SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „In neuer Vertrautheit“ Wie Jazz zitiert und zitiert wird (2) Von Julia Neupert Sendung: Dienstag, 13. Oktober 2015 9.05 – 10.00 Uhr (Wiederholung vom 18.01.2011) Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1 1 AT Ich möchte klingen wie Miles Davis. Diesen Ton von John Coltrane haben. Genauso singen wie Ella Fitzgerald. Die Soli von Charlie Parker kopieren: Solche Sätze wird man nie von einem Jazzmusiker oder einer Jazzmusikerin hören. Denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man in der improvisierten Musik einen persönlichen Sound, eine eigene Stimme finden muss, um hier akzeptiert zu werden. Und doch scheint das Kopieren anderer Musiker ein beliebtes Mittel zu sein, sich im Jazz zu profilieren. {00:33} Musik 1 T: Sportjazz K: Sebastian Gramss, Jamie Abersold, Michael Brecke, Randy Brecker I: Sebastian Gramss Underkarls CD: jazzessence {02:48} 2 AT Eine Mini-Collage aus Play-Alongs präsentieren uns „Underkarl“ da selbstironisch zu Beginn dieser Musikstunde. Play-Alongs, die Übungs-Tapes, mit denen sich jeder Jazzmusikstudent durch die verschiedenen Epochen und Formmodelle der Jazzgeschichte übt, mit denen er oder sie sich in allen Tempi und TonArten durch die wichtigsten Akkordverbindungen kämpft, um das Handwerk zu lernen. Denn zum Handwerk gehört hier mittlerweile wie selbstverständlich das Beherrschen möglichst vieler Stile, Spielarten und Improvisationstechniken aus der Vergangenheit. Nur Kopieren – das ist – zumindest außerhalb des Übe-Raums – eigentlich strengstens verboten. Zitat: ja. Plagiat: nein. Weil Jazz eben (wie jede andere Kunstform auch) von individueller Originalität lebt und nicht von gut gemachten Fälschungen. Dennoch: Es kommt auch 2 hier natürlich vor, dass man Stimmen hört, die einem irgendwie bekannt vorkommen: {00:57} Musik 2 T: Just One Of Those Things K: Cole Porter I: Lisa Ekdahl, Peter Nordahl Trio CD: When Did You Leave Heaven RCA Victor 74321 431752, LC 0316 {02:50} 3 AT 1995: Die Schwedin Lisa Ekdahl und das Peter Nordahl Trio mit dem Cole-Porter-Titel „Just One Of Things“. Ein Standard aus dem klassischen Jazzrepertoire, normalerweise nähert man sich solchen Stücken als ambitionierte Musikerin mit dem Anspruch, sie so zu interpretieren, wie es vorher noch niemand gemacht hat. Oder kennzeichnet die Aufnahme mit „gesungen im Stil von“...in diesem Fall eindeutig ... Blossom Dearie, bei der derselbe Cole Porter rund vierzig Jahre vorher doch tatsächlich so klingt: {00:31} Musik 3 T: Just One Of Those Things K: Cole Porter I: Blossom Dearie, Herb Ellis, Ray Brown, Jo Jones CD: Give Him The Ooh-La-La Verve 517067-2, LC 0383 {02:00} 4 AT Blossom Dearie mit Herb Ellis, Ray Brown und Jo Jones: „Just One Of Those Things“. Zu den Dingen, die einfach so passieren, gehören dermaßen auffällige Ähnlichkeiten zwischen zwei Interpretationen desselben Titels sicher nicht. Hinterlistigen geistigen Diebstahl muss man zwar vielleicht nicht immer gleich vermuten. Dass hinter offensichtlichen Imitaten aber eine gewisse Strategie steckt, liegt in den meisten Fällen doch auf der Hand. Meistens geht es dabei natürlich ums 3 Geschäft. Frei nach dem Motto: „Was sich einmal gut verkauft hat, wird auch wieder ein Erfolg“ oder – und das ist dann besonders ärgerlich: „Ich verkaufe es unter meinem Namen einfach besser!“ So geschehen unter anderem gleich zu Beginn der Jazzgeschichte, als 1917 eine Band unter dem Namen „Original Dixieland Jass Band“ ins Plattenstudio ging. Mit Musik, die sie eigentlich nur kopierte – und das nicht besonders überzeugend: {00:57} Musik 4 T: Skeleton Jungle (nach ca. 30s unterblenden) K: Nick LaRocca I: Original Dixieland Jass Band CD: The First Jazz Recordings 1917-1921 Timeless Records 4936004, LC 2690 {00:30} 5 AT Den New-Orleans-Style mit seiner speziellen Instrumentaltechnik, den kollektiven Improvisationen, den synkopierten Rhythmen kopierten die Burschen der ODJB ziemlich unverfroren und – erfolgreich. Sie waren die ersten medialen Jazzstars, weil sie als erste Band Platten aufnahm, auf denen „Jazz“ stand. Frustrierend natürlich für die Musiker, die diese Musik tatsächlich mit entwickelt hatten. Plagiatsvorwürfe, Gerichtstermine, bei denen es um die „Erfindung“ des Jazz ging und öffentliche Stänkereien waren damals an der Tagesordnung. Vom Kornettisten Freddie Keppard zum Beispiel ist überliefert, dass er sich beim Spielen oft vom Publikum wegdrehte oder sogar mit einem Taschentuch über den Fingern spielte, damit auch ja niemand seine Bewegungen imitieren konnte. {00:50} 4 Musik 5 T: Stock Yards Strut K: Jasper Taylor I: Freddie Keppard, Johnny Dodds, Eddie Vincent, Jasper Taylor, Arthur Campbell CD: Freddie Keppard 1923-1926. The Complete Set Challenge Records RTR 79017, LC 01221 {02:30} 6 AT Freddie Keppard mit „Stock Yard Strut“ aus den 1920er Jahren. Aus Angst vor Epigonen hatte sich der Musiker ja ein paar Jahre dagegen gewehrt, überhaupt Aufnahmen zu machen – in der massenhaften Verbreitung von Tonträgern beziehungsweise später Massenmedien wie dem Radio lag und liegt natürlich die Gefahr der schnellen stilistischen Raubkopie. Obwohl das Nachahmen von großen Vorbildern unter Jazzinstrumentalisten durchaus eine längere Tradition hat. In New Orleans ließ der eifrige Nachwuchs seine Stars wie King Oliver, Kid Ory oder Louis Armstrong keinen Moment aus den Augen, wenn die mit Paraden durch die Stadt zogen, abends ihre Sets in Clubs spielten oder bei offenem Fenster übten. Und irgendwie ist es ja auch hier ähnlich wie zum Beispiel in der Wissenschaft oder der Literatur: Je häufiger man kopiert wird, desto wichtiger darf man sich fühlen. Louis Armstrong gehört sicher zu den meist kopierten und zitierten Musikern des letzten Jahrhunderts. Dabei war nicht nur sein unverwechselbares Trompetenspiel immer wieder Anlass für Imitationen, auch seine Art des Singens ist oft nachgeahmt worden – nicht selten auf liebevoll parodistische Art und Weise, wie hier in einer Aufnahme von Ella Fitzgerald, die vorher allerdings noch eine andere Sängerin aufs Korn nimmt: Rose Murphy und ihren „Chi-Chi“- 5 Stil: „I Can’t Give You Anything But Love“ – Ella Fitzgerald 1958 live in Rom. {01:30} Musik 6 T: I Can’t Give You Anything But Love K: Jimmy McHugh I: Ella Fitzgerald, Lou Levy, Max Bennett, Gus Johnson CD: Ella In Rome – Birthday Concert Verve 4464349, LC 00383 {03:15} 7 AT Ella Fitzgerald mit Lou Levy, Max Benntett und Gus Johnson Live in Rom. In ihren Stimm-Imitationen kann man hören, dass das Zitieren im Jazz oft auch eine spielerische Komponente hat, dem Publikum gefällt und – Querverbindungen zu anderen Interpretationen desselben Songs deutlich macht. Ein Verfahren, das heute bei Interpreten klassischer Musik indiskutabel wäre – kaum vorstellbar, dass die Pianistin Hélène Grimaud bei einem Konzert ihren Bach mal kurz à la Glenn Gould, Gustav Leonhardt oder Andras Schiff spielen würde. Anders sieht es allerdings aus, wenn es um eindeutige Hommagen geht. Auch das eine sehr beliebte Zitier-Form im Jazz. Man bekennt sich eindeutig und ohne parodistischen Unterton zu seinen Vorbildern. Die sind zum Zeitpunkt solcher Huldigungen meistens schon verstorben, dem Publikum aber durchaus noch im Ohr oder sowieso schon längst Legenden. Im Falle von Ella Fitzgerald gibt es unzählige „In Memoriams“, eine der erfolgreichsten stammt von Dee Dee Bidgewater. Auf ihrem 1997 erschienenen Album „Dear Ella“ singt sie ein Jahr nach dem Tod der Scat-Ikone Hits aus deren Repertoire mit Unterstützung von Musikern, die auch Fitzgerald 6 schon begleitet hatten: Ray Brown, Lou Levy, oder Grady Tate sind unter anderen dabei. {01:20} Musik 7 T: Undecided K: Ella Fitzgerald, Al Feldman I: Dee Dee Bridgewater und Big Band, Ltg. Slide Hampton CD: Dear Ella Verve 537896-2, LC 0383 {06:20} 8 AT Dee Dee Bridgewater mit einem Ella Fitzgerald-Hit: „Undecided“ von ihrem Hommage-Album an die große Jazzsängerin. Das Stimm- Timbre, die spezielle Scat-Technik, die musikalische Phrasierung, bestimmte typische Wendungen – Bridgewater weiß, wie sie singen muss, um nach Fitzgerald zu klingen. Und sie tut dies hier natürlich sehr bewusst. Vor allem deshalb, damit das Erbe des traditionellen Jazzgesangs nicht vergessen wird, schreibt sie im Booklet, damit Ellas Musik am Leben bleibt. Wie viel solche Tributs dazu dann wirklich beitragen, ist sicher eine Frage, die man diskutieren könnte – fest steht, dass Künstler mit ihnen meist ordentliche Erfolge feiern. Und manchmal danach ein Problem haben: „Ach, das ist doch der, der wie Chet Baker klingt!“: Till Brönner kann das mittlerweile nicht mehr hören und hat an diesem Vergleich doch selbst ein bisschen schuld. Hätte er im Jahr 2000 nicht diese Platte aufgenommen: „Chattin with Chet“: {01:00} 7 Musik 8 T: Chattin With Chet K: Till Brönner I: Till Brönner, Chet Baker, Frank