Musikalische Nachlässe und ihre Erschließung dargestellt am Beispiel des Nachlasses des Komponisten Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig

Masterarbeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig Fakultät Medien Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft

vorgelegt von

Thomas Nierlin

Leipzig, 2016

Kurzreferat: Vor dem Hintergrund der Erschließung des kompositorischen Nachlasses von Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig reflektiert die vorliegende Arbeit in ihrem theoretischen Teil zunächst allgemein die Spezifika musikalischer Nachlässe hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, Überlieferung und Bedeutung für Forschung und Praxis. Dabei werden im Weiteren die bestehenden Erschließungsstandards sowie insbesondere Probleme der Katalogisierung und der Nachweissituation musikalischer Nachlässe kritisch beleuchtet. Der praktische Teil der Arbeit stellt nach einer ausführlichen Beschreibung des Nachlasses des Komponisten und Bratschers Hans-Christian Bartel die Methode und einzelne Probleme bei der Erschließung der Werkmanuskripte im Gewandhausarchiv Leipzig dar. Die Erschließungsergebnisse werden in Form eines „Verzeichnisses der Werkmanuskripte“ und einer vorläufigen Werkübersicht im Anhang der Arbeit mitgeteilt.

Nierlin, Thomas: Musikalische Nachlässe und ihre Erschließung dargestellt am Beispiel des Nachlasses des Komponisten Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig / Thomas Nierlin. – 2016. – 138 Bl. + Anhang Masterarbeit, Hochschule für Technik, Wissenschaft und Kultur, 2016

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ...... 5 Abbildungsverzeichnis ...... 5 Vorbemerkung ...... 6 Einleitung ...... 7

Musikalische Nachlässe und ihre Erschließung: Theoretischer Teil 1. Musikalische Nachlässe ...... 10 1.1 Spezifik musikalischer Nachlässe ...... 10 1.2 Provenienz und Sammlung musikalischer Nachlässe ...... 14 1.3 Relevanz musikalischer Nachlässe für Forschung und Praxis ...... 25

2. Erschließung musikalischer Nachlässe ...... 27 2.1 Erschließungsstandards ...... 27 2.1.1 Regeln für die Erschließung von Nachlässen und Autographen und Kalliope ...... 27 2.1.2 Répertoire International des Sources Musicales und Kallisto ...... 30 2.1.3 Digitalisierung und Open Access ...... 33

2.2 Besondere Aspekte der Erschließung musikalischer Nachlässe ...... 37 2.2.1 Anforderungen an den Bearbeiter ...... 37 2.2.2 Bestandsgliederung ...... 39 2.2.3 Erschließungstiefe ...... 43 2.2.4 Kassation ...... 45 2.2.5 Konservatorische Maßnahmen ...... 47 2.2.6 Katalogisierung von Werkmanuskripten in neuzeitlichen musikalischen Nachlässen ...... 48

2.3 Der Nachweis musikalischer Nachlässe ...... 55

2.4 Resümee ...... 60

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Der Nachlass Hans Christian Bartels und seine Erschließung: Praktischer Teil

3. Zur Biographie des Komponisten und Bratschers Hans-Christian Bartel ...... 62

4. Der Nachlass des Komponisten Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig ...... 72 4.1 Provenienz und Überlieferung ...... 72 4.2 Beschreibung des Nachlasses ...... 75

5. Die Erschließung der Werkmanuskripte im Nachlass von Hans-Christian Bartel ...... 91 5.1 Zielsetzung ...... 91

5.2 Rahmenbedingungen ...... 92 5.2.1 Allgemein ...... 92 5.2.2 Das Gewandhausarchiv Leipzig ...... 94 5.2.3 Die Archivsoftware „FAUST professional“ ...... 95 5.3 Erschließungsmethode ...... 97 5.4 Schwierigkeiten ...... 107 5.5 Ergebnisse ...... 108 5.6 Desiderate ...... 109

6. Quellenverzeichnis ...... 112 6.1 Gedruckte Quellen ...... 112 6.2 Elektronische Ressourcen ...... 117 6.3 Tonträger ...... 120 6.4 Unveröffentlichte Quellen ...... 120

Anhang 1: Werkverzeichnis und Bibliographie zu Hans-Christian Bartel ...... 122

Anhang 2 (separat): Verzeichnis der Werkmanuskripte im Nachlass von Hans-Christian Bartel

Selbstständigkeitserklärung ...... 138

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Abkürzungsverzeichnis

AIBM Association Internationale des Bibliothèques, Archives et Centres de Documentation Musicaux DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft GND Gemeinsame Normdatei MGG Musik in Geschichte und Gegenwart NOA Netzwerk historische Orchesterarchive ÖNB Österreichische Nationalbibliothek OPAC Online Public Access Catalog RDA Ressource Description and Access RISM Répertoire Internationale de Sources Musicales RNA Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen SLUB Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek UrMEL Universal Multimedia Electronic Library VIFA Musik Virtuelle Fachbibliothek Musikwissenschaft ZDN Zentrale Datenbank Nachlässe ZKA Zentralkartei der Autographen

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Hans-Christian Bartel (ca. 1942) ...... 63

Abbildung 2: Konzert für Orchester, S. 67 aus der Dirigierpartitur Václav Neumanns...... 67 Abbildung 3: „Naturklang“ : Skizze zur Vokalsinfonie ...... 87 Abbildung 4: Reihentabelle zum Orchesterkonzert (Vorderseite) ...... 89 Abbildung 5: Feinsortierung der Manuskripte zur „Vokalsinfonie“ ...... 99

Abbildung 6: Partiturentwurf zum Orchesterkonzert (Ausschnitt, S. 39 unten) ...... 106

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Vorbemerkung

Am Beginn der Silvestermotette des Thomanerchores am 31.12.2014 in der vollbesetzten Leipziger Thomaskirche teilte Pfarrerin Britta Taddiken der Hörerschaft mit, dass am 27. Dezember 2014 der Komponist und ehemalige Solobratschist des Gewandhausorchesters Hans- Christian Bartel im Alter von 82 Jahren gestorben sei. Da Bartel dem Thomanerchor in besonderer Weise verbunden war, eröffnete der Chor die Silvestermotette unter der Leitung des Thomaskantors Georg-Christoph Biller in Abänderung des Programms mit dem Choral „Wie soll ich dich empfangen“ aus Bachs Weihnachtsoratorium. Diese Eröffnung war sicherlich auch das persönliche Anliegen des Thomaskantors, der mit dem Komponisten durch die enge musikalische Zusammenarbeit sowohl bei CD-Produktionen des Chores, bei denen Hans- Christian Bartel als Tonmeister die Aufnahmeleitung übernommen hat, als auch durch die gemeinsamen Anstrengungen zur Uraufführung von Bartels Chormotette „Laudato si, mi Signore“ seit längerer Zeit befreundet war. Zugleich war diese Silvestermotette einer der letzten Dienste, die Biller als Thomaskantor wahrnahm, da er bereits im Februar 2015 aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurücktrat. Als sich im Sommer 2015 über den Fachbereich Medien der HTWK Leipzig die Möglichkeit eröffnete, im Rahmen der Masterarbeit den Nachlass eines Komponisten im Gewandhausarchiv Leipzig zu erschließen, war zunächst nicht klar, um wessen Nachlass es sich handelte. Erst nach einer Begehung im Archiv im Juli 2015 und der sich anschließenden orientierenden Lektüre von Thomas Schinköths online publiziertem Aufsatz „Auf der Suche nach dem Licht […] : zum 70. Geburtstag des Bratschers und Komponisten Hans-Christian Bartel“1, ergab sich für den Autor der vorliegenden Arbeit, dem Werk und Wirken Bartels bis dahin gänzlich unbekannt waren, im Rückblick der Zusammenhang zur Silvestermotette. Die Koinzidenz schien ein Wink zu sein und wurde zur selbstauferlegten und mit sich steigerndem Interesse wahrgenommenen Verpflichtung, obschon die Fülle des zu erschließenden Materials und die durch Berufstätigkeit verkürzte Bearbeitungszeit in einem ungünstigen Verhältnis standen.

1 Schinköth, Thomas: Auf der Suche nach dem Licht. – URL: http://www.thomas- schinkoeth.de/SCHUBLADEN/KUENSTLER/Hans-ChristianBartelSucheNachDemLicht.pdf (Gesehen: 12.07.2016)

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Einleitung

Ausgangspunkt und Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit war die Erschließung des Nachlasses von Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig. Bartel war von 1958 bis 1996 als Bratscher, von 1959 an als Solobratscher im Gewandhausorchester engagiert. Sein Wirken als Komponist ist ebenfalls aufs Engste mit dem Gewandhaus und seinem weltberühmten Orchester verbunden: 1963 wurde sein „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“ vom Gewandhausorchester mit ihm selbst als Solisten unter der Leitung von Vaclav Neumann uraufgeführt. Auch die meisten seiner nachfolgenden Orchesterwerke wurden zuerst im Gewandhaus zur Aufführung gebracht. Da der Schwerpunkt seines Wirkens und auch seines künstlerischen Selbstverständnisses durchaus auf seinem kompositorischen Schaffen lag, war auch die Erschließung des Nachlasses zunächst auf das Werk des Komponisten Bartel, also auf die Erschließung seiner werkbezogenen Manuskripte konzentriert.

Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Im theoretischen Teil werden zuerst die Besonderheiten musikalischer Nachlässe im Unterschied etwa zu Schriftstellernachlässen oder Nachlässen von Wissenschaftlern ins Blickfeld gerückt. Dabei werden auch terminologische Differenzen kritisch beleuchtet. Die Vielgestaltigkeit und Spezifik musikalischer Nachlässe, die Frage nach ihrer Provenienz und den Konsequenzen für ihre Sammlung wird anhand einiger Beispiele, wie sie in der Fachliteratur ihren Niederschlag gefunden haben, aufgezeigt. Der zweite Themenbereich wendet sich der Erschließung musikalischer Nachlässe zu. Zunächst werden hier die Standards zur Erschließung von Nachlässen im Allgemeinen und von musikalischen Nachlässen im Besonderen zusammenfassend dargestellt, um anschließend Einzelaspekte der Erschließung näher zu erläutern. Dabei wird sowohl die Terminologie von Erschließungskategorien als auch das Vokabular zur Beschreibung neuzeitlicher Musikhandschriften einem kritischen Vergleich unterzogen. Denn genau an diesem Punkt sieht sich der Bearbeiter eines musikalischen Nachlasses gerade bezüglich des Kernbestands des von ihm zu erschließenden Materials – nämlich der Werkmanuskripte von Komponisten – vor die Frage gestellt: Mit welchem Kategoriensystem und mit welchem möglichst präzisen, d.h. kurzen und eindeutigen Erschließungsvokabular ist die Heterogenität des Materials zu bewältigen? –

Der praktische Teil der Arbeit wird von einer biographischen Skizze zu Hans-Christian Bartel eröffnet. Die weiteren Hauptgliederungspunkte dieses Teils sind Spiegelbild des theoretischen Teils. Dementsprechend folgt einer ausführlichen Beschreibung des Nachlasses eine den konkreten Gegebenheiten folgende Darstellung seiner Erschließung, die einzelne Aspekte wie

S e i t e | 8 z.B. Rahmenbedingungen, Ziel und Tiefe der Erschließung, die Vorgehensweise und auch Probleme der Katalogisierung berücksichtigt. Als Konzentrat der im Gewandhausarchiv geleisteten Erschließungsarbeit, die sich auch aus zeitlichen Gründen auf die Katalogisierung der Werkmanuskripte konzentrieren musste, folgt im Anhang eine ausdrücklich als vorläufig zu bezeichnende Übersicht zum kompositorischen Werk Hans-Christian Bartels. Das Verzeichnis seiner Werkmanuskripte wird in einem separaten Anhang der Arbeit beigefügt.

Während die Literatur zu einzelnen musikalischen Nachlässen, zu ihrem Inhalt und zu ihrer Überlieferungsgeschichte nicht zu überschauen ist, ist die Anzahl der Beiträge, die sich dezidiert theoretisch mit der Erschließung musikalischer Nachlässe befasst, bis heute frappierend gering. So konstatiert bereits 1984 der langjährige Leiter der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek Karl Dachs in seinem Beitrag „Kompositorische Nachlässe und Komponistennachlässe“: „Erstaunlicherweise gibt es bislang noch keine Abhandlung über Komponistennachlässe, ja in der vorliegenden Nachlaßliteratur werden sie und ihre Eigenart mit keinem Wort erwähnt.“2 Auch in den seither vergangenen rund dreißig Jahren sind – zumindest was den deutschen Sprachraum anbelangt – nur wenige Fachbeiträge hinzugekommen. Während der Beitrag von Dachs als eine Gabe zur Festschrift für Kurt Dorfmüller entstanden ist und eine Einführung und zusammenfassende Darstellung des Themas im Blick hat, gab Christa Traunsteiner die Einführung der Katalogisierungssoftware „allegro-HANS“ bei der Erschließung von Nachlässen in der Musikabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek 1999 den Anstoß zu ihrer sehr detaillierten und praxisfundierten fachwissenschaftlichen Abhandlung.3 Dabei rückt Traunsteiner neben Fragen der Bestandsgliederung, konservatorischer Maßnahmen, der Kassation und der Erschließungsmethode vor allem die Katalogisierung der verschiedenen Materialarten musikalischer Nachlässe in den Mittelpunkt ihrer Darstellung. Anlässlich der Entwicklung und Neueinführung einer Software zur Erschließung von Musikhandschriften an der Staatsbibliothek zu Berlin in den Jahren 2003 bis 2006 erörtert Roland Schmidt-Hensel die Datenbankstrukturen, Erschließungskategorien und Funktionalitäten von „Kallisto“ und zeigt die konzeptionelle Nähe und verschiedenen Zuständigkeiten bzgl. der Datenbank für die Erschließung von Nachlässen und

2 Dachs, Karl: Kompositorische Nachlässe und Komponistennachlässe. – In: Ars iocundissima: Festschrift für Kurt Dorfmüller zum 60. Geburtstag / hrsg. von Horst Leuchtmann und Robert Münster. – Tutzing, 1984. – S. 39 3 Traunsteiner, Christa: Die Aufarbeitung von Nachlässen in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. – In: Musica conservata : Günter Brosche zum 60. Geburtstag; [eine Publikation der Musik- sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und des Instituts für Österreichische Musikdokumentation] / hrsg. von Josef Gmeiner ... – Tutzing, 1999. – S. 433-466

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Textautographen „Kalliope“ auf.4 Der jüngste Beitrag zur Erschließung musikalischer Nachlässe ist um möglichst effiziente Erschließungsmethoden bemüht: In ihrem Beitrag entwickelt Katharina Talkner ein mehrstufiges Erschließungsmodell und zieht dabei auch Web 2.0-Techniken und die Mitwirkung einer Crowd bei der Nachlasserschließung in Betracht.5 Bereits 1996 fand auf Einladung des Schweizerischen Tonkünstlerverbands eine Tagung zum Thema musikalischer Nachlässe statt. Der daraus hervorgegangene Tagungsbericht richtet sich gleichermaßen an Nachlässe sammelnde Institutionen und Komponisten. Er beinhaltet Beiträge zum Sammlungsinteresse von Bibliotheken und der dafür erforderlichen vertrauensbildenden Kooperation mit Komponisten bzw. deren Erben, zur Konservierung von Tonträgern und Werkmanuskripten und berücksichtigt schließlich auch rechtliche und finanzielle Aspekte, die mit der Sammlung musikalischer Nachlässe verbunden sind.6 Die genannten Beiträge werden bei der Behandlung der einzelnen Aspekte in den nachfolgenden Kapiteln des theoretischen Teils berücksichtigt und zugleich kritisch beleuchtet.7

4 Schmidt-Hensel, Roland: Erschließung von Nachlässen, Briefen und Musikhandschriften in Kalliope und Kallisto. – In: Forum Musikbibliothek 26 (2005), 4, S. 381-395 5 Talkner, Katharina: I’ve got the RISM and You’ve got the music! – Moderne Wege zur effizienten Erschließung musikalischer Nachlässe. – In: Perspektive Bibliohek 2.2(2013), S. 75-103 6 Quel avenir pour mes oeuvres et mes archives? : rapport final / Colloque sur l'archivage de fonds musicaux, Berne, 4 mai 1996 = Was geschieht mit meinen Werken und Sammlungen? : Schlussbericht / Kolloquium über die Archivierung von Musiknachlässen, Bern, 4. Mai 1996 = Qual è il destino delle mie opere e raccolte? : rapporto conclusivo / Colloquio sull'archivazione di fondi musicali, Berna, 4 maggio 1996. - Bern : Secrétariat de la Commission nationale suisse pour l'UNESCO, c/o Département fédéral des affaires étrangères, 1997. – 81 S. 7 Die ursprüngliche Absicht, auch interne Erschließungsrichtlinien repräsentativer Einrichtungen mit Sammlungen musikalischer Nachlässe im Rahmen dieser Arbeit einem Vergleich zu unterziehen und hinsichtlich verallgemeinerbarer Tendenzen auszuwerten, musste fallengelassen werden, da keine der angefragten Institutionen (Paul-Sacher-Stiftung Basel; Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikarchiv der Akademie der Künste Berlin) entsprechendes Material zur Verfügung stellte.

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Musikalische Nachlässe und ihre Erschließung: Theoretischer Teil 1. Musikalische Nachlässe 1.1 Spezifik musikalischer Nachlässe Zu Beginn soll zunächst die Frage erörtert werden, was man unter musikalischen Nachlässen versteht und worin die Besonderheiten musikalischer Nachlässe zu suchen sind. Was kennzeichnet sie und was unterscheidet sie von anderen Nachlässen? Während die Suche nach einer Definition des Begriffs „Nachlass“ in den einschlägigen Musiklexika und musikalischen Enzyklopädien (Rieman-Musiklexikon, Musik in Geschichte und Gegenwart, The New Grove) ergebnislos bleibt, bietet das Österreichische Musiklexikon einen ausführlichen Eintrag unter dem gesuchten Begriff an, der mit einer – wenn auch unscharfen – Definition des Nachlass-Begriffs beginnt: „Im vorliegenden Zusammenhang ein mehr oder weniger geschlossener Bestand an Noten, Dokumenten usw. nach dem Tod von musikalisch tätigen Einzelpersonen. Dabei kann es sich um Gesamt-, Teil-, Splitter- oder Krypto-Nachlässe handeln.“8 Zwei Einzelheiten dieser kurzen Begriffsbestimmung seien zunächst festgehalten: Die Definition nennt „Noten“ als ein mögliches Charakteristikum der in musikalischen Nachlässen enthaltenen Materialarten und sie lässt bewusst offen, auf welche Weise die Nachlassbildner musikalisch tätig waren. Im Gegensatz hierzu wurde in den „Richtlinien Handschriftenkatalogisierung“ eine in verschiedenerlei Hinsicht stark fokussierte Nachlass-Definition gegeben:

„Unter einem kompositorischen Nachlaß versteht man die Summe aller Werkmanuskripte, die bei der Komposition der einzelnen musikalischen Werke eines Autors bis hin zur Endgestalt der Druckvorlage oder der autographen Reinschrift entstanden sind, also die verschiedenen schriftlich fixierten Schichten im Verlauf des Arbeitsprozesses von der Skizze über die Entwürfe und einzelnen Arbeitsstadien bis hin zum fertigen Werk.“9

Der Begriff „kompositorischer Nachlass“ zieht eine scharfe Grenze sowohl hinsichtlich der Herkunft des Nachlasses (Komponist), als auch bezüglich der zu verzeichnenden Materialart (Werkmanuskripte), was nur aus dem Kontext der Veröffentlichung und ihrer Intention nachzuvollziehen ist. Die Definition wollte eine Hilfestellung geben bei der Abgrenzung kompositorischer Nachlassmaterialien von literarischen Nachlässen, die im Rahmen der Katalogisierung von Handschriften und Autographen bereits in einer längeren Erschließungstradition stehen.

8 Österreichisches Musiklexikon / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse. Hrsg. von Rudolf Flotzinger. – Bd. 3, S. 1231 9 Richtlinien Handschriftenkatalogisierung / Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 61

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Dieser Einengung des Blickwinkels wollte Karl Dachs mit seinem Beitrag „Kompositorische Nachlässe und Komponistennachlässe“ entgegenwirken. Er hat darauf hingewiesen, dass „die Nachwelt über den Kompositionen die anderen Nachlaßteile sehr vernachlässigt“ habe und betont vor dem Hintergrund der dokumentarischen und quellenkritischen Relevanz jeglicher literarischer Lebensdokumente, dass „für die Wissenschaft […] aber auch diese heute von nicht zu unterschätzender Bedeutung“10 seien. In diesem Sinne möchte Dachs den Nachlassbegriff vom „kompositorischen Nachlass“ – also den Werkmanuskripten – zum „Komponistennachlass“ – dem gesamten, geschlossenen überlieferten Nachlass – weiterentwickelt wissen. Die Begriffsbildung „musikalische Nachlässe“ ist in Analogie zu dem Begriff „literarische Nachlässe zu sehen und ist nicht auf eine bestimmte Profession des Nachlassbildners ausgerichtet, sondern allein auf eine derlei Nachlässe charakterisierende inhaltliche Typologie. Zusammengefasst heißt dies: musikalische Nachlässe werden so bezeichnet, weil sie zu einem großen oder überwiegenden Teil Materialien beinhalten, die in einem Zusammenhang mit der Produktion, der Reproduktion oder der Rezeption musikalischer Werke bzw. von Musik ganz allgemein stehen. Dabei schließt der Begriff „Nachlass“ „die Summe aller Materialien […], die sich zu Lebzeiten einer Person bei ihr zusammengefunden haben“11mit ein. Dieser Versuch einer mit Absicht weit gefassten Definition musikalischer Nachlässe ist nicht auf die Nachlässe von Komponisten beschränkt12, sondern schließt auch die Nachlässe von Interpreten, Musikwissenschaftlern, Toningenieuren, Musikjournalisten und Instrumentenbauern mit ein. Obwohl sich die Nachlässe der genannten Berufsgruppen inhaltlich voneinander unterscheiden, haben sie doch etwas Wesentliches gemeinsam: nämlich das Vorhandensein von Musikalien als zentralem Bestandteil des Nachlasses. Davon macht lediglich die zuletzt genannte Gruppe der Instrumentenbauer eine Ausnahme. In den Nachlässen von Komponisten bilden die Manuskripte (Entwürfe, Skizzen, Reinschriften, Korrekturen, Drucke) in Form von Partituren und Stimmen der eigenen Werke die wichtigste Bestandsgruppe. Als ein aktuelles Beispiel sei hier der Erwerb des gesamten Nachlasses von Olivier Messiaen durch die Bibliothèque national de France genannt. In der Pressemitteilung vom Januar 2016 wird die Bedeutung der gesammelten Arbeitsmanuskripte, Skizzen, Entwürfe und Unterlagen, die Messiaens Hauptwerke enthalten, an erster Stelle hervorgehoben.13

10 Dachs, Karl: a.a.O., S. 40 11 Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) / betreut von der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und der Österreichischen Nationalbibliothek, S. 10. – URL: http://kalliope- verbund.info/_Resources/Persistent/5bf5cd96ea4448bfec20caf2e3d3063344d76b58/rna-berlin-wien-mastercopy- 08-02-2010.pdf (Gesehen: 12.07.2016) 12 Vgl. Traunsteiner, Christa: a.a.O., S. 437 13 Vgl.: Hermabessière, Claudine: Le fonds Olivier Messiaen : une entrée exceptionelle à la Bibliothèque nationale der France. – URL: http://www.bnf.fr/documents/cp_don_messiaen.pdf (Gesehen: 25.06.2016). – “L’ensemble de ses manuscrits de travail, esquisses, brouillons, dossiers, concernant ses œuvres majeures […].”

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Bei der Gruppe der Interpreten mag man zunächst an Nachlässe von Dirigenten denken; in gleicher Weise sind aber auch Nachlässe von Sängern und Instrumentalisten für die Forschung von Interesse. Musikalien in Interpreten-Nachlässen – auch wenn es sich hier überwiegend um gedruckte Ausgaben handelt – gewähren durch individuelle Eintragungen in den Notentext, durch die Einrichtung einer Partitur oder Stimme, Einblick in die Arbeitsweise und das Interpretationsverständnis des jeweiligen Interpreten. Sofern es sich um Notenmaterial von Uraufführungen handelt, sind derlei Texte bzw. Textkommentare, die in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten eines Werks entstanden sein können, oftmals eine wichtige sekundäre Quelle zum betreffenden Werk und den Klangvorstellungen des Komponisten. Ein Beispiel hierzu stellt der Nachlass des Sängers und international gefragten Interpreten zeitgenössischer Werke William Pearson dar. Sein Nachlass im Historischen Archiv der Stadt Köln „besteht aus etwa achtzig Aufführungsmaterialien, etliche von ihnen mit mehr oder weniger ausführlichen Eintragungen […]. Die Zusammenarbeit mit den Komponisten hat ihre Spuren in den Notenmaterialien hinterlassen. […] Denn zwischen Komponist und Interpret wurde zwar viel lediglich verbal vereinbart, einiges davon fand aber auch einen schriftlichen Niederschlag in der Partitur.“14 Nachlässe von Interpreten sind auch deshalb von Interesse, weil Interpreten durch ihr öffentliches Auftreten oft große Reputation genießen.15 Auch die Nachlässe von Musikwissenschaftlern enthalten zu einem großen Teil Musikalien und notationsgebundene Aufzeichnungen, da sie sich analytisch, ästhetisch, historisch oder editorisch mit den Werken von Komponisten auseinandersetzen. Der Nachlass des mit Hans- Christian Bartel befreundeten Musikwissenschaftlers und Publizisten Eberhardt Klemm hat Eingang in das Musikarchiv der Akademie der Künste Berlin gefunden. Zum Bestand gehören u.a. „Manuskripte und Vorarbeiten von musikwissenschaftlichen Aufsätzen, Konzert- und Schallplatteneinführungen, Rundfunksendungen sowie Verlagsgutachten“16; hinzu kommt eine umfangreiche Korrespondenz mit namhaften Musikwissenschaftlern und Komponisten, wie z.B. Theodor W. Adorno, Carl Dahlhaus, Mauricio Kagel, Aloys Kontarsky oder auch Rudolf Stephan und Hans Heinz Stuckenschmidt. Und schließlich stellt auch für Toningenieure die Partitur eines für die Tonträgerindustrie oder den Rundfunk einzuspielenden Werks eine unumgängliche Arbeitsgrundlage dar. Daneben sind in diesen Nachlässen vor allem die Rohfassungen von Aufnahmen und deren

14 Zahn, Robert von: Offenes Verhältnis zur Notierungsweise : der Nachlaß von William Pearson, S. 58f. 15 E. Franz betont die Abhängigkeit der Bedeutung eines Nachlasses von der Rolle, die der Nachlasser in der Gesell- schaft und im öffentlichen Leben eingenommen hat. – Vgl.: Franz, Eckhart G.: Einführung in die Archivkunde, S. 67 16 Musikarchiv : Eberhardt Klemm / Archiv der Akademie der Künste. – URL: http://www.adk.de/de/archiv/archivbestand/musik/index.htm?hg=musik&we_objectID=134&seachfor= (Gesehen: 13.07.2016)

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Bearbeitungsstadien vom master tape bis zur master copy in den verschiedensten technischen Formaten (Tonband, DAT, Minidisc, CD etc.) ein nicht leicht zugänglicher, aber zentraler Bestand. Neben den Notenmanuskripten eigener Werke gewähren auch Sammlungen von gedruckten Noten und von Tonträgern in Nachlässen von Komponisten (und Interpreten) Einblicke in deren rezeptives Verhalten und können darüber hinaus Hinweise auf die Adaption fremder Werke geben. Tonträger können im Einzelfall – nämlich da, wo es sich beispielsweise um Zuspielbänder für Werke mit synthetischen bzw. reproduzierten Klängen handelt – auch selbst konstitutives Werkmaterial enthalten und somit für die Werküberlieferung von eminenter Bedeutung sein. Schließlich sei eine dritte bibliographische Gattung angeführt, die für musikalische Nachlässe charakteristisch ist und in ihrer Bedeutung oftmals unterschätzt wird: die Rede ist von Konzertprogrammen. Programmsammlungen in Nachlässen – seien dies nun Nachlässe von Interpreten oder Komponisten – bieten nicht nur konkrete biographische Anhaltspunkte – oftmals über einen langen Zeitraum, sondern stellen eine konzentrierte Quelle zur Beantwortung werkrelevanter Fragen dar, nämlich den Fragen nach Datum, Ort, Besetzung und Kontext einer (Ur-)Aufführung. Derlei Daten sind andernfalls oft nur sehr mühsam zu ermitteln, da Konzertveranstalter und musikalische Institutionen ihre Programme – sofern sie überhaupt die Möglichkeit haben, diese zu sammeln und zu erschließen – nicht personenbezogen, sondern chronologisch archivieren. Dass es ein Sammlungsinteresse auch für Nachlässe von Instrumentenbauern gibt, zeigt sich am Beispiel des Straßburger Orgelbauers Johann Andreas Silbermann, aus dessen Nachlass ein bislang unbekanntes autographes Reisetagebuch bei einer Versteigerung des Londoner Auktionshauses Southeby’s im November 2014 von der Sächsischen Landesbilbiothek (SLUB) erworben werden konnte und nun frei zugänglich in den digitalen Sammlungen der SLUB zur Verfügung steht.17 Eine letzte Gruppe von im weitesteten Sinn „musikalisch tätigen Einzelpersonen“, die aber sehr direkt zugleich an der Produktion, Reproduktion und Rezeption musikalischer Werke beteiligt sind, ist die Gruppe der Musikverleger. Da die Grundlagen und Ergebnisse ihrer Arbeit zumeist in ein Firmenarchiv Eingang finden, sind es oft nicht die Nachlässe dieser Personen, sondern die Firmenarchive selbst, die für die Quellenforschung relevantes Material in großer Fülle beinhalten. Eines der in dieser Hinsicht bedeutendsten Beispiele der Gegenwart stellt die Veräußerung des Firmenarchivs des Musikverlags Schott in Mainz dar. „In ähnlicher Größe

17 Silbermann, Johann Andreas: Anmerckungen derer Auf meiner Sächsischen Reysse gesehenen Merck- würdigkeiten Wie ich solche an unterschiedenen Orten meist nur kürtzlich aufgeschrieben. – URL: http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/111740/1/ (Gesehen: 26.06.2016)

Theoretischer Teil Seite | 14 und Geschlossenheit ist kein anderes Musikverlagsarchiv bekannt, denn der Verlag Schott ist einer der ältesten heute noch bestehenden Musikverlage der Welt.“18 Mit der Übernahme des Archivs durch die Bayerische Staatsbibliothek München und die Staatsbibliothek zu Berlin gehen ca. 50.000 Notendrucke und rund 30.000 Musikhandschriften, sowie etwa 35.000 Komponistenbriefe, die eine Laufzeit von 1787 bis 1950 umspannen, in den Bestand der genannten Institutionen über. Zu den im Bestand enthaltenen Musikhandschriften zählen Autographe von Beethoven, Reger, Hindemith, Orff, Bernd Alois Zimmermann, Luigi Nono u.a. Allein anhand des beschriebenen Umfangs wird deutlich, dass wir mit diesem Beispiel die entwickelte Typologie musikalischer Nachlässe im Sinne der „Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen“ von den „Beständen persönlicher Provenienz“ hin zu den „Beständen institutioneller Provenienz“19 ausgedehnt haben. Aus der beschriebenen Spezifik musikalischer Nachlässe ergeben sich Konsequenzen für die Archivierung und Erschließung. Besondere Anforderungen an das Archiv ergeben sich z.B. aus großformatigen Partituren oder Plakatsammlungen. Tonträger und digitale Speichermedien setzen eine entsprechende Abspieltechnik voraus und ihre Lagerung macht aufgrund der Empfindlichkeit des Materials eine spezielle Archivtechnik (bzgl. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Staubfreiheit) erforderlich. Die besonderen Anforderungen, die die Erschließung musikalischer Nachlässe an den Bearbeiter stellt, ergeben sich hauptsächlich aus den Materialarten Musikalien und Tonträger (siehe Kapitel 2.2.1).

1.2 Provenienz und Sammlung musikalischer Nachlässe

„ [...] ganz oben in der Clause / in welcher ich dich offt gehört / o wehrter Mann […]/ was noch in Schrancken liegt / das kann ich nicht beschreiben / es ist ein großer Schatz / soviel ich weiß darum.“20

18 Rebmann, Martina: Historisches Archiv des Musikverlags Schott aus Mainz in öffentlicher Hand, S. 4 19 RNA, a.a.O, S. 10 20 Zitiert nach: Mein Lied in meinem Hause : Katalog der ständigen Ausstellung des Heinrich-Schütz-Hauses Weißenfels / hrsg. von Henrike Rucker, S. 87

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Diese Verse aus dem Nachruf des Pfarrers Georg Weiße auf den langjährigen Sächsischen Hofkapellmeister Heinrich Schütz, bei dem Weiße schon als Knabe im Chor mitgesungen hat und den er noch in dessen letzten Lebensjahren in seinem Haus und Altersruhesitz in Weißenfels besucht hat, haben ob ihrer anschaulichen und authentischen Aussage vielen Schütz-Biographen und Quellenforschern Anlass zu Spekulationen über den Verbleib des Nachlasses des in seiner Zeit bedeutendsten deutschen Musikers gegeben, zumal die verschwindend geringe Anzahl überlieferter Notenautographe von Heinrich Schütz im krassen Gegensatz zu seinem umfangreichen Werk stehen. Allein die Tatsache, dass der Inhalt eines Schranks – oder waren es mehrere Schränke? – in einem Nachruf eines Geistlichen auf eine so bedeutende Musikerpersönlichkeit wie Schütz Erwähnung findet, scheint zu verbürgen, dass das vom Komponisten aufbewahrte Material von außergewöhnlichem Umfang gewesen sein muss. So wertet z.B. auch der Schütz-Biograph Martin Gregor-Dellin die Verse Weißens als ein Beleg für „die Existenz des Notenschranks im Haus Niclasgasse 13“21 und merkt dazu an, dass die Spätwerke nachweislich in Weißenfels entstanden und von Schütz mitsamt den unveröffentlichten Arbeiten hier aufbewahrt worden seien; „die Menge der Handschriften muß enorm gewesen sein“22. Dass noch nach über 300 Jahren bei Umbaumaßnahmen in Schützens ehemaligem Wohnhaus in Weißenfels in den Jahren 1985 und 2010 einzelne autographe Noten- und Textfragmente gefunden wurden, die als Baumaterial die Zeit überdauert haben, scheint ebenfalls die Fülle der Schützschen Sammlung zu belegen, deutet aber zugleich auf den Umstand hin, dass „nach Schütz‘ Tod offenbar sehr achtlos mit seinem Nachlass umgegangen“23 worden ist. Die von Schütz testamentarisch als Erbin eingesetzte Enkelin Gertraud Seidel verkaufte das Weißenfelser Haus ihres Großvaters. „Über den Verbleib des Nachlasses von Heinrich Schütz ist nichts bekannt.“24 Der Archivwissenschaftler Eckhart Franz hat darauf hingewiesen, dass „die Masse der erhaltenen persönlichen Nachlässe […] den beiden letzten Jahrhunderten“ entstammt und „geschlossene Nachlässe aus älterer Zeit […] nur in fürstlichen und adligen Familienarchiven“25 erhalten sind. Auf die Frage, weshalb aus der Zeit vor 1800 nur wenige (musikalische) Nachlässe überliefert sind, hat Karl Dachs die Antwort gegeben, dass „ein grundlegender Wandel in der Einstellung zu den schriftlichen Nachlässen […] erst durch den Geniekult in der Goethezeit, ja in besonderem Maße durch Goethe selbst“ erfolgt sei: „Gerade durch sein übermächtiges Beispiel veränderte sich die Haltung der Dichter, der schöpferischen Menschen

21 Gregor-Dellin, Martin: Heinrich Schütz, S. 314 22 Ebenda 23 Mein Lied in meinem Hause, S. 86 24 Ebenda, S. 100 25 Franz, Eckhart G.: Einführung in die Archivkunde, a.a.O., S. 67

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überhaupt, zum eigenen Nachlaß. Er erschien ihnen jetzt aufbewahrenswert.“26 Dem könnte man entgegenhalten, dass nicht in erster Linie die Einstellung der schöpferischen Menschen zu ihrem Nachlass für dessen Überlieferung entscheidend ist, sondern die Wertschätzung, das Gespür und die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten derjenigen, die einen Nachlass überantwortet bekommen. Dennoch ist Dachs beizupflichten, wenn er die ab dem 19. Jahrhundert deutlich größere Überlieferungsdichte von Nachlässen auf einen Bewusstseinswandel zurückführt. Für die spärliche Überlieferung musikalischer Nachlässe vor 1800 nennt Dachs zwei weitere Gründe: „Die Einschätzung der Musik als eine praktisch auszuübende Kunst und die Sonderform der musikalischen Überlieferung in der frühen Neuzeit.“27 Dachs weist auf die Doppelfunktion der Musikautographen der Komponisten hin, die noch bis ins 19. Jahrhundert als „Vorlage für Abschrift und Druck und praktisches Aufführungsmaterial zugleich“ dienten, „womit sie auch der Zerstreuung, dem Verschleiß und der Aussonderung unterlagen, wenn ihr Stil nicht mehr zeitgemäß, d.h. repertoirefähig war. Die Zahl der erhaltenen Musikerautographen aus früherer Zeit ist daher gering.“28 Dies deckt sich mit der Feststellung des Editionswissenschaftlers Georg Feder, der in seiner Musikphilologie darauf hingewiesen hat, dass die Quellenlage insbesondere bzgl. der Überlieferung autographer Partituren aus dem 17. Jahrhundert eher spärlich ist, aus dem 16. Jahrhundert nur sehr wenige Autographe (zumeist Stimmen-Material) von Komponisten erhalten sind und aus dem 15. Jahrhundert überhaupt keine Autographe mehr vorhanden seien.29 Die Frage nach dem Nachlass von Heinrich Schütz sollte zeigen, wie es um die Überlieferung von Musikernachlässen in der Vergangenheit stand und wie weit die Überlieferung autographer Musikhandschriften überhaupt zurückreicht. Darüber hinaus lassen sich aus dem einleitenden Beispiel mehrere Rückschlüsse zur Frage nach der Überlieferung musikalischer Nachlässe ziehen: Auch schon im Zeitalter des Barock haben Komponisten Handschriften ihrer eigenen und fremder Werke gesammelt, möglicher Weise gerade dann, wenn ein Werk nicht im Druck erschienen war. Solche Sammlungen konnten sehr umfangreich sein, was von der Lebensdauer eines Komponisten, von seiner Stellung und von seinem künstlerischen Selbstbewusstsein ebenso abhängig war, wie von seinem Sammlungsinteresse. Ferner wird deutlich, dass die Überlieferung eines Nachlasses in erster Linie an einen juristischen Vorgang (Erbschaft) gekoppelt ist, der – auch in prominenten Fällen – nicht immer den Erhalt eines künstlerischen Werks garantiert.

26 Dachs, Karl: Kompositorische Nachlässe und Komponistennachlässe, a.a.O., S.38 27 Ebenda, S. 41 28 Ebd. 29 Vgl. Feder, Georg: Musikphilologie, S. 48f.

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Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Bachs Nachlass30 wurde im Rahmen der Erbteilung auf seine Töchter und Söhne verteilt. Den größten Teil seiner Kompositionen erhielten die beiden Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel Bach. Als letztgenannter in Hamburg starb, wurde sein Nachlass versteigert. Neben seinen eigenen Kompositionen waren auch etliche Manuskripte seines Vaters und seines zuvor verstorbenen Bruders Wilhelm Friedemann im Verkaufskatalog angezeigt. Auf Umwegen gelangte der größte Teil von Carl Philipp Emanuel Bachs Nachlass in die Bestände der Berliner Singakademie. Das ca. 5000 Kompositionen umfassende Notenarchiv der Singakademie wurde im Zweiten Weltkrieg nach Schloss Ullersdorf in Oberschlesien ausgelagert, um es vor Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen. Nach 1945 verlor sich seine Spur, bis es nach langjährigen Recherchen dem Musikwissenschaftler und Bach-Spezialisten Christoph Wolff 1999 gelang, das gesamte, verloren geglaubte Archiv der Singakademie im Staatsarchiv der Ukraine in Kiew ausfindig zu machen, so dass es mit Unterstützung der Bundesregierung 2001 an die Singakademie Berlin zurückgegeben werden konnte und seither als Leihgabe in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt und erschlossen wird.31 Bei den Sammlungen von Musikhandschriften der Bach- Familie in der Staatsbibliothek zu Berlin und im Bach-Archiv Leipzig und mehr noch bei ihrer virtuellen Zusammenführung mit weiteren Handschriften zum Bachschen Werk in der Datenbank „Bach digital“ handelt es sich – wie bei vielen anderen Zusammenführungen ehemals verstreuter Manuskripte berühmter Komponisten – also nicht eigentlich um musikalische Nachlässe, sondern um Autographensammlungen. Constanze Mozart verkaufte 1799 die in ihrem Besitz befindlichen handschriftlichen Werkmanuskripte ihres Mannes an den Musikverleger Johann Anton André in Offenbach. Nach dessen Tod wurde der Bestand unter seinen Erben aufgeteilt. In der Folge fanden einige dieser Mozartschen Nachlasssplitter – u.a. als Nachlass des Fuldaer Musikpädagogen Heinrich Henkel – Eingang in die Hessische Landesbibliothek Fulda, die Universitätsbibliothek Frankfurt und in die Staatsbibliothek Berlin, andere verblieben in privater Hand.32 Beethovens Nachlass, d.h. sämtliche beweglichen Güter aus seinem Besitz (Kleider, Möbel, Instrumente, Bibliothek, Musikalien, Manuskripte seiner Werke etc.), wurde am 5. November 1827 öffentlich versteigert. Der Erlös der Versteigerung ging an seinen als Universalerben eingesetzten Neffen Karl. „Mit einem Schätzwert von 480 Fl., 30 Kr. handelte es sich bei Beethovens Sammlung von Musikalien und Manuskripten um den wertvollsten Teil seines

30 Vgl. zum Folgenden: Bachs Welt : sein Leben, sein Schaffen, seine Zeit / hrsg. von Siegbert Rampe, S. 301ff. 31 Vgl.: Wolff, Christoph: Zurück in Berlin : das Notenarchiv der Sing-Akademie // In: Bach-Jahrbuch (2002), S. 165ff. 32 Vgl.: Das Mozart-Lexikon / hrsg. von Gernot Gruber..., S. 504f.

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Nachlasses. Heute befindet sich der erhaltene Teil von Beethovens Nachlaß überwiegend in der Sammlung des Beethoven-Hauses in Bonn.“33 Die nach Schuberts Tod aus seinem Besitz überlieferten Musikalien wurden vom Verlassenschaftsgericht als „einige alte Musikalien“ tituliert und ihr Wert auf 10 fl. festgesetzt.34 Der größte Teil seiner Werkmanuskripte war im Freundeskreis und in der Familie verstreut und wurde in der Folge von Schuberts Bruder Ferdinand, dem von der Familie eingesetzten Nachlassverwalter, zusammengetragen. Ein Teil davon wurde an den Wiener Musikverleger Diabelli veräußert; weitere, von Ferdinand Schubert gesammelte Autographe seines Bruders kamen nach dessen Tod über verzweigte Umwege in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und werden heute in der Wienbibliothek im Rathaus aufbewahrt. Ein Bewusstseinswandel hinsichtlich der Überlieferung musikalischer Nachlässe scheint sich erst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert mit Johannes Brahms abzuzeichnen. Er vermachte seinen gesamten Nachlass der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, der er seit seiner Wiener Zeit nicht nur künstlerisch, sondern auch in Bezug auf deren Musiksammlung aufs Engste verbunden war. Da er selbst ein leidenschaftlicher Autographensammler war und eine große Bibliothek besaß, gingen mit seinem Nachlass nicht nur ein großer Teil seiner eigenen Werkmanuskripte in den Bestand des Archivs der Musikfreunde über, sondern auch sehr bedeutende Notenautographe von Mozart (Autograph der Sinfonie g-Moll, KV 550), Beethoven (Skizzen), Schumann und anderen Komponisten.

„Von keinem der namhaften Komponisten des 18., 19. oder frühen 20. Jahrhunderts ist der Nachlaß so weitgehend geschlossen überliefert, wie von Johannes Brahms. Er umfaßt seine Bibliothek, an ihn gerichtete Korrespondenz, seine Autographensammlung mit Handschriften anderer Komponisten und seine eigenen Musikautographe. Dieser Nachlaß bildete den Grundstock für die im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien seit mehr als hundert Jahren aufgebaute Brahms-Sammlung.“35

Die Autographensammlungen von Schubert und Brahms in der Wienbibliothek bzw. im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zählen seit 2001 bzw. 2005 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.36 Erst im 20. Jahrhundert kommt es vermehrt zur Überlieferung vollständiger bzw. geschlossen überlieferter Nachlässe von Komponisten. Der Nachlass Arnold Schönbergs, der seit 2011 ebenfalls zum Weltdokumentenerbe zählt, wurde 1957 zunächst in der letzten Wohnung des

33 Das Beethoven-Lexikon / hrsg. von Heinz von Loesch..., S. 527 34 Vgl. Schubert-Lexikon / hrsg. von Ernst Hilmar..., S. 314ff. 35 Die Brahms-Sammlung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien / Gesellschaft der Musikfreunde. – URL: http://www.a-wgm.at/die-brahms-sammlung-im-memory-world-register-der-unesco (Gesehen: 13.07.2016) 36 Vgl.: Weltdokumentenerbe in Österreich / Austria-Forum. – URL: http://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Weltdokumentenerbe_in_%C3%96sterreich (Gesehen: 13.07.2016)

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Komponisten in Los Angeles von Josef Rufer im Auftrag der Akademie der Künste Berlin gesichtet und anschließend katalogisiert.37 Nach dem Tod der Witwe des Komponisten stellten die Erben den Nachlass dem 1973 gegründeten „Arnold Schoenberg Institute“ der University of Southern California zur Verfügung. In Folge eines Rechtsstreits zwischen den Erben und dem Institut wurde 1996 eine neue Einrichtung für den Nachlass gesucht, die mit der Neugründung des Schoenberg-Centers Wien als Privatstiftung der Gemeinde Wien und der Internationalen Schönberg Gesellschaft 1997 etabliert werden konnte. Als Zweck der Stiftung steht neben dem Erhalt und der Pflege des Nachlasses seine öffentliche Zugänglichkeit und Verfügbarkeit für Forschung und Wissenschaft an erster Stelle. „Die Sammlung umfasst etwa 9.000 Seiten Musikmanuskripte, 6.000 Seiten Textmanuskripte, 3.500 historische Fotographien, persönliche Dokumente, Tagebücher, Konzertprogramme und Schönbergs gesamte Bibliothek (Noten, Bücher und Tonträger).“38 Auch Igor Strawinskys Nachlass verblieb zunächst lange Zeit nach dessen Tod (1971) aufgrund unklarer Rechtsansprüche in seiner New Yorker Wohnung, bis er nach dem Tod seiner Witwe Vera Strawinsky (1982) im März 1983 vorläufig in die Musikabteilung der New York Public Library verbracht und dort von Thor Wood und John Shepard in einem Verzeichnis erfasst wurde, bevor er schließlich noch im gleichen Jahr für $ 5,25 Millionen von der Paul Sacher Stiftung in Basel gekauft wurde.39 Weitaus komplizierter verhält es sich mit dem Nachlass Béla Bartóks, über den nach seinem Tod 1945 ein jahrzehntelang währender Rechtsstreit40 geführt wurde, der die Zugänglichkeit erschwerte und damit auch das Zustandekommen eines Werkverzeichnisses und einer von Forschung und Praxis längst vermissten kritischen Gesamtausgabe seiner Werke verhinderte. Die Schwierigkeiten ergaben sich nicht nur aus dem Umstand, dass Bartoks Nachlass durch seine Emigration in die USA in einen New Yorker und einen Budapester Teil gespalten ist und es an beiden Standorten Erben und nachlassverwaltende Institutionen41 gab bzw. gibt, sondern auch aus den politischen Umständen zur Zeit des „Kalten Krieges“. Während der langjährige Leiter des Bartók-Archivs des Musikwissenschaftlichen Instituts der ungarischen Akademie

37 Vgl. Rufer, Josef: Das Werk Arnold Schönbergs, S. VI f. 38 Arnold Schönberg Center : Information / Arnold Schönberg Center. - URL: http://www.schoenberg.at/index.php/de/arnoldschoenbergcenter/lageplaene (Gesehen: 27.06.2016) 39 Vgl.: Shepard, John: The Stravinsky Nachlass // In: Notes : Quaterly Journal of the Music Library Association (1984) und: Rosenthal, Albi: Der Strawinsky-Nachlaß in der Paul Sacher Stiftung. – In: Strawinsky : Sein Nachlass, sein Bild. – Basel, 1984 40 Vgl.: Bator, Viktor: Streit um Bartoks Nachlass // In: Österreichische Musikzeitschrift (1959) 41 The New York Bartók Archives existierte bis mit dem Tod von Bartóks Witwe Ditta Pásztory im Jahr 1982 der Nachlass an den Sohn Peter Barók (Homosassa, Florida) übergeben werden musste. (Vgl.: Antokoletz, Elliott: The New York Bartók Archives // In: Studia Musicologica (2012). – Website von Peter Bartóks “private facility”: URL: http://www.bartokrecords.com/ (Gesehen: 29.06.2016). – Website des Bartók-Archivs Budapest: URL: http://www.zti.hu/bartok/ (Gesehen: 29.06.2016)

Theoretischer Teil Seite | 20 der Wissenschaften Lásló Somfai im Jahr 1996 ein detailliertes Quellenverzeichnis42 zu Bartóks Werk veröffentlichte, konnte mit der Herausgabe einer kritischen Gesamtausgabe erst im Frühjahr 2016 begonnen werden.43 Die Fertigstellung des ebenfalls von Somfai in Aussicht gestellten und vorbereiteten thematischen Katalogs zu Béla Bartók blieb indessen nach wie vor Desiderat. Bis heute sind über die tatsächliche Aufteilung von Bartoks Nachlass bzw. seinen Verbleib verschiedene widersprüchliche Angaben zu finden.44 Aus den angeführten Beispielen von Nachlässen bedeutender Komponisten wird deutlich: Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden solche Nachlässe nur selten geschlossen überliefert. Der Erhalt autographer Werkdokumente hing lange Zeit vom Engagement und der Einsicht privater Sammler oder vom geschäftlichen Interesse eines Verlegers ab. Oftmals blieb der ideelle Wert aufgrund mangelnder Einsicht in die Bedeutung musikalischer Quellen weit hinter dem materiellen Wert zurück. Ein institutionelles Sammlungsinteresse schien sich erst mit zunehmender Ausprägung eines musikhistorischen Bewusstseins und der Etablierung bürgerlicher Musikvereinigungen im 19. Jahrhundert zu entwickeln. Dennoch können auch im 20. Jahrhundert rechtliche Konstellationen oder finanzielle Interessen der Zugänglichkeit und wissenschaftlichen Nutzung kompositorischer Nachlässe im Wege stehen. Gleichzeitig kommt es nun durch das Zusammenwirken privater und öffentlicher Interessen vermehrt zur Gründung von einzelnen Komponisten gewidmeten Archiven, die nicht nur dem Erhalt eines Nachlasses verpflichtet sind, sondern auch eine möglichst umfassende Dokumentation und Sammlungs- ergänzung anstreben.

Für musikalische Nachlässe gibt es – wie für alle anderen Nachlassarten auch – keine zentrale Sammlung. Sie finden sich gleichermaßen in Archiven und in den Handschriftenabteilungen und Sondersammlungen von Bibliotheken, von den kommunalen Archiven bis zu den Staatsarchiven und von den Stadtbibliotheken bis zu Staats- und Nationalbibliotheken. Einige dieser Institutionen haben jedoch aufgrund ihrer Geschichte oder ihres Sammlungsprofils besonders umfangreiche Sammlungen im Bereich musikalischer Nachlässe vorzuweisen. An erster Stelle seien hier die wohl bedeutendsten Sammlungen in den Musikabteilungen der beiden Staatsbibliotheken in Berlin und München genannt. Während die Bayerische

42 Somfai, Lásló: Béla Bartók : Composition, concepts, and autograph sources. – Berkeley, 1996 43 Die kritische Gesamtausgabe erscheint in einer Kooperation des G. Henle Verlags München und der Editio Musica Budapest. Siehe: Béla Bartók : kritische Gesamtausgab. – [Verlagsprospekt]. – München : Henle, 2016 44 Im erwähnten Prospekt des Henle-Verlags (s. Anm. 43) ist zu lesen: „Das Bartók-Archiv, 1961 zur Bewahrung seines Werkes in Budapest gegründet, ist die einzige Institution weltweit, die sich exklusiv dem Leben und Werk Béla Bartóks widmet.“ – Cédric Güggi behauptet gar: „So besitzt die Paul Sacher Stiftung die Nachlässe von Béla Bartók […].“ Siehe: Güggi, Cédric: Historische Musiksammlungen in der Schweiz und ihre Erschließung, S. 423

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Staatsbibliothek rund 330 musikalische Nachlässe aufbewahrt45, gibt die Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek ihren aktuellen Bestand summarisch mit „ca. 450 Sammlungen, Nachlässe und Deposita (D) von Personen und Institutionen“46 an. An Umfang und Bedeutung der Sammlungen musikalischer Nachlässe nehmen die Regional- und Landesbibliotheken noch vor den Universitätsbibliotheken den nächsten Rang ein. Dies ist eindrucksvoll in einem kürzlich zu diesem Thema erschienen Sonderband47 dokumentiert. Als ein Beispiel sei hier auf die Bestände der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hingewiesen, die – wie z.B. auch die SLUB Dresden – regionale- und universitäre Literaturversorgungsaufgaben zugleich wahrnimmt und deren historische Bestände sich zu einem großen Teil aus der Übernahme der alten Hamburger Ratsbibliothek zusammensetzen. Die Sammlung stellt einen der wenigen Fälle dar, in der sich einzelne, sehr bedeutende musikalische Nachlässe erhalten haben, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, nämlich der Nachlass des städtischen Kantors und Kirchenmusikdirektors Thomas Selle (1599-1663), der neben seinem kompositorischen Nachlass auch seine gesamte Musikbibliothek (rund 380 Musikdrucke und 25 musiktheoretische Werke) beinhaltet und der Nachlass des Musiktheoretikers, Enzyklopädisten, und Komponisten Johann Mattheson, in dem neben 41 Partiturautographen auch ein großer Teil der Manuskripte seiner musikliterarischen Werke überliefert ist.48 Zahlreiche Nachlässe finden sich in den Musikabteilungen der Stadtbibliotheken von Leipzig und München. So werden in Leipzig z.B. die Nachlässe von Erhard Mauersberger, Kurt Thomas, Wilhelm Weismann und Johannes Weyrauch aufbewahrt. Einzelne Nachlässe von Musikwissenschaftlern, Musikpädagogen und Komponisten sind auch in den Bibliotheken und Archiven von Musikhochschulen konzentriert. Sie gehen meist auf die berufliche Tätigkeit des Nachlassbildners an der betreffenden Institution zurück.49 Von besonderem Interesse im Kontext dieser Arbeit aber ist die Frage nach Einrichtungen, die einen Sammelschwerpunkt auf musikalischen Nachlässen des 20. Jahrhunderts und der

45 Siehe: Aktuelle Informationen aus der Musikabteilung / Bayerische Staatsbibliothek München. – URL: https://www.bsb-muenchen.de/die-bayerische-staatsbibliothek/abteilungen/musikabteilung/ (Gesehen: 13.07.2016). – Eine ausführliche Beschreibung der Bestände bietet: Schaumberg, Uta: Nachlässe und Sammlungen von Musikhandschriften in der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek. // In: Bibliotheks-Magazin (2014) 46 Musik : Nachlässe und Sammlungen / Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz. – URL: http://staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/abteilungen/musik/sammlungen/bestaende/nachlaesse/ (Gesehen: 13.07.2016) 47 Musiksammlungen in den Regionalbibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz / hrsg. von Ludger Syré. – Frankfurt am Main, 2015 48 Siehe hierzu: Neubacher, Jürgen: Die Musiksammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg // In: Musiksammlungen in den Regionalbibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz / hrsg. von Ludger Syré, a.a.O. 49 Inwieweit Nachlässe auch an eigenständigen Kirchenmusikhochschulen gesammelt werden, wäre zu prüfen.

Theoretischer Teil Seite | 22 zeitgenössischen Musik haben. Hier sind – bezogen auf Deutschland – im Wesentlichen zwei Institutionen zu nennen: das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau am Europäischen Zentrum der Künste Dresden und das Archiv der Akademie der Künste Berlin. Die Gründung des Deutschen Komponistenarchivs im Jahr 2005 war mit dem Ziel verbunden, „die Zeugnisse des künstlerischen Schaffens heute tätiger Komponisten in seiner gesamten Bandbreite zu erhalten und künftigen Generationen als Quelle musikpraktischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen.“50 Das Sammlungsprofil ist also in zweifacher Hinsicht konzentriert, nämlich ausschließlich auf die Nachlässe von Komponisten und – wie aus dem „Leitfaden für Komponisten“ hervorgeht – hier wiederum „auf Dokumente, die in unmittelbarem Bezug zum kompositorischen Schaffen stehen.“51 Dementsprechend ist auf der Website der Begriff „Nachlässe“ durch den Begriff „Werksammlungen“ ersetzt.52 Trotz der kurzen Zeit seit seines Bestehens umfasst der Bestand des Deutschen Komponistenarchivs bereits 34 Werksammlungen, fünf weitere werden derzeit erwartet. Zur Stiftung Archiv der Akademie der Künste in Berlin, die aus der Zusammenlegung der beiden Akademien in Ost- und West-Berlin hervorgegangen ist, gehört auch ein Musikarchiv, dessen zentraler Bestand eine umfangreiche, sehr bedeutende Sammlung an musikalischen Nachlässen zur Musik des 20. Jahrhunderts beinhaltet. „Aus dem Zusammenschluss der Musikarchive ergab sich ein Grundstock von Nachlassarchiven, wie er in Deutschland in solcher Vielfalt einmalig ist“53. Der Grundstock der Sammlung ergibt sich aus den Nachlässen von Mitgliedern und Meisterschülern der Akademie. Dabei ist die Sammlung nicht auf Komponistennachlässe beschränkt, sondern hat weitere thematische Schwerpunkte, die sich in die Bereiche Interpreten, Berliner Musikleben, Musiktheorie und Musikkritik, sowie Komponisten im Exil gliedern lassen. Die Nachlasssammlung wird von ebenso bedeutenden wie umfangreichen Sammlungen von Autographen, Korrespondenzen, Tonträgern und Dokumenten zum Berliner Musikleben und zur Geschichte der Akademie der Künste flankiert. Die Bestände werden durch Publikationen, Ausstellungen und durch die Veranstaltungsreihe „Offenes Archiv“ der Öffentlichkeit präsentiert. Das Archiv umfasst derzeit rund 125 Nachlässe bzw. persönliche Archive (Vorlässe). Dazu zählen u.a. die Nachlässe von

50 Siehe: „Auftakt“ / Deutsches Komponistenarchiv Hellerau. – URL: http://www.komponistenarchiv.de/ (Gesehen: 08.07.2016) 51 Nachlässe im Deutschen Komponistenarchiv : ein Leitfaden für Komponisten. – Deutsches Komponistenarchiv Hellerau, [o.J.], S. 3. – URL: http://www.komponistenarchiv.de/wp-content/uploads/Infomaterial/Leitfaden.pdf (Gesehen: 13.07.2016) 52 Der Begriff „Werksammlungen“ wird sicher auch deshalb verwendet, weil er auch „Vorlässe“ impliziert. 53 Grünzweig, Werner: Ein Nachlassarchiv zur Neuen Musik, S. 30

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Komponisten wie Boris Blacher, Paul Dessau, Hanns Eisler, Giselher Klebe, Ernst Krenek, Rudolf Wagner-Régeny und Bernd Alois Zimmermann. Zu den Interpretenarchiven seien die Namen der Dirigenten Michael Gielen, Hermann Scherchen und Hans Zender angeführt. Auch namhafte und für die Rezeption der Neuen Musik sehr bedeutende Theoretiker bzw. Musikkritiker wie z.B. Diether de la Motte, Hans Heinz Stuckenschmidt und Otto Tomek sind mit ihren Nachlässen in der Sammlung vertreten. Die Wichtigkeit dieser Sammlung sei hier auch deshalb hervorgehoben, weil sich in ihrem Fundus gleich mehrere Nachlässe finden, die wichtige Quellen zu Biographie und Werk von Hans-Christian Bartel beinhalten, da sie von Musikerpersönlichkeiten herrühren, mit denen Bartel zeitweise in enge Berührung kam oder auch mit ihnen befreundet war. Es sind dies die Nachlässe von Ottmar Gerster, bei dem Bartel an der Leipziger Musikhochschule Komposition studierte, Manfred Reinelt, Bartels Klavierlehrer, von dem er ganz wesentliche Impulse für die Beschäftigung mit der musikalischen Moderne empfing, Friedrich Schenker, in dessen Ensemble für Neue Musik Bartel mehrere Jahre als Bratscher mitwirkte und schließlich von Eberhardt Klemm54, der als Musikwissenschaftler Bartels Schaffen aufmerksam begleitete und mit dem Bartel auch brieflich im Austausch stand. Der Leiter der Musikarchive der Akademie der Künste, Werner Grünzweig, hat darauf hingewiesen, dass der Aufbau von Sammlungen zur Musik des 20. Jahrhunderts von öffentlicher Seite lange vernachlässigt worden sei und er betont – mit dem Blick auf die Paul Sacher Stiftung in Basel, dass es für einen Bestandsaufbau in diesem Bereich wichtig sei, „sich schon früh um Bestände zu kümmern und nicht erst, wenn ein Künstler als moderner Klassiker weltweit durchgesetzt ist, nicht nur, weil dann Autographe zu meist gar nicht mehr zu haben sind, sondern auch, weil öffentliche wie private Sammlungen finanziell dann kaum mehr in der Lage sind, größere Bestände zu erwerben.“55 So verfügt denn auch die Paul Sacher Stiftung Basel aufgrund des weitsichtigen Engagements und der finanziellen Möglichkeiten ihres Gründers über die im internationalen Kontext wohl bedeutendste Sammlung an Vor- und Nachlässen zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie ging 1973 aus der Privatsammlung des Unternehmers Paul Sacher hervor, der als Dirigent des Basler Kammerorchesters und durch die Vergabe von Kompositionsaufträgen an renommierte Komponisten ein großer Förderer der Neuen Musik war. Durch die Ankäufe von Nachlässen ist es der Stiftung gelungen, einen Bestand an Komponistenarchiven zu versammeln, „der in nur wenigen Jahren nicht nur um ein vielfaches im Marktwert gestiegen ist, sondern auch einen

54 Klemms nachgelassene (musikwissenschaftliche) Bibliothek (rund 35 lfdm.) ist seit 2014 (?) im Freihandbestand der Institutsbibliothek des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Leipzig aufgestellt. 55 Grünzweig, a.a.O., S. 30

Theoretischer Teil Seite | 24 ideellen und kulturellen Wert darstellt, um den viel größere und kulturell bedeutendere Städte Basel beneiden.“56 Ihre Hauptaufgabe sieht die Stiftung in der fachgerechten Konservierung und Erschließung der Quellenbestände, um sie für die wissenschaftliche Nutzung bereitzustellen.57 Zur Sammlung gehören beispielsweise Bestände von Anton Webern, Paul Hindemith, Arthur Honegger, Frank Martin, Hans Werner Henze, György Ligeti, Witold Lutoslawski, Bruno Maderna, Morton Feldman oder auch dem jüngst verstorbenen französischen Komponisten Pierre Boulez. Dabei geht aus den Angaben zu den einzelnen Beständen allerdings nicht hervor, ob es sich um geschlossene Nachlässe, Teilnachlässe oder um Autographensammlungen handelt. Vorlässe sind z.B. von Peter Eötvös, Helmut Lachenmann, Sofia Gubaidulina oder auch von Dieter Schnebel in der Sammlung vertreten. Und auch Interpretenarchive von Edith Picht- Axenfeldt, Ernest Bour oder dem Arditti-Quartett sind Teil der Sammlung. Schließlich sei zum Thema der Überlieferung zeitgenössischer Komponistennachlässe noch ein weiterer Sammlungstyp erwähnt, nämlich der Typ des Komponistenarchivs, das einem einzigen Komponisten verpflichtet ist und sich ebenfalls oft in Form einer Stiftung konstituiert hat. Solche Gründungen gab es vereinzelt schon in den Sechzigerjahren und früher, vermehrt aber entstanden solche Spezialeinrichtungen in den Jahren ab 1990, so z.B. das Archivio Luigi Nono (Venedig, 1993), das Bohuslav Martinu Institute (Prag, 1995), das Ernst Krenek Institut (Wien, 1997), der John Cage Trust (New York, 1993) oder auch die Stockhausen Stiftung für Musik (Kürten, 1994).58 Ähnlich wie die Paul Sacher Stiftung sehen auch diese Einrichtungen ihre Aufgabe nicht allein im materiellen Erhalt des Nachlasses eines Komponisten, sondern sie sind durch Ausstellungen, Publikationen und Konzerte darüber hinaus vor allem darum bemüht, das geistige Erbe – das Werk eines Komponisten – weiterzutragen und seine Rezeption und Verbreitung zu fördern. Im Bewusstsein um dieses gemeinsame Bemühen, zum gegenseitigen Austausch und zur Unterstützung bei der Suche nach Problemlösungen fand bereits im Jahr 2000 auf Einladung des Orff Zentrums München unter dem Motto „Gegenwart in der Zukunft“ das erste internationale Symposium von Komponisten-Instituten statt.59 Aus dem Symposium ist ein umfangreicher Band hervorgegangen, der die Einrichtungen, Bestände, Projekte und Dienste der einzelnen Institute sehr detailliert und übersichtlich dokumentiert.60

56 Ebenda 57 Vgl.: Über die Stiftung / Paul Sacher Stiftung. – URL: https://www.paul-sacher-stiftung.ch/de/ueber-die- stiftung.html (Gesehen: 09.07.2016) 58 Eine kurze Übersicht wird geboten in: A Handbook to Twentieth-Century musical sketches / ed. by Patricia Hall. – Cambridge, 2004. – S. 214-220 59 Ein kurzer Tagungsbericht findet sich in der Neuen Musik Zeitung: Nyffeler, Max: Was tun mit dem Nachlass // In: Neue Musik Zeitung (2000) 60 Gegenwart in der Zukunft : Komponisten-Institute und ihr Auftrag […] / Graham Lack [Bearb.] – München, 2000

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1.3 Relevanz musikalischer Nachlässe für Forschung und Praxis In dem bereits zitierten Standartwerk Georg Feders zur Musikphilologie postuliert der Autor:

„Der einzige Schreiber mit unanfechtbarer Autorität ist der Komponist selbst. Die Feststellung, ob es sich um ein Originalmanuskript handelt, stellt daher die wichtigste Aussage der Quellenkritik dar.“61

Feder scheint dabei insbesondere an die handschriftliche Verbreitungspraxis musikalischer Werke und an die handschriftliche Herstellung von Aufführungsmaterial durch Kopisten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu denken. Mit seiner Aussage unterstreicht Feder die grundlegende Bedeutung von autographen Werkmanuskripten, wenn es beispielsweise darum geht, die von einem Komponisten intendierte Werkgestalt zu erkennen, um eine philologisch abgesicherte Textgrundlage eines Werkes bieten zu können. Ob dabei der Überlieferungszusammenhang einer Quelle von Bedeutung ist, wird nicht gesagt. Feders Postulat beansprucht Gültigkeit bzgl. der Authentizität einer Textgrundlage unabhängig von ihrem Kontext. Genau in diesem Punkt kommt der Überlieferung musikalischer Nachlässe besondere Bedeutung zu, insofern ein Nachlass für die in ihm enthaltenen Werkmanuskripte eines Nachlassbildners hinsichtlich ihrer Authentizität zu bürgen scheint, da es sich sozusagen um das persönliche Werkarchiv eines Autors handelt. Wenn auch hier im Einzelfall die Urheberschaft einer Handschrift zu prüfen ist, so ist doch damit zu rechnen, dass die Mehrzahl der in einem Nachlass überlieferten werkbezogenen Texte von der Hand des Autors herrührt. Musikalische Nachlässe sind deshalb in editionswissenschaftlichen Zusammenhängen, etwa bei der Herausgabe einer quellenkritischen Studie oder kritischen Textedition von großem Wert. Eine zweite, nachlassspezifische Besonderheit besteht hinsichtlich der Überlieferungsdichte werkgeschichtlicher und biographischer Quellen. Bei geschlossen überlieferten Nachlässen lassen sich aus den enthaltenen Korrespondenzen, Lebensdokumenten und Sammlungen wichtige Rückschlüsse z.B. zur Quellendatierung, zum Entstehungszeitraum und dem Entstehungszusammenhang eines Werkes ziehen, die ohne diese Quellendichte oft nur sehr mühsam und zudem auf fraglicher Grundlage aus sekundären Quellen ermittelt werden können. Entstehungs- bzw. Provenienzzusammenhänge sind dabei oft nur aus der Abfolge verschiedener Materialschichten abzuleiten oder zu rekonstruieren. Neben der Wichtigkeit, die sich hieraus für die Quellenkritik ergibt, profitiert vor allem die Biographieforschung von der Überlieferungsdichte in musikalischen Nachlässen.

61Feder, a.a.O., S. 48

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Und schließlich sind musikalische Nachlässe für die musikwissenschaftliche Forschung dadurch besonders relevant, als sie zumeist den einzigen Fundus darstellen, in dem sich verschiedene Entstehungsstufen eines Werkes in Gestalt von Skizzen, Partiturentwürfen, Notationsvarianten, Korrekturen und verschiedene Vor- und Zwischenstufen der Drucklegung erhalten haben. Der musikalische Nachlass eines Komponisten bietet durch die zu erwartende Quellenlage eine Einsicht in die kompositorische Entwicklung eines Werks. Mit zunehmender Überlieferung und Erschließung musikalischer Nachlässe hat sich in den letzten Jahren die Skizzenforschung als ein spezialisierter Zweig der Musikphilologie, respektive der Editionswissenschaft etabliert. Von besonderer Bedeutung ist die Erschließung von Komponistennachlässen daher im Zusammenhang mit der Herausgabe kritischer Werk- bzw. Gesamtausgaben. Die Erarbeitung von thematischen Werkverzeichnissen, die heute immer auch die Dokumentation der werkbezogenen Quellenlage miteinschließt, ist ohne die Berücksichtigung eines überlieferten und zugänglichen Nachlasses überhaupt nicht möglich. Wo es allerdings an der Zugänglichkeit zu den nachgelassen Quellen mangelt, wird die Erarbeitung einer Gesamtausgabe und eines ihr vorausgehenden Werkverzeichnisses – wie im Falle Bartoks – blockiert. Ein schönes Zeugnis davon, wie stark auch die Aufführungspraxis an der Erschließung und Zugänglichkeit musikalischer Quellen interessiert ist, hat die ehemalige Intendantin und Generalmusikdirektorin der Hamburgischen Staatsoper Simone Young gegeben. So beschreibt sie, wie sie für ihr Dirigat der Wiederaufnahme von Debussys „Peléas et Mélisande“ 2015 ausführliche Quellenrecherchen und –studien betrieben hat, bevor sie in Debussys eigenem Dirigierexemplar auf der Grundlage des Erstdrucks und mit zahlreichen autographen Eintragungen eine authentische und deshalb verlässliche Quelle fand. Einleitend bemerkt sie dazu: „Die Aura des Originals ist durch keine Reproduktion zu ersetzten. […] Große Inspiration zieht ein Musiker aus der Begegnung mit der autografen Partitur. Ich habe es immer als große Bereicherung empfunden, mich in die Handschrift des Komponisten zu versenken – zunächst zum ‚Nachspüren‘ einer Atmosphäre. Wo war der Komponist besonders eilig und flüchtig, wo hat er sich Zeit gelassen? Wo hat er Passagen überklebt, wo sind Rasuren im Papier? […] Über ein solches ‚Stimmungsbild‘ hinaus entnehmen wir der originalen Handschrift des Komponisten oder wichtigen Quellen aus der Entstehungszeit aber auch ganz konkrete Hinweise zur Aufführungspraxis. […] Nicht immer geben die mit höchster wissenschaftlicher Akkuratesse edierten Ausgaben Antwort auf praktische Probleme.“62

62 Vgl. Young, Simone: Die Faszination des Autografs, S. 43f.

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2. Erschließung musikalischer Nachlässe

2.1 Erschließungsstandards 2.1.1 Regeln für die Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) und Kalliope Für den Nachweis von Nachlässen stehen in Deutschland zwei zentrale Datenbanken zur Verfügung. Für den Archivbereich verwaltet das Bundesarchiv in Koblenz die „Zentrale Datenbank Nachlässe“ (ZDN). Für den Bibliotheksbereich steht die Datenbank „Kalliope“, die von der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz gehostet wird, zur Verfügung. Die Aufteilung zwischen Archiv und Bibliothek ist historisch gewachsen und zum Teil durch verschiedene Ordnungs- bzw. Erschließungsprinzipien begründet: Archive ordnen ihre Bestände überwiegend nach dem Pertinenzprinzip; in den Sondersammlungen von Bibliotheken herrscht das Provenienzprinzip vor. Obwohl auch Archive ihre Nachlässe nach dem Provenienzprinzip erschließen und in privaten Sammlungsbeständen vorgefundene und gewachsene Zusammenhänge nicht einfach einem sachlich-thematischen Ordnungskriterium unterordnen und auseinanderreißen, ist es bislang doch bei der bestehenden Trennung in der zentralen Nachlassverzeichnung geblieben. Die ZDN ist die Fortführung von Wolfgang Mommsens gedrucktem Verzeichnis „Die Nachlässe in den deutschen Archiven“63. Sie ist seit 2004 online frei zugänglich und weist momentan rund 25.000 Nachlässe bzw. Teilnachlässe nach.64 Zu den einzelnen Nachlässen werden Gesamtaufnahmen geboten und es wird – in der Regel zusammen mit einer Verlinkung – auf die bestandshaltenden Institutionen verwiesen. Katalogisate zu einzelnen Nachlassobjekten sind nicht in die Datenbank eingebunden. Hierin unterscheidet sie sich wesentlich von der Datenbank Kalliope, die die 1966 gegründete Zentralkartei der Autographen (ZKA) fortsetzt. Die „Kalliope-Verbunddatenbank“ versteht sich als „das nationale Nachweisinstrument für Nachlässe, Autographen und Verlagsarchive“65. Neben den Katalogisaten der ZKA wurden Bestandsangaben aus verschiedenen gedruckten Nachlassverzeichnissen in die Datenbank übernommen, so vor allem das einschlägige Verzeichnis von Denecke und Brandis „Die Nachlässe in den Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland“66, aber auch einzelne fachbezogene Verzeichnisse, wie z.B. das vom Deutschen Bibliotheksinstitut im Jahr 2000 herausgegebene „Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland“67.

63 Die Nachlässe in den deutschen Archiven / bearb. von Wolfgang A. Mommsen. – Boppard am Rhein, 1971 64 Vgl.: Zentrale Datenbank Nachlässe : Einführung. – http://www.nachlassdatenbank.de/ (Gesehen: 13.07.2016) 65 Vgl.: Der Kalliope-Verbund / Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz. – URL: http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ueber-kalliope/historie.html (Gesehen: 13.07.2016) 66 Die Nachlässe in den Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland / bearb. von Ludwig Denecke. – Boppard am Rhein, 1981 67 Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland / Ehemaliges Deutsches Bibliotheksinstitut. – Berlin, 2000

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Während also die ZDN eine reine Nachweisdatenbank für Nachlässe ist, bietet die Kalliope- Verbunddatenbank neben der Nachweisfunktion eine Software zur Erschließung, d.h. zur Katalogisierung von Nachlässen und auch einzelnen Autographen, die den teilnehmenden Institutionen kostenlos68 von der Staatsbibliothek zu Berlin bereitgestellt wird. Seit 2002 ist die Datenbank über einen OPAC frei zugänglich. Für eine strukturierte Erfassung von Beständen ist die Datenbank Kalliope in mehrere Module untergliedert69: mit dem Modul Bestandsführung werden Bestände bzw. Sammlungen in ihrer Gesamtheit, also mit einer Gesamtaufnahme, erfasst, wohingegen das Modul Handschriften für die Katalogisierung einzelner Texthandschriften, Briefe und Lebensdokumente zur Verfügung steht. Die Zuordnung einzelner Dokumente zu einem Bestand ermöglicht die Erfassung einer hierarchischen Struktur, so dass auch bei Recherchen vom Einzeldokument auf den Bestand und umgekehrt vom Bestand auf ein einzelnes Dokument bzw. alle zu einem Bestand gehörigen Dokumente durch die entsprechenden Verknüpfungen geschlossen werden kann. Als ein drittes Modul ist der Bereich der Normdaten zu nennen. Um bei der Erfassung von Handschriften eine eindeutige Zuordnung zu einer Person oder im Falle von Beständen zu einer Körperschaft zu ermöglichen, ist in diesem Modul nicht nur die Kalliope eigene Personendatei, sondern auch die Gemeinsame Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek in die Datenbank eingebunden. Aktuell sind „über 19300 Bestände aus über 950 Einrichtungen mit insgesamt über 3 Millionen Verzeichnungseinheiten online“70 nachgewiesen. Als Grundlage und zur „Vereinheitlichung der Erschließungspraxis unter Verwendung elektronischer Nachweismittel“71 bei der Erschließung von Nachlässen dienen die „Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen“ (RNA). Zwar ist das Regelwerk auf die Erschließung im Kalliope-Verbund hin konzipiert und umgekehrt ist dessen Erschließungssoftware auf die Umsetzung des Regelwerks hin ausgerichtet, dennoch hat es ganz unabhängig von Kalliope für die Ordnung und Verzeichnung von Nachlässen allgemein im deutschsprachigen Raum Gültigkeit. Für die Förderung eines Nachlasserschließungsprojekts durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sind allerdings sowohl die Anwendung der RNA als auch die Bereitstellung der Erschließungsdaten im Kalliope-Verbund unumgänglich. Das Regelwerk gliedert sich in zwei Teile: in eine „Richtlinie“, die den Rahmen für die Bearbeitung von Nachlässen definiert und in die „Regeln“, die sämtlich durch einzelne Beispiele verdeutlicht werden. Den Beispielen folgt im Anhang ein Glossar, das die in den RNA verwendeten Begriffe

68 „Die Erschließungsplattform kann von allen frei genutzt werden. Eine Lizenz ist kostenfrei. Jede weitere Lizenz kostet einmalig 1.000 €“. Siehe: URL: http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ueber-kalliope/teilnahme.html (Gesehen: 13.07.2016) 69 Vgl. hierzu und zur Beschreibung der Eingabemasken: Schmidt-Hensel, Roland, a.a.O., S. 382ff. 70 Vgl.: http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ueber-kalliope/historie.html (Gesehen: 13.07.2016) 71 RNA, a.a.O., S. 8

Theoretischer Teil Seite | 29 definiert. Darüber hinaus werden im Anhang Listenübersichten zu empfohlenen Abkürzungen, Sachschlagwörtern, Berufsbezeichnungen, Funktionsbezeichnungen, und Sprach- und Ländercodes bereitgestellt. Die RNA werden von der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und von der Österreichischen Nationalbibliothek redaktionell betreut. Dem Regelwerk in der derzeit gültigen Fassung von 2010 steht in Hinsicht auf das in Bibliotheken im Januar 2016 neu eingeführte Regelwerk „Resource Description and Access“ (RDA) eine grundlegende Überarbeitung bevor, die bis Ende 2017 abgeschlossen sein soll. Untersucht man die RNA und ihre Terminologie nun auf ihren Anwendungsbezug hinsichtlich der Erschließung musikalischer Nachlässe, so ist festzustellen, dass die im ersten Teil der Arbeit beschriebenen spezifischen Eigenheiten musikalischer Nachlässe keine Berücksichtigung finden. Für die Katalogisierung des heterogenen Materials in kompositorischen Nachlässen, das nach den RNA der Materialhauptgruppe „Werk“ zuzuordnen ist, hält das Regelwerk weder das erforderliche Erschließungsvokabular noch eine für den Bereich musikalischer Werke unumgängliche Regelung hinsichtlich der normierten Ansetzung von Titeln bereit. Auf dieses Manko weist auch Katharina Talkner hin und resümiert: „Von musikalischen Werken ist nicht die Rede und ein Verweis auf die Einheitssachtitel-Datei für Werke der Musik innerhalb der GND fehlt.“72 Dass die RNA vor allem für die Erschließung literarischer Nachlässe konzipiert und formuliert wurden, wird auch in § 44 deutlich, wenn es heißt: „Angaben zu den literarischen Grundgattungen Prosa, Drama, Lyrik sowie deren Untergliederungen (Romane, Gedichte, Sonette etc.) […] erlauben verbesserte Suchmöglichkeiten.“73 Musikalische Gattungsbegriffe, Besetzungsangaben, Opus-Zahlen oder auch Tonartbezeichnungen kennt das Regelwerk nicht.74 Für die Bildung von Einheitssachtiteln bei der Katalogisierung musikalischer Werke und insbesondere bei der Erschließung kompositorischer Nachlässe, die in aller Regel verschiedene Entstehungsstufen eines Werks beinhalten, sind die genannten Angaben und ihre Erfassung in recherchierbaren Kategorien aber unverzichtbar. Während die RNA also für die Katalogisierung der Materialhauptgruppen Korrespondenzen, Lebensdokumente, Sammlungen und Objekte in musikalischen Nachlässen in gleicher Weise geeignet sind, wie für die entsprechenden Materialien in literarischen oder wissenschaftlichen Nachlässen, ist das Regelwerk und die Erschließungssoftware gerade für den zentralen Bestandteil in musikalischen Nachlässen – nämlich für Musikhandschriften - nicht geeignet. In Bezug auf die Erschließung von Werkmanuskripten in musikalischen Nachlässen zieht Talkner daher den Schluss: „Für fein erschlossene Musikhandschriften führt wohl kein Weg am RISM-OPAC vorbei.“75

72 Talkner, Katharina: I’ve got the RISM and You’ve got the music, a.a.O., S. 81 73 RNA, a.a.O., S. 28 74 Auch § 26 „Einheitsincipit von Werken” sieht lediglich die Erfassung eines Textincipits, nicht aber eines Musikincipits vor. 75 Talkner, a.a.O., S. 82

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2.1.2 Répertoire International des Sources Musicales (RISM) und Kallisto Als Standard für die Erschließung und den Nachweis musikalischer Quellen steht das 1952 von der „Association Internationale des Bibliothèques, Archives et Centres de Documentation Musicaux“ (AIBM) ins Leben gerufene „Répertoire Internationale des Sources Musicales“ (RISM) zur Verfügung. Als „Internationales Quellenlexikon der Musik“ – so die deutschsprachige Bezeichnung – dient es zur Dokumentation der weltweit in schriftlicher Form überlieferten musikalischen Quellen. Indem möglichst vollständig nachgewiesen werden soll, welche Quellen vorhanden sind und in welcher (öffentlichen oder privaten) Institution sie aufbewahrt werden, möchte das RISM-Projekt nicht nur der Archivierung und dem Schutz musikalischer Quellen dienen, sondern durch den internationalen Nachweis auch die Zugänglichkeit zu den Quellen für Wissenschaft und Aufführungspraxis verbessern. Für den Nachweis von Musikhandschriften nach 1600 wurde die über viele Jahre in Bandkatalogen erschienene Serie A/II etabliert, die seit 2010 durch einen frei zugänglichen Online-Katalog abgelöst wurde, wodurch die Sichtbarkeit und Zugriffsmöglichkeit deutlich verbessert werden konnte. Während der RISM-OPAC in Kooperation von Bayerischer Staatsbibliothek München und der Staatsbibliothek zu Berlin bereitgestellt und betreut wird, obliegt der RISM- Zentralredaktion in Frankfurt am Main, die ihrerseits von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz getragen wird, die Koordination und Redaktion der Arbeitsergebnisse in den Ländergruppen des Unternehmens. Als Grundlage für eine einheitliche Erschließung der Musikquellen gab die IAML unter dem Gesamttitel „Code international de catalogage de la musique“ in den Jahren 1957 bis 1983 ein mehrsprachig formuliertes, fünfbändiges Regelwerk heraus. Band 4 enthält die „Regeln für die Katalogisierung von Musikhandschriften“76, die in modifizierter Form auch der EDV-gestützten Katalogisierung zugrunde liegen. Das 1990 zuerst in der Frankfurter Zentralredaktion eingesetzte Erfassungsprogramm PIkaDo wurde 2006 durch ein neues Programm abgelöst: In Anlehnung an die Datenbank Kalliope entwickelte die Staatsbibliothek zu Berlin gemeinsam mit der RISM-Zentralredaktion in den Jahren 2003 bis 2006 eine Software zur Katalogisierung von Musikhandschriften, die den Namen „Kallisto“ trägt. Aus der Kooperation der beiden Einrichtungen „ergab sich die Notwendigkeit, das neue Programm so zu konzipieren, dass es einerseits den Erschließungstraditionen beider Partner möglichst weitgehend gerecht wurde und andererseits die bereits vorhandenen RISM-Daten in das neue System überführt werden“77 konnten. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Zusammenführung der beiden verschiedenen Personendateien, denn „schließlich sollte die Programmentwicklung […] die

76 Rules for cataloging music manuscripts / Marie Louise Göllner [Hrsg.] – Frankfurt, 1975 77 Schmidt-Hensel, Roland: a.a.O., S. 388

Theoretischer Teil Seite | 31 technischen Voraussetzungen für eine bessere Kooperation zwischen Bibliotheken und RISM bei der Erschließung von Musikquellen und für einen einfachen Datenaustausch auf nationaler und internationaler Ebene bieten“78. Die Datenbank Kallisto stellt für die Katalogisierung ein sehr differenziertes Kategorienschema bereit, mit dem es möglich ist, Musikhandschriften auf einem hohen Niveau sehr fein zu erschließen. Die Eingabe erfolgt über fünf verschiedene Erfassungsmasken (Werk, Titel, physische Beschreibung, Besetzung, Multimedia), denen die entsprechenden Eingabefelder zugeordnet sind. Neben den Feldern für Personen, Körperschaften, Einordnungstitel, diplomatischer Titel, normierter Formaltitel, Textsprache, Entstehungszeit und -ort bietet Kallisto insbesondere Erfassungsfelder für musikspezifische Angaben wie Besetzung, Tonart, Opus-Zahl, Werkverzeichnisnummer, musikalische Ausgabeform, liturgischen Bezug, sowie – über das „Eingabeformular Musikincipit“ die für die Identifizierung anonymer Musikquellen besonders wichtige Möglichkeit, über den Plaine-&-Easie-Code mehrere Notenincipits zu einem Werk zu erfassen. Die ursprünglich für Sammelhandschriften entwickelte Möglichkeit, mehrere einzeln zu beschreibender, aber zu einer physischen Einheit gehörenden Werke in einer „Collection“ zusammenzufassen, beinhaltet auch eine hierarchische Erfassungsstruktur, die es ermöglicht, einzelne Sätze eines Werks bzw. Werkteile oder auch verschiedene Materialarten (Partitur, Stimmen, Aufführungsmaterial) unter einer übergeordneten Einheit zusammenzufassen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Titelaufnahme einer Quelle mit einem Digitalisat der entsprechenden Handschrift zu verlinken. Das online bereitgestellte Handbuch zu Kallisto79 enthält neben den Eingaberichtlinien auch eine ausführliche technische Dokumentation, die über Suchmöglichkeiten, Exportfunktionen, Rechteverwaltung und häufig gestellte Fragen informiert, auch sehr detaillierte Arbeitshilfen, wie z.B. eine Vokabelhilfe zu Wasserzeichen, englische Fachausdrücke, eine Liste mit den für die Eingabe verbindlichen Abkürzungen, sowie eine nach dem New Grove normierte Zusammenstellung über die standardisierten Einordnungstitel und den dazugehörigen Formaltiteln. Institutionen, die ihre Bestände im RISM-OPAC erschließen und nachweisen möchten, erhalten über einen Client einen kostenfreien Zugang zur Kallisto-Software. Momentan sind im RISM-OPAC rund 1.040 000 Quellen erfasst. Seit 2014 steht der gesamte Datenbestand über eine „Creative-Common-Lizenz im MARCXML-Format für den uneingeschränkten Zugang und den uneingeschränkten Wiedergebrauch in anderen Projekten“80 als Linked Open Data zur freien Verfügung.

78 Ebenda 79 Handbuch zu Kallisto / RISM-Zentralredaktion. – URL: http://www.rism.info/fileadmin/content/Kallisto- Handbuch_dt_2008-03-07_01.pdf (Gesehen: 13.07.2016) 80 Siehe: Die RISM-Daten als Open Data und Linked Open Data / RISM-Zentralredaktion. –

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In Bezug auf die Katalogisierung von Musikhandschriften in musikalischen Nachlässen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart mit der Software Kallisto und ihrem Nachweis im RISM- OPAC sei auf einige Schwierigkeiten hingewiesen. Ursprünglich war der Zeitraum der Serie A/II von RISM für die möglichst vollständige Erschließung von Musikhandschriften auf die Jahre von 1600 bis 1800 eingegrenzt. Für die Förderung dieses Erschließungsprojekts, das voraussichtlich bis 2023 dauern wird, bleibt dieser Rahmen bestehen. Entsprechend der ursprünglichen Intention sind auch das Vokabular für die inhaltliche und formale Erschließung, die bei den Eingabefeldern hinterlegten Auswahllisten und die im Handbuch angeführten Beispiele gänzlich auf Musikhandschriften aus der Zeit vor 1800 ausgerichtet. So sind z.B. in der Abkürzungsliste viele Instrumente einer zeitgenössischen Besetzung nicht genannt und müssen deshalb in „englischsprachiger Form ausgeschrieben“81 werden. Dabei entspricht die Reihenfolge bei der Besetzungsangabe nicht der Instrumentenanordnung in modernen Partituren82. Auch die Liste der Gattungsbegriffe, mit der normierte Einordnungstitel zu bilden sind, ist im Wesentlichen auf historische Gattungen ausgerichtet.83 Für das Pflichtfeld „Typ“ sind Werte für „Autograph“, „fragliches Autograph“, „autographe Eintragungen“ etc. hinterlegt; Werte für die physische Beschreibung, wie sie für musikalische Nachlässe jüngeren Datums erforderlich sind (Lichtpause, Xerokopie, Fotokopie, Computerprint) hält das Handbuch allerdings nicht bereit, weshalb derlei Materialien in der Regel im Bemerkungsfeld zur physischen Beschreibung ausformuliert werden müssen. Durch die ursprüngliche zeitliche Eingrenzung und hauptsächliche Intention des RISM-Projekts, historische Musikquellen zu erschließen, hat sich der RISM-OPAC bis jetzt noch nicht als Erschließungs- und Nachweismedium für Musikhandschriften der Moderne und der Gegenwart etabliert. Dass beispielsweise auch drei Autographe von Igor Strawinsky in der Datenbank zu finden sind, (zu denen die Julliard School New York auch die Digitalisate in ihre Katalogaufnahmen eingebunden hat), bringt man mit RISM nicht so gleich in Verbindung. Dass die Darstellung der Katalogisate im RISM-OPAC mehrsprachig durchmischt erscheint, (die Kategorien in der für die Darstellung gewählten Sprache, die der Quelle entnommenen Angaben in der jeweiligen Landessprache und die zur Quellenbeschreibung normierten Begriffe in Englisch), ist ein unumgängliches Zugeständnis an die internationale Ausrichtung des Projekts. Dass aber die Bildung eines normierten Formaltitels ausschließlich in englischer Sprache erfolgt, birgt mitunter Schwierigkeiten bei der Recherche.

URL: http://www.rism.info/de/startseite/newsdetails/select/electronic_resources/article/2/rism-data-as-open- data-and-linked-open-data.html (Gesehen: 13.07.2016) 81 Handbuch zu Kallisto, a.a.O., S. 26 82 Vgl. ebenda, S. 41 83 Ebenda, S. 85ff.

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Eine hauptsächliche Schwäche in Bezug auf den Nachweis musikalischer Nachlässe besteht vor allem aber darin, dass eine Verknüpfung aller zu einem bestimmten Nachlass gehörenden Musikhandschriften nicht über eine Gesamtaufnahme möglich ist und allenfalls über eine Kombination von Komponistenname, Provenienz und Sigel der bestandshaltenden Institution bei der Recherche zur gesuchten Trefferliste führt. Die Suche nach den übrigen, möglicherweise zum gleichen Nachlass vorhandenen Materialien (Briefe, Lebensdokumente, Sammlungen) macht wiederum eine Recherche über die Findmittel der bestandshaltenden Institution oder aber den Kalliope-Verbund unumgänglich. Katharina Talkner schlägt deshalb „eine gegenseitige Verlinkung zwischen dem RISM-OPAC und Kalliope: von der Einzelaufnahme im RISM- OPAC auf die Gesamtaufnahme zum Nachlassbestand in Kalliope und von dieser mindestens ein Hinweis auf die Existenz der Detailaufnahmen im RISM-OPAC“84 vor. Und Roland Schmidt-Hensel hat bereits 2005 formuliert: „Mittelfristig wird sicherlich auch darüber nachzudenken sein, ob und wie gemeinsame Suchmöglichkeiten über die Datenbanken Kalliope und RISM A/II, beispielsweise im Rahmen des in Entwicklung befindlichen Kalliope- Portals oder durch die Einbindung in die im Aufbau befindliche Virtuelle Fachbibliothek Musik, geschaffen werden können, um so der Wissenschaft eine möglichst komfortable Recherche nach Briefen, (Teil-)Nachlässen und Musikhandschriften eines Komponisten zu ermöglichen.“85 Während die Einbindung des RISM-OPAC in die VIFA-Musik inzwischen erfolgt ist, lässt die Verlinkung von RISM und Kalliope noch auf sich warten.

2.1.3 Digitalisierung und Open Access Digitalisierung und Open Access sind zwei aufs Engste miteinander verbundene Arbeitsbereiche in Wissenschaft und Forschung, die längst auch bei der Profilierung und Positionierung von Archiven und Bibliotheken im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb eine entscheidende Rolle spielen, wenn es in diesen Institutionen darum geht, mit den neuesten Entwicklungen im Informationssektor nicht nur Schritt zu halten, sondern die Etablierung wissenschaftlicher Standards mitzugestalten und voranzutreiben. Die von führenden deutschen Forschungsgesellschaften im Jahr 2003 unterzeichnete „Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ definiert Open Access „als eine umfassende Quelle menschlichen Wissens und kulturellen Erbes, die von der Wissenschaftsgemeinschaft bestätigt

84 Talkner, a.a.O., S. 82 85 Schmidt-Hensel, a.a.O., S. 394

Theoretischer Teil Seite | 34 wurden [sic!]86“87. Das in der Erklärung genannte Ziel, „das Internet als Instrument für eine weltweite Basis wissenschaftlicher Kenntnisse und menschlicher Reflektion zu fördern“88, wird mit der Feststellung begründet, dass das Internet „die praktischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen und kulturellem Erbe grundlegend verändert“89 habe. Die Unterzeichner wollen dafür eintreten, für frei zugängliche Publikationen eine entsprechende Infrastruktur zu entwickeln und bereitzustellen, die auch finanzielle und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Dabei geht es sowohl um den Aspekt der Qualitätssicherung und wissenschaftlichen Anerkennung, als auch um eine dauerhafte Verfügbarkeit wissenschaftlicher Daten im Sinne einer Langzeitarchivierung. Der Aufbau und Betrieb von Dokumentenservern an Universitäten, Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen stellt hierfür eine wichtige Grundlage dar. Als einer der Unterzeichner der Berliner Erklärung hat deshalb die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrem Bereich „Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS)“ mehrere Förderprogramme entwickelt, die auf verschiedene Einrichtungen und Zielsetzungen ausgerichtet sind. So sollen z.B. mit dem Programm „Open Access Publizieren“ „wissenschaftliche Hochschulen bei der Einrichtung von Publikationsfonds“ gefördert werden. Das Förderprogramm „Erschließung und Digitalisierung“ wiederum richtet sich an wissenschaftliche Bibliotheken und Archive mit dem Ziel, „die Erschließung und / oder die Digitalisierung herausragender, unikaler oder für die Forschung überregional bedeutender Bestände und Sammlungen der handschriftlichen und / oder der gedruckten Überlieferung (z.B. seltene oder schwer zugängliche Druckwerke, unveröffentlichte Nachlässe bedeutender Provenienz, […] ) und deren Zugänglichmachung in überregionalen Nachweis- und Präsentationssystemen“90 anzuregen und zu unterstützen. Hauptsächliche Bedingung für eine Projektbezuschussung ist dabei, „dass die Ergebnisse der durch die DFG geförderten Digitalisierungsprojekte der Forschung im open access zur Verfügung gestellt werden müssen.“91

86 Es muss richtig heißen: …bestätigt wurde! 87 Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, S. [1]. – URL: https://openaccess.mpg.de/68053/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf (Gesehen: 13.07.2016) 88 Ebenda 89 Ebenda 90 Merkblatt : Erschließung und Digitalisierung / Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 2. – URL: http://www.dfg.de/formulare/12_15/12_15_de.pdf (Gesehen: 14.07.2016) 91 DFG-Praxisregeln : „Digitalisierung“ / Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 6. – URL: http://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf (Stand: 25.05.2016)

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Im Bereich von Archiven und Bibliotheken sind so auch zur Erschließung musikalischer Quellen eine ganze Reihe bedeutender und z. T. langfristig und auf Vernetzung verschiedener Institutionen und deren Bestände angelegter Projekte entstanden, die zum Aufbau einer virtuellen Forschungsinfrastruktur92 im Sinne der Richtlinie beitragen. Seit 2007 fördert die DFG den Aufbau der Datenbank „Bach digital“93 am Bach-Archiv Leipzig, in der in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin, die über den größten Bestand an Autographen der Bach-Familie verfügt, der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden und der Universitätsbibliothek Leipzig, die für die technische Umsetzung zuständig ist, eine Zusammenführung der über die ganze Welt verstreuten autographen Quellen zu Bachs Werk in Form hochauflösender Scans zu einer virtuellen (Nachlass-)Bibliothek ermöglicht wird. Von 2006 bis 2011 wurde an der Staatsbibliothek zu Berlin die Erschließung des umfangreichen und für die musikalische Quellenforschung einzigartigen Notenarchivs der Singakademie zu Berlin von der DFG gefördert94. Neben der formalen Erschließung der Quellen und ihrem Nachweis im RISM-OPAC stand dabei die Tiefenerschließung, bei der auch Papiersorten, Wasserzeichen, Schreiber und Provenienzen identifiziert wurden, im Mittelpunkt des Projekts. Da das Notenarchiv der Singakademie auch den Kernbestand des kompositorischen Nachlasses von Carl Philipp Emanuel Bach beinhaltet, steht dieses Projekt in enger Verbindung zu Bach-Digital. Das seit 2011 ebenfalls an der Staatsbibliothek zu Berlin angesiedelte und auf die Tiefenerschließung musikalischer Quellen ausgerichtete Projekt „Kompetenzzentrum Information und Musik (KoFIM)“ bezieht sich auf einen Bestand von ca. 7.500 Musikhandschriften des 17. bis 19. Jahrhunderts, bei denen – über die zuvor genannten Erschließungskriterien hinausgehend – die Wasserzeichen mit einer Thermographiekamera im Papier digital sichtbar gemacht und im „Wasserzeichen- Informationssystem“95 erfasst werden. Die Katalogisate im RISM-OPAC bieten Links zu den digitalisierten Wasserzeichen im Wasserzeichen-Informationssystem und zu den über den Resolver der Staatsbibliothek hinterlegten Digitalisaten der Musikhandschriften. Von 2009 bis 2015 wurden in einem beim Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar angesiedelten Projekt rund 19000 Theaterzettel des Weimarer Hoftheaters digitalisiert, chronologisch nach Aufführungsterminen geordnet und in einem virtuellen Gesamtbestand über UrMEL (Universal Multimedia Electronic Library), die zentrale Zugangsplattform für multimediale Angebote der

92 Vgl. ebenda, S. 5 93 URL: http://www.bach-digital.de/content/index.xed (Gesehen: 14.07.2016) 94 URL: http://staatsbibliothek-berlin.de/de/die-staatsbibliothek/abteilungen/musik/projekte/dfg-projekt-singakademie/ (Gesehen: 14.07.2016) 95 URL: http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php (Gesehen: 14.07.2016)

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Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, zugänglich gemacht96. Auch das an der SLUB in Dresden angesiedelte Projekt zur Erschließung von historischen Notenbeständen der Dresdner Hofkapelle – nämlich der Instrumentalmusik aus der Zeit der polnisch-sächsischen Union – war darauf ausgerichtet, neben der Katalogisierung der Handschriften in RISM – durch die Untersuchung von Schreiberhänden und Papiersorten möglichst viele anonym überlieferte Werke zu identifizieren und sie darüber hinaus durch Digitalisierung einer breiten Öffentlichkeit leicht zugänglich zu machen97. Digitalisierung und Open Access werden von einigen Bibliotheken auch bei der Erschließung musikalischer Nachlässe eingesetzt. So wurden in der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in München in den vergangenen Jahren vor allem Manuskripte in den Nachlässen prominenter Komponisten digitalisiert und – sofern es sich um urheberrechtlich nicht mehr geschützte Werke handelt oder aber mit Genehmigung der Erben – online zugänglich gemacht. Dazu gehören beispielsweise die Autographe aus den Nachlässen von Hugo Distler, Karl Amadeus Hartmann oder auch Carl Orff. Während in der Musikabteilung der SLUB Dresden lediglich einzelne Autographe aus Nachlässen – so z.B. von Felix Draeseke und Rudolf Mauersberger – digitalisiert und über die digitalen Sammlungen zugänglich gemacht werden, hält die Bayerische Staatsbibliothek zu einzelnen Komponisten deren gesamten im Nachlass überlieferten Autographenbestand über das Müchener Digitalisierungszentrum in digitalisierter Form für die Nutzung bereit. Die Zugänglichkeit kann dabei in den Fällen eingeschränkt sein, wo es sich (noch) um urheberrechtlich geschützte Werke handelt, wie etwa bei Werken von Carl Orff. Sämtliche Autographe aus dem seit 2010 in der BSB befindlichen Nachlass von Hugo Distler sind indes online frei verfügbar. Das gleiche gilt – durch Genehmigung der Erben – für die digitalisierten Komponistenhandschriften aus dem Nachlass von Karl Amadeus Hartmann. Wegen seiner beispielhaften Präsentation und Dokumentation sei an dieser Stelle auch das digitale Archiv des Brahms-Insituts, das der Hochschule für Musik Lübeck angegliedert ist, erwähnt. Obwohl das Brahms-Institut, verglichen mit den zuvor genannten Einrichtungen, eine sehr kleine Einrichtung ist, wird hier – mit finanzieller Unterstützung des Landes Schleswig- Holstein –seit 2003 systematisch eine Spezialsammlung zu Brahms und seinem Freundeskreis in digitaler Form aufgebaut, die überregionale Bedeutung hat. Zu ihren Beständen gehören neben Einzelautographen und einer fast vollständigen Sammlung von Erstdrucken zu Brahms und Robert Schumann auch Teilnachlässe aus dem Freundeskreis von Brahms, wie z.B. von

96 URL: http://www.urmel-dl.de/#portals/4 (Gesehen: 14.07.2016) 97 URL: http://hofmusik.slub-dresden.de/themen/schrank-zwei/ (Gesehen: 14.07.2016)

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Theodor Kirchner und Joseph Joachim, die ebenfalls in digitaler Form online zugänglich gemacht werden.98 Wo heute im Bereich von Handschriftenabteilungen in Bibliotheken oder in Bezug auf andere archivarische Sammlungen von Digitalisierung gesprochen wird, ist in erster Linie die visuelle Reproduktion von unikalen Sammlungsbeständen gemeint. Dass mit Digitalisierung immer auch ein ganz erheblicher struktureller Aufwand verbunden ist, der von der Herstellung der Digitalisate über ihre Anreicherung mit Metadaten bis hin zu ihrer Einbindung in die bestehende oder neu zu schaffende Informationsinfrastruktur einhergeht, wird gelegentlich übersehen. Digitalisierung und Open Access zielen in erster Linie auf Sichtbarmachung und Zugänglichkeit. Darüber hinaus bieten sie allerdings eine Reihe gewichtiger weiterer Vorteile: unikale Bestände werden geschont, virtuell dupliziert und (langzeit-)archiviert, die besitzenden Institutionen werden entlastet und den Benutzern wird die Möglichkeit gegeben, unabhängig von Öffnungszeiten und räumlicher Distanz mit den Quellen zu arbeiten.

2.2 Besondere Aspekte der Erschließung musikalischer Nachlässe

2.2.1 Anforderungen an den Bearbeiter Die Erschließung musikalischer Nachlässe setzt beim Bearbeiter einige Spezialkenntnisse voraus. So sind zur Einordnung eines Nachlasses in seinen historisch-soziologischen Entstehungszusammenhang und zur Beurteilung seines Stellenwerts und seiner rezeptionsgeschichtlichen Relevanz fundierte musikgeschichtliche Kenntnisse erforderlich. Diese sollten auch Kenntnisse der sich durch die Jahrhunderte wandelnden Notationsweisen (Tabulaturnotation, verschiedene Schlüsselung, Generalbaßschrift, Partituranodrnung etc.) und Herstellungsverfahren von handschriftlichen und gedruckten Musikalien (Autograph, Kopistenhandschrift, Plattendruck, Typendruck, lithographische, photographische und digitale Reproduktionsverfahren) beinhalten, um die Erscheinungsformen der in einem Nachlass enthaltenen Musikalien richtig bestimmen und benennen zu können. Notenkenntnisse dürfen nicht darauf beschränkt sein, musikalische Ausgabeformen (Partitur, Particell, Klavierauszug, Stimmen etc.) zu unterscheiden, sondern müssen den Bearbeiter dazu befähigen, verschiedene Entstehungsstufen eines Werkes zu identifizieren und ggfs. auch unsortierte Materialien und Fragmente innerhalb eines Nachlasses richtig zuzuordnen. Ohne Notenkenntnisse sind

98 URL: http://www.brahms-institut.de/web/bihl_digital/archiv_index.html (Gesehen: 14.07.2016)

Theoretischer Teil Seite | 38 musikalische Nachlässe nicht sinnvoll zu erschließen. Sie sind auch erforderlich, um bei der Katalogisierung von Werkmanuskripten zur Bestimmung eines Einheitssachtitels die Besetzungen im jeweils vorliegenden Manuskript zu identifizieren und das Werk einer musikalischen Gattung zuzuordnen.99 Und schließlich sind Notenkenntnisse erforderlich, um bei der Katalogisierung – sei es mit der Software Kallisto im RISM-Projekt oder zur Erstellung eines Katalogs oder thematischen Werkverzeichnisses – ggfs. Notenincipits der zu verzeichnenden Werke zu erfassen. Idealerweise verfügt der Bearbeiter nicht nur über gründliche musiktheoretische und musikhistorische Kenntnisse, sondern auch über musikpraktische Erfahrungen, die es ihm erleichtern, die in den unterschiedlichen musikalischen Ausgabeformen häufig enthaltenen handschriftlichen Eintragungen zu verifizieren und so aufführungspraktische Eintragungen (Fingersätze, Strichbezeichnungen etc.) von werkgenetischen Texturen (Korrekturen, Varianten etc.) zu unterscheiden. Die insbesondere in musikalischen Nachlässen oft auch im Kontext der Werke eines Nachlassers einzuordnenden audio-visuellen Medien – hier vor allem Tonträger – setzten bei der Erschließung nicht nur produktions- und studiotechnische Kenntnisse beim Bearbeiter voraus, sondern erfordern hierfür auch die entsprechende Wiedergabetechnik und konservatorische Umgebung, weshalb sie in der Regel an spezialisierte Abteilungen abgegeben werden sollten.100 Neben den genannten musikspezifischen Kenntnissen ist zur Bearbeitung von Nachlässen im Allgemeinen die Fähigkeit erforderlich, sich in die Kurrentschriften verschiedener Epochen und Schreiber einzulesen und sich in kurzer Zeit in historische und biographische Zusammenhänge einzuarbeiten. Nachlassmaterialien stehen und entstehen immer auch in einem personalen Beziehungsgeflecht des Nachlassbildners, aus dem sich nicht nur biographische Details ableiten und belegen lassen, sondern auch wesentliche Erkenntnisse etwa in Bezug auf die Autorschaft oder Datierung von Nachlassdokumenten – für Korrespondenzen ebenso wie für Werkmanuskripte – gewinnen lassen. Das Gespür, das für die Erkennung von Provenienzzusammenhängen oder für die Bewertung unikaler Sammlungsbestände auch hinsichtlich eines einzelnen Dokuments innerhalb eines Nachlasses wichtig ist, lässt sich nicht als prüfbare Fertigkeit beim Bearbeiter voraussetzen, sondern wird sich erst im Laufe der Arbeit und des Umgangs mit Nachlassmaterialien entwickeln.

99 Vgl. Talkner, a.a.O., S. 82 100 Vgl. RNA, a.a.O., S. 14

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Aufgrund der mitunter komplexen Anforderungen, die die Erschließung von Nachlässen im Allgemeinen an den Bearbeiter stellt, wurde in den „Richtlinien Handschriftenkatalogisierung“ der DFG eine Verteilung der Arbeiten „auf verschieden qualifizierte Mitarbeiter“ empfohlen:

„Die Leitung ist einem wissenschaftlichen Mitarbeiter anzuvertrauen. Seine Aufgaben sind im einzelnen: - die Entscheidung, welche Teile eines Nachlasses gegebenenfalls ausgeschieden werden, - die Wahl des Ordnungsschemas, nach dem der Nachlaß aufgestellt wird, - die Angabe, in welcher Ausführlichkeit die Katalogaufnahmen zu erfolgen haben, - die ständige Beratung der Mitarbeiter und die laufende Überprüfung der Arbeitsergebnisse.“101

Die Katalogisierung der Verzeichnungseinheiten wird einem Mitarbeiter des gehobenen Dienstes übertragen, die Reinschrift des Nachlasskatalogs einer Schreibkraft und „mechanische Hilfsarbeiten wie Paginierung, Stempelung, Beschriftung von Behältnissen und Mappen“102 einem Mitarbeiter des einfachen Dienstes. Abgesehen davon, dass eine solche Arbeitsteilung ohnehin nur in Institutionen mit entsprechender Größe und Personalstruktur erfolgen kann, ist sie durch die EDV-gestützte Erschließung von Nachlässen sicher nicht mehr in der hier beschriebenen Weise praktikabel; dennoch ist sie für die Erschließung besonders umfangreicher Nachlässe sicherlich von Vorteil. Auch hinsichtlich der Kassation von Nachlassmaterialien sahen die Richtlinien der DFG besondere Anforderungen an den Bearbeiter gestellt, insofern „das Urteil über Wert oder Unwert eines Stückes […] allerdings Sachkenntnis und große Verwaltungserfahrung in der Benutzung von Nachlässen“103 voraussetzt. Im einleitenden Vorwort der RNA wird auf die vorausgegangenen DFG-Richtlinien Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass das neue Regelwerk eine allgemein verständliche Unterstützung „auch für solche Mitarbeiter“ bieten möchte, „die nicht ausgebildete Fachkräfte sind“104.

2.2.2 Bestandsgliederung In Bezug auf die Erschließung von Komponistennachlässen formulierte Karl Dachs 1984:

„Die Aufgabe der Erschließung eines Nachlasses besteht darin, eine Vielzahl oft verschiedenartiger, aber provenienzmäßig zusammengehöriger Einzelstücke in eine objektivierte, durchsichtige Ordnung zu bringen […].“105

101 Richtlinien Handschriftenkatalogisierung, a.a.O., S.48 102 Ebenda 103 a.a.O., S. 44 104 RNA, a.a.O., S. 6 105 Dachs, a.a.O., S. 43

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So stellt denn auch „die sachlich-systematische Verteilung und Gliederung, also die Ordnung des Materials“106 die erste Stufe seines Erschließungsmodells dar. Mit der Begründung, dass Komponisten oft auch literarisch tätig seien, gibt er zur Gliederung von Komponistennachlässen ein aus fünf Hauptgruppen bestehendes Schema vor:

„1. Musikmanuskripte 2. Literarische Manuskripte 3. Briefe 4. Lebensdokumente 5. Sammlungen“107

Dachs betont, dass die Untergliederung der ersten Gruppe sich aus den Kompositionen und nicht aus den einzelnen Manuskripten ergibt: „Der ganze Satz der Manuskripte zu einem Werk ist zusammenzufassen und nach dem historisch-genetischen Prinzip nach der zeitlichen Abfolge in der Konzeption und Ausführung der Kompositionen zu untergliedern.“108 Die hier gestellte Forderung setzt voraus, dass das in einem kompositorischen Nachlass überlieferte Material Angaben zu seiner Datierung beinhaltet. Neben der Ordnung der Manuskripte nach Werkzugehörigkeit und Werkgenese zieht Dachs für die Gliederung der Werke vier Möglichkeiten in Betracht: chronologisch, nach Opuszahl, nach musikalischen Gattungen und alphabetisch nach Werktiteln. Besondere Zuordnungsprobleme seien bei Sammelhandschriften und Skizzenbüchern gegeben, da sie in der Regel Notationen zu verschiedenen Werken enthalten.109 Auch für die zweite Hauptgruppe, die sprachlich-literarischen Werke eines Komponisten, zu denen Dachs Dichtungen, Libretti, Vorlesungen, Lehrbücher, Aufsätze, Kritiken oder auch Schriften zum eigenen Werk eines Komponisten zählt, schlägt er eine Gliederung nach Gattung oder Fachsystematik in chronologischer Abfolge vor. Hinsichtlich der Ordnung der Nachlassobjekte in der Musikabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek erläutert Traunsteiner, dass die Einteilung der Ordnungsgruppen im vormaligen Fonds-Katalog verschieden angelegt war, je nachdem, ob es sich um den musikalischen Nachlass eines Komponisten, eines Interpreten oder eines Musikwissenschaftlers handelt.110 Im ersten Arbeitsgang ordnet sie die Nachlassmaterialien nach folgenden, auf verschiedene Materialarten hin ausgerichteten Gruppen: Musikhandschriften, Musikdrucke, Werkverzeichnisse, literarische Werke, Korrespondenz, biographische Materialien,

106 Ebenda 107 Dachs, S. 44 108 Ebenda 109 Vgl. ebenda, S. 45 110 Vgl. Traunsteiner, a.a.O., S. 437

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Ikonographie, Programme, Plakate, Kritiken, Zeitungsartikel über den Nachlasser und Sammelgut, wie z.B. literarische Werke verschiedener Autoren mit handschriftlichen Eintragungen, Werke anderer Komponisten (Musikautographe und Musikdrucke), sowie museale Objekte.111 Obschon Traunsteiner der von Dachs vorgeschlagenen fünfteiligen Gliederung der Hauptgruppen den Vorzug gab, schloss sich die Musikabteilung der ÖNB bei Einführung der Katalogisierungssoftware „allegro-HANS“ zur Vereinheitlichung der Erschließungsergebnisse dem in den RNA empfohlenen vierteiligen Gliederungsmodell (Werkmanuskripte, Briefe, Lebensdokumente und Sammlungen) an, das – nach Dachs – ein bibliothekarisches Grundschema sei, insofern die ersten beiden Gruppen dem Autorenprinzip und dem Prinzip der literarischen Gattung folgten.112 Die erste Hauptgruppe, die sowohl Musikhandschriften als auch Musikdrucke der Werke eines Nachlassbildners beinhaltet, wird in der ÖNB systematisch in drei Gruppen untergliedert, nämlich nach geistlichen und weltlichen Vokalwerken, nach Instrumentalwerken und nach Bearbeitungen. „Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die Kompositionen nach verschiedenen Kriterien, wie Gattung bzw. Besetzung […], Instrumenten- oder Titelalphabet, Opuszahlen bzw. Werkverzeichnisnummern geordnet. Skizzen und Entwürfe werden, wenn möglich, dem jeweiligen Werk zugeordnet, sonst wird eine eigene Gruppe gebildet.“113 Und auch Traunsteiner sieht – in Anlehnung an die Richtlinien der DFG – für die Ordnung der Musikhandschriften die Feststellung der „Entstehungsstufen eines Werkes, wie Skizzen, Entwürfe, Erstniederschrift, Reinschrift, unterschiedliche Fassungen usw.“114 vor. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass „die Bestimmung der verschiedenen Fassungen eines Werkes […] den Bearbeiter unter Umständen vor erhebliche und nur durch langwierige Forschung lösbare Probleme“ stellt, was auch für „die Identifizierung von Skizzen und deren Zuordnung zum eruierten Werk“115 gilt. An diesem Punkt scheinen sich die in den RNA formulierten Mahnungen, dass die Erschließung „nicht in jedem Fall alle Fragen zu einer Vorlage beantworten“116 soll, zu widersprechen und den Bearbeiter in einen Zwiespalt hinsichtlich des zu vertretenden Arbeitsaufwands zu stellen. Es ist nicht leicht nachvollziehbar, weshalb weder Dachs noch Traunsteiner in ihren Ausführungen zur Erschließung von Komponistennachlässen die Materialart Tonträger mit keiner Silbe erwähnen, wo es doch wohl kaum einen musikalischen Nachlass nach 1945 geben

111 Vgl. ebenda, S. 436 112 Zitiert nach Traunsteiner, a.a.O., S. 437 113 Ebenda, S. 441 114 Ebd. 115 Ebd. 116 RNA, S. 9

Theoretischer Teil Seite | 42 dürfte, in dem keine Schallplatten, Tonbänder oder Tonkassetten enthalten sind. Zu erklären ist dies nur damit, dass diese Materialart nicht in der Handschriftenabteilung, sondern in einer Spezialabteilung bearbeitet wird. Dennoch müssten Tonträger und andere audio-visuelle Medien zumindest bei den grundsätzlichen Überlegungen zur Bestandsgliederung berücksichtigt werden. Die RNA schließen in der Definition der „Werke“ durch ihre Formulierung „alle Aufzeichnungen, […] unabhängig von der Form, in der sie überliefert sind“117 audio-visuelle Medien nicht aus und auch hier ist die eher marginale Erwähnung zeitgenössischer Medienformen durch die ursprüngliche Ausrichtung des Regelwerks auf die Erschließung von handschriftlichen Materialien zu erklären.118 Ein weitaus differenzierteres Gliederungsmodell hält das auf die Werksammlungen zeitgenössischer Komponisten ausgerichtete, 2005 gegründete Deutsche Komponistenarchiv zur Erschließung der ihm anvertrauten Nachlassmaterialien bereit. In seinem Leitfaden werden Nachlassverwalter hinsichtlich der Vorbereitung der Archivalien zur Übergabe an das Archiv darauf hingewiesen, dass neben handschriftlich erstellten Werkmanuskripten auch „am Computer erstellte Fassungen“ und „nichtschriftlich fixierte Kompositionsteile (elektronische Speicher, Zuspielbänder etc.)“, sowie „Tonaufnahmen eigener Werke“119 archiviert werden. Die „Systematik für Nachlassbestände“ des Deutschen Komponistenarchivs sieht folgende Hauptgruppen vor:

„A Instrumental- und Vokalmusik (Werke des Nachlassers) B Musik für Medien (Werke des Nachlassers) C Literatur (Werke des Nachlassers) D schaffensbezogenes Begleitmaterial (Werke anderer) E Korrespondenz F Lebensdokumente G Sammlungen“120

Die Systematik berücksichtigt denn auch in ihrer Feinstruktur die oben genannten elektroakustischen und digitalen Werkmaterialien, in dem sie der Gruppe „A1 Instrumentalmusik“ eine Untergruppe „A14 Elektronische Musik“ zuweist und als

117 RNA, S. 11 118 Hingewiesen sei noch darauf, dass die RNA das empfohlene, vierteilige Gliederungsschema nicht vorschreibt, sondern ausdrücklich darauf hinweist, dass „vorgefundene Gliederungen […] auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen sind und ggf. unverändert zu übernehmen oder zu dokumentieren sind“. – Siehe ebenda. 119 Werksammlungen im Deutschen Komponistenarchiv : ein Leitfaden / Deutsches Komponistenarchiv. – URL: http://www.komponistenarchiv.de/wp-content/uploads/Infomaterial/Leitfaden.pdf (Gesehen: 14.07.2016) 120 Systematik für Nachlassbestände. – URL: http://www.komponistenarchiv.de/bestande-und-katalog/archiv- systematik/ (Gesehen: 14.07.2016)

Theoretischer Teil Seite | 43 eigenständige Untergruppe der ersten Hauptgruppe neben Instrumental- und Vokalmusik eine dritte Gruppe „A3 Klangkunst (Musik für ‚Nicht-Instrumente‘)“121 eröffnet. Kritisch anzumerken bleibt, dass die Systematik keine Gruppe für Musikdrucke (mit handschriftlichen Anmerkungen) oder Musikhandschriften anderer Verfasser bereithält und auch für die o.g. Tonaufnahmen eigener Werke keine Untergruppe in der Systematik zu finden ist. Vermutlich werden sie – obwohl sie sicher auch im Deutschen Komponistenarchiv getrennt aufgestellt werden – der ersten Hauptgruppe subsumiert. Trotz dieser kleinen Mängel, die durch die Fokussierung auf den Werkbezug der übernommenen Materialien zu erklären sind, ist die Bestandsgliederung des Deutschen Komponistenarchivs aufgrund ihrer Berücksichtigung zeitgenössischer Werkformen und Medienarten für die Erschließung musikalischer Nachlässe sehr zu empfehlen.

2.2.3 Erschließungstiefe In der Richtlinie der RNA wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zu einem Nachlass zumindest eine Gesamtaufnahme „unter Angabe des Titels, der Benennung, des Bestandsbildners, des Umfangs und Inhalts, sowie allfälligen Benutzungsbeschränkungen zu verzeichnen“ und diese Gesamtaufnahme „in geeigneter Weise öffentlich zugänglich zu machen“122 ist. Inwieweit darüber hinaus eine feinere Erschließung des betreffenden Bestands erfolgt und über welche Teile dieses Bestands sich die Feinerschließung (vorläufig) erstreckt, ist offengelassen und muss von Fall zu Fall entschieden werden. „Die Erschließungstiefe und Ausführlichkeit der Verzeichnung hängt u.a. von personellen Ressourcen der Institution oder speziellen Benutzerinteressen ab. Innerhalb eines Bestands kann es deshalb unterschiedliche Erschließungstiefen geben“123. Die genannte Abhängigkeit von personellen Ressourcen geht mit der Abhängigkeit von zeitlichen und finanziellen Ressourcen Hand in Hand, insofern bzgl. der anvisierten Erschließungstiefe im Vorfeld geklärt sein muss, ob das zur Verfügung stehende Personal über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt und wie lange es für diese Erschließungsarbeit eingebunden werden kann. Hinsichtlich der Abhängigkeit der Erschließung von Benutzerinteressen war in den „Richtlinien Handschriftenkatalogisierung“, dem Vorgänger-Regelwerk der RNA, der nicht unproblematische Hinweis zu lesen, dass Nachlässe entsprechend „ihrem verschieden hohen wissenschaftlichen und ideellen Wert“ mit unterschiedlicher Priorität und Tiefe zu erschließen seien: die wertvolleren Nachlässe sollten zuerst erschlossen und in größerer Ausführlichkeit katalogisiert werden, als die unwichtigeren

121 Ebenda 122 RNA, S. 13 123 Ebenda

Theoretischer Teil Seite | 44 und auch die einzelnen Teile eines Nachlasses sollten „je nach ihrem mutmaßlichen Wert“ mit unterschiedlicher Differenzierung erfasst werden.124 Dies aber würde bedeuten, dass die Erschließung von Nachlässen abhängig gemacht werden könnte vom Erfolg oder vom Ansehen, das beispielsweise ein Komponist oder ein Interpret in der Öffentlichkeit genießt. Wo aber Popularität als Erschließungskriterium angesetzt wird, scheint immerhin Vorschicht geboten. Während in den RNA außer dem oben zitierten kein weiterer Hinweis zur Erschließungstiefe zu finden ist, wird in der „Richtlinie Handschriftenkatalogisierung“ sehr deutlich formuliert, dass sich die Bearbeitung auf das Wesentliche zu konzentrieren habe und zeitraubende Perfektion zu vermeiden sei.125 Und weiter heißt es – noch deutlicher: „Katalogisierung ist keine Textuntersuchung und keine Vorbereitung einer kritischen Edition; sie wird nicht in jedem Fall die Identität eines Stückes feststellen wollen. Die Katalogaufnahme soll den Fachmann lediglich an das Material heranführen, ihm aber nicht die eigene Einsichtnahme ersparen.“126 Diese Maßgabe bzgl. des Erschließungsaufwands steht in einem starken Spannungsverhältnis zu der formulierten Anforderung an die Katalogisierung: „Die ursprüngliche Ordnung eines Manuskriptes ist wiederherzustellen. Sind für das einzelne Werk mehrere Manuskripte und Werkstattpapiere vorhanden, die verschiedenen Stadien der literarischen Ausreifung (Vorarbeiten, Textniederschriften, Druckvorlagen) zugehören, werden sie nach chronologisch-genetischer Abfolge angeordnet, soweit sie sich leicht rekonstruieren läßt.“127 Hier werden zwei Forderungen an den Bearbeiter gestellt: die Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung eines Manuskripts und die Feststellung und Ordnung verschiedener Entstehungsstufen eines Werkes. Beide Forderungen setzen beim Bearbeiter detaillierte Werkkenntnisse voraus und sind – wo nicht bereits ein Nachlasser seine Manuskripte gut sortiert und beschriftet hat – mit einem ganz erheblichen Zeitaufwand verbunden. Dass die zitierten Richtlinien vor allem literarische Nachlässe im Blick haben, geht auch aus dem Nachsatz hervor, dass „künstlerische oder musikalische Werke des Nachlassers […] in Analogie zu den literarischen behandelt werden“128 können. Wie sollte die Werkgenese einer Komposition von verstreuten, einzelnen Entwurfsnotizen, seien sie nun verbal formuliert oder in Notation festgehalten, über möglicherweise eine mehrfache Skizzenschicht (zu einem Teil des Werks oder zu mehreren Teilen), über eine erste Partiturfassung bis zur Partiturreinschrift und die möglicherweise folgenden mehrfachen Korrektur- und sequenziellen Umarbeitungen bis zur Drucklegung, mit der der Entstehungsprozess eines Werks in den Papieren eines

124 Vgl. Richtlinien Handschriftenkatalogisierung, S. 43f. 125 Ebenda 126 a.a.O., S. 44 127 a.a.O., S. 45 128 Ebenda

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Komponisten keinesfalls abgeschlossen sein muss, weil er vielleicht für eine spätere Aufführung nochmals die Druckfassung in einigen Details korrigiert – wie sollte eine solche Werkgenese, zumal in ihrer chronologischen Entstehung, ohne in die Nähe einer Textuntersuchung zu gelangen und ohne einen ganz erheblichen Zeitaufwand zu rekonstruieren, zu ordnen und zu katalogisieren sein? Davon abgesehen sei darauf hingewiesen, dass die geforderte Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung eines Manuskripts gegen das Provenienzprinzip verstößt, weil mitunter gerade aus der vorgefundenen Ordnung Entstehungszusammenhänge – sei es bzgl. der Chronologie oder der inhaltlichen und formalen Genese eines Werks – erkannt oder abgeleitet werden können, die mit einer Umsortierung einer vorgefundenen Materiallage aber unwiederbringlich verloren gingen. Ähnlich komplex und gänzlich unanschaulich in Bezug auf die Feststellung von Entstehungsstufen ist die Erschließung von Tonträgern in musikalischen Nachlässen, vor allem dann, wenn ein Komponist selbst als Tonmeister bei der aufnahmetechnischen Produktion seiner Werke gewirkt hat. Die RNA formulieren deshalb wesentlich zurückhaltender bzgl. der Erfassung zusätzlicher Angaben bei der Katalogisierung von Werkmanuskripten: „Der Ausreifungsgrad bzw. die Entstehungsstufe eines Textes kann ermittelt werden.“129

2.2.4 Kassation In der einleitenden Formulierung der Richtlinie zu den RNA wird das Thema Kassation lediglich in einer indirekten Formulierung kurz erwähnt:

„Zu erhalten sind alle Teile eines Bestands, die von bleibendem Wert sind und die z.B. Aufschluss über Werk, Tätigkeit und Biographie des Bestandsbildners bzw. der Bestandsbildnerin bieten. In dieser Hinsicht unwesentliche Teile eines Bestands können entfernt werden (Kassation).“130

Dementsprechend lautet der Eintrag zum Begriff „Kassation“ im Glossar der RNA:

„Die Vernichtung von Teilen eines Bestands, die keinen Beitrag zu Tätigkeit, Werk und Biographie des Bestandsbildners bieten.“131

Weitere Maßgaben oder Hinweise zur Behandlung beispielsweise von Dubletten oder eher marginalen Materialien in Nachlässen sind in den RNA nicht genannt. In den „Richtlinien Handschriftenkatalogisierung“ der DFG war zu Kassation zuvor etwas vorsichtiger und präziser formuliert worden:

129 RNA, a.a.O., S. 26 130 RNA, S. 9 131 RNA, S. 62

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„Es empfiehlt sich, unwesentliche Teile eines Nachlasses, die keinen Beitrag zur geistigen Leistung und Lebensgestaltung des Nachlassers bieten und keine kulturhistorischen Aufschlüsse vermitteln, auszusondern.“132

Darüber hinaus wird in diesen Richtlinien betont, dass „die Kassation […] einen nicht unwesentlichen Teil der Erschließung eines Nachlasses“ darstellt. „Das Urteil über Wert oder Unwert eines Stückes setzt allerdings Sachkenntnis und große Verwaltungserfahrung in der Benutzung von Nachlässen voraus.“133 Dieser Zusatz zur ausgesprochenen Empfehlung weist darauf hin, dass mit der Kassation bei der Bearbeitung von Nachlässen erstens ein erheblicher Aufwand verbunden ist und dass zweitens vom Bearbeiter ein entsprechendes Urteilsvermögen und fachliche Erfahrung vorausgesetzt werden. In der für die Erschließung musikalischer Nachlässe relevanten Literatur geht lediglich Traunsteiner auf Fragen der Kassation ein. Sie zitiert Beispiele aus den Regeln für die Katalogisierung von Nachlässen und Autographen der Bayerischen Staatsbibliothek, aus denen sie ableitet, dass folgende Materialien als „unwesentliche Teile“ ausgeschieden werden können: Bücher ohne handschriftliche Eintragungen, zweite und alle weiteren Dubletten von Typoskripten und Drucksachen , sowie Materialien, die sich lediglich auf Alltägliches beziehen. Musikdrucke und Fotokopien von Musikhandschriften und Typoskripten ohne handschriftliche Eintragungen scheidet sie bei der „Vorsortierung und im Zuge der weiteren Erschließung“134 aus. Hier wird nun deutlich, dass schon die Vorsortierung – zumal, wenn es sich um einen geschlossenen Nachlass zeitgenössischer Provenienz handelt – einen erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand unumgänglich macht, insofern alle vorliegenden Materialien auf handschriftliche Eintragungen hin zu überprüfen sind. Der Aufwand besteht nicht nur – durch Fotokopiertechnik bedingt – hinsichtlich der Quantität, sondern auch – durch digitale Speicher- und Reproduktionsmöglichkeiten – hinsichtlich einer leicht herstellbaren Variabilität bei zunächst identischem Erscheinungsbild. Was gleich aussieht, muss nicht immer gleich sein: die Fotokopie oder der Computerprint einer Seite eines Notenmanuskripts kann von scheinbaren Dubletten geringfügig oder wesentlich abweichen, ohne dass dies auf den ersten Blick zu erkennen ist, wenn nämlich z.B. die handschriftliche Korrektur einer Kopiervorlage nicht vorliegt oder auch in einem mit Notensatzprogramm erstellten „Musikmanuskript“ nur wenige Töne, Phrasierungs- , Artikulations- oder Dynamikzeichen geändert worden sind. Genau aus diesem Grund ist Kassation bei der Bearbeitung musikalischer Nachlässe nicht nur mit erheblichem Aufwand verbunden, sondern auch mit größter Vorsicht zu handhaben.

132 Richtlinien Handschriftenkatalogisierung, S. 44 133 Ebenda 134 Vgl. Traunsteiner, a.a.O., S. 439f.

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Um den Bearbeitungsaufwand bzgl. der Kassation möglichst gering zu halten, gibt deshalb der Leitfaden zu den Werksammlungen im Deutschen Komponistenarchiv in Hellerau vor, was nicht archiviert und deshalb nicht ans Archiv abgegeben werden soll, nämlich:

„- Druckwerke ohne Bezug zum kompositorischen Werk (Noten, Bücher, Zeitschriften etc.) - Werbematerial (Verlagsbroschüren etc.) - Kopien von vorhandenen Originalmanuskripten und Aufführungsmaterial - Dokumente der privaten Lebensführung ohne Schaffensbezug - Instrumente und Mobiliar“135

Und unter den allgemeinen Hinweisen zur Aufnahme von Werksammlungen wird an erster Stelle die Orientierungshilfe für Komponisten oder deren Rechtsnachfolger formuliert: „Sondern Sie bei der Durchsicht der Dokumente Materialien mit fehlendem Bezug zum kompositorischen Schaffen aus.“136

2.2.5 Konservatorische Maßnahmen Zur Frage der Bestandssicherung und Bestandserhaltung in Bezug auf musikalische Nachlässe hat sich in der Fachliteratur allein Christa Traunsteiner – nämlich bezüglich der Maßnahmen in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek – geäußert. Sie bezieht sich dabei auf die Erschließungsgrundsätze des Schweizerischen Literaturarchivs Bern. Die Maßnahmen, die sie nennt, sind die in Archiven, Handschriftenabteilungen und ähnlichen Einrichtungen mittlerweile weitgehend etablierten: Manuskripte sind in holz- und säurefreien Mappen aufzubewahren und von stark holzschliffhaltigen Umschlägen und Mappen zu isolieren; oxidierende Materialien wie Büro- und Heftklammern, sowie Plastikfolien und Klebebänder auf Handschriften müssen entfernt werden. Hierzu wie auch zur Reparatur von Rissen und Fehlstellen, sowie zur Reinigung von Verschmutzungen ist die Zusammenarbeit mit Restauratoren erforderlich. Die durch Klammern, Gummibänder oder Plastikfolien vom Nachlasser gebündelten Materialien können in säurefreien Mappen oder Schachteln zusammengehalten werden. Gefaltete Blätter werden auseinandergefaltet, um Bruchstellen bei der dauerhaften Lagerung zu vermeiden. Auch Fotos und Zeitungsausschnitte müssen in säurefreien Mappen aufbewahrt werden.137 Die bis hierher genannten Maßnahmen enthalten keine für musikalische Nachlässe spezifischen Hinweise oder Problemstellungen. Die Materialarten, die Traunsteiner nennt, sind Handschriften, Fotos, Fotoalben und Zeitungsausschnitte. Den einzigen, Musikalien betreffenden Hinweis zur

135 Werksammlungen im Deutschen Komponistenarchiv – ein Leitfaden, a.a.O., S. 4 136 Ebenda, S. 5 137 Vgl. Traunsteiner, a.a.O., S.440

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Bestandserhaltung gibt Traunsteiner im Schlusssatz ihres entsprechenden Kapitels: „Für umfangreichere Konvolute oder dickere, ungebundene Partituren oder Orchesterstimmen, stehen auch säurefreie Archivschachteln oder Schuber zur Verfügung.“138 Traunsteiner scheint in erster Linie historische Nachlässe im Blick zu haben, denn auch unter konservatorischen Gesichtspunkten werden Tonträger von ihr nicht erwähnt. Doch auf diese gehäuft in musikalischen Nachlässen anzutreffende Materialart muss hier deutlich hingewiesen werden. Denn gerade in Nachlässen von Komponisten (und Interpreten) der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart können Tonträger enthalten sein, die nicht nur Sammlungscharakter haben, sondern denen – wie etwa Mitschnitten von Uraufführungen – ein wichtiger dokumentarischer Stellenwert bei der Überlieferung des Werks zukommt, oder die aber selbst konstitutiver Bestandteil eines Werks sein können.

2.2.6 Katalogisierung von Werkmanuskripten in neuzeitlichen musikalischen Nachlässen Während bei der Katalogisierung von historischen Komponistennachlässen zumeist eine überschaubare Anzahl von Manuskripten zu einem Werk – sei es in autographer Form oder in Form einer Kopistenhandschrift – vorliegt, ist der Bearbeiter neuzeitlicher kompositorischer Nachlässe häufig mit dem Problem konfrontiert, einen völlig heterogenen Bestand an Werkmanuskripten in einer einheitlichen Verzeichnung zu erfassen. Die Heterogenität ergibt sich zum einen aus der omnipräsenten fotomechanischen Reproduktionsmöglichkeit handschriftlicher, maschinenschriftlicher und längst auch digitaler139 werkrelevanter Texte und zum andern aus der Vielgestaltigkeit musikalischer Aufzeichnungsformen. Das Problem besteht nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern insbesondere auch durch eine Vermischung der qualitativen Ebene, die vor allem dadurch entsteht, dass reproduzierte Hand- oder Druckschriften durch handschriftliche Eintragungen wiederum zum (Teil-)Manuskript bzw. (Teil-)Autograph werden. Dabei kann auch der Fall gegeben sein, dass ein solches Teilautograph auf der Grundlage der Reproduktion eines nicht im Nachlass vorhandenen Autographs entstanden ist, womit angedeutet sei, dass die Katalogisierung von Werkmanuskripten in kompositorischen Nachlässen immer auch die Vorlage einer Reproduktion zu berücksichtigen hat. Der Bearbeiter sieht sich also nicht nur mit einem Mengenproblem konfrontiert, sondern zudem mit der Frage, wie die Materialvielfalt möglichst effizient, präzise und konsequent in einer einheitlichen

138 Ebenda 139 Auf die speziellen Anforderungen, die digital erzeugte Werktexte oder elektroakustische Werke an die Erschließung musikalischer Nachlässe stellt, kann in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden.

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Erschließungsterminologie und –tiefe so erschlossen werden kann, dass das Katalogisat für eine Recherche alle relevanten Daten in überschaubarer und verständlicher Form bereitstellt. Die Problematik wird im Folgenden an einigen Beispielen verdeutlicht. Dabei steht vor allem die „physische Beschreibung“ – so die RISM-Terminologie – im Blickpunkt. Die Bayerische Staatsbibliothek katalogisiert Musikhandschriften in Nachlässen mit RISM/Kallisto und überspielt die RISM-Katalogisate als Metadaten zu den digitalisierten Handschriften in den eigenen OPAC.140 Aus dem Nachlass des Komponisten Gerhard Frommel sei hier das Beispiel eines Teilautographs zur eigenen Bearbeitung seiner „Rhapsodischen Streichermusik, op. 26“ für Orchester angeführt: Der Eintrag im RISM-OPAC lautet:

Beispiel 1a Verfasser: Frommel, Gerhard Titel: Rhapsodische Streichermusik (Arr)

Werkinformation Besetzungshinweis: orch Opus-Nr.: op. 26 Schlagwort: Rhapsodien (instr.)

Quellenbeschreibung: Originaler Titel: [caption title:] RHAPSODIE für Orchester. Gerhard Frommel Material: score: 77 p. Teilautograph: 1978; 34 x 27 cm

Weitere Angaben und Bemerkungen Bemerkungen: Lichtpause vom Autograph von ca. 1978, handschriftlich von Gerhard Frommel überarbeitet. Auf S. 6 Überklebung, Autograph. Ein späterer Abzug derselben Vorlage wurde vom Verlag Willy Müller, Heidelberg, übernommen.

Provenienz und Fundort Bestand: Nachlass Gerhard Frommel Bibliothek (Sigel, Signatur): Bayerische Staatsbibliothek (D-Mbs), Mus.ms.21549 RISM ID no.: 456080122

Im OPACplus der Bayerischen Staatsbibliothek lautet der Eintrag zum gleichen Teilautograph:

Beispiel 1b

Titel: Rhapsodische Streichermusik, orch, op.26, Arr – BSB Mus.ms. 21549 Untertitel: [caption title:] RHAPSODIE für Orchester. Gerhard Frommel Originaltitel: Rhapsodische Streichermusik. Fassung Orch Verfasser: Frommel, Gerhard Erscheinungsjahr: 1978 Umfang: score: Details: 77p ;

140 Vgl.: Schaumberg, Uta: Nachlässe und Sammlungen von Musikhandschriften in der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, a.a.O., S. 67f.

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Format: 34 x 27 cm Fußnote: Bemerkungen: Lichtpause vom Autograph von ca. 1978, handschriftlich von Gerhard Frommel überarbeitet. Auf S. 6 Überklebung, Autograph. Ein späterer Abzug derselben Vorlage wurde vom Verlag Willy Müller, Heidelberg, übernommen. Provenienz: Nachlass Gerhard Frommel Hochschulschriftnummer: RISM 456080122 Hochschulschriftnummer: BSB-Hss Mus.ms. 21549 Signatur: Mus.ms. 21549 Standortsignatur: Mus.ms. 21549 Sprache: und [sic! der Verf.] Medienart: Handschrift Medienart: Noten Medienart: Monographie BSB-ID: 13326546 B3Kat-ID: BV042147616

Es fällt auf, dass die Verzeichnungskategorien und ihre Belegung im BSB-OPACplus gegenüber der RISM-Anzeige wesentlich abweichen. Der diplomatische Titel („caption title“) wird als „Untertitel“ ausgewiesen, das Entstehungsjahr, das im RISM-OPAC als Zusatz zur Materialangabe in der Quellenbeschreibung genannt wird, wird hier als „Erscheinungsjahr“ bezeichnet und in der „Fußnote“ bzw. „Bemerkung“ redundant verwendet. Die in anderen Titelaufnahmen im BSB-OPAC angeführte Kategorie „Ausgabe“ fehlt hier, stattdessen wird die in RISM obligatorisch englischsprachig angegebene Bezeichnung der musikalischen Ausgabeform „score“ für Partitur unter „Umfang“ genannt und die Seitenangabe unter „Details“, während sie in der RISM-Aufnahme in der „Quellenbeschreibung“ unter der wenig aussagefähigen Kategorie „Material“141 zu finden ist. Die Besetzungsangabe wird in Kurzform mit „orch“ für orchestra bzw. Orchester angegeben; eine detaillierte Besetzungsangabe wurde nicht erfasst. Die für Nachlassbestände besonders wichtige Information bzgl. des Materialtyps, die nach der Kallisto-Regelung in der „Maske Titel“ die „Vorlageform einer Quelle“142 („Autograph“, „fragliches Autograph“, „Teilautograph“) erfasst, wird in beiden Beispielen lediglich in einer „Fußnote“ bzw. „Bemerkung“143 zur physischen Beschreibung genannt. Das gleiche gilt für die Art der Reproduktion („Lichtpause“), die als materielle Grundlage des Teilautographs vorliegt. Die Angabe einer Signatur des reproduzierten Autographs fehlt ebenso, wie eine Benennung des Ausreifungsgrads. Der OPACplus weist nochmals redundant in der wiederholten Kategorie „Medienart“ das vorliegende Werkmanuskript als „Handschrift“, „Noten“ und „Monographie“ aus.

141 Aus den Erläuterungen zur Erfassung der Ausgabeform im Kallisto-Handbuch geht hervor, dass der Begriff „Materialarten“ innerhalb der physischen Beschreibung synonym zum Begriff „Ausgabeform“ verwendet wird. Siehe: Handbuch zu Kallisto, a.a.O., S. 35 142 Ebenda, S. 32 143 Entsprechend der Kallisto-Regelung: „Noch detailliertere Beschreibungen können Sie im Feld ‚Bemerkungen zur physischen Beschreibung‘ eingeben.“ – Siehe: Ebenda, S. 36

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Zur weiteren Verdeutlichung der Problematik sei das Katalogisat einer Musikhandschrift aus einem Interpretennachlass, nämlich aus dem Nachlass des Dirigenten Hermann Scherchen, im Bestand des Archivs der Akademie der Künste144 in Berlin als Beispiel angeführt:

Beispiel 2 Bestand: Hermann-Scherchen-Archiv Signatur: Scherchen 2480 Klassifikation: 1.1.1. Annotierte Kompositionen Titel: Anton Webern: Fünf Stücke für Orchester op. 10 Enthält: Partitur, Abschrift von Hermannn Scherchen mit Interpreteneintragungen Datierung: 13. Dezember 1965 Ort Toronto Personen/Institutionen: Webern, Anton (1883-1945), Komponist/Autor/Korrespondenzpartner/Fotograf Provenienz: Technische Daten: Aufzeichnungsform: Autograph m.hs.Eintr. Umfang: 6 Blatt Permalink: https://archiv.adk.de/objekt/2451368 Standort: Robert-Koch-Platz Aktueller Standort: Magazin Bestellbarkeit:

Bei diesem Beispiel handelt es sich um Hermann Scherchens Abschrift der Partitur der „Fünf Stücke für Orchester, op. 10“ von Anton Webern. Die musikalische Ausgabeform und eine Beschreibung des Manuskripts werden hier in der Kategorie „Enthält“ angegeben. Da die Handschrift auch aufführungspraktische Hinweise Scherchens beinhaltet, wird sie in der hauseigenen Klassifikation unter „Annotierte Kompositionen“ spezifiziert. Die Benennung der „Aufzeichnungsform“ wird in der Kategorie „Technische Daten“ erfasst und in diesem Fall mit „Autograph m.hs.Eintr.“ bezeichnet. An diesem Punkt scheinen sich die Ebenen von Weberns Werk und Scherchens Interpretation zu mischen: Die Bezeichnung „Autograph“ bezieht sich hier selbstredend auf Scherchens Abschrift und nicht auf Weberns Komposition. Als eine Doppelung erscheint daher der Zusatz „m.hs.Eintr.“, der dem Bemühen geschuldet ist, Werkebene und Interpretationsebene voneinander zu trennen, dadurch aber das Gegenteil erreicht, insofern der redundante Zusatz nahelegt, es handele sich doch um ein Autograph Weberns, in dem Scherchen handschriftliche Eintragungen vorgenommen hat. Auf die Angabe eines Ausreifungsgrads kann hier verzichtet werden. Datierung, Ort und Umfang sind in jeweils eigenen Kategorien angegeben. Angaben zum Format einer Vorlage werden nicht erfasst.

144 Archivdatenbank / Akademie der Künste. – URL: https://archiv.adk.de/BildsucheFrames?easydb=5edl6mojlqsdvhfjh72ga9bbh0&ls=2&ts=1468748063 (Gesehen: 16.07.2016)

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Schon diese wenigen Beispiele belegen, dass bei der Katalogisierung von Handschriften in musikalischen Nachlässen jüngeren Datums sowohl in Bezug auf die Erschließungsterminologie, als auch hinsichtlich der zu erfassenden inhaltlichen und formalen Ebenen einer Vorlage – selbst da, wo es sich um die gleiche Handschrift handelt – ganz erhebliche Differenzen festzustellen sind. Dabei werden nicht nur die Gruppen der Beschreibung einer Vorlage (z.B. Entstehungsvermerk, Kollationsvermerk) aufgebrochen, sondern es entsteht durch den redundanten Gebrauch inhaltlicher und formaler Angaben, die zur Präzisierung der (physischen) Beschreibung dienen sollen, ein inkohärentes und inkonsequentes Katalogisat. Bei dem Beispiel 1b sind einige Ungenauigkeiten durch die Datenübernahme aus der RISM-Datenbank zu erklären. Insgesamt aber wird offensichtlich, dass Begriffe wie „Materialart“ oder „Typ“ nicht hinreichend definiert sind und deshalb unterschiedlich gebraucht werden. Die Uneinheitlichkeit und Unsicherheit bei der Beschreibung musikalischer Handschriften korreliert mit der Komplexität, die sich aus den verschiedenen Ebenen der Aufzeichnungs- und Erscheinungsformen von Werkmanuskripten in musikalischen Nachlässen ergibt. Diese Ebenen lassen sich wie folgt unterscheiden: 1. Auf einer Authentifizierungsebene ist zu unterscheiden zwischen Original (Autograph, Manuskript, Typoskript, Druck) und Reproduktion (des Autographs, Manuskripts etc.). 2. Auf der genetischen Ebene werden verschiedene Stadien der Aufzeichnung145 hinsichtlich der Werkgenese146 festgestellt (Skizze, Entwurf, Reinschrift, Korrektur, Druckfassung). 3. Auf der materiellen Ebene unterscheiden sich Werkmanuskripte rein äußerlich durch ihre Beschaffenheit und Stofflichkeit vor allem nach Beschreibstoff (Notenpapier, Transparentpapier, Lichtpause, Fotokopie, Druck, Computerprint etc.) und Schreibstoff (Bleistift, Tinte, Kugelschreiber, Filzschreiber etc.), aber auch nach Art der Bindung und nach Format. 4. Auf der formalen Ebene sind Musikalien nach Ausgabeformen (Partitur, Klavierauszug, Stimme, Chorpartitur etc.) zu unterscheiden. Im Zusammenhang der Katalogisierung von handschriftlichem Material wäre es sinnvoller von „Aufzeichnungsformen“ zu sprechen, insofern z.B. ein Particell als verkürzte Notationsweise einer Partitur nie für eine „Ausgabe“ bestimmt ist. 5. Wie Beispiel 2 gezeigt hat, sind handschriftliche musikalische Aufzeichnungen auf einer inhaltlichen Ebene auch dahingehend zu unterscheiden, ob es sich um kompositionsrelevante Aufzeichnungen oder um interpretatorische Eintragungen handelt, die autographen Ursprungs oder von fremder Hand sein können.147

145 Vgl.: Göllner, a.a.O., S. 8 146 Im Glossar der RNA wird von dem Begriff „Entstehungsstufe“ auf „Ausreifung“ verwiesen (siehe S. 61). 147 Göllner unterscheidet Handschriften, „die Notenschriften enthalten“ auch nach „Zweck (Studium, Aufführung, Stichvorlage)“ und „Notationsweise“ (Munsuralnotation, Tabulatur, moderne Notation“. Siehe: Göllner, a.a.O., S. 8

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Diese verschiedenen Ebenen handschriftlicher Musikaufzeichnungen durchkreuzen und überschneiden sich in neuzeitlichen musikalischen Nachlässen auf unterschiedlichste Art und Weise und es ist keine leichte Aufgabe für den Bearbeiter bei der Sortierung und Katalogisierung diese Ebenen zu erfassen und in einem Katalogisat möglichst kongruent und gleichzeitig konzise darzustellen. In dieser Hinsicht vorbildliche Katalogisate bieten die Nachlassverzeichnisse der Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich, für die Carlos Chanfón im Rahmen seiner Diplomarbeit148 auf der Grundlage konventioneller Katalogisierung auf Karteikarte ein Modell für die Erschließung von Musikhandschriften entwickelt hat, das bestechend scharfe Katalogisate liefert. Aus dem Verzeichnis zum Nachlass des Komponsiten René Armbruster sei folgendes Beispiel angeführt:149

Beispiel 3

Konzert, Vl Orch Enth.: - Energico - Lento - Lento molto - Tempo giusto - Vivace Bes.: 2222 / 221- / Pk Schlgz Str EJ: 1981 Siehe auch: Mus NL 19 : II : 13

Mus NL 19 : I : Cb 7.1 Konzert [MM] : für Violine und Orchester / René Armbruster [Autogr. Reinschrift] Grüningen, 5.5.1981 1 Partitur (79 S.) : Tinte Widmung: „Harry Goldenberg zugeeignet.“

Mus NL 19 : I : Cb 7.2 Konzert [MM*] : für Violine und Orchester / René Armbruster [Reproduktion der autogr. Reinschrift] Grüningen, 5.5.1981 2 Partituren (79 S.) : Fotokopien Widmung: „Harry Goldenberg zugeeignet“ Mit hs. Eintragungen.

Mus NL 19 : I : Cb 7.4 Konzert [MM] : für Violine und Orchester / René Armbruster [Autogr. Reinschrift] [Undatiert] 5 Stimmen (Vl 1, Vl 2, Va, Vc, Kb) : Tinte : Transparentpapier

148 Siehe: Chanfón Küng, Carlos: Erschließung des Nachlasses von Robert Blum (1900 – 1994) in der Zentralbibliothek Zürich. – Zürich, 1996. Für den Hinweis danke ich Herrn Dr. Heinrich Aerni von der Zentralbibliothek in Zürich sehr herzlich. 149 Chafón, Carlos: Nachlassverzeichnis René Armbruster. – URL: http://www.zb.uzh.ch/Medien/spezialsammlungen/musik/nachlaesse/armbruster.pdf (Gesehen: 18.07.2016) Der Kürze halber werden hier nur die erste, zweite und vierte Verzeichnungseinheit wiedergegeben.

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Die Verzeichnungseinheiten sind unter einer übergeordneten Titelaufnahme mit normiertem Sachtitel zusammengefasst, die neben der Auflistung der Sätze des Werks auch die Besetzung und das Entstehungsjahr nennt und zusätzlich auf eine Aufnahme des Werks im Tonträgerbestand des Nachlasses hinweist. Die Katalogisate der einzelnen Verzeichnungseinheiten nennen nacheinander Signatur, Sachtitel- und Verfasserangabe, Entstehungsstufe, Entstehungsort und – datum, Kollationsvermerk, sowie zusätzliche Angaben. Der Kollationsvermerk beinhaltet neben der musikalischen Ausgabeform auch die Angaben zu Schreib- und Beschreibstoff oder zur Reproduktionsart. In der Titelangabe wird durch einen Zusatz die Materialart („MM“ steht für Musikmanuskript) benannt und ggfs. durch einen angefügten Asterisk („MM*“) eine Reproduktion kenntlich gemacht. Auch die Vorlage einer Reproduktion wird erfasst. Die Signaturbildung berücksichtigt überdies die Einordnung der Verzeichnungseinheit in eine Systematik („Cb Werke für Soloinstrumente mit Begleitung“). Auf eine Formatangabe wird auch hier verzichtet. Das Beispiel zeigt, wie mit wenigen Angaben und durch Festlegung eines präzisen Katalogisierungsschemas – man könnte auch sagen, durch eine restriktive Erschließungs- grammatik – heterogene Manuskriptbestände einheitlich und fein erschlossen werden können. Daraus lässt sich ableiten: Die Festlegung normierter Kategorien und die Vereinheitlichung der Terminologie zur Entwicklung einer verallgemeinerbaren und über Institutions- und Ländergrenzen hinaus reichenden Erschließungsmatrix für die Beschreibung neuzeitlicher Musikhandschriften würde nicht nur die Erschließungsarbeit erleichtern, sondern auch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglichen und den Datenaustausch vereinfachen. Eine solche Weiterentwicklung müsste auf der Grundlage des im deutschen Sprachraum neueingeführten internationalen Regelwerks Ressource Description and Access (RDA) erfolgen und insbesondere auch die Erschließung digitaler Nachlässe und Nachlassbestände berücksichtigen. Zuletzt sei noch auf eine Erschließungsebene hingewiesen, für die die Handschriften- katalogisierung keine eigene Kategorie bereitstellt, die aber bei der Erschließung von Werkmanuskripten in Nachlässen doch deutlich zu Tage tritt: Wo ein Werk nur in einem einzigen Text vorliegt, verlagert sich die Bedeutung seiner unikalen – weil handschriftlichen – Erscheinung hin zur Unikalität des Werks und seiner Existenz. In diesem Sinn hat Einmaligkeit zwei Dimensionen.

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2.3 Der Nachweis musikalischer Nachlässe Als zentraler Einstieg bei der Suche nach musikalischen Nachlässen stehen die Datenbanken Kalliope an der Staatsbibliothek zu Berlin und die Zentrale Datenbank Nachlässe (ZDN) des Deutschen Bundesarchivs zur Verfügung. Eine Aufteilung der Bestandsnachweise ergibt sich aus der Zuständigkeit der ZDN für Archive und von Kalliope für Bibliotheken. Während die ZDN ausschließlich Gesamtaufnahmen zu einzelnen Nachlässen verzeichnet, bietet Kalliope – je nach Erschließungsstand der teilnehmenden Institutionen und deren Partizipation an der zentralen Erschließungssoftware – zu den Gesamtnachweisen auch Katalogisate auf der Ebene der einzelnen Dokumente. Da Kalliope allerdings für die Erschließung von Musikhandschriften nicht die erforderliche Verzeichnungsstruktur bereithält, wird in den meisten Fällen gerade der Kernbestand musikalischer Nachlässe nicht in Kalliope abgebildet, was zur Splittung bei der Verzeichnung eines Bestands führt: Musikhandschriften werden mit RISM oder hausintern katalogisiert, Korrespondenzen, Lebensdokumente und Sammlungen mit Kalliope. Für die gezielte Suche von Nachlässen einzelner Personen bieten beide Datenbanksysteme hervorragende Möglichkeiten. Die ZDN ermöglicht darüber hinaus eine auf bestimmte bestandshaltende Institutionen eingeschränkte Recherche und durch die Eingabe eines freien Suchtextes auch eine auf Berufe (Komponist, Dirigent etc.) ausgerichtete Bestandsübersicht. Bei Kalliope ist eine derartige Recherche nur eingeschränkt in einem zweiten Schritt durch Facettierung der Treffermenge oder durch eine Expertensuche unter Anwendung der Retrievalsprache Contextual Query Language (CQL) möglich. Die Trefferliste ist in Kalliope aufgrund der verschiedenen Verzeichnungshierarchien erheblich unübersichtlicher, als in der ZDN. Der rasche Gesamtüberblick aber über die in den verschiedenen Institutionen einer Stadt befindlichen musikalischen Nachlässe ist mit keiner der beiden Datenbanken so schnell zu gewinnen, wie dies mit dem gedruckten „Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland“150 – allerdings unter Einschränkung der Aktualität – möglich war bzw. ist. Und auch die Suche nach den musikalischen Nachlässen einer bestimmten Institution liefert in den beiden zentralen Nachlassdatenbanken nur ungenaue Ergebnisse, was aber auch durch den Erschließungsstand bedingt sein kann. So ergibt die Suchanfrage im Kalliope-OPAC „Staatsbibliothek München Musikabteilung“ mit der Einschränkung „Suche nur nach Nachlässen“ und der Eingrenzung der bestandshaltenden Institutionen auf „Bayerische Staatsbibliothek München, Musikabteilung“ eine Ergebnisliste von 263 Treffern, wohingegen die Zahl der Nachlässe auf der Website der Musikabteilung mit 303 beziffert wird. Bei der gleichen Anfrage wird in der

150 Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland, a.a.O.

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Auflistung der bestandshaltenden Institutionen an zweiter Position die „Bayerische Staatsbibliothek München“ – also nicht deren Musikabteilung – mit 17 Treffern genannt. Die Durchsicht ergibt, dass z.B. zum Nachlass des Komponisten Wolfgang Fortner zwei verschiedene Gesamtaufnahmen in Kalliope verzeichnet sind: eine Aufnahme zum Bestand an Musikalien der Musikabteilung und eine Aufnahme zum Bestand an Manuskripten und Korrespondenzen der Handschriftenabteilung. In einer Bemerkung wird auf den jeweils anderen Teilbestand verwiesen. Damit ergibt sich also nicht nur eine Splittung bei der Verzeichnung der Musikmanuskripte auf verschiedene Datenbanken (RISM u. Kalliope), sondern auch eine Splittung des Gesamtnachweises zu einem Nachlass innerhalb der Datenbank Kalliope. Neben diesen beiden zentralen Nachlassdatenbanken weisen vor allem große Bibliotheken mit eigenen Musikabteilungen ihre Bestände vollständig nach. Die Staatsbibliothek zu Berlin bietet auf ihrer Website eine alphabetische Liste151 zu allen vorhandenen Nachlässen an. Bei einigen Nachlassbildnern wird direkt zu einer separaten Bestandsbeschreibung verlinkt; für die Mehrzahl ist aber eine Anfrage in Kalliope erforderlich, um nähere Bestandsangaben zu erhalten. Welche Nachlässe erschlossen sind und auf welchem Niveau, ist der Liste allerdings nicht zu entnehmen. Auch die Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in München listet ihre Nachlässe in einer alphabetischen Übersicht152 auf, die kurze Angaben zur Person und zum Stand der Erschließung beinhaltet. Erschließungstiefe und Nachweisform scheinen in diesem Bestand stark zu variieren:

„Der größte Teil der Nachlässe ist auf Dokumentebene voll erschlossen, die Musikhandschriften im konventionellen Katalog (Zettelkatalog) der Musikhandschriften, die Notendrucke und Tonträger im OPAC der BSB. Zahlreiche Handschriftenbestände sind zudem bereits vollständig oder teilweise im RISM-OPAC enthalten. Für eine weitere große Gruppe von Nachlässen existieren Verzeichnisse in Listenform, die teilweise als pdf-Dokument zur Verfügung stehen. Für weitere Nachlässe liegen intern Auskunftsinstrumente vor. Nur eine kleine Anzahl von Nachlässen ist bisher nicht erschlossen. Die autographen Musikhandschriften der prominentesten Komponisten liegen vollständig digitalisiert vor. Dabei sind die Digitalisate urheberrechtlich nicht mehr geschützter Werke online zugänglich.“153

151 Musik : Nachlässe und Sammlungen / Staatsbibliothek zu Berlin. – URL: http://staatsbibliothek-berlin.de/die- staatsbibliothek/abteilungen/musik/sammlungen/bestaende/nachlaesse/#c3858 (Gesehen: 20.07.2016) 152 Nachlässe und personengebundene Sammlungen der BSB-Musikabteilung / Bayerische Staatsbibliothek München. – URL: https://www.bsb- muenchen.de/fileadmin/imageswww/images140x70/musikabteilung/Nachlassgesamtverzeichnis_M.pdf (Gesehen: 20.07.2016) 153 Musiknachlässe in der BSB / Bayerische Staatsbibliothek München. – URL: https://www.bsb- muenchen.de/die-bayerische-staatsbibliothek/abteilungen/musikabteilung/nachlaesse/ (Gesehen: 20.07.2016)

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In dieser Kurzbeschreibung deutet sich an, dass der Nachweis musikalischer Nachlässe auch innerhalb einer Institution auf völlig verschiedene Nachweisinstrumente verteilt sein kann und deshalb bei der Recherche mit Schwierigkeiten zu rechnen ist. Ähnliche Nachweise ihrer Bestände an musikalischen Nachlässen halten auch die Universitäts- und Landesbibliotheken bereit. Allerdings verfügt nicht jede Bibliothek über eine eigene Musikabteilung, so dass unterschiedliche Nachlasstypen gemischt verzeichnet sind. Auch die schon genannten Spezialeinrichtungen mit einem Schwerpunkt auf der Sammlung zeitgenössischer Musiknachlässe, das Archiv der Akademie der Künste in Berlin und das Deutsche Komponistenarchiv Hellerau, listen auf ihren Websites die betreuten Bestände auf und bieten gleichzeitig zu jedem Nachlass eine ausführliche Bestandsbeschreibung. Das Archiv der Akademie der Künste verfügt zudem über eine frei zugängliche Archivdatenbank154, in der die erfassten Bestände auch auf Dokumentenebene recherchierbar sind. Die Datenbank stellt neben einer Bestandsübersicht nach Fachgebieten und Abteilungen z.B. auch eine Freitextsuche und die Auswahl verschiedener Medientypen für eine gezielte Recherche bereit. Bei Überprüfung einzelner Nachlässe dieser beiden Institutionen in den beiden zentralen Nachlassdatenbanken zeigt sich, dass das Deutsche Komponistenarchiv seine Bestände in der ZDN angibt und die Nachlässe der Akademie der Künste sowohl in der ZDN als auch in Kalliope verzeichnet sind. Dass im Falle des Deutschen Komponistenarchivs die Zahl der Einträge in der ZDN (23) von der Anzahl der auf der Website gelisteten Werksammlungen (34) abweicht, zeigt an, dass auch Datenbanken keine Garantie für einen aktuellen Nachweisstand bieten können.155 Das ebenfalls auf zeitgenössische Musik spezialisierte Nachlass-Archiv der Paul Sacher Stiftung in Basel gibt auf seiner Website zu den aufgelisteten Nachlässen allerdings nur sehr knappe Bestandshinweise. Eine Recherche von außerhalb ist nicht möglich. Stattdessen gibt die Stiftung die Reihe der „Inventare der Paul Sacher Stiftung“156 in gedruckter Form heraus, die einen ersten Überblick über die Bestände der jeweiligen Sammlung geben soll und zu den alphabetisch oder nach Opus-Zahl aufgelisteten Werkmanuskripten auch Angaben zur Entstehungsstufe und zum Umfang enthält.

154 Archivdatenbank / Archiv der Akademie der Künste. – URL: https://archiv.adk.de/BildsucheFrames?easydb=2uvqj04gqv203l938pi65ng127&ls=2&ts=1469032434 (Gesehen: 20.07.2016) 155 Das Aktualitätsproblem von Datenbanken wird auch am Beispiel des Nachlasses von Hugo Distler sichtbar, zu dem sich Bestandsnachweise sowohl in Kalliope als auch in der ZDN finden, die die Stadtbibliothek Lübeck als bestandshaltende Institution ausweisen, obwohl sich der Nachlass seit 2010 in der Bayerischen Staatsbibliothek München befindet, wo er vollständig erschlossen und zu großen Teilen digitalisiert wurde. 156 Inventare der Paul-Sacher-Stiftung / Paul Sacher Stiftung [Hrsg.] – Mainz : Schott, 1988-

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Die Recherche- und Nachweissituation musikalischer Nachlässe sei an einem Beispiel aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin verdeutlicht. In der Bestandsliste wird der Nachlass des mit Brahms befreundeten Komponisten Woldemar Bargiel mit einer detaillierten Bestandsbeschreibung verlinkt. Da an dieser Stelle nicht auf eine Gesamtaufnahme verwiesen wird, wird eine Recherche in Kalliope erforderlich. Bei der Einschränkung der Suche nach Woldemar Bargiel auf Nachlässe werden zwei Bestände aus der Musikabteilung der Staatsbibliothek angezeigt: ein Bestand mit der Signatur „55 Nachl 59“, der ca. 2500 Briefe, Lebensdokumente, Varia und Musikalien enthält und ein als „Nachlass W. Bargiel“ betitelter Bestand, der in zwei Materialgruppen untergliedert ist, nämlich „(a) 45 Musikautographe, (b) 7 Briefe“. Während der Briefbestand über die Findbuch-Anzeige mit 2436 Verzeichnungseinheiten zu den einzelnen Briefen verknüpft ist, wurden die Musikautographe des zweiten Bestands – wie zu erwarten ist – nicht in Kalliope erfasst. Da es in der Gesamtaufnahme zwar den Hinweis auf den Erschließungsstand („katalogisiert“), aber keinen direkten Link zu einem OPAC gibt, ist man als Suchender wieder zurückverwiesen auf die bestandshaltende Institution. Da die Suche in den verzweigten Katalogsystemen der Staatsbibliothek (StaBikat, stabikat+, Imagekataloge) ergebnislos bleibt, liegt eine Recherche im RISM-OPAC nahe. Über die Eingrenzung der Suche nach Woldemar Bargiel als Komponisten und auf das RISM-Sigel der Staatsbibliothek werden 37 Ergebnisse angezeigt, deren Signaturen mit den beiden in Kalliope verzeichneten Beständen übereinstimmen. Dabei erstaunt, dass 27 Autographe dem ersten Bestand zugehören und nur die übrigen zehn zum „Nachlass W. Bargiel“ zuzuordnen sind. Fünf Katalogisate sind im RISM-OPAC mit den zugehörigen Digitalisaten in der Staatsbibliothek verlinkt. Offen bleibt nach dieser Recherche zum einen, wieviele und welche Musikalien zum Bestand „55 Nachl 59“ gehören und zum andern, was die 35 nicht genannten Autographe des zweiten Bestands beinhalten. Ein genauer Überblick über die Werkmanuskripte im Nachlass Woldemar Bargiels ist also trotz der verwendeten Erschließungsstandards und der teilweise erheblichen Erschließungstiefe nicht zu gewinnen. In diesem Beispiel ergibt sich die problematische Nachweissituation nicht nur durch die Splittung der Erschließungsmittel, sondern bereits durch die Aufteilung der Bestände in einen Nachlass und einen Sammlungsbestand, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Provenienz mit verschiedenen Signaturen geführt werden und nur in der Bestandsbeschreibung als zu einem Nachlass gehörig beschrieben werden. Nachteilig ist auch, dass die Gesamtaufnahmen in Kalliope keinen Hinweis auf die Katalogisate in RISM geben. Wer die Erschließungspraxis musikalischer Nachlässe nicht kennt und auf diese Gesamtaufnahmen stößt, kann die Katalogeinträge in RISM nur durch eine Nachfrage bei der Staatsbibliothek finden. Umgekehrt fehlt den RISM-

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Einträgen ein Hinweis auf den Bestandszusammenhang (Nachlass W. Bargiel) in der Staatsbibliothek und – mehr noch – eine Verknüpfung der Einzelaufnahmen unter der jeweiligen Gesamtaufnahme zum Bestand. Die Zuordnung ist so nur über die verschiedenen Signaturen möglich, die aber wiederum bei einer Abfrage in den OPACs der Staatsbibliothek keinen Treffer erzielen. Die völlig unterschiedliche Erschließungstiefe (unerschlossen bis digitalisiert) innerhalb der beiden Teilbestände macht es vollends unmöglich, vom tatsächlichen Nachlassbestand Bargiels ein klares Bild zu bekommen. Ein Gegenbeispiel hierzu liefert die Suche nach dem Nachlass des 1936 in Chemnitz geborenen Komponisten Rainer Kunad. Eine Recherche über Kalliope führt zur Gesamtaufnahme seines Nachlasses und weist ihn als Bestand der SLUB in Dresden aus. Die Gesamtaufnahme beinhaltet neben knappen Angaben zum Umfang des Bestands auch Hinweise und direkte Links auf ein vorläufiges Nachlassverzeichnis und den Bestandsnachweis im HANS-OPAC der SLUB. Die Findbuch-Anzeige bietet in einer separaten Gesamtaufnahme zu den im Nachlass enthaltenen Werkmanuskripten Angaben zu Inhalt und Umfang („338 Werke“) und zum Stand der Erschließung und verlinkt direkt zum RISM-OPAC. Folgt man diesem Link und recherchiert im RISM-OPAC nach „Kunad“, so erhält man nach Eingrenzung des Ergebnisses auf den Komponisten Rainer Kunad genau 338 Treffer, so dass davon auszugehen ist, dass der geschlossene Bestand an Werkmanuskripten vollständig katalogisiert wurde und in RISM nachgewiesen ist. Über die Schlagwortanzeige ist das umfangreiche Oeuvre Kunads auch inhaltlich sehr gut erschlossen und die Manuskripte zu einem bestimmten Werk sind so leicht auffindbar. Dass es – entgegen der stillen Übereinkunft in den Fachkreisen, die Erschließung musikalischer Nachlässe nach Materialarten auf Kalliope und RISM aufzuteilen – auch Institutionen gibt, die Musikernachlässe vollständig in Kalliope erschließen, zeigt sich bei einer Recherche nach der Materialgattung „Komposition“ mit dem CQL-Befehl „ead.genre==Komposition“ und der anschließenden Eingrenzung der 2475 Treffer nach Beständen und bestandshaltenden Institutionen. Zu den Bibliotheken, die diese einheitliche Erschließungspraxis bevorzugen, gehören beispielsweise die Musikabteilung der Zentral- und Landesbibliothek Berlin mit den Nachlässen von Martin Graber (1868-1951) und Reinhold Krug (1926-1991), die Universitätsbibliothek Leipzig mit den Nachlässen von Wilhelm Julius Klengel (1818-1879) und Julius Klengel (1859-1933), sowie die Landesbibliothek Mecklenburg Vorpommern mit den Nachlässen von Georg Gothe (1895-1973) und Clemens Meyer (1891-1958) und dem Vorlass von Hans Turnow (*1932). Die Übersicht über einen Nachlass wird bei dieser Erschließungsmethode durch die Verknüpfung sämtlicher Nachlassmaterialien unter einem

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Haupteintrag erheblich verbessert. Auch Tonträger (so z.B. im Vorlass von Hans Turnow) werden bei der Katalogisierung berücksichtigt und ggfs. durch Querverweise mit den zugehörigen Werkmanuskripten verknüpft. Schwächen treten allerdings bei den Katalogisaten der Musikhandschriften zu Tage, indem in den meisten Fällen keine Angaben zur Entstehungsstufe gemacht werden, teilweise die Angabe der musikalischen Ausgabeform oder auch der Besetzung fehlen oder – wie im Nachlass von Martin Grabert – z.T. gar keine Autographe oder Teilautographe verzeichnet wurden, sondern Musikdrucke. Abschließend sei auf die erstaunlich konsistente Erschließungs- und Nachweispraxis der Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich hingewiesen. Zu jedem der über 180 Musikernachlässe stellt die Zentralbibliothek über ein alphabetisches Register Informationen zu Person und Nachlass bereit und verlinkt von dieser Stelle aus direkt auf die jeweiligen Bestandsnachweise, die hauptsächlich in der Form konventioneller Nachlassverzeichnisse als pdf-Datei abrufbar sind oder als Einträge im Verbundkatalog des Netzwerks von Bibliotheken und Informationsstellen in der Schweiz (NEBIS). Zwar bieten die Nachlassverzeichnisse nicht die Recherchemöglichkeiten moderner Datenbanken, aber sie bestechen durch ihre leichte Zugänglichkeit, ihren klaren Aufbau, der einen schnellen Überblick über einen gesamten Nachlass ermöglicht, und nicht zuletzt durch ihre konzisen Katalogisate. Die Homogenität der Erschließungstiefe und die Konzentration der Nachweismittel an einer Stelle erzeugen eine Qualität, die die gegenwärtigen Erschließungsstandards nicht zu ersetzen vermögen.

2.4 Resümee Aus der Spezifik musikalischer Nachlässe, d.h. aus der Heterogenität ihrer inhaltlichen und materiellen Erscheinungsform ergeben sich Konsequenzen für ihre Erschließung. Auch heute noch werden Musikhandschriften und Tonträger, die als Kernbestand musikalischer Nachlässe anzusehen sind, aufgrund der besonderen Anforderungen, die sie sowohl an den Bearbeiter als auch an die Bestandserhaltung stellen, von den Nachlassbeständen der übrigen Materialhauptgruppen (Korrespondenz, Lebensdokumente, Briefe) nicht nur gesondert erschlossen und aufbewahrt, sondern auch in separaten Datenbanken (Kalliope / RISM) nachgewiesen. Diese Splittung wird hauptsächlich damit begründet, dass die etablierte Datenbank zur Erschließung von Nachlässen und Autographen – Kalliope – nicht die erforderliche Katalogstruktur für eine Tiefenerschließung von Musikhandschriften bereithält. Für ihre Katalogisierung steht die RISM-Datenbank zur Verfügung, die wiederum aufgrund ihrer ursprünglichen Ausrichtung auf historische Quellen und auf den Nachweis von Einzeldokumenten eine für die Nachlasserschließung unerlässliche hierarchische Katalogstruktur und das für den Nachweis neuzeitlicher Musikhandschriften erforderliche Erschließungsvokabular vermissen lässt.

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Dass die Förderung im Bereich der Überlieferung unikaler Quellen zur Musik ihren Schwerpunkt auf der Erschließung historischer Bestände hat, wird sichtbar in den derzeitigen, großangelegten Projekten, wie etwa „Bach digital“, der „Hofmusik Dresden“ (i.e. „Schrank II“, „Opernarchiv“, „Hofkirche und Königliche Privat-Musikaliensammlung“), der „Erschließung des Archivs der Sing-Akademie Berlin“ oder auch dem Projekt „KoFIM (Kompetenzzentrum Forschung und Information Musik)“. Hierüber, so scheint es, wird die Sammlung und Erschließung neuzeitlicher musikalischer Nachlässe negligiert. Während die Splittung der Erschließungsmittel auf Katalogisierungsebene eine Uneinheitlichkeit bezüglich der Erschließungstiefe nach sich zieht, erschwert die Aufteilung von Bestandsnachweisen auf ZDN und Kalliope die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit musikalischer Nachlässe. Die derzeitige grundlegende Überarbeitung des Regelwerks RNA157 zur Anpassung an den neueingeführten internationalen Katalogisierungsstandard RDA bietet eine Gelegenheit, die fehlenden Richtlinien zur Erschließung musikalischer Nachlässe einzuarbeiten und die Terminologie zu vereinheitlichen. Dabei sollten auch die speziellen Erfordernisse digitaler Nachlassmaterialien berücksichtigt werden.158 Zur Zusammenführung der Katalogisate eines musikalischen Nachlasses unter einer übergeordneten Aufnahme müsste entweder die RISM- Struktur erweitert oder aber die RISM-Software Kallisto in Kalliope implementiert werden.159 Der zweiten Möglichkeit wäre insofern der Vorzug zu geben, als durch die Konzentration der Erschließung auf eine Datenbank die Bestandsübersicht und die Recherche erheblich erleichtert würden. Hauptsächliches Desiderat aber bleibt die Schaffung einer zentralen Nachweisdatenbank für musikalische Nachlässe – nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auf internationalem Niveau, da das Interesse an Musik und ihren Quellen nicht an sprachliche Grenzen gebunden ist. Dabei stünde nicht die Katalogisierung musikalischer Nachlässe im Blickfeld, sondern allein ihr zentraler Nachweis. Eine international ausgerichtete Datenbank in diesem Bereich müsste auf den bloßen Bestandsnachweis einzelner Nachlässe beschränkt bleiben. Knappe Bestandsbeschreibungen und die Verlinkung zu den bestandshaltenden Institutionen und ggfs. Verzeichnissen wären als Standard festzulegen. Ein derartiges Zentralregister könnte als „RIFM“ – als „Répertoire Internationale des Fonds160 Musicaux“ – die internationale Erschließung musikalischer Quellen im RISM-Projekt flankieren.

157 Vgl. Der Kalliope-Verbund, a.a.O. 158 Nicht nur hinsichtlich der genannten Punkte wird das seit längerem angekündigte Grundlagenwerk zur Nachlasserschließung erwartet. Siehe: Kaukoreit, Volker: Umgang mit Nachlässen in Bibliotheken und Archiven. – Berlin : De Gruyter, [für 2017 angekündigt]. – [ca. 200 S.]. – [in Vorbereitung] 159 Vgl. Schmidt-Hensel, a.a.O., S. 394 160 Im Französischen und Italienischen wird „fonds“ (sg./pl.) bzw. „fondo/fondi“ insbesondere für Bibliotheksbestände privater Provenienz verwendet. Auch die Österreichische Nationalbibliothek hat ihre Nachlässe in einem „Fonds- Katalog“ verzeichnet.

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Der Nachlass Hans Christian Bartels und seine Erschließung: Praktischer Teil

3. Zur Biographie des Komponisten und Bratschers Hans-Christian Bartel Hans-Christian Bartel wurde am 27. November 1932 in Altenburg / Thüringen als Sohn von Hans und Marianne Bartel geboren. Sein Vater war Lehrer für Mathematik und Physik am Friedrichsgymnasium in Altenburg. Bereits als Junge von zwei Jahren saß er bei Hausmusiken unterm Flügel und ließ die Klänge, die ihn anzogen, auf sich einwirken. Er fing sehr früh an, sich am Klavier zu beschäftigen, in dem er sich Töne zusammensuchte, die ihm gefielen und notierte sich diese Töne, da er noch keine Noten schreiben konnte, als Abbilder der Klaviatur auf Schreibpapier. Die Begabung des Jungen für Musik wurde von der Großmutter erkannt und gefördert, denn auch ihr früh verstorbener Mann, der Augenarzt Dr. Alfred Korn, hatte in seinen Mußestunden Violine gespielt. Mit sechs Jahren bekam Bartel seinen ersten Geigenunterricht bei Rudolf Holdt. Später wurde der Unterricht bei Konzertmeiste Theo Wagner fortgesetzt. Seine Neigung, selbst Musikstücke zu schreiben, wurde durch dieses Instrumentalspiel angeregt und gefördert:

„Schon als ganz Kleiner hatte ich begonnen, zu ‚komponieren‘, mit etwa 11 Jahren schrieb ich jede Woche mindestens ein Geigenduo zum Musizieren mit meinem Freund Walter Ziegler. Notenpapier gab es nicht – ich malte meine Linien auf Rückseiten von Tapeten oder Lebensmittelkartenbezugsscheinen.“161

Schließlich bat er seinen Vater darum, nach Notenpapier bei seinem Kollegen, dem Musik- und Kunstgeschichtelehrer Bernhard Klein, nachzufragen. Dieser hatte aufgrund der schlechten Versorgungslage im Krieg aber selbst kein Notenpapier zur Hand, wollte die Begabung des Jungen, die er in einigen ihm vorgelegten Stücken schnell erkannte, aber gerne fördern und bot ihm kostenlosen Unterricht im Tonsatz an.

„Ich war etwas faul und nicht recht begeistert, aber ich ging. Und was jetzt begann, war eine ‚Prinzenerziehung‘ von allerhöchsten Gnaden, absoluter Glücksfall für mein ganzes Leben.“162

Klein führte den Jungen in die strengen Regeln des Palestrina-Satzes ein und gab ihm über mehrere Jahre eine umfassende Ausbildung im Tonsatz. Er legte dabei auch großen Wert auf eine saubere Notenschrift. Schon bald entstand eine Sonate für Violine und Klavier, die bei einer Hausmusik aufgeführt wurde. Bartel hat Klein zeitlebens dankbar verehrt und die väterliche Freundschaft zu ihm gepflegt, wovon ein zweiseitiges Memorandum im Nachlass Zeugnis gibt. Diese frühe Förderung war für Bartels Weg bestimmend. Bereits von dieser Zeit

161 Bartel, Hans-Christian: Zum Gedenken an Bernhard Klein : zum 100. Geburtstag. – Typoskript im Nachlass. – [o. Sign.] – o.J., S. 1 162 Ebenda

Praktischer Teil S e i t e | 63 an – Bartel war 12 Jahr alt – verlief seine musikalische Ausbildung zweigleisig, in dem sie zugleich auf Instrumentalspiel und Komposition ausgerichtet war.

Abbildung 1: Hans-Christian Bartel (ca. 1942)

Bartel besuchte von 1943 bis 1951 das Friedrichsgymnasium bzw. die nachmalige Karl-Marx- Oberschule in Altenburg und legte am 6. Juni 1951 die Reifeprüfung ab. Auch im Abschluss- Zeugnis der Oberschule wird seine hauptsächliche Neigung zur Musik deutlich sichtbar. Während er in den sprachlichen Fächern Deutsch und Englisch und in Kunsterziehung die Note „Gut“ erhielt, wurden seine Leistungen in allen übrigen Fächern mit „Genügend“ zensiert, von der „Körpererziehung“ war er „befreit“, in Musik aber wurde ihm die Note „Sehr gut“ zuerkannt. In der „Allgemeinen Beurteilung“ wurde ihm außerdem bescheinigt, „musikalisch hochbefähigt, im Denken kritisch und selbständig, strebsam“163 zu sein. Sein innerer Antrieb zur Komposition war so groß, dass er zuweilen während des Unterrichts unter der Schulbank komponierte, so z.B. eine Märchenoper auf einen eigenen Text mit dem Titel „Schneewittchen“. Zu den Werken seiner Schülerjahre164 zählen u.a. fünf Violinsonaten, eine Sonate für zwei Violinen und Klavier, eine Kantate nach Max Mell für Mezzosopran, Chor und Instrumente, drei Klaviersonaten und ein Chorsatz auf Gottfried Kellers Gedicht „Warnung“, das ihn sein ganzes Leben hindurch weiter begleitete und als Komponisten beschäftigte. Als für das Frühjahr 1950 in der Abiturklasse ein „Kuliweb“ – ein Kunst- und Literaturwettbewerb – angekündigt wurde, gaben ihm manche seiner Schulkameraden Texte

163 Abschluss-Zeugnis der Oberschule vom 28.06.1951. – Dokument im Nachlass. – [ohne Sign.] – 1 Bl. 164 Vgl. Liedtke, Ulrike: Bartel, Hans-Christian. – In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart : Supplement, Sp. 32f.

Praktischer Teil S e i t e | 64 zur Vertonung. So auch Hans-Joachim Näther. Dieser war „nach dem Erlebnis von Faschismus, Flucht und Krieg ein glühender Pazifist und Gegner von Diktatur und Menschenentwürdigung jeder Art“, so beschrieb ihn Bartel viele Jahre später in einem Gedenkschreiben.165 Näther, der schriftstellerisch begabt und zugleich hoch intellektuell veranlagt war, agitierte als Mitglied der LDP in Flugblattaktionen und über einen Geheimsender gegen die Unterdrückung durch die sowjetische Besatzungsmacht. Näther wurde denunziert und zusammen mit anderen Schülern und Lehrern der Oberschule am 29. März 1950 verhaftet. In Weimar wurde er im September 1950 zum Tod verurteilt und am 12. Dezember 1950 in Moskau erschossen. Bartel hatte die Vertonung seines Texts, eines Songs gegen die Diskriminierung der Schwarzen in Amerika mit dem Titel „Zweierlei“, Näther noch gezeigt. Das Manuskript datiert vom 12.02.1950.166 Mit einem anderen Schüler war er bereits am Proben, als der „Kuliweb“ ohne Begründung abgesagt wurde. Die politischen Morde wurden indessen erst Mitte der Neunzigerjahre aufgedeckt. Drei andere Gedichte Näthers, „Das Jahr 45“, „Aufbau“ und „Der Denunziant“, hat Bartel im Spätherbst 1951 – kurz nach dem Beginn seines Musikstudiums – vertont. Am 10. September 1951 wurde Hans-Christian Bartel in die Hochschule für Musik Leipzig aufgenommen. Zunächst studierte er im Hauptfach Violine bei Gerhard Bosse. Im zweiten Studienjahr wurde auch seine kompositorische Begabung erkannt und er wurde in die Kompositionsklasse von Ottmar Gerster aufgenommen, so dass er bis zum Staatsexamen zwei Hauptfächer studierte. Auf eigenen Wunsch wechselte er im dritten Studienjahr von der Violine zur Viola, konnte aber seinen Lehrer, der den Wechsel zunächst nicht gut hieß, beibehalten. In diesen Studienjahren entstanden hauptsächlich drei Kammermusikwerke: Variationen für Streichquartett (1953), ein Streichtrio (1954) und ein Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello (1955). Während die ersten beiden Stücke bei hochschulinternen und z.T. öffentlichen Vortragsabenden gut aufgenommen wurden, wurde das Oboenquartett erst gar nicht zur Aufführung zugelassen. Bartels erstes zwölftöniges Werk stieß vor allem ob seiner resignativen, in politischer Hinsicht unerwünschten Haltung bei den Verantwortlichen der Hochschule auf Ablehnung. Impulse für sein kompositorisches Studium erhielt Bartel nicht von Gerster, sondern vor allem von seinem fast gleichaltrigen Klavierlehrer Manfred Reinelt, einem hochbegabten Pianisten und Interpreten zeitgenössischer Musik, der Bartel zur Beschäftigung mit Schönberg anregte, ihn intensiv in Bergs „Wozzeck“ einführte und ihm z.B. auch Werke von Ives und Messiaen näherbrachte. Bartel urteilte später in einem Interview: „Reinelt war der einzige an dieser Hochschule, der mir als Komponist etwas geben konnte.“167

165 Bartel, Hans-Christian: Joachim Näther : zum Gedenken. – Typoskript im Nachlass. – [ohne Sign.] – o.J., S. 1 166 Siehe Anhang: Verzeichnis der Werkmanuskripte, Signatur: S5/HCB-6 167 Schinköth, Thomas: Interview mit Hans-Christian Bartel vom 27.06.2002. – [unveröffentlicht], S. 4

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Im Sommersemester 1956 legte Bartel das Staatsexamen mit der Gesamtnote „sehr gut“ ab. Sein Zeugnis lässt neben dem Komponisten vor allem den hervorragenden Analytiker und Kammermusiker mit einem ausgeprägten Klangsinn und Formbewusstsein erkennen. Im Anschluss an das Studium wurde Bartel eine Aspirantenstelle „wahlweise bei seinem Lehrer Ottmar Gerster oder an einer anderen Hochschule angeboten.“ Bartel lehnte ab: „Ich war störrisch, wollte nicht länger von Geschenken leben […]“168 Er empfand die Hochschulverhältnisse offensichtlich als sehr einengend und zog der Aussicht auf eine privilegierte Laufbahn die persönliche und künstlerische Freiheit vor. Im Herbst 1956 trat er eine Stelle als Lehrer für Tonsatz, Theorie, Formenlehre und Gehörbildung am Robert-Schumann-Konservatorium in Zwickau an. Über die anderthalb Jahre, die er in Zwickau tätig war, ist wenig überliefert. Fraglich ist vor allem, inwieweit Bartel die gewonnene Freiheit seiner ersten Berufsjahre außerhalb des Konservatoriums für die Entfaltung des eigenen Werks nutzen konnte. In seiner pädagogischen Arbeit jedenfalls ließ er sich von offiziellen Vorgaben nicht einschränken und vermittelte seinen Schülern auch Kenntnisse zu Werken von Komponisten, die von der damaligen Ideologie in der DDR ausgeklammert oder verpönt wurden.

„Als Dozent […] am Robert-Schumann-Konservatorium Zwickau führte ich den Studenten in der Freizeit ‚verbotene‘ Musik von Webern u.a. und besonders vom als ‚Vaterlandsverräter‘ besonders streng verbotenen Strawinsky (und wieder besonders den ‚Sacre‘, der die jungen Gemüter revoltierte) vor. Öffentlich als ‚Jugendverhetzer‘ gebrandmarkt, geriet ich in existenzielle Bedrängnis.“169

Bezeichnend ist, dass Bartel als Dozent sich nicht mit der Pflichterfüllung im Unterricht begnügte, sondern sich auch außerhalb des Unterrichts – in der Freizeit – für seine Studenten und ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Musik engagierte. Nun drohte ihm die Abschiebung in eine Erziehungsbrigade und alle seine Versuche, dieser Maßnahme durch die Bewerbung um eine Orchesterstelle zu entkommen, schienen aussichtlos, da die Kaderleitung des Konservatoriums eingehende Antworten unterdrückte. Da rief Bartel seinen Lehrer Gerhard Bosse an und hatte Glück: im Gewandhausorchester war soeben eine Stelle bei den Bratschen frei geworden und musste dringend neu besetzt werden. Eine Woche nach dem Anruf konnte Bartel sich im Probespiel vorstellen und wurde engagiert. Die offizielle „Bescheinigung“ des Konservatoriums vom 29.3.1958 in Zwickau lautet – nicht ganz der Wahrheit entsprechend:

„Herr Hans-Christian B a r t e l hat auf seinen eigenen Wunsch am 26.2.1958 mit Wirkung vom 1.3.1958 seine Stellung als hauptamtlicher Dozent an unserem Institut gekündigt, da er hauptamtlich als Bratscher vom Gewandhausorchester Leipzig engagiert wurde.“170

168 Bartel, Hans-Christian: [Vita 2] : Hans-Christian Bartel geb. 27.11.1932. – Typoskript im Nachlass. – [ohne Sign.] – o.J., S. 2 169 Ebenda 170 Robert-Schumann-Konservatorium Zwickau: Bescheinigung. – Dokument im Nachlass. – [ohne Sign.] – Zwickau, 29.03.1958

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Noch im März 1958 trat Bartel seinen Dienst im Gewandhausorchester in Leipzig an. Damit war seine Existenz wieder gesichert und es begann nun ein Lebensabschnitt, der für seine weitere Entwicklung – auch als Komponist – bestimmend war und blieb, allerdings auf eine sehr ambivalente Art und Weise. Denn diese Stelle sicherte ihm zwar den Unterhalt und er konnte von der aufführungspraktischen Begegnung mit den großen Werken der Orchesterliteratur für die eigene kompositorische Arbeit profitieren, er gewann viele wertvolle Kontakte zu anderen Künstlern und es bot sich ihm schon bald mit diesem berühmten Orchester ein Podium für die klangliche Realisierung der eigenen Werke, aber gleichzeitig ließen ihm die Dienste im Orchester nur wenig Zeit und Kraft für sein eigentliches Metier – die Arbeit als Komponist. So empfand er den Wechsel in diese Stelle beim Gewandhausorchester als „ein schönes Asyl zwar, aber doch [als] ein[en] nicht beabsichtigte[n] Knick in [seiner] Entwicklung“171, wie er später selbst resümierte. Als Bartel in das Gewandhausorchester eintrat, war er 25 Jahre alt. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde ihm die Stelle des Solobratschers übertragen. Das Orchester wurde bis 1962 von geleitet; seine Spielstätte war die Leipziger Kongresshalle. Mit der Verpflichtung des tschechischen Dirigenten Václav Neumann als Gewandhauskapellmeister im Jahr 1963 begann eine für Bartels Entwicklung sehr wichtige Phase. Bartel hatte nach erfolgreichen Aufführungen seines Streichtrios von der Dresdner Staatskapelle den Kompositionsauftrag für ein konzertantes Stück für Bläserquintett und Orchester bekommen. Aus diesem Auftrag erwuchs ihm ein „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“, das er 1963 abschloss. Neumann war von dem Stück seines Solobratschers begeistert und nahm es in das Programm seines Antrittskonzerts auf. Die Uraufführung fand am 23. Oktober 1963 mit Bartel als Solisten statt. „Stürmische Reaktion besonders akademischer Hörer auf das von ihnen als ‚komponierter Protest‘ empfundene Werk, böse Rüge staatlicher Funktionäre gegen Gewandhausdirektor Zumpe für die Freigabe dieses ‚anti-optimistischen‘ Produkts“172, so hielt Bartel im Rückblick fest. In Neumann hatte er einen Förderer seiner Musik gewonnen, das gab ihm Auftrieb. Das Bratschenkonzert fand Eingang ins Repertoire des Orchesters und ging auch mit auf Tournee. So konnte Bartel sein Bratschenkonzert in Dresden, Berlin, Hamburg, Rotterdam, Paris, Genf, Prag und anderen europäischen Musikmetropolen aufführen, insgesamt über dreißig Mal. In den darauf folgenden Jahren arbeitete Bartel intensiv an einem „Konzert für Orchester“, das Václav Neumann im Messesonderkonzert des Gewandhausorchesters am 7. September 1967 zur Uraufführung brachte. Im Nachlass ist nicht nur ein mehrere hundert Blatt

171 Bartel, Hans-Christian: [Vita 1] ; [A) Hans-Christian Bartel, B) Hindernisse, C) Komposition]. – Typoskript im Nachlass. – [ohne Sign.] – o.J., [S. 1] 172 Ebenda, S. 2

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Abbildung 2: Konzert für Orchester, S. 67 aus der Dirigierpartitur Václav Neumanns

Praktischer Teil S e i t e | 68 umfassender Stapel von Skizzen enthalten, sondern auch Neumanns Dirigierpartitur. Diese Partitur ist auf besondere Weise von der Aura der Uraufführung umgeben. Neumann drängte darauf, einige Stellen des Werks zu kürzen bzw. abzuändern. So trägt die Partitur die Handschrift des Komponisten, der mit groben Bleistiftschraffuren ganze Passagen gestrichen hat und daneben zugleich die mit minutiöser Schrift vom Dirigenten in tschechischer Sprache eingetragenen Interpretationshinweise – ein einzigartiges und für die Entstehungsgeschichte des Werks besonders wichtiges Dokument. Das Werk, in dem sich intuitiv geformte und bewusst durchkonstruierte Satztechniken zu einer fatalistischen und resignativen Aussage verdichten, beeindruckte und erschütterte die Hörerschaft zugleich. Von offizieller Seite wurde es aufs Schärfste verurteilt und „im Hauptreferat der berüchtigten ‚Kulturtagung‘ des ZK der SED als ‚Beispiel für eine Kunst, die nicht auf dem Boden unserer Weltanschauung gewachsen ist‘, abgestempelt.“173 Den Erfolg des Werks konnte dies indessen nicht verhindern. Es wurde schon bald mit gleichem Erfolg von der Dresdner Staatskapelle unter der Leitung von Herbert Blomstedt aufgeführt. Gleichwohl markiert das Werk im Schaffen Bartels eine Zäsur: Bartel geriet in eine tiefe Schaffenskrise, die ihn für zwanzig Jahre an der kompositorischen Arbeit hinderte. Es gibt Äußerungen Bartels, die darauf hindeuten, dass sie vom Erschrecken des Komponisten über die Wirkung des eigenen Werks bei den Hörern ausgelöst worden sein mag. Zudem fällt sie zeitlich Zusammen mit dem Weggang Václav Neumanns aus Leipzig, der in Folge der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 seine Stelle als Gewandhauskapellmeister aufgab, womit Bartel einen wichtigen Förderer seines Schaffens verlor. Hauptsächliche Ursache aber waren gesundheitliche Probleme: Bartel litt an Depressionen. Außerdem hatte er während der letzten zehn Jahre ein ihn sehr belastendes Doppelleben als Gewandhausmusiker und Komponist geführt. Dazu kamen die Orchestertourneen und Soloverpflichtungen. Komponieren war ihm nur in Spielpausen des Orchesters oder in der Nacht möglich. Dabei hielt er sich mit bis zu zwanzig Tassen Kaffee pro Tag wach, wie er einmal in einem Brief äußerte. Diese fortwährende Arbeitsbelastung und Anspannung blieb nicht ohne Folgen. In den langen Jahren der Schaffenskrise engagierte sich Bartel bezeichnenderweise zunächst in der von Friedrich Schenker 1970 gegründeten, avantgardistischen „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“, der er bis etwa 1978 angehörte. Davon zeugen einige in Bartels Nachlass erhaltene Partituren. Möglicherweise intensivierte er in diesem Zusammenhang auch seine Tätigkeit als Tonmeister. Das legt jedenfalls der Hinweis nahe, Bartel könne der Gruppe „neben seinem Instrument mit reichen Erfahrungen auf dem Gebiet elektroakustischer Klangaufzeichnung

173 Bartel, Hans-Christian: [Vita 1], S. 2

Praktischer Teil S e i t e | 69 dienen.“174 Die hierfür erforderlichen Kenntnisse hat er sich sehr wahrscheinlich autodidaktisch angeeignet. Und auch dazu sind im Nachlass etliche Konstruktions- und Schaltpläne und einige selbst gebaute elektroakustische Regulatoren erhalten. Zum Komponieren fand Bartel erst 1988 zurück, als ihn sein Patenkind Stephan Schultz um ein Vortragsstück bat. Es entstand das „Konzertstück für Violoncello und Klavier“, das Bartel 1990 in eine Fassung mit Orchester umarbeitete. Dennoch mutete sich Bartel zunächst keine größeren Projekte zu. 1993 revidierte er auf Bitten seines Freundes und einstigen Studienkollegen, des Gewandhauskonzertmeisters die „Variationen für Streichquartett“, die sie vierzig Jahre zuvor gemeinsam in der Hochschule aufgeführt hatten. Erst nach seinem Abschied aus dem Gewandhausorchester im Jahr 1996 konnte sich Bartel wieder verstärkt seinem kompositorischen Schaffen widmen. Als Auftragswerke für den Internationalen Bach- Wettbewerb Leipzig entstanden zwei Solostücke: 1996 „Immer nur b-a-c-h für eine Geige“ und 1998 die „Sonatine für Violoncello solo“. Im Oktober 1997 wurde Bartels langjähriges Wirken im Gewandhaus mit einem Kammermusikkonzert im Mendelssohnsaal gewürdigt. Für dieses Konzert hatte Bartel seine andern beiden Kammermusikstücke aus der Studienzeit, das Streichtrio und das Oboenquartett überarbeitet. Dass im gleichen Konzert die drei bereits erwähnten Lieder auf Texte von Hans-Joachim Näther zur Uraufführung kamen, war für Bartel zu einer inneren Verpflichtung geworden, nachdem erst kurze Zeit zuvor eine Aufarbeitung der Gewaltverbrechen an den Altenburger Schülern und Lehrern während der stalinistischen Ära eingesetzt hatte und er von Näthers gewaltsamem Tod erfahren hatte. Zwei der Lieder beließ Bartel in der ursprünglichen Gestalt; zu Näthers besonders brisantem Text „Der Denunziant“ rang sich Bartel eine neue musikalische Fassung ab. Während er bisher fast ausschließlich Instrumentalmusik komponiert hatte, wandte sich Bartel mit der Vertonung von Versen aus Franz von Assisis „Sonnengesang“ der Vokalmusik zu. Das Chorwerk mit dem Titel „Laudato si, mi Signore“ entstand 1999 auf Anregung einer Schulfreundin und wurde 2002 im Rahmen einer Motette des Thomanerchores unter der Leitung von Georg Christoph Biller uraufgeführt. Ins gleiche Jahr fällt ein Ereignis, das für die Überlieferung von Bartels Werk folgenreich war. Im Zusammenhang mit seinem Umzug von der Schkeuditzer Straße in die Kasseler Straße hatte Bartel einen großen Teil seines Privatarchivs – etwa 25 Umzugskartons – in Höfgen bei Grimma zwischengelagert, als es durch ungewöhnlich starken, mehrtägigen Dauerregen im August 2002 an Elbe und Mulde zu einer Hochwasserkatastrophe ungeahnten Ausmaßes kam.

174 Schneider, Frank: Momentaufnahme : Notate zu Musik und Musikern der DDR, S. 200

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Bartel verlor dabei nicht nur seine Büchersammlung und sein Bandarchiv, sondern auch die Manuskripte seiner bis 1963 entstandenen Werke.175 Mit einem Auftragswerk für den international renommierten Pianisten Alexander Paley betrat Bartel im Jahr 2000 wiederum Neuland. Bis dahin hatte er keine Sololiteratur für Klavier geschrieben. Nun aber schuf er ein spannungsgeladenes Klavierwerk, das sich ihm unter der Hand zu einer Ballettmusik mit dem Titel „David und Goliath“ formte, zu deren szenischer Gestaltung im Nachlass Typoskripte in zehn verschiedenen Fassungen vorliegen, die nicht nur einen tiefen Einblick in Bartels ausdauerndes Ringen um eine gültige Werkgestalt geben, sondern vor allem in die für seinen Kompositionsprozess bestimmende Verbindung verbal formulierter Klangvorstellungen und ihrer musikalischen Umsetzung. Mit der Bearbeitung dieses Klavierwerks für Orchester im Jahr 2003 fand Bartel zurück zu seiner orchestralen Klangkunst der frühen Jahre. Sie offenbart einen Komponisten, der trotz der langen Zeit seines künstlerischen Schweigens die Behandlung des Orchesterapparats völlig souverän beherrscht und in gedrängter Form ein ungeheuer reichhaltiges Klangspektrum zu entfalten vermag. Die Uraufführung fand mit dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Herbert Blomstedt statt. Ähnlich wie Bartel in der frühen Phase seines Schaffens durch Václav Neumann unterstützt wurde, fand er jetzt Rückhalt und Bestärkung in Blomstedt, zu dem sich eine für Bartels spätes Schaffen ganz wichtige Freundschaft entwickelte. Auch das Werk mit dem ungewöhnlichen Titel „Der sensible Tiger“, fasste Bartel in zweierlei Gestalt: als Klavier- und als Orchesterwerk (2005/2007). Beide Fassungen brachte der ehemalige Präfekt des Thomanerchores und Dirgierstudent Felix Bender, der sich ein Klavierstück von Bartel erbeten hatte, zur Uraufführung. Bartel hatte ihm Unterricht bei Rolf Reuter in Berlin vermittelt und förderte den jungen Dirigenten, wie er selbst einst durch Bernhard Klein gefördert worden war. Ebenfalls auf eine Anregung aus dem Kreis der Thomaner vertonte Bartel in den Jahren 2004 und 2005 eine kleine Auswahl von Christian Morgensterns „Galgenliedern“ für Bariton und Klavier. In seiner Bearbeitung dieser Lieder für Instrumentalensemble ergänzte Bartel den Zyklus um drei weitere Lieder nach Texten von Storm, Heine und Psalm 131 und komponierte als Überleitung zwischen dem burlesken ersten Teil und dem sehr ernsten zweiten Teil mit autobiographischen Bezügen ein „Intermezzo infernale“. Es ist bemerkenswert, dass dieses Werk mit dem Titel „Acht Lieder für Bariton und Kammerorchester“ im Gründungskonzert des „ensembles leipzig 21“ zur Uraufführung kam. Das Ensemble, das man in der Tradition der „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“ sehen könnte, wurde mit der Absicht gegründet, sich

175 Vgl. Schinköth, Thomas: Gespräche Sommer und Herbst 2012, S. 2

Praktischer Teil S e i t e | 71 verstärkt der Musik der Gegenwart zu widmen. Das Gründungskonzert mit der Uraufführung der Lieder fand am 1. Juli 2006 im Zimeliensaal des Grassi-Museums Leipzig statt. Mittlerweile war Hans-Christian Bartel 75 Jahre alt. Seine Augen hatten sich erheblich verschlechtert, so dass er nur mit Hilfe einer großen Standlupe in der Lage war, seine Entwürfe zu skizzieren und die Partituren in Reinschrift zu fassen. Anders als früher, war er nun darauf angewiesen, morgens und am Tag zu arbeiten. Bereits in einem Brief an Alexander Paley aus dem Jahr 2000176 erwähnt Bartel, dass der international gefeierte Geiger Thomas Zehetmair ihn bei einem Besuch im Juli dieses Jahres um ein Violinkonzert gebeten habe. Der Schaffensprozess an diesem Werk, das ihn als Spezialisten für Streichinstrumente besonders reizen musste, erstreckte sich über mehrere Jahre. Das dokumentiert auch ein umfangreicher Fundus an Skizzen im Nachlass. Herbert Blomstedt war es, der Bartel in diesem langwierigen Prozess ermutigte und ihn bei der Fertigstellung der Partitur mit detaillierten Korrekturhinweisen, die ebenfalls im Nachlass überliefert sind, sehr tatkräftigt unterstützt und begleitet hat. So entstand ein Solokonzert mit einer ungewöhnlichen Anlage, das dem Solisten eine breite Palette an Ausdrucksnuancen abverlangt und dem Orchester ein sehr vielgestaltiges Klangspektrum eröffnet. Das Werk schließt mit einem Adagio, das über weite Strecken von der Solovioline in einem hochexpressiven Bogen angeführt wird, bis es mit einem aleatorisch geführten Kanonmotiv der Streicher in einem für Bartel so typischen decrescendo al niente verklingt. In einem Brief an Mariss Jansons bekannte Bartel: „In diesem Satz habe ich (hoffentlich) die Depression eines langen Lebens überwunden.“177 Herbert Blomstedt brachte das Werk mit dem Gewandhausorchester und Thomas Zehetmair als Solisten im Großen Konzert am 2. Oktober 2008 zur Uraufführung. Einen noch längeren Prozess durchlief Bartels letztes großes Werk. Der Plan zu einer „Vokalsinfonie“ mit dem Titel „Lieder vom Menschen“ war sein Leben lang in ihm gereift. Immer wieder hat er Ideen dazu skizziert, auch schon lange, bevor er sich dazu entschließen konnte, mit der Ausarbeitung des Werks zu beginnen. Da er dieses Mal sozusagen sein eigener Auftraggeber war, bedurfte es eines Anstoßes von außen. Im August 2011 begann er mit der Niederschrift der ersten Lieder. Das Werk für Knabenstimme, Bariton, Chor und kleines Orchester ist als ein großer Liederzyklus in zwei Teilen angelegt. Während der erste Teil als „Ein kleiner Lebenslauf“ mit Texten von Lasker-Schüler, Ringelnatz, Heine und Hesse Kindheit, Jugend; Liebe, Lebensmitte und Alter umspannt, berührt der zweite Teil mit Texten

176 Bartel, Hans-Christian: Brief an Alexander Paley vom 25.07.2000 177 Bartel, Hans-Christian: Brief an Mariss Jansons vom 05.03.2011

Praktischer Teil S e i t e | 72 von Morgenstern, Keller, Heine, und Nietzsche existenzielle Fragen nach der Herkunft des Menschen, nach Freiheit und nach dem Sinn und Ziel des Daseins, die in einem Chor auf Goethes Gedicht „Das Göttliche“ eine Antwort erfahren, bevor das knapp einstündige Werk mit Goethes „Mailied“ in einer Apotheose seinen glanzvollen Schlusspunkt findet. Bartel hat die Uraufführung dieses Werks, die am 10. Januar 2013 im Mendelssohnsaal des Gewandhauses stattfand, sehr bewusst und voller Absicht in die Hände seines Zöglings Felix Bender gelegt. Es war ihm wichtig, die klangliche Realisierung seines Alters- und Lebenswerks von der Jugend getragen zu wissen. Dass Bartel im zweiten Teil nochmals Kellers Gedicht „Warnung“ als Chor vertont hat, zeigt, wie sehr ihn dieser Text und sein zentrales Thema, das Ringen um der Seele Freiheit, bewegt hat. In der folgenden Zeit befasste sich Bartel mit dem Plan zu einem weiteren Liederzyklus, für den er ausschließlich Gedichte von Rilke vorgesehen hatte. Eine Textauswahl ist im Nachlass überliefert. Ihre Vertonung allerdings konnte er nicht mehr ausführen. Am 27. Dezember 2014 starb Hans-Christian Bartel in seiner Wohnung in der Kasseler Straße an einem Herzinfarkt. Seine Asche wurde am 27. Februar 2015 auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt. In der vorausgehenden Trauerfeier erklangen einzelne Sätze aus seinen Kammermusikwerken. Thomas Schinköth hielt eine Ansprache, der Universitätsmusikdirektor David Timm spielte die Orgel, eine kleine Besetzung der Thomaner stimmte zwei Bachsche Choräle an. Tobias Ay und Felix Bender, denen Bartel die Uraufführung der Vokalsinfonie anvertraut hatte, musizierten sein Lied auf Heines Text: „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen und ertrage dein Geschick; was der Winter dir genommen, gibt der Frühling dir zurück!“

4. Der Nachlass des Komponisten Hans-Christian Bartel im Gewandhaus- archiv Leipzig

4.1 Provenienz und Überlieferung

An zwei Terminen im Februar 2015 wurde der Nachlass in der Wohnung Bartels in der Kasselerstr. 6 im Leipziger Stadtteil Gohlis in Gemeinschaftsarbeit der Gewandhausarchiv- mitarbeiterin Iris Türke, des mit dem Komponisten befreundeten Leipziger Musikwissenschaftlers Dr. Thomas Schinköth, sowie dem Neffen Bartels und Verwalter des Nachlasses, Reinhard

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Schramme, in Umzugskisten verpackt und in das Magazin des Gewandhausarchivs transportiert und dort eingelagert. Die betreffenden Magazinräume des Archivs befinden sich im Kellergeschoss des Mendelssohn-Hauses in der Goldschmidtstraße 12 in Leipzig. Beim Einpacken wurden die Kisten nummeriert und ungefähre Angaben über ihren Inhalt in einer Liste verzeichnet. Die Liste umfasst 32 Nummern und ist folgendermaßen gegliedert:

Gewandhausarchiv / Sammlungen und Nachlässe – Nachlass Hans-Christian Bartel178

Grobübersicht Nachlass Hans-Christian Bartel

Nr. 1 Noten, Stimmen, Skizzen fremde Nr. 2 Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren fremde Nr. 3 Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren fremde Nr. 4 Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren eigene Nr. 5 Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren eigene Nr. 6 Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren eigene Nr. 7 Bild Nr. 8 Noten, Skizzen, Auftragswerke, Komposition für Markus eigene Nr. 9 Noten, Stimmen, Auftragswerke eigene Nr. 10 Noten, Stimmen eigene Nr. 11 Noten, Stimmen eigene Nr 12 Studiobänder / klein Nr. 13 Studiobänder / groß Nr. 14 Schellack- und Schallplatten, Noten, Stimmen unsortiert Nr. 15 CD – eigene und Umschnitte eigene Nr. 16 Noten gemischt eigene und fremde Nr. 17 CD – eigene und Umschnitte eigene Nr. 18 Noten, Skizzen eigene Nr. 19 CD – eigene und Umschnitte Nr. 20 CD, Videos, DAT gemischt Nr. 21 CD, Videos, DAT gemischt Nr. 22 Noten, Fotos, Entwürfe, Röntgenbilder, Kochbücher, Notenständer Nr. 23 Bild der Alte, Lupe Nr. 24 Schallplatten

178 Internes Arbeitsdokument des Gewandhausarchivs Leipzig vom Februar 2015

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Nr. 25-31 Bücher Nr. 32 Gebasteltes, Bilder

Mit Blick auf die Erschließung des Nachlasses sei darauf hingewiesen, dass bereits dem Einpacken der Materialien bei ihrer Übernahme hinsichtlich der Überlieferung etwaiger Sammlungszusammenhänge eine besondere Bedeutung zukommt: Durch (Auseinander-) Sortieren oder auch ungewolltes Vermischen von Nachlassdokumenten können bis dahin erhaltene, inhaltlich relevante Zusammenhänge verwischt oder zerstört werden.

In Bezug auf die Überlieferung gerade eines besonders wichtigen Teils des Nachlassbestands, nämlich der Musikhandschriften, hat Bartel in mehreren autobiographischen Aufzeichnungen darauf hingewiesen, dass fast der gesamte Bestand seiner Kompositionen aus Jugend- und Studienzeit durch das Hochwasser der Mulde im Jahr 2002 zerstört worden ist. Einen Teil seines Inventars und eben auch seines Notenmaterials hatte Bartel vor seinem Umzug in die Kasselerstraße nach Leipzig-Gohlis in einem Depot in Grimma zwischengelagert: „Es waren Manuskripte, Abschriften existierten nicht“179. Den Umfang des damals verloren gegangenen kompositorischen Werks gab Bartel folgendermaßen an: „…zahllose Geigenduette, einige Violinsonaten, Klaviersonaten, Klaviertrio, eine Solokantate mit Orchester, eine Märchenoper, mehrere Orchesterwerke, ein Violinkonzert, eine lange Filmmusik […] und manches, an das ich mich nicht erinnern kann.“180 Es ist zu vermuten, dass der verloren gegangene Bestand so stark vom Hochwasser beschädigt war, dass er nicht mehr zu gebrauchen war und in den Augen des Komponisten auch keinen dokumentarischen Wert mehr besaß. Inwieweit von diesem Verlust ausschließlich Werke, die vor dem Bratschenkonzert von 1963 entstanden sind, betroffen waren, lässt sich bis jetzt nicht genau feststellen und muss weitergehenden Forschungen zum Werk Bartels vorbehalten bleiben. Vor dem Hintergrund dieses Verlusts gewinnen die wenigen, im Nachlass überlieferten Jugend- und Frühwerke an Bedeutung, da sie ansatzweise in die kompositorische Entwicklung Bartels Einblick geben.

Auf einen anderen Aspekt der Überlieferungsgeschichte wurde der Autor in einem Gespräch181 mit Dr. Thomas Schinköth hingewiesen, nämlich auf den Umstand, dass Hans-Christian Bartel in den letzten Lebensjahren einen Teil seiner schriftlichen Unterlagen – auch seiner Werkskizzen – aussortiert und vernichtet hat.

179 Bartel, Hans-Christian: [Vita 2], a.a.O., S. 3 180 Ebenda 181 Gespräch mit Dr. Thomas Schinköth am 22. Oktober 2015

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4.2 Beschreibung des Nachlasses

Der Nachlass Hans-Christian Bartels im Magazin des Gewandhausarchivs (Mendelssohnhaus) war zu Beginn der Erschließung in 32 Kartons verpackt. Einige Materialien waren auf Grund ihres Formats, ihrer Beschaffenheit bzw. ihrer Sperrigkeit nicht in Kisten verpackt, sondern wurden mit den Kisten offen in die Regale eingelagert. 13 Kisten beinhalteten Musikalien, wovon etwa zwei Kisten gedruckte Werke anderer Komponisten enthielten und elf Kisten den eigentlichen kompositorischen Nachlass Bartels. Diese unterschiedlichen Musikalien waren beim Einpacken nicht strikt getrennt worden, da es hier eine inhaltliche Überschneidung mit den Materialien zu Bartels Wirken als Tonmeister gab, das ebenfalls durch einen nicht geringen Umfang an Manuskripten und Musikalien in ganz verschiedener Gestalt dokumentiert ist. Hierzu gehört auch ein sehr umfangreicher Bestand an Tonträgern, der sich in den verschiedensten Formaten über neun Kisten (Nr. 12-15, 17, 19-21, 23) ausdehnt: Kiste 12 beinhaltet 42 kleine Studiobänder und ca. 50 DAT-Cassetten; Kiste 13 enthält 24 große Studiobänder. Die Durchsicht dieser 24 Bänder ergab, dass Bartel dieses Material möglicherweise aus privatem Besitz übernommen hat, da fast alle Hüllen von fremder Hand beschrieben sind und die genannten Werke sich weder mit Bartels Kompositionen noch mit seiner eigenen Tonmeisterarbeit berühren. Allerdings ist mit dieser Inaugenscheinnahme noch nicht geklärt, was diese Bänder wirklich enthalten. Dies gilt für alle im Nachlass überlieferten Tondokumente, deren Inhalt nicht durch eine dezidierte Beschriftung mit Angabe von Track- Nummern, Titeln und Abspieldauern ausgewiesen ist, so dass die Erschließung dieses Nachlassbestands nur mit einer akustischen Überprüfung zu leisten ist. Dies erfordert vom Bearbeiter neben Fachwissen im Bereich der Aufnahmetechnik und den erforderlichen Abspielgeräten (DAT-Recorder, Tonbandgerät, Kassettenrecorder, CD-Player, VHS-Recorder) einen sehr hohen zeitlichen Aufwand. Kiste 14 beinhaltet neben Musikalien einen überschaubaren Bestand an Schallplatten (31 LPs und 3 Singles) sowie 12 Schellackplatten. Zum Schallplattenbestand gehören beispielsweise Aufnahmen, in denen Thomas Mann aus eigenen Werken liest, mehrere Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau, den Bartel besonders schätzte, darunter eine Platte mit Arien aus Verdi-Opern, eine Aufnahme mit Liedern von Gustav Mahler („Kindertotenlieder“; „Lieder eines fahrenden Gesellen“) oder auch eine bei Eterna erschienene Einspielung von Liedern Arnold Schönbergs, am Klavier begleitet von Aribert Reimann. Bartels Rezeption der musikalischen Moderne manifestiert sich in diesem Bestand in Aufnahmen von Alban Bergs Violinkonzert mit dem ungarischen Geiger und langjährigen Konzertmeister des Rundfunksinfonieorchesters Leipzig György Garay als

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Solisten, in Leos Janaceks „Glagolitischer Messe“, in Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ und nicht zuletzt in einer Aufnahme von Bela Bartoks 3. Klavierkonzert.

Im Gegensatz zu den im Nachlass überlieferten Schallplatten und Tonbändern ist der Bestand an Musikkassetten, DAT-Kassetten und erst recht an CDs nicht sehr leicht zu überschauen. Hier werden bei der weiteren Erschließung zunächst die im Handel erhältlichen CD-Produktionen von den Produktionen eigener Werke zu trennen sein. Eine Überschneidung dieser beiden Bereiche gilt es da zu berücksichtigen, wo Bartel als Tonmeister bei der Aufnahme fremder Werke gewirkt hat. Viele CDs mit Aufnahmen eigener Werke wurden von Bartel nur mit knappen Angaben entweder auf der CD oder auf einem beigelegten Zettel beschriftet; etliche davon hat er als „Master“-Recordings gekennzeichnet. Ob es jemals möglich sein wird, die Entstehungsstufen der verschiedenen Einspielungen seiner Werke nachzuvollziehen, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. Bartel hat aus der Fülle seiner Aufnahmen über die Zwischenstufe mehrerer Umschnitte eine ganze Reihe verschiedenster Kompilationen des eigenen Werks – z.T. in Stückzahlen von ca. 100 Exemplaren – produziert. So entstand z.B. eine Reihe von vier CDs („Hans-Christian Bartel I-IV“), mit denen Bartel sehr bewusst sein Hauptwerk in repräsentativen, mustergültigen Aufnahmen zu dokumentieren suchte. Dieser Teil des Nachlassbestands ist – neben dem Bestand an Werkmanuskripten – von höchster Wichtigkeit, wenn es in der wissenschaftlichen Erarbeitung von Bartels kompositorischem Werk darum gehen wird, die in Handschriften und Drucken überlieferten Werkgestalten mit den im Konzertsaal und Aufnahmestudio festgehaltenen Werkfassungen abzugleichen, um so verbindliche Aussagen über die von Bartel als gültig befundenen Fassungen seiner Werke – etwa in einem Werkverzeichnis – fixieren zu können. So ist gerade dieser Teil des Tonträgerbestands in besonderer Nähe zum kompositorischen Material zu betrachten und zu erschließen, zumal ihm durch Bartels Wirken als Tonmeister bei der Aufnahme eigener Werke in zweifacher Hinsicht Werkcharakter im Sinne der Erschließungsrichtlinie182 zukommt, insofern sowohl die Kompositionen als auch ihre Aufnahmen als Werke Bartels zu bewerten sind.

Wie bereits angedeutet ist der Tonträgerbestand nicht geordnet; so sind in den Kisten 15, 17, 19, 20 und 21 CDs eigener und fremder Werke ebenso gemischt, wie der Bestand an Musikkassetten (vor allem Kiste 19), DAT- und Videokassetten (Kiste 13, 20 u. 21). Inwiefern das auf den Videokassetten im VHS-Format überlieferte Ton-Bild-Material in Beziehung zu

182 „Als Werke gelten alle privat oder beruflich verfassten oder geschaffenen Aufzeichnungen, […] unabhängig von der Form, in der sie überliefert sind […].“ Siehe: RNA, a.a.O., S. 11

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Bartels Werk steht oder aber private Aufzeichnungen etwa von Urlaubsreisen beinhaltet, ist ebenfalls nur durch Autopsie zu ermitteln.

Den Materialien von Kiste Nr. 23 ist eine gewisse Wichtigkeit eigen, die dem Bearbeiter teils aus der Privatheit, teils aus der Art und Weise der Aufbewahrung entgegentritt, so dass hier der Eindruck entsteht, es handle sich um Dokumente, die Bartel ob ihrer Bedeutung an besonderem Ort, sehr wahrscheinlich in seinem Schreibtisch, aufbewahrt hat. So finden sich hier mehrere Fotoalben, deren Bilder bis in die früheste Kindheit Bartels zurückreichen, ein kleines Album mit Fotos, die während eines Wanderurlaubs in den Karpaten entstanden sind, daneben Lebensdokumente wie Ausweise und Pässe, aber auch Schul- und Hochschulzeugnisse – so das Prüfungszeugnis der „Hochschule für Musik Leipzig“ vom 31.Mai 1957, Urkunden „in Anerkennung hervorragender Arbeitsergebnisse für ausgezeichnete Leistungen“ seitens der „Betriebsgewerkschaftsleitung“ über Bartels berufliches Engagement als Solobratscher im Gewandhausorchester, die Urkunde des Ministeriums für Kultur über die Verleihung des Felix- Mendelssohn-Bartholdy-Stipendiums vom 1. September 1964 und die Urkunde des Rates des Bezirks Leipzig / Abteilung Kultur über die Verleihung des Kunstpreises der Stadt Leipzig vom 03. Oktober 1989183. Außerdem befindet sich in dieser Kiste eine wohl schon vor längerer Zeit von Bartel in einem durchsichtigen, kleinen Plastikbeutel gebündelte Sammlung privater Briefe (ca. 50 Stück) mit der auf einem beigefügten Zettel vermerkten Aufschrift „Briefe zum Aufbewahren“. Ein weiterer Bestand an Briefen befand sich in einem nicht nummerierten Karton mittlerer Größe, die ebenfalls mit Lebensdokumenten (wie z.B. das Stammbuch der Familie Bartel und eine gedruckte Genealogie der Familie Korn) und privaten Unterlagen (Medikamentenlisten, Kochbuch) gemischt waren. Der hier genannte Briefbestand umfasst etwa 60 Briefe an Bartel (u.a. von Georg Christoph Biller, , Herbert Blomstedt, Reiner Kunze) und ein völlig ungeordnetes Konvolut an Briefkonzepten, die Bartel zumeist mit Bleistift, ohne Datum und oft nur mit verkürzt angegebenem Adressaten auf Vorder- und Rückseite beschriebenen Briefbögen abgefasst hat. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Konzeptschriften an den Rändern oder flächig miteinander verklebt sind, was den Rückschluss zulässt, dass Bartel dieses „Konzeptpapier“ als Unterlage beim Zusammenkleben und Montieren seiner Pariturkopiervorlagen verwendet hat. Abgesehen von dem Umstand, dass diese Briefkonzepte nicht ohne Textverlust zu entziffern sein werden, kann davon ausgegangen werden, dass der größere Teil der von Bartel entworfenen bzw. abgefassten und wohl auch empfangenen Briefe nicht mehr erhalten ist.

183 Der Kunstpreis der Stadt Leipzig wurde von 1957 bis 1989 für hervorragende künstlerische Leistungen von der Stadt Leipzig vergeben.

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Die Kisten 25 bis 31 sind in der „Grobübersicht“, die beim Einpacken des Nachlasses erstellt wurde, als Bücherkisten ausgewiesen. In Kiste 26 waren jedoch einige Dokumente, Musikalien, sowie eine Bildstütze bzw. Tischlesepult und eine große Standlupe mit Beleuchtung, die Bartel aufgrund seiner im Alter erheblichen Sehschwäche zur Ausarbeitung seiner Kompositionen benötigte. Außer diesen Bücherkisten gibt es vier weitere, die nicht nummeriert sind, so dass der im Nachlass überlieferte Bestand an Büchern auf ca. 400 Exemplare geschätzt werden kann.

An oben bereits erwähnten, unverpackt in die Regale eingelagerten Nachlassgegenständen sind zu nennen: 5 alte Messingnotenständer, 3 elektroakustische bzw. aufnahmetechnische Apparaturen, die Bartel selbst konstruiert und gebaut hat, 2 Bündel von Bratschen- bzw. Violinsaiten sowie ein höhenverstellbares Schreibpult (B x H: 68 x 44 cm / zur Aufstellung auf einem Tisch), an dem Bartel seine Kompositionen ausgearbeitet hat. Außerdem sind vier kleinformatige gerahmte Bilder überliefert, die in Bartels Wohnung ihren Platz hatten: eine Kohlmeise auf einem Zweig (als Intarsie gefertigt) mit der rückseitigen Widmung „zum 8.3.1948 von Deinem Reiner“, eine als Collage gestaltete Stadtsilhouette mit der Überschrift „ROSS PLAN WENDE“, „Fecit HR MMD“ und der rückseitigen Widmung „Zum 70. von Deinen Ex-Altenburger Landsleuten Ruth & Horst Rolle“ und ein weiß gerahmtes Aquarell mit karikierendem Charakter, das eine zwischen hohen Bäumen fliegende oder fallende Katze in dunkler Mondnacht zeigt. Schließlich ist noch eine gerahmte Reproduktion (42 x 30 cm) des ehemals Pieter Bruegel zugeschriebenen Gemäldes „Der Hirte“ zu nennen, das über die Kunsthandlung Goyert in Köln erworben wurde und in Bartels Leben insofern eine wichtige Rolle spielte, als er – wie mündlich überliefert ist – gelegentlich – sicherlich mit einem Augenzwinkern – Zwiesprache mit dem „Alten“, wie er ihn vertraulich nannte, hielt. Zuletzt sei ein großformatiges Gemälde (ca. 140 x 100 cm) genannt, das in der Grobübersicht unter Nr. 7 verzeichnet wurde. Dabei handelt es sich um ein Portrait Bartels, das sein Arzt von ihm angefertigt hat.

Kommen wir nun zum Kern des musikalischen Nachlasses von Hans-Christian Bartel zurück. Wie bereits erwähnt, umfasst der Musikalienbestand mit 13 Kisten etwa ein starkes Drittel des gesamten Nachlasses. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum Inhalt dieser Kisten auch werkbezogene und autobiographische Texte, Notizen, Korrekturlisten, Sammlungen von Programmheften, Konzertkritiken, Textsammlungen, Konzept- und Notenpapier und dgl. mehr gehören. Die gedruckten Musikalien anderer Komponisten reichen bis in die Kindheit Bartels zurück und geben bruchstückhaft darüber Auskunft, womit sich Bartel als Schüler in Altenburg, als Student und als Gewandhausmusiker in Leipzig und als rezipierender und analysierender

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Komponist befasst hat. Zu diesem Bestand gehört beispielsweise ein „Schubert-Album“ aus der Collection Litolff in einer Ausgabe für tiefe Stimme, in der sich Bartel in der Inhaltsübersicht einige Liedertitel durch Einkreisen der entsprechenden Nummer markiert hat, so etwa aus der „Winterreise“ die Lieder „Gute Nacht“, „Frühlingstraum“, „Die Post“, „Der greise Kopf“, „Im Dorfe“, „Der Wegweiser“ (Markierung hervorgehoben) und „Der Leiermann“. Von den übrigen 32 ausgewählten Liedern dieses Bandes sind „Der Wanderer“, „Der Tod und das Mädchen“, „Wanderers Nachtlied“, „Geheimes“, „Meeresstille“ und „Die Allmacht“ – letzteres wieder hervorgehoben – markiert. Die Schumann-Liederalben Band 1 und Band 2 der Edition Peters sind stark zerfleddert, und tragen auf dem Einband den gestempelten Besitzvermerk von Bartels Großvater „Dr. Korn, Augenarzt, Altenburg, S.-A.“ und den ebenfalls aufgestempelten Händlervermerk „Buch- u. Musikalienhandlung Richard Spangenberg, Altenburg“. Auch in den beiden Bänden „Klassiker des deutschen Liedes“ aus der Edition Peters hat sich Bartel mehrere Lieder im Inhaltsverzeichnis und im Gesamtverzeichnis der Liedertitel und Textanfänge beider Bände durch Ankreuzen markiert. Im Notentext von Beethovens Lied „Adelaide“ hat Bartel Taktzahlen eingetragen und in den beiden Schubert-Liedern „Der Atlas“ und „Der Lindenbaum“ die harmonischen Fortschreitungen mit Funktionsbezeichnungen notiert184. Zu den ebenfalls aus dem Besitz seines Großvaters übernommenen Noten, die in Bartels Altenburger Zeit zurückweisen, gehören auch Werke der Instrumentalliteratur, insbesondere Ausgaben für Violine, wie z.B. die „Sonaten N° 1-3“ für „Violine und Piano“ von Händel, Smetanas zwei Duette für Violine und Klavier mit dem Titel „Aus der Heimat“, Eduard Griegs Sonaten für Violine und Klavier (op. 8, op. 13 u. op. 54), eine Sammlung „Klassische[r] Stücke“ (Bd. 4) für „Violine mit Pianoforte-Begleitung“, sowie die bei Simrock erschienenen Einzelausgaben der beiden Sonaten für Violine und Klavier op. 108, d-moll und op. 100, A- Dur von Johannes Brahms. Beim zuletzt genannten Werk handelt es sich um eine Ausgabe aus dem Jahr 1887 und auch die d-moll-Sonate bietet mit dem vom Besitzer festgehaltenen Erwerbungsdatum 1905 einen Hinweis darauf, dass es sich bei diesen beiden Ausgaben um die ältesten in Bartels Nachlass befindlichen Musikalien handelt.

Während seines Studiums an der Leipziger Musikhochschule wechselte Bartel von der Violine auf die Viola. Die von Dr. Korn übernommene Ausgabe für Violine oder Viola und Klavier der Märchenbilder, op. 113 von Robert Schumann weist denn auch im Viola-Stimmheft Bartels Fingersätze auf. Neben einer ganzen Reihe von Werken der Sololiteratur für Viola sei hier

184 Außer den genannten Liedern sind die folgenden markiert: Mozart: Das Veilchen / Beethoven: Die Himmel rühmen / Schubert: Die Allmacht; Der Doppelgänger; Der Wanderer / Schumann: Frühlingsfahrt; Die beiden Grenadiere; Mondnacht; Wanderlied / Brahms: Feldeinsamkeit; Die Mainacht; Wie Melodien zieht es / Wolf: Heimweh; Das verlassene Mägdlein.

Praktischer Teil S e i t e | 80 besonders auf die in der Edition Peters erschienene Sammlung „Alte Meister des Viola-Spiels“ hingewiesen. Von den darin enthaltenen Werken hat Bartel offensichtlich insbesondere zwei eingehend studiert: Die Sonate Nr. 4 von Xaver Hammer ist in der Violastimme mit Strichen und Fingersätzen bezeichnet und in der Klavierstimme dieser Sammlung ist nach S. 50 die von Bartel handschriftlich ausgearbeitete Solo-Kadenz zum 1. Satz des Bratschenkonzerts D-Dur von Karl Stamitz eingelegt. Die Kadenz185 wurde von Bartel mit Bleistift und Tinte auf den Innenseiten eines Bogens Notenpapier ausgeführt. Der Bogen ist durch Risse an den Rändern stark beschädigt. Von den weiteren Werken der Literatur für Viola seien genannt: Drei Sonaten von Joh. Sebastian Bach, die in der Edition Breitkopf für Viola und Klavier herausgegeben wurden, die Ciacona g-moll des italienischen Barockkomponisten Tommaso Vitali, ebenfalls für Viola und Klavier arrangiert, das Bratschenkonzert von Franz Anton Hoffmeister, die Sinfonia concertante für Viola- und Kontrabass-Solo von Karl Ditters von Dittersdorf, die von Ernst Naumann für Viola eingerichtete Sonate für Pianoforte und Horn von Beethoven, ein Arrangement von Schuberts Arpeggione-Sonate für Viola und Klavier, Felix Mendelssohn- Bartholdys Sonate c-moll für Bratsche und Klavier, sowie die Sonate Nr. 1 f-moll, op. 120 für Viola und Klavier von Johannes Brahms. Das besondere Interesse Bartels für das Oeuvre Béla Bartóks manifestiert sich in diesem Teil des Bestands in einer Zusammenstellung fotokopierter Stücke aus der bei Boosey & Hawkes erschienenen Sammlung „Fortyfour Violon Duets“, in einem Exemplar der nach dem Bearbeiter Sandor Reschofsky benannten Bartok-Reschofsky- Klavierschule und ganz besonders in der 1949 ebenfalls bei Boosey & Hawkes edierten Ausgabe als „Reduction for Viola and Piano“ von Bartóks „Viola concerto“. Das Heft der Solostimme trägt die Spuren intensiver Benutzung und wurde von Bartel mit Fingersätzen, Strichen, Vortragsbezeichnungen und einer Kürzung bearbeitet.

Eine ganze Reihe von Heften der bei Hofmeister erschienenen „Orchesterstudien für Viola“ weist ebenso auf Bartels Zeit als Solobratscher im Gewandhausorchester hin, wie die mit Strichen bezeichnete Fotokopie der Violastimme von Gustav Mahlers 9. Sinfonie. Einige Musikalien sind im Zusammenhang mit Bartels Tonmeistertätigkeit zu sehen, so z.B. der mit genauen Abspieldauern bezeichnete Klavierauszug zu Bachs Johannespassion, eine Sammlung mit Werken von Beethoven und Brahms für Violoncello und Klavier oder auch ein Konvolut fotokopierter Noten mit Klavierwerken von Mozart, Chopin, Liszt und Czerny, das durchgehend mit Angaben zur Dynamik und mit Abspieldauern bezeichnet ist. Die diesem Konvolut beiliegende Track-Liste, sowie mehrere Briefe (z.T. als Telefax) von und an den

185 Siehe: S5/HCB-46

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Pianisten Alexander Paley, weisen auf den Entstehungszusammenhang und die Provenienz dieses Konvoluts hin.186

Hingewiesen sei auch auf drei Werke in Bartels Nachlass, die um die Jahrhundertwende entstanden sind und am Beginn der Moderne stehen: Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht, op. 4“, von dem die Stimmhefte der beiden Violinen und der beiden Violoncelli vorliegen und Claude Debussys Trio für Flöte, Bratsche und Harfe, zu dem zwei Bratschenstimmen vorhanden sind, deren eine durchgängig mit Fingersätzen und Vortragsanweisungen bezeichnet ist.

Bei der Durchsicht der gedruckten Musikalien fiel eine kleine Sammlung von Partituren zeitgenössischer Werke besonders auf. Dabei handelt es sich um Werke der beiden slovenischen Komponisten Uroš Krek (1922-2008) und Ivo Petric (*1931). Von Krek liegen die „Staroegiptovske Strofe“ für Solostimme, zwei Harfen und Streicher, sowie die „Inventiones Ferales“ für Solovioline und Streicher vor. Bei den Stücken von Petric handelt es sich um das Orchesterwerk „Integrali“ (1968/70) und die drei Kammermusikwerke „petit concerto de chambre – pour hautbois et 8 instruments“ (1966), „Intarzije“ (1968) für Bläsertrio und Kammerensemble und um das „Quatuor 1969 – a la mémoire de mon père“ für Streichquartett. In welchem Zusammenhang Bartel diese Werke rezipiert hat und bei welcher Gelegenheit er überhaupt in den Besitz der Partituren gekommen ist, bleibt vorläufig offen. Ob er – vielleicht durch Reisen mit dem Gewandhausorchester – mit den Komponisten in persönlichen Kontakt getreten ist, bleibt zunächst ebenfalls ungeklärt. Das Werkverzeichnis auf der Homepage von Ivo Petric weist ein Werk aus, das aufgrund der Besetzung und des Titels möglicherweise in Verbindung mit der „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“ steht, zu deren Gründungsmitglieder Bartel zählt. Das Werk trägt den schlichten Titel „Leipziger Kammermusik“ und ist 1986 im Deutschen Verlag für Musik erschienen. Das Foto auf der Startseite seiner Internetpräsenz zeigt den Komponisten Ivo Petric vor dem Savica-Wasserfall im Triglav-Nationalpark stehend.187 Hier ergibt sich eine Parallele zu Bartel, der mehrmals zum Wandern in den Julischen Alpen unterwegs war und den 2800 Meter hohen Triglav bestiegen hat. Eine vollständige und genaue Erschließung der gedruckten Musikalien könnte vielleicht auch (weitere) Werke zu Tage fördern, bei deren Aufführung Bartel als Mitglied der „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“ beteiligt war.

186 Vgl.: Alexander Paley plays Blüthner. – Störmthal : Blüthner, 1999. – 1 CD. ; 12 cm. + Beil. – Enth. Werke und Bearbeitungen von Werken von Franz Liszt, Felix Mendelssohn Bartholdy, Nikolay A. Rimsky-Korsakov 187 Siehe: http://www.ivopetric.com/ (Gesehen 12.07.2016)

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Um die Vielschichtigkeit der biographischen Bezüge, die sich aus dem überlieferten Bestand gedruckter Musikalien ergeben, abzurunden und um gleichzeitig zur Beschreibung des kompositorischen Nachlasses im engeren Sinn überzuleiten, seien schließlich noch zwei Werke von Komponisten aus Bartels Umfeld genannt: Der 1921 in Wurzen geborene Komponist und Bratschist Fritz Geissler widmete seine 1971 bei Peters erschienene Sonate für Viola und Klavier Hans-Christian Bartel. Von diesem Werk ist in Bartels Nachlass sowohl die genannte Druckausgabe als auch eine Fotokopie des Autographs mit handschriftlichen Eintragungen vorhanden. Drei der oben erwähnten Stücke von Ivo Petric sind in eine Mappe eingelegt, die den handschriftlichen Titel „Sieben Bagatellen für Kammerorchester (1972), Bernhard Klein“ trägt, ohne dass das erwähnte Werk in der Mappe enthalten ist. In einem anderen Notenkonvolut fand sich jedoch eine weitere Mappe, die nun tatsächlich eine handschriftliche Partitur und Stimmen zu der als „Werk 31“ ausgewiesenen „Musik zu einem Laienspiel – Shakespeares Sommernachtstraum für Jungend- oder Laienorchester“ von Bernhard Klein beinhaltet. Auf der Rückseite einer beigelegten Titelliste steht die Kurzmitteilung „Mit Dank zurück. Ich bin schon mitten in der Arbeit! Besten Gruß, B. Klein“ und dazu ein Hinweis auf den Entstehungszusammenhang: „[…] für FDJ Altenburg, am 12. Juli 1946 erstmalig aufgeführt (im Schloßgarten von Altenburg) […]“. Sowohl Text- als auch Notenhandschrift stammen nicht von der Hand Bartels, sondern wohl vom erwähnten Autor des Werks. Das Notenmaterial weist auf Bartels Altenburger Kindheit und seine kompositorischen Anfänge bei seinem verehrten Lehrer Bernhard Klein zurück. Sicherlich hat Bartel bei der erwähnten Aufführung als 14- jähriger Geiger mitgewirkt, denn auch in seinem Abschlusszeugnis von der Oberschule ist unter „Gesellschaftliche Tätigkeit“ seine Teilnahme in „FDJ; Gesellschaft f. Deutsch-Sowj. Freundschaft; Kulturbund“ und „Volksbühne“ belegt.188

Mit dieser Einblicknahme in die gedruckten Musikalien im Nachlass von Hans-Christian Bartel wurde deutlich, dass die einzelnen Ausgaben teilweise sehr genaue Rückschlüsse auf den biographischen Kontext ihrer Herkunft und Verwendung zulassen. Dabei spielen neben Datierung und Besitzvermerken insbesondere handschriftliche Eintragungen eine wichtige Rolle, da sie Informationen darüber enthalten, inwieweit sich ihr Besitzer konkret mit ihnen beschäftigt hat. Ihr Quellenwert kann dabei von sehr unterschiedlicher Relevanz sein und reicht – wie im zuletzt erwähnten Beispiel – von einem einfachen biographischen Beleg über Funde von Korrespondenzen und Arbeitsunterlagen zu einem konkreten Projekt, wie im Falle der

188 Vgl. Abschluss-Zeugnis der Oberschule vom 28.06.1951, a.a.O.

Praktischer Teil S e i t e | 83 nachgewiesenen CD-Produktion, bis hin zu Notationen, die – wie im Falle der genannten Solokadenz – eigenständigen Werkcharakter beanspruchen können. Rückschlüsse auf die Repertoirekenntnisse Bartels sowohl als Interpret wie als rezipierender Komponist kann dieser Musikalienbestand nur ausschnittweise zulassen, da er - ebenso wie der kompositorische Nachlass – lückenhaft überliefert ist.

Bei der Entnahme der Materialien aus den in der Grobübersicht mit „Noten, Stimmen, Skizzen, Partituren (eigene/fremde)“ gekennzeichneten Kisten wurde schnell deutlich, dass der in diesen Kisten vermutete kompositorische Nachlass sich weitaus komplexer zusammensetzt, als dies die Aufschrift zunächst vermuten ließ. Der im Gewandhausarchiv überlieferte kompositorische Nachlass Hans-Christian Bartels – also die handschriftlichen und gedruckten Materialien zum Werk des Komponisten – reichen von den ausgehenden 40er-Jahren bis ins letzte Lebensjahr Bartels und umfassen sein gesamtes kompositorisches Werk.189 Dabei ist die Quellenlage zur Überlieferung der einzelnen Werke sehr verschieden. Manche frühen Stücke aus der Schul- bzw. Studienzeit, wie z.B. eine Klaviersonate von 1953 oder ein Klaviertrio von 1952 sind in einer einzigen handschriftlichen Fassung überliefert, wohingegen insbesondere zu den ab den 60er-Jahren entstandenen Werken mit Orchesterbesetzung neben umfangreichen Skizzensammlungen auch mehrere Entwicklungsstufen einer Partitur bis zur Abfassung einer Reinschrift vorhanden sein können. Der Bestand an Skizzen zu dem 1967 uraufgeführten „Konzert für Orchester“190 beispielsweise umfasst ca. 400 Blätter verschiedenen Formats und ist in einem von Bartel angelegten Mappensystem überliefert, das auf einen unterschiedlichen Ausreifungsgrad dieser Notationen, die auch verbale und graphische Notizen zu Klangideen oder strukturellen Entwicklungsprozessen enthalten können, schließen lässt. Den Skizzen folgt meist eine erste Partiturniederschrift, die zunächst auf die formale Organisation und Anlage des Werks hin konzipiert ist und in der klanglichen Ausformulierung der einzelnen Stimmen noch unvollständig oder vorläufig sein kann, wie z.B. die 71 Blätter umfassende Partiturerstschrift zur Orchesterfassung des Klavierstücks „David und Goliath“191. Der Partiturreinschrift können weitere Skizzen zur Konkretisierung einzelner Stimmverläufe oder zur Aufteilung eines Klangs oder einer rhythmischen Struktur auf eine Instrumentengruppe (Streicher, Blechbläser etc.) im mehrstimmigen Satz vorausgehen. In einigen Fällen hat sich Bartel von der Erstschrift der Partitur eine Fotokopie in kleinerem Format angefertigt, um vom vorläufigen Werkstatus

189 Eine einzige Komposition konnte außerhalb des Nachlasses nachgewiesen werden, die von Bartel – soweit bisher bekannt ist – nirgends erwähnt wurde. Dabei handelt es sich um die im Rahmen der Abschlussprüfung an der Hochschule für Musik in Leipzig entstandene „Hausarbeit“, die im Rara-Bestand der Hochschule für Musik und Theater Leipzig unter der Signatur MS 1 / Archiv aufbewahrt wird. 190 Vgl. S5/HCB-39-1 bis -5 191 Siehe: S5/HCB-29-12

Praktischer Teil S e i t e | 84 sozusagen eine Studienpartitur als Arbeitsexemplar griffbereit zu haben. Sofern er in dieses Exemplar weitere Ergänzungen und Korrekturen eingetragen hat, ergibt sich in Bezug auf die Materialart eine Mischform aus Reproduktion und Autograph, die nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Dies gilt auch für eine frühe Stufe der Instrumentierung von Klaviersätzen, die Bartel oftmals mit Angabe abgekürzter Instrumentenbezeichnungen in die fotokopierten Noten von Klavierstücken (z.B. „Der sensible Tiger“192) oder zunächst nur mit Klavierbegleitung notierten Liedern (z.B. „Acht Lieder für Bariton und Kammerorchester“) eingetragen hat. Die Reinschriften der Partituren seiner Werke hat Bartel ab den 90er Jahren in aller Regel auf einseitig beschriebene Blätter im Format DIN A3 notiert. Hierzu hat er ein Papier in leichter Kartonstärke verwendet, auf das er zunächst die für die jeweilige Komposition erforderliche Rastrierung per Fotokopie übertragen hat. Aufgrund erheblicher Sehschwäche, die sich im letzten Lebensjahrzehnt noch weiter verschlechterte, war es ihm nur durch diese Spezialanfertigung eines Notenpapiers mit erweitertem Abstand der Notenlinien möglich, eine für ihn lesbare Arbeitsgrundlage zu schaffen. Reinschriften, korrigierte Fassungen und Druck- bzw. Kopiervorlagen hat Bartel fast immer in Klarsichthüllen aufbewahrt. Da Bartel in den meisten Fällen seinen Kompositionsprozess nicht mit der Partiturreinschrift abgeschlossen hat, sondern sich auch der langwierigen und mühevollen handschriftlichen Herstellung des Aufführungsmaterials, also der Instrumentalstimmen, Klavierauszüge und ggfs. Chorpartituren, unterzogen hat – sei es, um sehr gewissenhaft für die klangliche Realisierung eines Werks durch die Einrichtung des Notentexts selber Sorge zu tragen oder aber um das Zustandekommen der Probenarbeit und Aufführungen zu beschleunigen – enthält der Nachlass auch viele autographe und reproduzierte Stimmen seiner Werke.

Aus verschiedenen Gründen ist das kompositorische Werk Bartels von einer merkwürdigen Konzentration gekennzeichnet. Einer der Gründe besteht darin, dass der Komponist einen großen Teil seiner Werke selbst überarbeitet bzw. bearbeitet hat. So hat Bartel z.B. drei Kammermusikwerke aus der Studienzeit – nämlich die „Variationen für Streichquartett“ von 1953, das Streichtrio von 1954 und das Oboenquartett von 1955 – auf Bitten seines Freundes, des Gewandhauskonzertmeisters Karl Suske, in den Jahren 1993 und 1997, also nach vierzig Jahren, einer gründlichen Revision unterzogen. Von Werken, die zunächst für Klavier solo oder aber mit Klavierbegleitung entstanden sind, hat Bartel in unterschiedlich großen zeitlichen Abständen Orchesterfassungen ausgearbeitet. Dies gilt für die beiden Klavierstücke „Der sensible Tiger“ und „David und Goliath“ ebenso wie für das „Konzertstück für Violoncello und

192 Siehe: S5/HCB-15-12

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Klavier“ oder die „Fünf Lieder für tiefe Stimme und Klavier“. Aus diesem Sachverhalt erklärt sich, weshalb einerseits Materialien aus augenscheinlich völlig verschiedenen Entstehungsperioden in ein und demselben Handschriftenkonvolut konzentriert sein können oder aber andererseits in verschiedenen, auch zeitlich und ablagemäßig getrennten Konvoluten Musikalien gleichen Titels und Inhalts zu finden sind. Besonders im zuletzt genannten Fall muss die Erschließungsarbeit auf die Erhaltung eventueller Entstehungszusammenhänge bedacht sein. Von den genannten „Fünf Liedern“ sind im Nachlass auf fünf Bögen und einem einzelnen Blatt Bleistiftskizzen erhalten, die aber auch Skizzen der für die spätere Orchesterfassung drei neu hinzukomponierten Lieder enthält, so dass eine genaue Zuordnung zu den beiden verschiedenen Fassungen nicht leicht möglich ist.193 Des Weiteren existiert eine 47 Blätter (DIN A3) umfassende Reinschrift der „Fünf Lieder“, sowie der drei hinzugekommenen Lieder, in der allerdings Fassungen für eine tiefe und für eine hohe Stimme gemischt sind.194 In einer 30 Seiten umfassenden Kopie mit handschriftlichen Anmerkungen hat Bartel die ursprüngliche Seitennummerierung mit einer neuen überklebt. Neben weiteren, zum Teil mit einem Notensatzprogramm geschriebenen Partiturfassungen gibt es ein weitgehend unsortiertes Konvolut von ungefähr 150 bis 200 fotokopierten Seiten der Klavierfassung, die zahlreiche Dubletten, Textblätter und ein geheftetes Exemplar der Lieder beinhaltet, in dem Bartel Angaben zur Instrumentation der Lieder für die spätere Orchesterfassung in den Klaviersatz eingetragen hat.195 Zur Orchesterfassung des dann „Acht Lieder für Bariton und Kammerorchester“ betitelten Werks sind im Nachlass die mit schwarzem Filzstift notierte Reinschrift der Partitur196, mehrere fotokopierte Dubletten dieser Reinschrift mit Korrektureintragungen, 14 von Bartel selbst hergestellte Hefte mit jeweils zwei Liedern, das Originaltyposkript und Fotokopien der Liedtexte, eine möglicherweise als Druckvorstufe konzipierte Partiturfassung, die ebenfalls Korrekturen und aufführungspraktische Anmerkungen aufweist, drei gedruckte, mit Ringheftung gebundene Partituren, deren eine die mit blauem Filzstift eingetragenen Spielanweisungen des Dirigenten der Uraufführung Hannes Pohlit enthält, ein ca. 40 Blatt umfassendes Konvolut fotokopierter Orchesterstimmen zum „Intermezzo“ der Lieder, ein etwa 120 Seiten umfassender Computerprint eines vorläufigen Stimmensatzes, sowie zwei nahezu vollständige, gedruckte Sets aller Instrumentalstimmen, von denen das eine die Eintragungen der Musiker der Uraufführung enthält, wogegen das andere blanko ist, überliefert. Von der eingangs erwähnten

193 S5/HCB-4-1 194 S5/HCB-4-2 195 S5/HCB-4-6 196 Siehe: S5/HCB-5-1 u. ff.

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Konzentration der Werke Bartels darf man also nicht auf eine Einfachheit und Überschaubarkeit der Quellenlage im Nachlass schließen; wie gezeigt wurde, ist genau das Gegenteil der Fall: Durch die inhaltliche Überschneidung verschiedener Werkfassungen einerseits und durch die mehrfache Korrektur und Nachbearbeitung einer Fassung andererseits zeigt sich im Nachlass Bartels in Bezug auf die einzelnen Entwicklungsstufen seiner Werke eine Komplexität des Materials, die nicht leicht zu durchschauen ist.

Neben den als Hauptwerk zu bezeichnenden Stücken findet sich im Nachlass auch eine Reihe von Kompositionen, die Bartel in seinen gelegentlich festgehaltenen Selbstauskünften zu seinem Werdegang und Werk entweder gar nicht erwähnt oder zu den Verlusten durch das Mulde-Hochwasser gezählt hat. Anscheinend sind doch wenige der sehr frühen Kompositionen erhalten geblieben. Neben den beiden bereits erwähnten Partituren einer Klaviersonate und eines Klaviertrios gehört zu diesen Stücken auch ein „Rondo für Violine und Klavier“197, das bemerkenswerterweise mit einem maschinellen Notensatz geschrieben und per Lichtpausverfahren reproduziert wurde und das mit „Juni 1950“ datiert ist. Weitaus gewichtiger erscheint ein weiteres Werk dieser frühen Phase, das offensichtlich den Hochwassereinbruch überdauert hat, nämlich die 462 Takte umfassende „Sinfonische Ballade“ für Violine und Orchester, die von einer großen Solokadenz der Violine eröffnet wird198. Hier handelt es sich sehr wahrscheinlich um das von Bartel in seinen Werklisten zu den Verlusten gerechnete und als „Violinkonzert“ bezeichnete Werk, das zugleich die früheste vollständig überlieferte Komposition mit Orchesterbesetzung sein dürfte. Alle genannten Partituren tragen deutliche Spuren des verheerenden Hochwassers: Einbände und Seiten sind wellig, die Schrift ist verblasst oder verlaufen, aufgeklebte Korrekturen haben sich ebenso wie geleimte Bindungen gelöst und es finden sich eingeschwemmte Lehmreste an und in den Musikalien.

Die zu einzelnen Werken entstandenen Skizzen können – wie bereits bzgl. des „Konzerts für Orchester“ gezeigt wurde – sehr umfangreich sein. So beinhaltet der Nachlass auch jeweils mehrere hundert Seiten umfassende Skizzenkonvolute zum „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“ (1963), zum Violinkonzert (2008) und zur Vokalsinfonie mit dem Titel „Lieder vom Menschen“ (2012). Während die Skizzen zum Bratschenkonzert ähnlich wie die zum Orchesterkonzert (1967) in ihrer Zusammensetzung und Schichtung und durch eine komplexe Notationsstruktur mit Überlagerung verschiedener Notationsebenen und mehrfarbigen

197 Siehe S5/HCB-33 198 Siehe: S5/HCB-12. Ein weiteres Duplikat dieser Komposition befindet sich unter der Signatur M.pr.I 12 Hs im Rarabestand der Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Der Onlinekatalog weist es als „Konzertstück : für Violine und Orchester“ aus.

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Verweisungen in ihrem Schriftbild einen mühsamen Entstehungsprozess zu offenbaren scheinen, strahlen die Skizzen zur Vokalsinfonie in ihrer ausgesparten und lockeren Aneinanderreihung von Notationen einzelner harmonischer Satzstrukturen, rhythmischer Figuren, Instrumentations- und Klangvorstellungen eine Klarheit und Gelassenheit aus, die man der Erfahrung und Heiterkeit des Alters zuschreiben möchte und die auf den Betrachter eine Faszination ausüben, die der Schlichtheit von Zeichnungen berühmter Meister der bildenden Kunst gleichkommen.

Abbildung 3: „Naturklang“ : Skizze zur Vokalsinfonie

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Zwischen den verschiedenen Materialien, die einem bestimmten Werk zuzuordnen sind, haben sich im Nachlass Bartels auch einige heterogene Sammlungen von musikalischen Skizzen, Entwürfen, Studien und Notizen gefunden, die völlig verschiedenen Kompositionsprojekten zuzuordnen sind. Hier sind insbesondere zwei Konvolute zu nennen: in einen DIN B4- formatigen Bogen Notenpapiers, der die Aufschrift „Cello – Studien“ trägt, hat Bartel etwa 20 Blätter mit Notationen für Violoncello eingelegt, die entweder als Vorstufe zu einer oder mehrerer seiner Kompositionen für Violoncello zu werten sind („Konzertstück für Violoncello und Klavier“; „Sonatine für Violoncello solo“; „Fünf Miniaturen für viele Cellisten“) oder aber zu einem nicht zustande gekommenen Projekt gehören. Die inhaltliche Erschließung und Zuordnung bedarf in diesem Fall einer eingehenden analytischen Untersuchung.

Eine ihrer ursprünglichen Bestimmung entfremdete, 33 cm hohe, braune Mappe mit der Aufschrift „Jahresablaufpläne“ beinhaltet ein weiteres reichhaltiges Konglomerat aus Bartels Komponistenwerkstatt199. Es reicht zeitlich bis in die Sechzigerjahre zurück und umfasst ca. 250 Seiten, die von großformatigen Doppelbögen bis zu kleinen Notizzetteln reichen, auf denen der Komponist wohl sehr spontan und oftmals unterwegs Gestaltungsideen zu seinen Werken verbal oder als Notenskizze festgehalten hat, um später auf sie zurück greifen zu können. Zum Beispiel hat er auf einem 8 x 6 cm großen Zettel in einer Mischung aus dem zu vertonenden Text, musikalischen Symbolen und verbalen Regieanweisungen den Ablauf einer kulminierenden Stelle in Andeutung einer Partitur notiert: Zwei nebeneinander gesetzten Violinschlüsseln folgt ein mit zwei Viertel- und einer Halbenote mit Fermate fixierter Deklamationsrhythmus zu den darüber notierten Worten „Rette mich“ im vierfachen Forte, zu denen die Regieanweisung gehört „alle Stimmen + Instr. ihren höchsten Ton, frei, welchen“, darunter ein schräg abwärts gerichteter Strich und zwei nebeneinander gesetzte Bassschlüssel, gefolgt von einem mit dem Wort „Schiffsschraube“ fixierten Orchesterklang, der in einer unter diesem Wort gezeichneten Wellenlinie seine graphische Entsprechung findet und mit den Zusätzen „ca. 15´´“ und „PPP“ auch in Tondauer und Lautstärke festgelegt ist, worauf ein „da capo“ dieses Verlaufs folgt. Neben solchen Kurznotationen finden sich mehr oder weniger ausführliche Aufzeichnungen zu einer ganzen Reihe von Bartels Werken: zum „Klavierbüchlein für Marcus“, zu den Näther-Liedern (besonders zu „Der Denunziant“), zu einzelnen Liedern aus der „Vokalsinfonie“, zu einem der oben schon erwähnten Solostücke für Violoncello, zum Violinkonzert und zu dem Auftragswerk „Immer nur b-a-c-h für eine Geige“. Ein wichtiges Dokument in dieser Mappe stellt die Reihentafel zum Orchesterkonzert dar, die

199 Siehe: S5/HCB-31

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Abbildung 4: Reihentabelle zum Orchesterkonzert (Vorderseite) sämtliche Transpositionen der Zwöfltonreihe in Grundgestalt, Umkehrung, Krebs und Krebsumkehrung enthält und Bartel bei der Komposition seines komplexen Orchesterwerks als Arbeitsgrundlage gedient haben mag. Aber auch Entwürfe zu Kompositionen, die nicht zur Ausführung kamen sind hier zu finden: verbale Skizzen zu einer Vertonung von Nietzsches „Nachtlied“ aus dessen „Zarathustra“ und zu einer geistlichen Komposition mit einem Text von

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Jörg Zink („Die letzten sieben Tage der Schöpfung“), den Bartel mit Versen aus Psalm 22 zu kombinieren gedachte. Möglicherweise handelt es sich bei diesen Skizzen aber auch um ursprüngliche Ideen zu einem Werk, aus denen in einer langen Entwicklungsphase die „Vokalsinfonie“ gereift ist. Schließlich hat Bartel in dieser Mappe auch verschiedene lyrische Texte abgelegt, u.a. ein 8-seitiges Manuskript (nicht von Bartels Hand) des Gedichtzyklus‘ „Flötenstücke im Herbst (1951)“ von Traugott Ohse, vier Typoskriptseiten mit Gedichten von Peter Huchl („Der Garten des Theophrast“; „Verona“, „Soldatenfriedhof“; „Der Treck“; „Hinter den weißen Netzen des Mittags“), sowie einige von Heinz-Martin Benecke unterschriebene Texte. Das letzte Konvolut dieser Sammlung steht mit Benecke direkt in Verbindung. Zu dessen Libretto „Die Schnecke Maria“ hat Bartel eine szenische Musik für Kinder geschrieben, zu dem sich hier der autografe Partiturentwurf, die Instrumentalstimmen, das mit handschriftlichen Anmerkungen versehene Typoskript des Librettos, sowie ein handschriftlicher Brief Beneckes vom 5. Januar 1983 erhalten haben.

In der gleichen Weise, wie die eben beschriebene Mappe nicht nur Kompositionsskizzen und werkbezogene Entwürfe vereinigt, sondern auch verschiedenste Materialien, die am Rande einer Werkgenese entstehen, gilt dies für den ganzen kompositorischen Nachlass. So hat Bartel zu den meisten seiner Werke Einführungen für Programmhefte oder auch für CD-Booklets verfasst, zu denen in manchen Fällen neben einer oder mehrerer Typoskriptfassungen in Original und Fotokopie auch handschriftliche Entwürfe vorliegen. Beim Sortieren der nachgelassenen Schriftstücke wurde sehr schnell eine zunächst nicht ins Blickfeld genommene Ablagerubrik erforderlich, die sich aus Bartels Wirken als Tonmeister ergab. Bei der Produktion von Tonaufnahmen hat Bartel jeweils mehrere Seiten lange Protokolllisten angelegt, in denen er akribisch genau unter Angabe von Werktitel, Taktzahl, Bandlaufzeit, und Tracknummer detaillierte Angaben zum dynamischen Verlauf, zur Aussteuerung, zur Qualität und zum Tonschnitt für die Nachbearbeitung festgehalten hat. Da die Titelangabe oftmals nur in abgekürzter Form genannt ist oder auch ganz fehlt, was häufig auch bezüglich des Produktionsdatums der Fall ist, lassen sich die auf den Bearbeiter hermetisch wirkenden Listen nicht leicht einem Projekt zuordnen und sortieren. Kompliziert wird die Zuordnung darüber hinaus bei ähnlich strukturierten Listen insbesondere dann, wenn sie sich auf Werke von Bartel beziehen, denn hier wird bei der Erschließung nur mit einigem Aufwand zu unterscheiden sein, ob es sich um aufnahmetechnische Korrekturlisten, um Listen zur Überarbeitung einer bestimmten handschriftlichen Fassung oder Einrichtung einer Partitur oder eines Stimmenmaterials – sei es zur Werkkorrektur oder zu Aufführungszwecken – handelt, oder ob die vorliegende Auflistung von Abschnittmarkierungen, Taktzahlen und musikalischen

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Angaben als Korrekturliste für eine Drucklegung entstanden ist. Für alle drei der genannten Materialarten sind im Nachlass zahlreiche Beispiele zu verzeichnen. Zu den Aufführungen der eigenen Werke hat der Komponist auch eine bis in die Sechzigerjahre zurückreichende Sammlung von Konzertprogrammen und Kritiken angelegt, die allerdings nicht um Vollständigkeit und Geschlossenheit bemüht war. Und auch hier gibt es bei der Überlieferung im Nachlass Überschneidungen mit den schon erwähnten Werkeinführungen und Liedtexten für Konzertprogramme. Insgesamt gilt für die Überlieferung der verschiedenen Dokumente im kompositorischen Nachlass, dass sie nicht fein säuberlich voneinander getrennt und einer Sortierung folgend vorgefunden und übernommen werden konnten, sondern vielmehr, dass eine ursprünglich oder zwischenzeitlich bestehende Ordnung nur mehr fragmentarisch – gleichsam den bei einer archäologischen Ausgrabung zu Tage tretenden Fundamenten – zu erkennen war. Und wie bei einer Grabung am Ende eine Sammlung von zunächst nicht bestimmbaren Fragmenten sowie ein aufgeworfener Hügel der abgetragenen Erde übrig bleibt, so sind bei der Vorsortierung des kompositorischen Nachlasses von Hans- Christian Bartel eine Ansammlung isolierter Kompositionsfragmente und ein schwerer, mehrere hundert Seiten umfassender Stapel unbeschriebenen Notenpapiers vorläufig übrig geblieben, die selbst noch in ihrer Bruchstückhaftigkeit und Unerfülltheit vom Tiefgang und zugleich von der überaus hohen künstlerischen Qualität des überlieferten Werks Zeugnis zu geben vermögen.

5. Die Erschließung der Werkmanuskripte im Nachlass von Hans- Christian Bartel 5.1 Zielsetzung Nach der ersten Einsichtnahme hinsichtlich des Umfangs des Nachlasses von Hans-Christian Bartel im Vorfeld des Erschließungsprojekts wurde vor dem Hintergrund des gegebenen zeitlichen und personellen Rahmens (siehe Kapitel 5.2.1) die Fokussierung der Erschließungsarbeit auf die Werkmanuskripte des Nachlassbildners festgelegt. Da die wichtigsten Nachlassmaterialien des Komponisten Bartel in den autographen Aufzeichnungen seiner Werke zu suchen waren, sollte sich – auch dem Wunsch des Nachlassverwalters gemäß – der erste Schritt der Erschließung auf den kompositorischen Nachlass konzentrieren und dabei alle zu einem Werk überlieferten hand- oder druckschriftlichen Unterlagen berücksichtigen. Die am Rande dieser Arbeit anfallenden Materialien (Musikalien anderer Komponisten, Typoskripte, Korrespondenzen, Sammlungsstücke etc.) sollten grob vorsortiert werden. Die Werkmanuskripte selbst sollten

Praktischer Teil S e i t e | 92 nach Werkzugehörigkeit vorsortiert, in einem weiteren Schritt feinsortiert und schließlich mit der Archivsoftware FAUST 7 katalogisiert werden. Für ihre Archivierung und dauerhafte Lagerung sollten die Werkmanuskripte von schädlichen Materialien befreit und in säurefreie Mappen und Kartons verpackt werden. Die Kassation von werkirrelevanten Materialien (z.B. Dubletten u. Mehrfachkopien ohne handschriftliche Eintragungen etc.) war nicht vorgesehen. Die Erschließungstiefe ergab sich aus der Berücksichtigung verschiedener Entstehungsstufen (Skizzen, Entwürfe, Reinschriften, Druckvorlagen, Korrekturen, Drucke der eigenen Werke) und musikalischen Ausgabeformen (Partitur, Stimme, Klavierauszug, Libretto). Außerdem sollte die Katalogisierung neben Werktitel, Entstehungszeit, Umfang und Format auch eine kurze physische Beschreibung (Schreibstoff, Beschreibstoff, Reproduktionsart, Erhaltungszustand) beinhalten. Für jede festgelegte Verzeichnungseinheit war eine Signatur zu vergeben. Auf der Grundlage der erschlossenen handschriftlichen und gedruckten Materialien zum Werk Hans-Christian Bartels sollte – im Interesse des Nachlassverwalters ebenso wie im Interesse des Gewandhausarchivs – nach Möglichkeit ein vorläufiges Werkverzeichnis aus der Erschließungsarbeit hervorgehen. Mit den genannten Maßnahmen sollte in erster Linie die Zugänglichkeit zu den im Nachlass überlieferten Werkmanuskripten Hans-Christian Bartels geschaffen werden, um sie für Forschung und Aufführungspraxis möglichst schnell nutzbar zu machen. Außerdem sollten die konservatorischen Maßnahmen den Schutz und dauerhaften Erhalt der Werkmanuskripte gewährleisten.

5.2 Rahmenbedingungen

5.2.1 Allgemein

Da im Gewandhausarchiv zur Erschließung des übernommenen musikalischen Nachlasses während des laufenden Verwaltungsbetriebs keine freien Kapazitäten von Mitarbeitern zur Verfügung stehen, um einen derart umfangreichen Nachlass zu erschließen und da überdies die für eine solche Erschließung erforderlichen Spezialkenntnisse nicht vorhanden sind, ging eine Anfrage des Archivs nach geeigneten Absolventen an den Fachbereich Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Die Nachlassbearbeiter sollten über gute Notenkenntnisse, idealerweise auch über Kenntnisse im Bereich von Handschriften und Erschließungsmethoden verfügen und ggfs. auch Erfahrungen im Bereich von Musikbibliothek oder Musikarchiv miteinbringen können. Es fanden sich zwei Studierende, die beide im Rahmen ihres Masterstudiengangs die Profillinie „Musikbibliothek“

Praktischer Teil S e i t e | 93 als Schwerpunkt gewählt hatten. Beide Absolventen verfügen durch vorausgegangene Studien (Bachelor Musikwissenschaft / Staatsexamen Musik) über musikwissenschaftliche Kenntnisse und durch langjährige Chorleiter- bzw. Chorsängertätigkeit auch über eine gründliche musikpraktische Erfahrung. Nach einer kurzen Besprechung und Inaugenscheinnahme des Nachlasses im Magazin wurde entschieden, dass die Erschließung im Rahmen einer Masterarbeit und eines Semesterpraktikums in Kooperation der beiden Studierenden erfolgen solle. Der zeitliche Rahmen, der durch den Studienablauf im Wesentlichen auf das Wintersemester 2015/16 begrenzt war, wurde im Falle des Autors und hauptverantwortlichen Bearbeiters durch den gleichzeitigen Eintritt in ein teilberufliches Beschäftigungsverhältnis auf wöchentlich zwei Arbeitstage begrenzt. So ergab sich bei einer wöchentlichen Arbeitszeit der beiden Studierenden von rund 25 Stunden vom Beginn der Bearbeitung Mitte August 2015 bis Ende Januar 2016 eine Bearbeitungszeit von insgesamt rund 500 Stunden.

Der Magazinraum des Gewandhausarchivs ist durch die Unterbringung im Kellergeschoss des Mendelssohn-Hauses von der Archivverwaltung räumlich getrennt. Das Magazin ist mit einer festinstallierten Regalanlage ausgestattet und verfügt über eine automatische Klimatisierung, die die Raumtemperatur auf 19° Celsius und eine relative Luftfeuchtigkeit von rund 50% einreguliert. Des Weiteren verfügt der Raum über eine Deckenbeleuchtung mit Neonröhren, mit denen eine Beleuchtungsstärke von ca. 300 lx erreicht wird. In unmittelbarer Nähe zur Regalanlage gibt es zwei Tische für Sortierarbeiten; in einem Nebenraum befinden sich zwei weitere Tische, die als Arbeitsfläche während der Eingabe der Daten in die Archivdatenbank zur Ablage und Beschriftung der Materialien dienen. Da dieser Magazinraum zwar mit einem ISDN-Anschluss aber nicht mit einem fest installierten Computerarbeitsplatz ausgestattet ist, wurden zu Beginn jedes Arbeitstags ein Laptop und die Magazinschlüssel in der Archivverwaltung abgeholt.

Für die dauerhafte und unter konservatorischen Gesichtspunkten einwandfreie Aufbewahrung der Nachlassdokumente wurden basisch gepufferte Archivpapiere als Trennblätter, säurefreie Einlegemappen mit mittiger Einfachfaltung (120g/qm) und ebenso säurefreie Jurismappen mit Einschlagklappen (450g/qm) in den Formaten DIN A4 und DIN A3 der Firma Hans Schröder GmbH (Karlsdorf-Neuthard) bereitgestellt.

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5.2.2 Das Gewandhausarchiv Leipzig

Die Abteilung Archiv im Leipziger Gewandhaus gliedert sich in drei Bereiche: in das Verwaltungsarchiv, in das Historische Archiv und in die Dokumentationsstelle. Neben der Registratur des für den Dienstbetrieb erforderlichen Schriftguts besteht die zentrale Aufgabe des Archivs in der Übernahme, Sammlung, Verzeichnung und Archivierung der für die Dokumentation und Geschichte seines berühmten Orchesters wichtigen Daten und Materialien. Dazu gehören insbesondere auch die mit dem Gewandhausorchester produzierten Ton- und Bildaufnahmen.

Das Archiv wird von zwei Mitarbeitern verwaltet: Ein weiterer Mitarbeiter aus dem Bereich Tontechnik ist für die Archivierung der Mitschnitte der laufenden Produktionen zuständig. Der Leiter des Archivs ist außerdem mit der Herausgabe der hauseigenen Zeitschrift „Das Gewandhausmagazin“ beauftragt.

Im Gewandhaus stehen dem Archiv drei Magazinräume und zwei Büroräume für die beiden Mitarbeiter zur Verfügung, sowie ein die beiden Büros verbindender Raum, der von Besuchern des Archivs genutzt werden kann und mit einem zusätzlichen Computerarbeitsplatz ausgestattet ist. Für die Archivierung der historischen Bestände verfügt das Gewandhausarchiv außerdem über den oben beschriebenen Magazinraum im Kellergeschoss des Mendelssohn-Hauses. Die hier magazinierten Bestände beinhalten: das Plakatarchiv mit Konzertplakaten des Gewandhauses seit 1954 und mit Reiseplakaten seit 1951; das Programmarchiv, das bis ins Jahr 1808 zurück reicht und eine Sammlung von Programmzettel-Dubletten, die 1967 beginnt; eine Sammlung von Auszeichnungen, Reisegeschenken und Gastgeschenken auswärtiger Orchester; einige Gemälde und plastische Gegenstände (z.B. Denkmalentwurf); das Reisearchiv des Bachorchesters und des Leipziger Kammerorchesters; Druckerzeugnisse des Gewandhauses von 1970 bis in die Gegenwart; einen marginalen Bestand an Zeitschriften („Opernwelt“, „Triangel“); Restpublikationen von Ausstellungskatalogen, Jahresheften, Buchpublikationen, Kongressberichten, Gedenkschriften sowie das historische Notenarchiv des Gewandhauses mit Partituren (25 Kartons), Orchestermaterialien (27 Kartons) und Gesamtausgaben (21 Kartons). In einem Nebenraum befindet sich das Chornotenarchiv der Leipziger Singakademie und des Gewandhaus-Chores im Umfang von 135 Kartons. In einem weiteren Nebenraum lagert ein Bestand von 915 Schallplatten und 736 Schellackplatten. Im gleichen Raum stehen zwei Kästen einer abgebrochenen Zettelkartei, in der „Werke“, „Rundfunk-Werke“ und „Interpreten“ verzeichnet sind.

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Mit der Archivsoftware „FAUST professional“ verfügt das Gewandhausarchiv seit 2014 über eine flexible und leistungsstarke Archivdatenbank, in der die eben beschriebenen Bestände und Daten nachgewiesen und recherchierbar sind. Auf der Homepage des Gewandhauses ist das Archiv nicht vertreten; demzufolge ist von außen auch kein Einblick in eine Bestandsübersicht oder Bestandsbeschreibung zur Information und Orientierung für den interessierten Besucher der Website möglich.

Das Gewandhausarchiv Leipzig ist dem „Netzwerk historischer Orchesterarchive (NOA)“, zu dessen Gründungsmitgliedern es gehört, angeschlossen. Dieses Netzwerk wurde 2013 in Leipzig mit dem Ziel gegründet, den „Austausch von Informationen und Know-How in Bezug auf im Orchester- und Konzerthausbetrieb anfallende Archivierung, Katalogisierung, Konservierung, Digitalisierung sowie Verwaltung von historischen Materialien, Schriften, Fotos, Musikalien“ zu verbessern und „eine einheitliche, auf bewährten Methoden beruhende Struktur zu schaffen und sie in einer späteren Phase einem interessierten Publikum mittels Internet zugänglich zu machen“200. Dem europäisch ausgerichteten Netzwerk gehören bislang die Archive folgender Orchester an: Berliner Philharmoniker, Dresdner Philharmonie, Gewandhausorchester Leipzig, Philharmonie Luxembourg, Sächsische Staatskapelle Dresden, Wiener Philharmoniker und Wiener Symphoniker. Auch bei der zweiten Arbeitstagung der Netzwerkmitglieder im Oktober 2014 in Wien wurde nochmals die Idee diskutiert, „eine Plattform auf Internetbasis“, zu schaffen, „die man durchaus auch der Allgemeinheit zugänglich halten möchte“201. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat NOA noch keine Internetplattform.

5.2.3 Die Archivsoftware „FAUST professional“

Das Gewandhausarchiv verwendet zur Verzeichnung seiner Bestände das Datenbanksystem „FAUST professional“ (Version FAUST 7). Dieses Datenbanksystem wurde von der Firma „Doris Land Software-Entwicklung“ zum Einsatz in Bibliotheken, Archiven, Museen und ähnlichen Dokumentationseinrichtungen entwickelt. „FAUST professional“ bietet die Möglichkeit, beliebig große Bildarchive als Datenbank aufzubauen. Von dieser Möglichkeit macht das Gewandhausarchiv Gebrauch und bindet z.T. digitalisierte Objekte in die Katalogeinträge seiner Sammlung mit ein. Zum Zeitpunkt der Bearbeitung des Nachlasses von

200 Netzwerk Historische Orchesterarchive : Gruppenprofil / Raphaël Rippinger. – URL: https://de.linkedin.com/grps/Netzwerk-Historische-Orchesterarchive-6524266/about (Gesehen: 19.07.2016) 201 Erstes europäisches Netzwerk für Historische Orchesterarchive / Reinhard Öhlberger. – URL: https://www.wienerphilharmoniker.at/orchester/philharmonisches- tagebuch/year/2014/blogitemid/1075/cid/2/page/1/pagesize/20 (Gesehen: 19.07.2016)

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Hans-Christian Bartel waren im Datenbanksystem des Gewandhausarchivs insgesamt rund 28500 Objekte erfasst. Das System202 ist so aufgebaut, dass beliebig viele und beliebig große Datenbanken angelegt werden können. Zwischen den Datenbanken kann über die Icons der jeweiligen Datenbank in der Hauptmenüleiste gewechselt werden, so dass es beispielsweise möglich ist, während der Erfassung eines Objekts zur Recherche in eine andere Datenbank zu wechseln und wieder zur unterbrochenen Erfassung zurückzukehren. Die Portal-Seite der Datenbank bietet die Möglichkeit, zwischen den Reitern „Erfassen“, „Suche“ und „Tools“ zu wechseln. Über den Reiter „Erfassen“ können fünf Untermenüs – Erfassen, Datenimport, Bildstapelimport, Digitale Dokumente und Thesaurus – aufgerufen werden. Über das Untermenü „Erfassen“ wird eine Auswahlliste der bereits bestehenden Objektarten (z.B. Akte, Buch, Noten, Tonträger, Urkunde) angezeigt, so dass bei der Auswahl einer Objektart eine dieser Objektart entsprechende leere Erfassungsmaske erscheint, in die dann die zu erfassenden Daten eingegeben werden können. Für die Erfassung und Beschreibung verschiedener Objektarten stehen verschiedene, z.T. in ihrer Struktur oder Länge definierte Feldtypen (z.B. Textfelder, Datumsfelder, ganzzahlige Felder, Deskriptorenfelder) zur Verfügung, die vor Eingabe einer neuen Objektart entsprechend den Erfordernissen der jeweiligen Objektart zu einer Erfassungsmaske zusammengestellt werden. Es ist aber auch jederzeit nachträglich möglich, den Feldaufbau einer Erfassungsmaske durch Ergänzung oder Änderung der vorhandenen Feldtypen einer bestimmten Objektart anzupassen. Die zur Objektbeschreibung verwendeten Begriffe werden bei der Eingabe – gekoppelt an den jeweiligen Feldtyp – indexiert und können bei der wiederholten Eingabe eines Begriffs einfach aus der Indexliste übernommen werden. Umgekehrt ist es auch möglich, eine vordefinierte Liste von Begriffen, die zur Objektbeschreibung in einem bestimmten Feld erforderlich sind (z.B. Gattungsbegriffe), in einer Indexliste vorzugeben, um dadurch das Erschließungsvokabular zu vereinheitlichen und die Eingabe zu erleichtern.

Genau so flexibel wie das Erfassungsmenü ist auch das Recherchemenü aufgebaut. Über das Einstiegsportal „Suchen“ werden drei verschiedene Recherchemöglichkeiten angeboten: Mit der „Listenrecherche“ kann über indexierte Begriffe, über einen Thesaurus oder über Wortlisten nach bestimmten Objekten in der Datenbank gesucht werden; die „Expertenrecherche“ hält für die gezielte Suche nach einzelnen Objekten neben Eingabemöglichkeit eines frei formulierten

202 Zu den folgenden Ausführungen vgl.: FASUT 7 : Handbuch Kurzform. – URL: http://www.land- software.de/webinfo.fau/FAUST_7_Handbuch_Kurzform.pdf?sid=1100B13F2&art=3&tt=FAUST_7_Handbuch _Kurzform.pdf (Gesehen: 28.04.2016. – Im Juni 2016 wurde FAUST 7 durch die neue Version FAUST 8 abgelöst.)

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Suchbegriffs und der Auswahl einer bestimmten Datenbank oder Objektart eine Reihe von Filtermöglichkeiten (Feldfilter; Objektartenfilter) bereit; und auch die dritte Recherchefunktion über das Menü „Suchmaske“ bietet – ähnlich wie im Erfassungsmenü – die Möglichkeit, verschiedene Recherchemasken zu generieren, um innerhalb einer Datenbank oder auch datenbankübergreifend Ergebnislisten zu generieren, die dann in bis zu 11 verschiedenen Ergebnisspeichern oder in sogenannten Körben zur weiteren Bearbeitung, wie z.B. zur nachträglichen Korrektur einzelner Objekte oder zum Druck einer Objektliste, gespeichert werden können. Darüber hinaus bietet FAUST eine ganze Reihe verschiedener Funktionen an: Zur inhaltlichen Gliederung einer Objektart ist es möglich, einen Thesaurus anzuglegen oder zu importieren; zur Qualitätssicherung steht ein Menü „Dublettenprüfung“ zur Verfügung; mit den Untermenüs „Bildstapelimport“ und „Digitale Dokumente“ können über das Erfassungsmenü externe digitale Bild- oder auch Audio- und Videodateien in eine Datenbank importiert bzw. durch Verlinkung integriert werden; schließlich können über umfassende Report- und Exportfunktionen einzelne Objekte oder sämtliche Objekte einer Objektart bei völlig freier Auswahl der zu übernehmenden Feldtypen in verschiedenen Formaten (PDF, RTF oder HTML) zusammengestellt, gespeichert, als E-Mail versandt oder gedruckt werden. Das Datenbanksystem FAUST wird beispielsweise vom Fotoarchiv des Ruhrmuseums in Essen, von der Deutschen Bibliothek Den Haag, von der Stadt Lübeck für das Gunter-Grass- Haus und das Buddenbrokhaus oder auch für die Bestandsverzeichnung und Onlinerecherche im Stadtarchiv Fürth eingesetzt.

5.3 Erschließungsmethode Die Erschließung der werkbezogenen Materialien im Nachlass Hans-Christian Bartel wurde in folgenden Schritten vollzogen:

1. Sichtung der relevanten Materialien bzw. Kartons 2. Aushebung und Vorsortierung der Materialien 3. Feinsortierung der Werkmanuskripte und Drucke 4. Katalogisierung mit FAUST 7 5. Vorbereitung der Archivierung / konservatorische Maßnahmen

Im ersten Schritt wurden anhand der „Grobübersicht Nachlass Hans-Christian Bartel“ (siehe Kapitel 4.1) die in den Magazinregalen eingelagerten Umzugskisten ermittelt, in denen Werkmanuskripte verstaut waren. Dies waren die Kisten mit den Nummern 1-6, 8-11, 14, 16 und 18. Nach einer kurzen Sichtung und Prüfung des Inhalts wurden im nächsten Schritt die

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Materialien einer Kiste stapelweise entnommen, nach Werkzughörigkeit geprüft und in den Magazinregalen – nach Titeln sortiert – vorläufig abgelegt. Dabei war es ohne Kenntnis der Werke Hans-Christian Bartels zunächst schwierig, eine entsprechende Ablagestruktur zu entwickeln und unsortiertes Material aus den Kisten richtig zuzuordnen. Dieses Problem ergab sich zunächst besonders bei Werken, die Bartel in zwei verschiedenen Fassungen (für Klavier und für Orchester) ausgearbeitet hat. Eine weitere Zuordnungsschwierigkeit ergab sich daraus, dass die Werkmaterialien durch mehrere Umzüge, Werkrevisionen und Benutzung (z.B. für Aufführungen) und schließlich durch das nochmalige Verpacken für die Übernahme ins Gewandhausarchiv nur grob sortiert waren. Da Bartels eigene Sortierung keine strikte Trennung verschiedener Materialarten berücksichtigte, waren zwischen den Manuskripten und Drucken auch verschiedenste schriftliche Aufzeichnungen, die teils mit den einzelnen Werken in Verbindung standen, teils aber auch zu ganz anderen Projekten oder Sammlungen gehörten, zu finden. Dadurch wurden für die weitere Vorsortierung neue Ablagerubriken erforderlich. Diese waren: Korrespondenz, Typoskripte (Werklisten, Werkbeschreibungen, autobiographische Aufzeichnungen etc.), aufnahmetechnische Materialien (Tracklisten, Schnittprotokolle etc.), Notendrucke und –handschriften anderer Komponisten, Programme und Zeitungsausschnitte, sowie eine Ablage für einzelne, zunächst nicht zuordenbare Manuskriptseiten in autographer oder fotokopierter Form. Die Vorsortierung erstreckte sich über den Zeitraum von Mitte August bis Mitte November 2015. Mit zunehmendem Überblick über das Werk gewannen die Bearbeiter an Sicherheit bei der Sortierung und es entwickelte sich ein Gespür für die Zugehörigkeit eines Materials zu einer Entstehungsstufe, für die Handschrift des Komponisten und auch für das Alter verschiedener Manuskripte. Der dritte Schritt bestand in der Feinsortierung der zu einem Werk vorhandenen Manuskripte. Hier war die Erschließung darauf bedacht, Provenienzzusammenhänge zu erhalten oder zu dokumentieren, um werkgenetische Spuren nicht zu verwischen. Eine Sortierung nach Entstehungsstufen war indessen aus mehreren Gründen nicht möglich: Zum einen gibt es zu den meisten von Bartels Werken im Nachlass eine Fülle verschiedener, auf der Grundlage von Reproduktionen (Fotokopien) entstandener Materialien mit autographen Eintragungen, deren Funktion bzw. Stellung im Schaffensprozess nicht auf Anhieb festgestellt werden kann. Zum anderen sind fast alle Werkmanuskripte ab den 60er Jahren undatiert. Durch die Materialfülle und die oben beschriebene Ablagestruktur Bartels wäre ein nicht zu leistender Arbeits- und Zeitaufwand für die Feststellung und Sortierung nach Entstehungsstufen entstanden. Dennoch wurden nach Möglichkeit Skizzen, Partiturentwürfe und Reinschriften zu einem Werk und

Praktischer Teil S e i t e | 99 seinen musikalischen Ausgabeformen203 als jeweils eigene Verzeichnungseinheiten erschlossen und reproduziertes Werkmaterial (mit Eintragungen des Autors) nachgeordnet.

Abbildung 5: Feinsortierung der Manuskripte zur „Vokalsinfonie“

Das angesprochene Problem der Materialfülle ist nicht in erster Linie ein quantitatives Problem, sondern ein Problem, das sich in Bartels Nachlass aus der Durchmischung von kompositorischen und aufführungspraktischen Materialien ergibt. Autographe Eintragungen in reproduzierten Manuskripten wie z.B. Strichbezeichnungen und Fingersätze sind dem eigentlichen kompositorischen Prozess nachgeordnet und leicht von diesem zu unterscheiden. Dynamische Eintragungen hingegen stehen – auch wenn sie in einem aufführungspraktischen Zusammenhang entstanden sind – in einem engeren Verhältnis zur kompositorischen Ebene. Und schließlich finden sich in den werkbezogenen Materialien Bartels autographe Texte, die aus seiner professionellen aufnahmetechnischen Arbeit zur Dokumentation des eigenen

203 Streng genommen ist der Begriff „musikalische Ausgabeform“ für Skizzen und Entwürfe unzutreffend, da sie nicht für eine Ausgabe bestimmt sind. Reinschriften hingegen dienen heute oft als Grundlage eines von einem Verlag veröffentlichten Werkes. Ähnliches gilt für die musikalische Ausgabeform „Particell“, das seinerseits per se Entwurfscharakter hat und ebenfalls nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist.

Praktischer Teil S e i t e | 100 kompositorischen Werks hervorgegangen sind. Es steht außer Frage, dass auch die dem eigentlichen werkgenetischen Prozess nachgeordneten Textschichten aus der Hand des Komponisten eine ganz wesentliche Quelle zur Überlieferung der von ihm intendierten Werkgestalt darstellen und deshalb in einem weiteren Erschließungsprozess zu dokumentieren sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, inwiefern der Feinsortierung zeitliche und inhaltliche Grenzen gesetzt waren. Konvolute von fotokopierten Manuskripten konnten nicht detailliert (nach Umfang und Inhalt) erschlossen werden. Da die Kassation von Dokumenten aber ihre genaue inhaltliche Überprüfung erforderlich macht, musste auf die Aussonderung von Dubletten in diesem ersten Erschließungsprozess verzichtet werden. Beilagen in Werkmanuskripten wie z.B. Korrekturlisten, Werktexte, einzelne Briefe, Einladungslisten, Notizen u. ä. wurden an der entsprechenden Stelle belassen, da sie im derzeitigen Erschließungsstadium nicht sinnvoll zu dokumentieren waren. Bei der Katalogisierung wurde im Bemerkungsfeld durch einen Enthält-Vermerk auf sie hingewiesen. Der Schritt der Feinsortierung sei am Beispiel der Werkmanuskripte zu Bartels „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“ verdeutlicht. Das zu diesem Werk vorhandene Material nahm nach der Vorsortierung etwa einen Regalmeter Ablagefläche in Anspruch. Bei der Feinsortierung ergab sich für die einzelnen Verzeichnungseinheiten folgende Struktur, die hier im Wortlaut des Sortierprotokolls wiedergegen wird:

1. „Skizzen Br. konzert“, ca. 300 Bl., verteilt auf 2 x 3 Mappen mit der jeweiligen Aufschrift „I. Skizzen“, „II. Skizzen“, „III. Skizzen“ bzw. „I. fertig“, „II. fertig“, „III. fertig“; diese Mappen wiederum lose eingelegt in einen braunen Aktenordner, zwischen Mappen und Ordner weiteres Skizzenmaterial (ca. 20 Bl.) besonders betr. „III. Coda“ (= 3 ineinandergelegte Bögen mit Nummerierung 1. – 5. 2. Particell zum Bratschenkonzert, Autograph (11 S.), dann kopfständig Notation für Va und Kl. (Bleistift u. blaue Tinte, 2 S.) und Skizzen zu einem Klaviersatz, durchgestrichen. – Insgesamt 16 S. ohne Einband. 3. Originales Aufführungsmaterial (Stimmen), autogr. Reinschrift, schwarze Tinte auf Lichtpause (Druckvorlage); mit Bleistift durchgestrichen (als ausgesondert markiert) sind: Tutti-Stimmhefte Va (S. 2,8,9,15-17), Vl 2 (S. 5), Vc (S.17), Kb (S. 2,12), insgesamt 10 Bl. und ein kleinformatiger Abschnitt (T. 242-253 der Kb-Stimme). 4. Viola-Tuttistimmheft, gedruckt (nach hs. Vorlage), 19. S., geheftet, mit hs./autogr. Einrichtung (Striche)

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5. Viola-Solostimmheft, gedruckt (nach hs. Vorlage), 12 S., geheftet. – Bartels eigenes Solostimmheft, in Karton gebunden, auf der Vorderseite Bratschenschlüssel als Titel, mit zahlreichen Eintragungen (Fingersatz, Strich, Korrekturen, Tempo- und Dynamikbezeichnungen), z.T. Überklebungen (betr. Kürzung im 3. Satz). – Autographe Notation auf der letzten (unbedruckten) Seite zu „III, 81: Choral“ (Solostimme). – Beiliegend: mangelhafter Abzug der Pos-Stimme, 3 S. mit wenigen hs. Eintragungen betr. Übernahme einiger Passagen durch Hr. bzw. Trp. 6. Viola-Solostimmheft (2 fotokopierte Ex., je 13 S.), ohne Eintragungen 7. Pos-Stimmheft (Fotokopie DIN A3, 3 S.) 8. 7 x S. 9/10 der gedruckten Stimme von Vl 1, z.T. mit angeklebtem Korrekturstreifen (5 x lose beigelegt). – Material mit starkem Wasserschaden (verwaschen, wellig, z.T. mit Lehmrand). 9. Mehrere Konvolute mit unsortiertem Material (Fotokopien der Partitur und der Solostimme, als Kopiervorlage [?] montiert), ca. 150 Bl. 10. „Br.kz. Solostimme“, Fotokopie von S. 10 und abgeschnittenes, gedrucktes Titelblatt mit Kopieranweisungen auf der Rückseite, Anmerkungen zum Stimmenvergleich und Korrekturnachtragungen (Bleistift, roter Kugelschreiber). – Enth. außerdem: Fotokopie der Partitur, S. 119/120 u. 99/100; Fotokopie der gedr. Titelseite; Briefe an H. Blomstedt vom 31.03.97 u. 02.05.?? (masch. Durchschlag); „Nachkorrektur 4.4.97“ (2 S., hs., schwarzer Kugelschr.) geklammert mit hs. Vermerk: „Partitur von Hrn. H-Chr. Bartel am 18.04.97 als Leihmaterial dankend erhalten, Bernhard Heffler, Tonmeister; Instrumentenliste zum Bratschenkonzert (hs., dt./tschech.) 11. Eine Zeichenkarton-Mappe mit Fotokopien der Partitur, z.T. mit hs. Korrekturanmerkungen (in der Mappe lagen ursprünglich auch Fotokopien der Partitur zu "David und Goliath" - Orchesterfassung) 12. „Korrekturseiten Bratschenkonzert / Großfoto Ilg (nicht mehr brauchbar)“, Mappe beinhaltet 14 Negativabzüge (weiß auf schwarz) DIN A3 einiger Partiturseiten. 13. 8 Ex. der gedruckten Partitur (DVfM 1403, ohne Eintragungen).

Aus dem angeführten Beispiel lassen sich mehrere Rückschlüsse ziehen: Eine Struktur für die Sortierung ergibt sich zunächst aus den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Materials, und zwar sowohl in inhaltlicher wie in formaler Hinsicht. Werkgenetisch relevante Texte sind von anderen zu unterscheiden. Verschiedene Entstehungsstufen enthalten die ersten beiden Verzeichnungseinheiten, nämlich Skizzen und einen Entwurf. Stimmen hingegen sind in der Regel Auszüge aus der fertig ausgearbeiteten

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Partitur; insofern gibt es hinsichtlich der Stimmen keine Entstehungsstufen im Sinne der Werkgenese.204 Dennoch lässt das unter Punkt 3.-8. genannte Stimmen-Material Rückschlüsse in einem aufführungspraktischen Kontext zu. Formal ist es nach Autograph und Reproduktion von völlig unterschiedlichem Stellenwert. Dem Solo-Stimmheft Bartels (5.) kommt nicht nur durch die autographen Eintragungen und Notationsvarianten, sondern durch die das Heft umgebende Aura – seine Verwendung durch den Komponisten als Interpreten bei zahlreichen Aufführungen – eine sehr herausgehobene Stellung in der Reihe dieser Werkmanuskripte zu. Bei den heterogenen Konvoluten (9. u. 10.) zeigt sich die zuvor erwähnte Mischung von Materialarten und ihrem Werkbezug. Eine vorschnelle Auflösung der Konvolute würde möglicherweise ihren Entstehungszusammenhang unkenntlich machen. In einem späteren Schritt könnten durch Kassation die Materialien unter Nr. 6.-8. evtl. ganz entfallen und der Bestand unter 13. auf zwei Exemplare reduziert werden. Der Bearbeiter hat sich dieser Unterschiede bei der Feinsortierung stets zu vergewissern, da sich aus ihr die Verzeichnungseinheiten ableiten, die für die anschließende Katalogisierung und damit für die spätere Recherche die entscheidende Grundlage sind. Im angeführten Beispiel wurden einzelne Nummern (6.+7., 4.+8., 11.+12.) bei der Katalogisierung zu jeweils einer Verzeichnungseinheit zusammengefasst und bei der Vergabe der Untersignaturen in der Reihenfolge umgestellt. Bei der praktischen Umsetzung der Feinsortierung im Magazin des Gewandhausarchivs erwies sich die Anfertigung von Sortierprotokollen zur Festlegung der Verzeichnungseinheiten – nicht zuletzt aus räumlichen Gründen – als wichtiger Zwischenschritt vor der Katalogisierung.

Der vierte Schritt der Erschließung bestand in der Katalogisierung der bei der Feinsortierung vorbereiteten Verzeichnungseinheiten. Feinsortierung und Katalogisierung liefen teils parallel (wenn beide Bearbeiter gleichzeitig tätig waren), teils unmittelbar im Anschluss an die Sortierung des Materials zu einem Werk. Die Katalogisierung205 erfolgte mit Hilfe des Datenbanksystems FAUST 7. Dabei wurde auf ein bereits von vorausgegangenen Verzeichnungsarbeiten angelegtes Kategorienschema zurückgegriffen. Im Gewandhausarchiv Leipzig werden Nachlässe unter dem Begriff „Sammlung“ verzeichnet. Für die Bildung einer Signatur zu den Werkmanuskripten im Nachlass Hans-Christian Bartel ergab sich so in Zusammensetzung mit den Initialen des Komponistennamens der Signaturstamm S5/HCB, an den mit Bindestrich Ziffern für Haupt-

204 Das schließt nicht aus, dass ein Komponist im Entstehungsprozess einer Komposition einzelne Stimmverläufe ggfs. auch separat skizziert, insbesondere bei Solo-Stimmen. 205 Der ab hier folgende Text ist auch dem im Anhang beigefügten „Verzeichnis der Werkmanuskripte im Nachlass Hans-Christian Bartel“ vorangestellt.

Praktischer Teil S e i t e | 103 und Untersignatur angeschlossen wurden. Zu jeder Verzeichnungseinheit wurde eine eigene Signatur vergeben. Alle Materialien zu einem Werk erhielten die gleiche Hauptsignatur und in fortlaufender Zählung eine Untersignatur, entsprechend der Anzahl der zu verzeichnenden Einheiten. So wurden z.B. die Materialien zum „Konzert für kleines Orchester und Solobratsche“ in zehn Einheiten gegliedert. Dementsprechend reichen die Signaturen zu diesem Werk von S5/HCB-23-1 bis S5/HCB-23-10. Aus erschließungstechnischen Gründen konnte die Signaturvergabe keine chronologische, systematische oder werkgenetische Ordnung berücksichtigen. Dennoch wurde versucht, bei Werken mit umfangreichem Materialbestand das autographe Material (Skizzen, Partiturentwürfe und Reinschriften) mit den jeweils ersten Untersignaturen zu einem Werk zu belegen. Bei Werken, die nur in einer Verzeichnungseinheit überliefert sind, entfällt die Untersignatur (z.B. S5/HCB-1 oder S5/HCB-25). Zur Verzeichnung der Werkmanuskripte wurden folgende Kategorien belegt:

Bestand Nachlass Hans-Christian Bartel Signatur Komponist Hans-Christian Bartel Lebensdaten 27.11.1932 – 27.12. 2014 weitere Person Werkbezeichnung zusätzliche Angaben musik. Ausgabeform musik. Besetzung musik. Gattung Verlag Materialtyp Datierung Umfang / Format Bemerkungen Standort Archiv, Mendelssohn-Haus Karton

Die unveränderlichen Felder „Bestand“, „Komponist“, „Lebensdaten“ und „Standort“ wurden – wie oben gezeigt – belegt, die Signatur entsprechend den obigen Ausführungen eingetragen. Textautoren oder Widmungsträger wurden in der Kategorie „weitere Person“ erfasst. Im Feld „Werkbezeichnung“ wurde der Titel des zu verzeichnenden Werks angegeben. Auf die Bildung eines Einheitssachtitels wurde verzichtet. Sofern zu einem (Werk-)material kein Titel vorhanden war, wurde ein Titel fingiert und der Eintrag mit eckigen Klammern […] entsprechend kenntlich gemacht. Dies betraf insbesondere Mappen mit Skizzensammlungen (S5/HCB-30, S5/HCB-31 u. S5/HCB-42), Werkentwürfe ohne Titel (S5/HCB-41), ein kleines Konvolut noch fein zu erschließender Solokadenzen (S5/HCB-46), sowie ein Konvolut mit

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Liedbegleitsätzen (S5/HCB-45). Im Feld „zusätzliche Angaben“ wurden autographe Materialbezeichnungen, sofern sie von der Werkbezeichnung wesentlich abwichen oder zur Identifizierung des Materials beitragen, entsprechend einer diplomatischen Titelangabe festgehalten. Für die Belegung der Kategorie „musikalische Ausgabeform“ wurden folgende Termini verwendet: Particell, Partitur, Stimmen / Stimme, Klavierauszug, Aufführungsmaterial, Libretto. Für die Angaben zur „musikalischen Besetzung“ wurden die Bezeichnungen der „Anlage M4a Abkürzungen von Instrumenten, Instrumentengruppen und Vokalstimmen in Einheitssachtiteln“ der RAK-Musik206 verwendet. Für die Zuordnung zu einer „musikalischen Gattung“ konnte auf eine im Datenbanksystem hinterlegte Indexliste mit Gattungsbezeichnungen zugegriffen werden.207 Ein Verlag war – selbstredend – nur bei Druckausgaben oder Fotokopien von Druckausgaben zu nennen. Für die Charakterisierung der physischen Erscheinung des stark heterogenen Materials in Nachlässen ist es bei der Katalogisierung von Werkmanuskripten besonders wichtig, den „Materialtyp“ eindeutig zu benennen. Im gleichlautenden Feld wurden dafür folgende Begriffe verwendet: „Autograph“ für handschriftlich überlieferte Werkmaterialien (Skizzen, Partiturentwürfe, Reinschriften oder auch Originaltyposkripte von Textzusammenstellungen), „Reproduktion“ für im Lichtpausverfahren hergestellte, fotokopierte, gedruckte oder als Computerprint vorliegende Werktexte, „Reproduktion mit autogr. Eintragungen“ für die eben genannten Materialien, sofern sie Eintragungen (z.B. Korrekturen, Fingersätze) von der Hand des Autors enthalten bzw. „Reproduktion mit hs. Eintragungen“, sofern es sich um Einträge von fremder Hand handelt und schließlich „Autograph u. Reproduktion“ für Konvolute, in denen beide Materialtypen enthalten sind. Da Hans-Christian Bartel nur in den bis zu seiner Studienzeit entstandenen Werkmanuskripten Angaben zur Datierung festgehalten hat, bezieht sich die Jahresangabe im Feld „Datierung“ auf das Jahr der Uraufführung oder – im Falle eines vorliegenden Drucks – auf das Jahr der Veröffentlichung und sagt deshalb nichts über die Entstehungszeit des jeweils vorliegenden Werkmaterials aus. Der „Umfang“ einer Verzeichnungseinheit wurde in Blättern (Bl.), Seiten (S.), Exemplaren (Ex.) und Stimmen angegeben; im Falle von Aufführungsmaterial schien gelegentlich eine Unterscheidung zwischen Stimmen und Heften sinnvoll (siehe z.B. S5/HCB-27-18 u. S5/HCB- 27-20). Eine vorgefundene Zählung wurde übernommen; eine ermittelte Zählung durch eckige

206 Regeln für die alphabetische Katalogisierung von Ausgaben musikalischer Werke / [überarb. von der Bayerischen Staatsbibliothek…]. – Leipzig, 2004 207 Die Gattungsbegriffe in dieser Liste sind allerdings inkohärent. Nicht zuletzt aus diesem Grund, sondern auch der besseren Lesbarkeit der Katalogisate halber wurde auf ihre Wiedergabe im „Verzeichnis der Werkmanuskripte“ verzichtet und stattdessen eine nach musikalischen Gattungen geordnete Werkübersicht vorangestellt.

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Klammern kenntlich gemacht. In vielen Fällen war aus Zeitgründen nur eine ungefähre Umfangsangabe möglich (z.B. „ca. 50 S.“, „150 – 200 Bl.“). Auch die Bestimmung des „Formats“ musste aus pragmatischen Gründen auf die Angabe ungefährer Größen beschränkt werden und orientiert sich deshalb an den genormten Formaten nach DIN A5, DIN A4, DIN B4 und DIN A3. Bei Konvoluten von Materialien unterschiedlichen Formats wurde das größte Format genannt (z.B. „versch. Formate bis DIN A3). Im Feld „Bemerkungen“ wurde die jeweilige Verzeichnungseinheit - wo es erforderlich erschien – inhaltlich und formal kurz beschrieben. Dabei wurden z.B. Angaben zur Entstehungsstufe eines Manuskripts, zum Schreib- und Beschreibstoff, zum Provenienz- oder Entstehungszusammenhang, zur Herstellungsart (z.B. „Fotokopie“, „Partiturcollage“) oder auch zum Erhaltungszustand gemacht. Ebenfalls wurden hier handschriftliche Eintragungen charakterisiert, auf inkonsequente Seitenzählungen hingewiesen oder Beilagen (z.B. Briefe, Notizzettel) benannt. Im Feld „Karton“ wird die Nummer des Kartons angegeben, in der die Verzeichnungseinheit abgelegt wurde bzw. wird.208 Im beigefügten Verzeichnis der Werkmanuskripte Hans-Christian Bartels wurden die Kategorien „Bestand“, „Lebensdaten“, „Gattung“ und „Standort“ der besseren Übersicht halber und zur Straffung des Verzeichnisses ausgelassen.

Im letzten Schritt wurden die Werkmanuskripte zur Archivierung vorbereitet. Bereits bei der Feinsortierung wurden die einzelnen Verzeichnungseinheiten in Archivumschläge aus säurefreiem Papier gelegt. Zuvor wurden in konservatorischer Hinsicht schädliche Materialien entfernt. Dies betraf hauptsächlich Klarsichthüllen aus Plastik, in die Hans-Christian Bartel vor allem Reinschriften und Kopiervorlagen von Werkmanuskripten gebündelt hatte. Vier hinsichtlich der Bestandserhaltung wesentliche Probleme konnten indessen nicht gelöst werden. Das erste Problem betrifft Manuskripte, die das Mulde-Hochwasser überstanden haben. Bei diesen Manuskripten sind die Einbände beschädigt, das Papier wellig, die Schrift verblasst, aufgeklebte Korrekturen haben sich abgelöst und es haften ihnen Rückstände von eingeschwemmtem Lehm an. Davon betroffen sind vor allem die wenigen Autographe früher Werke, wie z.B. das Klaviertrio (S5/HCB-35) oder auch die „Sinfonische Ballade für Violine und Orchester“ (S5/HCB-12). Diese Beschädigungen können nur in einer Restaurierungswerkstatt

208 Beim vorläufigen Abschluss der Verzeichnung Ende Januar 2016 konnte aufgrund der zu diesem Zeitpunkt nicht in ausreichender Anzahl vorhandenen Archivkartons lediglich ca. ein Viertel aller katalogisierten Werkmanuskripte in Kartons verpackt werden. Die Kartonnummer ist deshalb nur bei einem Teil der Katalogisate angegeben. (Siehe „Übersicht zu den Archivkartons 1-13“ im Anhang.)

Praktischer Teil S e i t e | 106 behoben werden. Das zweite Problem besteht vornehmlich bei einzelnen Manuskriptseiten, bei denen das Papier sehr brüchig und an den Rändern eingerissen ist, wie z.B. bei den Solo- Kadenzen (S5/HCB-46) und bei einzelnen Blättern in den beiden Skizzensammlungen (S5/HCB-30 u. S5/HCB-31). Ein drittes Problem ergibt sich in den Skizzenkonvoluten zu den beiden Hauptwerken Bartels aus den 60er-Jahren, also bei den Skizzen zum Bratschenkonzert und zum Orchesterkonzert (S5/HCB-23-1 und S5/HCB-39-2-5). In diesen Beständen sind viele bereits oxidierende Büroklammern enthalten, die Bartel dazu verwendet hat, Notationsvarianten an einzelne Manuskriptblätter anzuheften (siehe Abb. 6). Auch dieses Problem konnte im Zuge der gegenwärtigen Erschließung nicht behoben werden, da zum einen ein hoher Zeitaufwand und zum andern eine sehr gewissenhafte Vorgehensweise erforderlich ist, um werkgenetische Zusammenhänge nicht zu zerstören. Das vierte und größte Problem für die Bestandserhaltung aber besteht darin, dass Bartel für die Herstellung seiner Manuskripte (für Korrektureinträge, für das Zusammenkleben von geschnittenen Partiturseiten oder auch für das Zusammenfügen ganzer Bögen bei der Herstellung von Kopiervorlagen) selbstklebende Korrekturbänder verschiedener Breite verwendet hat. Auch dieses Problem kann nur von Restauratoren gelöst werden.

Abbildung 6: Partiturentwurf zum Orchesterkonzert (Ausschnitt, S. 39 unten)

Abschließend wurden die einzelnen Verzeichnungseinheiten in säurefreie Archivmappen verpackt. Die Mappen wurden zuvor auf Materialstärke bzw. –höhe der jeweiligen Verzeichnungseinheit gefalzt, um beim Umschlagen der Mappendeckel das Umknicken der Manuskriptränder zu verhindern und um eine höhere Stabilität der Mappen bei ihrer Stapelung zu erreichen. Auf die Vorderseite der Mappen wurde der Stempel des Gewandhausarchivs Leipzig gestempelt und mit Bleistift die Bestandsangabe („Nachlass Hans-Christian Bartel“), der jeweilige Werktitel und die Signatur der zugehörigen Verzeichnungseinheit eingetragen.

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5.4 Schwierigkeiten Die Materialfülle stellt in modernen Nachlässen ein besonderes Problem dar. Durch die uneingeschränkte Möglichkeit der fotomechanischen Reproduktion von Werkmanuskripten nimmt nicht nur der Umfang der Materialien zu, sondern es wird durch die Weiterverwendung reproduzierter Manuskripte bei der Ausarbeitung eines Werks für den Bearbeiter eines Nachlasses auch schwieriger, die autographen Aufzeichnungen zu einem Werk hinsichtlich ihrer Stellung in der Werkgenese einzuordnen. Durch handschriftliche Eintragungen – seien sie auch noch so marginal – wird eine Reproduktion zum Autograph. In dieser Hinsicht werden zahlreiche Werktexte in Bartels Nachlass in einem weiteren Erschließungsprozess zu sichten, genauer zu sortieren und zu verzeichnen sein. Im Falle Bartels wird dieses Problem dadurch verstärkt, dass er zum einen zu den meisten seiner Werke das Aufführungsmaterial, also Stimmen oder auch Chorpartituren, selbst handschriftlich hergestellt hat und zum andern an vielen seiner Werke auch lange nach „Abschluss“ des Kompositionsprozesses gefeilt hat, in dem er Änderungen und Korrekturen vorgenommen hat. Einem solchen Prozess war insbesondere Bartels zentrales Werk, das Orchesterkonzert, von Anfang an ausgesetzt209 und es wird keine leichte philologische Aufgabe sein, die Werkgenese in den überlieferten Texten nachzuvollziehen und zu dokumentieren. Ein weiteres Problem für die Erschließung der Werkmanuskripte Bartels ergibt sich durch die Überlieferung mehrerer seiner Werke in zwei verschiedenen Fassungen, die entweder durch die spätere Überarbeitung einer frühen Werkfassung zustande kam, wie z.B. bei den drei Kammermusikwerken der Studienzeit (Variationen für Streichquartett, Streichtrio und Oboenquartett) oder aber durch die Bearbeitung eines Klavierwerks (z.B. „Der sensible Tiger“; „David und Goliath“) oder eines Werks für Sologesang bzw. –instrument mit Klavierbegleitung (z.B. Konzertstück für Violoncello und Klavier) für Orchester. Denn hier sind durch die Verwendung eines früheren Materials für die spätere Revision oder Bearbeitung die überlieferten Werkmanuskripte oftmals gemischt, woraus sich für ihre Erschließung nach Werkzugehörigkeit Überschneidungen ergeben. Ganz erhebliche Probleme ergaben sich in dieser Hinsicht bei der Sortierung und Katalogisierung der Manuskripte zu den „Acht Liedern für Bariton und Kammerorchester“ (S5/HCB-5), zumal diese aus einer Fortführung der „Fünf Lieder für eine tiefe Stimme und Klavier“ (S5/HCB-4) hervorgegangen sind. Die inhaltliche Überschneidung und Fülle des Materials im Nachlass Hans-Christian Bartels geht einher mit einer großen Vielfalt seines Erscheinungsbilds. Die Heterogenität des Materials

209 Die Dirigierpartitur Vaclav Neumanns (s. S5/HCB-39-6) gibt eine autographe Reinschrift wieder, die bereits zur Uraufführung 1967 von ursprünglich 650 Takten auf 620 Takte zusammengestrichen wurde.

Praktischer Teil S e i t e | 108 sperrt sich gegen eine Kategorisierung und terminologische Vereinheitlichung. Und genau darin scheint eines der Kernprobleme der Nachlasserschließung – und insbesondere der Erschließung musikalischer Nachlässe – zu bestehen: In den nachgelassenen Werkmanuskripten Hans-Christian Bartels überscheiden sich durchgängig vier verschiedene Materialebenen: 1. die kompositorische Ebene (verbale Notizen, Skizzen, Entwürfe, Reinschrift), 2. eine drucktechnische Ebene (durch Bartels eigene Herstellung von Stimmen bzw. Aufführungsmaterial und von Kopier- und Druckvorlagen), 3. eine aufführungspraktische Ebene (durch Eintragungen von Fingersätzen, Strichen und dynamischen Bezeichnungen) und schließlich 4. eine reproduktionstechnische Ebene (Partituren mit Eintragungen zum dynamischen Verlauf und Schnitt einer Aufnahme, oft in Verbindung mit Aufnahme- und Schnittprotokollen). Diese Schichten auseinanderzuhalten und sauber zu dokumentieren stellt den Bearbeiter – zumal wenn er unter Zeitdruck arbeitet und nicht über einschlägige Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt, vor erhebliche Probleme. Diese materialimmanenten Schwierigkeiten berühren sich mit methodologischen Problemen der Erschließung. Vor Beginn der Katalogisierung hätte die Eingabemaske in FAUST 7 den Erfordernissen der Werkmanuskripte entsprechend angepasst und die zu verwendende Terminologie und die Verzeichnungskriterien genau festgelegt werden müssen. So mussten viele Eingaben im Nachhinein zeitaufwändig korrigiert bzw. vereinheitlicht werden. Unsicherheiten bei der Einteilung des Materials in sinnvolle Verzeichnungseinheiten sind zum Teil auch der mangelnden Erfahrung der Bearbeiter geschuldet und nur durch nochmalige Revision der betreffenden Mappen zu korrigieren. Bei einigen Werken kam es dadurch zu einer zu starken Splittung von z.T. marginalen Materialien.210 Das Problem uneinheitlicher Erschließungsergebnisse wurde zudem durch ungenaue Absprachen zwischen den Bearbeitern und fehlende kontinuierliche Kontrolle der Ergebnisse noch verstärkt, was wiederum mit organisatorischen Problemen, mit der räumlichen Situation und dem sehr engen zeitlichen Rahmen für die komplexe Erschließungsarbeit zusammenhängt.

5.5 Ergebnisse Vom 20. August 2015 bis zum 29. Januar 2016 wurde der gesamte Bestand an kompositorischen Werkmanuskripten im Nachlass von Hans-Christian Bartel in den Magazinräumen des Gewandhausarchivs im Mendelssohnhaus gesichtet, sortiert und in der Archivdatenbank erfasst. Für diesen Teil des Bestands ergaben sich bei der Katalogisierung – verteilt auf 46 Hauptsignaturen – insgesamt 225 Verzeichnungseinheiten. Bei 22 Hauptsignaturen waren

210 Dies gilt insbesondere für die Verzeichnungseinheiten unter den Signaturen S5/HCB-10, S5/HCB-15, S5/HCB-16, S5/HCB-29.

Praktischer Teil S e i t e | 109 keine Untersignaturen zu verzeichnen. Sämtliche verzeichnete Materialien wurden in säurefreie Mappen verpackt. Die vollständige Verpackung der Mappen in Archivkartons stand bei Abschluss der Erschließungsarbeiten noch aus. Mit der geleisteten Erschließungsarbeit wird die Zugänglichkeit zu den nachgelassenen Werkmanuskripten des Komponisten Hans-Christian Bartel im Gewandhausarchiv Leipzig ermöglicht und eine Zitierbarkeit der Quellen erreicht. Auf der Grundlage der im Nachlass befindlichen Werkmanuskripte konnte außerdem eine vorläufige Werkübersicht zum Schaffen des zu Lebzeiten international beachteten Komponisten erarbeitet werden. Die Erstellung eines detaillierten Werkverzeichnisses steht indessen noch aus.

5.6 Desiderate Im Anschluss an diese erste Phase der Erschließung des Nachlasses von Hans-Christian Bartel sollte die Erschließung der übrigen Materialien erfolgen, da sie teilweise nur provisorisch in den Magazinregalen eingelagert wurden. Hier wären an erster Stelle weitere werkbezogene und autobiographische Manuskripte bzw. Typoskripte zu nennen. Diese sind oft im Zusammenhang mit Aufführungen der Werke Bartels als Werkbesprechungen und Künstlerbiographie für das jeweilige Programmheft entstanden. Einzelne Typoskripte mit Auflistungen der Werke Bartels sind zumeist im gleichen Kontext zu sehen.211 Die spätere Verzeichnung der von Bartel gesammelten Konzertprogramme müsste hierauf Bezug nehmen und zur Datierung der weitestgehend undatierten Texte insbesondere auch die Programmsammlung des Gewandhausarchivs berücksichtigen. Der nächste große Materialkomplex ist aus Bartels Arbeit als Tonmeister bei der Aufnahme eigener Werke und Werke anderer Komponisten entstanden und setzt sich aus drei verschiedenen Materialarten zusammen, nämlich aus Manuskripten (Aufzeichnungs- und Schnittprotokolle), Musikalien (zumeist gedruckt und oft mit handschriftlichen Anmerkungen) und Tonträgern (Tonbänder, DAT-Cassetten, CDs). Ziel der Erschließung dieses Materialbestands ist die Dokumentation von Bartels Schaffen als Tonmeister. Darüber hinaus lassen sich aus dem Vergleich der Aufnahmen seiner eigenen Werke mit den zughörigen Werkmanuskripten wichtige Rückschlüsse bezüglich der von Bartel selbst für gültig befundenen Fassungen seiner Werke ziehen. Die Erschließung dieses Nachlassbestands ist nur in Kooperation mit der hausinternen Abteilung für Tontechnik bzw. dem Tonarchiv zu leisten

211 Ein Typoskript aus diesem Teilbestand wurde vermutlich von Ulrike Liedtke im Zusammenhang mit deren Artikel zu Hans-Christian Bartel im Supplementband der MGG angefertigt. Diese Vermutung legt auch die anders geartete Schrifttype des Typoskripts nahe.

Praktischer Teil S e i t e | 110 und ist umso dringlicher, als es für die Tonträger anderer Lagerbedingungen bedürfte, als für die schriftlichen Bestände. Und schließlich sollten die weiteren Materialhauptgruppen „Korrespondenz“, „Lebensdokumente“ und „Sammlungen“ erschlossen werden. Vor allem sei hier ein im Nachlass erhaltenes Konvolut unsortierter handschriftlicher Briefentwürfe genannt, die für die Erschließung und Konservierung insofern große Schwierigkeiten bereiten, als sie von Bartel anscheinend als Unterlage bei Klebearbeiten (bei der Partiturherstellung?) verwendet wurden und deshalb teilweise miteinander verklebt sind. Hier muss der Erschließung eine restauratorische Maßnahme vorausgehen. Nach Abschluss der Ordnung und Katalogisierung des Nachlasses sollte eine Überarbeitung der Verzeichnung bzw. des Bestands der Werkmanuskripte in einigen Punkten erfolgen. Zunächst sollten – wie bereits erwähnt – einige zu stark untergliederte Signaturgruppen zusammengefasst werden. Bei der weiteren Feinerschließung sollte die Kassation überflüssiger Materialien erfolgen. Für die inhaltliche Erschließung könnte in diesem Zusammenhang auch die Verzeichnung von in den Werkmanuskripten verstreuten Notationen verschiedener Werkfragmente in einem „Kreuzkatalog“ erfolgen, der ihre Fundstellen in den verschiedenen Verzeichnungseinheiten nachweist und dem jeweiligen Werk zuordnet. Diese inhaltliche Erschließung sollte insbesondere die beiden Skizzensammlungen (S5/HCB-30 und S5/HCB- 31) nach enthaltenen Werken bzw. Werkentwürfen ordnen und dokumentieren. Für eine einfachere Aushebung bei späteren Anfragen oder Bestandsarbeiten sollte die Ablage der Mappen in den Archivkartons nicht – wie begonnen – gemischt erfolgen, sondern die Signaturabfolge – trotz unterschiedlicher Formate und Anzahl der Untersignaturen – strikt einhalten. Als Schutzmaßnahme und zu Dokumentationszwecken sollte auch eine Digitalisierung zumindest der rein autographen Werkmanuskripte (Skizzen, Entwürfe, Reinschriften), besonders aber der unikal überlieferten Werke (z.B. Klaviertrio, Klaviersonate, Temperamente, Sinfonische Ballade für Violine und Orchester etc.) erfolgen, um im Anschluss daran die oben benannten konservatorischen Maßnahmen durchzuführen. Ein grundsätzliches Problem aber besteht hinsichtlich der Sichtbarkeit der Sammlungsbestände des Gewandhausarchivs. Von außen besteht keinerlei Möglichkeit, über die hier gesammelten Archivalien etwas zu erfahren. Dies wäre gerade in Bezug auf Nachlässe umso wichtiger, als es sich hier um personenbezogene Bestände privater Provenienz handelt, von denen niemand ihren Standort kennen oder überhaupt von ihrer Existenz etwas wissen kann. Es wäre deshalb erforderlich, auf der Homepage des Gewandhauses nicht nur eine allgemeine Übersicht über

Praktischer Teil S e i t e | 111 die historischen Sammlungen des Archivs zu geben, sondern erst recht die Öffentlichkeit über die im Haus aufbewahrten Nachlassbestände wenigstens durch Nennung der Nachlassbildner zu informieren. Erst durch die öffentliche Sichtbarkeit und allgemeine Zugänglichkeit werden Archivbestände für die Forschung nutzbar und erst dann ist eines der wesentlichen Ziele der Bestandserschließung erreicht. Aus dem gleichen Grund sollten die Nachlässe des Gewandhausarchivs mit Gesamtaufnahmen zu jedem Bestand an die Kalliope-Verbunddatenbank mitgeteilt werden. Das Gewandhausarchiv könnte dann auch von der kooperativen Nachlasserschließung profitieren, indem es die weitere Katalogisierung mit der speziell für Nachlässe entwickelten Verbundsoftware Kalliope fortführt und dadurch auch die Nutzung von Normdaten möglich wird. Die in Kalliope neu angelegten Datensätze könnten über Schnittstellen in die hauseigene Datenbank FAUST 7 übermittelt werden. „Sollte im Rahmen der geplanten Weiterentwicklung des RISM-OPAC die Anzeige von Institutions- oder Sammlungsbeständen dergestalt realisiert werden, dass bei Nachlässen eine Gesamtaufnahme zum Nachlass erstellt wird“212, dann könnte auch die Katalogisierung von Musikhandschriften in Nachlassbeständen des Gewandhausarchivs mit diesem kooperativen Erschließungsmittel erfolgen und ihre Sichtbarkeit auf ein dem traditionsreichen, weltberühmten Konzerthaus angemessenes, internationales Niveau gehoben werden.213 Mit der Erschließung der übrigen Materialien im Nachlass von Hans-Christian Bartel wäre dann der Weg für die Erarbeitung eines quellenfundierten Werkverzeichnisses, das auch Manuskripte und andere schriftliche Quellen außerhalb des Nachlasses zu berücksichtigen hat, geebnet und es könnte damit ein wichtiges Mittel zur Rezeption dieses künstlerisch so hoch stehenden, noch immer zu wenig beachteten und doch für die jüngere deutsche Musikgeschichte so signifikanten Komponisten geschaffen werden.

212 Talkner, a.a.O., S. 83 213 Bisher sind keine Einträge unter dem RISM-Sigel des Gewandhausarchivs Leipzig (D-LEg) im RISM-OPAC verzeichnet. (Stand: 06.07.2016)

Quellenverzeichnis S e i t e | 112

6. Quellenverzeichnis

6.1 Gedruckte Quellen

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Das Mozart-Lexikon : mit 642 Stichwörtern ... sowie einem Werkverzeichnis und einer Chronik / hrsg. von Gernot Gruber ... – Laaber : Laaber, 2005. – 933 S. : Ill., Notenbeisp. (Das Mozart-Handbuch ; 6) ISBN 3-89007-466-9

Musiksammlungen in den Regionalbibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz / hrsg. von Ludger Syré. – Frankfurt am Main : Klostermann, 2015. – 446 S. : Ill, Notenbeisp. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderbände ; 116) ISBN 978-3-465-04235-8

Die Nachlässe in den deutschen Archiven / bearb. von Wolfgang A. Mommsen. – Boppard am Rhein : Boldt, 1971. – XXIX, 582 S. (Verzeichnis der schriftlichen Nachlässe in deutschen Archiven und Bibliotheken ; 1) ISBN 3-7646-1544-3

Die Nachlässe in den Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland / bearb. von Ludwig Denecke. – 2. Aufl., völlig neu bearb. / von Tilo Brandis. – Boppard am Rhein : Boldt, 1981. – XXX, 538 S. (Verzeichnis der schriftlichen Nachlässe in deutschen Archiven und Bibliotheken ; 2) ISBN 3-7646-1802-7

Neubacher, Jürgen: Die Musiksammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: ihre Geschichte und Bestände / Jürgen Neubacher. // In: Musiksammlungen in den Regionalbibliotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz / hrsg. von Ludger Syré. – Frankfurt am Main : Klostermann, 2015. – S 155-167 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderbände ; 116) ISBN 978-3-465-04235-8

Nyffeler, Max: Was tun mit dem Nachlass : eine Tagung internationler Komponisteninstitute im Orff Zentrum München / Max Nyffeler // In: Neue Musik Zeitung. – 49 (2000), 10, S. 44

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Quel avenir pour mes oeuvres et mes archives? : rapport final / Colloque sur l'archivage de fonds musicaux, Berne, 4 mai 1996 = Was geschieht mit meinen Werken und Sammlungen? : Schlussbericht / Kolloquium über die Archivierung von Musiknachlässen, Bern, 4. Mai 1996 = Qual è il destino delle mie opere e raccolte? : rapporto conclusivo / Colloquio sull'archivazione di fondi musicali, Berna, 4 maggio 1996. - Bern : Secrétariat de la Commission nationale suisse pour l'UNESCO, c/o Département fédéral des affaires étrangères, 1997. – 81 S.

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FAUST 7 : Handbuch Kurzform [Elektronische Ressource] / Doris Land Software-Entwicklung [Stand: Juni 2016]. – Oberasbach : Doris Land Software-Entwicklung. – 97 S. – Online-Ressource URL: http://www.land-software.de/webinfo.fau/FAUST8-Handbuch- Kurzform.pdf?sid=612F13932&art=3&tt=FAUST8-Handbuch-Kurzform.pdf Gesehen: 19.07.2016. [Im Juni 2016 wurde FAUST 7 durch die neue Version FAUST 8 abgelöst.]

Handbuch zu Kallisto : Richtlinien und technische Dokumentation zur Erfassung musikalischer Quellen innerhalb des RISM [Elektronische Ressource] / RISM-Zentralredaktion. – Stand: 07.03.2008. – Frankfurt am Main. – 119 S. URL: http://www.rism.info/fileadmin/content/Kallisto-Handbuch_dt_2008-03-07_01.pdf Gesehen: 13.07.2016

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Der Kalliope-Verbund [Elektronische Ressource] / Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz. – Online-Ressource URL: http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ueber-kalliope/historie.html Gesehen: 13.07.2016

Merkblatt : Erschließung und Digitalisierung [Elektronische Ressource] / Deutsche Forschungs- gemeinschaft. – Bonn : Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2015. – 10 S. – Online-Ressource URL: http://www.dfg.de/formulare/12_15/12_15_de.pdf Gesehen: 14.07.2016

Musik : Nachlässe und Sammlungen [Elektronische Ressource] / Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz. – Online-Ressource. - URL: http://staatsbibliothek-berlin.de/die- staatsbibliothek/abteilungen/musik/sammlungen/bestaende/nachlaesse/ Gesehen: 13.07.2016

Musikarchiv : Eberhardt Klemm [Elektronische Ressource] / Archiv der Akademie der Künste. – Stand: 16.03.2016. – Berlin : Akademie der Künste. – Online-Ressource URL: http://www.adk.de/de/archiv/archivbestand/musik/index.htm?hg=musik&we_objectID=134&seachfor Gesehen: 13.07.2016

Musiknachlässe in der BSB [Elektronische Ressource] / Bayerische Staatsbibliothek München. – Online-Ressource URL: https://www.bsb-muenchen.de/die-bayerische- staatsbibliothek/abteilungen/musikabteilung/nachlaesse/ Gesehen: 20.07.2016

Nachlässe im Deutschen Komponistenarchiv : ein Leitfaden für Komponisten [Elektronische Ressource] / Deutsches Komponistenarchiv Hellerau. – Dresden: Europäisches Zentrum der Künste. – [5] S. – Online-Ressource URL: http://www.komponistenarchiv.de/wp-content/uploads/Infomaterial/Leitfaden.pdf Gesehen: 13.07.2016

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Nachlässe und personengebundene Sammlungen der BSB-Musikabteilung [Elektronische Ressource] / Bayerische Staatsbibliothek München. – Online-Ressource URL: https://www.bsb- muenchen.de/fileadmin/imageswww/images140x70/musikabteilung/Nachlassgesamtverzeichnis_M. pdf Gesehen: 20.07.2016

Netzwerk Historische Orchesterarchive : Gruppenprofil [Elektronische Ressource] / Raphaël Rippinger. – Online-Ressource URL: https://de.linkedin.com/grps/Netzwerk-Historische-Orchesterarchive-6524266/about (Gesehen: 19.07.2016)

Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) / betreut von der Staats- bibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und der Österreichischen Nationalbibliothek. – Stand: 04.02.2010. – Berlin [u.a.] : Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 2010. – 84 S. – Online-Ressource URL: http://kalliope- verbund.info/_Resources/Persistent/5bf5cd96ea4448bfec20caf2e3d3063344d76b58/rna-berlin-wien- mastercopy-08-02-2010.pdf Gesehen: 12.07.2016

Die RISM-Daten als Open Data und Linked Open Data [Elektronische Ressource] / RISM- Zentralredaktion. – Stand: 16.04.2015. – Frankfurt am Main. – Online-Ressource URL: http://www.rism.info/de/startseite/newsdetails/select/electronic_resources/article/2/rism- data-as-open-data-and-linked-open-data.html Gesehen: 13.07.2016

Silbermann, Johann Andreas: Anmerckungen derer Auf meiner Sächsischen Reysse gesehenen Merckwürdigkeiten Wie ich solche an unterschiedenen Orten meist nur kürtzlich aufgeschrieben / Johann Andreas Silbermann. – [s.l.]. – 219 Bl. – Online-Ressource URL: http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/111740/1/ Gesehen: 26.06.2016

Systematik für Nachlassbestände [Elektronische Ressource] / Deutsches Komponistenarchiv Hellerau. – Dresden: Europäisches Zentrum der Künste. – Online-Ressource URL: http://www.komponistenarchiv.de/bestande-und-katalog/archiv-systematik/ Gesehen: 14.07.2016

Talkner, Katharina: I’ve got the RISM and You’ve got the music! : moderne Wege zur effizienten Erschließung musikalischer Nachlässe / Katharina Talkner. // In: Perspektive Bibliothek. – ISSN 2194-8992. – 2.2 (2013), S. 75-103. – Online-Ressource URL: http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/bibliothek/issue/view/1350 Gesehen: 12.07.201 [Verkürzte Ausgabe in: Forum Musikbibliothek. – ISSN 0173-5187. – 35 (2014), 1, S. 32-38]

Quellenverzeichnis S e i t e | 120

Über die Stiftung [Elektronische Ressource] / Paul Sacher Stiftung. – Basel. – Online-Ressource URL: https://www.paul-sacher-stiftung.ch/de/ueber-die-stiftung.html Gesehen: 13.07.2016

Weltdokumentenerbe in Österreich [Elektronische Ressource] /Austria-Forum – Stand: 21.12.2012. – Graz : Austria Forum. – Online-Ressource URL: http://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Weltdokumentenerbe_in_%C3%96sterreich Gesehen: 13.07.2016

Werksammlungen im Deutschen Komponistenarchiv : ein Leitfaden [Elektronische Ressource] / Deutsches Komponistenarchiv. – Hellerau : Europäisches Zentrum der Künste Dresden. – 5 S. URL: http://www.komponistenarchiv.de/wp-content/uploads/Infomaterial/Leitfaden.pdf Gesehen: 14.07.2016

Zentrale Datenbank Nachlässe : Einführung [Elektronische Ressource] / Bundesarchiv. – Koblenz : Bundesarchiv. – Online-Ressource URL: http://www.nachlassdatenbank.de/ Gesehen: 13.07.2016

6.3 Tonträger

Alexander Paley plays Blüthner. – Störmthal : Blüthner, 1999. – 1 CD. ; 12 cm. + Beil. Enth. Werke und Bearbeitungen von Werken von Franz Liszt, Felix Mendelssohn Bartholdy, Nikolay A. Rimsky-Korsakov.

6.4 Unveröffentlichte Quellen

Abschluss-Zeugnis der Oberschule vom 28.06.1951. – Dokument im Nachlass. – [ohne Sign.] – 1 Bl.

Bartel, Hans-Christian: Brief an Alexander Paley vom 25.07.2000 / Hans-Christian Bartel. – [Fotokopie]. – [ohne Sign.] – 1 Bl.

Bartel, Hans-Christian: Brief an Mariss Jansons vom 05.03.2011 / Hans-Christian Bartel. – [Fotokopie]. – [ohne Sign.] – 1 Bl.

Bartel, Hans-Christian: Joachim Näther : zum Gedenken / Hans-Christian Bartel. – Typoskript im Nachlass. – [ohne Sign.] – o.J. – 3 S.

Bartel, Hans-Christian: [Vita 1] ; [A) Hans-Christian Bartel, B) Hindernisse, C) Komposition] / Hans-Christian Bartel. – Typoskript im Nachlass. – [ohne Sign.] – o.J. – [2 S.]

Quellenverzeichnis S e i t e | 121

Bartel, Hans-Christian: [Vita 2] : Hans-Christian Bartel geb. 27.11.1932 / Hans-Christian Bartel. – Typoskript im Nachlass. – o.J. – [ohne Sign.] – 3 S.

Bartel, Hans-Christian: Zum Gedenken an Bernhard Klein : zum 100. Geburtstag / Hans-Christian Bartel. – Typoskript im Nachlass. – [o. Sign.]. – o.J. – 2 S.

Robert-Schumann-Konservatorium Zwickau: Bescheinigung / Robert-Schumann-Konservatorium Zwickau. – Dokument im Nachlass. – [ohne Sign.] – Zwickau, 29.03.1958

Schinköth, Thomas: Gespräche Sommer und Herbst 2012 : [Interview mit Hans-Christian Bartel] / Thomas Schinköth. – [unveröffentlichtes Typoskript]. – [19 S.]

Schinköth, Thomas: Interview mit Hans-Christian Bartel vom 27.06.2002 / Thomas Schinköth. – [unveröffentlichtes Typoskript]. – [4 S.]

* * *

Anhang 1 S e i t e | 122

Anhang 1

Werkverzeichnis und Bibliographie zu Hans-Christian Bartel 1. Vorbemerkung ...... 123

2. Vorläufiges Verzeichnis der Werke von Hans-Christian Bartel ...... 124

3. Vertonte Texte ...... 129

4. Texte von Hans-Joachim Näther ...... 131

5. Bibliographie ...... 132 5.1 Veröffentlichte Werke ...... 132 5.2 Unveröffentlichte Werke außerhalb des Nachlasses ...... 133 5.3 Archivalische Quellen außerhalb des Nachlasses ...... 133 5.4 Diskographie ...... 133 5.5 Hans-Christian Bartel gewidmete Werke ...... 134 5.6 Literatur zu Hans-Christian Bartel ...... 135 5.7 Werke Bartels in Repertoireverzeichnissen ...... 136 5.8 Rundfunksendung ...... 137

Anhang 1 S e i t e | 123

1. Vorbemerkung Das nachfolgende Verzeichnis der Werke von Hans-Christian Bartel, das im Zusammenhang mit der Erschließung der in seinem Nachlass überlieferten Werkmanuskripte entstanden ist, musste sich auf wenige Angaben beschränken. Es kann vorläufig lediglich einen ersten Überblick über das kompositorische Werk Bartels bieten. Ein ausführliches, quellenkritisches Werkverzeichnis macht selbstredend neben der formalen und inhaltlichen Untersuchung der Werkmanuskripte und der Auswertung sekundärer Quellen wie Korrespondenzen, Aufnahmen, Programmhefte und gedruckter Werkausgaben auch die Erforschung von Quellen erforderlich, die nicht im Nachlass überliefert sind, um verlässliche Daten zur Entstehungszeit, zur Quellenlage, zur Anlage der einzelnen Werke, zu ihrem Umfang, zu Varianten, zu Auftraggebern und Widmungsträgern, zu Uraufführungen, zu Einspielungen und zur Werkgeschichte im Allgemeinen erforderlich. Eine derartige Quellenuntersuchung war im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, zumal ein großer Teil der Nachlassdokumente zuerst noch erschlossen werden muss. Für die weitere Erschließungsarbeit aber kann das vorläufige Werkverzeichnis eine wichtige Hilfestellung bieten. Das Werkverzeichnis ist in die vier Gruppen „Jugendwerke“, „Hauptwerke“, „Gelegenheitswerke“ „Verschollene Werke“ und „Solokadenzen“ untergliedert und innerhalb dieser Gruppen chronologisch angelegt. Da Bartel lediglich in den Werkmanuskripten bis Mitte der Fünfzigerjahre Daten zur Entstehung eines Werkes festgehalten hat, richtet sich die Chronologie der übrigen Werke nach dem Jahr der Uraufführung. Die beigefügte Bemerkung ist auf die Nennung der Quelle zur Datierung oder – bei den verschollenen Werken – zu ihrer Titelangabe beschränkt. Als Quellen dienten eine von Bartel selbst angelegte (unvollständige und aus dem Gedächtnis niedergeschriebene) Werkliste, das sehr knappe Werkverzeichnis, das Ursula Stürzbecher ihrer Gesprächsaufzeichnung von 1979 angefügt hat214, sowie vor allem die Angaben, die Ulrike Liedtke in ihrem Artikel zu Hans-Christian Bartel im Supplement-Band der Enzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“215 bis 2008 festgehalten hat. Die sich durch Gliederung und Chronologie ergebende Werkfolge wurde fortlaufend nummeriert. Zu den im Nachlass überlieferten Werken wird mit der entsprechenden Signatur auf die im Anhang 2 verzeichneten Manuskripte verwiesen. Dem Werkverzeichnis folgt ein Verzeichnis der vertonten Texte, sowie die außerhalb des Nachlasses nicht zugänglichen Texte Hans-Joachim Näthers, die Bartel vertont hat. Die sich anschließende Bibliographie ist als Grundlage für die weitere Forschung zusammengestellt.

214 Stürzbecher, Ursula: Komponisten in der DDR, S. 317 215 Liedtke, Ulrike: Bartel, Hans-Christian. – In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart : Supplement, Sp. 32f.

Anhang 1 S e i t e | 124

2. Vorläufiges Verzeichnis der Werke von Hans-Christian Bartel Jugendwerke 1 Appassionato – Furioso : für Violine und Klavier S5/HCB-37a [1943] – „mit 11 Jahren“

2 Schneewittchen : eine Märchenoper S5/HCB-30 [1946] – siehe Liedtke

3 Elegie : für Violine und Klavier S5/HCB-37b [1946] – „mit 14 Jahren“

4 Kleine Suite für F-Blockflöte und Geige S5/HCB-36 1949 – Musikdruck; Datierung: 22.12.1949

5 „Zweierlei“ : [Kuliweb-Song] S5/HCB-6 1950 – nach einem Text von Joachim Näther Datierung: Februar 1950 u. 12.02.1950

6 Rondo für Violine und Klavier S5/HCB-33 1950 – Datierung: Juni 1950

Hauptwerke

7 Drei „Lieder der Zeit“ : für eine tiefe Singstimme und Klavier S5/HCB-7 1951 – Siehe auch Revision 1997

8 Trio für Klavier, Violine und Violoncello S5/HCB-35 1952 – Datierung: April 1952

9 Sonate für Klavier S5/HCB-32 1953 – Datierung: Herbst 1953

10 Variationen für Streichquartett S5/HCB-16 1953 – Revision 1993

11 Trio für Violine, Viola und Violoncello S5/HCB-8 1954 – Revision 1997

Anhang 1 S e i t e | 125

12 Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello S5/HCB-10 1955 – Revision 1997; Fassung mit Klarinette 2002

13 Tripelfuge für vierstimmigen gemischten Chor und Streichorchester Ms 1 1956 – Prüfungsaufgabe; nachträglich unterlegter Text: „Künstlerlied“ HMT Leipzig von J. W. von Goethe (Strophe 1 u. 2)

14 Sinfonische Ballade für Violine und Orchester S5/HCB-12 1956 – Identisch mit: „Konzertstück für Violine und Orchester“ in: HMT Leipzig: M.pr.I/12 – Vermutlich identisch mit dem bei Stürzbecher und Liedtke genannten „Violinkonzert“ (1956)

15 Konzert für kleines Orchester und Solobratsche S5/HCB-23 1963 – Datierung bei Liedtke 1959/60, bei Stürzbecher 1961, bei Sporn 1963

16 Konzert für Orchester S5/HCB-39 1967

17 Konzertstück für Violoncello und Klavier S5/HCB-9 1988 – Bearbeitung 1990 für Violoncello und Kammerorchester

18 Konzertstück für Violoncello und Kammerorchester S5/HCB-3 1990

19 Immer nur b-a-c-h für eine Geige S5/HCB-11 1996 – Auftragswerk für den X. Internationalen Bach-Wettbewerb Leipzig

20 Drei „Lieder der Zeit“ : Das Jahr 45 – Aufbau – Der Denunziant S5/HCB-7 1997 – Neufassung von „Der Denunziant“

21 Sonatine für Violoncello solo S5/HCB-38 1998 – Auftragswerk für den XII. Internationalen Bach-Wettbewerb Leipzig

22 Lautdato si, mi signore… : aus dem Sonnengesang des Hl. Franz von Assisi 1999 S5/HCB-28

Anhang 1 S e i t e | 126

23 "Ja, du bist frei, mein Volk" - ["Keller-Chor"] S5/HCB-41 [1999] – Fragment eines Entwurfs; Datierung nach Briefbeilage

24 David und Goliath : Klavierstück S5/HCB-24 2000 – Bearbeitung 2003 für Orch.

25 David und Goliath : Szenen für Orchester S5/HCB-29 2003

26 Der sensible Tiger : Klavierstück S5/HCB-15 2005 – Bearbeitung 2007 für Orchester

27 Fünf Lieder für tiefe Stimme und Klavier S5/HCB-4 2005 – Erster Teil der "Acht Lieder für Bariton und Kammerorchester"

28 Acht Lieder für Bariton und Kammerorchester S5/HCB-5 2006

29 Der sensible Tiger : Momente für kleines Orchester S5/HCB-26 2007

30 Konzert für Violine und Orchester S5/HCB-40 2008 – Auftragswerk für Thomas Zehetmair

31 Vokalsinfonie : Lieder vom Menschen S5/HCB-27 2012

32 Temperamente für kleines Orchester oder Ensemble S5/HCB-1 [undatiert] – Ist nirgends erwähnt. Zuordnung zu einem der verschollenen Werke (Nr. 52 oder 53)?

33 [Vier Stücke für Klavier] S5/HCB-25 [undatiert] – Sehr wahrscheinlich späte Stücke.

34 Nr. 132 (Marsch) S5/HCB-4 [undatiert] – Stück aus einer nur teilweise ausgeführten, umfangreichen Etüdensammlung für Vc solo, s. S5/HCB-30 „Cello-Etüden (Pank-Eichhorn)“

Anhang 1 S e i t e | 127

Gelegenheitswerke

34 Variationen über das Volkslied "Alle Weil ein wenig lustig sein" S5/HCB-18 [1962] – für das Orchester des Kirow-Werkes Leipzig; Datierung nach Liedtke

35 Hoch soll er leben S5/HCB-21 [1982] – Anlaß: Prof. Gerhard Bosses 60. Geburtstag

36 Die Schnecke Maria : ein Konzertmelodram, Opus 3 S5/HCB-20 [vor 1983] – s.a.: S5/HCB-31, Skizzenmappe "Jahresablaufpläne", beiliegend ein Brief von H.-M. Benecke vom 05.01.1983

37 Duo für Viola und Violoncello S5/HCB-17 1985 – für sein Patenkind Stephan Schultz (geb. 1972)

38 Klavierbüchlein für Marcus : 10 leichte bis mittelschwere Stücke für geschickte Kinder S5/HCB-13 1998 – Veröffentlicht im Verlag Kamprad, Altenburg (2004).

39 Fünf Miniaturen für viele Cellisten S5/HCB-22 2000 – „Meinem lieben Freund Josef Schwab“

40 Rainer der Gute : große Konzertarie mit Geige S5/HCB-14 2005 – Humoristisches Geburtstagsständchen für Bartels Neffen Reinhard Schramme

41 Violinstück für Christa Maria Ziese S5/HCB-2 [undatiert] – Die Opernsängerin Christa Maria Ziese (Sopran) war von 1954 bis 1977 an der Oper Leipzig engagiert.

42 "Auftragswerk" und "Fr." S5/HCB-19 [undatiert] – Vermutlich für das Orchester des Kirow-Werks Leipzig

43 Rondo für Violoncello und Klavier S5/HCB-34 [undatiert]

Anhang 1 S e i t e | 128

Verschollene Werke 44 ca. 40 Duette für zwei Violinen [nicht erhalten] [vor 1951] – „im Alter von 11-14 Jahren komponiert“; in Bartels „Werkverzeichnis (Auszug)“: „ca. 50 Violinduette“ 45 5 Sonaten für Violine und Klavier [nicht erhalten] [vor 1951] – s. Bartels eigene Werkliste

46 3 Sonaten für Klavier [nicht erhalten] [vor 1951] – s. Liedtke; eine davon evtl. 1953 (s. Nr. 9, S5/HCB-32)?

47 2 Streichquartette [nicht erhalten] [vor 1951] – So von Bartel in „Werkverzeichnis (Auszug)“ angegeben; eines davon vermutlich „Variationen für Streichquartett" 1953 (s. Nr. 10, S5/HCB-16)

48 „eine lange Filmmusik“ [nicht erhalten] [vor 1951] – siehe [Vita 2], S. 3

49 Sonate für zwei Violinen und Klavier [nicht erhalten] 1944 – siehe Liedtke

50 Kantate nach einem Text von Max Mell [nicht erhalten] 1948 – siehe Liedtke

51 "Ja, du bist frei, mein Volk" : [Chorsatz zu dem Gedicht "Warnung" [nicht erhalten] von Gottfried Keller] [1949] - Datierung nach einem Brief an Dr. Renate Richter vom 04.03.1999

52 Variationen für Orchester [nicht erhalten] 1954 – siehe Werkverzeichnisse von Liedtke und Stürzbecher

53 Zwei Rhapsodien für Orchester [nicht erhalten] 1955 – siehe Werkverzeichnis v. Liedtke. In Bartels „Werkverzeichnis (Auszug)“: „1 Rhapsodie für Orchester“[?]

Solokadenzen 54 Solokadenzen S5/HCB-46 [undatiert] – u.a. zu Konzert für Va und Orch op.1 von Carl Stamitz

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3. Vertonte Texte

Autoren Titel Textanfänge Werke

Assisi, Franz von (1181 - 1262) Sonnengesang Laudato si, mi Signore Laudato si, mi Signore

Führer, Richard (*2000) Dank Der Tag, oh Herr, ist nun vergangen Vokalsinfonie Versprechen Du, Teufel, fragtest mich Vokalsinfonie

Goethe, Johann Wolfgang von (1749 - 1832) Das Göttliche Edel sei der Mensch Vokalsinfonie Künstlerlied Zu erfinden, zu beschließen [Tripelfuge/Hausarbeit] Mailied Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Vokalsinfonie

Heine, Heinrich (1797 - 1856) Dass du mich liebst Dass du mich liebst, das wusst ich Vokalsinfonie Der Brief Der Brief, den du geschrieben Vokalsinfonie Es stehen unbeweglich Es stehen unbeweglich Vokalsinfonie Fragen Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer Vokalsinfonie Hast du die Lippen Hast du die Lippen mir wund geküsst Vokalsinfonie Herz, mein Herz Herz, mein Herz, sei nicht beklommen Acht Lieder

Hesse, Hermann (1877 - 1962) Ich fragte dich Ich fragte dich, warum dein Auge gern Vokalsinfonie Im Altwerden Jung sein und Gutes tun, ist leicht Vokalsinfonie Jeden Abend Jeden Abend sollst du deinen Tag Vokalsinfonie Liebeslied Wo mag meine Heimat sein? Vokalsinfonie Pfeifen Klavier und Geige, die ich wahrlich schätze Vokalsinfonie Weil ich dich liebe Weil ich dich liebe, bin ich des Nachts Vokalsinfonie

Keller, Gottfried (1819 - 1890) Warnung Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten Vokalsinfonie

Lasker-Schüler, Else (1869 - 1945) Meinlingchen Meinlingchen sieh mich an Vokalsinfonie Weltende Es ist ein Weinen in der Welt Vokalsinfonie

Morgenstern, Christian (1871 - 1914) Das Wasser Ohne Wort, ohne Wort Acht Lieder Die beiden Esel Ein finstrer Esel sprach einmal Acht Lieder Es pfeift der Wind Es pfeift der Wind. Was pfeift er wohl? Acht Lieder Mopsenleben Es sitzen Möpse gern auf Mauerecken Acht Lieder Nacht am Flusse Sitzen eine Sternennacht und lauschen Vokalsinfonie Schiff "Erde" "Ich will den Kapitän sehn", schrie Vokalsinfonie

Näther, Hans-Joachim (1929 - 1950) Aufbau Hoch in den Lüften Drei „Lieder der Zeit“ Das Jahr 45 Sturm zauste das Land Drei „Lieder der Zeit“ Der Denunziant Schmutziger als Kot Drei „Lieder der Zeit“ Zweierlei Der Neger Jim und der Soldat Frank [Kuliweb-Song]

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Nietzsche, Friedrich (1844 - 1900) Also sprach Zarathustra Wozu die "Welt" da ist Vokalsinfonie Der realistische Maler "Treu die Natur und ganz!" Vokalsinfonie Einladung Wagts mit meiner Kost, ihr Esser! Acht Lieder Vereinsamt Die Krähen schrein Vokalsinfonie

Psalm Der 131. Psalm Herr! Meine Augen sind nicht hoffärtig Acht Lieder

Ringelnatz, Joachim (1883 - 1934) An M. Die du meine Wege mit mir gehst Vokalsinfonie Es lohnt sich doch Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein Vokalsinfonie Jung sterben Jung sterben - in besten, noch hoffenden Jahren Vokalsinfonie Kindergebetchen Lieber Gott, ich liege Vokalsinfonie Nach dem Gewitter Der Blitz hat mich getroffen Vokalsinfonie

Storm, Theodor (1817 - 1888) Schließe mir die Augen beide Schließe mir die Augen beide Acht Lieder

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4. Texte von Hans-Joachim Näther Und Schnitter Tod mit knöchernen Krallen Zweierlei ging übers Land. Das Alte muß fallen! Der Neger Jim und der Soldat Frank, die lagen im Schützengraben. Die Sonne ging unter. Und kam der Feind, so zogen sie blank Dämmerndes Rot. und versorgten mit Futter die Raben. Der Sturm war vorüber. Das Alte war tot. Ja, einmal da traf eine Kugel den Frank; der Jim, der pflegte den Kranken. Nacht brach herein. Und dieser versprach jenem Neger Dank; Dann ein Morgen, ein trüber. darauf fingen sie an, sich zu zanken. Es klagten die Menschen, das Land lag im Fieber. Der Neger Jim glaubte nämlich nicht, daß jemals nach einem Siege Und der Tag war da! ein Weißer sollt denken an die Pflicht, Die Sonne zur Feier die er sich auferlegt im Kriege. wob überm Lande farbige Schleier. Und der Krieg war aus, und die Kameraden Jim Das Land war genesen, und Frank, die trafen sich auf der Straße; Neues geboren. der Frank sah zur Seite, sah irgendwo hin Das Alte, es hatte und rümpfte die weiße Nase. den Kampf verloren!

Der Neger Jim aber lächelte fein, und laut rief er: „Schützengraben! Aufbau Ach, wenn nicht gepflegt ihn das Negerschwein, dann fräßen den Frank jetzt die Raben!“ Hoch in den Lüften mächtiger Aar „Er lügt!“, schrie Frank; kündet von Freiheit und Sonne. [laut, aber sachlich:] - - - man hängte den Jim. Drunten jubelnde Menschenschar, In der Kirche steht überm Altare, Arbeit – welch eine Wonne! dort, wo Jim getauft, der kleine Jim: „Gottes Wege sind wunderbare.“ In den Ruinen schaffende Hände [Gesprochen:] heller, klirrender Spatenklang Und wer es noch nicht wissen sollt! schon ragen zur Höhe gemäuerte Wände. Es gibt eine weiße Rasse Heiß klingt ein trotziger Arbeitsgesang. und die sagt, Gott habe es so gewollt, daß man die andere hasse. Freudige Herzen, pulsierendes Blut, beginnen zu glänzen die Augen. So rufe jeder weiße Mann Es lebe das Leben! Wir haben Mut, - wer nicht mitblökt, ist ein Halunke – : weil wir an Deutschland noch glauben. „Es lebe hoch der Rassenwahn und das Blut, die feine Tunke!“ Der Denunziant

Schmutziger als Kot. Das Jahr 45 Giftiger als Schlangen. Grausamer als Tyrannen. Sturm zauste das Land Familien zerreiß ich – und ächzend brachen die Eichen. Menschen morde ich – Dröhnendes Lachen: Liebenden träufle ich Haß ein – Das Alte muß weichen! Ein Satan – und doch ein Mensch! Ein Mensch?

Anhang 1 S e i t e | 132

5. Bibliographie zu Hans-Christian Bartel

5.1 Veröffentlichte Werke

Bartel, Hans-Christian: Konzert für kleines Orchester und Solobratsche / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, [19]66. – 136 S.

Bartel, Hans-Christian: Konzert für Orchester / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, 1969. – 104 S.

Bartel, Hans-Christian: Konzertstück für Violoncello und Klavier / Hans-Christian Bartel. – Partitur, Stimme. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, [1994]. – 20 S. + 1 St.

Bartel, Hans-Christian: Variationen für Streichquartett / Hans-Christian Bartel. – [Neufassung 1993]. – Partitur, Stimmen. – Leipzig, Deutscher Verl. für Musik, [1995]. – 30 S. + 4 St. ISMN M-2004-8255-3 – ISMN M-2004-8261-4

Bartel, Hans-Christian: Oboenquartett / Hans-Christian Bartel. – [Neufassung 1997]. – Partitur, Stimmen. – Leipzig, Deutscher Verl. für Musik, [1998]. – 28 S. + 4 St. ISMN M-2004-8294-2 – ISMN M-2004-8295-9 Fassung mit Klarinette (2002)

Bartel, Hans-Christian: Streichtrio für Violine, Viola und Violoncello / Hans-Christian Bartel. – Partitur, Stimmen. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, 1999. — 32 S. + 3 St. ISMN M-2004-8306-2 – ISMN M-2004-8307-9

Bartel, Hans-Christian: Sonatine für Violoncello / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, 2000. – 7 S. ISMN M-2004-8310-9

Bartel, Hans-Christian: Konzertstück : Orchesterfassung der Musik für Violoncello und Klavier / Hans-Christian Bartel. – [Leihmaterial]. – Leipzig [u.a.] : Breitkopf & Härtel, [2001]. – 36 S. + 16 St.

Hans-Christian Bartel: Laudato si, mi Signore : aus dem Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi ; für gemischten Chor a cappella. – Partitur. – Altenburg : Kamprad, 2004. – 27 S. ISMN 979-0-700221-07-2

Bartel, Hans-Christian: David und Goliath : Klavierstück / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, 2004. – 29 S. ISMN M-2004-6042-1

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Bartel, Hans-Christian: Klavierbüchlein für Marcus : 10 leichte bis mittelschwere Stücke für geschickte Kinder / Hans- Christian Bartel. – Partitur. – Altenburg : Kamprad, 2004. – 19 S. : Faks. ISMN M-700221-08-9

Bartel, Hans-Christian: Der sensible Tiger : Klavierstück 2005 / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Altenburg : Kamprad, 2007. – 8 S. ISMN M-700221-30-0

Unveröffentlichte Werke außerhalb des Nachlasses

Bartel, Hans-Christian: Tripelfuge : für vierstimmigen gemischten Chor und Streichorchester; nachträglich unterlegter Text: "Künstlerlied" (Goethe), Vers 1 und 2 / Bartel. – Autographe Reinschrift mit wenigen Korrekturen. – [ca. 1956]. – [1], 38 S. Über dem Titel mit Bleistift: „Hausarbeit (v.[Ottmar] Gerster) Ges[ehen]. [Fidelio] Finke“. Gerster (Tonsatz) und Finke waren Bartels Lehrer in seiner Leipziger Studienzeit (1951-56). – Signatur: MS 1 / Archiv (Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater Leipzig

Bartel, Hans-Christian: Konzertstück : für Violine und Orchester / Hans-Christian Bartel. – Partitur. – Fotomechanische Kopie einer autographen Reinschrift. – o.J. – [1], 76 S. Signatur: M.pr.I 12 Hs (Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater Leipzig)

Archivalische Qullen außerhalb des Nachlasses

Studentenakte im Archiv der Hochschule für Musik und Theater Leipzig Signatur: Studentenakten Nr. 19568 Laufzeit: 1951 – 1962, ca. 80 Bl. Enthält u.a.: Aufnahmeantrag, Stipendienantrag, Klausuren

Diskographie

Bartel, Hans-Christian: Das Leipziger Gewandhausorchester spielt Werke von Hans-Christian Bartel [Tonträger] / Hans-Christian Bartel. – Wuppertal : ITM Media, [1994]. – 1 CD + Beih. Enth.: Konzert für kleines Orchester und Solobratsche. Konzert für Orchester. Konzertstück für Violoncello und Kammerorchester. - Interpr.: Bartel, Hans-Christian [Va]. Timm, Jürnjakob [Vc]. Gewandhausorchester. Weigle, Jörg-Peter [Dir]. Janowski, Marek [Dir]. Reuter, Rolf [Dir]. – Aufn. (teilw. live).

X. Internationaler Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb 1996 [Tonträger] : Ausschnitte aus den Abschlußkonzerten. — Leipzig : MDR, 1996. — 1 CD + 1 Beiheft. Enth. u.a.: "Immer nur b-a-c-h" für Violine solo (Auftragswerk des X. Internationalen J.-S.- Bach-Wettbewerbs) / Bartel, Hans-Christian. – Interpr.: Sunahara, Aki [Vl].

Anhang 1 S e i t e | 134

XI. Internationaler Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb 1998 [Tonträger] : Die Preisträger stellen sich vor / Herausgeber: Bach-Archiv Leipzig. – Leipzig : Bacharchiv, 1998. – 2 CDs + 1 Beih. Enth. u.a.: Sonatine für Violoncello solo 1998 (Auftragswerk des XI. Internationalen J.-S.- Bach-Wettbewerbs) / Bartel, Hans-Christian. – Interpr.: Déjardin, Renaud [Vc].

Bartel, Hans-Christian: Kammermusik und Lieder : Konzert im Gewandhaus zu Leipzig [Tonträger] / Hans-Christian Bartel. – München : GLS Tonstudio, [1998]. – 1 CD + Beih. Enth.: Streichtrio (1954/97). Immer nur B-A-C-H für eine Geige. Drei Lieder nach Texten von Joachim Näther: Das Jahr 45. Aufbau. Der Denunziant. Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello (1955/97). Konzertstück für Violoncello und Klavier (1988). Variationen für Streichquartett (1953/93). – Kammerkonzert im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses zu Leipzig am 12. Oktober 1997.

Bartel, Brahms, Hindemith. – Leipzig : Accentus Music, [ca. 2005]. – 1 CD + Beih. Enth. u.a.: Konzertstück für Violoncello und Klavier / Hans-Christian Bartel. Sonatine für Violoncello solo / Hans-Christian Bartel. – Interpr.: Giger, Christian [Vc]. Kobayashi, Yuka [Kl].

Alexander Paley : Mozart, Beethoven, Brahms, Bartel [Tonträger]. - Holzgerlingen : Hänssler Classic, [2008]. - 1 CD + Beih. Alexander Paley am Blüthner. - Enth.: Fantasie d-Moll KV 397 / Wolfgang Amadeus Mozart [Fantasien, Kl, KV 397]. - Sonate C-Dur op. 53 "Waldsteinsonate" / Ludwig van Beethoven [Sonaten, Kl, op. 53]. - Variationen über ein Thema von Niccolò Paganini / Johannes Brahms [Studien, Kl, op. 35]. - David und Goliath / Hans Christian Bartel. - Interpr.: Alexander Paley [Kl]. – Aufnahme: Hans-Christian Bartel.

Bartel, Hans-Christian: Lieder vom Menschen : Vokalsinfonie [Tonträger] / Hans-Christian Bartel. – Leipzig : Herchenbach, 2015. – 1 CD + Beih. Interpr.: Tobias Ay, Bariton. Friedhelm Eberle, Sprecher. Vocalconsort Leipzig. Gregor Meyer, Choreinstudierung. Sinfonietta Leipzig. Felix Bender, Leitung.

Hans-Christian Bartel gewidmete Werke:

Geißler, Fritz: Sonate für Viola und Klavier / Fritz Geißler. – Partitur, Stimme. – Leipzig : Peters, 1971. – 32 S. + Stimme

Biller, Georg Christoph: Nebraer Himmelspsalm : für achtstimmigen Chor und Gemeinde / Georg Christoph Biller. – Partitur. – [Manuskript], 2005 [Manuskript im Nachlass von Hans-Christian Bartel]

Anhang 1 S e i t e | 135

Literatur zu Hans-Christian Bartel

Böhm, Claudius: „Eine Art Lebenslauf“ / Claudius Böhm // In: Gewandhaus-Magazin. – ISSN 0945-6023. – (2000), 26, S. 8

Die Gewandhauskonzerte zu Leipzig 1781-1981 ; mit einem zusammenfassenden Rückblick von den Anfängen bis 1781 / hrsg. von Johannes Forner. – 1. Aufl.. – Leipzig : Deutscher Verl. für Musik, 1981. – 610 S. : Ill. [Siehe S. 511, 516, 519, 523, 525 u. Abb. 254]

Gruppe Neue Musik "Hanns Eisler" 1970 - 1990 : Spiel-Horizonte / hrsg. von Burkhard Glaetzner ... – Leipzig, 1990. – 79 S. : Ill. [Siehe S.: 38]

Jung, Hans-Rainer: Das Gewandhausorchester : seine Mitglieder und seine Geschichte seit 1743 / Hans-Rainer Jung. Mit Beiträgen zur Kultur- und Zeitgeschichte von Claudius Böhm. – Leipzig : Faber & Faber, 2006. – 364 S. : Ill. [Siehe S. 266] ISBN 978-3-936618-86-0

Klemm, Eberhardt: Spuren der Avantgarde : Schriften 1955 – 1991 / Eberhardt Klemm. – 1. Aufl., Erstausg. – Köln : MusikTexte, 1997. - 544 S. : Notenbeisp. – [Siehe S. 289] (Edition MusikTexte ; 4) ISBN 3-9803151-4-2

Liedtke, Ulrike: Bartel, Hans-Christian / Ulrike Liedtke. – In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart : Supplement / begr. von Friedrich Blume. – 2., neubearb. Ausg.. – Kassel : Bärenreiter, 2008. – XIV S., 1208 Sp. : Ill., Notenbeisp. – [Sp. 32f.] ISBN 978-3-7618-1139-9

Pachnicke, Bernd: Hans-Christian Bartel: Konzert für Violine / Bernd Pachnicke. // In: Musik und Gesellschaft. – ISSN 0027-4755. – 18 (1968), S. 92-93

Schinköth, Thomas: Auf der Suche nach dem Licht : zum 70. Geburtstag des Komponisten Hans-Christian Bartel / Thomas Schinköth. // In: Triangel : Zeitschrift des mdr-Figaro. – ISSN 1432-9476. – 7 (2002), 11, S. 34 – 47. – Mit geändertem Titel zugleich: Online-Ressource URL: http://www.thomas-schinkoeth.de/SCHUBLADEN/KUENSTLER/Hans- ChristianBartelSucheNachDemLicht.pdf (Gesehen: 13.04.2016)

Schinköth, Thomas: Auf der Suche nach dem Licht : zum 79. Geburtstag des Komponisten und Bratschers Hans-Christian Bartel [Elektronische Ressource] / Thomas Schinköth. – [12] S. – [Erweiterte Textfassung]. – Online- Ressource URL: http://www.thomas-schinkoeth.de/SCHUBLADEN/KUENSTLER/Hans- ChristianBartel_SucheNachDemLicht2.pdf (Gesehen: 13.04.2016)

Anhang 1 S e i t e | 136

Schinköth, Thomas: Lieder vom Menschen : Hans-Christian Bartel, Komponist und langjähriger Solobratscher des Gewandhausorchesters, ist gestorben ; ein Nachruf / von Thomas Schinköth. // In: Gewandhaus- Magazin. – ISSN 0945-6023 – (2015), 56, S. 46-49

Schneider, Frank: Momentaufnahme : Notate zu Musik und Musikern der DDR / Frank Schneider. – Leipzig : Reclam, 1979. – 460 S. : Ill., Notenbeisp. [Siehe S. 200] (Reclams Universal-Bibliothek ; 785 : Kunstwissenschaften)

Schwerdtfeger, Christiane: Selbstkritisch, aufrichtig und kompromisslos : zum Tod des Bratschisten und Komponisten Hans-Christian Bartel (1932-2014) / Christiane Schwerdtfeger. // In: Neue Musikzeitung. – ISSN 0944-8136. – 64 (2015), 3, S. 20

Sporn, Christiane: Musik unter politischen Vorzeichen : Parteiherrschaft und Instrumentalmusik in der DDR seit dem Mauerbau; Werk- und Kontextanalysen / Christiane Sporn. – Saarbrücken : Pfau-Verl., 2007. – 458 S. : graph. Darst., Notenbeisp. [Siehe S. 142-167] ISBN 978-3-89727-367-2

Sporn, Christiane: „Das Unbotmäßige dieser Musik hat mir am meisten imponiert“ : einige Betrachtungen zu Leben und Werken Hans-Christian Bartels / Christiane Sporn. // In: Gewandhaus-Magazin. – ISSN 0945-6023. – (2007), 56, S. 24-27

Stürzbecher, Ursula: Komponisten in der DDR : 17 Gespräche / Ursula Stürzbecher. – Hildesheim : Gerstenberg, 1979. – 348 S. : Ill., Noten. – Mit Werk- und Schallplattenverz. [Siehe S. 310-317] ISBN 3-8067-0803-7

Wolf, Werner: Bratschenkonzert von Hans-Christian Bartel / Werner Wolf. // In: Musik und Gesellschaft. – ISSN 0027-4755. – 14 (1964), S. 81-83

Werke Bartels in Repertoireverzeichnissen

Ewald, Konrad: Musik für Bratsche oder was gibt’s denn eigentlich für Viola / Konrad Ewald. – Liestal : Selbstverl., 2001. – 336 S. : Beil. (1 Bl.) – [Siehe S. 46]

Literatur für zwei und mehr verschiedene Streichinstrumente / [Red. und bibliographische Bearb.: Beate Kunze…]. – Trossingen, 1997. – XI, 243 S. : 1 Faltbl. – [Siehe S. 8] (Repertoireverzeichnis / Bundesakademie für die musikalische Jugend ; 3)

Vuibert, François: Répertoire universel du qutuors à cordes / comp. par François Vuibert. – Paris : ProQuartett, 2009. – 326 S. – [Siehe S. 23] ISBN 978-2-9531544-0-5

Anhang 1 S e i t e | 137

Rundfunksendung

Richter, Renate: Hans-Christian Bartel – zum 75. Geburtstag : 27.11.2007 / Renate Richter. – [Rundfunk- sendung]. – MDR Figaro, Thema, 11.15 Uhr (Dauer: 6:47 min)

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Selbstständigkeitserklärung:

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß veröffentlichten oder nicht veröffentlichten Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Leipzig, den 20.08.2016