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Kultur

STARS Tod einer Punk-Prinzessin Zu Lebzeiten wurde sie verehrt als „Lady Di des Underground“: Jetzt löste der Tod von Paula Yates Trauer und Bestürzung unter Englands Frauen aus. Sie sei eine gewesen, hieß es, die ihnen gezeigt habe, „dass du verdammt noch mal tun kannst, was du willst“. Von Thomas Hüetlin

das alles barfuß – allein dieser letzte Ein- kauf sagt eine ganze Menge über das Leben und Sterben von Paula Yates, die am vor- vergangenen Sonntag tot von ihrer vier- jährigen Tochter Heavenly Hiraani Tiger Lily im Bett gefunden wurde. Wie viele Frauen ihrer Generation woll- te sie alles, und meistens wollte sie es so- fort: schöne Partys, tollen Sex, eine fabel- hafte Familie, eine spannende Karriere. Dazu wollte sie bei all diesem Ehrgeiz und all diesen Verpflichtungen das Gefühl ha- ben, frei zu sein. Und als daraus nichts wurde, als sie mitansehen musste, wie ihre Pläne, die auch ihre Träume waren, ka- puttgingen, da sollte wenigstens die Küche sauber sein. Nur, mit blank gewienerten Kacheln und den vier Töchtern, die Yates zurück- lässt, sieht der Rock’n’Roll-Tod, den sie starb, noch hässlicher aus. Eine Mischung aus Smirnoff, Heroin und Barbituraten hatte sie im Schlaf erbrechen lassen, und sie sei an diesem Erbrochenen erstickt, hieß es. Sofort spekulierten die Zeitungen auf Selbstmord. Schließlich hatte sie es in den Jahren vorher schon versucht. Ein- mal mit einer Schlinge um den Hals, einmal mit einem Cocktail aus Valium und Bai- ley’s. Allein: Stets wirkten ihre Anstalten,

FOTOS: ACTION PRESS ACTION FOTOS: sich das Leben zu nehmen, eher wie Glamour-Girl Yates, Tochter Tiger Lily, Partner Hutchence (1997): Schokolade, Heroin Hilfeschreie, am Leben zu bleiben. „Mei- ne Güte, da hätte ich ja beinahe Marilyn ie war eins von den Mädchen, die Monroe gespielt“, sagte sie, nachdem sie gern shoppen gehen, und so ist es aus ihrer Valium-Bailey’s-Vergiftung er- Sziemlich logisch, dass der Letzte, der wacht war. sie lebend sah, ein Verkäufer war. Es waren Sprüche und Auftritte wie die- Der Mann heißt Zahid Safi, und er ist se, die Yates zu einer englischen National- keiner von denen, die in der Bond Street Ikone werden ließen, die über zwei Jahr- bei Gucci hochhackige Schuhe so fürsorg- zehnte als unzerstörbar galt. Eine „Lady lich aus den raschelnden Kartons klauben, Di des Underground“ tauften sie die Zei- als seien sie nicht aus Plastik, sondern aus tungen, eine „Prinzessin des Punk“, und echtem Gold. Zahid Safi ist asiatischer Ab- Yates genoss es, solche Etiketten zu spielen. stammung, und ihm gehört ein „Food and Als jetzt die Nachrufe über sie geschrieben Wine Shop“ in Notting Hill, dem Wohn- wurden, klang es, als würde die Anführe- viertel, wo Paula Yates ihr 3-Millionen- rin einer landesweiten Mädchengang be- Mark-Haus besaß. trauert. „Sie war stets das Girl, das alles als Sie sei in seinen Laden gekommen an Erste tat“, schrieb der „Daily Telegraph“. jenem Samstagabend, erzählt Safi, und „Furcht erregend schlau, außergewöhnlich habe zwei, drei kleine Flaschen Smirnoff witzig, intuitiv und originell, war sie eine gekauft, dazu Schokolade für die kleine freie Denkerin, deren Schuhe auch noch zu Tochter und einen Küchenreiniger. An- ihrer Handtasche passten“, pries sie der sonsten sei ihm noch aufgefallen, dass sie „Guardian“. „Sie zeigte den Frauen, dass barfuß war. Kleine Smirnoff-Flaschen, Schokolade Yates bei Filmpremiere in im Juni für die Tochter, ein Küchenreiniger und Smarties-Schachtel unterm Bett 100 du verdammt noch mal tun kannst, was Wie es sich für ein Starlet gehört, wur- du willst.“ de zumindest die Sache mit den Männern Natürlich passte zu diesem Was-du-willst und den Nachtclubs zur Obsession. Ge- bestens, dass sie eine Figur der Postmo- fragt waren allerdings nicht mehr spani- derne war; eine Funkenmarie des Anything sche Strandbars mit alternden Playboys, Goes; des Zeitalters, in dem alles erlaubt sondern London, Punkrock und junge Re- sein musste. Vom Punk hatte sie die Lust bellen, die Verbotenes taten. am Skandal und die direkte Sprache ge- Nach einer Affäre mit dem Musiker lernt. Nur, sie wollte mehr. Sie wollte den Richard Hell stieg die 18-Jährige in Dublin ganz großen Auftritt. in den Fond eines Daimler und machte sich Das Dumme war nur, dass sie zumindest an dem Hosenstall des Sängers anfangs kein besonderes Talent besaß, wel- zu schaffen. Als die beiden fertig waren, ches ihr erlaubt hätte, ganz vorn bei der meinte sie kokett: „Das ist es doch, was ihr Scheinwerferaristokratie zu stehen. Natür- Rockstars von uns Mädchen erwartet.“ lich, sie sah gut aus – aber nicht gut genug, Weil die Köpfe zwar voller Anarchie, die um als Model Geld zu verdienen. Okay, sie Hosentaschen aber meist leer waren, gab besaß ein paar Platten – aber nicht den in- ihr Geldof am nächsten Morgen 80 Pence neren Zwang, selbst welche aufnehmen zu (damals gut drei Mark), damit sie mit dem müssen. Und klar, sie wusste sich in Posen Bus nach Hause fahren konnte. Sie blieb. zu werfen – aber für die Poseure von Hol- Später wurde geheiratet. Später bedeutete lywood war sie viel zu bodenständig. für Punkrocker viel später. Und so wun- Machte ja nichts. Paula Yates fand auch so derte sich niemand, als aus dem Später Einlass zu jeder Party, die wichtig war. Und acht Jahre wurden. weil sie sich mit einem tiefen Ausschnitt Die Trauung kostete 30 Dollar, der Ort stets dort herumdrängelte, wo die Fotogra- war Las Vegas, aber in der Plastikkapelle fen standen, und dazu freche Sprüche ab- standen nicht mehr ein struppiger Musi- gab, hieß es auf einmal, sie sei ein Glamour- ker und sein Groupie, sondern das Pop-

Girl. Mädchen, die so auftreten, sind stets PRESS ACTION traumpaar der achtziger Jahre. Er hatte mit gefragt in den Medien, und all diese Be- Yates, Ehemann Geldof (1995) „Live Aid“, einem der größten und wag- richte hintereinander gereiht ergaben eine „Leidenschaften nutzen sich ab“ halsigsten Wohltätigkeitsspektakel aller Art Daily Soap der Glitzerwelt: Paula Yates Zeiten, 200 Millionen Mark für hungernde – berühmt dafür, berühmt zu sein. mertür. Was folgte, war eine Art Pädago- Afrikaner auf den rettenden Weg gebracht Wahrscheinlich war dieser Zwang, das gik aus der Geisterbahn. Früh aufs Internat und war dafür von der Queen zum Ritter eigene Leben mit der ganzen Nation zu abgeschoben. Mit zwölf von der Schule ge- geschlagen worden; und Paula Yates galt als teilen, nur ein weiterer Versuch, die Zu- holt mit der Begründung: „Wir haben eine die Zukunft der Fernsehunterhaltung. neigung zu erwerben, die ihr die eigene Audienz beim Papst.“ Stattdessen mit der Ihre Art hatte wenig gemein mit der Mutter verweigerte. Diese, eine Schön- Tochter nach Mallorca gefahren und ein Tweedsakko- und Pfeifenrauchertradition heitskönigin aus dem englischen Arbeiter- paar Jahre geblieben. „Ich lebte so eine ehrwürdiger Journalistenschulen. Sie trat bad , hatte sich so oft nachts aus Art Beach-Bunny-Existenz“, sagte Paula auf den Bildschirm, war charmant, spring- dem Haus geschlichen, um ihren Affären Yates später über ihre Teenagerjahre in der lebendig und heimste dafür auch noch in nachzugehen. Um sie zu stoppen, legte sich Sonne. „Schnellboote, Nachtclubs und New York, dem weltweit gefürchtetsten Paula samt Bettzeug vor die Schlafzim- ältere Männer.“ Kulturkampfplatz, Preise ein. Eine ihrer Sendungen zeichnete sich dadurch aus, dass sie schon frühmorgens Popstars auf einem Bett mit Leopardenfell empfing. An- züglichkeit mit Stil – Lichtjahre entfernt vom Herumgestotter der Verona Feld- buschs dieser Welt. Es waren solche Erfolge, die sie stolz und großzügig machten, nur zufrieden stellten sie Englands Glamour-Girl Number One nicht. Kinder mussten her, und sie ka- men in Form von drei Töchtern, die bald zauberhaft kichernd durch den Garten sprangen. Okay, sie mussten sich mit den merkwürdigen Namen Fifi Trixibelle, Peaches Honeyblossom und Little Pixie abfinden. Aber so ist der Rock’n’Roller anscheinend, wenn er sich fortpflanzt. Es änderte sich nichts daran, dass die Geldofs auf all die, die mit Punk und dem Schlacht- ruf „No more heroes“ groß wurden und die nicht einmal im Drogentraum an eine eigene Familie gedacht hatten, auf ein- mal wie Vorbilder wirkten. Aha, so geht es also auch. Das Idyll der Gegenkultur, des Under-

CINETEXT ground, der das neue Establishment war, Szene aus „Frühstück bei Tiffany“ mit Hepburn als Glamour-Girl (1960): Rotes Grausen sollte nicht lange halten. Von Anfang an

102 der spiegel 39/2000 Kultur waren die Eheleute grundverschieden ge- förmlich herausbrüllte. „Michael ist ein 1997 ein Freund am Telefon, dass ihr Lover wesen. Geldof, der zornige junge Mann Geschenk für die Frauen“, stand dort tot sei. Nackt, erhängt mit einem Gürtel, an mit dem Hang zu Schweigeminuten, die geschrieben, „der sexieste Mann des Uni- einer Hotelzimmertür in Sydney. manchmal Stunden dauern konnten; versums.“ Außerdem hatte Hutchence für Sie hat sich nie von diesem Schlag er- Yates, die vergnügte Plaudertasche, die sich Yates das Supermodel Helena Christensen holt. Und als sei es noch nicht genug, folg- in „Penthouse“ gezeigt hatte, nichts tra- verlassen. Der Triumph war vollkommen: ten weitere in kurzen Abständen. Als sie gend außer einer Tätowierung. Die Diffe- Sie war ausgebrochen aus dem Eheknast, mit einem schwarz gefärbten Brautkleid renz, die sie anfangs angezogen hatte, und sie hatte dazu, Mitte 30, kleingewach- bei der Beerdigung erschien, befahlen ihr nervte allmählich nur noch. Sie war gierig sen, inzwischen Mutter von drei Töchtern, die Hutchence-Eltern, sie solle verschwin- nach mehr Leben, er wollte seine Ruhe, eine der schönsten Frauen der Welt be- den. Danach wollten sie ihr Tiger Lily weg- und außerdem hatte er, den seine Lands- siegt. Diesmal waren sogar die Zeitungen nehmen. leute nur noch „Saint Bob“ nannten, einen baff. „Würden Sie“, fragte fassungslos das Wieder zurück in London, von Depres- neuen tiefen Einblick ins Dasein genom- englische Magazin „GQ“, das die Chris- sionen geschüttelt, erfuhr sie, dass sie selbst men: „Leidenschaften werden langweilig tensen auf dem Cover hatte, „diese Frau nicht das Kind des Ehemanns ihrer Mutter und nutzen sich ab. Die Leidenschaft gegen Paula Yates eintauschen?“ war, sondern das Ergebnis einer Affäre. Es kam ihr wohl vor, als habe sie keine Zu- kunft mehr und keine Vergangenheit. Kämpferin, die sie war, probte sie den Aufstand gegen dieses Schicksal – allein die Waffen, mit denen sie in die Schlacht zog, schienen grundverkehrt zu sein. Mit hochhackigen Schuhen und durchsichtigen Kleidern rannte sie weiterhin zu Filmpre- mieren und Fashion-Shows, hatte Affären mit Männern, die ihre Söhne hätten sein können, und glaubte dabei doch nur, Hutchence die Treue zu halten und dem wilden Leben, dem sie sich in besseren Ta- gen verschworen hatten. Als sie in diesem Jahr 40 wurde, schrieb sie: „Ich bin glücklich, Mitglied einer Ge- neration zu sein, der das Alter 40 scheiß- egal ist. Um ehrlich zu sein: Es ist ein Wun- der, dass ich überhaupt so alt geworden bin.“ Natürlich war das die größte Lüge von allen. Denn nichts war ihr egal. Nicht ihr Alter, nicht ihr Aussehen, nicht ihre Angst vor dem Verfall. Früher hätte sie wahrscheinlich gelacht über ihre Wehwehchen, die sie jetzt mit Monsterkräften zu erdrücken schienen und tagelang im Bett liegen ließen, direkt neben

R. CHAMBURY / ALPHA R. CHAMBURY der Urne mit der Asche von Hutchence, Partner Hutchence, Yates im Londoner TV (1994): „Michael ist ein Geschenk für Frauen“ die sie in einen Pyjama von Gucci ge- wickelt hatte. Nur – die Kraft ging ihr aus, schränkt die Existenz ein. Sex brennt einen Paula Yates war wieder jung – und sie und helfen wollte sie sich nicht lassen. Menschen aus.“ wollte es bleiben. Sie ließ sich den Busen Glamour kann eine schreckliche Sache Paula Yates leistete sich ein Privileg, das vergrößern, die Zähne operieren, Rippen sein, und keiner hat den langen Schatten, bis dahin vor allem verheirateten Männern entfernen, um die Taille zu schmälern. den er oft wirft, besser beschrieben als vorbehalten gewesen war: Sie sah sich nach Auch diese Errungenschaften der moder- Truman Capote in seinem Buch „Früh- Abwechslung um. Und sie brauchte nicht nen Medizin teilte sie nicht nur mit ihrem stück bei Tiffany“ mit der wundervollen lange zu suchen. Die Abwechslung hing neuen Lover, sie nahm sich ganz England Heldin, dem Glamour-Girl Holly Golight- schon seit 1982 in Form eines Fotos an an die Brust. Natürlich durften in diesem ly (Audrey Hepburn). „Kennen Sie die ihrem Kühlschrank und hörte auf den Chaos ihre drei Töchter nicht fehlen, die sie Tage“, fragt sie da, „wenn Sie das rote Namen , Sänger der mitgenommen hatte. Grausen gepackt hat?“ Ob es das Gleiche australischen Band INXS. „Wann kommt Allein, Hutchence verhalf ihr nicht nur sei wie die blaue Melancholie, fragt ein dieses blöde Bild endlich runter von unse- zu neuem Spaß am Leben, er brachte ihr Freund. „Nein“, entgegnet sie, „die krie- rem Eiskasten?“, soll Geldof zu glücklichen auch bei, Drogen und zu viel Alkohol zu gen Sie, weil Sie dick werden oder auch Zeiten noch gefragt haben. Die Antwort sei- sich zu nehmen, und als eine Nanny unterm wohl, weil es zu lange regnet.“ Das rote ner Frau hieß: „Wenn ich ihn endlich habe.“ Bett eine Smarties-Schachtel gefüllt mit Grausen dagegen sei die Hölle, und man Mitte der neunziger Jahre sahen sich Opium fand, war es um das Sorgerecht ge- wisse nicht einmal, warum. Hutchence und Yates wieder, und dieses schehen. Bob Geldof erhielt die Töchter Es muss wohl so was in dieser Richtung Mal blieb es nicht beim Fotoausschneiden. zugesprochen. Yates bekam mit Hutchence gewesen sein an diesem Wochenende in Es funkte nicht, es muss eine Art Explo- Tochter Nummer vier: Tiger Lily. Notting Hill, als Paula Yates ihr Haus betrat sion gegeben haben zwischen den beiden, Natürlich – all das kostete Kraft, aber mit kleinen Smirnoff-Flaschen, Schokola- und dummerweise konnte der betrogene sie strahlte vor Zuversicht, weil sie verliebt de für die Tochter und einem Küchenrei- Ehemann Geldof jeden Tag in den Zeitun- war und glaubte, endlich das Leben führen niger und es wieder verließ in einem Lei- gen davon lesen, weil seine Frau im zu können, von dem sie immer geträumt chensack, von dem die Zeitungen schrie- Glücksrausch ihrer Libido die Neuigkeiten hatte. Dann sagte ihr am 22. November ben, dass er burgunderfarben war. ™

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