5. Biographien der Protagonisten

5.1 5.2 Lucie Dreyfus 5.3 Senator Scheurer-Kestner 5.4 Sarah Bernhardt 5.5 George Picquart 5.6 Emile Zola 5.7 Ferdinand Esterhazy 5.8 Severine

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 52 Hauptmann Alfred Dreyfus

1859 Alfred Dreyfus wird am 9. Oktober in (Mülhausen) / Elsass geboren

1878–1892 Studium an der Ecole Polytechnique und der Militärakademie, Abschluss mit Auszeichnung

1889 Beförderung zum Hauptmann am 12. September

1890 Heirat mit Lucie-Eugénie Hadamard am 21. April

1893 Abkommandierung zum Generalsstab am 1. Januar

1894 Verhaftung unter Verdacht des Landesverrats am 15. Oktober Von November bis Dezember Anklage und Verurteilung zu lebenslänglicher Haft Ablehnung der Berufung gegen das Urteil am 31. Dezember

1895 Am 5. Januar öffentliche Degradierung auf dem Hof der Ecole militaire Ab April Einzelhaft auf der Teufelsinsel

1899 Am 3. Juni Aufhebung des Urteils durch den Kassationsgerichtshof und Anordnung eines Revisionsverfahrens in Im September erneute Verurteilung unter ‚mildernden Umständen’ zu zehn Jahren Haft Begnadigung unter dem Vorbehalt Dreyfus’, die Anstrengungen zum Beweis seiner Unschuld fortzusetzen

1906 Im Juli Entlastung Dreyfus’ und Annullierung des Urteils Rehabilitation und Beförderung zum Major Auszeichnung mit dem Kreuz der Ehrenlegion

1914–1918 Dienst als Oberstleutnant im I. Weltkrieg

1935 Tod am 12. Juli in

Die aussichtsreich begonnene Karriere und das private Glück Alfred Dreyfus’ wurden durch die unrechtmäßige Verurteilung wegen Landesverrats jäh beendet: sie bedeutete nicht nur lebenslange Haft, sondern auch öffentliche Degradierung, deren Erniedrigungen und Misshandlungen durch die Zuschauer Dreyfus mit aufrechter Haltung ertrug. Obwohl ihn die unmenschlichen Zustände seiner Haft körperlich wie seelisch stark belasteten, behielt Dreyfus seine innere Widerstandskraft bei. Sogar als ihm die Begnadigung angeboten wurde, nahm er nur unter dem Vorbehalt an, auch weiterhin für den Beweis seiner Unschuld und die Wiederherstellung seiner Ehre zu kämpfen. Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 53 Lucie Dreyfus

1869 Lucie-Eugénie Hadamard wird am 23. August in Chatou geboren

1890 Im April heiratet sie Alfred Dreyfus

1894 Von Oktober bis Dezember finden Anklage und Prozess gegen ihren Gatten statt

1895 Im Februar wird ihre Bitte, ihren Mannes auf die Teufelsinsel begleiten zu dürfen, abgelehnt

1896 Im September Revisionsgesuch an die Deputiertenkammer

1898 Im April Veröffentlichung der Briefe eines Unschuldigen Am 3. September Revisionsgesuch an die französische Regierung Am 29. Oktober Beschluss zur Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Landesverrats

1899 Im September Nachricht von der Begnadigung ihres Ehemanns

1906 Im Juli wird ihr Gatte rehabilitiert

1945 Lucie Dreyfus stirbt am 14. Dezember in Paris

Die gesamte Familie stellte sich hinter Alfred Dreyfus und setzte sich für den Beweis seiner Unschuld ein. Beispielhaft dafür ist das Engagement der Ehefrau Lucie. In den Jahren seiner Haft unternahm sie zahlreiche Versuche, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Sie edierte sogar die privaten Briefe ihres Mannes, um der Öffentlichkeit die Loyalität des Soldaten und Familienvaters zu veranschaulichen. Auch während der langen Verhandlungen stand Lucie gemeinsam mit der gesamtem Familie Dreyfus ihrem Gatten bei. Dieser beharrliche Kampf für Alfred Dreyfus brachte Lucie weltweite Annerkennung besonders von Seiten der Frauen ein.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 54 Auguste Scheurer-Kestner

1833 Auguste Scheurer-Kestner wird in Mulhouse (Mülhausen) / Elsass geboren

1871 Wahl zum Abgeordneten der Nationalversammlung

1875 Scheurer-Kestner wird Senator auf Lebenszeit und Leiter der Zeitung La République francais

1895 Wahl zum Vizepräsidenten des Senats

1897 Im Juli Einsicht in Beweise für Dreyfus’ Unschuld und Esterhazys Verrat, vorgelegt von Louis Leblois, dem Anwalt von

1898 Am 13. Januar gescheiterte Wiederwahl zum Vizepräsident des Senats Im Februar Mitbegründer der Liga der Menschen- und Bürgerrechte

1899 Aufgrund der Verschlechterung des Gesundheitszustands schriftliche Zeugenaussage im zweiten Militärgerichtsverfahren von Alfred Dreyfus in Rennes Scheurer-Kestner stirbt am 19. September, dem Tag an dem Dreyfus die Begnadigung annimmt

Nachdem er anhand der Beweise von Dreyfus‘ Unschuld überzeugt war, engagierte sich Senator Scheurer- Kestner für eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Nachdem anhand von Schriftproben, Esterhazy als der Verfasser des „Bordereau“ ausgemacht werden konnten, wandte sich Scheurer-Kestner an den französischen Präsidenten Félix Faure und den Senat. Da man die Ergebnisse einer erneuten Untersuchung des Falls Dreyfus fürchtete, wurde Esterhazy in einem übereilten und eindeutig parteiischen Militärgerichtsverfahren freigesprochen. Zwei Tage später erschien Zolas aufrührerischer Artikel J’Accuse und am selben Tag wurde Scheurer-Kestner nach zwanzig Dienstjahren im französischen Senat sein Mandat als Vizepräsident entzogen.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 55 Sarah Bernhardt

1844 Sarah Bernhardt wird in Paris geboren

1854 In der Klosterschule Grandchamps in Versailles erhält sie eine strenge Erziehung

1862 Debüt an der Comédie Française mit der Hauptrolle in Racines Iphigénie en Aulide Sie entwickelt sich zur größten zeitgenössischen französischen Schauspielerin

1882 Eröffnung ihres eigenen Theaters in Paris

1886–1893 Tourneen in Nordamerika und Europa vergrößern ihren internationalen Ruhm

1894 Zeugin der öffentlichen Degradierung von Alfred Dreyfus

1898 Sarah Bernhardt gratuliert Zola zu seinem Artikel J’Accuse und macht ihre Solidarität mit dem Autor öffentlich

1923 Sie stirbt am 25. März in Paris

Sarah Bernhardt war eine berühmte Schauspielerin, die in der ganzen Welt verehrt und geliebt wurde. Aus der Presse erfuhr sie von der Affäre und war Zeugin der öffentlichen Degradierung Dreyfus’ im Januar 1895. Zahlreiche Würdenträger, Diplomaten und Journalisten hatten sich zu der Zeremonie an der Ecole Militaire versammelt und hörten die Unschuldsbeteuerung des Verurteilten. Sarah Bernhardt glaubte Dreyfus und engagierte sich dafür, noch mehr Menschen von dessen Unschuld zu überzeugen. Die Aufführungen eines Stückes des Dreyfus-Anhängers und Schriftstellers Octave Mirbeau führte 1897 zu Unruhen im Publikum. Deshalb wurde Sarah Bernhardt, die als Schauspielerin mitwirkte, vom Polizeichef aufgefordert, das Stück abzusetzen. Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 56 Marie-Georges Picquart

1854 Marie-Georges Picquart wird am 6. September in Straßbourg (Straßburg) geboren

1872–1885 Studium an der Militärhochschule Saint-Cry und der Generalstabsschule

1885–1888 Aktiver Dienst in Tonkin (heute Vietnam)

1895 Ernennung zum Chef des französischen Geheimdienstes

1896 Im März Entdeckung des ‚petite blue’ (Eilbrief), das Esterhazy als den Verräter identifiziert Im August / September Benachrichtigung des Generalstabs, der von Picquart Stillschweigen fordert Im Dezember Versetzung auf Befehl des Generalstabs in den aktiven Dienst nach Tunesien

1898 Am 13. Januar, dem Tag des Erscheinens von Zolas Artikel J’Accuse, wird Picquart inhaftiert Am 11./12. Februar sagt Picquart als Zeuge im Zola-Prozess aus Am 26. Februar unehrenhafte Entlassung aufgrund von Dienstunfähigkeit wegen »schweren Fehlverhaltens« Am 13. Juli erneute Inhaftierung für ein Jahr Im November Unterschriftenaktion der Zeitschriften Le Siecle und L’Aurore zur Unterstützung Picquarts

1899 Im Januar Veröffentlichung des Albums Hommage der Künstler an Picquart

1906 Im Juli Entlastung und Beförderung zum Brigadegeneral Im Oktober Ernennung zum Kriegsminister unter Premierminister Clemenceau

1914 Im Januar erhält Picquart nach einem tödlichen Reitunfall ein Staatsbegräbnis

Zum Zeitpunkt von Dreyfus’ Verurteilung war Georges Picquart mit einundvierzig Jahren der jüngste Oberstleutnant der französischen Armee und nach Ansicht seiner Vorgesetzten einer der vielversprechendsten Offiziere. Picquart sah sich mit der Entscheidung des Gerichts gegenüber einem Landesverräter durchaus einverstanden. Mit der Aufdeckung der Wahrheit über den Fall Dreyfus geriet er allerdings in einen inneren Zwiespalt zwischen der Treue gegenüber der Armee und der eigenen Integrität. Durch die Entscheidung zugunsten seines Gewissens brachte Picquart sich selbst, seine Ehre und die Karriere in Gefahr.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 57 Emile Zola

1840 Zola wird am 2. April in Paris geboren und wächst in Aix-en-Provence auf

1865–1876 Doppelkarriere als Romancier und Journalist beginnt mit der Veröffentlichung des Romans Thérèse Raquin (1867) In dieser Zeit schreibt er mehr als 1.800 Artikel für die Presse

1877 Die Zeitschrift L’Assommoir kürt Zola als Frankreichs berühmtesten zeitgenössischen Autor

1897 Im November überzeugt Senator Scheurer-Kestner Zola von Dreyfus’ Unschuld Am 14. Dezember beschwört er im Brief an die Jugend Studenten und junge Leute, sich für Dreyfus einzusetzen

1898 Sein Artikel Brief an Frankreich ruft am 7. Januar die Nation zur Gerechtigkeit auf Am 13. Januar erscheint J’Accuse ...! in der von Georges Clemenceau herausgegebenen Zeitung L’Aurore 7.–23. Februar findet der Prozess gegen ihn wegen Verleumdung statt, in dem er zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 3.000 Francs verurteilt wird Obgleich Zola bereit ist, ins Gefängnis zu gehen, wird er überredet, nach England zu fliehen

1899 Nach der Verordnung über eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Dreyfus, kehrt Zola am 5. Juni nach Frankreich zurück

1902 Am 29. September stirbt Zola in seiner Pariser Wohnung Der 5. Oktober, der Tag seiner Beerdigung, ist ein nationaler Trauertag

Zola, Frankreichs berühmtester Romancier, wurde von Senator Scheurer-Kestner auf Beweise hingewiesen, die für Dreyfus‘ Unschuld sprachen. In einem offenen Brief an den Präsidenten der Republik beschuldigte Zola daraufhin namentlich die Mitglieder der Regierung, die Schriftsachverständigen und das Oberkommando des Militärs der ungerechtfertigten Verurteilung Dreyfus‘. Dieser Brief wurde mit der Überschrift J’Accuse...! (Ich klage an) veröffentlicht und lenkte die Aufmerksamkeit erneut auf die Affäre. Zola musste sich dafür vor Gericht verantworten. Das Urteil lautete ein Jahr Gefängnis und erhebliche Geldstrafen. Auf Anraten seiner Anhänger verließ Zola Frankreich unmittelbar nach Urteilsverkündung, um sich von England aus weiterhin für die Freilassung Dreyfus’ einzusetzen.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 58 Ferdinand Walsin Esterhazy (1847-1923)

1847 Esterhazy wurde in Paris geboren.

1869 Er tritt in die Italienische Armee ein.

1870 Während des Deutsch-Französischen Krieges wird er in die Französische Armee aufgenommen und kämpft als Hauptmann im Gebiet der Loire und im Jura.

1876 Er ist im Nachrichtendienst und im Kriegsministerium tätig und führt in Paris ein verschwenderisches Leben.

1881 Eine Expedition nach Tunis wird Esterhazy übertragen.

1885 Zurück in Frankreich, gehört er der Garnison in Marseille an.

1892 In Rouen wird er Garnisonsmajor.

1894 Im Juli nimmt Esterhazy Kontakt zu dem deutschen Militärattaché von Schwartzkoppen auf. Im September wird das Bordereau vom Französischen Militär entdeckt.

1896 Major Esterhazy wird von Major George Picquart, Chef des Nachrichtendienstes, als Verfasser des Bordereaus überführt. Picquart wird jedoch zum Stillschweigen genötigt.

1898 Von einem Kriegsgericht wird Esterhazy freigesprochen, doch der Druck auf ihn erhöht sich und so flieht er erst nach Belgien und dann nach England; Im Ausland spricht er offen darüber der Verfasser des Bordereaus zu sein.

Für seinen luxeriösen und ausschweifenden Lebensstil brauchte der adelige Esterhazy dringend Geld, weshalb er der deutschen Botschaft geheime militärische Informationen anbot. Zur Zeit der Dreyfus-Affäre war er in der deutschen Botschaft ein häufig empfangener Gast.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 59 Séverine

1855 Carolin Rémy wird in Paris geboren

1879–1880 Bekanntschaft mit Jules Vallès, Journalist, Autor und Revolutionsführer, in Brüssel und Anstellung als seine Sekretärin

1885–1889 Chefredakteurin der Zeitung Le Cri du Peuple nach dem Tod Vallès seit 1889 Journalistin für viele verschiedene Zeitungen als »unabhängige« Stimme

1892 Auftrag von Le Figaro nach Rom zu reisen und erhält von Papst Leo XIII. eine Erklärung gegen den Antisemitismus

1898 Im Februar Beteiligung an der Gründung der Liga der Menschen- und Bürgerrechte Im September Unterzeichnung des Protestschreibens von Oberstleutnant Georges Picquart an den Präsidenten

1899 Berichterstattung im August zugunsten Dreyfus’ für die Zeitung La Fronde über das zweite Militärgerichtsverfahren in Rennes

1900 Veröffentlichung Vers la lumiére [Zum Licht], einem Band mit Artikeln über die Affäre, der »dem ehrenvollen Gedenken an Scheurer-Kestner« gewidmet ist

1929 Séverine stirbt im Alter von 74 Jahren

Caroline Rémy, die den Künstlernamen Séverine annahm, war eine hoch angesehene und beliebte Journalistin und Autorin, zu einer Zeit, als beide Berufe im Allgemeinen als Männerdomäne galten. Zuerst war sie sich, wie viele andere, nicht sicher über die Wahrheit im Falle Dreyfus, aber sie misstraute den offiziellen Erklärungen. Im Jahre 1897 erschien La Fronde, die erste Tageszeitung Frankreichs, die nur von Frauen herausgegeben wurde. Séverine führte ihre Untersuchung der Affäre in ihren Kolumnen weiter. Nach der Begnadigung Dreyfus’ im Dezember 1899 engagierte sich Séverine verstärkt um seine Entlastung.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 60

6. Chronologie

6.1. Chronologie der Ereignisse

1791 Die neue französische Republik verkündet die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte.

1859 Alfred Dreyfus wird am 9. Oktober in Mulhouse im Elsass geboren.

1871 Das Elsass und Teile Lothringens werden infolge des Deutsch-Französischen Krieges von Deutschland annektiert.

1880 Am 14. Juli wird erstmals der Nationalfeiertag auf dem Place de la Nation begangen. Die Mar- seillaise wird zur Nationalhymne erklärt. Alfred Dreyfus wird Unterleutnant auf der Artillerie- schule in Fontainebleau.

1881 Die republikanische Gesetzgebung schränkt die Macht der Kirche im zivilen Leben ein. Die Pressezensur wird durch das Gesetz vom 29. Juli aufgehoben.

1882 Zusammenbruch des 1876 mit Mitteln katholischer Investoren gegründeten Bankkonsortiums L’Union Générale. Das Scheitern wird als Vorwand für Angriffe gegen die republikanische Re- gierung und jüdische Finanziers genutzt.

1886 Edouard Drumont, selbsternannter „Papst“ des Antisemitismus, veröffentlicht das Buch La France juive (dt. Ausgabe: Das verjudete Frankreich) – innerhalb von zwei Monaten werden 100.000 Exemplare verkauft, insgesamt gibt es über 200 Auflagen.

1889 Edouard Drumont gründet die Antisemitenliga.

1892 Der Konkurs der Panama-Gesellschaft und der damit einhergehende Ruin kleiner Investoren führt zu antisemitischen Agitationen. Die von Edouard Drumont neu gegründete Zeitung La libre Parole berichtet als erste über Bestechungen von Politikern im Zusammenhang mit dem Panamaskandal.

1893 Dreyfus tritt seinen Dienst im 1. Büro des Generalstabs an. Er ist der erste jüdische Offizier, der in den Generalstab aufgenommen wird.

1894 Am 20. Juli erscheint der französische Major Esterhazy erstmals in der deutschen Botschaft in Paris und bietet dem Militärattaché Max von Schwartzkoppen seine Dienste an. Ende September wird ein geheimes Schreiben, das sogenannte ‚Bordereau‘, vom französischen Nachrichtenbüro (Geheimdienst) abgefangen und anschließend der Generalität vorgelegt. Am 11. Oktober unterrichtet Kriegsminister Mercier den Ministerpräsidenten, den Außen- und den Justizminister, dass sich ein Verräter innerhalb des Generalstabs befindet. Der Verdacht fällt auf den jüdischen Hauptmann Dreyfus. Am 14. Oktober, einem Sonntag, werden die Einzelheiten für die Verhaftung besprochen und Mercier unterzeichnet den Haftbefehl.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 61

Unter einem Vorwand wird Dreyfus am 15. Oktober in das Arbeitszimmer des Generalstabs- chef bestellt und aufgefordert, einzelne Worte und Satzfetzen aus dem ‚Bordereau‘ niederzu- schreiben. Anschließend wird er verhaftet. Am 31. Oktober werden die Voruntersuchungen abgeschlossen und einen Tag später wird Dreyfus bereits in La Libre Parole als Verräter genannt. Am 3. November wird Dreyfus vor einem Militärgericht des Landesverrats angeklagt. Der Prozess erfolgt zwischen dem 19. und 22. Dezember. Einstimmig wird Dreyfus für schuldig befunden und zu lebenslänglicher Verbannung verurteilt.

1895 Am 5. Januar wird Dreyfus öffentlich degradiert. Im Februar erfährt sein älterer Bruder Mathieu, dass ein geheimes Aktenstück existiert, das nicht beim Prozess vorgelegt wurde. Am 13. April landet Dreyfus auf der Teufelsinsel (Ile du Diable), dem Ort seiner Verbannung im Atlantischen Ozean, kurz vor der südamerikanischen Küste Französisch-Guayanas. Am 1. Juli wird Major Picquart zum Chef des Nachrichtenbüros ernannt.

1896 Im März gelangt ein zerrissener, nicht abgesandter Briefentwurf (das berühmte petit bleu) des deutschen Militärattachés Schwartzkoppen, adressiert an Major Esterhazy, in das französische Nachrichtenbüro. Damit wird Picquart auf Esterhazy aufmerksam. Am 6. August meldet Picquart dem Generalstabschef seine Vermutungen über Esterhazy. We- nig später entdeckt er auch, dass Esterhazy der Verfasser des Bordereaus ist und verfasst eine schriftliche Darstellung des Falls. Er wird daraufhin vom Generalstabschef zum Stillschweigen genötigt und wenig später versetzt. Am 3. September streut Mathieu die Falschmeldung über die Flucht seines Bruders, um erneut die Aufmerksamkeit auf den Fall Dreyfus zu lenken. Am 18. September richtet Dreyfus’ Ehefrau Lucie ein Revisionsgesuch an die Kammer des Kas- sationshofes.

1897 Nachdem Picquart im Januar in ein algerisches Schützenregiment abkommandiert wird, verfasst er in Form eines Testamentes eine Denkschrift über den Fall Dreyfus-Esterhazy, die für den Präsidenten der Republik bestimmt ist. Sein Rechtsanwalt Leblois informiert Senator Au- guste Scheurer-Kestner über den Fall. Scheurer-Kestner nimmt Verbindung mit dem Kriegsmi- nisterium auf und bemüht sich um ein Revisionsverfahren. Am 18. Oktober wird Esterhazy nach Paris beordert. Am 7. November richtet er einen Droh- brief an Picquart. Unabhängig davon veröffentlicht ein Faksimilé des Borde- reau, das ihm zugespielt worden ist. Nachdem der Bankier de Castro Esterhazys Handschrift auf dem Bordereau erkennt, zeigt Mathieu Dreyfus Esterhazy am 16. November als Verfasser des Bordereau an. Einen Tag später beantragt Esterhazy selbst eine Untersuchung gegen sich.

1898 Am 2. Januar befiehlt der Gouverneur von Paris, Esterhazy vor ein Kriegsgericht zu stellen. Am zweiten Prozesstag (11. Januar) wird dieser jedoch freigesprochen. Daraufhin erscheint am 13. Januar unter dem Titel J’Accuse Emile Zolas offener Brief an den französischen Präsidenten Félix Faure in der Zeitung L’Aurore. Am 18. Januar erhebt Kriegsminister Billot Anklage gegen Zola und den Herausgeber von L’Aurore, Georges Clemenceau. Einen Tag später erscheinen in der Zeitung Le Siècle die ersten Briefe eines Unschuldigen von Alfred Dreyfus. Der Prozess gegen Zola beginnt am 7. Februar und endet am 23. Februar mit der Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis und einer Geldbuße von 3.000 Francs. Um der Strafe zu entgehen, flieht Zola nach England.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 62

Am 3. Juli verlangt Lucie Dreyfus die Annullierung der Verurteilung ihres Gatten. Der Justiz- minister weigert sich, das Verfahren einzuleiten. Am 7. Juli verkündet der Kriegsminister Cavaignac in der Kammer, das Militär könne Dreyfus’ Schuld zweifelsfrei beweisen. Die von ihm angeordnete Überprüfung der Akten ergibt jedoch, daß die belastenden Beweisdokumente gefälscht worden waren. Major Henry, der die Beweis- mittel im Dreyfus-Prozess gefälscht hatte, wird Ende August festgenommen und am 31. August tot in seiner Zelle aufgefunden. Lucie Dreyfus richtet am 3. September ein Revisionsgesuch an die Regierung. Der Justizminis- ter beruft daraufhin eine Kommission zur Revisionsfrage ein. Diese lehnt am 21. September das Revisionsverfahren ab. Vier Tage später erklärt der in England weilende Esterhazy erstmals öffentlich, der Verfasser des Bordereaus zu sein.

1898 Am 26. September setzt sich der Ministerrat über die Kommission hinweg und beauftragt den Justizminister, das Gesuch von Madame Dreyfus an den Kassationshof weiterzuleiten. Am 29. September beschließt die Kammer des Kassationshofs, den Fall Dreyfus erneut zu untersuchen.

1899 Nach dem Tod des Präsidenten der Republik, Félix Faure, am 16. Februar übernimmt zwei Tage später Emile Loubet das höchste Staatsamt. Am 3. Juni hebt der Kassationshof die Verurteilung Dreyfus’ auf und verweist den Fall zurück an das Kriegsgericht in Rennes. Daraufhin kann Dreyfus die Teufelsinsel am 9. Juni verlassen und erreicht drei Wochen später Frankreich. In der Nacht zum 1. Juli wird er in das Militärge- fängnis von Rennes eingeliefert. Am 7. August beginnt der zweite Prozess vor dem Kriegsgericht in Rennes. Knapp einen Monat später wird Dreyfus mit fünf zu zwei Stimmen erneut schuldig gesprochen. Das Urteil lautet: „Zehn Jahre Festungshaft unter Zubilligung mildernder Umstände“. Am 15. September verzichtet Dreyfus auf eine Berufung gegen das Urteil. Vier Tage später nimmt Dreyfus die von Präsident Loubet vorgeschlagene Begnadigung unter der Voraus- setzung an, dass er seine Bemühungen zum Beweis seiner Unschuld fortsetzt. Um die bevorstehende Weltausstellung in Paris (1900) nicht zu gefährden, ordnet die Regie- rung eine Amnestie für alle Straftaten im Zusammenhang mit dem Fall Dreyfus an; das Gesetz tritt am 27. Dezember in Kraft.

1901 Dreyfus’ Buch Fünf Jahre meines Lebens erscheint.

1902 Emile Zola stirbt am 29. September. Der 5. Oktober, der Tag seiner Beerdigung, wird zum nationalen Trauertag.

1903 Jean Jaurés, der Sozialistenführer, entfacht eine Debatte über die Notwendigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens des Falls Dreyfus. Der Kriegsminister General André erklärt sich zur erneuten Untersuchung bereit.

1906 Am 12. Juli annulliert der Kassationshof das Urteil von Rennes und rehabilitiert Hauptmann Dreyfus. Acht Tage später wird Dreyfus zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und im Range eines Majors wieder in das Heer aufgenommen. George Picquart wird am 13. Juli zum Brigadegeneral befördert. Im Oktober wird er von Minis- terpräsident (und ehemaligen Herausgeber der Zeitung L’Aurore) Georges Clemenceau zum Kriegsminister ernannt.

Pädagogischer Leitfaden zur Ausstellung „J’Accuse! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus“ 63

1908 Im Juli werden die sterblichen Überreste Emile Zolas in den Panthéon überführt. Im Trauerzug wird Alfred Dreyfus angeschossen und verwundet. Der Attentäter Grégorie wird am 11. Sep- tember freigesprochen.

1914 Nach einem tödlichen Reitunfall erhält Marie-Georges Picquart ein Staatsbegräbnis. Alfred Dreyfus und sein Sohn kämpfen während des Ersten Weltkriegs an der Front.

1930 Nachdem bereits um die Jahrhundertwende verschiedene Dokumentationen zur Dreyfus- Affäre auf Celluloid gebracht wurden, inszeniert der Regisseur Richard Oswald einen Spielfilm mit dem Titel Dreyfus (Fritz Kortner spielt Alfred Dreyfus und Heinrich George Emile Zola).

1935 Alfred Dreyfus stirbt am 12. Juli in Paris.

1994 Im Februar wird der Direktor des französischen militärhistorischen Instituts SHAT seiner Fun- ktionen enthoben, nachdem er sich despektierlich über Dreyfus geäußert hat. Unter dem Titel Dreyfus und die Folgen findet auf Einladung des Moses Mendelssohn Zentrums vom 9. bis 12. Mai ein internationales Symposium in Berlin statt.

1998 Am 2. Februar wird eine Gedenktafel zu Ehren von Alfred Dreyfus an der Ecole Militaire ent- hüllt.

2000 Im Juni wird im 15. Pariser Bezirk an der Kreuzung Rue Emile Zola und Rue du Théâtre ein Platz nach Alfred Dreyfus benannt.

2005 Aus Anlaß des 70. Todestages von Alfred Dreyfus wird am 12. Juli die Ausstellung J’Accuse…! … ich klage an! Die Affäre Dreyfus im Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam eröffnet. Zuvor wird sie in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und anschließend in der Neuen Synagoge – Centrum Judaicum, Berlin, und im Militärhistorischen Museum der Bundes- wehr in Dresden gezeigt.

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6.2. Zeitstrahl zur Dreyfus-Affäre

--——|—------——-—|——------——|——------———|——------— Entdeckung des ‚Bordereaus’, 1894 Verhaftung und Verurteilung von Dreyfus

Öffentliche Degradierung von Dreyfus, 1895 Ankunft auf der Teufelsinsel Entdeckung des ‚petit bleu‘ (ein nicht abgesandter Brief vom deutschen Militärattaché 1896 Schwartzkoppen an Esterhazy), Feststellung von Esterhazys Schuld

1897 Einstellung des Verfahrens gegen Esterhazy

——|——------——— Freispruch Esterhazys vor einem Kriegsgericht, 1898 Erscheinen des offenen Briefes „J`Accuse“ von Emile Zola. Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Dreyfus,

1899 |—————----——— Verurteilung zu „10 Jahren Festungshaft“ vor dem Kriegsgericht in Rennes, Begnadigung durch den französischen Präsident

———|————• Rehabilitierung Dreyfus’, 1906 Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion, Wiederaufnahme in das Heer im Range eines Majors

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7. Kurze Bibliographie zur Dreyfus-Affäre

Der Begleitband zur Ausstellung:

Kotowski, Elke-Vera; Schoeps, Julius H. (Hg.): J´accuse...! ...ich klage an! Zur Affäre Dreyfus: Eine Dokumentation. Potsdam: Berlin-Brandenburg, 2005. desweitern:

Dreyfus, Alfred: Fünf Jahre meines Lebens: 1894–1899. Weimar: Kiepenheuer, 1962.

Duclert, Vincent: Die Dreyfus-Affäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß. Berlin: Wagenbach, 1994.

Franzmann, Andreas: Der Intellektuelle als Protagonist der Öffentlichkeit. Krise und Räsonnement in der Affäre Dreyfus. Frankfurt a.M.: 2004.

Fuchs, Eckhardt; Fuchs, Günther: „J‘accuse“: Zur Affäre Dreyfus. Mainz: Decaton, 1994.

Gödde-Baumanns, Beate: Die Dreyfus-Affäre: Vom politischen Skandal zum Streit über die Grundwerte über die Nation. Stuttgart et al, 1992.

Herzog, Wilhelm: Der Kampf einer Republik: Die Affäre Dreyfus. Zürich: Europa, 1932.

Hungerbühler, Eberhard: Ein Kampf ums Recht: Die Affaire Alfred Dreyfus. Stuttgart: Klett, 1984.

Matray, Maria: Dreyfus: Ein französisches Trauma. München: Langen Müller, 1986.

Michaelis, Robert: Der Prozeß Dreyfus: Eine juristische Studie. Unter besonderer Berücksichtigung der beiden Wiederaufnahmeverfahren. Hamburg: Kriminalistik, 1963.

Mittelstädt, Otto: Die Affäre Dreyfus: eine kriminalpolitische Studie. Berlin: Guttentag, 1899.

Pagés, Alain; Zieger, Karl (Hg.): Emile Zola: Die Dreyfus-Affäre: Artikel, Interviews, Briefe. Innsbruck: Haymon, 1998.

Paléologue, Maurice: Tagebuch der Affäre Dreyfus. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1957.

Schoeps, Julius H.; Simon, Hermann (Hg.): Dreyfus und die Folgen. Berlin: Edition Hentrich, 1995.

Schwartzkoppen, Max von: Die Wahrheit über Dreyfus. Hg. von Schwertfeger, Bernhard. München: dtv, 1930.

Thalheimer Siegfried (Hg.): Die Affäre Dreyfus. München: dtv, 1963.

Weil, Dr. Bruno: Der Prozeß des Hauptmanns Dreyfus. Berlin: Rothschild, 1930.

Zola, Emile: Die Affäre Dreyfus: Der Siegeszug der Wahrheit. Stuttgart et al: Deutsche Verlagsanstalt, 1901.

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