Blackmore´s Night: Die weiße Nacht eines gereiften Wild Boys

Ritchie Blackmore begeistert mit Gattin Candice Night und Band im Admiralspalast von Marc Hairapetian

Preisfrage: Wer macht das scheinbar Unmögliche möglich und versammelt beinharte Hard-Rocker, intellektuelle Beatniks, radikale Tierschützer, fröhliche Schlagerfans und Freunde der Renaissance-Musik in einem Konzert, bei dem am Ende sogar alle zusammen singen? Antwort: , "the one and only". Dieser Zuruf der Ehrenbezeichnung eines völlig enthusiastischen Besuchers platzt in eine stillere Passage des Auftritts im fast ausverkauften Berliner Admiralspalast - und er trifft den berüchtigten Nagel auf den Kopf. Ritchie Blackmore, geboren am 14. September 1945 in Weston-super-Mare (North Somerset), ist wirklich ein Phänomen. Seit Anfang der 1960er gilt der walisisch-englische Lockenkopf als einer der weltbesten Gitarristen. Bereits mit 18 arbeitete er als Studio-Musiker für den legendären Produzenten (1929 - 1967). Für dessen Zögling, den deutschstämmigen Sänger und Ex--Bassisten Heinz Burt (eigentlich Heinz Georg Schwartz, 1942 - 2000), spielte er auf allen Platten (darunter die Filmsongs "Dreams Do Come True" und "Don´t You Understand" sowie Charterfolge wie "You Were There" und die Rockabilly-Nummer ""). Blackmore tourte mit Heinz and the Wild Boys, setzte bei der Coverversion des Crickets-Songs "I am not a Bad Guy" als einer der ersten eine psychedelisch verzerrte Gibson-ES-335-Gitarre ein und trat mit der Instrumentalband The Outlaws in Beat-Kinofilmen wie "Live It Up" (1963) auf. 1968 wechselte er das Equipment (von nun an benutzte er eine Fender Stratocaster) und gründete die Hard-Rock-Formation Deep Purple, die mit zündenden Gitarrenriffs wie bei "Smoke on the Water" das Headbanging weltweit in Mode brachte. 1975 verblüffte er Fans und Kritiker mit seiner neuen Band Rainbow, die Barock-Elemente in ihrem Rock integrierte. Mit seiner vierten Ehefrau, dem 26 Jahre jüngeren US-amerikanischen Ex-Model Candice Night, wendete er sich ab 1997 noch mehr der Renaissance-Musik zu, die er bis heute mit Folk-Rock kombiniert. Unter dem sinnfälligen Namen Blackmore´s Night veröffentlichten die beiden bisher neun Alben. Mit einer sechsköpfigen Band sowie der tschechischen Vorgruppe Góthien reisten sie in diesem Jahr durch Deutschland. Der Admiralspalast ist zwar kein Schloss und auch keine Burg, wo Ritchie und Co. mit ihrem Projekt ansonsten am liebsten auftreten, bot aber mit seinem großen Theatersaal einen würdevollen Rahmen für den Abschluss ihrer Tournee: Bühnenbild und Kostüme der Musiker erinnern an die Renaissance-Zeit. Auf die Rückwand projizierte stilisierte Naturaufnahmen einer wasserumspülten Küste oder des nächtlichen Sternenhimmels tragen zur schaurig-schönen romantischen Stimmung bei. Blackmore´s Night haben es mit dem Mond: Der Opener "Dancer and the Moon" stammt vom aktuellen, gleichnamigen Album. Es folgen "Under a Violet Moon" (1999) und "Shadow of the Moon" (1997), doch die Stücke sind nicht düster oder gar esoterisch angehaucht, sondern durchwegs lebensbejahend, wobei sich Ritchie Blackmore anfangs bewusst zurückhält und dem druckvollen Spiel seines Bassisten mit Solos genauso viel Platz einräumt wie den Keyboard- und Streicher-Melodien. Candice Night singt elfengleich dazu. Im Laufe des fast dreistündigen Gastspiels zeigt Blackmore aber seine ganze Virtuosität: Bei dem Instrumental "Durch den Wald zum Bach-Haus", das auf seinen Besuch der Stadt Eisenach basiert, wo der aktive Tierschützer von einem herrenlosen großen Hund auf Schritt und Tritt verfolgt wurde, vermengt sich Klassizismus mit Pop-Ohrwürmern á la The Tornados. Ohnehin liebt Blackmore Deutschland. Mit seiner ersten deutschen Frau Margit Volkmar hat er einen gemeinsamen Sohn namens Jürgen. Eine zeitlang lebte er in Hamburg. Er feuert die deutsche Fußballnationalmannschaft an, spricht fließend Deutsch, weiss mehr über deutsche Geschichte als mancher promovierte Historiker und hat sogar Candice Night die Sprache näher gebracht, so dass sie einige Ansagen auf Deutsch macht. Nach einem Schlagzeug-Solo vertauscht Blackmore, der zuvor sogar auf der Leier spielte, die akustische Gitarre mit seiner berühmten weißen E-Gitarre und stimmt für die Deep-Purple-Fans (Puhdys-Sänger Dieter "Maschine" Birr wurde unter den Gästen gesichtet) die Ballade "Soldier of Fortune" an. Dann bricht sich unter Standing Ovations seine Deutschland-Begeisterung wieder mit einer fulminanten Interpretation des vierten Satzes aus Beethovens Neunter Symphonie ihre Bahn. Überraschung des Abends: Eine vom Keyboarder auf Deutsch gesungene Coverversion des Dschinghis-Khan-Songs "Moskau" mit unvergesslicher Kasatschok-Einlage! Nachdem Blackmore von der Bühne die sich ihm entgegenstreckenden Hände zahlreicher Admiranten geschüttelt hat, während seine zwei- und vierjährigen Kinder aus der Ehe mit Candice Night um ihn herumwuseln, folgt zum sakralen Abschluss der Procul-Harum-Klassiker "A Whiter Shade of Pale", bei dem der ganze Saal mit summt. Gänsehaut pur und die Gewissheit tatsächlich einem gereiften "Gitarrengott" gelauscht zu haben, in dem immer noch ein "wild boy" steckt! Marc Hairapetian am 27. August 2014 für SPIRIT EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de

Das erste Video zeigt Blackmore´s Night live in Paris 2006 mit "Durch den Wald zum Bach-Haus". https://www.youtube.com/watch?v=6dds8IyGViE

Das zweite Video zeigt Heinz Burt (Gesang) mit seinem ersten fantastischen, von Joe Meek produzierten Solo-Song "Dreams Do Come True" im einzig erhalten gebliebenen Fragment des mittlerweile verschollenen und vom British Film Institute (BFI) vergeblich gesuchten Thrillers "Farewell Performance" (1963), der den Mord an einen Musiker thematisiert. Die Gitarre spielt Ritchie Blackmore! https://www.youtube.com/watch?v=A4e-5veFNKs