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Der demokratische Dem großen Vorbild Präsidentschaftsbewerber auf der Spur im Profil Franz-Josef Reuter/Kristin Vorpahl

Für viele seiner Mitstudenten in Yale war ging mit JFK segeln und war für eine John F. Kerry der eifrig-ehrgeizige Klas- Weile mit Jackies Halbschwester befreun- sensprecher, einer, der irgendwann gerne det. Präsident der Vereinigten Staaten werden Mütterlicherseits geht Kerrys Famili- würde. Man nahm ihn auf in Skull and enbaum zurück auf die Forbes – sie be- Bones, die berüchtigte Geheimgesell- gründeten ihr Vermögen auf dem Handel schaft in Yale, zu der auch der amtierende mit China von Boston – und die politisch Präsident George W. Bush und dessen mächtigen Winthrops. Auf Seiten des Va- Vater George H. W. Bush gehören. Nur ters stammt der Neuengländer von einem fünfzehn neue Mitglieder gibt es pro Jahr, tschechischen Juden und einer Budapes- sie sollen, wenn nicht aus eigener Kraft, ter Jüdin ab. Beide ließen sich als Erwach- dann doch wenigstens ob der Skull-and- sene taufen, änderten ihren Namen von Bones-Beziehungen groß herauskommen Kohn auf Kerry und emigrierten 1905 in Amerika. nach Amerika, wo sie schon bald prospe- Kerrys Leben ist gezeichnet von ver- rierten. Der Großvater erschoss sich; er meintlichen Widersprüchen. Vom Viet- hinterließ seinem Sohn Richard, Kerrys namhelden wandelt sich der Sohn eines Vater, genug Geld für Yale und Harvard. Testpiloten im Zweiten Weltkrieg zum Während eines Frankreichaufenthaltes eloquenten Kriegsgegner, vom liberalen lernte Richard seine Frau Rosemary ken- Rebellen zum knallharten Ankläger, zu ei- nen. John F. Kerry wurde am 11. Dezem- nem Politiker, der jeder Regierung zuerst ber 1943 in Alabama geboren. Dort wurde einmal skeptisch gegenübersteht. Manche der Vater zum Piloten ausgebildet, um sagen, als Politiker sei Kerry aloof, reser- dann im Krieg gegen Deutschland zu viert, zurückhaltend, einer ohne glaskla- kämpfen. res Weltbild. Man ist erstaunt über die Gemeinsam- John Kerry verbrachte seine Jugend in keiten mit JFK: Sie sind beide katholisch, zwölf verschiedenen Städten auf zwei sie haben die gleiche politische Philoso- Kontinenten; Internate in Neuengland phie, beide verbrachten große Teile ihrer und der Schweiz waren schon früh sein Kindheit in Massachusetts, beide spre- Zuhause. Kerrys soziales Milieu findet chen sie mit dem gleichen, tiefen Boston- sich in der Oberschicht Neuenglands, Akzent. Ohne Zweifel ist der immer ju- allerdings nirgendwo auch nur nahe des gendliche Präsident aus den sechziger Reichtums und Wohlstandes der Kenne- Jahren für Kerry ein Vorbild. Noch heute dys oder der Bushs. Aber eben auch nicht findet sich in der JFK-Bibliothek ein Brief, nahe der Armut der Familien von Bill den Kerry damals an den Präsidenten Clinton oder John Edwards. Als kleiner schrieb. Darin heißt es: „Ich bin, und das Junge freute sich Bill Clinton, John F. Ken- ist noch untertrieben, ein glühender Ken- nedy die Hand schütteln zu dürfen; Kerry nedy-Unterstützer.“

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Nach seinem Yale-Abschluss 1966 Dreimal wurde Kerry verwundet, bevor schrieb sich Kerry für den Vietnamkrieg er den Dienst quittierte. Das war die Re- ein. Zuvor noch hielt er die Abschluss- gel: „Dreimal und du bist draußen.“ rede seines Jahrganges mit Blick auf den Kerry verließ Vietnam auch mit dem Ge- bevorstehenden Feldzug und den militä- danken, dass der Krieg falsch war. Als er rischen Kampf gegen den Kommunis- zurückkam und gegen den Krieg protes- mus: „Aus übertriebenem Isolationismus tierte, wurde er Präsident Richard Nixon ist nun übertriebener Interventionismus bald ein Dorn im Auge. Der Präsident, da- geworden.“ Und weiter: „Die Vereinigten von zeugen seine Tonbandaufnahmen, Staaten müssen, glaube ich, verstehen, gab Order: „Zerstört den jungen Dema- dass die Interventionspolitik, die in West- gogen, bevor er ein zweiter Ralph Nader europa richtig war, nicht auch für den wird.“ Rest der Welt angewendet werden kann Kerry kehrte aus Vietnam zurück, als und darf. Wir haben nicht den Wunsch zu der Krieg auf seinem Höhepunkt war: dienen verloren, sondern wir hinterfra- Mehr als eine halbe Million US-Soldaten gen die Wurzeln dessen, wofür wir die- waren in Südostasien stationiert, weit nen sollen.“ über 30 000 Amerikaner hatten bereits ihr Leben gelassen. Antikriegsproteste wa- Vietnamheld und Kriegsgegner ren nun auf Hochtouren. Kerry sprach Kerrys Stimme war zu diesem Zeitpunkt gegen den Krieg, was ihm politisch nicht eine einsame; der Krieg in Vietnam galt gerade förderlich war. Er trat der Organi- den meisten Amerikanern eher als splen- sation „Veterans against the War“ bei, did little war, zweifellos gewinnbar. Mü- wurde schnell ihr Gesicht und damit ein helos hätte Kerry seine Beziehungen nut- gefundenes Fressen für die Medien. Die zen können, nicht zuletzt die aus Skull heute fast schon legendären Demonstra- and Bones, um dem Kriegsdienst zu ent- tionen im April 1971, als hunderttau- rinnen. Aber sein Kumpel Richard Per- sende aus dem ganzen Land in die Re- shing, Enkel des berühmten Generals gierungshauptstadt kamen, gehen auf John Pershing, gab den Ton an: „Wenn ein Kerrys Idee zurück. Kerry selbst sagte – Krieg ausbricht, dann dient man!“ Per- uniformiert – vor dem Senate Committee shing starb nach wenigen Tagen auf dem on Foreign Relations aus, wo er seine bis Schlachtfeld, als er unter Beschuss nach dato berühmteste Rede hielt: „Wie kann einem Kameraden suchte. man einen Mann bitten, der Letzte zu In Vietnam kommandierte Kerry ein sein, der in Vietnam stirbt? Wie kann man Patrouillenboot der Navy, ebenso wie einen Mann bitten, für einen Fehler zu sein Vorbild JFK im Zweiten Weltkrieg. sterben? Diese Administration hat uns Ohne Zweifel legte der frisch gebackene (Soldaten) entehrt.“ Weniger Aufmerk- College-Absolvent großen Mut an den samkeit schenkte man damals seinen Tag. Das bestätigt sogar der ihm ansons- Worten, mit denen er ausführlich die ten nicht eben wohl gesonnene Boston Gräueltaten der US-Soldaten in Vietnam Globe nach der Sichtung tausender Doku- beschreibt. mente aus der Zeit und unzähliger Inter- views mit Zeugen. Unter Beschuss rettete Stellvertretender Gouverneur Kerry zum Beispiel einen Kameraden, ob- von Massachusetts gleich er selbst verwundet war. Dieser 1972 war Kerry landesweit bekannt; 28 Kamerad, eigentlich ein eingefleischter Jahre alt, richtete er seinen Blick nun auf Republikaner, ist jetzt wieder aufgetaucht den Kongress. Er wollte ihn gehen, den und begleitet den Senator im Wahlkampf. langen Marsch durch die Institutionen

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Dem großen Vorbild auf der Spur

oder das System, wie es in Amerika heißt. Committee on Foreign Relations, wo er Im Wahlkampf um einen Kongresssitz fünfzehn Jahre zuvor sein Plädoyer gegen für Massachusetts verlor er gegen seinen den Krieg in Vietnam gehalten hatte. republikanischen Herausforderer. Von Jetzt, 42-jährig, war Kerry selbst Senator. allen Seiten hatte man ihm mangelnden Patriotismus vorgeworfen. Kerry wurde Senator in Washington D. C. erst einmal Staatsanwalt und Vater. Zu- Die Welt richtete ihre Augen auf den Bür- vor hatte er , die Schwester gerkrieg in Nicaragua. In Washington seines besten Freundes David Thorne, ge- und anderswo gab es zu dieser Zeit mehr heiratet. Sein politisches Comeback star- oder weniger geheime Studien, nach de- tete er 1982, inmitten der Reagan-Ära. Er nen Reagans Regierung die Contras mit versuchte es nicht gleich wieder mit Wa- Waffen gegen die linksgerichteten Sandi- shington, sondern zunächst als Stellver- nisten unterstütze. Reagan schwamm treter von Gouverneur Michael Dukakis nach seiner Wiederwahl im November in Massachusetts, als Law-and-Order- 1984 auf einer hohen Beliebtheitswelle; Staatsanwalt, allerdings mit pazifisti- im Committee hatten die Republikaner scher Note: Er war gegen den Rüstungs- die Mehrheit. Allerdings glaubten Mitar- wettlauf des Kalten Krieges. Dabei hatte beiter von Kerry beweisen zu können, er die Friedensbewegung auf seiner Seite. dass die Contras in den Drogenschmug- Kerry gewann die Wahl und verlor seine gel eingebunden waren. Das sicherte Frau. Kerry die Unterstützung von Jesse Es sollte eine kurze Visite im State Helms, eigentlich sein politischer Gegen- Capitol sein; auf einer Reise durch den part. Kerry und andere Demokraten tra- Schwarzwald – der stellvertretende Gou- fen sich mit Daniel Ortega und anderen verneur wollte sich über sauren Regen in- Führern Nicaraguas, um zu zeigen, dass formieren – erfuhr er, dass Paul Tsongas die amerikanische Regierung in ihrer seinen Senatssitz aus Gesundheitsgrün- Angst vor dem nicaraguanischen Kom- den aufgeben will. Mit dem Image des munismus übertrieb. Außenminister progressiven, ergo liberalen Demokraten George Schultz erklärte daraufhin, dass ging Kerry ins Rennen und gewann. Er Kerry ein Werkzeug der Kommunisten hatte Erfolg, auch beruflichen: Seine pri- sei. Auch die Öffentlichkeit war nicht von vate Anwaltskanzlei hatte einen Frei- Kerrys Reise angetan. Vielen galt er als spruch für George Reissfelder bewirkt. „silly“. Es war ja immer noch eine Ad-hoc- Der lebenslänglich verurteilte Mann saß Investigation; Kerry ermittelte, um, wie er schon fünfzehn Jahre im Gefängnis für ei- sagte, ein zweites Vietnam zu verhindern. nen Mord, den er nicht begangen hatte (so Vertrauen genoss er dabei nicht nur von das neue Urteil). Helms, auch der renommierte republika- Kerry stieg in das Rennen ein als Kri- nische Senator und Vorsitzende des Com- tiker von Präsident Reagan. Kein Ver- mittees, Richard Lugar, schlug sich auf ständnis hatte er für die Invasion von Gre- die Seite seines Kollegen aus Massachu- nada im Oktober 1983. Sein Leitsatz da- setts. mals: „Die Administration ersetzt Diplo- Dennoch stand Kerry mit dem Rücken matie durch Public Relations und setzt an der Wand, und zwar finanziell, poli- amerikanische Leben aufs Spiel, ohne tisch und persönlich. Dass er etwas hoch dass eine direkte Gefahr von Grenada Brisantes aufgespürt hatte, erfreute selbst ausginge.“ einige Kollegen aus der eigenen Partei Kerry gewann die Wahl. Zwei Jahre nicht sonderlich. Schließlich war 1988 später fand er sich wieder vor dem Senate Wahljahr, und Michael Dukakis, Gouver-

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neur in Kerrys Heimatstaat Massachu- Im selben Jahr heiratete der Senator setts, galt ohnehin schon als zu liberal, zu Teresa Heinz, die in aufge- soft. Als sich die Iran-Contra-Affäre ent- wachsene Witwe des republikanischen lud und zur Top-Story in den USA wurde, Senators und eine der reichs- war Kerry schon seines Platzes im Com- ten Frauen der Welt. mittee verwiesen. Zum Ausgleich erhielt Nach zwei Amtsperioden im Senat er den Vorsitz des Unterausschusses zu war Kerry ein ausgewiesener Außenpoli- Terrorismus, Drogen und Internationaler tikexperte. Für alles Innenpolitische und Operation – für ihn ein Wermutstropfen. Soziale zeichnete Massachusetts’ Senior- Und zur Enttäuschung von Verschwö- Senator Edward Kennedy verantwort- rungstheoretikern konnte Kerry nicht lich. Kennedy gilt als liberaler Dinosau- nachweisen, dass die USA einem Drogen- rier des Senates. Schon seit 1969 wirkt er kartell vorstand. dort. Er ist der Kämpfer für alle Wohlta- 1988 war die Scheidung von Julia end- ten des Staates: Gesundheitsfürsorge, Bil- gültig. Kerry war pleite, schließlich hatte dung, Mindestlohn stehen immer oben sie ihren Wohlstand mit in die Ehe ge- auf seiner Agenda. Als sich Kerry nach bracht. Seine neue Frau, Teresa Heinz, er- zwölf Jahren um eine dritte Amtsperiode innert sich heute an seine „Gypsy-Tage“ bewarb, musste er sich denn auch fragen Ende der 1980er, als er keinen festen lassen, was er in dieser Zeit für seine Wohnsitz hatte. Das war auch die Zeit, in Landsleute in Massachusetts getan hätte. der Kerry einigen Affären mit Holly- Innenpolitisch war seine Agenda ziem- woodsternchen und anderen Stars frönte lich unterbelichtet. In einem Kopf-an- und so zum Liebling der Klatschreporter Kopf-Rennen gegen seinen Herausforde- wurde. 1990 bewarb er sich erneut um ein rer, den beliebten republikanischen Gou- Senatorenamt. verneur William Weld, hatte er (fast) nur Nach der Wiederwahl avancierte er in seine Geschichte als Vietnamveteran. Wie Washington zum Medienstar. Das wollte im diesjährigen Präsidentschaftswahl- er selbst so. Einer seiner besten Freunde kampf hat es ihm auch damals geholfen, heute ist der Republikaner John McCain. dass seine alten Kameraden sich zu ihm Der Senator aus Arizona ist ebenfalls ein auf die Bühne gesellten. Vietnamveteran. Gemeinsam kamen sie Im September 2003 hat Kerry seine zu dem Schluss, dass die Wunden des Kandidatur für die Nominierung seiner Vietnamkrieges heilen müssen. Kerry Partei als deren Präsidentschaftskandidat übernahm den Vorsitz eines politisch publik gemacht. Kein Demokrat, der brisanten Ausschusses, der mehr über nicht aus dem Süden kam, hat seit John F. den Verbleib von vermissten US-Solda- Kennedy die Präsidentschaft gewonnen. ten in Vietnam herausfinden sollte. Bis Es ist ein Leichtes, Kerry als zweiten Du- dahin galt die „Rambo“-Version von kakis darzustellen, dessen stellvertreten- Kriegsgefangenen in Vietnam. 1995 stan- der Gouverneur er ja auch gewesen war. den Kerry und McCain an der Seite von Und dann ist da noch das Attribut Wa- Bill Clinton, als dieser erklärte, die Verei- shington-Insider. Ein überaus wohlha- nigten Staaten würden die diplomati- bender zudem. schen Beziehungen zu Vietnam normali- Siehe auch: Friederich Mielke, John F. Kerry: Eine ame- sieren. rikanische Biografie, Herbig, 225 Seiten, 19,90 Euro.

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