BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor9806/19980615.shtml

Sendung vom 15.06.1998, 20.15 Uhr

Fritz Rau Konzertveranstalter im Gespräch mit Klaus Kastan

Kastan: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Unser heutiges Gespräch steht unter dem Motto "Ein Mann, ein Programm" – und das können Sie ruhig wörtlich nehmen. Unser Gast ist Fritz Rau, Deutschlands wohl bekanntester Konzertveranstalter, oder? Rau: Zumindest der älteste. Kastan: Seit 43 Jahren betreiben Sie dieses Geschäft. Rau: Ja. Kastan: Mit vielem Auf und Ab, aber meistens ging es doch aufwärts, oder? Rau: Ja, ich habe überlebt, habe alle meine Schulden bezahlt und auch die Künstler. Kastan: Das ist doch was! Rau: Ich hoffe, ich habe auch das Publikum weitgehend zufriedengestellt mit den Konzerten, die ich betreuen durfte. Kastan: In der Musikszene haben Sie so ein paar Spitznamen. Einer davon lautet "The Fritz" ein anderer "Mister Music". Sie selbst bezeichnen sich mehr oder weniger als "Kartenverkäufer". Woher diese Bescheidenheit? Rau: Ja, das ist die Essenz dessen. Man kann natürlich Impresario sagen, aber ich glaube gar nicht, daß wir die entscheidenden Menschen in diesem Geschäft sind. Das sind nach wie vor die Künstler: Sie bringen den Zauber, und sie bringen alles, was die Menschen veranlaßt, in Konzertsäle zu gehen. Wir sind die Organisatoren, und da wir ja staatlich nicht subventioniert, sondern besteuert und bei unserer Arbeit mit sonstigen Auflagen belastet werden, müssen wir alles, was die Sache kostet, von den Besuchern in Form von Eintrittskarten erlösen. Und darum besteht unser Hauptziel darin, Eintrittskarten zu verkaufen und volle Säle zu haben, um weiterexistieren zu können. Kastan: Sie haben schon so viele Eintrittskarten verkauft, daß Sie fast selbst ein Star sind, oder? Rau: Nein, wir werden nicht zum Star, das ist auch richtig so. Ich habe ja in den fünfziger Jahren, genauer gesagt 1954, versucht, mich als Bassist in unserem Jazzkeller an der Uni Heidelberg, dem "Cave", musikalisch zu betätigen. Aber das war nicht berühmt, ich war einfach nicht begabt. Ich habe mir dann eben vorgenommen, möglichst viele Begabungen zu erleben und ihnen den Weg zur Bühne zu zeigen. Aber die Stars stehen auf der Bühne, und das ist auch richtig so. Wir stehen zu Recht etwas im Schatten, und sie stehen im Licht Kastan: Dann gehen wir einmal zurück in diese fünfziger Jahre, von denen Sie eben schon gesprochen haben - als Sie den ersten Jazzkeller in Heidelberg gegründet haben. Oder gehen wir noch weiter zurück, gehen wir zurück in die Nazizeit, in der Sie aufgewachsen sind. Sie sind Jahrgang 1930. In Ihrer Biographie hat mich ein bißchen gewundert, daß Sie trotz dieser Erziehung in dieser schwierigen Zeit wenig Interesse hatten für Tschinderassabumm und deutsche Heimatlieder. Statt dessen hatten Sie ein größeres Interesse an der amerikanischen Musik. Es gibt ein Zitat von Ihnen, das besagt: "Ich bin durch Swing und an Körper, Geist und Seele entnazifiziert worden". Warum dieses Interesse für die amerikanische Musik, warum haben Sie sich so wenig beeinflussen lassen von dem, was damals in Ihrer Jugendzeit vor allem gespielt wurde? Rau: Ich war ja 1945 15 Jahre alt, und da ist man schon ziemlich weit entwickelt. Vor allem war ich ein begeisterter Hitlerjunge und bin denen nachgelaufen. Ich war auch von der Marschmusik und all dem Brimborium doch sehr beeindruckt, denn "heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt". Dann kam das Jahr 1945. Da war dieser Knall, dieser Zusammenbruch: Da sind all diese Ideale, die wir hatten, im Nichts zerstoben. Es gab menschliche Enttäuschungen: nicht nur über Herrn Hitler, der sich plötzlich umgebracht hat, sondern auch über kleinere Nazis, die sich eben nachher plötzlich umgewandelt haben. Diese Enttäuschung wurde bei mir auffangen durch dieses Grunderlebnis der Jazzmusik. Das kam aus dem Radio: Plötzlich hörte ich Swing, und das fing an mit Glenn Miller. Da gab es einen Film, "Adoptiertes Glück" mit Sonja Henie, den habe ich dreißigmal gesehen - damals, 1945, gab es ja noch keine Schallplatten. Ich kann seitdem zwar kein Eiskunstlaufen mehr sehen, aber zum Schluß habe ich mir die Augen zugedeckt, nur um "In the Mood" usw. zu hören. Da wurde mir plötzlich klar, daß alles, was ich vorher von Rassenpolitik, Rassenreinheit und so weiter geglaubt habe, der größte Humbug gewesen ist: Denn die für mich herrlichste Musik dieses Jahrhunderts, der Jazz, ist eine Fusion aus afrikanischen und europäischen Elementen. Der Swing und der Drive haben einfach mein Leben verändert. In der Marschmusik fühlen sich die Lahmen und Schwachen noch schwächer und verlassener, und die Protze werden noch protziger, aber beim Swing werden die Lahmen gehend, die Schwachen fühlen sich besser, und ein Protz muß sich sagen lassen, entweder du swingst oder du bist ein Arsch. Vor allem auch im ist es so: Der Blues heilt – "blues cure the blues" – den Weltschmerz, den man hat, oder die Traurigkeit: man überwindet sie. So hat diese Fusion von Schwarz und Weiß mein Leben bereichert und auch meine kulturellen und musikalischen Interessen definiert. Kastan: Sie kommen aus einem kleinen Dorf. Wie haben Sie Kontakt bekommen zu dieser Musik? Haben Sie damals Radio oder Platten gehört? Welche Möglichkeiten gab es damals? Rau: Ja, ich komme aus Ittersbach, meine Vorfahren waren Schmiedemeister - auch mein Vater. Aber meine Eltern und Großeltern waren 1940 tot, ich war da zehn Jahre alt. So kam ich zu Verwandten nach Berlin, das war natürlich eine riesengroße Umstellung für mich. Aber damals lernte ich schon die "Comedian Harmonists" durch Schallplatten kennen, wie ich mich jetzt durch den herrlichen Film erinnert habe: "Wochenend und Sonnenschein" usw. Irgendwie kam mir schon Swingmusik an die Ohren, aber es wurde alles überlagert durch die offizielle Staatsmusik der Hitlerjugend. Ich ging dann nach Ettlingen ins Gymnasium. Nach 1945 kam dann über den "Süddeutschen Rundfunk" der Jazz zu mir: Dieter Zimmerle hat die Jazzsendungen gemacht. Oder ich habe beim großen Propheten Joachim Ernst Berendt vom "Südwestfunk Baden-Baden" Jazzsendungen eingeschaltet. Aber meine richtige "Universität" in kultureller Beziehung war der AFN, "American Forces Network". Da gab es die herrliche Sendung "There is music in the air" von Jonny Forges. Man hat auch nicht nur den reinen Jazz, sondern auch jazz-inspirierte Unterhaltungsmusik gehört: z. B. Fred Astaire, den ich dann später im Fernsehen oder im Film tanzen gesehen habe. So kam man hinein. Als ich dann 1950 in Heidelberg anfing zu studieren ... Kastan: Darauf hatte vor allem auch Ihr Vater gedrängt, daß Sie doch auch noch etwas Anständiges machen und nicht nur, ich sage das einmal in Anführungszeichen, "Dudelmusik" hören. Rau: Na ja, also mein Vater war tot und hatte dadurch keine Chance, mein Leben positiv zu beeinflussen. Das ist ein Nachteil. Hier aber war das ein Vorteil: Ich hatte etwas Narrenfreiheit, meine verschiedenen Pflegeeltern hatten es aufgegeben, mich zu lenken und zu leiten. Aber ich hatte meiner Mutter 1938 auf dem Sterbebett mit acht Jahren versprechen müssen, daß ich ein Doktor werde, d. h., daß ich ein Studierter werde. Denn für diese Frau vom Land war ein Studierter eben ein Mensch höherer Ordnung: Ich war ihr einziges Kind, und ihr kleiner Fritz sollte das eben werden. Und trotz großer Schwierigkeiten hat mich das dann doch bewogen, alles zu tun, um das Abitur zu machen und auch nach Heidelberg zu gehen und dort Jura zu studieren. Kastan: Sie sind Volljurist? Rau: Ich habe das wider Erwarten doch geschafft, weil ich ja auch dort mit Jazzfreunden zusammenkam. Wir hatten 1954 den Jazzkeller mit dem französischen Namen "La Cave" gegründet: Wir waren Existentialisten mit rotem Bart und schwarzem Pullover, und der Jazz hat da natürlich dazugehört - ebenso die Wallfahrten nach Paris zu Jean Paul Sartre usw. Das alles hat uns das Studium etwas weniger intensiv betreiben lassen, aber ich hatte das Glück, in der "Studienstiftung des Deutschen Volkes" gefördert zu werden. Ich habe dann wider Erwarten mit etwas Verzögerung doch noch das Staatsexamen gemacht und auch die Referendarszeit überstanden. Ich wurde dann in Rheinland-Pfalz Assessor – da war ich schon zweifacher Vater. Ich habe aber dann parallel - sowohl als Student als auch als Referendar - für Norman Granz, dem legendären amerikanischen Impresario, und für , meinem Vorbild, Tourneeleiter gemacht. Ich hatte so das Glück, gleich mit Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Count Basie, Oscar Peterson bekannt zu werden, weil ich für diese herrlichen Künstler arbeiten durfte. So hat sich das parallel entwickelt bis zum Assessor. Dann mußte ich mich entscheiden, ich bin kurz Anwalt gewesen: als Junior in einer Kanzlei in Neustadt an der Weinstraße. Die Entscheidung hieß, Anwalt zu bleiben oder einem Ruf von Horst Lippmann zu folgen. Da habe ich letzteres getan, und wir haben dann "Lippmann und Rau" gegründet, und das habe ich nie bereut: Die Welt hatte einen Anwalt weniger und einen Eintrittskartenverkäufer mehr. Kastan: Es war ja dann möglicherweise auch in diesem Beruf durchaus von Vorteil bei Vertragsverhandlungen, daß Sie den Anwaltsberuf erlernt hatten und sich in der Juristerei gut auskannten. Rau: Ja, das ist sehr richtig. Als Anwalt hätte ich davon gelebt, Prozesse zu führen, jetzt lebe ich gut davon, Prozesse zu vermeiden. Vor allen Dingen als Laie läuft man viel zu spät zum Anwalt: Anstatt sich beraten zu lassen, rennt man erst, wenn das "Haus brennt". Vor allem in der Referendarszeit hat man doch gelernt, die Sachverhalte besser zu subsumieren und in den Vertragsverhandlungen so vorzugehen, daß möglichst wenige Dissense entstehen und daß man doch die Situationen auch rechtlich klären kann. Das hat mir sehr genützt. Kastan: Einer der ersten Künstler, die Sie unter Vertrag genommen haben, war Albert Mangelsdorff. Wie war diese erste Begegnung? War das aufregend für Sie? Sie wollten ihn unter Vertrag bekommen, und er war damals schon ein bekannter Künstler. Rau: Ich hatte mir eine Schallplatte gekauft - das Geld dafür hatte ich mir vom Mund abgespart. Das war eine Platte der "Hans Koller Combo", "Sound Koller". Auf der Rückseite gab es "Back to Sorrento" mit Jutta Hipp am Klavier – aber Posaune, neben dem Wiener Saxophonisten Hans Koller, Albert Mangelsdorff. Und diese Posaune hat mich beinahe um den Verstand gebracht. Mangelsdorff hat mich so fasziniert, daß es mein Traum geworden ist, ihn irgendwann einmal nach Heidelberg zu bringen und ein Konzert mit ihm zu machen. Das habe ich dann auch verwirklicht. So wurde das dann am 2. November 1955 mein erstes Konzert: "Albert Mangelsdorff und die Frankfurt All Stars" in der damals bereits ausverkauften Heidelberger Stadthalle. Kastan: Ihre erste Begegnung mit Mangelsdorff – wie war das? Rau: Ja, ich hatte gar nicht das Geld, um mit dem Zug nach Frankfurt zu fahren. Ein Auto kam schon überhaupt nicht in Frage. Ich bin per Anhalter dorthin gefahren. Ich habe mich erkundigt, wo er wohnt in Praunheim. Er war nicht zu Hause, seine Mutter sagte, er sei im Praunheimer Wäldchen zum Spazierengehen unterwegs mit dem Hund. Ich habe ihn dann natürlich gesucht und war dabei so aufgeregt und nervös, jetzt dieses Idol zu erleben – darum verstehe ich auch die heutigen Fans aus vollem Herzen -, daß ich drei Männer und sogar eine Frau angesprochen hatte, ob sie vielleicht Albert Mangelsdorff seien. Plötzlich stand ein junger hagerer Mann mit seinem Zwergpudel vor mir, und das war Albert Mangelsdorff. Ich habe ihm sprudelnd gesagt, was ich vorhabe - ich war sehr nervös. Er sagte dann: "Na ja, wenn Sie meinen, dann machen wir das gerne. Rufen Sie mich an, wenn es soweit ist." Ich ging dann zurück nach Heidelberg und habe Geldgeber gesucht. Das war schon die richtige Einstellung gewesen: vor einem Konzert muß erst einmal das Geld bereitstehen für den Fall, daß alles schief geht. Man kann nicht spekulieren auf dem Rücken von Gläubigern oder gar von Künstlern. Dann habe ich einen Kinobesitzer gefunden – Kinobesitzer waren damals wohlhabende Leute -, der uns 5000 Mark gepumpt hat. Damit konnten wir das Konzert verwirklichen, und dafür hat er dann auch zu Recht den Konzertüberschuß bekommen. Aber das erste Konzert war erfolgreich, und das war der Anfang meines heutigen Lebens. Kastan: "Lippmann und Rau", Sie haben dieses Duo bereits erwähnt, kannte jeder Konzertbesucher in Deutschland in den sechziger, in den siebziger und auch in den achtziger Jahren. Das war ein Imperium. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen? Rau: Ja, ich weiß nur eines: Wir sind völlig unstrategisch vorgegangen. Von Marketing wollten wir einfach gar nichts wissen. Uns haben auch die Hitparaden - falls es die damals schon gegeben hat - nicht interessiert. Kastan: Sie wollten Künstler holen! Rau: Wir wollten die Musik, die wir für das Herrlichste auf der Welt hielten, nach Deutschland holen. So haben wir dann durch die Bekanntschaft mit den Jazzmusikern - interessanterweise "Modern Jazz"-Musikern wie John Lewis vom "Modern Jazz Quartett" - den Blues kennengelernt, "bluesology". Er gab uns auch die erste Platte von , die es in Amerika nur in den schwarzen Ghettos von "Rice-Records" zu kaufen gab. Cannonball Adderley, der legendäre Altsaxophonist, gab uns die Adresse von . So fuhr Horst Lippmann nach Chicago, und wir haben in Amerika unser "American Folk Blues Festival" - ein Spektrum von Country, Folk, Blues bis zu Big City Blues in Chicago – produziert, das dann ab 1962 20 Jahre lang regelmäßig nach Europa gebracht und aus Versehen dabei in England die ganze Beat-Musik beeinflußt zum "Rhythm and Blues". Das war auch die Basis unserer späteren Zusammenarbeit mit großen Rockmusikern. Am Anfang aber stand der Blues. Kastan: Fast alle Rockgrößen waren bei Ihnen unter Vertrag und sind teilweise noch bei Ihnen unter Vertrag, ein paar wenigstens sollte man nennen: Tina Turner, Prince, Eric Clapton, Rod Stewart, Peter Maffay, Harry Belafonte und auch viele andere aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Die "Rolling Stones" dürfen wir natürlich nicht vergessen: 20 Jahre "Rolling Stones". 20 Jahre mußten Sie es aushalten mit Mick Jagger. Wie haben Sie das geschafft? Rau: Ach, herrlich. Das ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Er war anstrengend, sicher, aber was mich immer freut – obwohl wir die kommende Tournee nicht zusammen machen und ich bei der letzten Tournee ja mit meinem Herzinfarkt und den sechs Bypässen im Krankenhaus gelegen bin -, sie rufen mich immer wieder zu meinem Geburtstag am 9. März an. In diesem Jahr riefen sie aus Japan an. Das ist also schon eine Begegnung, die für mich sehr wichtig gewesen ist. Aber wir waren wie Kinder. Es gibt doch diesen wunderbaren pädagogischen Satz: "Ein Kind zog aus und wurde das, worauf am Morgen fiel sein Blick". Das heißt: Wir haben eben gehört, daß es da oder dort "einen" gibt. Da rief uns zum Beispiel 1968 ein befreundeter Agent aus London an und sagte: "Fritz, fahr nach Paris ins ‚Olympia‘, da spielt einer, das ist dein Mann." Man fährt da bin, fragt gar nicht viel nach, setzt sich rein und wer spielt da? "Jimi Hendrix Experience". Da geht man hinter die Bühne und sagt, du mußt nach Deutschland kommen. Wir machten dann erst ein Jahr später die Jimi-Hendrix-Tournee in Deutschland, weil er in Amerika nach dem Monterey-Festival popularitätsmäßig praktisch explodiert ist. Er kommt dann zu uns, wir sind zusammen auf Tournee, und er sagt zu mir: "Du, ich hatte in Skandinavien eine Vorgruppe, die mußt du dir merken, die heißt ‚Jethro Tull‘." Da sage ich, wie bitte? Und dann mußten wir den Namen erst aufschreiben. Und dann fuhr man nach London und hat "Jethro Tull" gesucht. Wir fanden eine kleine Agentur, "Chrysalis", die "Jethro Tull" und "Ten Years After" unter Vertrag hatte – später dann auch noch Led Zeppelin. So kam man einfach durch Empfehlungen, durch Neugierde dazu, einen Künstler nach dem anderen kennenzulernen, einzuladen und in Deutschland zu präsentieren. So ging das über die Rockmusik weiter, was eigentlich vom Jazz herkam. Es ging dann aber auch weiter zum Entertainment. Ein Harry Belafonte, eine Nana Mouskuri, eine Liza Minelli, eine Shirley MacLaine oder gar ein Frank Sinatra sind genauso wichtig, weil das eben einfach eine faszinierende Musik ist: Live, Live-Musik. Das ist eine Unterhaltungskultur, die in einer Kulturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine sehr große Rolle spielen wird, obwohl sie doch als sogenannte Unterhaltungsmusik eigentlich in jeder Beziehung diffamiert wird. Aber ich hatte das Glück, diese Leute aus nächster Nähe zu erleben, weil ich sie in Deutschland und in Europa betreuen durfte. Kastan: Gab es einmal jemanden, den Sie nicht bekommen haben und von dem Sie jetzt sagen, Mensch, der ist mir durch die Lappen gegangen? Rau: Ja, das gab es immer. Vor allem hatte ich ab dem Beginn der siebziger Jahre einen sehr scharfen und harten Konkurrenten, das war Marcel Avram mit "Mama-Concerts". Ja, also, die "Jackson Five" vor 25 Jahren, die wollte ich auch haben, aber da war ich zweiter Sieger. Marcel Avram hat die "Jackson Five" nach Deutschland geholt und sie betreut, darunter einen blutjungen Leadsänger namens Michael Jackson. Daraus entwickelte sich die Freundschaft, die auch heute noch nach wie vor zwischen den beiden besteht. Marcel hat sogar drei Welttourneen mit ihm organisiert. Erst seit unserer Fusion 1989 kam ich auch - wie im letzten Jahr - in den Genuß, mit Michael Jackson zusammenarbeiten zu können. Oder "Pink Floyd", "Deep Purple", das waren Gruppen, bei denen eben Marcel einen Tick schneller gewesen war. Aber trotzdem hatten wir natürlich genügend zu tun, weil es ja genügend herrliche Musik auf der Welt gibt. Kastan: Man sagt ja immer, Sie waren nicht besonders gute Freunde, Avram und Sie. Rau: Wir waren Konkurrenten! Kastan: Ja, Konkurrenten. Avram hat ja so ein bißchen das Klischee, ein Schlitzohr zu sein. Ihnen sagt man nach, Sie seien mehr so der Schöngeist. Sind das reine Klischees, oder würden Sie sagen, da ist etwas dran? Rau: Das sind Klischees. Marcel ist ein sehr ehrlicher Typ, der einfach auftritt und auch eine sehr deutliche Sprache spricht. Schlitzohren müssen wir alle sein, egal ob wir jetzt bei BMW tätig sind - wie mein Sohn - oder in der Unterhaltungsmusik: Wenn man weltweit geschäftlich arbeiten und Erfolg haben will, dann muß man schon schauen, daß man klar kommt. Daß ich der Schöngeist bin, habe ich gelesen: Irgendwann hatte das der "Stern" einmal über mich geschrieben. Das ehrt mich sehr, vielleicht kann ich etwas blumiger sprechen als Marcel, aber ich arbeite jetzt mit ihm seit neun Jahren zusammen und unser gegenseitiger Respekt wächst nach wie vor. Ich habe ihn lieb gewonnen und bin sein Freund geworden durch die Zusammenarbeit. Kastan: Es gibt ein Zitat von Ihnen, ich hoffe, ich zitiere Sie richtig, das lautet: "Als Konzertveranstalter ist man immer mit einem halben Bein im Gefängnis." Marcel Avram ist wegen Steuerhinterziehung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Wie geht das jetzt weiter mit Ihrem gemeinsamen Unternehmen. Rau: Zunächst zu dem Zitat: Es wurde von der "Süddeutschen Zeitung" aufgegriffen. Dieses Zitat habe ich aber schon vor Jahren im Hinblick auf die Open-Air-Konzerte gesagt, die wir gemacht haben, und das hatte gar nichts mit dem jetzigen Fall zu tun. Man hat da also wie in Nürnberg, als ich anfing, 80000 Menschen bei einem Konzert mit Bob Dylan und Eric Clapton oder 74000 mit "The Who". Ich habe mich ja bis 1976 gewehrt, Open-Air- Konzerte überhaupt zu machen. Da hat man eine solche Verantwortung wegen der Unfälle, die passieren können. Da muß man sich solche Mühe geben, alles vorauszusehen und die Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, daß man da sehr leicht durch einen Unfall – denken Sie etwa an diese tragische Geschichte mit einer deutschen Rockgruppe in Düsseldorf – sehr schnell in eine Haftung hineinkommt. Das meinte ich damals damit. Das wurde dann ausgegraben im Zusammenhang mit Marcel Avram. Kastan: Weil es da natürlich auch gut gepaßt hat. Rau: Da hat es herrlich gepaßt, und die "Süddeutsche" hat sich das nicht entgehen lassen. Aber Marcel Avram wurde angeklagt, und im Verlauf des Prozesses wurde die Summe, um die es ging, von 9,8 Millionen auf 5,6 Millionen vom Staatsanwalt heruntergeschraubt. Man hat auch festgestellt, daß es sich hauptsächlich um Künstlereinkommenssteuer handelte, man hat ihn also der Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugunsten Dritter angeklagt, weil natürlich große Künstler von großen Beratern umgeben sind. Die sagten, da gibt es Möglichkeiten, eine Abführung von Einkommenssteuer in Deutschland durch sogenannte "Freistellungsbescheide" zu umgehen. Das hat Marcel mit Hilfe sehr renommierter Juristen, die einen Weg über eine holländische Firma eröffnet und als legal bezeichnet haben, für einige seiner Künstler getan. Er hat sich darauf verlassen, und er mußte nun seinen Kopf hinhalten. Kastan: Sie haben das anscheinend nie gemacht, oder? Rau: Ich hatte das Glück, daß ich weitgehend deutsche Künstler betreut habe - das hat sich so entwickelt. Die Künstler aus dem Ausland, die ich auch heute noch betreue, wie Eric Clapton, der im Herbst wieder mit uns auf Tournee kommt, Jethro Tull usw., ließen sich eben dahingehend beraten, daß wir die Einkommenssteuer einbehalten durften und auch abgeführt haben. Das hat auch Marcel mit den meisten seiner Künstler getan, denn wir operieren zwar in einer Firma, aber wir arbeiten getrennt: wir teilen uns die Künstler auf. Aber einige große Acts haben doch Wert darauf gelegt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszunützen. Da gibt es auch eine gewisse Verwirrung durch die unterschiedliche Besteuerung in den verschiedenen europäischen Ländern. Wobei ich doch wirklich sagen möchte, es wäre schön, wenn man ein vereintes Europa nicht nur über den Euro, d. h. über die Währung erreicht, sondern auch über eine Gleichbehandlung europäischer Menschen in steuerlicher Hinsicht. Kastan: Damit spielen Sie vor allem auf die Auslandssteuer in Deutschland an. Rau: Ja, das ist es vor allen Dingen. Wenn die Belgier und die Holländer und selbst die Österreicher so viel weniger Steuern bezahlen müssen, dann ergeben sich eben Anstrengungen, die Steuerlast zu erleichtern, indem man eine holländische Firma einbezieht. Marcel war der Meinung, das sei legal. Aber das Gericht sagte ihm, er hätte das so nicht akzeptieren dürfen. Wir werden aber weiterarbeiten. Kastan: Sie haben ja vor einiger Zeit gesagt, es besteht die Gefahr, weil er jetzt im Gefängnis sitzt und Sie auch nicht mehr der Jüngste und gesundheitlich angeschlagen sind - von Ihren sechs Bypässen haben Sie schon erzählt -, daß sich die Agentur eventuell auflöst. Diese Gefahr ist jetzt gebannt? Rau: Ja, das habe ich vor dem Prozeß gesagt, wenn er weiter eingesperrt wird. Denn er war ja schon neun Monate lang in Untersuchungshaft eingesperrt, und er ist ja praktisch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verhaftet worden - ohne daß man etwas vorbereiten konnte. Ich habe dann im letzten Jahr doppelt arbeiten müssen: Ganz klar, die Mitarbeiter, das Team, waren hervorragend. Wir haben die sehr schwierige Michael-Jackson-Open-Air- Tournee ohne ihn, aber unter seiner Beratung durchgeführt. Michael Jackson und andere Künstler haben ihn auch im Gefängnis besucht - wie wir auch wöchentlich. Da habe ich gesagt, wenn das nun auf diese Weise jahrelang weitergehen wird, dann kann und will ich das nicht mehr machen. Aber er wurde am Tag der Urteilsverkündung, einem Tag vor Weihnachten, auf freien Fuß gesetzt. Er ist noch heute auf freiem Fuß und konnte in den letzten Monaten zum einen seine Gesundheit reparieren, denn er war gesundheitlich sehr stark angeschlagen. Er wurde auch operiert und im Krankenhaus mit Fußfesseln ans Bett gefesselt. Und er konnte zum anderen jetzt auch das Münchner Büro in Ordnung bringen. Ich selbst arbeite sowieso aus dem Bad Homburger Büro heraus. Unsere Auftragslage ist hervorragend mit den Open-Airs, mit Peter Maffay, mit Eros Ramazotti, mit Eric Clapton, mit Nana Mouskuri, mit "Status Quo" usw. Kastan: Trotzdem hat sich einer der ganz engen Mitarbeiter von Avram, Klaus Böhnisch, selbständig gemacht, hat sich losgelöst von ihm und hat einige bekannte Künstler mitgenommen. Tut so etwas weh? Rau: So etwas tut nicht weh. Klaus Böhnisch ist ausgeschieden, und es ist eigentlich nur erstaunlich: Man sieht erstaunt, daß ein Mann, der 17 Jahre mit Marcel Avram gewachsen ist, bei ihm gearbeitet hat und so eine Art Ziehsohn war, daß der dann im entscheidenden und schwierigsten Moment des Lebens von Marcel Avram, nämlich kurz vor dem Prozeß, einfach die Firma verläßt. Das hat uns verwundert, und das fanden wir nicht besonders gut. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der eine oder andere Künstler, zu dem er eine besondere Beziehung hat, später mit ihm arbeiten wird, weil er entgegen seinen Äußerungen uns gegenüber doch als Konkurrent auftritt. Das ist so, das nehmen wir in Kauf, aber es wird "Mama-Concerts und Rau" und auch Fritz Rau weiter geben, und wir werden weiterarbeiten. Gott sei dank gibt es doch auch Künstler wie Eric Clapton usw., die uns auch weiterhin ihr Vertrauen schenken – und vor allem auch Peter Maffay mit seiner herrlichen Schallplatte "Begegnungen" und mit einer Tournee, die wir im Herbst machen werden: Begegnungen mit all den Künstlern, die auf dieser Platte präsentiert werden. Kastan: Eine ganz naive Frage: Wenn Michael Jackson Marcel Avram wiederholt auch im Gefängnis besucht, ist das vor allem auch ein bißchen Promotion für Michael Jackson, weil er dadurch in die Schlagzeilen kommt, oder ist das Freundschaft? Rau: Ich glaube, daß Michael Jackson gar kein Bedürfnis hat, noch mehr in die Schlagzeilen zu kommen. Der Mann kann ja machen, was er will. Es gab ja auch einmal eine Zeit, in der sehr böse Schlagzeilen über ihn verbreitet wurden. In jener Zeit, vor drei, vier Jahren, hat ihm Marcel Avram die Treue gehalten und hat ihn auf Tournee gebracht - übrigens mit der psychischen Hilfe von Liz Taylor, die sogar auf die Tournee mitging, weil sie sehr befreundet ist mit Michael Jackson. Das hat Michael Jackson eben nicht vergessen, als auch er Freunde abbröckeln sah, daß hier einer ist, der ihn auf Welttournee nimmt und alle Schwierigkeiten in Kauf nimmt. Das, was jetzt geschieht, ist einfach der Freundschaftsdienst, den er zurückgibt. Es kommt Michael Jackson gar nicht auf Promotion an. Er ist ja zur Zeit in München, um mit Marcel Avram auch über die gemeinsame Zukunft zu reden, und ich glaube, es ist ihm gar nicht recht, daß die Presse soviel Aufhebens darum macht. So kann ich eben nur sagen, daß das ein Freundschaftsdienst ist und daß es den Respekt für Marcel Avram zeigt, den ein Weltstar wie Michael Jackson hat. Er hatte ja auch im letzten Jahr einen Riesenerfolg mit dem zweimal ausverkauften Olympiastadion mit 150000 Besuchern alleine in München – die "Rolling Stones" machen nur ein Konzert. Das zeigt, daß ein solcher Künstler Marcel Avram auch dann, wenn er in Schwierigkeiten ist, sein Vertrauen schenkt und auch unserer Organisation das Vertrauen schenkt. Kastan: Was ist Michael Jackson für ein Typ? Auf uns als Zuschauer wirkt er ja manchmal so ein bißchen wie eine Puppe, so schablonenhaft, und wie eine Ikone. Wie ist er? Ist er zugänglich? Rau: Er ist überhaupt nicht zugänglich, er ist sehr introvertiert. Marcel Avram ist einer der wenigen Menschen, der Zugang zu ihm hat. Ich habe ja mit ihm gearbeitet, weil Marcel nicht dagewesen ist, und ich hatte hauptsächlich mit seinem Manager und seiner Umgebung zu tun. Er ist sehr introvertiert, aber er ist der absolute Boß. Er hat die Show entworfen, er hat sie eingeprobt. Wir hatten in Bremen bei zwei Konzerten im Weserstadion Premiere. Er kam eine Woche vorher, wir haben eine Woche lang auf der fertigen Open- Air-Bühne die letzten Bühnenproben durchgeführt. Ich konnte ihn dabei beobachten: Er hat das Orchester im Griff und die Tänzer, er entwickelt die Tanzschritte, er schreibt die Musik, er kreiert den Sound, und er hat sein Imperium auch wirtschaftlich voll in der Hand. Kastan: Wenn man mit Michael Jackson privat zusammen ist, worüber redet man dann? Über die Show oder auch über Privates? Rau: Ich hatte noch nicht das Vergnügen, mit ihm längere Zeit privat zusammensein zu können. Wir haben über Marcel geredet und über die Tournee - ich glaube, daß da Marcel mehr Auskunft geben könnte. Aber ich glaube, für ihn ist seine Arbeit das Entscheidende und seit neuestem auch sein Sohn, den er ja auch dabei hatte und den er über alles liebt. Als Großvater von sechs Enkelkindern habe ich dafür nur volles Verständnis. Kastan: Ich würde jetzt gerne hier ein paar Zitate vorbringen, die bekannte Leute über Sie gesagt haben. Und ich bitte Sie, nichts zu den Zitaten zu sagen, sondern uns etwas über die Menschen zu sagen, die das gesagt haben. Carlos Santana: "Fritz war immer ein großer Fan des Blues, und dafür werde ich ihn ewig lieben." Was sagen über Carlos Santana? Rau: Carlos Sanatana ist ein genialer Gitarrist, deswegen auch genial, weil er die Mariachi-Musik seines mexikanischen Vaters in die Rockmusik transponiert hat und dadurch einen eigenen Santana-Stil geschaffen hat. Er ist einer der Klassiker der Rockmusik, heute besser denn je. Ich bin besonders glücklich, daß er mir wieder das Vertrauen schenkt und wir ihn mit seiner Band im Oktober in Deutschland präsentieren dürfen. Kastan: Mick Jagger: "Rock’n Rau for ever!" Rau: Im Mittelalter hat ein König sein Schwert genommen und es einem auf die Schulter gelegt: Dadurch wurde man zum Ritter geschlagen. Ich habe dieses Zitat damals, 1973, als einen Adelsschlags des "Rock and Roll" empfunden. Aber auch hier ist die Beziehung nicht nur durch die geschäftliche und organisatorische Zusammenarbeit entstanden. Wir selbst haben uns ja entwickelt, und auch die "Stones" wurden von einem Hallenereignis zu einem Open-Air-Ereignis seit 1982. Nein, die Beziehung kommt auch von dem Respekt vor unserer Arbeit als Veranstalter mit den "American Folk Blues Festivals" usw. Und es ist eine Freundschaft, die mein Leben bereichert hat. Kastan: Harry Belafonte: "Seit ich mit Fritz zusammenarbeite, wächst mein Bedauern, daß ich ihn nicht von Anfang an kannte." Rau: Das ist ein sehr schönes Kompliment, weil er doch ein ganz überragender Künstler ist, der auch heute noch mit 70 Jahren auf der Bühne ein dreistündiges Konzert zelebriert, das zu dem Feinsten gehört, was man erleben kann. Er ist ein ungeheurer Mensch, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere ähnlich wie Muhammad Ali acht Jahre an der Seite von Martin Luther King für die Bürgerrechte seiner schwarzen Brüder gekämpft hat. Er ist ein Mann, dem mein voller Respekt gebührt. Kastan: Joan Baez: "Er schläft nie, er überlebt bei Bier, Schnitzel und Gugelhupf." Rau: Ja, Gugelhupf ist eine badische Spezialität, die sie sehr genossen hat. Ich war ja mit Joan Baez jahrelang zusammen, ich habe ihre europäischen Konzerte organisiert. Wir waren in der Friedensbewegung zusammen, und wir haben uns dabei so nahe kennengelernt, daß sie wahrscheinlich diese erstaunliche Feststellung machen konnte: Ich schlafe nie lang, aber ich kann im Flugzeug, im Bus und überall kürzer schlafen. Also ich komme schon zu meinem Schlaf. Kastan: Trotzdem sind Sie gesundheitlich angeschlagen. Wir haben das vorhin ja auch schon kurz erwähnt. Vielleicht zu viel Schnitzel und zu viel Gugelhupf gegessen? Rau: Und zu viel Bier und zu viel anderes. Nein, ich muß sagen - das klingt jetzt etwas merkwürdig: Ich war noch nie so gesund, und ich habe mich noch nie so gut gefühlt wie heute. Ich habe 16 Kilo abgenommen, aber nicht in Folge einer Krankheit, sondern weil ich mich auf ärztliches Anraten hin zurückgehalten habe. Ich trinke seit dem letzten August keinen Alkohol mehr, vor allen Dingen habe ich auf mein geliebtes Bier verzichtet. Ich rauche nicht mehr seit meinem Herzinfarkt und kann dadurch genauso intensiv arbeiten wie früher. Nur das Privatleben ist weniger intensiv. Man geht abends etwas früher ins Bett und lebt etwas ruhiger. Kastan: Das ist also im Grunde der neue Fritz Rau. Trotzdem, wenn man so eine schwere Herzoperation hinter sich hat, denkt man da auch über den Tod nach, über das Ende? Rau: Daran denke ich, und ich bereite mich auch innerlich darauf vor. Mir ist klar, daß das Sterben mit der Geburt beginnt, und ich habe keine Angst vor dem Tod, ich hoffe nur, daß mein Sterben menschlich würdig sein wird. Ich tue alles, um auch in meinen älteren Jahren doch so gesund wie möglich zu sein. Da kann man schon eine ganze Menge dazu beitragen. Kastan: Sie haben natürlich auch noch viele Projekte vor, viele Tourneen, die Sie betreuen müssen. Vielleicht sagen Sie einmal ganz kurz und knapp etwas auf die Frage, die sich wahrscheinlich viele Zuschauer stellen: Sie nennen sich selbst so in Ihrem Titel ganz schlicht Konzertveranstalter. Manches von dem, was Sie tun, ist jetzt auch schon etwas klarer geworden. Aber was muß ein Konzertveranstalter eigentlich genau alles machen? Rau: Er muß die Konzerte organisieren. Aber es beginnt damit, daß er sich für Musik interessieren muß: Musik muß sein Leben sein. Er muß das, was er auf die Bühne stellt, auch vertreten: Ich bin Unterhaltungsmusikveranstalter, und für mich ist das Kriterium, daß ein Künstler – egal in welche Sparte er eingeordnet wird, ob Jazz oder Rock oder meinetwegen Schlager – in der Lage ist, sein Publikum über zwei Stunden zu unterhalten im besten Sinne, das heißt, zärtlicher zu machen, stärker zu machen. Das heißt auch, daß das Publikum nach dem Konzert besser drauf ist als zuvor, daß es ein wertvoller Abend mit Inspirationen und auch mit Erfahrungen war. So daß man nicht nur glücklicher, sondern auch vielleicht etwas gescheiter und verständnisvoller geworden ist. Das ist das weite Feld der Unterhaltung, und da muß sich ein guter Veranstalter bewußt sein, was er tut. Das ist die erste Voraussetzung. Das zweite ist, es muß das Geld bereitstehen, um diese Konzerte so zu organisieren, daß sie publikumsgerecht sind, daß sie künstlergerecht sind. Kastan: Da geht es ja oft auch um Millionen. Rau: Da geht es nicht nur um die Gagen der Künstler, sondern auch um die Ausgaben für Ton und Licht. Wenn wir eine Tournee mit Juliane Werding machen, wie wir sie jetzt absolviert haben und aufgrund des Zuspruchs im April sogar fortsetzen können, oder mit Nana Mouskuri: Da lege ich Wert darauf, daß die Bühnenpräsentation, der Ton, das Licht, das Bühnenbild, die Arbeit mit den Musikern so geschieht, daß das Publikum ein erstklassiges Konzert erlebt, und dafür ist eben nicht nur mein Know-how entscheidend. An der Spitze steht dabei natürlich das, was sich die Künstlerin vorstellt. Aber in der Verwirklichung braucht es dann auch das Know-how meiner Mitarbeiter, das sie bei den Tourneen mit großen Künstlern und mit großen Produktionen wie z. B. "Tabaluga" erworben haben. Dieses Know-how und der Einsatz aller finanziellen Mittel ist wichtig, um nicht vorne und hinten sparen zu müssen und eine billige, im wahrsten Sinne des Wortes billige Show zu präsentieren. Kastan: Sie haben vorhin vor allem die U-Musik angesprochen, die Unterhaltung. Wir sollten unbedingt auch noch auf die E-Musik zu sprechen kommen. Das vermischt sich ja in den letzten Jahren immer stärker - ich erinnere nur an die drei Tenöre. Wo ziehen Sie eine Grenze zwischen E- und U-Musik? Rau: Ich ziehe da keine Grenze, sondern ich halte es für ein Unglück und für eine Dummheit, daß hier zwischen U- und E-Musik unterschieden wird. Entstanden ist das in der Romantik. E-Musik steht für ernste Musik oder anscheinend ernstzunehmende Musik, und U-Musik ist die Unterhaltungsmusik oder Unmusik - so wie sie ja oft behandelt wird. Die E- Musik wird subventioniert und wird mit Millionenbeträgen von teilweise völlig verarmten Städten am Leben gehalten - egal welche Wirkung auf das Publikum ausgeht und ob das Publikum überhaupt kommt. Die U-Musik muß sich im Dschungel des Showbusiness behaupten und seine Qualität entwickeln. Als ich diesen hervorragenden Film "Amadeus" sah, habe ich mir nachts überlegt, was "Lippmann und Rau" oder "Mama-Concerts" präsentiert hätten: Mozart oder Salieri. Die Lösung kam mir dann schon: Mozart, denn Salieri war E-Musiker. Er war der Liebling bei Hof und der Liebling der gehobenen Bürgerschicht mit seinen italienisch inspirierten Melodien, die heute kein Mensch mehr hören will. Mozart hingegen war ein Punk, Mozart wurde im Volkstheater aufgeführt. Seine Melodien haben die Spatzen von den Dächern gepfiffen. Das Volk ging zu Mozart: Das war U- Musik im besten und vollkommensten Sinn, so daß mich heute geglückte Konzerte und Melodien von Prince oder Michael Jackson durchaus an diese Situation erinnern. Oder Johann Sebastian Bach: Er hat geistliche Musik geschrieben - das ist eine Unterscheidung - zum Lobe des Herrn und weltliche Musik zum Segen des Menschen. Wenn er für seine Frau ein Lied geschrieben hat, "Willst du dein Herz mir schenken, dann fang‘ es zärtlich an", dann ist das ein Lovesong, dann ist das Unterhaltung im besten Sinne, und keiner käme auf die Idee, Bachs Musik zu unterscheiden. Bei den drei Tenören ist jetzt ein Urteil gefällt worden zugunsten der GEMA: Einerseits muß ich sagen, die 1,4 Millionen, die die GEMA bekommt, das geht schon einer nützlichen Institution zu, aber man kann doch andererseits nicht sagen, die drei Tenöre sind am Dienstagabend E- und am Mittwochabend U-Musiker, nur weil sie im Stadion singen. Kastan: Auch da gilt eben, es gibt gute und schlechte Musik. Meine Abschlußfrage an Sie, Herr Rau: Jemand wie Sie, der mit so vielen Künstlern zu tun hatte, der sich so gut auskennt in der Musik, wenn Sie auf eine einsame Insel verschleppt werden würden, was würden Sie für eine CD mitnehmen oder welchen Künstler würden Sie gerne bei sich auf der Insel auftreten lassen? Rau: Die Musik ist für mich Medizin, mein Schallplattenschrank ist für mich wie ein Medizinschrank. Ich möchte daher nicht einen einzelnen Künstler mitnehmen, ich bräuchte nämlich Blues, ich bräuchte Jazz, ich bräuchte B. B. King oder Eric Clapton und Duke Ellington oder Ella Fitzgerald, aber ich bräuchte auch "Tabaluga" von Peter Maffay. Kastan: Sie müßten sich also einen Sampler zusammenstellen. Rau: Ich müßte wirklich einen Sampler zusammenstellen oder mehrere Platten mitnehmen. Ich würde vielleicht einiges andere aber auch zurücklassen, weil ich mir je nach der Stimmung, in der ich bin, dann auch die "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi anhöre oder die "Wassermusik" von Händel oder das "Zweite Brandenburgische Konzert" von Bach. Musik ist eine Medizin, sie hat verschiedene Wirkungen für verschiedene Wehwehchen. Und auf der einsamen Insel bräuchte ich viel Musik, denn ich hätte ja keine Frau, mit der ich mich unterhalten könnte. Kastan: Vielen Dank für den Besuch bei Alpha-Forum. Wir wünschen Ihnen noch viele schöne und erfolgreiche Konzerte, Danke schön. Das war die heutige Ausgabe von Alpha-Forum. Wir danken für Ihr Interesse, und ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht einmal hinter die Kulissen eines Konzertveranstalters zu schauen.

© Bayerischer Rundfunk