Kammerkonzert

»Ach Gott, vom Himmel sieh darein« Musik der Reformation und Gegenreformation

Abschlusskonzert der Tagung »Musik in neuzeitlichen Konfessionskulturen« in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Volksliedarchiv Freiburg und dem Landeskirchlichen Archiv

Freitag, 14. Oktober 2011, 20 Uhr Stadtkirche Stuttgart-Bad Cannstatt

333. KONZERT DER REIHE MUSIK AM 13. 2

Mit Ausnahme der Sonderkonzerte ist der Eintritt zu allen unseren Konzerten frei. Unser Prinzip »hohe Qualität – Eintritt frei« ist nur möglich, indem kirchliche Einrichtungen, zahlreiche Firmen und Institutionen, unsere Fördervereine und viele private Spender unsere musikalische Arbeit unterstützen. Wir danken allen Förderern und bitten unsere Konzertbesucher herzlich um eine Spende. Jeder Beitrag ist will- kommen. 3 Programm

»Salve regina« »Ich will den Herren loben allezeit« für Tenor und Basso continuo Heinrich Schütz Claudio Monteverdi 1567-1643 Kleines geistliches Konzert für Tenor und B. c. SWV 306 * * »Ach Gott von Himmel sieh darein« (nach Psalm 12) »Es ist das Heil uns kommen her« Strophe 1+4: Martin Agricola 1486-1556 Strophe 1: Arnold von Bruck um 1490-1554 (Bearbeitung eines Chorsatzes) Bearbeitung eines Tenorsatzes 2+3 : Johann Hermann Schein 1586-1630 2-4+6: Johann Hermann Schein 7: Sixtus Dietrich um 1494-1548 »Ein feste Burg ist unser Gott« Bearbeitung eines Chorsatzes Martin Luther 1483-1546 »O unüberwindlicher Held, St. Michael« »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« (Würzburg 1621) Balthasar Resinarius 1486(?)-1544(?) Choralmotette »Wie schön leucht uns der Morgenstern« Philipp Nikolai 1556-1608 * Satz: Johann Hermann Schein

»O süßer, o freundlicher, * o gütiger Herr Jesu Christe« Heinrich Schütz 1585-1672 »O quam pulchra es amica mea« Kleines geistliches Konzert für Tenor und B. c. für Tenor und B. c. SWV 285 Claudio Monteverdi

*

Choral für Violine und B. c. Andreas Weller Tenor William Brade 1560-1630 Annegret Siedel Violine Franziska Finckh Viola da Gamba »Alle Welt, was lebet und webet« Michael Freimuth Laute für Violine und B. c. Jörg-Hannes Hahn Orgel Peter Morhardt ?-1685 Dr. Meinrad Walter Moderation 4 Gesangstexte Die uns jetzt hat betroffen. Der alt’ böse Feind, [Salve Regina} Mit Ernst er’s jetzt meint, Sei gegrüßt, o Königin, Groß’ Macht und viel List Mutter der Barmherzigkeit; Sein’ grausam’ Rüstung ist, unser Leben, unsere Wonne Auf Erd’ ist nicht seinsgleichen. und unsere Hoffnung, sei gegrüßt! Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas; Mit unsrer Macht ist nichts getan, zu dir seufzen wir trauernd und weinend Wir sind gar bald verloren; in diesem Tal der Tränen. Es streit’ für uns der rechte Mann, Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, Den Gott hat selbst erkoren. wende deine barmherzigen Augen uns zu Fragst du, wer der ist? und nach diesem Elend zeige uns Jesus, Er heißt Jesus Christ, die gebenedeite Frucht deines Leibes! Der Herr Zebaoth, O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria. Und ist kein andrer Gott, (zugeschrieben Hermann von Reichenau) Das Feld muss er behalten.

Und wenn die Welt voll Teufel wär Ach Gott, vom Himmel sieh darein, Und wollt uns gar verschlingen, Und lass dich des erbarmen, So fürchten wir uns nicht so sehr, Wie wenig sind der Heilgen dein, Es soll uns doch gelingen. verführet sind die Armen, Der Fürst dieser Welt, Durch List der Ketzer immerdar, Wie sau’r er sich stellt, Der Glaub, der will verlöschen gar, Tut er uns doch nichts, In diesen unsern Landen. Das macht, er ist gericht’, Ein Wörtlein kann ihn fällen. Erstanden sind der Flegel viel, Ein jeder weiß es besser, Das Wort sie sollen lassen stahn Niemand dem andern weichen will, Und kein’n Dank dazu haben; sie treiben’s wie die B’sessn’n, Er ist bei uns wohl auf dem Plan Was die alt wahr Kirch gelehrt hat, Mit seinem Geist und Gaben. Das ist bei ihnen nur eitel Spott, Nehmen sie uns den Leib, Sie lassen sich nicht lenken. Gut, Ehr’, Kind und Weib: Lass fahren dahin, Sie lehren eitel falsche List, Sie haben’s kein’ Gewinn, Was Eigenwitz erfindet, Das Reich muss uns doch bleiben. Ihr Herz nicht eines Sinnes ist, (Martin Luther) in recht Wahrheit gegründet, Der predigt dies, der ander das, sie trennen’s Volk ohn alle Maß, Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Der Klügst’ acht sich ein jeder. Und steur des Papsts und Türken Mord, Die Jesum Christum, deinen Sohn, Es wird das Volk aus dieser Lehr Stürzen wollen von seinem Thron! wie Sodom und Gomorrhen, Man acht kein Ehr noch Zucht nicht mehr, Beweis dein’ Macht, Herr Jesu Christ, Es ist eitel Schelt’n und Schnorren, Der du Herr aller Herren bist; Das Saufen und Fressen nimmt überhand, Beschirm’ dein’ arme Christenheit, Es wird nur all’s an Bauch gewandt, Dass sie dich lob’ in Ewigkeit! d’ Seel’ wird wohl vergessen. (Johann Leisentrit) Gott Heil’ger Geist, du Tröster wert, Gib dein’m Volk ein’rlei Sinn auf Erd’, Ein’ feste Burg ist unser Gott, Steh bei uns in der letzten Not, Ein gute Wehr und Waffen; G’leit uns ins Leben aus dem Tod! Er hilft uns frei aus aller Not, (Martin Luther) 5 O süßer, o freundlicher, Ich will den Herren loben allezeit, o gütiger Herr Jesu Christe, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein, wie hoch hast du uns elende Menschen geliebet, Alleluja. wie teur hast du uns erlöset, Meine Seele soll sich rühmen des Herren, wie lieblich hast du uns getröstet, dass es die Elenden hören und sich freuen, wie herrlich hast du uns gemacht, Alleluja. wie gewaltig hast du uns erhoben, Preiset mit mir den Herren, mein Heiland, wie erfreuet sich mein Herz, und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen. mein Heiland, wenn ich daran gedenke, Alleluja. denn je mehr ich daran gedenke, Da ich den Herren suchte, anwortet er mir, je freundlicher du bist, je lieber ich dich habe. und er errettet mich aus aller meiner Furcht, Mein Erlöser, wie herrlich sind deine Wohltaten, Alleluja, und half mir aus allen meinen Nöten, die du uns erzeiget hast, Alleluja. wie groß ist die Herrlichkeit, (Psalm 34, 2-5. 7 mit eingefügtem »Alleluja«) die du uns bereitet hast. O, wie verlanget meiner Seelen nach dir, wie sehne ich mich mit aller Macht Es ist das Heil uns kommen her aus diesem Elende Von Gnad’ und lauter Güte, nach dem himmlischen Vaterland. Die Werke helfen nimmermehr, Mein Helfer, Sie mögen nicht behüten, du hast mir mein Herz genommen mit deiner Liebe, Der Glaub’ sieht Jesum Christum an dass ich mich ohne Unterlass nach dir sehne, Der hat g’nug für uns all’ getan, dass ich bald zu dir kommen Er ist der Mittler worden. und deine Herrlichkeit schauen sollte. (Autor unbekannt) Was Gott im G’setz geboten hat, Da man es nicht konnt’ halten, Erhub sich Zorn und große Not Alle Welt, was lebt und webet, Vor Gott so mannigfalten; was in Feld und Häusern ist, Vom Fleisch wollt’ nicht heraus der Geist, was nur Stimm und Zung erhebet, Vom G’setz erfordert allermeist, jauchzt Gott zu jeder Frist! Es war mit uns verloren. Dienet ihm, wer dienen kann, kommt mit Lust zu ihm heran! Es war ein falscher Wahn dabei, Gott hätt’ sein G’setz drum geben, Sprecht: Der Herr ist unser Meister, Als ob wir möchten selber frei er hat uns aus nichts gemacht, Nach seinem Willen leben; er hat unsre Leib und Geister So ist es nur ein Spiegel zart, an die lichte Welt gebracht; Der uns zeigt an die sünd’ge Art, wir sind seiner Allmacht Ruhm, In unserm Fleisch verborgen. seine Schaf und Eigentum. Nicht möglich war es, diese Art Gehet ein zu seinen Pforten, Aus eignen Kräften lassen. geht durch seines Vorhofs Gang, Wiewohl es oft versuchet ward, lobet ihn mit schönen Worten, Doch mehrt’ sich Sünd’ ohn Maßen; saget ihm Lob, Preis und Dank! Denn Gleißnerswerk Gott hoch verdammt, Denn der Herr ist jederzeit Und je dem Fleisch der Sünde Schand’ voller Gnad und Freundlichkeit. Allzeit war angeboren.

Gott des Himmels und der Erde, Und wenn es nun erfüllet ist Vater Sohn und heilger Geist, Durch den, der es konnt’ halten, dass dein Ruhm bei uns groß werde, So lerne jetzt dein frommer Christ Beistand selbst und Hilf uns leist! Des Glaubens recht’ Gestalte. Gib uns Kräfte und Begier, Nicht mehr, denn: Lieber Herre mein, dich zu preisen für und für! Dein Tod wird mir das Leben sein, (Johann Franck) Du hast für mich bezahlet! 6 Daran ich keinen Zweifel trag’, Nach dir ist mir, Gratiosa coeli rosa, Dein Wort kann nicht betrügen. Krank und glimmet Nun sagst du, dass kein Mensch verzag’, Mein Herz, durch Liebe verwundet. Das wirst du nimmer lügen: Wer glaubt an mich und wird getauft, Von Gott kommt mir ein Freudenschein, Demselben ist der Himm’l erkauft, Wenn du mit deinen Äugelein Dass er nicht wird verloren. (Paul Speratus) Mich freundlich tust anblicken. O Herr Jesu, mein trautes Gut, Dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut O unüberwindlicher Held, Sankt Michael, Mich innerlich erquicken! komm uns zu Hilf, zieh mit zu Feld. Nimm mich freundlich Hilf uns hier kämpfen, In dein’ Arme, dass ich warme die Feinde dämpfen, Sankt Michael. Werd’ von Gnaden! Die Kirch dir anbefohlen ist, Sankt Michael, Auf dein Wort komm’ ich geladen. du unser Schutz- und Schirmherr bist. Von deiner Macht zu sagen weiß, Sankt Michael, Herr Gott Vater, mein starker Held, der höllisch Drach und sein Geschmeiß. Du hast mich ewig vor der Welt Den Drachen du ergriffen hast, Sankt Michael, In deinem Sohn geliebet. und unter deine Füß gefasst. Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut, Mit Luzifer hast du gekämpft, Sankt Michael, Er ist mein Schatz, ich bin sein’ Braut, Du hast sein Heer und Macht gedämpft. Sehr hoch in ihm erfreuet. O starker Held, groß ist dein Kraft, Sankt Michael, Eia, eia, Himmlisch Leben wird er geben ach komm mit deiner Ritterschaft. Mir dort oben! Ewig soll mein Herz ihn loben. Beschütz mit deinem Schild und Schwert, (Philipp Nicolai) Sankt Michael, die Kirch, den Hirten und die Herd. (Friedrich Spee) (O quam pulchra es amica mea) Oh wie schön bist du, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne. Wie schön leuchtet der Morgenstern Deine Augen gleichen denen der Taube, voll Gnad und Wahrheit von dem HERRN, deine Haare einer Herde Ziegen, die süße Wurzel Jesse. deine Zähne sind wie eine Herde Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm, frisch geschorener Schafe. mein König und mein Bräutigam, Wie schön bist du, o Schönste, hast mir mein Herz besessen, wie schön bist du unter den Frauen. lieblich, freundlich, schön und herrlich, Ziehe los und komme, groß und ehrlich, reich an Gaben, denn ich verzehre mich vor Liebe. hoch und sehr prächtig erhaben. Komm, meine Schöne, komm, meine Schwester, komm, meine Makellose. Ei meine Perl’, du werte Kron’, Komm, denn ich verzehre mich vor Liebe, Wahr’r Gottes- und Mariensohn, und meine Seele fließt dahin. (Hohelied) Ein hochgeborner König! Mein Herz heißt dich ein Lilium, Dein süßes Evangelium Ist lauter Milch und Honig. Ei mein Blümlein, Hosianna, himmlisch Manna, Das wir essen, Deiner kann ich nicht vergessen!

Gieß sehr tief in mein Herz hinein, Du heller Jaspis und Rubin, Die Flamme deiner Liebe. Und erfreu’ mich, dass ich doch bleib’ An deinem auserwählten Leib Ein’ lebendige Rippe! 7 Ach Gott, vom Himmel sieh darein der Bautzener Theologe Johann Leisen- trit 1567 herausgegeben hatte. Leisentrit Musik der Reformation und erhob in diesem Lied schwere Vorwürfe: Gegenreformation Durch die »List der Ketzer« seien die Menschen verführt worden, der Glaube drohe »in diesen unsern Landen zu ver- Ach Gott vom Himmel sieh darein / löschen«. Freilich hinderte Leisentrit dies und lass dich des erbarmen / nicht daran, die Melodie von der Vor- Wie wenig sind der Heilgen dein / lage zu übernehmen und für seine verführet sind die Armen / Zwecke zu gebrauchen. Offenkundig Durch List der Ketzer immer dar / wollte er an die Bekanntheit des Luther- der Glaub der will verlöschen gar / liedes anknüpfen, den Text allerdings In diesen unsern Landen. durch einen neuen, aus seiner Sicht »rechtgläubigen« verdrängen. Johann Leisentrit 1567 Ersungene Reformation

Für die Protestanten entwickelte sich Luthers Choral »Ach Gott, vom Himmel sieh darein« ebenfalls schnell zu einem konfessionellen Kampflied. Fast zeit- gleich zu Leisentrit meinte der evangeli- sche Geistliche Cyriakus Spangenberg, das Lied sei »ein gewisser Trost wider die falschen Lehrer und Heuchler«, welche die »liebe Kirche Christi« betrübten. Er- bauliche Legenden unterstrichen die Be- deutung des Liedes. So soll es in ver- schiedenen Städten die Einführung der Reformation begünstigt haben; sie sei regelrecht »ersungen« worden, meinte der Hymnologe Eduard Emil Koch. Aus Lübeck wurde beispielsweise berichtet, anno 1529 habe ein Priester begonnen für die Toten zu bitten. Zwei kleine Knaben hätten daraufhin das Lied »Ach Gott, Martin Luther hätte es sich wohl nicht vom Himmel sieh darein« angestimmt träumen lassen, dass sein Bekenntnislied und es zusammen mit der Gemeinde zu »Ach Gott, vom Himmel sieh darein« Ende gesungen. Dies war der Beginn der nicht nur von Protestanten gesungen Reformation in der Hansestadt; und so wurde, sondern auch von Katholiken. geschah es, »daß dieses einzige Lied Freilich benutzten diese nicht den Text mehr ausrichtete, als viel menschliche des Reformators, sondern eine Kontra- Kraft und Klugheit nicht hätten ausrich- faktur. Abgedruckt ist dieser »Gegentext« ten können.« in einem katholischen Gesangbuch, das 8 anspruch über alles. Wie die Erzählungen von der Einführung der Reformation in Lübeck zeigen, traute man Lied und Mu- sik dabei nicht nur geistliche, sondern ebenso gesellschaftliche und religions- politische Wirkungen zu.

Seelen-Lust für beide Konfessionen

Trotz der scharfen konfessionellen Ge- gensätze, die Politik, Gesellschaft und den Alltag der Menschen prägten, gab es immer wieder Bereiche, bei denen fruchtbare Austauschprozesse stattfan- den und der Streit um Lehrmeinungen zuweilen ruhte. Das gilt etwa für Teile der Erbauungsliteratur, für die Mystik- Rezeption oder auch für die Musik. So reiste der Protestant Heinrich Schütz ins katholische Italien, um seine Künste dort zu schulen und zu vervollkommnen. Musikwissenschaftliche Werke wurden von beiden Konfessionen rezipiert - auch Mittel der Konfessionalisierung wenn sich ein lutherischer Bearbeiter und Übersetzer der »Musurgia universa- Dieser produktive und facettenreiche lis« (Athanasius Kircher) genötigt sah, Umgang mit dem Lied »Ach Gott, vom dessen musik-theologisches Werk von Himmel sieh darein« sagt viel über die allem »jesuitischem Hirn-Gedicht« zu Musik der Reformation und Gegenrefor- befreien. Bemerkenswert dürfte auch mation aus: Sowohl Katholiken wie sein, dass die Evangelischen zuerst Protestanten nutzten diese Kunst - sei es Gefallen an den Liedern der »Heiligen in Form des Kirchenliedes, sei es in Form Seelen-Lust« fanden und dieses Buch von komplexeren Kompositionen - zur nachdruckten, obwohl ihr Verfasser, der Konfessionalisierung ihrer Herrschafts- Konvertit Angelus Silesius, die Protestan- gebiete. Mit diesem Begriff ist ein histori- ten als Ketzer betrachtete und wüst be- scher Fundamentalvorgang der Frühen schimpfte. Unempfindlich war man Neuzeit gemeint, der in allen Religions- gleichfalls beim Dresdner Hof: Der Lu- parteien gleichgerichtet war. Die Men- theraner Johann David Heinichen lieferte schen sollten durch Bildung, Kunst und eine große Zahl an Kirchenmusikwerken, Politik zur rechten Lehre und zum rech- die für die katholische Liturgie des säch- ten Leben angeleitet werden. Dabei sischen Kurfürsten bestimmt waren. schreckte man vor deutlichen Formulie- Selbst Johann Sebastian Bach schrieb rungen und drastischen Maßnahmen mit seiner h-Moll-Messe ein Werk, das nicht zurück: Der religiöse und sittliche im Nachlassverzeichnis seines Sohnes Ernst der Zeit stellte den Wahrheits- Carl Philipp Emanuel Bach ausdrücklich 9 als »große catholische Messe geführt wurde. Umgekehrt musizierte man wenig später im katholischen Wien die Meister- werke Bachs und Händels - allerdings war Ende des 18. Jahrhunderts das Zeitalter der Konfessionalisierung ohne- hin vorüber und die Gebildeten strebten in Religionsfragen nach Toleranz.

Am Ende: Harmonie Gottes

Für die Frühe Neuzeit spielte also die Musik als Dienerin des Wortes und als »Süße Harmonie«, Hohberg-Psalter 1675 Affektmittel eine wichtige Rolle. Alle Konfessionen verwendeten sie zur Glaubensunterweisung und Identitäts- stärkung, nicht selten begleitet von Kanonendonner und Schwertgeklirr. Andererseits galt die Musik als ein aku- stisch wahrnehmbares Zeichen für göttli- che Harmonie und Frieden: einmal von ihrem Ursprung her (denn Gott hatte sie zum Wohl der Menschen erschaffen), dann im Hinblick auf ihre Wirkungen und ihr letztes Ziel. Schließlich lösen sich, so hofften Katholiken wie Protestanten gemeinsam, alle Dissonanzen in Wohl- klang auf. In den Worten des Jesuiten Athanasius Kircher (übersetzt vom Lutheraner Andreas Hirsch):

Was wollen wir jetzt sagen von dem innerlichen Fried und Ruh der seligen Gemütern, von der unbegreiflichen Süßigkeit und Lieblichkeit der Göttlichen Musik, von der unaussprechlichen Zusammenstimmung der Engel und Menschen in dem ewigen odeo archimusei, dem Odeon des göttlichen Erzpriesters.

Dr. Michael Fischer Leiter des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg 10 Zu den Ausführenden

Andreas Weller begann seine Laufbahn bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben. 1989 war er Mitbegründer des Knabenchors collegium iuvenum Stuttgart. Er studierte in Stuttgart zunächst bei Bruce Abel, dann bei James Wagner. Den letzten Schliff erhielt er in der Solistenklasse von Christoph Prégardien und Irwin Gage in Zürich. Andreas Weller ist als lyrischer Tenor ein international gefragter Oratorien- und Liedsänger. Er hat u.a. mit , Frans Brüggen, Marcus Creed, William Christie, Daniel Harding, , Philippe Herreweghe, Hartmut Höll, Morten Schuldt-Jensen, Konrad Junghänel, Ton Koopman, Sigiswald Kuijken, und Bruno Weil musiziert. Weller ging als Preisträger aus zahlreichen Wettbewerben hervor, u. a. dem Elise-Meyer-Wettbewerb Hamburg, dem Michel- Gesangswettbewerb Hamburg, dem Kiwanis Musikpreis Zürich sowie dem Inter- nationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig. Im Februar 2002 wurde er für seine bisherige künstlerische Arbeit mit einem Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Annegret Siedel studierte in ihrer Heimatstadt Berlin und war als erste Geigerin im Orchester der Komischen Oper Berlin und im Mozarteum-Orchester Salzburg enga- giert. Sie erweiterte ihre künstlerische Ausbildung bei Michael Vogler in Berlin sowie bei Ernst Kovacic in Wien. Sie studierte Barockvioline bei Hiro Kurosaki und histori- sche Aufführungspraxis bei Nicolaus Harnoncourt am Mozarteum in Salzburg. Anne- gret Siedel gibt seit 1995 Konzerte als Solistin, Kammermusikpartnerin und Konzert- meisterin von Orchestern, die mit historischen Instrumenten barocke, klassische und romantische Musik aufführen. Ihr vielseitiges Violinrepertoire, das durch zahlreiche CD- und Rundfunkaufnahmen dokumentiert ist, erweitert sie mit Konzerten für Viola d’amore und Partien für Violino piccolo. Sie gibt ihre Erfahrungen im Unterricht am Hamburger Konservatorium, projektbezogen an Musikhochschulen und auf Kursen weiter. Annegret Siedel ist außerdem künstlerische Leiterin des 1995 gegründeten Ensembles Bell’Arte. Es arbeitet mit namhaften Sängern zusammen und hat seinen künstlerischen Weg mit elf CD-Aufnahmen und einer Fernsehproduktion beim Bayerischen Rundfunk dokumentiert.

Franziska Finckh studierte Viola da Gamba bei Pere Ros an der Staatlichen Hoch- schule für Musik in Karlsruhe und legte das Diplom mit Auszeichnung ab. In Basel setzte sie ihre Ausbildung bei Paolo Pandolfo (Viola da Gamba) sowie Christophe Coin (Barockcello) fort und erwarb 2000 das Solistendiplom der Schola Cantorum Basiliensis. Franziska Finckh gewann zahlreiche Wettbewerbe, u. a. 1999 den Förder- preis beim Kulturkreis des BDI sowie 2003 das Stipendium für Musik der Kunststiftung Baden-Württemberg. Als Gambistin und Cellistin spielt sie in zahlreichen Ensembles, u. a. Les Escapades, Trio Voccord, Gli Scarlattisti, Karlsruher Barockorchester, Concer- to Vocale, Händelsolisten Karlsruhe und Saarländisches Staatstheater. Dabei arbeitet sie mit Musikern wie Attilio Cremonesi, Jordi Savall, René Jacobs, Helmuth Rilling 11

und Konrad Junghänel zusammen. CDs erschienen u. a. bei den Labels Carus-Verlag, Salto Records und Christophorus.

Michael Freimuth ist sowohl als Solist wie auch als Begleiter und Continuospieler international gefragt. Er spielt Laute, Theorbe und Barockgitarre in bekannten deut- schen Barockorchestern, so absolvierte er beispielsweise im März 2011 eine USA- Tournee mit der Akademie für Alte Musik Berlin. Seit mehreren Jahren besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Ivor Bolton, unter dem er in den Opern- häusern München, Paris, London, Amsterdam und bei den Salzburger Festspielen auf- trat. 2010 spielte er Bachs Johannes-Passion mit dem Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly, Monteverdis Marienvesper mit dem RIAS-Kammerchor und das Weihnachts-Oratorium in der Leipziger Thomaskirche mit dem Thomanerchor. Zahlreiche CDs spiegeln die künstlerische Tätigkeit von Michael Freimuth wieder, wie zum Beispiel Aufnahmen der Lieder Johann Friedrich Reichardts mit Hans Jörg Mammel, Lieder von Petr Eben mit Magdalena Kozená oder auch die Beteiligung am Wiegen- und Volksliederprojekt des SWR und des Carus-Verlags. Seit 2008 unter- richtet Michael Freimuth am Hamburger Konservatorium.

Jörg-Hannes Hahn studierte Kirchenmusik, Orgel, Klavier und Dirigieren, u. a. bei Marie-Claire Alain. 1997 spielte er das gesamte Orgelwerk Max Regers, Ende 2000 folgte das Orgelwerk Johann Sebastian Bachs. 2007 wurde er zum Professor an der Stuttgarter Musikhochschule, 2008 zum Kirchenkreiskantor für Stuttgart ernannt. Verpflichtungen als Solist, Gastprofessor, Wettbewerbsjuror und als Dirigent führten ihn in viele europäische Länder, nach Israel, Südamerika sowie mehrfach nach Japan, Korea und Singapur. In der Saison 2010/11 trat er u. a. in Seoul, am Ulmer Münster, in der Leipziger Nikolaikirche, der Dresdner Frauenkirche, im Hamburger »Michel«, in der Moskauer Philharmonie und im Auditorio Nacional Madrid auf. Produktionen für Rundfunk, CD und DVD dokumentieren seine künstlerische Tätigkeit.

Meinrad Walter wurde 1959 geboren. Studium der Theologie und Musikwissenschaft in Freiburg und München. Promotion mit der Arbeit »Musik - Sprache des Glaubens. Zum geistlichen Vokalwerk von Johann Sebastian Bach« (1994). Anschließend Tätig- keiten in der Wissenschaft (Universität Freiburg), Journalismus (Südwestrundfunk) und im Verlagswesen (Benziger Verlag, Zürich). Seit 2002 Mitarbeiter im Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg. Zahlreiche Workshops, Programmtexte und Publikationen im Grenzgebiet von Musik und Spiritualität; Herausgeber von Ge- schenkbüchern für Musiker und Musikfreunde. Nebenberuflich Kirchenmusiker in einer Schwarzwaldgemeinde. 2011 stellte Meinrad Walter sein neues Buch über Bachs Johannes-Passion vor, das im Carus-Verlag erschienen ist. Vorschau

So, 13. November 2011, 20 Uhr, Stadtkirche Violine solo Johann Sebastian Bach 1685-1750 Sonate g-moll BVW 1001, Partita E-Dur BWV 1006, Sonate e-moll BWV 1003 Texte von Martin Luther Nina Karmon Violine

So, 20. November 2011, 19 Uhr, Lutherkirche Konzert zum Ewigkeitssonntag Thomas Daniel Schlee *1957 Dein Dunkel wird sein wie der Mittag op. 30 Arthur Honegger 1892-1955 Le Roi David Catriona Smith Sopran Renée Morloc Alt Dominik Wortig Tenor Sebastian Kowski Sprecher Bachchor Stuttgart Bachorchester Stuttgart Jörg-Hannes Hahn Leitung 18 Uhr Einführungsvortrag: Matthias Herrmann

Redaktion und Satz dieses Programmheftes: Jürgen Hartmann [www.hartmannundheinze.de] Danke an Dr. Michael Fischer für die Unterstützung. Anregungen und Kritik willkommen!