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LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. FRANKREICH JÖRG WOLFF Kabinettsumbildung in Frankreich MATHILDE DURAND SARAH RODE VORSTELLUNG UND ANALYSE 16. November 2010 Der französische Präsident Nicolas Sar- auf mehr Zustimmung in der Bevölkerung www.kas.de kozy hat am 14. November 2010 eine angewiesen. www.kas.de/frankreich Regierungsumbildung vorgenommen. Es ist nach dem dritten Revirement vom Da seine Popularitätswerte schon seit ge- März dieses Jahres nunmehr die vierte raumer Zeit unter 30 Prozent liegen1 und Veränderung des Kabinetts in seiner insgesamt die Glaubwürdigkeit der Regie- Amtszeit seit 2007. Sie war lange er- rung abnahm (so schätzen 64% der Be- wartet worden, da sie der Präsident be- völkerung Politiker als „eher korrupt“ reits im Juni ankündigte. Mit der Kabi- ein2) setzt Präsident Sarkozy für den nettsumbildung werden de facto die Rest der Legislaturperiode nunmehr auf Präsidentschafts- und Parlamentswah- erfahrene, bewährte und loyale Politiker len 2012 vorbereitet. Sie soll nach Ab- schluss der umstrittenen Rentenreform in den Schlüsselministerien. die Regierungspolitik programmatisch schärfen und mit Neubesetzungen das Wie es in Paris gesehen wird, will der personelle Profil verbessern. Das neue Staatschef mit der neuen Regierung mit Kabinett wurde von 37 auf 30 Mitglie- dem Wechsel „Verlässlichkeit“ und einen der verkleinert. „frischen Wind“ demonstrieren. Diese Ab- sicht lässt sich aus der Struktur der Kabi- Die Regierungsumbildung nettsumbildung erkennen. Vor allem un- bequeme, unpopuläre oder leistungs- Der Kabinettsumbau zielt vor allem dar- schwache Minister mussten den Platz auf, die eher konservativen Wähler- räumen. schichten Frankreichs wieder für die Re- gierungspolitik zu gewinnen. Präsident Die Entlassenen und Regierung konnten sich bei der Ren- tenreform gegenüber den mit allen Mit- So gehören zu den wichtigsten Verlierern teln kämpfenden Gewerkschaften be- des Revirements: haupten und das umstrittene Reformwerk am 10. November in Kraft treten lassen. - Außenminister Bernard Kouchner: Der Damit war der Weg für die lange ange- Mitbegründer der Organisation Ärzte oh- kündigte Regierungsumbildung und einen ne Grenzen war nützlich, weil er von den Neuanfang mit einem schlankeren Kabi- Sozialisten kam, populär und beliebt war. nett frei. Der Elysée ließ im allerdings wenig Hand- lungsspielraum in seinem Ressort. Zuletzt Der Staatspräsident ist nach monatelan- äußerte er mehrfach Kritik an dem Regie- gen Umfragetiefs, Affären und Skanda- rungsstil und der Roma-Ausweisung. len, die seine insgesamt keinesfalls schlechte, sondern recht geschickte Re- 1 Vgl. Le Monde, 01.07.2010 gierungspolitik überschatten, dringend 2 Vgl. Le Monde, 05.07.2010 2 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. - Arbeitsminister Eric Woerth: Der in die in der Regierung wurde er erneut zum L’Oréal-Affäre verstrickte Minister, der Premierminister berufen. Er ist das Ge- FRANKREICH noch im Frühjahr als unverzichtbar für genstück zu dem mitunter erratischen die Durchführung der Rentenreform ge- Staatspräsidenten. Der nüchterne und JÖRG WOLFF nannt wurde, schied erwartungsgemäß ausgleichende Fillon entwickelte sich in MATHILDE DURAND aus der Regierung aus. diesem Jahr immer mehr zum Stabilitäts- SARAH RODE faktor der Regierung, erhielt den Ruf als - Umwelt-, Energie- und Transportminis- „ruhende Kraft“ sowie als „ruhender Pol“ 16. November 2010 ter Jean-Louis Borloo: Der Zentrist (Par- und steht für Kontinuität. Seine Zustim- www.kas.de ti Radical, mit UMP verbündet) scheidet mungsrate in der Bevölkerung liegt ge- www.kas.de/frankreich nach eigenen Angaben auf eigenen genwärtig um ca. 15% höher als diejeni- Wunsch aus der Regierung aus. Er war ge des Staatspräsidenten. wochenlang als neuer Ministerpräsident gehandelt worden. Ihm wurden laut un- - Verteidigungsminister Alain Juppé: terschiedlichen Quellen mehrere Ministe- Auch über seine Berufung ist lange spe- rien angeboten. Ihm wird der Ehrgeiz kuliert worden. Er galt als künftiger Wirt- nachgesagt, in anderthalb Jahren für die schafts- und Finanzminister. Alain Juppé Präsidentschaft zu kandidieren. Er wäre ist ein außerordentlich erfahrener Politi- damit ein Konkurrent für Sarkozy. ker, der alle Höhen und Tiefen der fran- zösischen Politik durchlebte. Er gilt als - Verteidigungsminister Hervé Morin: Der ehrgeizig, intelligent und kühl. Seine poli- Vorsitzende der Partei Nouveau Centre, tische Laufbahn umfasste bisher: Enger deren Abgeordneten zu der UMP-Fraktion Mitarbeiter Jaques Chiracs, Außenminis- gehören, hatte bereits vor einigen Wo- ter, Premierminister, Parteivorsitzender chen erklärt, dass er 2012 zur Präsident- und sehr erfolgreicher Bürgermeister von schaftswahl antreten werde und deshalb Bordeaux. kein neues Ministeramt anstrebe. - Wirtschafts- und Finanzministerin - Staatssekretärinnen Rama Yade und Christine Lagarde: Sie wurde seit Okto- Fadela Amara: Beide Regierungsmitglie- ber von den politischen Gerüchtezirkeln der hatten Migrationshintergrund, waren als neue Außenministerin gehandelt. seit längerem im Kabinett und galten als Auch sie steht für Kontinuität und dürfte Aushängeschild für die französische In- mit ihrer langen internationalen Berufser- tegration. Sie wurden nicht wieder er- fahrungen, ihrem Sachverstand und nannt. scharfen Intellekt sowie stilvollem Auftre- ten dem Staatspräsidenten wegen den Die neue Regierung französischen G20- und G8- Präsidentschaften unentbehrlich sein. Ihr In der neuen Mannschaft finden sich be- Aufgabenbereich wird um die Energiepoli- währte Politiker, aber auch jüngere tik ergänzt. Nachwuchskräfte. Der Zuschnitt der Mi- nisterien hat sich z.T. erheblich geändert. - Minister für Inneres Brice Hortefeux: Sein Geschäftsbereich wird zusätzlich um Die Gewinner des Revirements und somit das Immigrationsressort vergrößert. Er die voraussichtlichen Schwergewichte der gilt als solider und durchsetzungsfähiger neuen Regierung sind: Politiker, der durchaus mitunter auch hart und kompromisslos sein kann. Der loyale - Premierminister François Fillon: Nach Brice Hortefeux genießt das besondere langen Spekulationen über sein Verbleib Vertrauen des Staatspräsidenten. 3 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. - Ministerin für auswärtige und europäi- - Ministerin für Ökologie, nachhaltige sche Angelegenheiten Michèle Alliot- Entwicklung, Transport und Wohnungs- FRANKREICH Marie: Die bisherige Justizministerin wird wesen Nathalie Kosciusko-Morizet: Die Frankreich in Zukunft international ver- bisherige Staatssekretärin im Amt des JÖRG WOLFF treten. Ihre Ernennung gilt als Überra- Ministerpräsidenten rückt in ein neu zu- MATHILDE DURAND schung, da mit ihrem Abgang aus der sammengesetztes Superministerium ein. SARAH RODE Regierung fest gerechnet wurde. Die ele- Sie ist die jüngste Ministerin im Kabinett. gante Ministerin ist Juristin, hat ministe- Die promovierte Ingenieurin, die erst seit 16. November 2010 rielle Erfahrung unter verschiedenen Mi- 2002 politisch tätig ist, hat eine steile www.kas.de nisterpräsidenten (Jugend und Sport, Karriere hinter sich. www.kas.de/frankreich Verteidigung, Innere Angelegenheiten). Sie gilt als seriöse Politikerin. Offen ist, Eine Gesamtübersicht der Regierungsum- wie viel außenpolitischer Spielraum ihr bildung findet sich in Anlage 1, die Le- gewährt wird. Ihr Lebensgefährte, der bensläufe der neuen Minister und Staats- langjährige Abgeordnete, ehemaliger Par- sekretäre in Anlage 2. lamentspräsident und gegenwärtiger Vor- sitzender des Wirtschaftsausschusses Sonstige Veränderungen Patrick Ollier, wurde bei der Regierungs- Immigrationsminister Eric Besson: Die umbildung zum Minister für die Bezie- verunglückte Durchführung der Kampag- hungen zum Parlament ernannt. ne zur Nationalen Identität wurde vor al- lem ihm angelastet. Im Zuge der Kabi- - Minister für Arbeit, Beschäftigung und nettsumbildung wurde das in der innen- Gesundheit Xavier Bertrand: Der vor politischen Diskussion umstrittene Minis- knapp zwei Jahren zum UMP- terium für Immigration und nationale Generalsekretär bestellte Politiker kehrt Identität aufgelöst. Der von der Sozialis- in die Regierung zurück. Er gehört zur tischen Partei übergetretene Eric Besson, jüngeren Garde der UMP und übte seit früherer Berater der sozialistischen Präsi- 2003 mehrfach politische Ämter (Staats- dentschaftskandidatin Segolène Royal, sekretär im Gesundheitsministerium, Mi- wurde Minister für Industrie, Energie und nister für Gesundheit, Minister für Arbeit, digitale Wirtschaft bei der Ministerin für Familie, Soziales und Solidarität) aus. Wirtschaft, Finanzen und Industrie. Xavier Bertrand war 2007 Sprecher der Präsidentschafts-Wahlkampagne und hat- Der bisherige Staatssekretär für Europäi- te somit Anteil an der erfolgreichen Wahl sche Angelegenheiten, Pierre Lellouche, Nicolas Sarkozys zum Präsidenten. Mit der auch für die Beziehungen zwischen dem Wechsel Bertrands in die Regierung Frankreich und Deutschland verantwort- wird vermutet, dass der UMP- lich war, wurde Staatssekretär im Minis- Parteivorsitz nunmehr auf den Fraktions- terium für Wirtschaft, Finanzen und In- vorsitzenden, Jean-François Copé, über- dustrie, zuständig für den Außenhandel. geht. Sein Nachfolger, Laurent Wauquiez, ist nunmehr Minister für europäische Ange- - Haushaltsminister François Baroin: Der legenheiten bei der Ministerin für auswär- erst im Frühjahr berufene Minister gehört tige und europäische Angelegenheiten. zu den jüngeren Ministern des Kabinetts. Er erhält zusätzlich das Amt des Regie- Wohin geht der politische Weg? rungsprechers, das er bereits früher un- ter Ministerpräsident Juppé ausübte.