Richard Strauss-Handbuch
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Richard Strauss-Handbuch Bearbeitet von Walter Werbeck 1. Auflage 2014. Buch. xxxiii, 583 S. Hardcover ISBN 978 3 476 02344 5 Format (B x L): 17 x 24,4 cm Gewicht: 1231 g Weitere Fachgebiete > Musik, Darstellende Künste, Film > Musikwissenschaft Allgemein > Einzelne Komponisten und Musiker Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. Richard Strauss Handbuch 01347_WERBECK_Strauss_HB.indb I 04.03.14 12:11 2 Strauss-Bilder Von Walter Werbeck Richard-Strauss-Bilder gibt es nicht wenige. Man- einflussreichen und von Strauss gefürchteten Paul che wie das Bild des eher dem schnöden Mammon Bekker standen zahllose andere gegenüber, die als der hohen Kunst verpflichteten und am liebs- Strauss zum Klassiker erhoben (s. Kap. 26) –, so ten skatspielenden Bajuwaren sind zum Klischee errang spätestens Theodor W. Adorno 1964 mit geronnen. Ähnlich stabil hat sich, trotz wachsen- seinem Essay zum 100. Geburtstag des Kompo- der Skepsis, das Bild des Verräters an der musika- nisten die Hoheit über eine zwischen Faszination lischen Moderne gehalten, während das Bild des und Verdammung oszillierende Strauss-Deutung, NS-Musikfunktionärs in den letzten Jahren zu- und Carl Dahlhaus, der bis 1989 einflussreichste nehmend an Konturen gewonnen hat. Noch wei- Musikologe deutscher Sprache, gab dem Narrativ tere Bilder gäbe es in dieser Einleitung vorzustel- die definitive Form, als er 1980 schrieb, der Rosen- len, doch sei der Leser dazu auf die weiteren Texte kavalier sei von einem zeitgleichen Werk wie des Handbuchs verwiesen. Im Folgenden sollen Schönbergs Pierrot lunaire »durch eine Kluft ge- nur wenige Strauss-Bilder näher betrachtet wer- schieden, die unüberbrückbar erscheint. Die den: einige wie der Familienmensch, der Ge- Moderne spaltet sich […] in Neue Musik und schäftsmann und der Politiker, um sie zu ergänzen, Klassizismus« (Dahlhaus 1980, 282). Daran gab es andere, wie der Verräter an der Moderne, um sie scheinbar nichts zu zweifeln, lediglich über die zu korrigieren. Mit letzterem Bild soll der Anfang Frage, ob Strauss sich nicht vielleicht doch erst gemacht werden. mit der Frau ohne Schatten von der Moderne verabschiedet hatte, wurde diskutiert (Walter 2000, 243; Danuser 1984, 85). Aber noch 2000 konnte man bei Udo Bermbach lesen, der Rosen- Konservativer Modernist kavalier habe den »mit Salome und Elektra zuvor erhobenen avantgardistischen Anspruch« konter- Lange dominierte das Bild vom Wagnerianer kariert, schon weil Hofmannsthals Libretto mit Strauss, der, durch Alexander Ritter um 1885 be- seiner »Plattheit und intellektuellen Anspruchslo- kehrt und mit seinen Tondichtungen schlagartig sigkeit nur als Kapitulation vor dem Unterhal- an der Spitze des Fortschritts marschierend, in tungsverlangen eines anspruchslosen Publikum den Einaktern Salome (1905) und Elektra (1909) verstanden werden« könne (Bermbach 2000, 6): konsequent der Moderne die Bahn geebnet habe, ein Argument, dessen Brüchigkeit sich längst um sie danach, mit der »klassizistischen« Wen- angedeutet hatte (vgl. Kap. 26). Bei manchen dung im Rosenkavalier, geradewegs zu verraten Autoren – Thomas Mann wäre zu nennen (Vaget und mit seinen weiteren Opern das 19. Jahrhun- 2006, 189 f.), in jüngster Zeit der ähnlich argu- dert überflüssig zu verlängern. War eine derartige mentierende Gerhard Splitt (Splitt 1987) – waren Sichtweise zu Lebzeiten des Komponisten durch- derartige Werturteile auch biographisch kontami- aus umstritten – kritischen Autoren wie etwa dem niert. Je mehr man Strauss’ antidemokratische, 01347_WERBECK_Strauss_HB.indb 2 04.03.14 12:11 Strauss-Bilder 3 nationalistische Neigungen und seine Einlassun- schreibt, hat sich keineswegs eo ipso aus einer gen mit dem NS-Regime verurteilte, desto leich- Musikgeschichte, deren Telos zweifelhaft gewor- ter fiel es, auch über seine Werke den Stab zu den ist, verabschiedet. Doch gerade weil die brechen und selbst in den frühen Tondichtungen Strauss-Verächter über Jahrzehnte auf eine kriti- aus der Kaiserzeit Vorzeichen des braunen Terrors sche Sichtung seiner Partituren nach dem Rosen- auszumachen. kavalier verzichteten und ihre Vorurteile pflegten, Strauss selbst scheint das eingangs skizzierte bleibt der Blick auf die Musik eine unverändert Bild zu stützen. Am 9. Februar 1889 – er arbeitete aktuelle Aufgabe. gerade an seiner dritten Tondichtung Tod und Seine Tondichtungen (vgl. Kap. 21), sympho- Verklärung – bezeichnete er sich als »musikalischen nische Programmmusik in der Nachfolge von Fortschrittler (äußerste Linke)« (Strauss 1996, 125); Berlioz und vor allem Liszt, komponierte Strauss, Pfingsten 1907 – Elektra lag auf dem Schreib- um sich auf das Schreiben von Musikdramen im tisch – proklamierte er den »naturnotwendigen Sinne Wagners vorzubereiten. Hier entwickelte er Prozeß des Fortschritts« (Strauss 1981, 15). In den seinen persönlichen, rasch als ultramodern gefei- 1920er Jahren hingegen diffamierte er (wenngleich erten wie geschmähten Stil: mit einer Musik, privat) atonale Komponisten und deren Sympa- deren klangliche Raffinesse wie instrumentale thisanten als »Bolschewiken« (John 1994, 104) und Virtuosität noch diejenige Wagners übertraf, in mokierte sich in einem Brief an Alma Mahler über der neben dem Klang auch Parameter wie Tempo Schönberg, dem »nur mehr der Irrenarzt helfen« und Dynamik zu primären Kategorien der Form könne (Schäfers 2001, 123). Doch belegen derar- avancierten, ohne freilich die noch immer domi- tige Äußerungen nur, dass Strauss sich zunächst nierenden Eigenschaften des Tonsatzes, Melodie einigermaßen sicher war, mit dem von ihm propa- und Harmonie, in ihrer Bedeutung zu beschnei- gierten Fortschritt einem musikalischen Main- den, und in der zentrale instrumentale Formen stream anzugehören, während er später Konkur- wie Sonate, Rondo und Variation zu immer renten sah, die ihm seine Vorherrschaft streitig neuen Lösungen kombiniert wurden. Liszt fol- machten und mit deren Fortschritt er nichts zu gend erhielt jedes Stück ein eigenes Programm tun haben wollte. Da Strauss aber dem historisch- und eine eigene Form, und deren Realisierung ästhetischen Konzept Schönbergs, dessen Sen- hing wesentlich von einer aktiven, synthetischen dungsbewusstsein ihm ebenso fehlte wie dessen Hörhaltung des Publikums ab. Strauss setzte auf pädagogischer Eros, kein eigenes öffentlichkeits- eine Psychologisierung der Form, weil er wie wirksam entgegensetzte, nahm man seine Vorstel- Wagner seinem Publikum mit seiner Musik einen lungen einer sinnvollen Musik im 20. Jahrhundert Gehalt »mitteilen« wollte. Um das Verständnis kaum oder gar nicht wahr. Aufklärung erhoffte der Mitteilung zu erleichtern, zielte Strauss neben Strauss durch seinen Biographen Willi Schuh, der höchster Plastizität, höchster Bestimmtheit des allerdings in seiner erst 1976 publizierten Darstel- Tonsatzes stets auch auf formale Orientierungs- lung über die Jahre bis 1899 nicht hinauskam und punkte: klare Themenkontraste, Durchführun- auf ästhetische Diskussionen verzichtete. gen als Verwicklungen, deutliche Reprisen und Strauss sprach in seinen Werken. Erst ihre triumphierende wie verlöschende Schlüsse. Es ist kritische Analyse kann, wenn überhaupt, zu einer wichtig, sich diese Spezifika der Musik ebenso wie Revision des für Strauss so fatalen Bildes vom die aktive Einbeziehung des Publikums zu ver- Verräter an der Moderne führen – fatal, weil es gegenwärtigen, weil beide Elemente in den die wissenschaftliche Beschäftigung mit seiner Opern wiederkehren. Das gilt cum grano salis Musik ebenso lähmte wie die Bereitschaft von auch für den inhaltlichen Kern der jeweils vermit- Opernintendanten, seine Werke nach der Frau telten Botschaft: die Auseinandersetzung zwi- ohne Schatten in ihre Spielpläne aufzunehmen. schen einem Individuum, einem Menschen mit Zwar wird das Bild einer musikalischen Moderne, Ecken und Kanten (der künstlerische, heroische, die, Adorno folgend, eindimensional dem jewei- anarchische wie verrückte Züge tragen kann) ligen Stand des Materials entsprechen müsse, mit einer Gesellschaft von bornierten Philistern, schon länger nicht mehr akzeptiert; wer tonal die nach verstaubten Gesetzen leben und jegli- 01347_WERBECK_Strauss_HB.indb 3 04.03.14 12:11 4 Einleitung che Kreativität, jeglichen Sinn für wahre Kunst, ebenso wie des Einakters, auf den Strauss noch aber auch für wahre Menschlichkeit verloren ha- mehrfach zurückgreifen sollte, es steht zudem mit ben. seinen zahlreichen, durchaus parodistisch gemein- Hinzu kommt ein Weiteres: die Emanzipation ten Zitaten (einschließlich Münchner Lieder) und von einem christlichen gefärbten Wagnerbild, das seinen Walzersequenzen paradigmatisch für die Ritter ebenso wie Bayreuth gemalt hatten. Begon- »Stilkunst« (Kristiansen 2000), das raffinierte nen schon im Schlussakt von Guntram (vgl. Kap. Spiel mit historischen Stilen, das Strauss’ Opern 12), hat sie in den Tondichtungen seit Till Eulen- (und damit, wenn man will, seine spezifische spiegel vor allem zu einer gesteigerten illustrativen »Moderne«) im Weiteren prägen sollte. Vor die- wie parodistischen Tonsprache geführt; selbst vor sem Hintergrund erscheinen Salome und Elektra Geräuschen (Hammelblöken) schreckte Strauss, eher als Ausnahmen, nach denen Strauss