle Friedensschluss tatsächlich zu möglich. hat dort, mehrere hundert Kilometer etwa 200.000 Menschen getötet. Mehr stabilen Verhältnissen führt, muss sich von der Hauptstadt Kinshasa entfernt, als zwei Millionen Menschen sind auf zeigen: Die geplante Entwaffnung der kaum Einfluss. der Flucht. Rebellen birgt Konfliktpotential.

70 Zusammengestellt von Swenja Kopp. Illustration: Rebecca Blöcher. Auf dem DACHBODEN Europas

Wenn Europa einem Haus gleicht, dann liegt ESTLAND dicht unter dem Dach. Besucherströme verwandeln das Land in einen »baltischen Tigerstaat«, doch das estnisch- russische Grenzgebiet bleibt touristisches Niemandsland – eine Region zwischen Stagnation und Aufbruch. Einzigartig, ineffizient und dreckig: Ölschiefer-Kraftwerk in Ida Virumaa

wortlich. Zurück bleiben schwarze Ab- ohne jede Staatsbürgerschaft. Selbst wer TEXT UND FOTOS DOMINIK BETZ men in Ida Virumaa, Estlands Hauptstadt raumhügel aus verbranntem Gestein. . einen estnischem Pass vorweisen kann, der Negativrekorde. wird im Rest des Landes häufig nicht als ndzeitstimmung: Wer vom Gipfel Hier, im nordöstlichsten Bezirk des Lan- Die in der Region verwurzelte Industrie »echter« Este akzeptiert. Edes Berges Kiviöli ins Tal blickt, sieht des, schlug die Industrialisierung sowje- ist veraltet und auf zu große Kapazitäten flaches Land in einer Vielzahl von Grün- tischer Prägung am härtesten zu. Indus- ausgelegt. Die verbliebenen Arbeitgeber Narva ist mit 70.000 Einwohnern die tönen; der Blick wandert von weitläufigen trielles Wachstum wurde vor allem durch – ein Textilunternehmen und die Ölschie- größte Stadt in Ida Virumaa. Katrin Liblik Waldflächen auf der einen zum Ozean auf den Abbau von Ölschiefer erzeugt. Dabei ferkraftwerke – bauen seit Jahren Arbeits- arbeitet für das örtliche Tourismus- der anderen Seite. Ein rundum idyllisches handelt es sich um ein Gestein mit Öl- plätze ab. Arbeitslosenquoten von bis zu amt und versucht, die Region als attrak- Bild – wäre da nicht die Flugasche in der spuren, das als Ganzes verbrannt wird, 30 Prozent sind das Ergebnis dieser Ent- tives Reiseziel zu verkaufen. Eine He- Luft und in der Nase, die als schwarzer um schnell und einfach Energie zu ge- wicklung, hohe Kriminalitätsraten und rausforderung: In der Stadt gibt es einen Rauch aus dunklen Schloten quillt. Ge- winnen. Ein hochgradig ineffizientes und Drogenprobleme die logische Konse- McDonald's, kein Kino, dafür aber ton- nau genommen ist der Berg ein einziger schmutziges Verfahren, das kommerzi- quenz. Über 90 Prozent der Bevölkerung nenweise Beton. Von ihrem Bürofens- überdimensionierter Aschehaufen, hoch- ell ausschließlich in Estland angewendet sind Russen, von denen kaum einer Est- ter im dritten Stock aus kann man so et- giftig und an die 120 Meter hoch. Das wird. Ein Großteil der im Land erzeugten nisch spricht. Am Tag der Unabhängig- was wie ein Stadtzentrum erkennen: Eine grünschwarz überwucherte Ungetüm ist Energie wird auf diese Weise gewonnen. keit Estlands im Jahre 1991 wurden tau- riesige asphaltierte Parkfläche, die meist über Treppen und Pfade zu erschließen Die beiden Kraftwerke in Ida Virumaa sende Russen auf estnischem Boden mit leer bleibt. Ein Dutzend Taxis wartet auf und stellt eine der größten Touristen- sind für 88 Prozent des gesamten Aussto- einem Mal zu Fremden. Bis heute leben Fahrgäste, die nicht kommen. Dies ist die attraktionen in der Region dar: Willkom- ßes an Schwefeloxiden im Land verant- über 100.000 Menschen in der Umgebung graue Realität des Narva von heute. Aber

72 INJEKTION SCHATTEN 73 Die Stadt Sillamäe: Reste einer pervers-mondänen Waffenschmiede

Frau Liblik, eine attraktive junge Frau, in einen »baltischen Tigerstaat«. Wachs- frastruktur auf.« Dafür braucht es jedoch zeichnet ein düsteres Bild ihrer Situati- spricht lieber über zukünftige Projekte: tumsraten von 20 Prozent jährlich spü- qualifiziertes Personal, das sich hier nur on: »Was kann ich mit meinem Abschluss »Wir wollen das volle Programm: Kinos, len frisches Geld ins Land. Der Tourismus schwer rekrutieren lässt. Die einzige Ein- schon machen? Ich kann nur in rus- Theater, Geschäfte und Nachtclubs.« Die zeichnet für zehn Prozent der Arbeits- richtung für höhere Bildung in der Regi- sischen Schulen arbeiten. Und die weni- Begeisterung und Überzeugung, mit der plätze und des Bruttoinlandsprodukts on, ein Ableger der Universität von Tartu, gen Schulen brauchen keine zusätzlichen sie von den städtischen Projekten spricht, verantwortlich. Tendenz stark steigend. versorgt ein paar hundert Studenten mit Lehrer. Hier denken alle jungen Men- steht stellvertretend für die kollektive Das Hauptproblem ist, dass ausländische Hochschulbildung. Gelehrt werden drei schen mit Ausbildung das gleiche: Muss Aufbruchstimmung im Land, die auch in Besucher immer dieselben Ziele ansteu- Fächer: Estnisch, Englisch und Grund- ich wirklich als schlecht bezahlter Kellner dieser abgelegenen Region durchschim- ern. Etwa das mittelalterliche Tallin für schulpädagogik. Fast alle Studenten spre- arbeiten – für den Rest meines Lebens?« mert. Doch im Augenblick ist es noch im- Städtereisen oder das im Süden gelegene chen Estnisch, einige sogar Englisch, und mer schwierig, in Narva ein anständiges Pärnu für Wellness-Urlaub. Im Nordosten doch wartet nach dem Examen kein an- Narva besteht vor allem aus einem de- Lokal zu finden; Einkaufsmöglichkeiten warten die Menschen bisher vergeblich gemessener Job auf sie. primierenden Konglomerat verfallender sind rar, und fast niemand spricht eine darauf, dass sich diese positive Entwick- Plattenbauten sowjetischer Prägung. Fo- Sprache außer Russisch. Nicht die besten lung bis an die Außengrenzen des Landes Nur die Festung erinnert noch an tos im Stadtmuseum belegen den trau- Voraussetzungen für einen aufblühenden ausdehnt. Doch es fehlt an den Voraus- das mittelalterliche Narva – heute rigen Niedergang einer Stadt: Narva war Tourismus. setzungen für ein lebhaftes touristi- dominieren Plattenbauten. einst größer und ebenso beeindruckend sches Umfeld, den Hotels, Dienstleistun- wie Tallin, dessen Stadtkern als best- Doch gerade Tourismus ist der Mo- gen und Attraktionen. Dennoch gibt sich Lena Ivanova ist 23 Jahre alt und lässt erhaltene mittelalterliche Stadt Euro- tor hinter Estlands rascher Verwandlung Liblik selbstbewusst: »Wir bauen die In- sich zur Englischlehrerin ausbilden. Sie pas gilt. 1944 nahm die Rote Armee die

74 INJEKTION SCHATTEN 75 Die große Touristenattraktion ist im Grunde nichts weiter als ein riesiger Aschehaufen.

des Peipsi-Sees, die Birkenwälder, die gro- do von »Fixideed« findet für die langsame ßen unberührten Naturflächen. Wer auf Entwicklung des Nordostens eine vielsa- eine erschlossene touristische Infrastruk- gende Metapher: »Wenn du ein Haus re- tur verzichten kann, findet blauschim- novierst, musst du mit dem Kern begin- mernde Bachläufe vor, die romantische nen. Woraufhin du dich langsam bis zum Feldlandschaften durchziehen. Gelb ge- Dachboden heraufarbeitest.« strichene Scheunen wechseln mit Rui- nen von verlassenen Bauernhäusern und In der Stadt Narva ruhen die Hoff- angerußten Plattenbauten. Bisher sind nungen unterdessen auf einem neuen in den Bauernhöfen der Umgebung nur Hafen, der kürzlich in der Nachbarstadt wenige Unterkünfte eingerichtet. Falls Sillamäe eröffnet wurde. Neben neuen der Tourismus anzieht, könnte dies eine Jobs, die durch die Cargoschifffahrt zwi- KARTE: NORA COENENBERG KARTE: echte Chance für die mittellosen Klein- schen Estland, Russland und Skandina- bauern in der Region bedeuten. vien entstehen, könnte die neue Fährver- bindung zwischen Estland und Finnland Stadt ein, und das barocke Narva ging in Festung, danach Schlafen und Auf Wie- Sillamäe war auf keiner Landkarte bis zu 400 zahlende Gäste täglich in die Flammen auf. Als sich der Rauch verzog, dersehen. Die Stadt ist ein Zwischen- zu finden: die Uranschmiede war Region bringen. Das Städtchen Sillamäe fuhren Bulldozer auf und entfernten die stopp auf der Transitroute nach St. Pe- eine »geschlossene Stadt.« ist für sich genommen schon eine Se- Ruinen für immer. Die Zukunft sollte den tersburg, das nur 140 Kilometer entfernt henswürdigkeit. Nach der Zerstörung der kommunistischen Wohnparzellen ge- liegt. Der ganze Bezirk Ida Virumaa be- Einige Reiseveranstalter in Estland ver- Stadt im Zweiten Weltkrieg ließ die sow- hören. Heute sind die einzigen Zeugen herbergte im Jahr 2006 etwa 85.000 Gäs- suchen bereits, Touristen in den Nord- jetische Führung von Zwangsarbeitern der Vergangenheit zwei sich gegenüber- te. Zum Vergleich: Die Stadt Tallin hatte osten zu locken. So etwa das Reisebü- und Kriegsgefangenen eine neue Sied- liegende Festungen, zwischen denen der im selben Zeitraum weit über eine Mil- ro »Fixideed« in Tallin, das Touren in lung aus dem Boden stampfen, die von Fluss Narva rauscht. Die Festungsanlage lion Besucher. Aber immerhin, auch Ida den russischen Teil von Estland anbie- Anfang an als Militärbasis geplant war. auf estnischer Seite, die Hermannsfeste, Virumaa verzeichnet steigende Touris- tet. Laut Eigenwerbung werden die Besu- Sillamäe wuchs zu einer ›geschlossenen markiert Europas neue Außengrenze. Ihr tenzahlen, wenn auch nur moderat. cher durch eine Region geführt, die »auch Stadt‹, die offiziell der Moskauer Führung Gegenstück jenseits des Flusses befindet von Esten erst wiederentdeckt werden unterstand. Über Jahrzehnte wurde der sich in Ivangorod, auf russischem Boden. Eero Pargmae, ein Ökonom neuer muss.« Sehenswürdigkeiten sind verfal- Ort hermetisch von der Außenwelt abge- An der Grenze unweit der Festungsanla- Schule, der für das Finanzministerium in lene, einst von der Welt abgeriegelte Mi- riegelt. Auf sowjetischen Karten war die ge bilden sich lange Autoschlangen. Jedes Tallinn arbeitet, sagt eine glänzende Zu- litärbasen der Sowjets, die dünnbesiedel- Stadt nicht eingezeichnet; außer Wissen- Fahrzeug wird genau untersucht, hier hat kunft für die touristische Entwicklung te Naturlandschaft und der Aschehügel schaftlern und Arbeitern hatte niemand der kalte Krieg ein Refugium gefunden. des Landes voraus. Auch die vornehmlich in Kiviöli. Die Militärbasen von einst ha- Zutritt. Bis 1989 wurden hier über hun- russischen Bezirke würden letztlich von ben einen surrealen Charme: es gibt we- derttausend Tonnen Uran produziert und Pro Jahr übernachten etwa 7.500 Tou- der Entwicklung profitieren. der Geschäfte noch Cafés und die Straßen verarbeitet. risten in der Stadt, wovon die meisten Das wahre touristische Potential von sind verwaist. Aber hier und da repräsen- nicht länger als eine Nacht bleiben. Auf- Ida Virumaa ist ohnehin noch weitge- tiert ein Straßenzug die Dualität von Alt Die Idee der Sowjets war es, das Leben enthalte folgen stets der gleichen Routi- hend unerschlossen: die Schönheit der und Neu: Einstürzende Gebäude stehen für die Bewohner der Stadt so angenehm ne: Raus aus dem Bus, Besichtigung der Natur. Zu entdecken gibt es die Strände frisch renovierten gegenüber. Inga Pla- wie möglich zu gestalten. Stuckverzierte

76 INJEKTION SCHATTEN 77 Das wahre touristische Potential der Region ist weitgehend unerschlossen: die Schönheit der Natur

Häuser wurden gebaut, Boulevards und Schlamms unter freiem Himmel. Die ma- den schmucken »Stalinhäusern« noch Viertel unter dem Landesdurchschnitt eine Uferpromenade angelegt. Im Som- roden Auffangbecken mussten aufwän- weiter vorantreiben. liegen. »Die denken alle, dass sie hier mer standen Palmen rechts und links der dig abgesichert werden, um eine weitere kostenlos übernachten könnten, da wir Hauptstraße – in unmittelbarer Nähe zur Kontaminierung von Land und See zu In der Nachbarstadt, im neuen »Nar- nichts zu bieten haben.« baltischen See. verhindern. va Hotel«, hat man sich zumindest schon mal auf steigende Gästezahlen einge- Katrin Liblik von Narvas Tourismusamt Nach der Unabhängigkeit wurde die Für den Moment gleicht die Stadt stellt. Das Haus mit 85 Betten liegt im meint, dass die Region viel zu bieten habe. Uranproduktion rasch eingestellt, die An- einem verfallenden Freiluftmuseum mit Zentrum der Stadt und repräsentiert eine Wenn sie über zukünftige Projekte in lage privatisiert und auf ausschließlich einzigartiger Architektur, eingefasst in der größten privaten Investitionen in der der Region spricht, tut sie das mit Stolz zivile Produktion umgestellt. Doch die eine wildromantische Landschaft. Die Gegend. Vadim Senechenkov ist der Ge- und einem Lächeln, obwohl ihr die zahl- Geister der Vergangenheit ließen sich nur Reste einer pervers-mondänen Waffen- schäftsführer. Der junge, frisch parfü- reichen Probleme natürlich bekannt sind. schwer austreiben: Die russischen Trup- schmiede, mit strahlender Vergangenheit mierte Russe sitzt im leeren Hotelrestau- Sie übernahm den Job im Tourismusamt pen hatten die Stadt verlassen, ohne den und Kurort-Ambiente. rant und spricht über seine bescheidenen nach ihrer Rückkehr aus Ägypten; zwei Müll mitzunehmen. Jetzt erst, fünfzehn Gut möglich, dass die Stadt bald aus ih- Wünsche für die Zukunft: Die Auslastung Jahre hatte sie dort in einem Hilton-Hotel Jahre nach der Unabhängigkeit, wurden rem Dornröschenschlaf erwacht. In den des Hotels muss auf 53 Prozent klettern, gearbeitet. Auf die Frage, warum sie von die von der EU geförderten Aufräum- vergangenen Jahren konnte sie sich, auch damit das Haus profitabel läuft. Es macht der Sonne zurück in die Betonwüste ge- arbeiten abgeschlossen. Nur wenige dank EU-Fördergeldern, bereits ein we- ihn zornig, dass viele Transittouristen im- zogen sei, antwortet sie ohne zu Zögern: Meter vom offenen Meer entfernt la- nig aufhübschen. Touristenströme wür- mer wieder versuchen, die Preise zu drü- »Das ist meine Heimat, ich möchte nir- gerten Millionen Tonnen radioaktiven den wohl die Renovierungsarbeiten an cken, obwohl seine Tarife doch schon ein gendwo anders leben.«

78 INJEKTION www.fixideed.ee: Reisen ins estnisch-russische Grenzgebiet 79 Im Straßengraben des Weltgeschehens

In MYANMAR, seit alters her bekannt als das »goldene Land«, glänzen heute nur noch die Tempelanlagen. Das Land ist bitterarm, die Bevölkerung der Militärjunta

gnadenlos ausgesetzt. TEXT UND FOTOS CLAUDIUS SCHULZE

ule Pagoda Road, Rangun, Myan- Die größte Bevölkerungsgruppe im Viel- mar. Kurz nach 19 Uhr, die Straße völkerstaat Myanmar sind die Birmanen. Sist von geschäftigem Treiben be- Bis 1989 hieß das Land auch Birma, dann lebt. Kleine Glöckchen an den Zucker- benannte die Militärdiktatur es kurzer- rohrpressen am Straßenrand werben hand in Myanmar um – was »Birma« auf klingelnd für ein Glas frischen Zucker- birmanisch heißt. Daneben leben Shan, rohrsaft. Eine kleine Garküche auf einem Karen, Rakhine und Mon in dem Land, Handkarren verbreitet den Duft von ge- das vergessen im Straßengraben des Welt- bratenen Nudeln und Kokoscurry. geschehens liegt. Globale Politik, Touris- Mittendrin schraubt ein Uhrmacher tenströme und Wirtschaftsaufschwung auf einem kleinen Tischchen im fahlen werden von den gewichtigen Nachbarn Licht eines Hauseingangs an alters- Indien, China und Thailand angezogen, schwachen Chronometern. »Change Mo- Myanmar bleibt unbedacht. Der Grund: ney«, raunen Geldwechsler. Doch lang- Die Militärjunta ist brutal, der Staat in- sam verebbt der Strom der Passanten. ternational geächtet. Menschenrechte Nur kurz pulsiert in Myanmar das Le- werden mit Füßen getreten, Rechtstaat- ben nach Sonnenuntergang noch weiter. lichkeit und Pressefreiheit sind nicht vor- Denn nur an Hauptstraßen großer Städ- handen, Korruption ist allgegenwärtig. te gibt es etwas Beleuchtung – und auch Auf nahezu jeder Weltrangliste – ob dem diese ist schummrig. Das Land ist isoliert, Corruption Perception Index, dem Lack- Treibstoff knapp und Strom teuer. Ein muspapier der Korruption, erstellt von Land im Schatten. der Nichtregierungsorganisation Trans-

80 INJEKTION SCHATTEN 81 Straßenszene in Rangun: Wie karg das Land wirklich ist, zeigt sich erst außerhalb der Hauptstadt parency International oder der Rangliste Provider: schon sind alle Seiten abrufbar. NACH ANGABEN DER MENSCHEN- sind nicht nur wahllosen Verhaftungsak- der Pressefreiheit von Reporter ohne Gren- Der Unmut in der Bevölkerung ist groß: RECHTSORGANISATION Amnesty Inter- tionen ausgesetzt, sondern werden auch zen – Myanmar ist immer unter den aller- Immer wieder schimpfen Einheimische national (AI) kamen allein 2005 mehr als zu Frondiensten gezwungen. Gerade die letzten. Ein illustres Grüppchen schart über die Regierung: »Militär ist zur Ver- 1.100 politische Gefangene in Haft oder für den Tourismus notwendigen neuen sich auf diesen Listen um das südostasia- teidigung da. Soldaten können ein Land verbüßten weiterhin ihre Freiheitsstrafen. Straßen und Flugplätze werden häufig in tische Land: Nordkorea, Irak, Kuba und nicht voranbringen«, erzürnt sich etwa Darunter sind Fälle wie der des gewähl- blutiger Zwangsarbeit errichtet. Hoffnung einige failed states – anarchische, zerfal- ein Taxifahrer auf der Fahrt durch das ten Parlamentariers U Khun Htun Oo auf Besserung ist nicht in Sicht. Nach In- lende Staaten – Schwarzafrikas. abendliche Rangun. Dabei drohen jedem und zwei weiteren politischen Vertretern formationen von AI befindet sich nahezu harte Strafen, der das Ansehen des Landes der Shan: In Geheimprozessen wurden die gesamte Führungsriege der Opposi- Mit diesem Wissen im Reisegepäck wird beschmutzt. Schon die Worte »govern- sie wegen »Landesverrats« zu Haftstrafen tion in Haft. der westliche Besucher von der Offen- ment no good« – immer wieder vernom- zwischen 70 und 106 Jahren verurteilt. Viele Jahre schottete sich Birma selbst heit der Birmesen überrascht: wie selbst- men – können viele Jahre Haft und Folter Amnesty International (AI) stellt weiter vom Rest der Welt ab. Nach einem Mili- verständlich erklären sie die Tricks, mit einbringen. »Schau dir den Bus dort an, fest: »Folterungen und Misshandlungen tärputsch 1962 sollte die selbstgewählte denen sie die weitreichende Internet- wie die Leute eingepfercht sind. Wie Tiere. bei Vernehmungen sind in Myanmar eine Isolation des »birmesischen Wegs zum überwachung umgehen. Dem Zensur- Die Regierung ist unmenschlich!«, grollt weit verbreitete Praxis, insbesondere bei Sozialismus« insbesondere den chine- unerfahrenen Westler zeigt der Inhaber der Lenker des morsch klappernden Wa- Haft ohne Kontakt zur Außenwelt.« sischen und indischen Einfluss zurück eines Ranguner Internetcafés sofort Web- gens weiter. Welches Ungemach ihm für Besonders leiden Angehörige ethnischer drängen. 1988 kommt es zu Massen- seiten, die gesperrte Inhalte auf Umwegen diese Äußerungen droht, möchte sich der Minderheiten, etwa der Shan oder Rakhi- demonstrationen. Das Militär putscht; zugänglich machen. Ob BBC oder E-Mail- Zuhörer gar nicht vorstellen. ne, unter der Willkür der Militärjunta. Sie Than Shwe reißt alle Macht an sich. We-

82 INJEKTION SCHATTEN 83 Buddhistischer Mönch: Das Klosterleben ist beliebt, weil es den Lebensunterhalt sichert gen der unglaublichen Brutalität seines spur einzig durch die geringere Schlag- DAS REISEN IN MYANMAR IST LANGSAM ten erreichbaren Weiler ist für ein eigenes Regimes und insbesondere der blutigen lochtiefe vom Straßengraben zu unter- UND BESCHWERLICH. Für die Strecke Gewerbe berühmt, auf das sich jeweils Niederschlagung von Demonstrationen scheiden. Eng gepfercht zwängen sich von Bagan zum Inle-See etwa – rund 400 die ganze Dorfgemeinschaft spezialisiert und Protesten verhängt die internatio- viel zu viele Fahrgäste in den Bus. In der Kilometer – würde ein ICE zwei bis drei hat. So werden in Nyaung Win kunstvolle nale Staatengemeinschaft strikte Sank- Mitte, zwischen den Sitzen, kauern Men- Stunden benötigen. Der örtliche »Express Messer geschmiedet, in den Pfahlbauten tionen gegen Myanmar. Die Folge der schen, ebenso auf dem Dach. Die schwü- Bus« benötigt zumindest nach Fahrplan des Nachbardorfs Kyaing Kan East hin- jahrzehntelangen Einsamkeit: Armut, le Luft tut das übrige, schon nach kurzer zehn Stunden. Doch es kann auch das gegen Seidenstoffe gewoben. Ein derart wirtschaftlicher Niedergang, technolo- Zeit sind alle in einen lethargischen Zu- Doppelte werden – wenn der Bus sein filigranes Wirtschaftssystem kann wohl gischer Stillstand. In Rangun sind die stand zwischen Schlaf und Trance gerüt- Ziel überhaupt erreicht. Nach etwa sechs nur abgeschieden vom Welthandel über- meisten modernen Errungenschaften telt. Vor den halb geöffneten Fenstern: Stunden ist diesmal die Fahrt zu Ende: leben. noch verfügbar; erst wenn die Grenzen einfache Bretterbuden; hin und wieder Die Straße ist überschwemmt, mitten im der Großstadt überquert sind, zeigt sich humpelt ein Lepra-Invalider am Weges- Schlamm ist ein altersschwacher Lastwa- Dennoch: Eine Idylle ist das Leben in Bir- die wahre Kargheit des Landes. rand. Die verstümmelnde Krankheit ist in gen stecken geblieben – eine alltägliche ma nicht, auch wenn es für den west- Europa seit über hundert Jahren ausge- Situation. lichen Betrachter so wirken mag. Zwar ETWAS WEITER IM NORDEN, UNTER- rottet. Doch in Birma siechen noch im- strahlt die Abwesenheit sowohl von bit- WEGS MIT DEM BUS: Es rumpelt und mer Lepraleidende. Die hygienischen Inmitten des Inle-Sees im Hochland terer Armut als auch von Reichtum eine scheppert, die Passagiere werden gehörig Verhältnisse sind schlecht, eine flächen- des Shan-Staates, dem Ziel der strapaziö- magische Harmonie aus. Auch die Ver- durchgeschüttelt. Straßen sind marode, deckende Versorgung mit Medikamenten sen Fahrt, sind zahlreiche Siedlungen auf bundenheit mit Natur und Tradition mu- Busse alt und klapprig. Oft ist die Fahr- gibt es nicht. Pfählen errichtet. Jeder der nur mit Boo- tet an wie Heil und Segen. >

84 INJEKTION SCHATTEN 85 Das Gegenteil ist der Fall: Hart und be- schwerlich ist das Dasein, gerade einmal knapp 60 Jahre beträgt die durchschnitt- liche Lebenserwartung. Schon kleine Kinder müssen häufig arbeiten, um das Einkommen der Familie zu sichern. Zwar ist buchstäbliches Elend kaum existent, doch fehlt es an vielem. Die Besitze- rin eines florierenden Hotels etwa fragt ausländische Gäste nach Kleidung, die sie diesen abkaufen könne. »Ich möchte Qualität, die gibt es hier aber nicht zu kaufen!«, beschwert sie sich. KARTE: NORA COENENBERG KARTE: ZWAR EXPORTIEREN DIE SÜDOSTASIA- MYANMAR Nach mehreren Kriegen wird TISCHEN NACHBARN IN DAS MITTEL- Birma im 19. Jahrhundert britische Kolonie. LOSE LAND. Doch die vereinzelt erhält- 1948 ertrotzen Widerstandsgruppen die lichen Hightech-Produkte sind uner- Unabhängigkeit. Die kurze demokratische schwinglich teuer. Durch das Embargo Phase Birmas endet im Jahr 1962, als Gene- des Westens gegenüber Myanmar sind ral Ne Win putscht; er verfolgt in der Folge- amerikanische und europäische Produkte zeit einen sozialistischen Kurs. schlicht nicht verfügbar. Die wenigen ver- Gegen die Diktatur kommt es 1988 zu Mas- bliebenen Firmen kapitulierten vor der senprotesten, die brutal unterdrückt wer- allumfassenden Bürokratie und zogen Bäuerin im Shan-Staat: Schon Kinder müssen arbeiten, um den Unterhalt der Familie zu sichern den. Dabei kommen mehrere tausend sich aus dem birmesischen Markt wie- Menschen zu Tode. Der Westen verhängt der zurück. Doch nicht nur der Warenver- Note erhält der westliche Reisende eine Selbst in buddhistischen Tempeln finden daraufhin strikte Sanktionen über das Land, kehr ist gesperrt; auch der Devisenhandel Plastiktüte voll Geld. Sortieren und Zäh- sich Schreine für die Spukgestalten. die bis heute in Kraft sind. Im September ist blockiert. Weder werden Kreditkarten len dauern eine Ewigkeit. Neben dem großen spirituellen Anse- 1988 reißt das Militär die Macht in einem akzeptiert noch sind Geldüberweisungen hen des Mönchtums geben viele Familien Putsch an sich; seit 1989 heißt das Land of- möglich. Für den westlichen Besucher »Ich lebe in der Steinzeit«, ruft der 25- auch aus ganz pragmatischen Gründen fiziell Myanmar. bedeutet das: Alles Geld muss in bar mit- jährige Ne Tin Win* aus. Er ist buddhisti- mindestens ein Kind in religiöse Obhut: Als bei Neuwahlen die oppositionelle Natio- genommen werden, getauscht wird dann scher Mönch; als Siebenjähriger wurde er So müssen die Eltern für einen weniger nal League for Democracy (NLD) gewinnt, auf dem Schwarzmarkt. Der Umtausch- Novize. Der Buddhismus ist in dem iso- sorgen, das Kind ist der Armut entzogen. wird das Parlament nicht mehr eingesetzt. kurs in die Landeswährung Kyat ist un- lierten Land von großer Bedeutung – gar Mehr noch: »Im Kloster erhalte ich Bil- Die Friedensnobelpreisträgerin und Vorsit- durchsichtig und hängt hauptsächlich von noch größerer als der Geisterglaube dung, das zählt in Myanmar sonst nicht zende der NLD, Aung San Suu Kyi, wird von vom Zustand der Geldscheine und von an Nat. Diese personifizierten Gespenster viel«, begeistert sich Win in fließendem der Militärjunta unter Hausarrest gehalten. der Anzahl der Tauschwilligen ab. Das geben, was der Buddhismus nicht bietet: Englisch für das spirituelle Leben. Selbst 2005 wird der Regierungssitz von Rangun Prozedere: Auf der Straße wird im unauf- An sie kann sich der Gläubige wenden, Deutsch und Spanisch lernt er. Doch eine in den abgelegenen Ort Naypyidaw verlegt. fälligen Weitergehen der Kurs ausgehan- wenn er Hilfe braucht, und um Beistand Insel der Glückseligkeit ist das Leben Dort schottet sich das Regime ab. delt. Haben sich Tourist und Geldwechsler und Gnade bitten. So stehen am Straßen- auch hier nicht: Beim Abschied bittet er Menschenrechtler werfen dem Regime geeinigt, treffen sich die Geschäftspart- rand immer wieder Altäre bereit, um den darum, ihm ein paar Bücher zu schicken. Than Shwe zahlreiche und äußerst brutale ner in einer Teestube. Der größte Schein Nat Opfer zu erbringen und sie durch Ga- Denn auf Englisch sind diese in Myanmar Menschenrechtsverbrechen vor. der Landeswährung ist 1.000 Kyat wert – ben milde zu stimmen – bei den widrigen kaum erhältlich, in deutscher oder spa-

rund 60 Eurocent. Für eine 200-Euro- geändert * Name Zuständen tut übermächtige Hilfe Not. nischer Sprache gleich gar nicht.

86 INJEKTION SCHATTEN 87 Schattenmächte

Die Überzeugungstäter Wie die Einfluss auf die Politik nimmt 90

Das Motiv Gina Gorny inszeniert Tatorte berühmter Kriminalromane 97

Schweig oder stirb In Neapel wird die Mafia immer mächtiger 103

Illustration: Rebecca Blöcher Die Überzeugungstäter Die Bertelsmann Stiftung hat sich in den letzten Jahren zum übermächtigen EINFLÜSTERER der deutschen Politik entwickelt. Ihr Aufstieg wirft Licht auf eine Gesellschaft, in der Einfluss mit Geld erkauft werden kann.

TEXT FLORIAN DIEKMANN & FREDERIK MOHRDIEK gänge können gezielt Studierende ausge- wählt werden. Schmerzhaft bekommen anchmal bringt das Stöbern in Ar- die Studierenden ab dem Sommersemes- Mchiven Erstaunliches zutage. Etwa ter zu spüren, wie die »Fragen der Finan- das Interview, das die Süddeutsche Zei- zierung« unter anderem neu geregelt wur- tung im Februar 1994 mit dem Bertels- den: mit allgemeinen Studiengebühren. mann-Patriarchen Reinhard Mohn über Nun ist es verlockend, einen ein- die Zukunft der Hochschulen führte. fachen Schluss zu ziehen: Reinhard Mohn forderte »moderne - Mohn – ein Strippenzieher, der im Dun- konzepte«, »Privatisierung«, den »Abbau keln die Fäden zieht und der die Verant- staatlicher Reglementierung« und eine wortlichen wie Marionetten nach eige- Art Aufsichtsrat, in den »Outsider berufen nem Gutdünken führt. Die Bertelsmann werden.« Außerdem seien »Fragen der Fi- Stiftung – ein »Staat im Staate«, ein »ge- nanzierung sowie die Mechanismen des fährlicher Krake, der in politische Willens- Hochschulzugangs« von zentraler Bedeu- bildungsprozesse eingreift«, wie es Al- tung. brecht Müller, der ehemalige Berater Wil- Nun sprach die SZ nicht mit Reinhard ly Brandts, ausdrückt. Mohn, weil dieser sich einen Namen als Hellseher gemacht hätte. Vielmehr wollte Doch ganz so einfach ist es nicht. Mit sie erfahren, welche Ziele Mohn mit dem allzu simplen Schlussfolgerungen wird damals gerade gegründeten Centrum für man den Umständen nicht gerecht. Sind Hochschulentwicklung (CHE) verfolgt, an die Schurken- und Opferrollen wirklich dem die Bertelsmann Stiftung maßgeb- so klar verteilt? lich beteiligt ist. Die Hochschulreformen sind ein Mus- Das Gespräch mutet wie eine Blaupau- terbeispiel für Entscheidungsprozesse, se der Hamburger Universitäten im Jahr die alle relevanten Politikbereiche durch- 2007 an: Hochschulräte existieren längst. dringen. Zutage tritt eine Gesellschaft, in Durch die Bachelor- und Master-Studien- der wichtige Fragen in einem intranspa-

90 Vernetzung und Verflechtung: das Erfolgsrezept der Bertelsmann Stiftung SCHATTEN 91 Prozent der Bertelsmann-Aktien. »Niemand in Deutschland hat im Bereich der Mit Hilfe des bei Unter- nehmerfamilien be- Hochschulen eine solche Wirkungsmacht.« liebten Stiftungsmo- renten, vor- dells werden seine parlamenta- Erben rund zwei Milliarden Euro Erb- »Federführend ist immer die Bertelsmann entscheidenden Lösungsansatz für Re- rischen Raum schaftssteuer sparen. Durch die jähr- Stiftung«, erläutert Oliver Schöller, Polito- formen in Staat und Gesellschaft ge- behandelt wer- liche Dividende – die sie als gemeinnüt- loge beim Wissenschaftszentrum Berlin funden haben.« Das ist kein Zynismus, den, in dem zige Stiftung nicht versteuern muss – ist (WZB). sondern Hybris. Mit diesem Sendungs- Einfluss qua Geld sie finanziell hervorragend ausgestattet. bewusstsein pflegt der mittlerweile 85- erworben werden Pikanterweise arbeitet sie also mit er- »Für Reinhard Mohn ist die Bertels- jährige Patriarch eine alte Familientra- kann – Politik im Schatten. sparten Steuern. mann Stiftung ein Instrument, um auf dition. gründete das die deutsche Innenpolitik nach seinen Unternehmen 1835 als Verlag für christ- Und tatsächlich mischt nahezu überall Die Bertelsmann Stiftung gab im Jahr Vorstellungen Einfluss nehmen zu - kön liche Erweckungsliteratur. Die Botschaft ein Akteur mit: Die Bertelsmann Stiftung. 2005 nach eigenen Angaben mehr als 56 nen«, meint Hans J. Kleinsteuber, Profes- mag heute eine andere sein, der allum- Eine vergleichbare Institution gibt es Millionen Euro aus. Von den rund 300 sor für Politik und Journalistik an der Uni fassende Wahrheitsanspruch ist noch der hierzulande nicht: Sie bietet strategische Mitarbeitern betreiben etwa zwei Drittel Hamburg. Ein Blick auf das Leitbild der Gleiche. Reinhard Mohn selbst legt in sei- Politikberatung an und ist gleichzeitig konkrete Projektarbeit – durchweg hoch Stiftung zeigt, dass diese Einschätzung nem Buch »Die gesellschaftliche Verant- Mehrheitseigentümerin des größten Me- kompetente Wissenschaftler. Die Stiftung nicht aus der Luft gegriffen ist – und of- wortung des Unternehmers« dar, was er dienkonzerns Europas. Reinhard Mohn finanziert nur eigene Projekte. Auch wenn fenbart gleichzeitig die Prämisse, an der für »das beste Ordnungssystem im öf- übertrug der Stiftung nach und nach 76,9 externe Wissenschaftler beteiligt sind: alle Projekte ausgerichtet sind: »Unsere fentlichen Bereich« hält. Eine wirkungs- Arbeit wird von der Erkenntnis Reinhard volle Demokratie brauche »Unterneh- Mohns geprägt, dass unternehmerisches menskultur«. Denken und Handeln entscheidend dazu beitragen, Problemlösungen für die ver- Frank Böckelmann, Publizist und schiedenen Bereiche unserer Gesell- Autor eines Buches über den Bertels- schaft zu entwickeln und erstarrte Struk- mann-Konzern, resümiert süffisant: »Die turen aufzulösen.« Bertelsmann Stiftung soll dieses Ge- schenk der Wirtschaft an die Gesellschaft ANZEIGE Die Website der Stiftung dient nicht al- überbringen. Die Rezepte sind simpel: lein der Information, sondern auch der Mehr Wettbewerb, Effizienz, private Ver- Selbstbespiegelung. An prominenter antwortung, Deregulierung, Selbstakti- Stelle wird Mohn mit den Worten zitiert: vierung. Weniger Bürokratie und Staats- »Ich bin davon überzeugt, dass wir den ausgaben.« WZB-Mann Oliver Schöller stimmt dem zu: »Bei allen Themen, die die Stif- tung bearbeitet, setzt sie die ökono- mische Brille auf. Und es gibt kein gesell- schaftspolitisch relevantes Feld, dass sie nicht beackert.« Egal ob Politik und Ge- sellschaft, Wirtschaft, Bildung, Gesund- heit oder Kultur – in all diesen Bereichen treiben die Bertelsmänner eifrig Projekte an.

SCHATTEN 93 Das im Leitbild festgelegte Selbstver- Das eingangs erwähnte Centrum für Reinhard Mohn persönlich eine tragende Parteigrenzen hin- ständnis der Stiftung verbietet dabei den Hochschulentwicklung (CHE), für das Rolle spielte. An diesem Bericht fällt auf, weg. Bertels- Verbleib im Theoretischen: »Unser vor- rund zwei Dutzend Wissenschaftler dass er sich hauptsächlich damit befasst, mann legt rangiges Ziel als operative Stiftung ist arbeiten, ist ein Musterbeispiel für Vernet- wie Bildung finanziert werden soll. Alle großen eine möglichst große und nachhaltige ge- zung. Die Bertelsmann Stiftung gründete anderen Fragen kommen eher am Rande W e r t sellschaftliche Wirkung unserer Arbeit.« es 1994 gemeinsam mit der Hochschul- vor. In der Folge schossen die Bildungs- auf Überpartei- Unstrittig ist, dass sie dieses Ziel sehr er- rektorenkonferenz. Damit waren die kommissionen wie Pilze aus dem Boden. lichkeit.« Diese folgreich verfolgt. Die größte Wirkung er- höchstrangigen Vertreter der direkt betrof- Ob die Hans-Böckler-Stiftung der Gewerk- endet freilich, reichte die Stiftung jedoch im Bildungs- fenen Institutionen von Anfang an mit an schaften, die Heinrich-Böll-Stiftung der wenn sich ein Parteiprogramm nicht mit wesen. Was sind die Grundlagen dieses Bord. »Da ist ein Coup gelungen. Niemand Grünen, die Bertelsmann Stiftung selbst den Prämissen der Stiftung vereinba- Erfolgs? Welche Strategie verfolgt die Stif- in Deutschland hat in diesem Bereich oder das CHE zusammen mit dem wirt- ren lässt. So findet sich kein Vertreter der tung? eine solche Definitions- und Wirkungs- schaftsnahen Stifterverband für die Deut- Linkspartei in den Kommissionen, aber »Das Stichwort heißt: Netzwerkarbeit«, macht«, kommentiert Oliver Schöller. . sche Wissenschaft – sie alle legten Kon- auch die linken Flügel von SPD und den erklärt Frank Böckelmann: »Für alle Fra- zepte zur Hochschulreform vor. Schöller: Grünen sind nicht repräsentiert. gen werden eigene Kommissionen ge- Der Wissenschaftler hat jüngst ei- »Die Bertelsmann Stiftung hat das maß- Wieso nehmen Politiker über alle Par- gründet. Fachleute der Parteien, Mi- nen Beitrag veröffentlicht, indem er ver- geblich initiiert. Das beweisen die perso- teigrenzen hinweg an diesen Netzwerken nisterialbeamte und Vertreter anderer suchte, den Bildungsdiskurs des letz- nellen Verflechtungen. Die Konzepte sind teil? Schumann führt zwei Gründe an: Stiftungen werden angeworben, Ta- ten Jahrzehnts transparent zu machen. teilweise von denselben Leuten geschrie- »Die Stiftung bietet Politik und Verwal- gungen mit hochprominenten Teilneh- Ausgangspunkt war der 1995 vorgelegte ben worden.« Kein Wunder, dass alle Vor- tung eine formal unabhängige wissen- mern werden veranstaltet, Gesprächs- Abschlussbericht der nordrhein-west- schläge inhaltliche Überschneidungen schaftliche Beratung an, und zwar kosten- kreise initiiert.« fälischen Bildungskommission, in der aufweisen, wenn auch je nach Ausrich- los. Das ist verlockend, denn Geld dafür tung der Träger mit anderem Zungen- ist in den Haushalten nicht vorhanden.« schlag. Das Entscheidende geschah aber subtiler: Alle Konzepte befassten sich fast Die leeren Kassen passen zudem sehr nur noch mit der Finanzierung von Bil- gut zur inhaltlichen Ausrichtung der Stif- dung. Studiengebühren waren plötzlich tung: »In den Konzepten wird beschrie- diskutabel. So unterschiedlich die Ab- ben, wie man effizienter arbeitet, -Kos schlussberichte auch sein mögen – die ten spart und das Risiko beim Bürger Bertelsmänner haben allen die ökono- deponiert. Das ist in Zeiten des knappen mische Brille aufgesetzt. Darin liegt ihr Geldes offenbar unwiderstehlich«, erklärt ANZEIGE Erfolg. Frank Böckelmann. Zudem hätten die Po- litiker eine ganz persönliche Motivation: Wo auch immer die Bertelsmann Stif- »Sie kennen das Risiko, ohne Rückende- tung eigene Arbeitsgruppen schafft, ist ihr ckung vorzupreschen und unpopuläre eines wichtig, beobachtet Harald Schu- Vorschläge zu machen. Das wird gemin- mann, Redakteur beim Berliner Tages- dert, wenn man sich vorab trifft und den spiegel: »Egal ob auf Kommunal-, Landes- Spielraum auslotet. Wie passend, dass es oder Bundesebene, die Besetzung ist da den Kontakthof Bertelsmann Stiftung prominent. So gelingt der Stiftung eine gibt.« Konsensbildung der wirtschaftlich-po- litischen Eliten. Lange bevor die Parla- Frank Ziegele ist Professor für Wissen- mente Gesetze machen, führt dies dazu, schaftsmanagement an der FH Osna- dass man sich über wesentliche Grund- brück und gleichzeitig Projektleiter beim fragen von vornherein einig ist, über die CHE. Auch er sieht in der Beteiligung

SCHATTEN 95 möglichst aller relevanten Akteure einen folgt legitime Interessen – die der Wirt- Schlüssel zum Erfolg. Die Kernstrategie schaft.« Und zwar überaus erfolgreich. sei zwar, gute Ideen zu entwickeln. Aber: Genau hier liegt das Problem: Es gibt »Wichtig ist uns, diese Ideen mit Partnern weit und breit keine vergleichbare Insti- in Hochschulen und Landesregierungen tution, die diesen Mix aus qualifizierter zu erproben und umzusetzen. Das ist ein Politikberatung und Kontakthof anbie- wichtiger Faktor für unseren Einfluss.« tet. Und selbst wenn es in Deutschland Wie frei fühlt sich Ziegele? Kann er weitere, weniger stark markt- und pri- überhaupt ergebnisoffen arbeiten, wenn vatwirtschaftlich ausgerichtete Denk- Reinhard Mohn die Prämissen vorgibt? fabriken gäbe – nichts würde sich am Er habe Mohns Bücher gar nicht gelesen, Grundproblem ändern: Relevante Ent- aber es sei seine tiefe persönliche Über- scheidungen werden getroffen, bevor sie zeugung, dass Instrumente aus der Be- das Parlament erreichen. Damit erhalten triebswirtschaft den Hochschulen helfen einzelne zivilgesellschaftliche Akteure könnten – auch wenn man sie nicht naiv überproportional viel Einfluss, abhän- unverändert übertragen könne. »Wir sind gig auch davon, wie viel Geld sie für ihre ein Verbund kreativer Individuen, die ihre Netzwerkarbeit ausgeben können. Frank Ideen verfolgen.« Aber er gibt auch zu: »Es Böckelmann stellt fest: »Es gibt eine Ten- ist logisch, dass sich bei uns keine Leu- denz zur Privatisierung der Politik. Die te bewerben, die das, was wir bisher ge- Exekutive wird in Gremien ausgelagert, macht haben, für völligen Unsinn halten. in denen die Berater und Lobbyisten Jemand, der jahrelang im Aktionsbünd- den Ton angeben. Dort wird definiert, nis gegen Studiengebühren war, kommt was Gemeinwohl ist. Die demokratische nicht auf die Idee, zum CHE zu gehen.« Kontrolle droht somit leer zu laufen. Die wichtigen Probleme von heute sind dar- Einen übermächtigen Einfluss des CHE an erkennbar, dass die Bevölkerung nicht und der Bertelsmann Stiftung auf die darüber abstimmen kann.« Politik erkennt Ziegele nicht: »Ich habe noch nie ein Gesetz gemacht, Die Politik ist heute wesentlich stär- das ist nicht meine Aufgabe. Natür- ker darauf bedacht, sich mit keiner orga- lich gehen wir in die parlamentarischen nisierten Interessensgruppe anzulegen. Ausschüsse. Aber da sitzen auch andere Sie muss es vielleicht auch sein, um kei- Institutionen. Das ist transparent und zu- ne Wähler und damit ihre Legitimation tiefst demokratische Willensbildung.« zu verlieren. Für diesen Trend ist nicht die Bertelsmann Stiftung verantwortlich. Das Dilemma ist: Ziegele hat da- Die Bertelsmann-Leute moderieren die- mit recht und erfasst doch nur die hal- sen Prozess nur sehr gut. be Wahrheit: Niemand möchte den Mit- Das kann sich schnell ändern. Immer arbeitern der Bertelsmann Stiftung die mehr Journalisten wie Schumann kriti- Kompetenz absprechen – und auch der sieren diese Mechanismen. Der diskrete pauschale Vorwurf, Bertelsmann würde Kontakthof Bertelsmann Stiftung gerät den politischen Willensbildungsprozess zunehmend in das Licht der Öffentlich- untergraben, greift zu kurz. Oliver Schöl- keit. Gut möglich, dass es Politikern bald ler meint: »Die Bertelsmann Stiftung ver- schadet, dort entdeckt zu werden.

OPFER: ENOCH J. DREBBER. MOTIV: RACHE. 96 INJEKTION SCHATTEN AUS DEM ROMAN »EINE STUDIE IN SCHARLACHROT« VON ARTHUR CONAN DOYLE.97 OPFER: ALJONA IWANOWNA. MOTIV: HABGIER / PERVERSE SELBSTFINDUNG. OPFER: ELIZABETH NIGHTINGALE. MOTIV: EIFERSUCHT. AUS DEM ROMAN »SCHULD UND SÜHNE« VON FJODOR DOSTOJEWSKI. AUS DEM ROMAN »DER LIEBE BÖSER ENGEL« VON RUTH RENDELL. OPFER: FRIEDRICH BERG. MOTIV: HABGIER. OPFER: SOPHIA RELIVAUX. MOTIV: NEID. AUS DEM ROMAN »TOD IM EINSPÄNNER« VON VIRGINIA DOYLE. AUS DEM ROMAN »DIE SCHÖNE DIVA VON SAINT-JACQUES« VON FRED VARGAS. Schweig oder stirb

In Neapel wird die MAFIA immer mächtiger – nicht zuletzt, weil sie zunehmend Jugendliche rekrutiert. Darüber spre- chen wollen aber die wenigsten, denn das kann lebens- gefährlich sein.

TEXT NADINE OTTO gestellt. Auf einer Piazza hat er schließlich sogar öffentlich die Namen einiger Bosse n den Straßenecken türmt sich der genannt: »Iovine, Schiavone, Zagaria: Ihr Astinkende Müll. Die Baustellen halb- seid nichts wert«. Ein klarer Verstoß gegen fertiger Wohnhäuser sind verwaist; zerfal- die Omertà – das ungeschriebene Gesetz lene Gebäude warten vergeblich auf die des Schweigens, das von Furcht und Läh- Renovierung. Zerschossene Fenster von mung bestimmt wird. Sogar unter Freun- Geschäften sind kein seltener Anblick. den ist die Mafia häufig ein Tabuthema. Wäscheleinen hängen über den engen Doch Saviano weigerte sich zu schweigen Gassen, als wäre das alles ganz alltäglich. – mit drastischen Folgen: Die eigene Fa- Es ist Alltag: hier in Secondigliano und milie hat aus Angst den Kontakt zu ihm Sciampa, den Problemvierteln Neapels, abgebrochen, sein Bruder ist gar mit sei- wo minderjährige Dealer abends das ner Familie in den Norden geflohen. Straßenbild bestimmen. »In Secondigli- ano kann man die billigsten Drogen Eu- Die italienische Mafia hat das Land in ropas kaufen«, schreibt der junge Autor ihre Machtzonen aufgeteilt: in Sizilien die Roberto Saviano. In seinem Erstlingswerk Cosa Nostra, in Kalabrien die ’Ndranghe- Gomorra: Reise durch das wirtschaftliche ta, in Apulien die Sacra Corona Unita, die Imperium und den Herrschaftsraum der Camorra in Neapel. Il Sistema, wie die Ca- Camorra setzt er sich mit der mächtigen morra immer häufiger genannt wird, soll Camorra, der neapolitanischen Mafia mehr Menschen getötet haben als etwa auseinander. Und soll dafür mit dem Le- die Cosa Nostra, die spanische Terroror- GINA GORNY, JAHRGANG 1981, STUDIERTE KOMMUNIKATIONSDESIGN IN MANNHEIM. DIE BILDER SIND TEIL IHRER DIPLOMARBEIT »DAS MOTIV – PHOTOGRAPHIE ben bezahlen. ganisation ETA oder die irische IRA. UND KRIMINALLITERATUR« (WWW.GINAGORNY.DE) Im Ausland galt die Mafia traditi- DIE UNABHÄNGIGE BILDAGENTUR UND REPRÄSENTANZ »DURCHDIEBANK« FÖRDERT GINA Jahrelang hat Saviano recherchiert, ist onell als regionales Problem, als der GORNY UND ZAHLREICHE WEITERE STUDENTISCHE KÜNSTLER (WWW.DURCHDIEBANK.DE) mit seinem kleinen Motorroller durch die »Ehre« verschriebener Altherrenclub. Gassen gefahren, hat beobachtet, Fragen Doch laut Saviano hat sich die Organisa-

OPFER: THOMAS MURCHISON. MOTIV: DIE AUFDECKUNG EINES KUNSTBETRUGS VERHINDERN. AUS DEM ROMAN »RIPLEY UNDER GROUND« VON PATRICIA HIGHSMITH. SCHATTEN 103 tion spätestens seit dem Aufkommen harter Drogen in den sechziger Jah- ren zum globalisierungstauglichen Wirtschaftsimperium entwickelt.

Der Drogenhandel macht aber nur einen Teil der Aktivitäten der Camor- ra aus: Saviano zeigt auf, dass sich das Sistema auch auf die Textilbran- che ausweitet und maßgeblich an der weltweiten Verbreitung des Labels Made in beteiligt ist. Auch ande- re Branchen seien unterwandert: Das große Kapital der Bosse, ihr Einstieg in die Hightech-Branche und die lang-

same Unterwanderung des Kredit- THORNSTEDT TOBIAS FOTO: geschäfts stützen die Wirtschaft Ne- Metropole Neapel: »Die Karriere bei der Mafia ist für Jugendliche oft die einzige Aufstiegschance.« ANZEIGE apels. Ohne die Mafia, so die unaus- gesprochene Befürchtung, könnte die Stadt in ein soziales und ökono- missbraucht. Kein Mordfall in den letz- ihnen die Aufgaben erwachsener Mafiosi misches Chaos stürzen. ten Jahren hat unter den Neapolitanern übertragen. Ganze Viertel würden mitt- vergleichbare Empörung ausgelöst – we- lerweile von Minderjährigen kontrolliert. Neu sind vor allem auch die Quali- sentlich geändert hat sich seitdem jedoch tät und das Ausmaß an Brutalität auf nichts. Nicht ganz, so Saviano: Zumin- »Eine solche Karriere ist für die Jugend- Neapels Straßen. Saviano berichtet, dest bei der Camorra habe sich einiges lichen in den Problemvierteln oft die ein- dass immer häufiger Jugendliche zu getan; sie habe sich neu strukturiert und zige Möglichkeit des sozialen Aufstiegs«, Opfern werden. Nicht einmal Frauen sei dadurch viel flexibler als etwa dieCosa sagt die Sozialwissenschaftlerin Gabriella werden verschont, wie es früher ein- Nostra, weil sie aus Gruppen bestehe, die Gribaudi von der Universität Neapel. »Je- mal die Regel war. »Es genügt für ein noch einmal in eine Vielzahl von Unter- denfalls, solange sie in ihrer Heimat blei- Mädchen, eine lose Verbindung mit gruppen aufgeteilt sind. ben und nicht in den Norden auswandern einem Neumitglied der Camorra zu wollen.« Gribaudi schränkt allerdings ein: haben, um sie bei dessen Fehltritt als In den Problemvierteln müssen »Die meisten Jugendlichen leben wie an- Racheopfer auszuwählen«, sagt er. Jugendliche sich entscheiden: dere europäische Jugendliche auch. Ihre Vor drei Jahren wurde die 14-jäh- Camorra-Mitglied oder Verlierer Lage ist stark abhängig von der Situation rige Annalisa Durante in eine Schie- in den Stadtvierteln, den sozialen Struk- ßerei unter Mafiosi verwickelt. Vor allem Jugendliche würden rekru- turen vor Ort und den Schulen.« In den Ihr einziges Vergehen: Sie war zur tiert. Es fehlt an Arbeitsplätzen, an Mög- Problemvierteln allerdings, ergänzt Savi- falschen Zeit am falschen Ort. Die lichkeiten, Geld legal zu verdienen – so ano, ist die Lage eindeutig: Es gebe nur Schüsse galten Salvatore Giuliano, hat die Camorra leichtes Spiel. Die Vor- zwei Kategorien von Jugendlichen – man dem 19-jährigen Spross einer ein- teile für die Mafia sind groß: Die Jugend- ist bbuono oder chiachiello, Mitglied der flussreichen »Familie«. Am Ende war lichen fallen kaum auf, sind beweglich, Camorra oder ein Verlierer. Selbst der Giuliano getürmt, das unschuldige unabhängig und vielfältig einsetzbar. Die Aufstieg innerhalb der Camorra bleibt Mädchen tot. Möglicherweise wurde typische Karriere beginnt als »Baby-Dea- vielen verwehrt: Die Jugendlichen aus sie als menschlicher Schutzschild ler« leichter Drogen. Doch schnell werden dem Viertel Parco Verde etwa würden

104 INJEKTION SCHATTEN 105 nur als »Menschenware« ausgebeutet; auf der gegenüberliegenden Fahrspur selbst nigerianische und algerische Dro- nicht durch Lichthupen signalisiert wird, genverkäufer bekämen mehr für ihre Ar- dass gleich eine Polizeikontrolle kommt.« beit. »Viele werden Drogenkuriere«, be- richtet der Autor. »Sie bringen Rucksäcke Doch Jugendliche wie Paolo wollen die- voller Haschisch nach Rom und nehmen sen Status Quo nicht länger hinnehmen: keinen Lohn dafür, doch nach ungefähr In seiner Freizeit schreibt er Artikel für Lo- zehn Transporten bekommen sie einen kalzeitungen, auch über die Mafia. Nach Motorroller von ihren Auftraggebern.« den Morddrohungen gegen Saviano bau- te er mit Freunden eine Internetplattform Das Hauptproblem sei der kollek- zur Unterstützung des bedrohten Autors tive »Hang zur Illegalität«; eine all- auf. Die Besucher der Seite können eine tägliche Missachtung der Gesetze Petition unterstützen, die an hochrangige Politiker übermittelt wird. »Die Initiative«, Die Regierung von Ministerpräsi- erklärt Paolo, »ist aus dem starken Bedürf- dent Prodi hat sogar bereits darüber nis nach Solidarität mit dem mutigen ANZEIGE nachgedacht, Soldaten nach Neapel zu Schriftsteller entstanden. Sie ist ein Auf- schicken. Stattdessen kündigte Innen- ruf an die restlichen Italiener in den be- minister Giuliano Amato die Entsen- troffenen Gebieten, ihr Schweigen end- dung von 1.000 zusätzlichen Polizisten gültig zu brechen.« Gleichzeitig soll die an. Hilflose Reaktionen ratloser Poli- Initiative Aufmerksamkeit erzeugen: für tiker? Spricht man mit Einheimischen Neapels Probleme und mögliche Lö- über die Situation, sieht man meist nur sungen. resigniertes Kopfschütteln. Paolo Es- posito, ein Jurastudent aus einem Vor- Bildung ist der Schlüssel, davon ist Pa- ort Neapels, sieht das Ganze differen- olo überzeugt: »Am Anfang muss die Re- zierter: »Wir Neapolitaner wissen, dass form des Schulwesens stehen«, meint er. eine rein militärische Maßnahme das Pro- »Die Zahl der Schulabbrüche muss ver- blem nicht lösen kann. Die Armee kann ringert werden, um die Kinder von den der grassierenden Kriminalität höchstens Straßen fernzuhalten. Wir haben die als Puffer entgegenwirken. Die wahren höchste Abbrecherquote Europas!« Nötig Probleme müssen anders gelöst werden.« seien Alternativen zu den Erwerbsmög- lichkeiten, die die Mafia bietet. Das bestätigt auch die Sozialwissen- Notwendig ist aber auch journalisti- schaftlerin Gabriela Gribaudi: Die hohe sches Engagement wie das von Roberto Arbeitslosenquote, eines der häufigsten Saviano, mit dem der alltägliche Teufels- Argumente für die erfolgreiche Rekrutie- kreis des Schweigens durchbrochen wird. rung junger Neapolitaner durch die Ma- Paolo: »Sicherlich macht es mich traurig fia, sei nur eine Seite der Medaille. Sie be- und wütend, wenn ich sehe, dass ein jun- klagt als Hauptproblem einen kollektiven ger Mann aus der eigenen Stadt bedroht »Hang zur Illegalität«, eine alltäglich ge- wird, nur weil er seine Gedanken ausge- wordene Vernachlässigung von Regeln drückt hat. Die Sache zeigt jedoch auch und Gesetzen. Paolo Esposito stimmt zu: eines: wie viel das geschriebene Wort »Es wird sich erst etwas ändern, wenn mir nach wie vor bewegen kann.«

106 www.sosteniamosaviano.net: Die Solidaritätsplattform für Roberto Saviano Schattenspiele

»Leih dem Schiri mal dein Glasauge!« Blinde Hamburger Fußballfans leben ihre Leidenschaft aus 110

Die Kunst zu Fragen Wie Künstler in Australien auf kontroverse Themen aufmerksam machen 114

Schattenspiele Eine Fotostrecke von Arne Magold 119

Ein Fall für zwei Unser Autor hat Höhenangst. Wir werfen ihn aus einem Flugzeug 125

Illustration: Rebecca Blöcher links: Der blinde Pauli-Fan Michael Löffler und der Kommentator Wolf Schmidt kurz vor dem Anpfiff

seinem Sitz: Bei jeder Torchance versucht »Ich beschreibe manchmal nur ausführ- er gestenreich selbst, den Ball ins Tor zu licher, wo das Spiel gerade stattfindet und schießen oder zu köpfen. was auf den Rängen passiert. Mittlerwei- Bei fast jedem Heimspiel des FC St. le ist das Routine.« Eine Routine, für die Pauli sitzt Michael in der letzten Reihe der er pro Spiel inklusive Vorbereitungszeit Haupttribüne. »Hier, auf Höhe der Mit- etwa acht Stunden ehrenamtlich inves- tellinie, ist die Sicht einfach am besten«, tiert. Dabei wird er vor allem von Michael lacht er verschmitzt. Doch obwohl er für Löffler unterstützt, der sich vor den Sen- den Verein und die Spieler auf dem Rasen dungen um die Zuhörer kümmert oder lebt und sie lauter anfeuert als manch an- die Pauli-Spieler interviewt. derer Besucher, kann er vom Spiel nichts sehen. Michael Löffler ist von Geburt an Mittlerweile wird schon mehr als zehn blind. Dennoch fiebert er beim Spiel kräf- Minuten gespielt und die Löfflers folgen tig mit, genau wie seine Frau Katja – sie aufgeregt Schmidts Kommentar: »Jetzt ist ebenfalls blind und trägt ein Glasau- kommen die Gäste über die rechte Sei-

FOTO: TIM KUNKOWSI / ÖZKAN M. KILIC / ÖZKAN M. TIM KUNKOWSI FOTO: ge. Dennoch verpassen beide nichts vom te, der Ball wird in die Mitte gespielt, St. Spielgeschehen: Über einen Kopfhörer Pauli kann nicht klären und – Tor! Tor für verfolgen sie die Live-Berichterstattung die Gäste. Es steht null zu eins.« Null zu des Spiels. Seit fast drei Jahren bietet der eins! Wütend springt Michael Löffler von »Leih dem Schiri mal Verein einen speziellen Kommentar für seinem Sitz und stampft auf den Tribü- blinde und sehgeschädigte Fans an. nenboden. »Das kann doch nicht wahr sein! Jedes Mal das gleiche hier.« Vor lau- dein GLASAUGE!« »An der Mittellinie ist die Sicht am ter Aufregung färbt sich sein Gesicht noch besten«, sagt Michael. Er ist blind. ein bisschen dunkler. »Mann, was spielen die wieder zusammen!«, flucht er erneut. Obwohl sie BLIND sind, leben Hamburger Fußballfans ihre Die Idee zu dem Projekt hatte Michael »Das kann ich ja besser!«, schimpft seine Löffler selbst, der sich seit Jahren für die Frau Katja. Am liebsten würden die Löff- Leidenschaft aus – auf der Tribühne und auf dem Spielfeld. »Abteilung Fördernde Mitglieder« (afm) lers selbst mitspielen. ehrenamtlich engagiert. Und nachdem Kommentatoren gefunden wurden, ging Dass selbst das für blinde Fußballfans das afm-Radio Anfang 2004 zum ersten kein Problem ist, beweisen Michael und TEXT JOHANNES WEBER dass sich seine Gesichtsfarbe der Far- Mal auf Sendung. Pro Spiel lauschen etwa Katja – die beiden sind begeisterte Fuß- be der knallroten Sitzschalen annähert. acht Fans dem Live-Kommentar. »Bis zur ballspieler und trainieren regelmäßig in ervös sitzt Michael Löffler auf sei- Lautstark feuert der 30-jährige Hambur- ersten Sendung war es viel Arbeit«, sagt der Blindenmannschaft des FC St. Pauli. Nnem Sitzplatz im Hamburger Mil- ger sein Team an. Bei kühlen 13 Grad hat Michael. »So wie jetzt gerade auf dem Wenige Stunden zuvor in der Sport- lerntorstadion. »Das kann doch nicht er heute ausnahmsweise auf sein Trikot Platz!« Heute abend kommentiert Wolf halle der Hamburger Blindenschule am wahr sein!«, schimpft er. »Die spielen verzichtet und trägt stattdessen einen Schmidt das Spiel. Auch er ist von An- Borgweg: Michael steht etwa 20 Meter vor heute wieder einen Mist zusammen!« dunklen Pullover mit den Initialen sei- fang an dabei. »Ich bin ein Fan, der für die dem Tor und sucht verzweifelt einen Part- Das Spiel seines FC St. Pauli hat gerade nes Lieblingsvereins. »Besonders nervös Fans kommentiert«, erklärt der Hambur- ner, den er anspielen kann. »Andrea?«, erst begonnen, aber Michael regt sich so bin ich immer, wenn wir im Angriff sind«, ger. Seine Kommentare unterscheiden ruft er durch die Halle. »Ja, hier: Pass!«, über seine elf Jungs auf dem Platz auf, sagt Michael. Und schon reißt es ihn aus sich kaum von anderen Spielberichten. kommt die Antwort. »Ja, wohin denn?«

110 INJEKTION SCHATTEN 111 »Na, zu mir natürlich! Pass!« Doch der Egal ob Blindenmannschaft oder Profi- Schuss rollt an Andrea vorbei. Beim blin- liga: »Letztendlich geht’s doch nur um den Fußballspiel ist Kommunikation ent- das eine: Tore schießen«, sagt Michael scheidend; die Spieler verständigen sich Löffler. Was seine Jungs von St. Pauli mit Rufen. »Mit ein bisschen Übung weiß auf dem Rasen des Millerntorstadions man dann ganz gut, wo in der Halle man bisher, nach mehr als einer halben Stun- sich gerade befindet«, sagt Michael. de, immer noch nicht geschafft haben. Michael flüchtet sich in Galgenhumor: Am Rasseln erkennen die »Da kriegst du manchmal echt ne Laune Spieler, wo der Ball gerade ist und überlegst, ob Kricket nicht auch eine gute Sportart ist.« Doch er gibt die Hoff- Statt elf stehen nur fünf Spieler pro nung nicht auf. »Da heißt es: Anfeuern!« Team auf dem Platz. Gespielt wird auf Und schon ist sein Team wieder im An- einem 20 mal 40 Meter großen Feld auf griff. Flanke von rechts und – Toooor! Die ein Handballtor. Einzig im Tor stehen se- Löfflers und die fast 20.000 anderen Fans hende Mitspieler. Bei Spielen gegen an- im Stadion springen auf. »Das wurde aber dere Mannschaften stehen außerdem auch so langsam Zeit«, schnauft er er- sehende Betreuer am Spielfeldrand, um leichtert und schließt sich den ausgelas- den Kickern mit Anweisungen die Orien- senen Fangesängen an. Auch der Kom- tierung zu erleichtern. Der Ball ist etwas mentator lässt seinen Emotionen freien kleiner als ein normaler Fußball, innen Lauf: »Endlich! Das Eins zu Eins für un- sind mehrere Plastikkugeln mit weiteren seren FC St. Pauli in der 39. Minute! Luz kleinen Kügelchen darin eingenäht. Am legt für Braun ab, der vollendet zum Aus- Rasseln erkennen die Spieler, wo der Ball gleich.« ist. Hergestellt wird er in Brasilien, wo es bereits seit 20 Jahren professionellen Das Halbzeit-Bier mit anderen Fans Blindenfußball gibt. darf im Anschluss natürlich nicht feh- len. »Was ich hier so faszinierend finde: »Wenn es das Angebot vor zehn Jahren Man kann sich mit den Fans eine halbe gegeben hätte, hätte ich da schon mitge- Stunde lang über das Spiel unterhal- macht«, sagt Andrea Geadtke, Michaels ten, ohne dass auch nur ein Kommen- Mitspielerin. Bereits als Kind hat die heu- tar über meine Blindheit kommt«, sagt te 43-Jährige Fußball gespielt. Durch eine Michael. »Man wird behandelt wie jeder Krankheit verlor sie langsam ihr Augen- andere auch.« In fußballseliger Eintracht licht; erst jetzt kann sie ihrer Leidenschaft versuchen die Fans, sehende wie nicht- wieder nachgehen. Die Diplom-Psycho- sehende, ihre Jungs in der zweiten Halb- login arbeitet im Behindertenrat des AStA zeit zum Sieg zu treiben. Vergebens. Doch der Universität Hamburg und unterstützt Michael hat schnell einen Schuldigen ge- INJEKTION verlost: 3 Fluggutscheine von Germanwings im Wert von je 100 Euro, chronisch kranke und behinderte Studie- funden: den Schiedsrichter, der mal wie- 5 x 2 Freikarten für die »Lange Nacht der Museen« am 5. Mai 2007 und weitere Preise. rende. Der Fußball ist für sie mehr als nur der ein Abseits des Gegners nicht gese- Infos und Teilnahmebedingungen unter www.injektion-online.de/gewinnen ein Sport: »Es ist ein Integrationsplatz. hen haben will. Lachend sagt Michael Teilnahmeschluss: 10. April 2007 Nicht nur für Blinde, sondern auch für zu seiner Frau: »Katja, kannst du dem

Sehende, da wir hier viel zusammen ar- Schiri mal dein Glasauge leihen? Der ARNE MAGOLD SEITE 113: FOTO beiten müssen.« sieht ja heute gar nix.«

112 INJEKTION Die Kunst zu FRAGEN

In Australien erregt STREET ART die Gemüter: Im Schutz Als Vandalismus verfolgt, ist Street Art häufig die einzige der Nacht gestalten junge Künstler öffentliche Flächen, Möglichkeit, in einer entpolisierten Medienlandschaft um gegen die konservative Regierung zu protestieren. kontroverse Themen ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.

TEXT JON MENDRALA / FOTOS NICHOLAS HANSEN Schal verbirgt. Rasch zieht er eine Farb- mit »Australiana«-Symbolik spielt. Da- richten eine Gegenstimme zu geben. Sie dose aus seinem Rucksack und entfaltet bei geht es ihm und den anderen Street konfrontieren die größtenteils uninteres- ittwoch, kurz vor Mitternacht: Ge- eine Papierschablone mit dem Portrait Artists nicht primär um »Fame« und An- sierte und uninformierte Öffentlichkeit Mstalten huschen durch die Innen- des australischen Volkshelden und Stra- erkennung innerhalb ihrer Community, mit kontroversen Themen. Einzige Ins- stadt Brisbanes, die zu dieser Zeit wie ßenräubers Ned Kelly. Im 19. Jahrhundert wie es in der Graffiti-Szene häufig der Fall trumente: Schablonen, Sprühdose, Leim- ausgestorben wirkt. Ryan* und Anthony leistete Kelly erbittert Widerstand gegen ist. Die Street Artists schaffen sich künst- topf und Plakate. sind Mitte zwanzig und Street Artists. Die die britischen Kolonialbehörden. Nun lerisch eine Plattform um zu aktuellen, Polizei ist nicht ihr Freund und schon gar prangt das Konterfei von Australiens be- politischen Ereignissen Stellung zu neh- »In Australien kümmert sich doch kei- nicht ihr Helfer. »Wirklich clever sind die rühmtestem Vogelfreien an einem Klin- men: Kunst wird zum Vehikel, um der ne Sau um Politik«, konstatiert HaHa und Cops nicht, aber ich will nicht mehr ris- kerbau der Gegenwart. Abneigung gegenüber der konservativen drückt in deutlichen Worten aus, was aus- kieren als nötig«, sagt Ryan, der die Kapu- Ryan ist Stencil-Artist . Er hat sich un- Regierung von Australiens Premiermi- tralische Medienwissenschaftler als »Ent- ze seines Sweatshirts tief in die Stirn ge- ter dem Pseudonym »HaHa« einen Ruf nister John Howard Ausdruck zu verlei- politisierung der Medienkonsumenten«

zogen hat und sein Gesicht hinter einem als innovativer Künstler gemacht, der geändert * Name hen und den oft unkritischen Medienbe- bezeichnen. Graeme Turner, Professor

114 oben: Australiens Volksheld Ned Kelly, gesprüht von HaHa oben: »Bed Time Object« von Installationskünstler PALM 115 »Street Art gibt denjenigen eine Stimme, die sonst nicht beachtet werden.«

an der University of Queensland spricht dien, dass in der Berichterstattung über sogar von der »systematischen Evakuie- den G20-Gipfel in Melbourne im Novem- rung jedweden politischen Inhalts aus ber 2006 nur über die vereinzelten ge- aktuellen Nachrichtenformaten.« Wa- walttätigen Ausschreitungen einiger De- rum aber spielen politische Themen eine monstranten berichtet wurde. Ziele und untergeordnete Rolle? Die Zeitungsland- Hintergründe der Demonstrationen blie- schaft auf dem fünften Kontinent ist weit ben hingegen weitestgehend unerwähnt. weniger differenziert als die in Deutsch- land. Die großen Zeitungen sind ent- »Street Art gibt denjenigen eine Stim- weder im Besitz von Rupert Murdochs me, die sonst nicht gehört werden. Das ebenso mächtigem wie erzkonservativen ist eine unglaublich wichtige Funktion, NewsCorp-Konzern oder gehören zur al- gerade in einer Demokratie«, sagt Nicho- lenfalls etwas liberaleren John Fairfax las Hansen, Regisseur der preisgekrönten Holding. Eine wirklich liberale oder linke Dokumentation RASH (siehe Infokasten Tageszeitung sucht man vergebens. auf Seite 118). Er hat die Künstler nachts Generell spielt das Fernsehen für die mit der Kamera begleitet und ihnen und meisten Australier die weitaus größere ihrem Anliegen eine mediale Plattform Rolle. Die drei frei empfänglichen priva- geboten. Kritik erhielt der Filmemacher ten Sender 7even, 9/WIN und Network ten dafür besonders von konservativer Seite. HaHa, »die Cops konnten mir aber nichts Ned Kelly aufgeschaut: Ein Einzelner ge- setzen auf seichte Unterhaltung. »Family »Die Formen der heutigen Street Art beweisen und haben mir sogar gesagt, gen das ganze korrupte Establishment. Values« heißt das Zauberwort für die Pro- haben ihren Ursprung in der politischen dass sie meine Arbeit mögen.« Laut HaHa Das ist ein zeitloses Motiv.« grammgestaltung. Die Folgen: Die Nach- Agitation«, meint Hansen: »Street Art ist produziere Stencil Art im Gegensatz zum richten behandeln größtenteils lokale eine Art ›social messaging‹, die eigentlich klassischen Graffiti vor allem Bilder, die Australiens Street Art beschäftigt sich Themen und Sport. Kritischer und dis- ihren Ursprung im Italien der 1920er Jah- die Menschen wiedererkennen könnten: aber nicht nur mit derlei »Aussie Icons«, tanzierter Nachrichtenjournalismus wird re hat. Mussolinis Faschisten benutzten »Tagging ist doch Bullshit«, sagt HaHa, sondern will auf massenmedial vernach- kaum angeboten. Dabei nutzen knapp Stenciling zur Verbreitung politischer »wer weiß denn schon, was sich hinter lässigte Themen wie Korruption, soziale 85 Prozent der Bevölkerung diese Sen- Propaganda. Auch baskische Separatis- diesen Hieroglyphen verbirgt?« Ungerechtigkeit, unkritische Medien, Um- dungen als Haupt-Nachtrichtenquelle. tengruppen bedienen sich dieser Metho- Er spielt in seiner Arbeit mit dem weltverschmutzung und Diskriminierung de. Die Transformation zur politischen Image des Revolverhelden Ned Kelly, der aufmerksam machen. Für HaHa ist seine Viele Themen kommen daher in den Kunst geschah allerdings erst viel später.« noch heute eine zentrale Rolle im natio- Arbeit ein wichtiger Beitrag zur demokra- australischen Medien nicht vor. Mit Aus- nalen Selbstverständnis Australiens ein- tischen Meinungsbildung: »Für viele sind nahme der öffentlich-rechtlichen Sender Ob Kunst oder Vandalismus – darüber nimmt. Er gilt als Volksheld, vergleichbar meine Stencils doch die einzige Konfron- ABC und SBS verweigern die Radio- und streiten Politiker, Künstler und die Öf- mit Robin Hood in England. Viele Austra- tation mit politischen Inhalten. Vielleicht TV-Redaktionen häufig schlicht die- Be fentlichkeit. Die Street Artists bewegen lier pflegen bis heute gewisse Vorbehalte hilft es dem einen oder anderen, über ge- richterstattung über Gewerkschaftsde- sich bei ihren Projekten häufig jenseits gegenüber Behörden oder anderen Au- wisse politische Zusammenhänge noch mos, Greenpeace-Aktionen, Friedens- der Grenzen geltenden Rechts. Darum toritäten und kokettieren mit den anar- mal gründlich nachzudenken.« märsche oder Landrechts-Kundgebungen arbeiten sie im Schatten der Nacht, auf chistischen, halb legalen Zuständen der Aktuelle Themen wie der Irak-Krieg, in von Aborigine-Vertretern. So war es cha- der Hut vor der Polizei. »Einmal hätten Vorväter zu Zeiten der Sträflingskolonie. dem auch australische Truppen kämpfen, rakteristisch für die australischen Me- sie mich fast erwischt«, feixt Ryan alias HaHa erklärt: »Viele haben damals zu sind daher ein häufiges Motiv. Großes

116 INJEKTION oben: »Hosier« von Street Artist LISTER 117 Aufsehen erregte der Installationskünst- samkeiten. Beiden geht es darum, so ge- ler »PSALM«, der Spielzeug, Wasserpisto- nannten öffentlichen Raum wieder so len oder Geschirr an Häuserwände klebte, umzudeuten und zurück zu gewinnen, um künstlerisch »den alles verschlin- dass er tatsächlich der Allgemeinheit ge- genden Krieg« und die Unrechtmäßigkeit hört.« Listers Werke werden mittlerweile der Kampfhandlungen zu geißeln. in zahlreichen Galerien ausgestellt. Solche Erfolge haben auch das kom- Nicht alle Street Artists arbeiten illegal: merzielle Interesse an Street Art ge- In Brisbane, der Hauptstadt des Bundes- weckt; Kunstgalerien feiern sie als »hip staates Queensland, sind die Stromkäs- und zeitgemäß.« Auch die Werbebran- ten in der Innenstadt bunt bemalt – legal. che hat die Straßenkunst entdeckt. HaHa Anthony Lister, der seinen Nachnamen und viele andere freuen sich zwar über auch als Künstlernamen verwendet, hat diese neue Akzeptanz, befürchten aber, die Kästen im Auftrag der Stadtverwal- dass Ursprungsidee und Unabhängigkeit tung verziert. »Dass Graffiti geschmierte ihrer Ausdrucksform verloren gehen Buchstaben sind, Street Art dagegen to- könnten. Lister teilt diese Sorgen nicht: tal bohême ist, finde ich ein wenig zu kurz »Wer die Szene kennt, hat keine Angst.« gefasst«, betont er. »Es gibt viele Gemein- Die »Szene« – mehrere hundert Street Artists, die sich vor allem in Melbourne versammelt haben – gilt als wichtigste Street Art Community der Welt. Szene- kenner Hansen bestätigt: »Künstler kom- men aus ganz Australien, den USA und Europa, um sich weiter zu entwickeln.«

Als im November die Wirtschafts- und Finanzminister der G20-Staaten in Mel- bourne tagten, besetzten Demonstran- RASH bedeutet nicht nur »hastig«, sondern ten eine Bankfiliale und forderten die An- auch so viel wie »Aussschlag« und ist der Ti- gestellten zum Streik auf. Als die Polizei tel des Dokumentarfilms von Nicholas Han- die Eindringlinge vertrieb, prangte das sen. »Kratze daran und es breitet sich aus« Portrait Ned Kellys auf einer Leuchtrekla- lautet die provokante Botschaft seiner Do- me. Dieser hätte 1870 die Bank vermut- kumentation, für die Hansen (rechts, mit lich überfallen. Derartige Aktionen liegen Street Artist »DEST«) zweieinhalb Jahre lang den Straßenkünstlern des 21. Jahrhun- zahlreiche australische Untergrundkünstler derts fern; sie kämpfen mit Spraydose, begleitete. »RASH« wurde mit zahlreichen Schablone und unverblümter Kritik für Preisen ausgezeichnet, darunter »Bester soziale Gerechtigkeit und eine reflektierte australischer Dokumentarfilm.« Der Film lief Öffentlichkeit. »Ich bin schuldig«, sagt in Deutschland unter anderem auf Festivals Ryan. »Schuldig des zivilen Ungehorsams in Hamburg und Berlin. Wir verlosen zwei und des Fragestellens.« Er gibt einen Laut vom Regisseur handsignierte DVDs (siehe von sich, der mit seinem Künstlernamen Seite 113). FOTO: STEFAN MARKWORTH korrespondiert, und zieht grinsend an seiner Zigarette.

118 INJEKTION

ARNE MAGOLD, Jahrgang 1975, studierte Maschinenwesen an der TU München. Er widmet sich seit 2003 hauptberuflich der Fotografie. Seit 2005 ist er in Hamburg als freischaffender Künstler tätig. Ein für zwei (www.arnemagold.de) Fall

Redaktionsbrainstorming für dieses Heft. Redakteur Eins:

»Wie wäre es, wenn jemand darüber schreibt, wie er über sei-

nen eigenen Schatten springt?« Redakteur Zwei: »Jemand mit

HÖHENANGST könnte einen Fallschirmsprung machen!«

Redakteur Drei markiert den Harten: »Höhenangst hätte ich...«

Wir haben Redakteur Drei aus einem Flugzeug geworfen.

TEXT ROBERT DITTMAR / FOTO LARS PETERSEN Fallschirmspringen gilt als relativ un- gefährlich: Auf rund 52.000 Fallschirm- ei Verträgen lässt einen meistens sprünge kam im Jahr 2005 in Deutsch- Bdas Kleingedruckte zweifeln. So ist land ein Todesfall. Bei Tandemsprüngen es auch jetzt: Durch meine Unterschrift gab es hierzulande erst drei Tote; zwei in soll ich bestätigen, dass ich über die Ri- den neunziger Jahren und einen im Jahr siken eines Tandem-Fallschirmsprungs 2003. Das hält sich doch in Grenzen, sagt informiert wurde. Eigentlich eine harm- mein Kopf. Bist du wahnsinnig, zetert lose Angelegenheit, lese ich – und lese mein Bauchgefühl zurück, was hast du weiter, dass es bei der Landung selbst hier schon zu sagen? War es echt nötig, »bei größter Sorgfalt« zu Verstauchungen, in der Redaktionskonferenz derartig das Knochenbrüchen und Gehirnerschütte- Maul aufzureißen? rungen kommen kann. Unterschreiben soll ich, dass mir bewusst ist, »dass das Schluss jetzt! Ich ziehe das Ding jetzt Extrem-Risiko darin besteht, dass sich der durch! Hastig kritzele ich mein Auto- Hauptfallschirm nicht öffnet und der für gramm. Der Verein YUU Skydive hat diesen Fall vorhandene Reservefallschirm sein Quartier auf dem ehemaligen Hee- ebenfalls versagt.« Das ist absolut nicht resflieger-Stützpunkt »Hungriger Wolf« das, was ich jetzt brauche, um meine Hö- bei Itzehoe in Schleswig-Holstein. »Fall- henangst in den Griff zu bekommen! schirmspringen ist ein gefährlicher Sport,

SCHATTEN 125 »Ich werde über den Türrahmen geschoben, hänge im Nichts. Nackte Panik steigt in mir auf.«

den man sicher betreiben kann«, sagt Sturmgebrüll, das an Anzug wie Nerven mein Tandem-Master Yorck Vettereck. gleichermaßen zerrt. Meine Sicherheit, »Das Gefährlichste ist dann die Auto- das hier durchziehen zu wollen, ist dahin. fahrt zum Flugplatz.« Schon bei über Die Rebellion in meiner Magengrube 700 Tandemsprüngen hat er seinen kommt zu spät: Von Yorck angefeuert, Passagier sicher zurück zur Erde ge- kämpfe ich gegen das Würgen in meiner bracht. Also gebe ich mich ganz cool Kehle an und zwinge mich, einen Fuß und zwänge mich in den verdammt en- nach dem anderen auf das Trittbrett zu gen Sprunganzug. Seelenruhig exer- setzen. Yorck schiebt mich vorwärts über ziert Yorck anschließend mit mir die den kalten Türrahmen. Nackte Panik Details durch: Ausstieg, Freifallphase, steigt in mir auf: Vor mir breitet sich eine Schirmauslösen, Landung. Ich versuche, scheinbar endlose Leere aus, ich hän- Der Autor beim wenig erfolgreichen Versuch, vor dem Sprung möglichst cool zu wirken mich auf die Trockenübungen zu kon- ge im Nichts. Der Impuls, sich irgendwo zentrieren, doch meine Nervosität steigt. festzuklammern, wird immer stärker. Im rechten Augenwinkel beginnt ein Muskel Langsam stabilisiert sich die Lage. Je den Fußspitzen. Willkommen zurück in Jetzt wird es ernst. Die kleine Cessna wie blöd zu zucken. Ich beiße die Zähne schneller wir fallen, desto stärker wird der gewohnten Schwerkraft. Ich muss 182 steigt auf knapp 3.5000 Meter Höhe. zusammen, kneife die Augen zusammen der Luftstrom, der uns abbremst und Halt tief durchatmen: Meine Fresse, ich habe Ich bemühe mich, Haltung zu bewahren, und packe die Gurte des Geschirrs fester. gibt. Nun meldet sich auch der Orientie- tatsächlich vergessen zu atmen! Jetzt ist ruhig zu atmen und mich mit dem Blick rungssinn zurück; die Eingeweide sen- auch die Höhenangst wieder da, obwohl auf den Horizont abzulenken: Im Norden Plötzlich ein unbeschreibliches Gefühl: ken sich wieder etwas. Und plötzlich ist ich eigentlich zu sehr mit Endorphinen breitet sich der Nord-Ostsee-Kanal aus, Mein Inneres scheint sich zu entmateri- die Panik vergessen! Ein überwältigendes voll gepumpt bin, um Angst zu spüren. im Süden die Elbe. alisieren. Schwerelosigkeit! Totalverlust Gefühl von Rausch und Freiheit steigt in Trotzdem sehe ich lieber schön gera- »Zwei Minuten bis zum Exit«, meldet der Orientierung! Auch dass meine Au- mir hoch und treibt mir das wohl dickste deaus, während Yorck eine scharfe Kur- der Pilot – es geht los! Mit einem Ruck öff- gen wie von selbst wieder aufgesprun- Grinsen meines Lebens ins Gesicht. Yeah! ve nach der anderen fliegt. Die Wiese net sich die Tür und gibt den Blick in die gen sind, ändert daran nichts: Alles dreht Mit ausgebreiteten Armen geht es im frei- nähert sich; ich ziehe meine Beine an… Tiefe frei. Das bis eben noch gedämpfte sich um mich. Oben, unten, vorne, hinten en Fall dem Muster aus grünen Feldern geschafft! Ich wühle mich in die Grasbü- Rauschen explodiert zu einem tosenden – alles eins. entgegen. Jawohl, sogar senkrecht nach schel, presse meinen Bauch an den Bo- unten kann ich jetzt schauen. den: Die Erde hat mich wieder!

Doch es bleibt keine Zeit, um mich Ich habe keine Ahnung, wie lange ich wirklich an dieses Gefühl zu gewöhnen: hier liege, bis ich einigermaßen wieder ANZEIGE Schon berührt Yorck meine Stirn – das zu mir komme. Irgendwann stehe ich Zeichen, dass er gleich den Schirm aus- zwar wieder – allerdings noch lange völ- lösen wird. Verdammt, noch ist es also lig neben mir. Das fette Grinsen will für nicht geschafft! Die Hände ans Geschirr, den Rest des Tages nicht aus meinem Ge- den Kopf in den Nacken, Augen zu – sicht weichen. Verdammt, Alter: Du hast eine, zwei, drei Sekunden... uff! Da mel- es wirklich getan. det sich der Magen wieder; diesmal aus Mit Dank an Yuu Skydive (www.yuu-skydive.de)

SCHATTEN 127 FOTO: MIRKO MARQUARDT MIRKO FOTO:

Impressum

INJEKTION. CAMPUSMAGAZIN FOTOS Allende-Platz 1 · Raum 117 · 20146 Hamburg Dominik Betz, Rebecca Blöcher, Anna Bohaumilitzky, Tel. (040) 414 298 81 Gina Gorny (ginagorny.de), Arne Magold (arnemagold.de), [email protected] Mirko Marquardt, Nadine Otto, Lars Petersen, Claudius Schulze, Maximilian Westphal HERAUSGEBER Fachschaftsrat Journalistik der Uni Hamburg SCHLUSSREDAKTION Julia Hettenhausen, Julia Stanek, Christoph Tapper CHEFREDAKTION Dominik Betz (ViSdP), Florian Diekmann, DANKE Mirko Marquardt (CvD) AStA der Uni Hamburg, Inga Behrendt, Holger Bergens, Robert Dittmar, Claas Gieselmann, Jan Grarup, ART DIRECTOR Sebastian Hofer, Tim Kunkowski, Arne Magold, Annika Mirko Marquardt Müller, Hannes Schettler, Franziska Silbermann, Uni Marketing GmbH, Carolin Wiedemann, Carolin Zombik ILLUSTRATION Rebecca Blöcher ([email protected]) DRUCK PMS Marketing, Meppen INFOGRAFIK Nora Coenenberg ([email protected]) AUFLAGE 10.000 Exemplare ANZEIGEN Robert Dittmar, Konstantin Erb, Franziska Silbermann, ERSCHEINUNGSWEISE Carolin Wiedemann (Leitung) INJEKTION erscheint halbjährlich und ist kostenlos

REDAKTION FÖRDERUNG Jan-Malte Ambs, Anna Bohaumilitzky, Léa Chalmont, Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) der Univer- Annika Demgen, Robert Dittmar, Jennifer Domnick, sität Hamburg Marlene Hense, Katharina Klofat, Swenja Kopp, Linda ProJournal e.V., Verein der Freunde und Förderer des Laddach, Jon Mendrala, Frederik Mohrdiek, Katharina Instituts für Journalistik und Kommunikationswissen- Motyl, Silvia Müller, Nadine Otto, Hannes Schettler, schaft an der Universität Hamburg Claudius Schulze, Julia Stanek, Johannes Weber, Carolin Wiedemann WWW.INJEKTION-ONLINE.DE

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