Fritz Rau Konzertveranstalter Im Gespräch Mit Klaus Kastan Kastan: Herzlich Willkommen Bei Alpha-Forum. Unser Heutiges Gesprä
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor9806/19980615.shtml Sendung vom 15.06.1998, 20.15 Uhr Fritz Rau Konzertveranstalter im Gespräch mit Klaus Kastan Kastan: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Unser heutiges Gespräch steht unter dem Motto "Ein Mann, ein Programm" – und das können Sie ruhig wörtlich nehmen. Unser Gast ist Fritz Rau, Deutschlands wohl bekanntester Konzertveranstalter, oder? Rau: Zumindest der älteste. Kastan: Seit 43 Jahren betreiben Sie dieses Geschäft. Rau: Ja. Kastan: Mit vielem Auf und Ab, aber meistens ging es doch aufwärts, oder? Rau: Ja, ich habe überlebt, habe alle meine Schulden bezahlt und auch die Künstler. Kastan: Das ist doch was! Rau: Ich hoffe, ich habe auch das Publikum weitgehend zufriedengestellt mit den Konzerten, die ich betreuen durfte. Kastan: In der Musikszene haben Sie so ein paar Spitznamen. Einer davon lautet "The Fritz" ein anderer "Mister Music". Sie selbst bezeichnen sich mehr oder weniger als "Kartenverkäufer". Woher diese Bescheidenheit? Rau: Ja, das ist die Essenz dessen. Man kann natürlich Impresario sagen, aber ich glaube gar nicht, daß wir die entscheidenden Menschen in diesem Geschäft sind. Das sind nach wie vor die Künstler: Sie bringen den Zauber, und sie bringen alles, was die Menschen veranlaßt, in Konzertsäle zu gehen. Wir sind die Organisatoren, und da wir ja staatlich nicht subventioniert, sondern besteuert und bei unserer Arbeit mit sonstigen Auflagen belastet werden, müssen wir alles, was die Sache kostet, von den Besuchern in Form von Eintrittskarten erlösen. Und darum besteht unser Hauptziel darin, Eintrittskarten zu verkaufen und volle Säle zu haben, um weiterexistieren zu können. Kastan: Sie haben schon so viele Eintrittskarten verkauft, daß Sie fast selbst ein Star sind, oder? Rau: Nein, wir werden nicht zum Star, das ist auch richtig so. Ich habe ja in den fünfziger Jahren, genauer gesagt 1954, versucht, mich als Bassist in unserem Jazzkeller an der Uni Heidelberg, dem "Cave", musikalisch zu betätigen. Aber das war nicht berühmt, ich war einfach nicht begabt. Ich habe mir dann eben vorgenommen, möglichst viele Begabungen zu erleben und ihnen den Weg zur Bühne zu zeigen. Aber die Stars stehen auf der Bühne, und das ist auch richtig so. Wir stehen zu Recht etwas im Schatten, und sie stehen im Licht Kastan: Dann gehen wir einmal zurück in diese fünfziger Jahre, von denen Sie eben schon gesprochen haben - als Sie den ersten Jazzkeller in Heidelberg gegründet haben. Oder gehen wir noch weiter zurück, gehen wir zurück in die Nazizeit, in der Sie aufgewachsen sind. Sie sind Jahrgang 1930. In Ihrer Biographie hat mich ein bißchen gewundert, daß Sie trotz dieser Erziehung in dieser schwierigen Zeit wenig Interesse hatten für Tschinderassabumm und deutsche Heimatlieder. Statt dessen hatten Sie ein größeres Interesse an der amerikanischen Musik. Es gibt ein Zitat von Ihnen, das besagt: "Ich bin durch Swing und Jazz an Körper, Geist und Seele entnazifiziert worden". Warum dieses Interesse für die amerikanische Musik, warum haben Sie sich so wenig beeinflussen lassen von dem, was damals in Ihrer Jugendzeit vor allem gespielt wurde? Rau: Ich war ja 1945 15 Jahre alt, und da ist man schon ziemlich weit entwickelt. Vor allem war ich ein begeisterter Hitlerjunge und bin denen nachgelaufen. Ich war auch von der Marschmusik und all dem Brimborium doch sehr beeindruckt, denn "heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt". Dann kam das Jahr 1945. Da war dieser Knall, dieser Zusammenbruch: Da sind all diese Ideale, die wir hatten, im Nichts zerstoben. Es gab menschliche Enttäuschungen: nicht nur über Herrn Hitler, der sich plötzlich umgebracht hat, sondern auch über kleinere Nazis, die sich eben nachher plötzlich umgewandelt haben. Diese Enttäuschung wurde bei mir auffangen durch dieses Grunderlebnis der Jazzmusik. Das kam aus dem Radio: Plötzlich hörte ich Swing, und das fing an mit Glenn Miller. Da gab es einen Film, "Adoptiertes Glück" mit Sonja Henie, den habe ich dreißigmal gesehen - damals, 1945, gab es ja noch keine Schallplatten. Ich kann seitdem zwar kein Eiskunstlaufen mehr sehen, aber zum Schluß habe ich mir die Augen zugedeckt, nur um "In the Mood" usw. zu hören. Da wurde mir plötzlich klar, daß alles, was ich vorher von Rassenpolitik, Rassenreinheit und so weiter geglaubt habe, der größte Humbug gewesen ist: Denn die für mich herrlichste Musik dieses Jahrhunderts, der Jazz, ist eine Fusion aus afrikanischen und europäischen Elementen. Der Swing und der Drive haben einfach mein Leben verändert. In der Marschmusik fühlen sich die Lahmen und Schwachen noch schwächer und verlassener, und die Protze werden noch protziger, aber beim Swing werden die Lahmen gehend, die Schwachen fühlen sich besser, und ein Protz muß sich sagen lassen, entweder du swingst oder du bist ein Arsch. Vor allem auch im Blues ist es so: Der Blues heilt – "blues cure the blues" – den Weltschmerz, den man hat, oder die Traurigkeit: man überwindet sie. So hat diese Fusion von Schwarz und Weiß mein Leben bereichert und auch meine kulturellen und musikalischen Interessen definiert. Kastan: Sie kommen aus einem kleinen Dorf. Wie haben Sie Kontakt bekommen zu dieser Musik? Haben Sie damals Radio oder Platten gehört? Welche Möglichkeiten gab es damals? Rau: Ja, ich komme aus Ittersbach, meine Vorfahren waren Schmiedemeister - auch mein Vater. Aber meine Eltern und Großeltern waren 1940 tot, ich war da zehn Jahre alt. So kam ich zu Verwandten nach Berlin, das war natürlich eine riesengroße Umstellung für mich. Aber damals lernte ich schon die "Comedian Harmonists" durch Schallplatten kennen, wie ich mich jetzt durch den herrlichen Film erinnert habe: "Wochenend und Sonnenschein" usw. Irgendwie kam mir schon Swingmusik an die Ohren, aber es wurde alles überlagert durch die offizielle Staatsmusik der Hitlerjugend. Ich ging dann nach Ettlingen ins Gymnasium. Nach 1945 kam dann über den "Süddeutschen Rundfunk" der Jazz zu mir: Dieter Zimmerle hat die Jazzsendungen gemacht. Oder ich habe beim großen Propheten Joachim Ernst Berendt vom "Südwestfunk Baden-Baden" Jazzsendungen eingeschaltet. Aber meine richtige "Universität" in kultureller Beziehung war der AFN, "American Forces Network". Da gab es die herrliche Sendung "There is music in the air" von Jonny Forges. Man hat auch nicht nur den reinen Jazz, sondern auch jazz-inspirierte Unterhaltungsmusik gehört: z. B. Fred Astaire, den ich dann später im Fernsehen oder im Film tanzen gesehen habe. So kam man hinein. Als ich dann 1950 in Heidelberg anfing zu studieren ... Kastan: Darauf hatte vor allem auch Ihr Vater gedrängt, daß Sie doch auch noch etwas Anständiges machen und nicht nur, ich sage das einmal in Anführungszeichen, "Dudelmusik" hören. Rau: Na ja, also mein Vater war tot und hatte dadurch keine Chance, mein Leben positiv zu beeinflussen. Das ist ein Nachteil. Hier aber war das ein Vorteil: Ich hatte etwas Narrenfreiheit, meine verschiedenen Pflegeeltern hatten es aufgegeben, mich zu lenken und zu leiten. Aber ich hatte meiner Mutter 1938 auf dem Sterbebett mit acht Jahren versprechen müssen, daß ich ein Doktor werde, d. h., daß ich ein Studierter werde. Denn für diese Frau vom Land war ein Studierter eben ein Mensch höherer Ordnung: Ich war ihr einziges Kind, und ihr kleiner Fritz sollte das eben werden. Und trotz großer Schwierigkeiten hat mich das dann doch bewogen, alles zu tun, um das Abitur zu machen und auch nach Heidelberg zu gehen und dort Jura zu studieren. Kastan: Sie sind Volljurist? Rau: Ich habe das wider Erwarten doch geschafft, weil ich ja auch dort mit Jazzfreunden zusammenkam. Wir hatten 1954 den Jazzkeller mit dem französischen Namen "La Cave" gegründet: Wir waren Existentialisten mit rotem Bart und schwarzem Pullover, und der Jazz hat da natürlich dazugehört - ebenso die Wallfahrten nach Paris zu Jean Paul Sartre usw. Das alles hat uns das Studium etwas weniger intensiv betreiben lassen, aber ich hatte das Glück, in der "Studienstiftung des Deutschen Volkes" gefördert zu werden. Ich habe dann wider Erwarten mit etwas Verzögerung doch noch das Staatsexamen gemacht und auch die Referendarszeit überstanden. Ich wurde dann in Rheinland-Pfalz Assessor – da war ich schon zweifacher Vater. Ich habe aber dann parallel - sowohl als Student als auch als Referendar - für Norman Granz, dem legendären amerikanischen Impresario, und für Horst Lippmann, meinem Vorbild, Tourneeleiter gemacht. Ich hatte so das Glück, gleich mit Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Count Basie, Oscar Peterson bekannt zu werden, weil ich für diese herrlichen Künstler arbeiten durfte. So hat sich das parallel entwickelt bis zum Assessor. Dann mußte ich mich entscheiden, ich bin kurz Anwalt gewesen: als Junior in einer Kanzlei in Neustadt an der Weinstraße. Die Entscheidung hieß, Anwalt zu bleiben oder einem Ruf von Horst Lippmann zu folgen. Da habe ich letzteres getan, und wir haben dann "Lippmann und Rau" gegründet, und das habe ich nie bereut: Die Welt hatte einen Anwalt weniger und einen Eintrittskartenverkäufer mehr. Kastan: Es war ja dann möglicherweise auch in diesem Beruf durchaus von Vorteil bei Vertragsverhandlungen, daß Sie den Anwaltsberuf erlernt hatten und sich in der Juristerei gut auskannten. Rau: Ja, das ist sehr richtig. Als Anwalt hätte ich davon gelebt, Prozesse zu führen, jetzt lebe ich gut davon, Prozesse zu vermeiden. Vor allen Dingen als Laie läuft man viel zu spät zum Anwalt: Anstatt sich beraten zu lassen, rennt man erst, wenn das "Haus brennt". Vor allem in der Referendarszeit hat man doch gelernt, die Sachverhalte besser zu subsumieren und in den Vertragsverhandlungen so vorzugehen, daß möglichst wenige Dissense entstehen und daß man doch die Situationen auch rechtlich klären kann. Das hat mir sehr genützt. Kastan: Einer der ersten Künstler, die Sie unter Vertrag genommen haben, war Albert Mangelsdorff. Wie war diese erste Begegnung? War das aufregend für Sie? Sie wollten ihn unter Vertrag bekommen, und er war damals schon ein bekannter Künstler. Rau: Ich hatte mir eine Schallplatte gekauft - das Geld dafür hatte ich mir vom Mund abgespart.